Das Blut des Königs

    • Camir...
      Ich lese deine Texte regelmäßig, da das Fanworks hier (von ganz wenigen Ausnahemn abgesehen) ansonsten kaum etwas Adäquates bietet. Ich warte und warte ab, was passieren könnte, ob Action eintreten könnte - bisher leider noch nichts. Es gibt ein paar entscheidende Fehler, die du machst, die es aber auch wert sind, angeführt und besprochen zu werden. Schließlich ist es ja in der Tat möglich, deinen Text auszuformen, oder, wie mein Dozent etwas drastisch formuliert: "ihn noch zu retten". Du gibst dir Mühe, und es ist schön, wenn junge AutorInnen sich Mühe bei ihren Texten geben - deshalb sollte ihnen auch bestmöglich geholfen werden!

      Schauen wir uns die Sache einmal an:
      Du schreibst einen Fantasyroman, eine -erzählung, was auch immer. Das bietet dir einerseits Möglichkeiten, die dir der Realismus verwehrt, andererseits schränkt es dich enorm ein.
      Du musst aufpassen, nicht platt zu werden. Eine unter vielen - wie viele Klonbücher gibt es schon? Elfen, Zwerge, Trolle, Drachen, Gnome, Tauren, Undeads, Humans. Du bleibst beim Menschen, das ist schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung. Fatal allerdings ist, dass du deine Story in mittelalterliche Gewande kleidest, auch das ist schon zu oft dagewesen, die Thematik ist verstaubt - was natürlich nicht heißen soll, dass es ein literarisches Tabuthema wäre.
      Aber: Obacht ist geboten, Qualität muss für sich sprechen. Im Expressionismus war man auch plötzlich wieder wild auf Sonette, diese Formalwichsereien des ollen Gryphius, die sogar Goethe schon als unattraktiv und unbrauchbar abstempelte. Im Expressionismus feierten sie ihr Revival - aber nur, weil sie gut und anders waren.
      Bei deiner Geschichte samt ihres Genres ist es sehr ähnlich: es ist tot. Es ist verbraucht, Bestseller zwar, zehrt aber letztlich alleine vom Konsum derer, die keinen blassen Schimmer von guter Literatur haben. Es ist Popliteratur und keine wirkliche Kunst. Das Fehlen jeglicher Polysemie trennt diese Bücher von Literatur (falls man diesen Begriff nicht allzu weit fasst).

      Davon musst du dich lösen - wie tut man das am besten?
      Ironie ist gefragt. Attraktiv wäre es zum Beispiel, das ganze Genre hopps zu nehmen und es an der Nase rumzuführen. Das gibt es zwar auch schon zuhauf, aber dies ist allemal erträglicher als der tröge Einheitsbrei. Ein, wie ich finde, sehr sinniger Ansatz: zerstöre dich, deine Geschichte, das ganze Genre - und bau es wieder neu auf! Nicht falsch verstehen, du musst natürlich nicht deine ganze Geschichte verwerfen. Nur ummodeln, das Konzept ändern.

      Du bist nämlich in großer Gefahr: dein Text wird scheitern, wenn er nicht konkreter und schneller wird. Er dümpelt vor sich hin, es passiert hier eine Redundanz, dort eine - vielleicht ist sie wichtig und keine Redundanz, aber sie geht unter. Völlig unter, da sie vom Wulst der Dialoge überschwemmt wird. Diese musst du straffen, du musst eine ganze Menge herausnehmen. Manche (viele) deiner geposteten Auszüge bestehen zu 95% aus wörtlicher Rede, und diese zieht sich endlos. Das ist ein Fehler, der nicht begangen werden darf. Irgendwann fragt sich der Leser, ob deine Charaktere nicht ihre Feinde, sondern ihn selbst bekämpfen wollen. Und das wollen wir natürlich nicht, hier gilt es, aufzupassen.
      Du willst schließlich episch schreiben und nicht dramatisch; oft genug dachte ich, ich befände mich in einer hofmansthaliensischen Konversationskommödie - was stellenweise zwar spaßig sein kann, allerdings nicht in eine Konversationstragödie abrutschen darf, das wäre tödlich!
      Wörtliche Rede: okay, muss rein - nur wörtliche Rede: der sichere Lesertod.

      Ein weiteres, genauso schwerwiegendes Mancko: dein Stil.
      Natürlich, man fühlt sich in deiner Situation verpflichtet, möglichst authentisch zu schreiben - flechtet hier einen gräulichen Archaismus ein, euphemisiert und periphrasiert dort Dinge, die moderne Menschen schlicht beim Namen nennen würden. Eine große Schwäche des Genres, ich persönlich würde mir's deshalb nie zumuten. Dir sind die Hände gebunden, vieles geht einfach nicht, was bei Arno Schmidt oder Döblin zB hervorragend funktioniert und einfach gut ist! Problematisch sind da zum Beispiel - du als Linguistin kannst es sicher nachvollziehen - die schleppende Syntax, die vielen unnötigen Attribute, die plattgetrampelten Metaphern. All das kann einen Text ziemlich langweilig machen.

      Deine Charaktere drücken sich zwar recht nachvollziehbar aus (man glaubt ihnen, dass sie in der Zeit leben, in der du sie ansiedelst), wirken dabei allerdings äußerst umständlich und schwerfällig. Ironie gibt es kaum, dabei ist sie die Seele jedes jungen Autorenherzens! Und wenn, dann ist sie leider zu plakativ, vorhersehbar und kastriert. Deine Charaktere müssen nicht witziger werden, keine Schelmen, Narren und Spitzbuben, aber du als Autorin. Bei all den Dialogen, die den Text fast schon zum epischen Theater machen, kannst du als Bert Brecht doch einmal auftauchen, und Salz in Wunden streuen, bösartig sein, frech etc: dir stehen viele Möglichkeiten offen. Es muss natürlich ein Bewusstseinswandel erfolgen um dies zu schaffen, sonst spricht letzten Endes ein antiker Chor zu uns. Aber halt, wir wollen ja kein Theater schaffen, sondern einen Roman schreiben. Daher nochmals eindringlich: Dialoge kürzen, mehr Action!

      Soviel einmal hierzu, ich hoffe, ich konnte dir helfen und glaube, dass du die Kurve noch kriegen kannst, hin zur Literarizität, das traue ich dir durchaus zu, und das sage ich auch nicht jedem. Falls du Fragen hast oder weitere Tipps und Anregungen benötigst, kannst du mich gerne kontaktieren.

      Ich wünsche dir noch viel Erfolg und Glück mit deinem Text!

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    • @ Acrobat: Ich danke dir sehr für das ausführliche und kritische Review. Das ist genau das, was man manchmal braucht.
      Verstehe ich dich jetzt richtig, dass die Geschichte an 3 Punkten krankt:
      1) Zu viele Dialoge
      2) Es passiert ewig nix
      3) Pseudo-mittelalterlicher Stil?

      Was den Stil betrifft, so arbeite ich da momentan dran. Ich bin zur Zeit dabei, die Story von Grund auf zu generalzuüberholen, auch die Handlung betreffend. Fakt ist: fertig ist sie noch lange nicht. Ich schreibe nur erstmal nieder was noch so kommen mag, habe aber auch selbst das Gefühl noch massiv kürzen zu müssen. Ich habe zwar irgendwie das Gefühl, dass alles irre wichtig für die Handlung ist, aber ob dem wirklich so ist, zeigt sich erst, wenn ich fertig bin und dann wird gekürzt.

      Mit dem Genre gebe ich dir grundsätzlich recht, es ist nur so, dass zumindest diese Story nicht den Anspruch erhebt, literarisch wertvoll zu sein. Sie kann also nie mit den Klassikern der Literatur standhalten
      Sie soll trivial und unterhaltend sein, anders als mein nächstes Projekt. Von daher trifft das
      Bei deiner Geschichte samt ihres Genres ist es sehr ähnlich: es ist tot. Es ist verbraucht, Bestseller zwar, zehrt aber letztlich alleine vom Konsum derer, die keinen blassen Schimmer von guter Literatur haben. Es ist Popliteratur und keine wirkliche Kunst. Das Fehlen jeglicher Polysemie trennt diese Bücher von Literatur (falls man diesen Begriff nicht allzu weit fasst).
      in diesem Fall mit Absicht zu.
      Wenn sie darüberhinaus allerdings tatsächlich langweilt, wie du ja implizierst, und was ich auch durchaus ernst nehme, dann habe ich auch dieses Ziel verfehlt.
      Ich weiß nicht, ob du das Vorgängerprojekt "Nachteule" verfolgt hast, habe mir aber von mehreren Seiten sagen lassen, dass da ein stilistischer Unterschied war.
      Es würde mich interessieren, (falls du sie gelesen hast), ob die Nachteule deiner Meinung nach an denselben Problemen krankt oder ob sie dir besser gefallen hatte. Wenn ja, ist es wohl ein generelles Problem von mir, wenn nein, dann liegt es explizit an dieser Geschichte. Manchmal macht man so etwas ja auch unterbewusst.
      In jedem Fall nochmals Danke dass du dir die Zeit genommen hast. Ich versuche deine Kritik, soweit sie sich mit meinen Zielen deckt, durchaus ernst zu nehmen.
    • Wobei ich mich jetzt frage, warum Popliteratur keine Kunst sein soll? oO Wenn man's gut hinkriegt, warum nicht? Es unterhält, und jemanden zu unterhalten is ja schon ne Kunst für sich allein.


      Eigentlich find ich die Geschichte gut (auch wenn ich Aas ewig nix dazu gesagt habe :ugly: ), in einem Punkt kann ich Acrobat allerdings zustimmen: Es fehlt noch(!) das Element, dass es vom Standard wirklich abhebt. Irgendwas, das es wirklich anders als alle anderen Fantasygeschichten macht. So wie die Orks/Trolle/Drachen/Zwerge/Kobolde (und wie diese Standard-Buchreihen alle heißen) gegenüber solchen Kreationen wie der unendlichen Geschichte. Bis jetzt zumindest.
      Das ist dann wirklich das einzige, was man der Story ankreiden kann, denn Schreibstil, Kontinuität und Dialoge finde ich persönlich ja nun schon wirklich gut. Und die paar Flüchtigkeitsfehlerleinchen - na mein Gott. xD


      (Ja, man kann draufklicken)
    • Original von Ulyaoth
      Das ist dann wirklich das einzige, was man der Story ankreiden kann, denn Schreibstil, Kontinuität und Dialoge finde ich persönlich ja nun schon wirklich gut. Und die paar Flüchtigkeitsfehlerleinchen - na mein Gott. xD


      Natürlich ist eine solche Kritik immer subjektiv - ich habe vielleicht andere Ansprüche an einen Text als du, Uly - aber wir müssen zu einem Punkt gelangen, an dem literarische Kriterien endlich objektivierbar sind. Fakt ist: die Story besteht zum absoluten Großteil aus Dialogen. Das kann in einem Fantasyroman einfach nicht der Fall sein. Man liest und liest - aber dr Sinn bleibt verschlossen. Es muss etwas geschehen, so ist kaum eine Klimax zu erkennen, was in der baldigen Resignation des Lesers endet.
      Kontinuität - das ist ein Begriff, den ich in diesem Kontext nicht deuten kann. Inwiefern Kontinuität?

      Jedenfalls find ich das Abnicken von Allem und Jedem unproduktiv, "- na mein Gott. xD" hilft CAMIR kein Stück weiter. Es muss angesprochen werden, was nicht stimmt, nur so erhält sie weitere Anregungen und Tipps. Im Umgang mit Autoren kann man einen Fehler machen: man bestätigt sie zuviel. Dabei muss der Künstler progressiv sein! Sobald er oder sie an den Punkt gelangt, an dem er/sie denkt: "Hey, das ist ja gut, was ich da mache!", besteht die Gefahr, dass dasselbe einfach wieder getan wird. Wieder und wieder - dann geht's nicht weiter!

      Bei CAMIRs Geschichte nehme ich das nun wahr, und das ist der springende Punkt: Entweder kommentiert niemand und man ignoriert sie - dass sie das ZFB dennoch fleißig weiter mit Texten versorgt, grenzt an ein Wunder - oder es gibt einen 4-5-Zeilen-Kommentar, der sagt, dass alles so gut ist, wie sie es macht. Das kann doch nicht die Motivation einer Geschichte sein, über die diskutiert werden soll!


      Zur Sache mit der Popliteratur... Endes unendliche Geschichte, Solaris, 1984, Robinson Crusoe - all das ist natürlich Kunst. ABER: Schau dich im Thalia um - der ganze unkreative Dreck, der da rum liegt. Dieser Fantasymüll, der nur produziert wird, um Auflage zu schaffen. Indem man kopiert und kopiert und kopiert. Diese Bücher sind unheimlich schlecht - aber der Verlag druckt sie, weil die Masse sie liebt. Man schaue nur in den "Was lest ihr grade"-Thread rein und beobachte das Konsumverhalten der User. Na, das ist keine Kunst. Aggro Berlin ist auch keine Kunst, obwohl es unsere Generation vorzüglich unterhält.
    • Original von Acrobat reader
      Jedenfalls find ich das Abnicken von Allem und Jedem unproduktiv, "- na mein Gott. xD" hilft CAMIR kein Stück weiter.


      Das Einzige, was ich meinte, ist dass kleinere Fehler nicht schlimm sind und die jeder macht. Ich hab jetz nur halt nicht extra welche rausgesucht.

      Und jemandem zu sagen, dass etwas "gut" ist - warum nicht? Wenn man es so empfindet? Heißt ja nicht, dass man es dann nicht noch "besser" machen kann.

      Zudem - keine Ahnung, was im Thalia so rumliegt, ich lese inzwischen relativ wenige Fantasybücher und kann demnach da jetzt eher wenig mitreden, aber sobald ein Buch jemanden unterhält, hat es bereits eine Daseinsberechtigung. Gut und schlecht sind da auch rein subjektiv. Ich kann ja auch nicht sagen, dass man nur noch klassische Musik hören oder produzieren darf, weil Hip Hop schlecht wäre oder jedes Stück gleich klingt oder so. Wenn einer jetzt seinen fünfhundertsten Ork-Roman lesen will, warum nicht? Nicht, dass ich die Unendliche Geschichte nicht trotzdem besser finde. :ugly:


      (Ja, man kann draufklicken)
    • Dann muss ich mich ja direkt beeilen, weiterzuschreiben. xD Mal sehen, ob ich was davon umsetzen kann...

      Bzgl der Dialoge muss ich aber nochmal was sagen: ich lese grade das "Haus der 7 Giebel" von Hawthorne, wo der Anteil Dialoge: Beschreibungen bei 20:80 zu Ungunsten der Dialoge liegt. Und es langweilt mich sowas von. Endlossätze, langweilige Beschreibungen. *schnarch* Vielleicht ist das Empfinden da wirklich subjektiv. Ich hab nochmal über die Story geschaut und fand den Anteil der Dialoge nicht so überproportional. Aber als Autorin ist man seinem Werk gegenüber eh unkritischer.
      Wenn noch andere den Eindruck haben, liegt es wirklich an mir. Ich versuche es dennoch zurückzuschrauben.

      @ Uly: Ich hoffe, wir sind bald bei dem Punkt, wo das Überraschende passiert, wo auch alles andere Sinn macht. Immerhin muss der kryptische Titel noch erklärt werden usw.
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      Es gibt übrigens noch eine inhaltliche Änderung bzgl. der Tamuraner, damit die nicht zu so tumben Klischeebösen verkommen. (Auch da muss ich noch einiges tun...) Sie sind ebenfalls Magieanwender, aber auf Naturbasis und hassen die Anareaner für ihre Akademisierung der Magie. Das halten sie nämlich für Gotteslästerung, genau wie die Anareaner die Tamuraner für Gotteslästerer halten. Beide Seiten sind gleich schuld am Konflikt.
    • So, damit ihr mehr Stoff zum bashen habt. xD Ist nur kurz. Ich muss mich wieder reinfinden...

      Sofort entdeckten die Männer ihre toten Kameraden und das ungleiche Paar das daneben stand.
      „Halt! Stehenbleiben!“ schrie der Kommandant. Amaryll kannte ihn gut, war er doch derjenige, unter dessen Dach sie nun lebte und der sich besonders gern mit ihr vergnügt hatte.
      Instinktiv missachtete sie seinen Befehl und rannte los.
      Fast gleichzeitig hörte sie Athrins Stimme, der dicht hinter ihr war: „Lauft!“
      Die Häuser und die engen Gassen des Dorfes flogen an ihr vorbei, als ihre Füße auf dem Boden Staub aufwirbelten, mit dem Ziel, soviel Abstand wie möglich zwischen sich und die Verfolger zu bringen.
      War es überhaupt möglich, zu entkommen?
      Man hatte sie gewiss erkannt und schlug nun Alarm, was bedeutete, bald waren ihnen noch mehr Tamuraner auf den Fersen.
      In den Gassen der Stadt konnten sie ihnen den Weg abschneiden, was bedeutete, sie mussten, wollten sie überhaupt überleben, in die Wälder fliehen, die um Jagedal und Ternheim wuchsen.
      Aber um den Stadtrand überhaupt zu erreichen, mussten sie schneller und schlauer sein, als ihre Verfolger.
      Am Rande nahm Amaryll Schreie überraschter Dorfbewohner wahr, die entsetzt waren, aufgrund der entstandenen Unruhe und nun zusahen, wie zwei Menschen durch die Stadt gejagt wurden.
      „Wo habt Ihr Euer Lager?“ brachte sie keuchend hervor, darauf bedacht, nicht allzu viel Atemluft auf Kommunikation zu verschwenden.
      „In den Wäldern, ich bin nicht alleine…“
      „Dann lasst uns dorthin gehen.“
      Sie zog ihn in eine kleine Gasse, die von der breiten Straße abführte, in der Hoffnung, dass sie so leichter entkommen konnten.
      Ihre Schritte hallten dumpf auf dem Lehmboden und sie mussten sich unter Wäsche wegducken, die man aufgehängt hatte. Aus der Ferne hörte sie das Schreien des Tamuraners.
      „Lasst diese Mörder nicht entkommen!“
      Ich bin keine Mörderin. Ich wollte sie nicht töten. Sie sind Mörder.
      Die Tamuraner waren ihre Feinde. Sie hatten es drei Jahre jeden Tag bewiesen, aber wie sie ihre verbrannten Körper sah, hatte sie Angst vor sich selbst bekommen. Und nun war Athrin aufgetaucht und verlangte, dass sie genau jene Kräfte in seinen Dienst stelle. Sie war die letzte, an ihr würde es hängen und sie spürte, dass sie nicht ablehnen durfte. Sie durfte nicht so egoistisch sein.
      Eine kleine Mauer tauchte vor ihnen auf und sie erinnerte sich.
      Sie begrenzte das Dorf, das auf einer höhergelegenen Ebene erbaut war, vom Wald, auf den man an dieser Stelle hinabblicken konnte. Das Stadttor, das in den Wald führte, war noch einige Meter entfernt und Amaryll begann erste Anzeichen von Erschöpfung zu spüren.
      Genau unter der Mauer gab es einen kleinen See.
      Sobald ihr dies einfiel, wusste sie, was zu tun war.
      Es gab nur diese eine Möglichkeit. Diese – oder den Tod, denn die Tamuraner würden sie kaum ungeschoren davonkommen lassen.
      Sie wurde langsamer, konnte Athrin hinter sich spüren und auch die Verfolger, die immer noch nicht aufgegeben hatten.
      „Was habt Ihr vor?“
      Seine Stimme klang überrascht.
      „Vertraut mir!“
      Mit einem Satz hatte sie die Mauer erklommen und dann… sprang sie.
    • Hurr, das Projekt ist nicht tot... auch wenn ich über einen Monat nichts gepostet habe. Aber die Geschichte von Amaryll lässt mich (noch) nicht los und daher gibt es mal wieder Lesestoff.

      Für Bruchteile von Sekunden spürte Amaryll gar nichts. Sie hielt die Augen im Fall geschlossen und es war, wie als würde sie schweben. Dann wurde sie vom kühlen Wasser des Sees umgeben. Sie öffnete die Augen und versuchte unter Wasser noch einige Meter zu schwimmen, bevor sie auftauchte. Entfernt nahm sie wahr, dass Athrin kurz nach ihr gelandet war, die Wellen, die er verursacht hatte, hatte sie gespürt.
      Als sie endlich mit dem Kopf die Wasseroberfläche durchstieß hörte sie die Schreie der Tamuraner, aber sie verstand nicht mehr, was gesagt wurde. Für einen kurzen Augenblick fürchtete sie fast, man würde ihr hinterherspringen, aber stattdessen hagelten nur Pfeile auf sie und Athrin nieder, die sie problemlos abwehren konnte.
      Blitzschnell verschwand sie im Wald, der direkt nach dem See ansetzte und wartete auf den Hauptmann, der kurze Zeit später erschien. Er war sie bis auf die Knochen durchnässt und sie nahm wahr, dass es ihn einige Anstrengung kostete, seinen Blick von ihr abzuwenden, zeichnete sich ihr Körper doch sehr deutlich unter der nassen Kleidung ab.
      „Das hätte ich Euch nicht zugetraut!“
      Er wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und grinste. „Ich bin beeindruckt!“
      Amaryll schüttelte den Kopf.
      „Man lernt“, sagte sie lediglich und sah Athrin dann an. „Führt mich zu Eurem Lager.“

      Athrins Lager als solches zu bezeichnen war bereits Ironie. Er hatte Amaryll über verschlungene Pfade immer tiefer in den Wald geführt, wo das Sonnenlicht kaum noch hinfiel, außer einige helle Flecken auf dem lehmigen Boden, wenn das Blätterdach einige Öffnungen freigelassen hatte. Vögel zwitscherten, aber sie waren nicht zu sehen und auch sonst wirkte der Wald für die Magierin irgendwie irreal. Das mochte mit den vergangenen Erlebnissen zusammenhängen, stand sie doch immer noch unter Schock. Als die wenigen Pferde und Schlafsäcke vor ihr auftauchen, hatte sie Mühe, nicht aufzulachen.
      Es befanden sich außer ihr und dem Hauptmann noch drei weitere Menschen im Lager, zwei davon glaubte sie zu erkennen: Rhiannon Weitblick, das andere weibliche Ratsmitglied und einen älteren, schweigsamen Magier mit dem Namen Kammon Tarses. Amaryll kannte ihn nur vom Sehen. Der zweite Mann war wohl ein anareanischer Soldat, zumindest schien er bewaffnet zu sein. Jeder von ihnen hatte ein Pferd, aber darüber hinaus gab es noch ein weiteres Reittier.
      Sie alle saßen um ein notdürftiges Lagerfeuer herum und hatten Schlafsäcke auf dem Boden ausgebreitet. Als sie Athrin nahen sahen, standen sie auf.
      „Seid gegrüßt!“ rief er in die Runde und wies dann auf seine Begleiterin.
      „Wir haben es geschafft, wir sind vollzählig!“
      Amaryll sah, wie sich Athrins Begleiter anblickten.
      „Dann ist es vollbracht!“ sagte sein unbekannter Soldat. „Wir können den Plan des Königs durchführen! Willkommen Magistratin Amaryll!“
      Er verbeugte sich, ignorierend, wie zerlumpt die beiden Neuankömmlinge aussahen.
      Die Magistratin hob abwehrend die Hände.
      „Einen Augenblick! Ich habe noch nicht zugesagt. Ich bin nur hier, weil ich um mein Leben rennen musste!“
      „Sollte das nicht Grund genug sein?“ warf Rhiannon ein, wie immer herablassend und würdevoll.
      „Meine Gründe gehen niemanden etwas an“, schoss Amaryll zurück
      Athrin starrte sie ungläubig an.
      „Das kann nicht Euer Ernst sein! Was muss ich denn noch tun, damit Ihr mir vertraut?“
      „Ich werde Euch nicht mehr vertrauen, solange ich lebe. Aber das spielt keine Rolle. Ich vertraue Euren Begleitern…“
      „Und… warum…“
      Der Hauptmann kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu beenden, den Amaryll brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.
      „Ich werde mit Euch kommen. Aber nicht jetzt. Nach meiner Flucht schwebt mein Gefährte in Lebensgefahr. Und ich werde nicht ohne ihn gehen.“
      Rhiannon schnaubte.
      „Das ist doch Unfug! Seht uns alle gut an, Magistratin. Weder ich, noch Kammon haben unsere Beschützer bei uns. Vergesst ihn!“
      „Ihr habt wohl nicht zugehört. Er ist mein Gefährte, der Vater meiner Kinder.“
      Die ältere Magierin schüttelte den Kopf.
      „Ich vergaß, Ihr gehört zu den Schwachen, denjenigen, die den Versuchungen der Verbindung nicht widerstehen können…“
      „Das ist es also, was Ihr in mir seht? Schwäche?“
      Bilder zogen vor Amarylls innerem Auge vorbei, Bilder von Iain, der immer bei ihr war, wenn sie ihn gebraucht hatte – aber sie erinnerte sich auch an die langen Jahre der Demütigung, die sie wegen ihm und den Kindern ertragen hatte. Rhiannon musste wohl das Zucken in ihrem Gesicht gesehen haben, als sie erneut ansetzte.
      „Magier sollten sich nicht mit Familie belasten. Sie sollten sich ihren Kräften widmen. Ich sehe Euch an, Ihr habt wegen ihnen gelitten. War es das wert?“
      „Jeden einzelnen Tag“, brachte die jüngere der beiden Frauen vor. Und doch musste sie an den Ekel vor Iains Berührungen denken, der sie überkommen hatte, nachdem sie von den Tamuranern genommen wurde.
      „Vergesst ihn. Er ist nicht mehr zu retten. Man wird ihn finden und töten…“
      Amaryll wollte gerade ansetzen, zu antworten, als sie erneut zuckte. Dieses Mal war es keine Erinnerung, sondern ein Schmerz und zwar ein ganz realer. Man folterte Iain.
      Sie rannte los.
    • Truller...

      Die Büsche und Bäume flogen an Amaryll vorbei und bald hatte sie den Waldrand erreicht. Es war inzwischen dunkel geworden, doch im Dorf war es taghell. Feuer brannten und noch immer war Geschrei zu hören.
      Es ist deine Schuld!
      Hoffentlich veranstaltete man keine Hexenjagd um ihretwillen. Hoffentlich musste niemand leiden. Noch immer hatte sie Iain im Hinterkopf, obwohl der Schmerz nachgelassen hatte.
      Ihre Kleider waren wieder einigermaßen getrocknet, zudem war ihre Robe mit einer Kapuze versehen. Sie streifte diese über und schlich in ihr Heimatdorf zurück, mit der einzigen Ausnahme, dass dies nicht mehr ihre Heimat war.
      Die Tamuraner schienen jedes einzelne Haus nach ihr zu durchsuchen – ihre Patrouillen waren in der gesamten Stadt. Aber egal was geschah, sie konnte doch ihren Gefährten nicht im Stich lassen, jetzt erst recht nicht.
      Es gelang ihr, den Patrouillen zu entkommen, ihre Aufmerksamkeit abzulenken und wollte sich gerade zu ihrem alten Haus begeben, als sie eine weitere Gruppe Tamuraner bemerkte, die einen Mann hinter sich herzerrten, der sich mit aller Gewalt wehrte und ihren Namen schrie.
      „Bringt ihn zum Präfekten!“ brüllte der Anführer der Patrouille.
      „Warum töten wir ihn nicht auf der Stelle?“
      „Wir haben den Befehl erhalten, niemanden mehr zu töten – außerdem führt er uns vielleicht zu der gesuchten Magierin.“
      Amaryll erschrak und heftete sich vorsichtig an die Fersen dieser Menschengruppe. Sie wollten Iain zum Präfekten bringen!
      „Ich kann mir nicht vorstellen, dass er auch nur irgendetwas verriete. Sollten wir kein Exempel an ihm statuieren?“
      „Wir haben schon einige Exempel statuiert und gebracht hat es uns wenig. Der Präfekt möchte es anderweitig versuchen.“
      „Lächerlich!“
      „Es ist nicht deine Aufgabe zu urteilen.“
      Die Präfektur lag in der Nähe des Stadttors und war eigentlich ein Gefängnis. Seit die Tamuraner in der Stadt waren, war es wieder voller und es hieß, dass viele hinein aber nur wenig hinaus gekommen waren. Iain stand kein einfaches Schicksal bevor.
      Amaryll versuchte ihn wissen zu lassen, dass es ihm gut ging und tatsächlich schien er sich zu beruhigen.
      Wie sie ihn allerdings befreien konnte, wusste sie noch nicht. Es waren einfach zu viele.
      Sie versuchte sich in den Schatten zu halten, als sie ihm folgte und wartete draußen geduldig, als man ihn in das Gebäude zerrte.
      Sie hatte sich an die Mauer gelehnt und versuchte, so gut es ging mit dem Gebäude zu verschmelzen. Bis die Lage sich entspannt hatte, musste sie warten, auch wenn es ihr schwerfiel. So versuchte sie zumindest zu lauschen, was drinnen vor sich ging, aber leider hörte sie keinen Ton.
      Iain, bitte halte durch!

      Es hatte einen Skandal gegeben, soviel hatte Tarlan Grobfaust, Gefängnisaufseher und Präfekt, schon mitbekommen. Jahrelang hatte eine Magierin im Zimmer des Hauptmanns gelebt und sogar mit ihm das Bett geteilt, ohne dass es aufgeflogen war. Und dann, als die Männer einen Strauchdieb auf offener Straße erschlugen, hatte sie zugeschlagen und war seither flüchtig. Das waren zumindest die Neuigkeiten, die er über den Tag verteilt mitbekommen hatte.
      Nun schleppte eine Patrouille einen zerlumpten Kerl an und behauptete, es handele sich um deren Mann.
      Der Gefangene sackte vor ihm zusammen, man hatte ihn wohl bereits geschlagen.
      „Wo ist sie?“ knurrte Tarlan. Er wollte nach Hause und hatte keine Zeit mehr für solche Spielereien.
      Der Gefangene schwieg.
      „Sprich du Hund!“ Ein Soldat gab ihm einen Tritt, doch er rührte sich nicht.
      „Lass das!“ griff der Präfekt wieder ein. „Er wird nicht antworten. Ihr habt ihn schon verhört und er hat nichts gesagt. Wir brauchen ihn lebend.“
      „Wieso denn?“
      „Das Weibsbild wird vielleicht kommen, um ihn zu befreien. Bewacht ihn gut und tötet sie, wenn das passieren sollte. Wenn nicht, kann er hier verrotten – dann erfahren wir vielleicht noch das ein oder andere.“
      „Wir werdet sie nicht bekommen…“ keuchte der Gefangene kaum hörbar. „Ich weiß nicht, wo sie ist, aber ihr werdet sie nicht bekommen…“
      „Wir werden sehen!“ Tarlan grinste zufrieden.
      „Sperrt ihn ein! Und passt gut auf, dass er nicht herau
    • Original von CAMIR
      „Sperrt ihn ein! Und passt gut auf, dass er nicht herau


      "...s kann!"
      (Gern geschehen. :D )


      Aufgefallen sind mir vergleichsweise mehr Formulierungs-/Tippfehler als sonst. Ich nehm mal ein paar raus.


      Für Bruchteile von Sekunden spürte Amaryll gar nichts. Sie hielt die Augen im Fall geschlossen und es war, wie als würde sie schweben. Dann wurde sie vom kühlen Wasser des Sees umgeben.


      das erste "wie" weg. xD

      Zudem - diese Stelle is imho unglaubwürdig. Sofern sich Amaryll nicht mit einem reibungsnegierenden Kraftfeld umgeben hat, fühlt sich ein Sturz von einer Mauer auf eine Wasseroberfläche anders an, als mit einem Fallschirm in die Badewanne zu gleiten. ich meine, okay, kommt natürlich drauf an, wie tief sie da gefallen is, aber ein Sturz fühlt sich nicht wirklich wie Schweben an, zweitens is je nach Höhe eine Wasseroberfläche so hart wie Beton. Außer man springt wirklich wie ein Kunstspringer rein.


      Amaryll versuchte ihn wissen zu lassen, dass es ihm gut ging und tatsächlich schien er sich zu beruhigen.


      Ihm oder ihr? oO


      „Jeden einzelnen Tag“, brachte die jüngere der beiden Frauen vor. Und doch musste sie an den Ekel vor Iains Berührungen denken, der sie überkommen hatte, nachdem sie von den Tamuranern genommen wurde.


      Unterbrich mich, wenn ich's falsch verstanden habe, aber müsste es am Ende da nicht "genommen worden war" heißen? Weil es ja nicht in diesem Moment passiert?


      Inhaltlich gesehen gefällts mir aber jetzt etwas besser - jetzt kommt wieder langsam etwas mehr Schwung rein, sehr gut. :D


      (Ja, man kann draufklicken)
    • *rausbuddel*
      Leute ich hatte ne echte Blockade aus verschiedentlichen Gründen. Tut mir leid.
      Ich glaube aber, dass es jetzt wieder besser geht.

      @ Uly: Danke für die Verbesserungen. Du hast mit allem recht. Ich sollte nicht mehr nach zwölf schreiben. Gehirn und Konzentration und so. ._. Meh.
      Das schweben bei der Badenummer bezog sich eher auf den Fall, als auf den Aufprall. Du hast natürlich vollkommen recht. Ich verbesser es.
      Freut mich, wenn es dir jetzt besser gefällt. Ich hoffe, das Tempo beibehalten zu können. Das fiese Finale steht auf jeden Fall noch aus.
      Und weil es so schää ist, gibt es Amaryll und Iain jetzt auch als Pixelfiguren.

      [Blockierte Grafik: http://img232.imageshack.us/img232/8603/amaryllxiain.gif]

      Die Dunkelheit machte nichts gut, wie Amaryll gehofft hatte. Der Aufruhr hatte sich noch nicht wieder gelegt und selbst wenn – das Gefängnis war gut bewacht.
      Sie war zwar gut in den Schatten verborgen, aber die Zeit verging und spätestens wenn der Morgen kam, musste sie verschwunden sein. Wenn sie nur nicht so müde wäre…
      Erschöpft sank sie in sich zusammen und vielleicht war sie auch eingenickt, als sie zwei kräftige Hände aus ihrer Lethargie rissen.
      Sie konnte den Angreifer nicht erkennen und bevor sie die Gelegenheit zum Schreien hatte, hatte er seine Hand über ihren Mund gelegt, sodass nur noch ein ersticktes Stöhnen zu hören war. Man riss sie auf die Füße und drehte sie um und nahm erst in diesem Moment die Hand von ihrem Mund.
      „Athrin! Ihr habt mir Todesangst eingejagt!“
      „Seid nicht albern, Magistratin. Ihr habt mir Todesangst eingejagt. Ich musste befürchten, sie hätten euch erwischt. Aber offenbar, habt Ihr Eure Sinne noch einigermaßen beisammen.“
      „Was macht Ihr hier?“
      „Ich habe nach Euch gesucht. Ihr erinnert Euch vielleicht noch an meine Mission?“
      Sie schüttelte den Kopf.
      „Unmöglich. Ich kann Iain nicht zurücklassen und meine Söhne ebenfalls nicht. Nicht nachdem, was geschehen ist.“
      Er seufzte.
      „Ihr könnt ihm nicht helfen. Das Gefängnis ist gut bewacht. Sie würden Euch töten, bevor Ihr überhaupt in seine Nähe gekommen wärt.“
      „Aber ich kann ihn nicht zurücklassen…“
      Athrin seufzte und Amaryll glaubte zum ersten Mal, seit sie den Soldaten kannte, Aufrichtigkeit und wahre Sorge in seiner Stimme zu erkennen.
      „Bitte hört mir gut zu, Amaryll Gunnarsdottir. Ich werde keine Rechtfertigungen mehr erbringen – für diese ist es bereits zu spät. Ich kann Euch keine Befehle erteilen, Ihr würdet mich sowieso verspotten und die Berechtigung dafür habe ich ebenfalls nicht. Es ist Eure Entscheidung, was Ihr tun werdet, aber behaltet Folgendes im Hinterkopf: Wenn Ihr jetzt oder zu einem beliebigen anderen Zeitpunkt dieses Gefängnis stürmt, werdet Ihr schneller als Euch lieb ist, in Eurem eigenen Blut schwimmen. Dieses Mal werden sich die Tamuraner nicht zurückhalten und auch Iain wird dann sein Leben verlieren. Er wird ja nicht mehr gebraucht, wenn sie Euch erst einmal haben. Momentan hingegen ist er relativ sicher – man hofft darauf, ihn als Köder einzusetzen, um Euch zu bekommen. So lange ihr flüchtig seid, wird ihm nichts geschehen.
      Meine Mission ist es, die Tamuraner ein für alle Mal zu vertreiben. Sie haben unser Land genommen, sie verspotten unsere Magie. Es mag nicht Eure Mission sein, aber wenn Ihr Euch jetzt weigert, mitzukommen, werde ich Euer Amulett nehmen. Es tut mir leid, aber an dem Widerstand einer Person darf nicht scheitern, was der Wille so vieler ist.“
      Amaryll senkte den Blick. Jedes von Athrins Worten durchbohrte ihre sorgfältig aufgebaute Fassade und drang schließlich zu ihr durch. Als er geendet hatte, sah sie ihn an.
      „Lasst uns gehen.“
      Sie warf keinen Blick zurück.

      „Woran denkst du?“
      Das Gebirge umgab das Kloster der Weißen Mönche und war gerade in der Abenddämmerung ein imposanter Anblick, wenn sich die Sonne noch ein letztes Mal auf den kahlen Felsen spiegelte, bevor sie vollends versank und alles in ein rotes Licht tauchte. Um diese Zeit wehte gewöhnlich eine angenehme Brise, die es gerade im Sommer angenehm machte, im Freien zu sitzen.
      Jorin stand auf dem Balkon, der an seine Kammer angrenzte, lehnte sich an die Brüstung und genoss das Schauspiel. Er hatte aufgehört, die Tage seines Aufenthaltes zu zählen, abgeschieden von dem Blut und den Morden. Er war froh, von all dem nichts mitbekommen zu haben und doch hatte er immer das Gefühl gehabt, jemanden zu verraten, alleine durch die Tatsache, dass er keinen Anteil an der Schlacht gehabt hatte. Linvails Worte kamen ihm jeden Tag ins Gedächtnis, aber bisher hatten sie sich nicht erfüllt. Langsam begann Jorin daran zu zweifeln, ob sich überhaupt noch etwas ändern würde. Es war so viel Zeit vergangen.
      Thorsteinns wohlmeinende Worte rissen ihn aus seiner Versunkenheit. Er hatte den jungen Mönch nicht kommen hören.
      „Eigentlich an die Zukunft. Wir verrotten hier und das Leben um uns herum geht weiter. Ich weiß nicht, ob mir das gefällt.“
      „Sei nicht so ungeduldig!“
      „Du hörst dich an wie Linvail. Aber ich habe genug von Binsenweisheiten und leeren Versprechungen. Mir wurden die größten Heldentaten versprochen, aber es ist nichts geschehen. Warum sagt man mir nicht die Wahrheit?“
      Thorsteinn wirkte überrascht und ein wenig verletzt.
      „Jorin – niemand käme auf die Idee dich anzulügen.“
      „Aber warum geschieht dann nichts? Warum macht hier jeder weiter, als wäre nichts geschehen? Unsere Heimat liegt in Schutt und Asche. Aber niemanden scheint es zu stören.“
      „Da täuschst du dich aber. Ich denke jeden Tag an nichts anderes. Aber was soll ich tun? Von hier fortgehen in den sicheren Tod? Wem wäre damit geholfen? Es tut mir leid, wenn mir auf Anhieb niemand einfällt. Die letzten Befehle an uns Mönche waren klar: Um jeden Preis die Stellung halten und dafür sorgen, dass du in Sicherheit bist.“
      Jorin schnaubte.
      „Welch trügerische Sicherheit ist das? Ich könnte genauso gut tot sein. Ich bin niemandem eine Hilfe und wäre ich nicht der Sohn des verstorbenen Königs, würde sich niemand um mich kümmern.“
      Thorsteinn seufzte. Er konnte den Weltschmerz und die Verzweiflung seines Freundes gut verstehen, aber er war auch mit einer Nachricht gekommen.
      „Linvail will dich sehen.“
      „Will er das? Aber ich ihn nicht. Er ruft mich auch nur, wenn es ihm in den Kram passt. Die meiste Zeit bin ich ihm egal.“
      „Bitte, Jorin, geh. Ich denke, es ist wichtig.“
      Widerwillig entfernte sich der junge Königssohn von der Brüstung.
      „Dir zuliebe, Thorsteinn, dir zuliebe…“

      Der Spion lachte innerlich auf, als er Athrin und Amaryll zurückkehren sah. Er gehörte zu jener Gruppe, die sich jetzt um den Soldaten scharte und in absehbarer Zeit das Versteck des jungen Prinzen erreichen würde. Die meisten anderen Magier waren schon auf dem Weg dorthin, da aber außer Athrin niemand den genauen Aufenthaltsort kannte, warteten sie an einem geheimen Treffpunkt. So war es keine allzu große Schande, dass er selbst zu den letzten gehörte, die gefragt worden waren. Er hätte nichts gewonnen, wenn er früher aufgebrochen wäre – alles hing immer noch von Athrin ab.
      Zufrieden schöpfte er sich einen Teller Suppe aus dem am Lagerfeuer brodelten Topf.
      Es waren gute Nachrichten, dass Amaryll zurückgekehrt war, denn es bedeutete, dass alle Ratsmitglieder und der Thronerbe zusammen an einem Ort sein würden. Ein gefundenes Fressen für die Tamuraner und er, der Spion, würde es auf dem Silbertablett servieren…
    • Liest eh keiner mehr xD. Und ist auch ziemlich kurz. Aber hey, ich hab meine Schreibblockade überwunden.

      Teil III

      „Erzählt mir von der Magie.“
      Amaryll hob den Kopf, als sie Athrin nahen sah. Sie hatte aufgehört, die Tage in der Wildnis zu zählen. Sie wusste nicht, was das Ziel war, aber selbst wenn, sie hätten es nach ihren Berechnungen schon längst erreichen müssen – wenn man die Größe Anareas berücksichtigte. Da dies bisher nicht geschehen war, vermutete, sie, dass Athrin gezielte Umwege ging, um potentielle Verfolger zu verwirren. Zudem war es schwerer, in der Wildnis voranzukommen, als wenn sie auf den Straßen geritten wären.
      Das kleine Grüppchen redete meist nicht viel, nur abends am Lagerfeuer, wenn die Anstrengungen des Tages hinter ihnen lagen, wurde die Stimmung gesprächiger. Kammon Tarses und der anareanische Soldat, welcher auf den Namen Sorjan Falkenflug hörte, hatten sich inzwischen angefreundet und unterhielten sich gerne im Licht des Feuerscheins. Auch Rhiannon schien in dieses Grüppchen integriert zu sein und saß einmal lauschend, einmal lachend dabei.
      Amaryll wurde aus dieser Frau noch immer nicht schlau, sodass sich wenig geändert hatte im Vergleich zu den Zeiten, als es den Magierat noch gegeben hatte. Wenn es darauf ankam, hatte die ältere Magierin jedes Mal eine helfende Hand übrig, wenn jedoch keine Gefahr drohte, hatte Amaryll immer das Gefühl, tadelnde Blicke und Missfallen auf sich zu spüren.
      Sie hatte aufgehört, nachzufragen und verbrachte die Abende lieber abseits in Schweigen. Zu frisch waren die letzten Wunden, die man ihr zugefügt hatte und ihre Sorge um Iain und die Kinder wurde nicht kleiner. So war sie recht überrascht, als Athrin eines Abends einen erneuten Vorstoß wagte.
      Auch ihm gegenüber brachte sie gemischte Gefühle entgegen, hatte aber gelernt, sie zu unterdrücken, da sie sich damit abgefunden hatte, dass zumindest seine Treue dem König und dessen Sohn gegenüber unverfälscht war. Zudem verfolgten sie momentan ein gemeinsames Ziel, was aber nicht unbedingt bedeuten musste, dass sie die besten Freunde wurden.
      Und dann waren da noch diese beunruhigenden Träume…
      Sie sah ihn lange und durchdringend an und als er keine Anstalten machte, zu gehen, seufzte sie und wies auf das Gras neben sich.
      „Was wollt Ihr wissen?“
      Sie hörte es rascheln, als er neben ihr Platz nahm und es kostete sie viel Anstrengung, nicht zurückzuweichen. Noch immer empfand sie seine Nähe als unangenehm, aber sie zwang sich, sich nichts anmerken zu lassen. Er hatte eine berechtigte Frage gestellt und sie wollte ihm antworten.
    • *Truller*

      „Was wollt Ihr wissen?“
      Sie hörte es rascheln, als er neben ihr Platz nahm und es kostete sie viel Anstrengung, nicht zurückzuweichen. Noch immer empfand sie seine Nähe als unangenehm, aber sie zwang sich, sich nichts anmerken zu lassen. Er hatte eine berechtigte Frage gestellt und sie wollte ihm antworten.
      „Alles“, erwiderte er knapp und als er Amarylls Seufzen hörte, fügte er schnell hinzu. „Die Magie ist der Grund für den Krieg mit den Tamuranern. Sie ist allgegenwärtig und doch wissen wir so wenig von ihr. Ihr habt eine arkane Ausbildung erhalten. Habt Ihr nie etwas über das Wesen der Magie gelernt, ihre Herkunft?“
      Ein abwesendes Lächeln schlich sich auf Amarylls Gesicht und für einen Moment, vergaß sie, wo sie sich befand.
      „Magiekunde habe ich immer am meisten gehasst,“ entgegnete sie schließlich. „Ich habe lieber versucht herauszufinden, wozu ich in der Lage bin. Und später, als ich mir Iain zur Seite gestellt wurde, habe ich viel Zeit mit ihm verbracht. Wie wir uns anfangs auf die Nerven gingen…“ Sie stockte und instinktiv legte Athrin ihr eine Hand auf die Schulter.
      „Wir werden ihn retten, das verspreche ich.“
      Sie nickte stumm, ein wenig überrascht, dass Athrin wusste, es in ihr vorging. Dann aber fasste sie sich ein Herz.
      „Ich will nicht mehr daran denken. Es ändert das Heute nicht. Aber ich werde Euch sagen, was ich weiß.
      Der Konflikt den wir mit den Tamuranern wegen der Magie haben ist schon uralt, aber nicht immer endet er so gewalttätig, wie es in unserer Zeit der Fall ist. Es ist vermutlich keine Übertreibung, zu sagen, dass er so alt ist, wie die Magie selbst, die uns der Legende nach die Götter geschenkt haben, damit sie jeder so nutzen kann, wie es seinen Talenten zusteht. Es gibt Geschichten von einer Zeit, als nur ausgebildete Menschen auf sie Zugriff hatten, aber Belege hierfür gibt es keine. Sicher ist nur, dass es heute anders ist – Magie ist allgegenwärtig. Sie durchfließt uns und ist immer zum Greifen nahe. Hattet ihr nie dieses Gefühl? Dass da etwas ist, was Euch umfängt und umschließt, eine Machtquelle, zu der Ihr immer Zugriff habt?“
      Athrin nickte schwach.
      „Ich hatte immer das Gefühl, dass da etwas ist, das ich erreichen kann, wenn ich mich nur genug anstrenge. Aber so talentiert wie Ihr bin ich nicht…“
      „Das hat nur sehr wenig mit Talent zu tun. Es ist auch viel Disziplin. Ihr hattet eine andere Ausbildung. Ihr braucht die Magie nur wenig für Euer tägliches Brot. Und ich habe gelernt, wie sehr ich sie brauche. Als ich meine Kräfte nicht mehr benutzen konnte, habe ich erst gemerkt, was mir fehlt. Ich hoffe, ich muss das nie wieder erleben.“
      „Wenn unser Plan gelingt, werdet Ihr das auch nicht.“
      „Dabei haben die Tamuraner eigentlich Recht, auf ihre Art. Es ist keine zweihundert Jahre her, da hatten wir Anareaner den Fuß so tief in Tamura, wie sie jetzt bei uns. Jedes Volk verabscheut den Lebenswandel des anderen, weil jeder darin Blasphemie gegenüber dem Geschenk der Götter sieht. Die Tamuraner nutzen urwüchsige Naturmagie. Sie fördern Talente, aber niemand wird explizit ausgebildet, während bei uns alles auf akademisches Studium ausgelegt ist mit Lehrmeistern und Lernen. Sie halten uns für zu vergeistigt, finden dass wir das göttliche Geschenk zu sehr sezieren und der Wissenschaft anheim fallen lassen, sodass wir seinen Wert nicht mehr anerkennen. Wir wiederum halten sie für Barbaren die dieses Geschenk vernachlässigen und verkümmern lassen. Es ist ein alter Streit. Wäre ich nicht so abhängig davon, wünschte ich mir manchmal, die Götter hätten uns die Magie nie gesandt. Aber vielleicht war es, um uns zu testen? Wer weiß das schon. Wir wissen so vieles nicht, nicht einmal was diese Macht bewirkt, die wir freisetzen wollen. Seit den Dunklen Tagen hat es niemand mehr gewagt und auch wenn so gut wie alle Berichte aus dieser Zeit vernichtet wurden, damit sie in Vergessenheit geraten, weiß man doch, dass Kummer und Not über das Volk kam. Manchmal zweifele ich, ob wir das richtige tun…“
      „Aber niemand weiß es genau. Ich bin mir sicher, der König hatte einen Plan. Aber wenn es noch etwas gibt, dass Ihr darüber gehört habt, Magistratin, so wäre jetzt die Gelegenheit.“
      „Das Meiste kennt Ihr schon, denn es ist das, was auch der König wusste, nämlich dass diese Macht eine furchtbare Waffe sein kann, aber dass man sie kontrollieren muss. Mehr ist auch mir nicht bekannt.“
      „Ihr wisst trotzdem eine Menge.“
      „Ich weiß nicht, wie man ein Schwert führt. Man setzte mir Iain an die Seite und ließ mich Zauber üben. Aber wie jeder Magier hatte ich schnell gelernt, dass ich mich auf ein Gebiet mehr spezialisieren konnte als auf andere. Ich war nie gut im Angriff und was ich niemals wirklich beherrschte war die Weissagung – Rhiannon hingegen war in ihrer Zeit eine talentierte Seherin und auch Kammon Tarses war nicht unbegabt. Habt Ihr sie schon zu dieser Mission befragt?“
      „Wir haben uns lange unterhalten, aber auch sie kann nicht sagen, was diese Macht vermag.“
      „Dann werden wir es erst erfahren, wenn es zu spät sein mag. Aber es gibt kein Zurück mehr.“
      Eine Weile saßen die beiden stumm da, denn es gab nichts mehr zu fragen, nichts mehr zu sagen. Stattdessen starrten sie auf ihre Kameraden und das Lagerfeuer.
      Irgendwann, als der Mond ein gutes Stück gewandert war, stand Athrin auf und reichte Amaryll dann die Hand, um sie hochzuziehen.
      Er war überrascht, dass sie annahm und ihm dabei für kurze Zeit so nahe kam, auch wenn dieser Augenblick innerhalb von Sekunden vorbei war.
      „Ich könnte Euch die Kunst des Schwertkampfes lehren,“ sagte er schließlich, als sie sich dem Lager näherten. Aber Amaryll hörte ihn nicht, ihre Augen waren leer und glasig – ihre Träume hatten sich in unzusammenhängende Visionen verwandelt und ein beklemmendes Gefühl packte sie, als sie auf das Lager zuschritt.

      Innerlich schellten die Alarmglocken des Spions, als er Amaryll und Athrin zum Lager zurückkehren sah. Amaryll hatte diesen Ausdruck auf dem Gesicht und er spürte, dass er kurz davor war, entdeckt zu werden. Das war einer der Gründe, warum der die Magie so hasste – sie war unvorhersehbar. Er wandte sich schnell um und zog seinen Umhang fester um sich herum, bis der Augenblick vorbei war – und erntete dafür verwunderte Blicke von seinen Gefährten am Feuer. Er wusste nicht, was Amaryll gesehen oder gespürt hatte, aber sie war eine Gefahr. Er musste etwas unternehmen.
    • Der Thread wird wirklich ziemlich ignoriert. :ugly:
      (Und ja, ich weiß, ich schreib auch bloß alle halben Ewigkeiten mal was dazu, aber das heißt nicht, dass ich's nicht lese)


      Mir fällt bloß auf, dass du gegen Ende eines Abschnitts irgendwie öfters mal die Lust oder die Geduld zu verlieren scheinst, weil sich alle Schnitzer, die ich finde, (fast) immer am Ende sammeln.

      Amaryll hatte diesen Ausdruck auf dem Gesicht und er spürte, dass er kurz davor war, entdeckt zu werden. Das war einer der Gründe, warum der die Magie so hasste – sie war unvorhersehbar.


      a) Was ist "dieser Ausdruck"? Das wirkt so, als würde ein Stückchen Kontext einfach fehlen. Zumindest erschließt sich mir an dieser Stelle nicht ganz, wie das mit dem Entdecktwerden zusammenhängt. Also, ich kann's mir ungefähr denken, aber "dieser" Ausdruck ohne nähere Beschreibung sagt einem Leser nunmal nicht viel.
      b) [...]warum er die Magie so hasste. Okay, das is bloß ein Tippfehler. xD


      Generell... weiß nicht, ob im ZFB noch viel Review kommen wird; besonders jetzt da die Geschichte nun schon ein gutes Stückchen lang ist bezweifle ich, dass viele neue Leser sich durch den gesamten Thread ackern würden. Nicht weil's schlecht wäre, sondern ziemlich lang sowie keine Fanfiction zu irgendwas, sondern ein Standalone. Ich würd wohl auch nicht lesen, wenn ich nicht von Anfang an mitgelesen hätte, geb ich zu.
      Also, ich würd mich von mangelndem Feedback hier im Board nicht demotivieren lassen; vll. wäre aber ein Autorenboard (federfeuer oder sowas) besser geeignet...


      (Ja, man kann draufklicken)
    • Hallo Uly,
      auch wenn du nur jedes gefühlte Schaltjahr postet, macht das nichts. Ich freu mich über alles.

      LOL damit magst du subjektiv Recht haben.
      Bezüglich dem Ausdruck dachte ich, dass das im vorhergehenden Abschnitt erwähnt wurde, aber ich könnte es auch durch "einen seltsamen Ausdruck" ersetzen. Natürlich weiß ich als Autorin immer was gemeint ist - deswegen zählt mein Argument, dass ichs verstehe wohl nicht. :ugly: Ich überarbeite es.

      Ich erwarte tbh kein Review mehr, ich poste es einfach, weil es mir Spaß macht. :)
      Ich war auch schon in anderen Autorenforen und wurde da recht konsequent ignoriert (also nicht mal schlechte Kritik), von daher ist es, glaube ich, egal wo ich poste. :)
      Aber danke für den Hinweis. ^^ Ich bin also nicht demotiviert nur momentan im Stress, dabei schwirrt mir die nächste Szene im Kopf rum.
      So, da hab ich doch tatsächlich mal geantwortet ohne weiterzuschreiben, aber ich fand, dass dein Review es verdient hatte, darauf einzugehen.
    • Morgenstimmung war die einzige Zeit des Tages, die Jorin in den Jahren, die er bereits im Kloster verbracht hatte, wirklich schätzte, auch wenn er sich nicht über die Behandlung durch die Mönche beklagen konnte. Es waren nur die Gefühle der Hilflosigkeit und der Machtlosigkeit, die ihn in regelmäßigen Abständen überkamen und ihn daran hinderten, das Klosterleben, für das was es war, anzunehmen und zu genießen. Er hatte gelernt die Mönche zu verstehen, sie waren weise und genügsam und taten gut daran, sich aus dem Konflikt herauszuhalten, aber mit Verstreichen der Zeit, war das immer schwieriger geworden. Viele, die eine Familie hatten, waren zu jener zurückgekehrt, um Beistand zu leisten und die Reihen hatten sich immer weiter ausgedünnt. Jorin war nur froh, dass Thorsteinn, immer noch bei ihm war, denn er war die einzige verwandte Seele.
      Was Jorin jedoch verwunderte, waren die mysteriösen Aktivitäten, die in letzter Zeit im Kloster zugenommen hatten. Anstelle der bereits bekannten Abwanderung der Mönche kamen häufiger Neuankömmlinge, die dann jedoch nicht weiter auffielen – er konnte sich nicht erinnern, ihnen wirklich begegnet zu sein. Fragte er jedoch danach, bekam er abweisende Antworten. Einige Mönche schienen wirklich nichts zu wissen und die, die anscheinend informiert waren, gaben nur zu verstehen, dass die Zeit kommen würde, da er verstünde.
      So stand er also auf seinem Balkon, genoss die Morgenstimmung und hoffte, dass alles besser würde, als er Hufgetrappel vernahm. Er lehnte sich über die Brüstung und sah, wie die Tore für eine große Gruppe Reisende geöffnet wurden – so viele waren bisher nie auf einmal eingetroffen, denn er zählte fünf Menschen. Aber was das Überraschendste war: es befanden sich zwei Frauen in der Gruppe, zumindest wenn er richtig sah.
      Er konnte sich nicht entsinnen, wann er das letzte Mal eine Frau gesehen hatte und zu seiner Verwunderung spürte er eine leichte Aufregung, die er nicht erklären konnte.
      Er sah dabei zu, wie man sich um die Pferde der Neuankömmlinge kümmerte und sie dann ins Hauptgebäude führte, dorthin, wo auch alle anderen verschwunden waren.
      Mit zuckenden Schultern wandte er sich ab und kehrte in sein Zimmer zurück. Was auch immer vorging, man schien ihn nicht einweihen zu wollen. So legte er sich auf sein Bett und griff sich das Buch, das er gerade las. Auch wenn ihn die Neugierde plagte, wollte er sich davon nicht mehr beeindrucken lassen – er würde es ja doch nie erfahren. Er hatte sich gerade damit abgefunden, als es an der Tür klopfte.
      Überrascht öffnete er und fand einen älteren Mönch vor, der ganz offensichtlich außer Atem war. Bevor Jorin etwas sagen konnte, verneigte der Mann sich.
      „Herr. Man schickt mich um Euch folgendes zu sagen: Kommt in die Große Halle. Die Zeit ist gekommen!“

      Unruhig rutschte der Spion auf seinem Stuhl hin und her. Er hatte nicht erwartet, dass alles so schnell gehen würde. Leider war es ihm nicht mehr gelungen, Amaryll vorsichtig aus dem Weg zu räumen, oder zumindest abzulenken und so befand er sich in einer schwierigen Lage. Sahul und Sairen erwarteten bald den Bericht, aber er war sich nicht sicher, ob er noch unentdeckt bleiben konnte, wenn er sich jetzt einen Patzer erlaubte. Also musste er abwarten und die Situation genauestens beobachten. Mit dem Eintreffen der Gruppe von Athrin Hohenfels waren die verbliebenen Mitglieder des Magierrates und ihre Amulette vollzählig an einem Ort, was für die Tamuraner natürlich ein gefundenes Fressen darstellte – bekamen sie doch den Königssohn obendrein und würden Anarea so empfindlich schlagen, dass es sich davon kaum würde erholen können. Doch noch hatte der Hauptmann seinen Plan nicht enthüllt und der Königssohn ließ auch auf sich warten. So hatte er das nicht geplant.

      „Hauptmann, wartet!“
      Athrin Hohenfels war äußerst überrascht, dass ihn von allen Magiern ausgerechnet Amaryll am Arm ergriff, als er gerade dabei war, die Große Halle zu betreten, in die er den Magierrat bestellt hatte. Ungläubig sah er sie an.
      „Magistratin?“
      „Es gibt etwas, was ich Euch schon längere Zeit sagen wollte.“
      Ein kleiner Teil von Athrins Bewusstsein kam nicht umhin, sich einige unrealistische Szenarien vorzustellen, welche allesamt Amaryll und ihn beinhalteten, aber er wusste es natürlich besser. Er räusperte sich.
      „Sprecht!“
      „Ich habe Grund zu der Annahme, dass unsere Mission nicht ganz so verborgen geblieben ist, wie es wünschenswert wäre.“
      „Was meint Ihr damit? Und warum sagt Ihr mir das erst jetzt?“
      „Weil ich niemanden ungerechtfertigt verdächtigen wollte und hoffte, Beweise für meine Vermutung zu erhalten, aber sie blieben aus. Ich habe nur gespürt, dass etwas nicht stimmt, weder weiß ich, wer es sein kann, noch was diese Person plant. Ich bin keine gute Seherin, das wisst Ihr. Nur eines kann ich mit Bestimmtheit sagen: wer immer es ist, er ist mit uns gereist.“
      „Das macht drei verdächtige Personen…“
      „Oder niemanden. Ich könnte mich irren.“
      „Ist so etwas schon einmal vorgekommen? Dass Ihr oder jemand anders eine Vision oder ein Gefühl hatte, das sich nicht bewahrheitet hat?“
      „So etwas kommt immer vor. Weissagung ist nicht einfach und die Zukunft ist nicht in Stein gemeißelt – besonders nicht für jemanden, der sich nie damit auseinandersetzte.“
      „Gehen wir davon aus, dass Ihr Recht habt und wir einen Verräter in unserer Mitte haben. Was schlagt Ihr vor?“
      „Was immer auch geschieht, der Königssohn darf nicht in Gefahr geraten. Haltet das Treffen ab, aber verratet nicht zu viel.“
      Athrin schwieg einen längeren Augenblick und es war deutlich, dass er intensiv nachdachte. Dann nahm sein Gesicht einen seltsamen Ausdruck an.
      „Wie alt seid Ihr genau?“

      Jorin verstand die Welt nicht mehr. Erst hieß es, er solle in die Große Halle kommen, dann fing ihn Linvail ab und brachte ihn in seine Schreibstube und sagte ihm, es habe eine Änderung des Planes gegeben und er solle hier warten. Was ging nur vor sich? Nach langer Zeit, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam, hörte er Stimmengemurmel auf dem Korridor, das stetig lauter wurde, da es offenbar in seine Richtung unterwegs war. Er konnte eine Männer- und eine Frauenstimme ausmachen.
      „Zum letzten Mal, das ist nicht Euer Ernst!?“
      „Es könnte funktionieren, das wisst Ihr so gut wie ich!“ hörte er die Frauenstimme.
      „So etwas ist noch niemals zuvor versucht worden und es gibt keinerlei Aufzeichnungen darüber,“ entgegnete die Männerstimme.
      „Dann verratet mir, welche Alternative wir haben? Sie dürfen seinen Aufenthaltsort nicht erfahren und Ihr seid die einzige Person die dafür in Frage kommt, das seht ihr doch selbst?“
      „Wir wissen ja nicht einmal genau, dass es einen Verräter gibt.“
      „Ihr habt Recht. Aber wenn es der Fall sein sollte, sollte man meinen Plan in Erwägung ziehen, da stimmt Ihr mir doch zu?“
      Die Frauenstimme schwieg, dann entfernte sich das Stimmengemurmel oder wurde leiser, sodass Jorin nichts mehr verstehen konnte. Er spürte nur, dass die Konversation sanfter wurde, fast ein wenig traurig. Der Disput ging noch eine Weile hin und her, mal besser mal schlechter verständlich, aber schließlich schien es als hätten sich die Parteien geeinigt. Dass es um ihn ging stand außer Frage, aber offenbar war etwas Unvorhergesehenes eingetreten und verlangte nach einem waghalsigen Plan.
      Er seufzte. Das alles war er nicht wert. Und seinen Vater zurückbringen würde es auch nicht, aber er würde machen, was man ihm sagte.
      Die Tür öffnete sich und zwei Personen traten ein, die er als Hauptmann Athrin und die jüngere der beiden weiblichen Magierrinnen identifizierte. Beim näheren Hinsehen war er der Meinung sie schon einmal gesehen zu haben – kurz vor der Belagerung der Stadt.
      Beide verneigten sich respektvoll vor ihm.
      „Majestät…“ ließ sich der Hauptmann schließlich vernehmen.
      „Hauptmann Athrin, ich freue mich, Euch nach so langer Zeit wiederzusehen. Ich hatte die Hoffnung bereits aufgegeben, dass Ihr erfolgreich sein könntet.“
      „Man darf die Hoffnung niemals aufgeben.“
      Dann wandte sich Jorin an die Frau.
      „Ich kenne Euch. Ich sah Euch im Palast, bevor man mich wegbrachte, aber Euren Namen habe ich vergessen.“
      „Ich bin Magistratin Amaryll, Majestät.“
      „Willkommen, Magistratin…“ Er ergriff ihre Hand und küsste sie, trat dann wieder einen Schritt zurück.
      „Wie ich mitbekommen habe, gibt es Probleme mit Eurem Plan, Hauptmann?“
      „Wir haben Grund zu der Annahme, dass es einen Verräter gibt. Solange wir das nicht sicher wissen, müssen wir vorsichtig sein und auf alles gefasst.“
      „Mir scheint, Ihr habt einen Ersatzplan?“
      „Ihr habt gute Ohren, Majestät.“
      Jorin sah, wie Amaryll bei der Erwähnung einer möglichen Alternative zusammenzuckte und fragte sich, was der Grund dafür sein mochte.
      „Was hindert Euch daran, diesen Plan sofort in die Tat umzusetzen?“
      „Er erfordert ein großes Opfer von Seiten der Magistratin und ich möchte sie dem nicht aussetzen, wenn es sich vermeiden lassen kann.“
      „Ich verstehe. Darf ich davon ausgehen, dass Ihr mir diesen Ersatzplan mitteilen werdet?“
      „Sobald er notwendig wird, ja. Vorher sehe ich keinen Anlass dazu.“
      „Ich verstehe.“
      Sie sprachen noch ein wenig über die jüngsten Geschehnisse, aber es war offensichtlich, dass die beiden ihr Geheimnis noch nicht preisgeben wollten, sosehr Jorin darauf brannte es zu erfahren. Aber vermutlich hatten sie ihre Gründe, die sie bestimmt nicht änderten, nur weil er darauf insistierte.
      Als sie gegangen waren hatte er das Gefühl mit mehr Fragen zurückgeblieben zu sein als vorher.
    • Wie friedlich doch alles sein konnte, wenn man nicht weiter darüber nachdachte, was anderswo geschah. Gedankenverloren schlenderte Amaryll durch den Garten des Klosters, den die Mönche gewissenhaft pflegten. Es gab Gemüsebeete und Obstbäume, einen kleinen Brunnen und weiter hinten sogar einen kleinen See. Sie hatte den Garten bereits kurz nach ihrer Ankunft entdeckt und nutzte nun jede freie Minute, um ihre Zeit dort zu verbringen. Sie wollte alleine sein und ihre Gedanken ordnen. Es war ihnen bisher nicht gelungen, einen Spion ausfindig zu machen und langsam zweifelte sie an ihrem Misstrauen. Vielleicht hatte sie sich das alles nur eingebildet?
      Athrin jedenfalls drängte auf Zeit und war der Auffassung, dass sie, wenn sich nichts Neues mehr ergab, am morgigen Tag mit ihrem Plan so weiter machen sollten, wie ursprünglich festgelegt.
      Amaryll konnte ihn verstehen und hatte, wenn auch zögerlich, zugestimmt. Ihr war es lieber, auf Athrins Ersatzplan verzichten zu können, viel lieber, aber dieses Wunschdenken durfte ihr Urteilsvermögen nicht stören.
      Als sie den jungen König gesehen hatte, hatte auch sie erkannt, dass es ihn um alles in der Welt zu beschützen galt. Sie hatte gesehen, zu was die Tamuraner fähig waren und auch wenn es schmerzte, ihre Familie so verlassen zu müssen, würde sie ihr Leben gerne geben, wenn es bedeutete, Jorin sicher zu wissen und die Besatzer irgendwann einmal zu vertreiben. Aber all das war zunächst nebensächlich, zunächst hieß es nur warten.
      Raschelnde Schritte im Gras ließen sie aufhorchen und überrascht drehte sie sich um, nur um den jungen König selbst zu erblicken, der ebenso gedankenverloren, wie sie, im Gras schlenderte. Bei näherer Betrachtung allerdings fiel ihr auf, dass er sie wohl beobachtet hatte. Sie wandte sich in seine Richtung und trat auf ihn zu.
      „Majestät!“
      Er schien sich ertappt zu fühlen, denn sofort senkte er den Blick, blieb aber stehen.
      „Bitte nennt mich Jorin. Ich bin es nicht wert, König zu sein. Ich habe nichts für mein Volk getan, außer meine Zeit in diesem Kloster hinter Büchern vergeudet. Ich kenne weder die Welt, noch die Magie und all die Wunder, die Ihr erlebt habt. Ich bin nur Jorin, nicht einmal der liebste Sohn meines Vaters.“
      In diesem Moment kam er Amaryll mehr wie ein Kind vor, als jemals zuvor. Athrins Plan fiel ihr wieder ein und sie seufzte. Er war so verletzlich. Sie widerstand dem Bedürfnis, ihn tröstend in den Arm zu nehmen, da sie ihn nicht erniedrigen wollte.
      „Ich denke, Ihr unterschätzt Euch, Jorin. Ihr seid noch jung und hattet bisher einfach keine Gelegenheit erhalten, Euch zu beweisen. Vielleicht ändert sich dies ja bald.“
      „Ich zweifle daran. Jahrelang hat man mich vertröstet, dass Athrin kommen würde. Er kam, aber dennoch weiß ich genauso viel wie zuvor. Man sagt mir, es gibt einen Verräter, aber mehr habe ich nicht erfahren. Und dann… dann hieß es, es gäbe einen anderen Plan, einer der ein Opfer von Euch erfordere. Man will ihn mir nicht mitteilen, aber es ist mir gleich. Ich will nicht, dass sich irgendjemand für mich opfert.“
      Sie seufzte, genau wissend, dass sie ihm keine Antworten liefern konnte.
      „Ihr repräsentiert Anarea, das Opfer wäre also nicht nur für Euch, sondern für das gesamte Land. Aber vielleicht muss es dazu nicht kommen. Macht Euch keine Gedanken darüber.“
      „Wie kann ich mir keine Gedanken machen? Diese Warterei zermürbt meine Nerven. Um mich herum sind nur Leute, die mich beschützen möchten, niemals kann ich eine Entscheidung alleine fällen. Ich fühle mich, wie ein Objekt, das allen nur lästig ist, aber dennoch bewahrt werden muss. Niemand fragt danach, was ich möchte.“
      Er verstummte plötzlich und sah sie beschämt an. „Verzeiht. Ich hätte nicht so mit Euch sprechen dürfen.“
      Sie versuchte tröstend zu lächeln und wies auf eine Bank, um sich dort neben Jorin hinzusetzen.
      „Ich kann Euch gut verstehen. In meiner Jugend ging es mir oft ähnlich wie Euch jetzt. Ich war zwar niemals von königlichem Geblüt, aber es stand schon sehr früh fest, dass ich recht begabt in den Geschicken der Magie war. So brachten mich meine Eltern zur Gilde in die Lehre. Ich sah sie nur noch selten und fühlte mich ebenfalls herumgereicht, für etwas das nicht mein Verdienst war. In meinem dreizehnten Lebensjahr stellte man mir ungefragt Iain an die Seite, dessen Aufgabe es war, nie mehr von mir zu weichen und mich zu schützen. Es war nicht immer leicht für mich, einen solchen Aufpasser zu besitzen, noch dazu einen, der wusste, wie es um mich bestellt war. Schließlich löste sich das Problem auf eine ganz andere Art und Weise – er wurde mein Gefährte und ich die Mutter seiner Söhne.“
      Jorin blickte sie überrascht an und lächelte dann schüchtern.
      „Es ist gut zu wissen, dass es anderen ähnlich ergangen ist wie mir. Habt Dank. Eines jedoch verstehe ich nicht. Wo ist Euer Beschützer denn jetzt? Er sollte Euch doch niemals von der Seite weichen?“
      Amaryll spürte einen leichten Stich in ihrer Magengegend.
      „Er ist ein Gefangener der Tamuraner und wie es scheint, noch am Leben, was unter anderem der Grund ist, warum ich hier bin. Ich will ihn so schnell wie möglich befreien, auch wenn es bedeutet die Besatzer selbst zu vertreiben. Aber ich hatte noch Glück – einige Magier haben ihre Beschützer in der Schlacht verloren, so sie denn selbst mit dem Leben davonkamen. Und da die Gilde zerschlagen wurde, konnten sie bisher keine neuen einschwören.“
      Der junge König wollte gerade zur Antwort ansetzen, als Amaryll erstarrte und die Hand hob, dass er schweigen sollte. Wie gebannt starrte sie auf eines der Fenster in der oberen Etage des Klosters, das vom Garten her gut überschaubar war. Ein Vogel flog von dort fort und sie hatte eine Ahnung was das bedeutete. Jemand schickte Brieftauben los.
      Es gab einen Verräter! Und Athrins Plan rückte in greifbare Nähe. Sie erschauderte, konzentrierte sich dann jedoch auf das Wesentliche: Der Vogel musste aufgehalten werden. Um jeden Preis.

      „Eine Brieftaube?“ Athrin schien nicht überrascht zu sein. „Wie konntet Ihr sie aufhalten?“
      Amaryll war noch immer schwindlig, als sie dem Soldaten den toten Vogel überreichte. Sie hatte ihre Magie lange nicht mehr eingesetzt und es war nicht einfach, einen Vogel vom Himmel zu holen, ohne seine Botschaft zu zerstören.
      „Magie“, erwiderte sie tonlos und er stellte keine weiteren Fragen. Stattdessen runzelte er die Stirn, als der das Stück Pergament entfaltete, das die tote Taube an einer ihrer Krallen trug.
      „Sie haben Verdacht geschöpft. Kommt so schnell wie möglich zum vereinbarten Ort und schlagt zu. Es ist Eile geboten.“
      Athrin blickte auf.
      „Offenbar ist das nicht die erste Brieftaube, die losgeschickt wurde. Wenn das stimmt, wissen sie, wo wir sind.“
      „Ich konnte das Fenster beobachten, von wo aus der Vogel abflog. Vielleicht bringt uns das auf die richtige Spur, wer es sein könnte.“
      „Möglicherweise. Aber es bedeutet auch, dass wir uns keinerlei Verzögerung mehr erlauben können. Ich werde das Fenster überprüfen, Ihr müsst mit den Magiern sprechen wegen ihrer Amulette. Und dann mit Jorin.“
      „Ich habe gehofft, das würde nicht passieren. Ihr habt keine Ahnung, was Ihr von mir verlangt.“
      Er hielt inne.
      „Was meint Ihr damit? Wir hatten doch alles durchgesprochen.“
      „Versteht mich nicht falsch – ich werde es tun. Aber nicht für Euch, sondern für meine Familie. Ich habe mehr von den Tamuranern gesehen, als mir lieb ist. Und wenn es eine wirkliche Chance gibt, sie zu vertreiben, dann gebe ich auch gerne mein Leben.“
      „Wovon sprecht Ihr? Warum solltet Ihr Euer Leben geben? Mein Plan hat nie vorgesehen, dass Ihr sterbt.“
      Sie sah ihn lange an und wandte sich dann ab.
      „Doch.“
    • Blurgl! Es steht zu befürchten, dass die letzten Leser vor Langeweile gestorben sind oder schon lange das Weite gesucht haben. :D Und die Threadwertungen sinken noch tiefer als die Titanic.
      Wie dem auch sie: Ihr paar die ihr noch lest. Die folgende Szene ist der Sinn der Geschichte. Und es hat mich nur 90 Seiten gekostet, dorthin zu kommen.
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      Unruhig wälzte sich Jorin in seinem Bett herum. Man hatte ihn in seine Kammer geschickt und wieder einmal warten geheißen. Er dürfe auf keinen Fall Aufmerksamkeit auf sich ziehen, hatte Athrin ihm gesagt und dann waren er und seine Soldaten verschwunden. Jorin war dem Befehl nachgekommen, obwohl er lange darüber nachgedacht hatte, ob er als König überhaupt so mit sich reden lassen sollte. Aber dann wurde ihm bewusst, dass all das nur zu seinem besten geschah. Er hatte sich noch lange mit Thorsteinn unterhalten, aber der junge Mönch kannte auch keine Antworten. Er hatte nur geschworen, bei Jorin zu bleiben, bis er Nachricht erhielt. Sie hatten das Licht gelöscht und versucht zu schlafen, aber Jorin fand es beinahe unmöglich. So hatte er die Monde beobachtet, die ihre Kreise langsam zogen und ihr Licht in die Kammer fallen ließen.
      Irgendwann klopfte es an der Tür.
      Er setzte sich auf, schlug die Decke zurück und warf Thorsteinn einen Blick zu. Der junge Mönch hatte ebenfalls nicht geschlafen.
      Vorsichtig öffnete er die Tür einen Spalt weit, doch als er die Magistratin mit einer Kerze in der Hand draußen stehen sah, öffnete er sie ganz.
      „Bringt Ihr Neuigkeiten?“
      Sie nickte. „Kann ich eintreten?“
      Er wies mit dem Arm in den Zimmer und nickte. Sie erwiderte seinen Blick und schlüpfte in den kleinen Raum. Die Kerze, die sie hielt, stellte sie auf einem kleinen Tisch ab, sodass ein wenig Beleuchtung vorhanden war.
      Ihr Gesicht wurde durch das Kerzenlicht nur sporadisch erhellt, was ihm einen unheimlichen Ausdruck verlieh und verstärkte den Respekt, den Jorin für sie empfand. Sie trat einen Schritt auf ihn zu und ergriff seine Hand.
      „Majestät, bitte versteht, dass alles was nun geschieht einzig und alleine dazu dient, Anarea von den Besatzern zu befreien. Ich muss Euch um etwas bitten.“
      Der junge König nickte und schluckte, einen unsicheren Seitenblick auf Thorsteinn werfend, der die Magierin ebenfalls interessiert musterte. Es überraschte Jorin, wie ruhig und gefasst sie war, nach allem was er über sie gelernt hatte. Unbeirrt fuhr sie fort.
      „Ihr wisst um das Blut, das Ihr in Euch tragt und welche Macht es besitzt?“
      „Mein Vater sprach davon, bevor er mich fortschickte.“
      „Ihr seid der letzte Überlebende der königlichen Familie. Wenn Ihr sterbt, gibt es keine Möglichkeit mehr, die Macht der Alten freizusetzen, das wisst Ihr. Da uns die Zeit davon läuft und Euer Aufenthaltsort bekannt wurde, müssen wir dafür sorgen, dass Ihr nicht mehr der letzte Überlebende seid.“
      „Was wollt Ihr damit sagen? Gibt es noch andere Familienmitglieder von mir, die noch leben? Könnt Ihr meinen Vater wieder aufwecken?“
      Sie schüttelte den Kopf.
      „Es tut mir sehr leid. Wenn es in meiner Macht stünde, würde ich es tun. Ich war dabei, wie Euer Vater starb und ich werde es nie vergessen. Nein, ich fürchte, wir müssen die Toten ruhen lassen.“
      „Dann verstehe ich nicht…“
      Sie sank vor Jorin auf die Knie, immer noch seine Hand haltend und auf den Boden starrend. Erst jetzt bemerkte der junge Mann, dass sie zitterte.
      „Ich bitte Euch, nehmt mich zu Eurer Frau. Ich werde Euch einen Nachkommen gebären und Ihr werdet nicht mehr der Letzte Eurer Linie sein, der das Blut des Königs in sich trägt.“
      Langsam hob sie wieder den Kopf und sah ihn an.

      Er war erbleicht, hielt ihre Hand aber immer noch umschlossen. Tausend Gedanken und Befürchtungen stürzten auf ihn ein. Er verstand nun, was Athrin gemeint hatte, als er sagte, sein alternativer Plan verlange ein großes Opfer von Amaryll.
      „Ich… ich verstehe nicht“, brachte er schließlich hervor. „Warum Ihr? Ihr habt doch bereits einen Gefährten.“
      Sie stand auf und jeglicher Anflug von Unsicherheit war von ihr gewichen, so er denn je vorhanden war.
      „Iain und ich sind keine Ehepartner. Es gab nie einen Grund dazu und so lebten wir, wie wir es immer taten. Seht euch doch um und sagt mir, wer sonst in diesem Kloster meine Rolle übernehmen soll? Ich bin die einzige Frau, die noch im gebärfähigen Alter ist. Ich muss es tun, für uns alle.“
      Der König nickte erneut. Sie hatte recht. Und wenn sie sich bereit erklärte, wie konnte er dann ablehnen? Er, dessen Anteil daran doch so gering war.
      Er hatte noch nie bei einer Frau gelegen und das erfüllte ihn mit ein wenig Scheu, aber zeitgleich wusste er, dass ihn das nicht abhalten durfte, das Angebot der Magierin anzunehmen. Insgeheim hatte er sie oft beobachtet und sich gefragt, wie es sei, sie zu berühren, aber das waren nur die pubertären Fantasien eines dummen Jungen gewesen. Niemals hätte er geglaubt, dass sich ausgerechnet diese Frau ihm unterordnen würde. Er würde sie besitzen und auch wenn es nur für eine kurze Zeit war, musste er sich eingestehen, dass dieser Gedanke etwas Aufregendes besaß, auch wenn die Umstände außergewöhnlich waren.
      Er hob ihre Hand und küsste sie.
      „Wenn Ihr ein Opfer bringt, so kann ich das auch. Ich willige ein.“
      Sie verbeugte sich leicht.
      „Dann sei es so. Euer junger Freund hier sei unser Zeuge. Ich bitte Euch nun mitzukommen, damit Linvail die Trauung vollziehen kann. Je schneller, desto besser.“
      Jorin zögerte.
      „Ist das denn nötig? Wäre es nicht angebrachter, wenn wir das so geheim wie möglich hielten.“
      „Es steht zu befürchten, dass nur ein legitimer Nachkomme von Euch auch Eure Kräfte erbt. Und ein solcher wäre er nur nach eine Eheschließung. Wir wissen zu wenig über die Kräfte, die den Schrein versiegeln, um das Risiko eingehen zu können, dass der Nachkomme, den ich für Euch austrage nicht legitim ist.“
      Jorin runzelte die Stirn und warf einen Blick von Amaryll zu Thorsteinn. Die Geschehnisse der letzten Minuten hatten ihn schwer verwirrt. Noch immer hatte er die Hand der Magierin nicht losgelassen, im Gegenteil, er spürte eine beruhigende Wirkung von ihr ausgehen.
      Wer ist diese Frau wirklich?
      Thorsteinn zuckte nur mit den Schultern, da er offenbar auch nicht mehr darüber wusste. So blieb Jorin nichts anderes übrig, als einzuwilligen.