Linguistische Umfrage: Akzeptabilität von der Verlaufsform

    • Linguistische Umfrage: Akzeptabilität von der Verlaufsform

      Hallo liebes Board. Zunächst einmal auf diese Frage gibt es kein "richtig" oder "falsch", aber ich hatte in letzter Zeit einige Diskussionen mit Leuten, über die kommende Verlaufsform im Deutschen.
      Die ist momentan dabei sich einzubürgern und hat laut der Dudengrammatik schon fast standardsprachlichen Charakter. Für einige (vmtl Ältere) klingt es inakzeptabel, für andere umgangssprachlich und für dritte ist es ganz normal.

      Ich meine damit Sätze wie:

      1. Die Sonne war am Untergehen.
      2. Er war gerade beim kochen, als das Telefon klingelte.
      3. Ich war gerade am arbeiten, als vor mir ein Lastwagen vorüberfuhr.

      usw.

      Wie akzeptabel/ grammatisch klingen die Sätze für euch? Und wenn möglich, aus welchem deutschen Sprach/Dialektgebiet kommt ihr denn?

      Ich finde sie vollkommen grammatisch und akzeptabel und komme aus Südwestdeutschland/ Rheinland-Pfalz. (Pfälzer Dialekt)
    • Benutze ich selbst dann und wann, finde es aber dann doch irgendwie negativ auffällig, wenn ich es zu gehäuft höre. Liegt wohl daran, dass das hier eher den Ruf hat, falsch zu sein. Umgangssprachlich benutzen es aber doch die meisten zwischendurch. Nur, wie gesagt, nicht in Massen.

      Ich bin im Oberbergischen in NRW geboren.
    • Original von Floyd
      Was sagt man denn anderes? :D


      1. Die Sonne ging (gerade/in dem Moment) unter.
      2. Er kochte gerade, als das Telefon klingelte.
      3. Ich arbeitete gerade, als vor mir ein Lastwagen vorüberfuhr.

      o_ô
    • Ich kann mich da Floyd nur anschließen.
      Klingt für mich absolut normal und richtig, auch wenn ich "Die Sonne war am Untergehen." so nie sagen würde. Ich würds eher mit "Sonnenuntergang" umschreiben.

      Ich komme auch aus Hessen, jedoch aus dem Süden. Scheint hier wohl der normale Sprachgebrauch zu sein.
      Still waiting for a Fate/Hollow Ataraxia translation.
      ETA: never
    • Original von Ocarina of Time
      Komme aus Wien und finde alle drei komplett normal. Aber gut, je weiter südlich, desto breiter die Toleranzgrenze!

      Ja das eh. Wollte nur meine Theorie testen. Hoffe es melden sich noch ein paar Norddeutsche.

      In meinen Romanauszügen wurde mir diese Form nämlich angekreidet, weil Umgangssprache. Aber meiner Meinung nach ist es ja keine Umgangssprache, sonst hätt ich es ja nicht geschrieben. ;(
    • Naja, die Vorlage stammt ja nun ziemlich deutlich aus dem Englischen.

      Ich finde es interessant, wie sämtlicher Sprachwandel immer auf den Einfluss vom Englischen geschoben wird. Die englische Verlaufsform ist aber immer "to be + ing", wie "I was cooking". Es fehlt die Präposition. Wäre das Deutsche davon beeinflusst müsste es eigentlich "Ich war kochend" heißen. Dass zudem das Isländische eine ähnliche Form kennt "að lesa" [am lesen] (und die sich ja sehr eindeutig gegen Sprachbeeinflussung wehren), spricht eigentlich so ziemlich alles gegen einen Einfluss aus dem Englischen. ;)

      Wie gesagt, für den alltagsgebrauch/dialekt ist es verwendbar, in ner Arbeit sollte das aber eigentlich weniger zu suchen haben.

      Das ist mir schon wieder zu präskriptiv. Auch wenn die Dudengrammatik sowieso immer nur ein Zeitfenster präsentiert, ist für die diese "am + Verlaufsform" bereits standardsprachlich. Mir ging es daher mehr um persönliche Akzeptanz der Form (+ Herkunftsgebiet), als irgendwelche präskriptiven Sachen, die so eh nicht stimmen. ;)
      Wenn du den Satz auf dich selbst und deinen Sprachgebrauch bezogen hast, nehme ich gerne alles zurück, es klang nur so allgemein. :)
    • Die letzten zwei Sätze klingen für ich komplett normal
      Ersterer Satz allerdings komplett daneben, was wohl daran liegt, dass der Satz so kurz ist und hauptsächlich beschreibt, dass die Sonne unterging und nicht noch den "als" zusatz hat
      Köln/Bonn
    • Das ist mir schon wieder zu präskriptiv. Auch wenn die Dudengrammatik sowieso immer nur ein Zeitfenster präsentiert, ist für die diese "am + Verlaufsform" bereits standardsprachlich. Mir ging es daher mehr um persönliche Akzeptanz der Form (+ Herkunftsgebiet), als irgendwelche präskriptiven Sachen, die so eh nicht stimmen. ;)

      Öhm.. Hätte ich sowas in mein Abitur eingearbeitet, hätte ich dafür Abzüge gekriegt. Mir ist das nie untergekommen, wenn tatsächlich auf den Sprachgebrauch eingegangen wird, dass sowas nicht geahndet wird.
      Das würde in die gleiche Kategorie von Grauzone fallen wie Genetiv durch Dativ zu ersetzen. Möglich, aber so schön wie ein Tritt vor das Schienbein.
    • Ich glaube nicht, dass das bei uns jemand korrigiert haette. Fuer mich klingt das alles voellig normal und ueberhaupt nicht rein umgangssprachlich. Kann natuerlich sein, dass ich da vom Schwaebischen mitgepraegt wurde und das in der Schule bis zu einem gewissen Grad ohne Korrektur durchging, weil die Lehrer teils auch Schwaben waren, aber irgendwie erschliesst sich mir nicht, was an der Konstruktion nicht schriftsprachengeeignet sein soll. ~_~
      Im Gegenteil, ich finde "Die Sonne war am Untergehen" weit besser als "Die Sonne ging unter". Ersteres klingt fuer mich irgendwie lebendiger, stimmiger, aktiver.
      それでも未来 吹いてい
      感じ 生命息吹 Ƹ̵̡Ӝ̵̨̄Ʒ
    • Im Gegenteil, ich finde "Die Sonne war am Untergehen" weit besser als "Die Sonne ging unter". Ersteres klingt fuer mich irgendwie lebendiger, stimmiger, aktiver.

      Da geht es dir wie mir, Luna.
      Es wäre interessant aus welchem Dialektraum du kommst, shad. Eher aus dem Norden Deutschlands (nördlich von Hannover/ Umgebung?). Da verläuft nämlich auch so um den Dreh die Präteritumsgrenze.

      Was du beschreibst ist übrigens mit ein Grund, warum ich Deutsch nicht mehr in der Schule unterrichten könnte. Weil in der Schule das Konstrukt "richtiges Deutsch" von den Deutschlehrern mit aller Gewalt aufrecht erhalten wird/ werden muss. Die hängen sich dann an solchen Sachen auf, weil die ach Gott wie falsch sind, aber in der Regel normale Sprachwandelphänomene, die durchaus irgendwann mal "richtig" werden, wie z.B. Genitivschwund in einigen Fällen, "würde"-Konjunktiv und eben das hier.
    • Original von Shadow mirror
      Das ist mir schon wieder zu präskriptiv. Auch wenn die Dudengrammatik sowieso immer nur ein Zeitfenster präsentiert, ist für die diese "am + Verlaufsform" bereits standardsprachlich. Mir ging es daher mehr um persönliche Akzeptanz der Form (+ Herkunftsgebiet), als irgendwelche präskriptiven Sachen, die so eh nicht stimmen. ;)

      Öhm.. Hätte ich sowas in mein Abitur eingearbeitet, hätte ich dafür Abzüge gekriegt. Mir ist das nie untergekommen, wenn tatsächlich auf den Sprachgebrauch eingegangen wird, dass sowas nicht geahndet wird.
      Das würde in die gleiche Kategorie von Grauzone fallen wie Genetiv durch Dativ zu ersetzen. Möglich, aber so schön wie ein Tritt vor das Schienbein.


      Kurze Einführung in die Linguistik:

      Man unterscheidet zwischen präskriptiver Grammatik (vergleiche Duden-Grammatik, also "erstellte" Grammatik) und deskriptiver Grammatik (was vom Muttersprachler als korrekt empfunden wird).
      Die Umfrage bezog sich auf Punkt 2, und aus den wenigen Antworten in diesem Thread ist bereits ersichtlich, dass je nach Herkunftsgebiet die Akzeptanz bestimmter Umgangsformen variiert.
      Tatsächlich ist es einem Linguisten scheißegal, was im Duden steht. Ebenso fällt das Ersetzen des Genetivs durch den Dativs in weiten deutschen Kreisen schon unter Sprachwandel (Achtung: ich spreche nach wie vor nicht von der Schriftsprache).

      Eigentliche Frage des Threads ist ja, warum sich Schriftsprache von Umgangssprache unterscheiden muss (wenn ich das richtig verstanden habe?).
    • Eigentliche Frage des Threads ist ja, warum sich Schriftsprache von Umgangssprache unterscheiden muss (wenn ich das richtig verstanden habe?).

      Nein, die Frage ist, wie akzeptiert diese Form schon ist und ob sie vielleicht sogar für manche schon schriftsprachliche Qualitäten hat und nicht mehr umgangssprachliche. (Auch wenn ich die Termini selber nicht so mag, ist es für Nicht-Linguisten besser vorstellbar, was auch mit ein Grund war, warum ich den Duden erwähnte, weil Nicht-Linguisten immer verunsichert sind und Rückhalt bei Duden und Co. suchen. Da dachte ich, dass es vielleicht hilft, dass es die Duden Grammatik inzwischen auch akzeptiert. ;) )


      Grad hab ich nen Essay zu dem Thema geschrieben, ob die Aufgabe von Linguisten auch sein muss, manchmal präskriptiv zu sein und Urteile zu fällen oder nicht. Passt irgendwie super dazu. xD
    • In meinen niedersächsisch geprägten Ohren ist das Umgangssprache. Diese "sein+am/beim-irgendwassen"-Konstruktion verwende ich auch oft und ist im Umgangssprachlichen mir auch vertraut ("was? Lass mich in Ruhe, bin am arbeiten/zocken/onanieren/wasauchimmer"). In der Schriftsprache mag es Fälle geben, wo diese Form passen kann, mir fällt aber keiner ein. Deswegen will ich mich nicht grundsätzlich dagegen wehren, aber ich glaube, in der Regel empfind ichs als verschwurbelt und unpräzise formuliert.
      Vor allem eben in Kombination mit "sein" wirkts auf mich unglücklich. Als normal substantivierte Verben wiederum nicht. ("Er hatte beim Vögeln viel Spaß." / "Beim Kochen fing das Wasser Feuer." / "Am Arbeiten fand sie nichts Schlimmes.")

      Um längere Zeiträume darzustellen, präferiere ich, glaub ich, dann andere Konstruktionen. Muss mich mal selbst beim Schreiben beobachten.

      Jedenfalls, um's noch mal zu veranschaulichen:

      Paul saß in seinem Zimmer und starrte die Wand an. Als sein Freund reinkam, sagte er nur kühl: "Fick dich selbst, ich bin am nachdenken."
      - akzeptiert.

      Paul saß in seinem Zimmer und starrte die Wand an. Er war am nachdenken. Gleich käme bestimmt wieder sein nerviger blablabla
      - tendenziell unglücklich. Mag auch am Beispiel liegen, aber man versteht hoffentlich, was ich meine.
      I wasn't playing baseball, no!
      I wasn't playing football, no!
      I wasn't playing basketball, noo!
      I was playing Class War!