Ja, fasst euch an die Köpfe, ich hab es schon wieder getan: Was neues anzufangen, ohne meine alten Sachen fertig zu haben. Ich glaube, das wird sich niemals ändern. ^^" (Sachen wie "Der Dritte Krieg" usw. liegen aber nach wie vor in meinem "To Write"-Ordner, sind also keineswegs vergessen, sondern nur, wie soll ich sagen, sekundär... er... xD)
Anyway, schon seit langem (2006?) hege ich den Wunsch, die nordischen Götter mal zu schnappen und mit ihnen eine Story zu schreiben. Manch einer mag sich an meine Story "Das Chaos" erinnern, in dem ihr Tuomas Valentin kennenlernen durftet -- ebenjener war ursprünglich mal der Gott Loki. Nur hab ich mir damals nicht zugetraut, ein so gewaltiges Projekt zu starten.
Jetzt bin ich ein paar Jahre älter und mit dem Studium vorangeschritten und habe meine Einstellung gegenüber meinen Geschichten auch etwas geändert und gehe es jetzt langsamer und gelassener an als früher.
Das Konzept, der rote Faden der Story, steht -- momentan taste ich mich langsam an meine Pro- und Antagonisten, die nordischen Götter, heran.
Hier kommt dann ihr ins Spiel -- ich setze Kenntnisse über die nordische Mythologie nicht voraus, weiß aber nicht, wie sinnvoll ich alles erklären kann. Ich habe hier ein paar Szenen, alle aus dem Kontext gerissen, da wirklich nur kurze Einblicke, und würde gern wissen, was ihr davon haltet. Es ist alles noch ziemlich roh und vage, weil ich einfach herumprobiere, wer wie was warum und wie sagen oder tun würde. Ist alles meistens total im Affekt runtergeschrieben und die Szene mit dem Seher ist voller Wiederholungen, da ich das auch nur so runtergeschrieben hab, ohne groß drüber nachzudenken. xD
Seid gnadenlos und sagt mir, wie's euch gefällt. :3
Es klingelte in den Abendstunden an seiner Tür, und Loki öffnete, wenig angetan davon, dass jemand offenbar vorhatte, seinen Feierabend zu unterbrechen. Er hatte sich darauf gefreut, den Abend über einfach nur mit einer Kippe und einer starken Tasse Kaffe auf der Couch zu verbringen und Musik zu hören.
„Ja, was gibt’s?“, fragte er, als er seine Wohnungstüre ein Stückchen öffnete, ohne die Kette zu lösen – heutzutage wusste man ja nie.
Vor seiner Türe stand ein Mann, im Schatten, das Flurlicht war nicht an. „Guten Abend, Loki. Es ist lange her.“
Loki verengte die schwefelgelben Augen ein wenig, die Zigarette in seinem rechten Mundwinkel wanderte hinüber in den linken. „Sie müssen sich in der Tür vertan haben, sorry“, sagte er und schloss die Tür – oder wollte es, aber der Fremde vor seiner Tür legte die Hand auf das dunkle Holz und die Tür blieb, wo sie war.
„Ich brauche deinen Rat, Trickster“, sagte der Mann. In dem schmalen Streifen Lichts, der aus Lokis Wohnung drang, war nur zu erkennen, dass der Mann vor seiner Tür offenbar jung war, kaum Mitte dreißig, wie Loki selbst, und eine Sonnenbrille trug, obwohl es stockfinster war.
Loki grunzte abfällig. „Lass die alten Namen, nachher fang ich noch an zu weinen.“
„Es riecht nach Kaffee“, sagte sein Besucher. „Möchtest du mich nicht auf eine Tasse hereinbitten?“
Loki öffnete die Türe – wenn nicht freiwillig, ließ er sich nichts anmerken, was in Anbetracht seines Besuches immer eine gute Idee war – und sein Besucher trat in den kleinen Flur. Er war tatsächlich ein junger, stattlicher Mann, in einen schwarzen, maßgeschneiderten Anzug gekleidet, mit schwarzem Hemd und dünner, schwarzer Krawatte. Und er trug eine Sonnenbrille auf der Nase, mit schmalen, quadratischen Gläsern, die gerade so groß waren, dass man seine augen dahinter nicht erkennen konnte.
„Haustiere sind nicht erlaubt“, sagte Loki, als sich im Flur ein schwarzer Schatten bewegte.
„Wartet hier“, sagte der Besucher, und für einen Augenblick blitze ein kleines Licht, wie von einem Augenpaar, im Flur auf, ein kehliges Knurren wie das eines Hundes ertönte, dann war alles still. Loki schloss die Türe.
„Hast du Angst, dass du sie mit dir rumschleppst, oder was ist los?“, fragte er. Sein Besucher winkte ab und zog in der selben Bewegung die dünne Sonnenbrille von der Nase. Seine Iris war grau, fast weiß, vollkommen farblos – und das linke Auge fehlte ihm. Er hielt es geschlossen.
„Nichts dergleichen“, sagte er. „Also, bekomme ich nun einen Kaffee oder willst du den Allvater höchstselbst im Flur stehen lassen wie einen einfachen Menschen?“
„Du hast Nerven, nachdem du dich selbst eingeladen hast“, sagte Loki und verdrehte die Augen, wies Odin aber den Weg in die Küche und ließ ihn auf einem alten, weißen Klappstuhl Platz nehmen und schüttete ihm eine Tasse Kaffee ein. „Du sagstest, du willst meinen Rat“, sagte er, als er ihm die Tasse hinstellte und sich mit einer eigenen ihm gegenüber hinsetzte. „Also, was kann ich für dich tun?“
Odin legte die Hände um die wärmende Tasse und sagte eine Weile lang nichts. „Ein Krieg wird kommen“, sagte er nach einer langen Weile. Loki hob die Augenbrauen und lehnte sich zurück. „Ein Krieg oder der Krieg?“, fragte er.
Odin zuckte die Schultern. „Ich weiß es nicht“, gestand er. „Ich habe... ich habe es gesehen, im Traum, aber als ich aufwachte, war die Erinnerung fast verblasst.“ Er lächelte brüchig und für einen Augenblick lang blitze unter der jugendlichen Fassade das unendliche Alter auf, das er, das sie beide, innehatten. „Ich werde alt, Loki.“
„Ach was.“ Loki winkte ab. „Ich finde, rasierst wirkst du viel jünger.“
Odin lachte leise, hob die Kaffeetasse ein wenig an. „Auf dich, mein Bester.“
„Bis du mich das nächste mal verbannst?“ Loki hob ebenfalls die Tasse und tickte sie leicht an Odins. „Auf uns.“
Sie schwiegen beide eine Weile, weil niemand etwas zu sagen hatte oder wusste, bis Loki schließlich bemerkte, dass Odin ihn die ganze Zeit betrachtete.
„Was ist?“, fragte er ausweichend. „Ich kann es nicht haben, wenn du mich so anstarrst.“
„Sorry“, meinte Odin und senkte den Blick aus seinem farblosen Auge. „Ich komme nicht umhin, immer wieder zu bewundern, wie wenig du dich über all die Zeit verändert hast.“
Loki runzelte die Stirn, trank einen Schluck Kaffee und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie überrascht er von Odins Bemerkung war. Aber vielleicht stimmte es: Vielleicht hatte er sich wirklich am wenigsten von ihnen allen verändert. Das lange, feuerrote Haar, das von seinem Kopf floss wie Lava und die schwefelgelben Augen, die mit den kleinen schwarzen Pupillen wie Warnschilder wirkten, die jedem, der ihn ansah, verkündeten: Vorsicht, Gefahrenquelle.
Natürlich hatte die Zeit für sie alle Veränderung mitgebracht. Niemand von ihnen war in Jeans und Sneakern oder Anzug und Krawatte ins Ragnarök geritten. Doch Thor, Freya und Odin erkannte man auch davon unabhängig nicht wieder, während er, Loki, noch immer derselbe war. In grauer Skinny Fit Jeans, schwarzen Converse und einem schwarzen Hoodie mit weißem Aufdruck wirkte er lediglich moderner als früher.
„Das bildest du wir wahrscheinlich nur ein“, sagte Loki und zuckte die Schultern, trank seinen Kaffee aus und stellte die Tasse hin, kam aber nicht umhin, einzusehen, was Odin meinte. Wer würde hinter dem jungen, gut gekleideten Mann mit der teuer aussehenden Sonnenbrille den Allföðr erwarten? Die paar Menschen, die sich daran erinnerten, dass es ihn überhaupt gab, hatten einen alten Mann mit langem, weißen Bart im Sinn, der ein achtbeiniges Pferd ritt. Ja, das Pferd gab es natürlich noch, aber von langem weißen Bart keine Spur. Auch Götter gingen mit der Zeit.
„Wahrscheinlich“, räumte Odin ein, um das Thema ruhen zu lassen.
[…]
Freya wachte nachts auf, ohne, dass sie gewusst hätte, warum. Sie fühlte sich hundemüde aber genauso wenig in der Lage, weiterzuschlafen. Nach ein paar Minuten, in denen sie sich in Lokis Bett von links nach rechts auf den Bauch auf den Rücken und zurück gedreht hatte, gab sie es auf. Sie setzte sich aufrecht hin, rieb sich den bröckeligen, spitzen Schlaf aus den Augenwinkeln und struffelte sich durch das kurze Haar.
Ein schmaler Streifen Licht von einer Straßenlaterne fiel auf den Boden, beleuchtete die Bücher, die gestapelt auf dem Boden standen, sortiert in gelesen, zu lesen, am lesen. Es war Freya schleierhaft, wie Loki so viele Bücher lesen konnte. Sie selber fand wenig vergnügen darin, auf Buchstaben zu gucken.
Sie zupfte sich Lokis Shorts, die er ihr zum Schlafen geliehen hatte, zurecht und tapste dann barfuß aus dem Zimmer.
Es wunderte sie wenig, dass im Wohnzimmer schwach Licht brannte, leise Musik spielte und regelrechter Nebel aus Rauch unter der Decke schwebte.
„Schläfst du überhaupt irgendwann mal?“, fragte sie, als sie die Tür weiter aufschob und zu Loki trat, der auf seinem Sofa saß, natürlich eine Kippe im Mundwinkel und eine Tasse Kaffee in der Hand. Der Plattenspieler lief. Freya kannte den Musiker nicht. Hätte von Beethoven zu Scooter alles sein können, sie hatte da keine große Ahnung von.
„Tagsüber“, war Lokis Antwort. Wie von allein wanderte seine Kippe vom einen Mundwinkel in den anderen, während er sprach. Freya hatte im Stillen schon seit einer Weile die These aufgestellt, dass er gar nicht rauchte, sondern dass die vermeintlichen Zigarettenstummel, die aus seinem Mund ragten, tatsächlich Teil seines Körpers waren. Wahrscheinlich verhielt es sich mit der Kaffeetasse ähnlich, da war bestimmt auch festgewachsen...
[...]
Die Galerie war lichtdurchflutet. Die weißen Wände meterhoch, die zweite Etage ließ die Mitte des Raumes als Treppenhaus offen, das Dach war aus Glas. Die Wände waren weiß, der Boden aus hellem Parkett.
Loki fand sich beeindruckt entgegen seiner Überzeugung. Sämtliche Verbotsschilder ignorierend schlenderte er rauchend, die Hände in den Hosentaschen, neben Freya her, die offenkundig wusste, wohin sie gingen. Es ging eine architektonische Meisterleistung, die sich bei näherer Betrachtung als Treppe entpuppte, hinauf in die zweite Etage, in der keine Bilder mehr hingen, sondern Skulpturen standen. Aber auch die ignorierte Freya gekonnt. Sie pickte Loki lediglich seine Packung Zigaretten aus der Hand, als der sich eine zweite anzünden und weiterhin seiner geliebten Regelübertretung frönen wollte.
Am Ende des Ganges, vor einem großen Fenster, das das Panorama der Stadt zeigte, stand ein junger Mann, der aus einem Herrenaustatterkatalog gefallen zu sein schien. Jede Falte seines schwarzen Anzuges saß perfekt, die Herrenschuhe glänzten. Sein Aussehen verkündete jedem im Umkreis von fünf Metern, dass er genug Geld hatte, immer gehabt hatte und auch immer haben würde. Und verdammt, trotzdem wirkte er sympathisch, als er sich umdrehte, sie erblickte, erkannte und die Arme öffnete.
„Meine Liebe!“, begrüßte Odin Freya, umarmte sie herzlich und hauchte ihr einen Handkuss auf die Handknöchel. „Dein Kommen ehrt mich.“
„Ganz der alte Charmeur“, grinste Freya breit, als er sie entließ. „Ich hab dir jemanden mitgebracht.“ Sie nickte Loki zu, der stehen geblieben war, die Hände in den Hosentaschen. Irgendwo hatte er noch eine Kippe ausfindig gemacht und rauchte einfach nur still vor sich hin, während er und Odin sich betrachteten.
Sie schwiegen einen Moment beide.
Dann lächelte Odin auch ihn an. „Bruder“, sagte er, „Freya muss wahrlich kokettiert haben, um ausgerechnet dich in eine Galerie zu locken.“
„Ach was.“ Loki winkte ab. „Sie hat mir Kaffee versprochen, das ist alles.“
[...]
Auf der ednlos langen Motorhaube waren zwei tolle Böcke im Sprung als Kühlerfigur befestigt, Schaum vor dem Mund und den Wahnsinn in den Augen. „So schlimm, wie sie aussehen, sind sie gar nicht“, sagte Thor immer und strich den Tieren liebevoll über die gusseisernen Rücken, und nur wenige hörten das Blöken, das die Tiere daraufhin von sich gaben.
[...]
Loki stülpte die Zunge in eine Backentasche und machte eine eindeutige Fellatiobewegung mit der Hand, woraufhin Freya ihm unter dem Tisch schmerzhaft gegen das Schienbein trat. Odin bemerkte das nicht, oder tat zumindest so.
[...]
„Aber Herumhuren ist in Ordnung?“, fragte Loki entrüstet.
„Aber als Kerl mehrere Kinder zu gebären ist in Ordnung?“, keifte Freya zurück.
„Du kannst mich mal!“, entgegnete Loki, der fühlte, dass sie ihm den Wind aus den Segeln genommen hatte.
„Liebend gern, hier und jetzt?“, setzte Freya noch eins oben drauf. Loki gab auf.
[...]
Thor stand im Wald, und Loki massierte sich schwer seufzend mit einer Hand das Nasenbein. „Bei allen—“, fing er an, brachte den Satz nicht zuende, gestikulierte wild ins Universum hinaus und fuhr dann fort: „Ich wünschte, wenigstens ein bisschen von dem, was du in den Armen hast, hättest du im Kopf!“
„Also genau genommen ist ein großteil meiner Kraft ja durch die Handschuhe und den Gürtel bedingt“, sagte Thor belehrend. Loki starrte ihn eine Weile lang an, sodass Thor anfing, sich unwohl zu fühlen, weil er ahnte, dass er besser die Klappe gehalten hätte. Loki starrte ihn noch eine Weile weiter an, bis Thor sagte: „Okay, okay, ich überlasse demnächst wieder dir das Reden, alles klar.“
„Danke“, kam es von Loki, ehe er sich wieder an Freya wandte.
[...]
Freya war eine tolle Frau, aber bei allem guten Willen nicht besonders ladylike. Selbst damals hatte sie trotz aller Weiblichkeit und Verführungskünste immer etwas kriegerisches gehabt, was dazu führte, dass Männer sie einerseits begehrten wie nichts anderes auf der Welt und andererseits hatten sie furchtbare Angst vor ihr – Frauen wollten in der Regel beschützt werden, sollten weich und sanft und schön sein und süß riechen und Kinder gebären und das Feuer hüten. Freya tat alles davon. Dennoch wusste jeder, dass diese Frau anpacken konnte, wenn sie wollte, und wenn sie wollte, packte sie härter zu als mancher Mann.
Heutzutage fuhr sie einen alten, verrosteten und zerbeulten weißen Citroen Kombi, den sie rückwärts in die kleinsten Parklücken zwängte, trug ausgelatschte Sneaker, Baggypants und zu diesem wenig femininen Outfit dann immerhin ein gesreiftes Spaghettitop. Darunter, natürlich, keinen BH, und auch wenn es niemand zugeben würde, starrten ihr natürlich alle auf die schönen Brüste, die sich sehr deutlich darunter abzeichneten. Sie wusste das, natürlich, und freute sich furchtbar darüber.
Sie arbeitete ehrenamtlich in einem Frauenhaus. Prostutuierte kamen dorthin, um gratis Kondome zu bekommen, einen Kaffee gegen die Kälte und eine Schulter zum Ausweinen. Manchmal auch junge Mädchen, die Probleme mit Jungs hatten, oder vielleicht sogar mit einer ungewollten Schwangerschaft. Freya war für sie alle da, hörte sie alle an, gab Ratsschläge noch und nöcher und war von allen geliebt. Diese kleine Frau mit den wilden schwarzen Locken und den aufgeweckten eisblauen Augen war von Männern wie Frauen gleichermaßen begehrt, und sei es für unterschiedliche Zwecke.
[...]
Balder strich sich durch das schöne, goldblonde Haar und rieb sich das glatte Kinn. „Ah, na ja“, sagte er und hob dann seine kleine Espressotasse hoch. „Also, es gibt schlimmeres.“
„Als von mir umgebracht zu werden?“ Loki kaute matt auf seiner halbgerauchten Zigarette herum und vergrub die geballten Fäußte in der Bauchtasche seines Sweaters.
Balder zuckte die Schultern. „Na ja, wir sind im Endeffekt ALLE gestorben.“
„Wie kannst du das nur so ruhig sehen?“ Loki musste sich beherrschen, um nicht wütend zu werden und Balder auch in diesem Leben einen Mistelzweig durch die Brust zu rammen, wenn nur das verdammte Grünzeug seine Meinung diesmal nicht geändert hätte. Wie sollte man einen Gott töten, dem kein Ding der Welt leid antun wollte? Genau: Gar nicht. Es konnte Loki zur Weißglut bringen.
Balder zuckte die Schultern und nippte an seinem Espresso. Die Sonne, die ihn auf der kleinen Terasse beschien, ließ ihn leuchten und strahlen mit einer Aura, dass alles mit zwei X-Chromosome um Umkreis von fünfzig Metern mit Hormonüberschuss in die Knie ging. Loki hätte kotzen können.
„Es liegt an den Träumen“, sagte Balder schließlich. „Wenn ich träume, dass es schon alles irgendwie werden wird, brauche ich mir keine Sorgen zu machen.“ Er lächelte Loki an, der nur darauf wartete, dass sich unter Balders Gesicht der Slogan für eine Zahnpasta einblendete und ein Werbejingle ertönte.
„Du gehst mir auf die Eier, weißt du das?“, knurrte er und drückte seine Zigarette mit mehr Energie aus als nötig.
„Natürlich“, sagte Balder aalglatt und ungerührt. „Trotzdem denke ich: Es muss nicht alles wieder so enden wie letztes mal. Wir sollten selber entscheiden, was wir tun, wie wir es tun und wann.“
Loki verharrte in seiner Bewegung, den Zigarettenstummel noch zwischen den Fingern. Selber entscheiden. Ja. Das wär mal was, dachte er, selber entscheiden zu können, nicht abhängig zu sein von dem, was andere einem auferlegt hatten. „Wozu sind wir Götter, wenn wir nicht selbst in die Hand nehmen können, was mit uns passiert?“, murmelte er, mehr für sich. „Selbst Menschen können das. Vielleicht nur begrenzt, aber mehr als wir.“
„Ja, und du könntest damit anfangen, dass du aufhörst, so ein Arschloch zu sein.“ Balder lächelte zuckersüß und Lokis leichter anflug von Melancholie war sofort verflogen und das Bedürfnis, Balder die Faust gegen die schöne Nase zu rammen wurde übermächtig. Aber weil er wusste, dass Balder Recht hatte, knurrte er nur einen Fluch in der Alten Sprache und wischte sich eine lange Haarsträhne aus der Stirn.
Balder lächelte leicht, denn er wusste, dass Loki nicht mehr derselbe war, denn er hatte es geträumt: Wie es diesmal enden würde.
Aber das behielt er vorläufig noch für sich.
[...]
Der Adler gab etwas von sich, das ein krächzendes Lachen hätte sein können. „Komm“, sagte er, erhob sich von seinem Ast in die Lüfte und flog kreisend um den Steinturm herum in die Höhe.
Loki sah ihm nach, bis er im grauen Himmel nur noch ein winziger Punkt war, seufzte dann und breitete die Arme aus. Aus seiner Haut wuchsen Federn, seine Arme wurden zu Flügeln, sein Gesicht verformte sich, ihm wuchs ein langer Schnabel und wenig später erhob sich ein großer Vogel gen Himmel, dessen dunkles Gefieder leicht rot schimmerte.
Loki setzte Odin nach in die Höhe und hatte ihn bald eingeholt.
„Du hast nichts verlernt, Loki“, sagte Odin, als Loki zu ihm aufschloss. Loki antwortete ihm jedoch nicht, und so flogen die zwei Götter schweigend. Irgendwann wurde der Himmel schwarz, es wurde kälter und begann zu schneien. Die Erde konnte man schon kaum mehr unter ihnen sehen, nur ein paar funkelnde Lichter in der Ferne erinnerten an die Städte.
Irgendwann hatten sie das Ende des Steinturms erreicht. Obenauf war eine Plattform, ebenfalls aus Stein, die perfekt auf dem Turm balancierte. Eine dicke Schneeschicht lag obenauf. Bis auf eine prähistorisch anmutende Hütte war weit und breit nichts zu sehen. Runen waren in den Schnee geschrieben.
Loki verwandelte sich zurück, landetet sachte im Schnee und fummelte sich eine Zigarette aus der Schachtel in seiner Hosentasche. Odin blieb ein Adler und setzte sich auf seine Schulter. Dass das verdammt noch mal wehtat, sagte Loki nicht.
„Da“, sagte er, als Loki sich die Zigarette mit einem Fingerschnippen angezündet hatte. Als er aufsah, sah er eine Gestalt durch die Dunkelheit und den Schnee auf sie zukommen.
Allen Anschein nach handelte es sich um einen jungen Mann, großgewachsen, mit seltsam animalisch anmutender Aura. Er trug seltsame, blaue Gewänder, deren abertausende Striemen im Wind flatterten und seine Umrisse unkenntlich machen. Er hatte Perlen und Knochen im langen, weißen Haar, und sein Gesicht war mit einer roten Bemalung verziert.
Was Loki am meisten verstörte, waren aber seine Augen: Er hatte drei Stück, das linke war blau, das rechte grün, und auf seiner Stirn starrte ein rundes, braunes Auge ohne zu blinzeln zu ihnen hinüber.
Loki verzog den Mund. „Perverse, diese Seher“, sagte er. „Kein Wunder, dass er hier in der übelsten Pampa lebt.“
Odin sagte nichts, flatterte nur mit den Flügeln.
Der Seher blieb auf der Mitte der Plattform stehen. Er neigte leicht den Kopf, seine zwei normalen Augen schlossen sich kurz, das dritte sah die beiden Besucher weiterhin an. „Ich habe euch erwartet.“
„Oh na super“, kommentierte Loki und verdrehte die Augen, Odin hielt ihm einen Flügel vor das Gesicht und hieß ihn schweigen.
„Du bist einer der letzten Seher“, sagte er zu dem Mann. „Und vielleicht der einzige, den es jemals gab, wenn ich genauer darüber nachdenke“, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu hinzu. In der Alten Zeit hatte es einige Frauen gegeben, die des Sehens fähig gewesen waren, Männern war Zauberei dieser Art verboten gewesen.
Der Seher sagte nichts. Sein braunes Auge hatte noch immer nicht geblinzelt und mittlerweile Loki fiziert, der begann, sich unter dem durchdringenden Blick unwohl zu fühlen.
Odin schien das nicht zu merken, denn er sprach einfach weiter. „Die Asen wissen keinen Rat mehr, daher wollten wir dich bitten, uns zu helfen. Es geht um folgendes—“ Er machte eine kurze Pause, als der Seher sich wieder in Bewegung setzte und auf sie zukam, sprach dann aber weiter. „—nämlich, dass ich einen Traum hatte, den ich nicht zu deuten weiß und auch keiner sonst von uns. Ich habe mit Balder gesprochen, der eigentlich Ahnung davon hat, aber auch er wusste nicht weiter, nicht mal unserem Fuchs Loki hier fiel viel Sinnvolles dazu ein außer seinem üblichen Sarkasmus und—“ Diesmal brachh Odin ganz ab. Der Seher stand jetzt direkt vor ihnen und streckte die Hand nach Loki aus, der instinktiv zurückwich, weil ihm ein ungutes Gefühl den Nacken hochkroch und sich wie eine eisige schlinge um seinen Hals legte.
„Komm mir nicht zu nahe, oder du wirst es bereuen!“, sagte er düster und machte gleichzeitig einen Schritt nach hinten. Odin flatterte mit den Flügeln und hatte sich keine Sekunde später in die Lüfte erhoben. Loki hatte nicht die Zeit, ihn einen Feigling zu schimpfen, denn der Seher hatte ihn am Gesicht gepackt. Seine klauenartigen Finger bohrten sich schmerzhaft in Lokis Wangenfleisch und er starrte ihm direkt in die Augen. Loki ertrug das nicht lange und kniff die Lider zusammen, aber selbst danach sah der das dritte Auge vor sich als hätte er die Augen gar nicht erst geschlossen. Der Seher schien ihm direkt in de Kopf und die tiefsten Gedanken zu starren. Loki verrammelte mental alle Türen und Tore, zwang sich, gar nichts zu denken, weil er spürte, dass der Seher eine Schlange gleich durch seine Gehirnwindungen kroch, und jede noch so verwinkelte Ecke aufspürte.
„Hau aus meinem Kopf ab!“, rief Loki entsetzt, merkte gar nicht, dass er in die Alte Sprache verfallen war. Der Blick des Sehers fing an, schmerzhaft zu werden, viel mehr als es sein Griff jemals sein könnte, und Loki spürte, wie seine Beine, die unendlich weit weg zu sein schienen, anfingen, nachzugeben. Er sank in die Knie, und erst, als er das Bewusstsein verlor, ließ der Seher ihn los.
Loki fiel wie tot in den Schnee und blieb liegen, wie er war.
Odin landete unweit von ihm im Schnee, verwandelte sich beim Aufstehen zurück und eilte zu ihm hinüber, griff Lokis leblosen Körper und drehte ihn um, tätschelte seine Wange. Er lebte noch, war aber wächsern und kalt, als wäre er schon seit einigen Stunden tot.
Odin sah auf zu dem Seher, der sich wieder entfernt hatte und nun mit einem Stab, in den einige Runen geritzt waren, Runen in den Schnee zu schreiben.
„Du musst dir keine Gedanken wegen deines Traumes machen“, sagte er, ohne Odin anzusehen. „Alles wird so passieren, wie du und Balder es geträumt habt.“
„Aber—“, begann Odin, der sich nicht mehr an seinen Traum erinnerte und das Balder gegenüber nach wie vor nicht zugegeben hatte. Ebensowenig wie er seinen Sohn danach gefragt hatte, was er geträumt hatte.
„Loki, Sohn der Laufey, wird auch in dieser Geschichte seine Rolle spielen, mit der niemand gerechnet hat.“ Der Seher schrieb noch immer Runen in den Schnee, trotzdem hatte odin das Gefühl, dass sein drittes Auge ihn ansah. „Er wird immer die zwielichtige Gestalt bleiben, die er immer schon war, aber er reut. Ich an deiner Stelle würde ihn nicht verbannen. Er wird sich noch nützlich machen.“
Odin sah den Seher sprachlos an. In der Ferne donnerte es, es grollte und polterte, bald war Scnauben zu hören und keine Sekunde später war mit einem weiteren Getöse Thor in seinem Wagen erschienen, den Hammer wurfbereit in der Hand. Er hatte nur seinen Vater mit dem leblosen Loki im Arm gesehen und seine eigenen Schlüsse gezogen, aber Odin riss die Hand hoch, ehe Thor Mjöllnir werfen konnte, und die Böcke vor Thors Wagens toppten so heftig, dass Thor beinahe den Halt verloren und in hohem Bogen durch die Luft geflogen wäre.
Er fluchte laut und unflätig in der alten Sprache in Richtung seines Vaters, der das gewöhnt war. Der Seher hatte während alledem nicht einmal mit der Wimper gezuckt.
„Was beim vermaledeiten Schwanz der Midgardschlange geht hier ab!“, verlangte Thor zu wissen, sprang aus dem Wagen und landetet sicher nicht unweit seines Vaters.
„Nichts, was dich entwas anginge“, sagte Odin und erhob sich aus der Hocke. Thor eilte zu ihnen hinüber, um den ohnmächtigen Loki aus dem Schnee zu heben und ihn sich wenig sanft wie einen nassen Sack über die Schulter zu werfen.
Odin sah den Seher an, der inmitten eines komplizierten Gemäldes aus Zaubersprüchen stand und sie scheinbar teilnahmslos ansah. „Ihr werdet wiederkommen, ehe all dies zuende ist, also sage ich nicht lebt wohl. Auf bald“, sagte er und setzte sich dann, wo er war, in den Schnee zwischen die Runen. Er fing an einzuschneien, was ihn nicht zu stören schien.
Odin wandte sich an Thor. „Verschwinden wir von hier“, sagte er, verwandelte sich wieder in einen Adler und stieg in die Lüfte. Thor hechtete hinüber zu seinem Wagen, warf Loki hinein und sprang hinterher, hielt seine Böcke zur Eile an und sah zu, dass er von dannen kam.
[...]
Die Nacht war zu weit fortgeschritten, um noch wirklich Nacht zu sein. Es dämmerte schon lange, war aber trotzdem zu früh, als dass irgendwer auf den Straßen gewesen wäre, von zwei Gestalten abgesehen, die lachend und schwatzend den Bürgersteig hinunterschlenderten. Jeder ihrer Schritte war ein nasses Schmatzen, sie trieften und hinterließen eine lange Blutspur. Von der Kleidung war unter all dem Blut keine Farbe mehr zu erkennen, ihre Haare waren strähnig und verklebt.
„Was für eine Sauerei“, sagte der schlankere, schlaksigere der beiden Männer und wischte sich mit der Hand durch das verschmierte Gesicht. Viel brachte es nicht. Also schnippte er ein nicht näher definierbares Stück Fleisch von seiner Schulter, das er entdeckte.
„Mann, ja“, sagte sein Freund mit tiefem Bass und lachte. „Wir sollten das öfter tun. Wie in den guten alten Zeiten.“
„Oh, fang mir nicht wieder damit an. Das ist vorbei und vergessen und ich will nicht dran erinnert werden.“ Loki tastete seine Hosentasche nach einer zerbeulten Zigarettenpackung ab und fand tatsächlich noch eine Kippe, die rauchbar aussah.
„Du hast auch wirklich viel Scheiße gebaut.“ Thor schwenkte seinen Hammer Mjöllnir ein wenig herum, sodass Loki automatisch zwei Schritte seitwärts machte.
„Sehr taktvoll“, knurrte er. „Hör zu, wie oft soll ich’s noch sagen. Ich war eben sauer, und wenn ich sauer bin, tick ich aus, da kann man Ragnarök schon mal einleiten.“ Loki wusste, dass das keine Entschuldigung war. „Und die Welt ist neuerschaffen worden und hier sind wir und bisher war alles recht friedlich, von einigen kleineren Konflikten mal abgesehen. An denen ich nicht mal beteiligt war. Selbst Balder habt ihr wiederbekommen.“ Loki verzog den Mund und blies den Zigarettenrauch durch die Nase.
„Ich mach dir ja auch keine Vorwürfe. Hat ja schon irgendwie Spaß gemacht“, sagte Thor leichthin. Daraufhin musste Loki etwas schmunzeln, denn ja, eigentlich war es vielleicht sogar ganz lustig gewesen, sich nicht mehr benehmen zu müssen und Heimdall endlich die Fresse polieren zu dürfen. Auch wenn Heimdall auch ziemlich gut zugelangt hatte... Na ja. Das war vorbei, und sie alle hatten sich irgendwie in der neuen Welt eingelebt. Trotzdem hielt Loki sich von den meisten Göttern fern. Nur zu Thor, der ihm wirklich verziehen zu haben schien, hatte er noch Kontakt. Manchmal gingen sie zusammen auf Riesenjagd, wie jetzt. Also, Thor ging auf Riesenjagd, Loki begleitete ihn nur. Endete meistens in einer Riesenschweinerei, im wörtlichsten Sinne des Wortes. Jedenfalls schien Thor ihm verziehen zu haben – aber er war auch von eher simplen Gemüt, sicherlich aufbrausend, aber keineswegs nachtragend. Da hätte eher Loki es ihm übel genommen, dass er es wirklich geschafft hatte, sein Kind die Midgardschlange wirklich zu töten – auch wenn er ihrem Gift am Ende doch erlegen war.
Aber Sieger hatte es im Ragnarök eh keine gegeben.
Und das schienen sie alle gemerkt zu haben, denn seit da hatte es bis auf ein paar kaum nennenswerte Auseinandersetzungen keinen Streit mehr gegeben.
Loki blies nachdenklich Runen aus Rauch in die Luft und starrte in den hellerwerdenden Himmel.
Anyway, schon seit langem (2006?) hege ich den Wunsch, die nordischen Götter mal zu schnappen und mit ihnen eine Story zu schreiben. Manch einer mag sich an meine Story "Das Chaos" erinnern, in dem ihr Tuomas Valentin kennenlernen durftet -- ebenjener war ursprünglich mal der Gott Loki. Nur hab ich mir damals nicht zugetraut, ein so gewaltiges Projekt zu starten.
Jetzt bin ich ein paar Jahre älter und mit dem Studium vorangeschritten und habe meine Einstellung gegenüber meinen Geschichten auch etwas geändert und gehe es jetzt langsamer und gelassener an als früher.
Das Konzept, der rote Faden der Story, steht -- momentan taste ich mich langsam an meine Pro- und Antagonisten, die nordischen Götter, heran.
Hier kommt dann ihr ins Spiel -- ich setze Kenntnisse über die nordische Mythologie nicht voraus, weiß aber nicht, wie sinnvoll ich alles erklären kann. Ich habe hier ein paar Szenen, alle aus dem Kontext gerissen, da wirklich nur kurze Einblicke, und würde gern wissen, was ihr davon haltet. Es ist alles noch ziemlich roh und vage, weil ich einfach herumprobiere, wer wie was warum und wie sagen oder tun würde. Ist alles meistens total im Affekt runtergeschrieben und die Szene mit dem Seher ist voller Wiederholungen, da ich das auch nur so runtergeschrieben hab, ohne groß drüber nachzudenken. xD
Seid gnadenlos und sagt mir, wie's euch gefällt. :3
Es klingelte in den Abendstunden an seiner Tür, und Loki öffnete, wenig angetan davon, dass jemand offenbar vorhatte, seinen Feierabend zu unterbrechen. Er hatte sich darauf gefreut, den Abend über einfach nur mit einer Kippe und einer starken Tasse Kaffe auf der Couch zu verbringen und Musik zu hören.
„Ja, was gibt’s?“, fragte er, als er seine Wohnungstüre ein Stückchen öffnete, ohne die Kette zu lösen – heutzutage wusste man ja nie.
Vor seiner Türe stand ein Mann, im Schatten, das Flurlicht war nicht an. „Guten Abend, Loki. Es ist lange her.“
Loki verengte die schwefelgelben Augen ein wenig, die Zigarette in seinem rechten Mundwinkel wanderte hinüber in den linken. „Sie müssen sich in der Tür vertan haben, sorry“, sagte er und schloss die Tür – oder wollte es, aber der Fremde vor seiner Tür legte die Hand auf das dunkle Holz und die Tür blieb, wo sie war.
„Ich brauche deinen Rat, Trickster“, sagte der Mann. In dem schmalen Streifen Lichts, der aus Lokis Wohnung drang, war nur zu erkennen, dass der Mann vor seiner Tür offenbar jung war, kaum Mitte dreißig, wie Loki selbst, und eine Sonnenbrille trug, obwohl es stockfinster war.
Loki grunzte abfällig. „Lass die alten Namen, nachher fang ich noch an zu weinen.“
„Es riecht nach Kaffee“, sagte sein Besucher. „Möchtest du mich nicht auf eine Tasse hereinbitten?“
Loki öffnete die Türe – wenn nicht freiwillig, ließ er sich nichts anmerken, was in Anbetracht seines Besuches immer eine gute Idee war – und sein Besucher trat in den kleinen Flur. Er war tatsächlich ein junger, stattlicher Mann, in einen schwarzen, maßgeschneiderten Anzug gekleidet, mit schwarzem Hemd und dünner, schwarzer Krawatte. Und er trug eine Sonnenbrille auf der Nase, mit schmalen, quadratischen Gläsern, die gerade so groß waren, dass man seine augen dahinter nicht erkennen konnte.
„Haustiere sind nicht erlaubt“, sagte Loki, als sich im Flur ein schwarzer Schatten bewegte.
„Wartet hier“, sagte der Besucher, und für einen Augenblick blitze ein kleines Licht, wie von einem Augenpaar, im Flur auf, ein kehliges Knurren wie das eines Hundes ertönte, dann war alles still. Loki schloss die Türe.
„Hast du Angst, dass du sie mit dir rumschleppst, oder was ist los?“, fragte er. Sein Besucher winkte ab und zog in der selben Bewegung die dünne Sonnenbrille von der Nase. Seine Iris war grau, fast weiß, vollkommen farblos – und das linke Auge fehlte ihm. Er hielt es geschlossen.
„Nichts dergleichen“, sagte er. „Also, bekomme ich nun einen Kaffee oder willst du den Allvater höchstselbst im Flur stehen lassen wie einen einfachen Menschen?“
„Du hast Nerven, nachdem du dich selbst eingeladen hast“, sagte Loki und verdrehte die Augen, wies Odin aber den Weg in die Küche und ließ ihn auf einem alten, weißen Klappstuhl Platz nehmen und schüttete ihm eine Tasse Kaffee ein. „Du sagstest, du willst meinen Rat“, sagte er, als er ihm die Tasse hinstellte und sich mit einer eigenen ihm gegenüber hinsetzte. „Also, was kann ich für dich tun?“
Odin legte die Hände um die wärmende Tasse und sagte eine Weile lang nichts. „Ein Krieg wird kommen“, sagte er nach einer langen Weile. Loki hob die Augenbrauen und lehnte sich zurück. „Ein Krieg oder der Krieg?“, fragte er.
Odin zuckte die Schultern. „Ich weiß es nicht“, gestand er. „Ich habe... ich habe es gesehen, im Traum, aber als ich aufwachte, war die Erinnerung fast verblasst.“ Er lächelte brüchig und für einen Augenblick lang blitze unter der jugendlichen Fassade das unendliche Alter auf, das er, das sie beide, innehatten. „Ich werde alt, Loki.“
„Ach was.“ Loki winkte ab. „Ich finde, rasierst wirkst du viel jünger.“
Odin lachte leise, hob die Kaffeetasse ein wenig an. „Auf dich, mein Bester.“
„Bis du mich das nächste mal verbannst?“ Loki hob ebenfalls die Tasse und tickte sie leicht an Odins. „Auf uns.“
Sie schwiegen beide eine Weile, weil niemand etwas zu sagen hatte oder wusste, bis Loki schließlich bemerkte, dass Odin ihn die ganze Zeit betrachtete.
„Was ist?“, fragte er ausweichend. „Ich kann es nicht haben, wenn du mich so anstarrst.“
„Sorry“, meinte Odin und senkte den Blick aus seinem farblosen Auge. „Ich komme nicht umhin, immer wieder zu bewundern, wie wenig du dich über all die Zeit verändert hast.“
Loki runzelte die Stirn, trank einen Schluck Kaffee und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie überrascht er von Odins Bemerkung war. Aber vielleicht stimmte es: Vielleicht hatte er sich wirklich am wenigsten von ihnen allen verändert. Das lange, feuerrote Haar, das von seinem Kopf floss wie Lava und die schwefelgelben Augen, die mit den kleinen schwarzen Pupillen wie Warnschilder wirkten, die jedem, der ihn ansah, verkündeten: Vorsicht, Gefahrenquelle.
Natürlich hatte die Zeit für sie alle Veränderung mitgebracht. Niemand von ihnen war in Jeans und Sneakern oder Anzug und Krawatte ins Ragnarök geritten. Doch Thor, Freya und Odin erkannte man auch davon unabhängig nicht wieder, während er, Loki, noch immer derselbe war. In grauer Skinny Fit Jeans, schwarzen Converse und einem schwarzen Hoodie mit weißem Aufdruck wirkte er lediglich moderner als früher.
„Das bildest du wir wahrscheinlich nur ein“, sagte Loki und zuckte die Schultern, trank seinen Kaffee aus und stellte die Tasse hin, kam aber nicht umhin, einzusehen, was Odin meinte. Wer würde hinter dem jungen, gut gekleideten Mann mit der teuer aussehenden Sonnenbrille den Allföðr erwarten? Die paar Menschen, die sich daran erinnerten, dass es ihn überhaupt gab, hatten einen alten Mann mit langem, weißen Bart im Sinn, der ein achtbeiniges Pferd ritt. Ja, das Pferd gab es natürlich noch, aber von langem weißen Bart keine Spur. Auch Götter gingen mit der Zeit.
„Wahrscheinlich“, räumte Odin ein, um das Thema ruhen zu lassen.
[…]
Freya wachte nachts auf, ohne, dass sie gewusst hätte, warum. Sie fühlte sich hundemüde aber genauso wenig in der Lage, weiterzuschlafen. Nach ein paar Minuten, in denen sie sich in Lokis Bett von links nach rechts auf den Bauch auf den Rücken und zurück gedreht hatte, gab sie es auf. Sie setzte sich aufrecht hin, rieb sich den bröckeligen, spitzen Schlaf aus den Augenwinkeln und struffelte sich durch das kurze Haar.
Ein schmaler Streifen Licht von einer Straßenlaterne fiel auf den Boden, beleuchtete die Bücher, die gestapelt auf dem Boden standen, sortiert in gelesen, zu lesen, am lesen. Es war Freya schleierhaft, wie Loki so viele Bücher lesen konnte. Sie selber fand wenig vergnügen darin, auf Buchstaben zu gucken.
Sie zupfte sich Lokis Shorts, die er ihr zum Schlafen geliehen hatte, zurecht und tapste dann barfuß aus dem Zimmer.
Es wunderte sie wenig, dass im Wohnzimmer schwach Licht brannte, leise Musik spielte und regelrechter Nebel aus Rauch unter der Decke schwebte.
„Schläfst du überhaupt irgendwann mal?“, fragte sie, als sie die Tür weiter aufschob und zu Loki trat, der auf seinem Sofa saß, natürlich eine Kippe im Mundwinkel und eine Tasse Kaffee in der Hand. Der Plattenspieler lief. Freya kannte den Musiker nicht. Hätte von Beethoven zu Scooter alles sein können, sie hatte da keine große Ahnung von.
„Tagsüber“, war Lokis Antwort. Wie von allein wanderte seine Kippe vom einen Mundwinkel in den anderen, während er sprach. Freya hatte im Stillen schon seit einer Weile die These aufgestellt, dass er gar nicht rauchte, sondern dass die vermeintlichen Zigarettenstummel, die aus seinem Mund ragten, tatsächlich Teil seines Körpers waren. Wahrscheinlich verhielt es sich mit der Kaffeetasse ähnlich, da war bestimmt auch festgewachsen...
[...]
Die Galerie war lichtdurchflutet. Die weißen Wände meterhoch, die zweite Etage ließ die Mitte des Raumes als Treppenhaus offen, das Dach war aus Glas. Die Wände waren weiß, der Boden aus hellem Parkett.
Loki fand sich beeindruckt entgegen seiner Überzeugung. Sämtliche Verbotsschilder ignorierend schlenderte er rauchend, die Hände in den Hosentaschen, neben Freya her, die offenkundig wusste, wohin sie gingen. Es ging eine architektonische Meisterleistung, die sich bei näherer Betrachtung als Treppe entpuppte, hinauf in die zweite Etage, in der keine Bilder mehr hingen, sondern Skulpturen standen. Aber auch die ignorierte Freya gekonnt. Sie pickte Loki lediglich seine Packung Zigaretten aus der Hand, als der sich eine zweite anzünden und weiterhin seiner geliebten Regelübertretung frönen wollte.
Am Ende des Ganges, vor einem großen Fenster, das das Panorama der Stadt zeigte, stand ein junger Mann, der aus einem Herrenaustatterkatalog gefallen zu sein schien. Jede Falte seines schwarzen Anzuges saß perfekt, die Herrenschuhe glänzten. Sein Aussehen verkündete jedem im Umkreis von fünf Metern, dass er genug Geld hatte, immer gehabt hatte und auch immer haben würde. Und verdammt, trotzdem wirkte er sympathisch, als er sich umdrehte, sie erblickte, erkannte und die Arme öffnete.
„Meine Liebe!“, begrüßte Odin Freya, umarmte sie herzlich und hauchte ihr einen Handkuss auf die Handknöchel. „Dein Kommen ehrt mich.“
„Ganz der alte Charmeur“, grinste Freya breit, als er sie entließ. „Ich hab dir jemanden mitgebracht.“ Sie nickte Loki zu, der stehen geblieben war, die Hände in den Hosentaschen. Irgendwo hatte er noch eine Kippe ausfindig gemacht und rauchte einfach nur still vor sich hin, während er und Odin sich betrachteten.
Sie schwiegen einen Moment beide.
Dann lächelte Odin auch ihn an. „Bruder“, sagte er, „Freya muss wahrlich kokettiert haben, um ausgerechnet dich in eine Galerie zu locken.“
„Ach was.“ Loki winkte ab. „Sie hat mir Kaffee versprochen, das ist alles.“
[...]
Auf der ednlos langen Motorhaube waren zwei tolle Böcke im Sprung als Kühlerfigur befestigt, Schaum vor dem Mund und den Wahnsinn in den Augen. „So schlimm, wie sie aussehen, sind sie gar nicht“, sagte Thor immer und strich den Tieren liebevoll über die gusseisernen Rücken, und nur wenige hörten das Blöken, das die Tiere daraufhin von sich gaben.
[...]
Loki stülpte die Zunge in eine Backentasche und machte eine eindeutige Fellatiobewegung mit der Hand, woraufhin Freya ihm unter dem Tisch schmerzhaft gegen das Schienbein trat. Odin bemerkte das nicht, oder tat zumindest so.
[...]
„Aber Herumhuren ist in Ordnung?“, fragte Loki entrüstet.
„Aber als Kerl mehrere Kinder zu gebären ist in Ordnung?“, keifte Freya zurück.
„Du kannst mich mal!“, entgegnete Loki, der fühlte, dass sie ihm den Wind aus den Segeln genommen hatte.
„Liebend gern, hier und jetzt?“, setzte Freya noch eins oben drauf. Loki gab auf.
[...]
Thor stand im Wald, und Loki massierte sich schwer seufzend mit einer Hand das Nasenbein. „Bei allen—“, fing er an, brachte den Satz nicht zuende, gestikulierte wild ins Universum hinaus und fuhr dann fort: „Ich wünschte, wenigstens ein bisschen von dem, was du in den Armen hast, hättest du im Kopf!“
„Also genau genommen ist ein großteil meiner Kraft ja durch die Handschuhe und den Gürtel bedingt“, sagte Thor belehrend. Loki starrte ihn eine Weile lang an, sodass Thor anfing, sich unwohl zu fühlen, weil er ahnte, dass er besser die Klappe gehalten hätte. Loki starrte ihn noch eine Weile weiter an, bis Thor sagte: „Okay, okay, ich überlasse demnächst wieder dir das Reden, alles klar.“
„Danke“, kam es von Loki, ehe er sich wieder an Freya wandte.
[...]
Freya war eine tolle Frau, aber bei allem guten Willen nicht besonders ladylike. Selbst damals hatte sie trotz aller Weiblichkeit und Verführungskünste immer etwas kriegerisches gehabt, was dazu führte, dass Männer sie einerseits begehrten wie nichts anderes auf der Welt und andererseits hatten sie furchtbare Angst vor ihr – Frauen wollten in der Regel beschützt werden, sollten weich und sanft und schön sein und süß riechen und Kinder gebären und das Feuer hüten. Freya tat alles davon. Dennoch wusste jeder, dass diese Frau anpacken konnte, wenn sie wollte, und wenn sie wollte, packte sie härter zu als mancher Mann.
Heutzutage fuhr sie einen alten, verrosteten und zerbeulten weißen Citroen Kombi, den sie rückwärts in die kleinsten Parklücken zwängte, trug ausgelatschte Sneaker, Baggypants und zu diesem wenig femininen Outfit dann immerhin ein gesreiftes Spaghettitop. Darunter, natürlich, keinen BH, und auch wenn es niemand zugeben würde, starrten ihr natürlich alle auf die schönen Brüste, die sich sehr deutlich darunter abzeichneten. Sie wusste das, natürlich, und freute sich furchtbar darüber.
Sie arbeitete ehrenamtlich in einem Frauenhaus. Prostutuierte kamen dorthin, um gratis Kondome zu bekommen, einen Kaffee gegen die Kälte und eine Schulter zum Ausweinen. Manchmal auch junge Mädchen, die Probleme mit Jungs hatten, oder vielleicht sogar mit einer ungewollten Schwangerschaft. Freya war für sie alle da, hörte sie alle an, gab Ratsschläge noch und nöcher und war von allen geliebt. Diese kleine Frau mit den wilden schwarzen Locken und den aufgeweckten eisblauen Augen war von Männern wie Frauen gleichermaßen begehrt, und sei es für unterschiedliche Zwecke.
[...]
Balder strich sich durch das schöne, goldblonde Haar und rieb sich das glatte Kinn. „Ah, na ja“, sagte er und hob dann seine kleine Espressotasse hoch. „Also, es gibt schlimmeres.“
„Als von mir umgebracht zu werden?“ Loki kaute matt auf seiner halbgerauchten Zigarette herum und vergrub die geballten Fäußte in der Bauchtasche seines Sweaters.
Balder zuckte die Schultern. „Na ja, wir sind im Endeffekt ALLE gestorben.“
„Wie kannst du das nur so ruhig sehen?“ Loki musste sich beherrschen, um nicht wütend zu werden und Balder auch in diesem Leben einen Mistelzweig durch die Brust zu rammen, wenn nur das verdammte Grünzeug seine Meinung diesmal nicht geändert hätte. Wie sollte man einen Gott töten, dem kein Ding der Welt leid antun wollte? Genau: Gar nicht. Es konnte Loki zur Weißglut bringen.
Balder zuckte die Schultern und nippte an seinem Espresso. Die Sonne, die ihn auf der kleinen Terasse beschien, ließ ihn leuchten und strahlen mit einer Aura, dass alles mit zwei X-Chromosome um Umkreis von fünfzig Metern mit Hormonüberschuss in die Knie ging. Loki hätte kotzen können.
„Es liegt an den Träumen“, sagte Balder schließlich. „Wenn ich träume, dass es schon alles irgendwie werden wird, brauche ich mir keine Sorgen zu machen.“ Er lächelte Loki an, der nur darauf wartete, dass sich unter Balders Gesicht der Slogan für eine Zahnpasta einblendete und ein Werbejingle ertönte.
„Du gehst mir auf die Eier, weißt du das?“, knurrte er und drückte seine Zigarette mit mehr Energie aus als nötig.
„Natürlich“, sagte Balder aalglatt und ungerührt. „Trotzdem denke ich: Es muss nicht alles wieder so enden wie letztes mal. Wir sollten selber entscheiden, was wir tun, wie wir es tun und wann.“
Loki verharrte in seiner Bewegung, den Zigarettenstummel noch zwischen den Fingern. Selber entscheiden. Ja. Das wär mal was, dachte er, selber entscheiden zu können, nicht abhängig zu sein von dem, was andere einem auferlegt hatten. „Wozu sind wir Götter, wenn wir nicht selbst in die Hand nehmen können, was mit uns passiert?“, murmelte er, mehr für sich. „Selbst Menschen können das. Vielleicht nur begrenzt, aber mehr als wir.“
„Ja, und du könntest damit anfangen, dass du aufhörst, so ein Arschloch zu sein.“ Balder lächelte zuckersüß und Lokis leichter anflug von Melancholie war sofort verflogen und das Bedürfnis, Balder die Faust gegen die schöne Nase zu rammen wurde übermächtig. Aber weil er wusste, dass Balder Recht hatte, knurrte er nur einen Fluch in der Alten Sprache und wischte sich eine lange Haarsträhne aus der Stirn.
Balder lächelte leicht, denn er wusste, dass Loki nicht mehr derselbe war, denn er hatte es geträumt: Wie es diesmal enden würde.
Aber das behielt er vorläufig noch für sich.
[...]
Der Adler gab etwas von sich, das ein krächzendes Lachen hätte sein können. „Komm“, sagte er, erhob sich von seinem Ast in die Lüfte und flog kreisend um den Steinturm herum in die Höhe.
Loki sah ihm nach, bis er im grauen Himmel nur noch ein winziger Punkt war, seufzte dann und breitete die Arme aus. Aus seiner Haut wuchsen Federn, seine Arme wurden zu Flügeln, sein Gesicht verformte sich, ihm wuchs ein langer Schnabel und wenig später erhob sich ein großer Vogel gen Himmel, dessen dunkles Gefieder leicht rot schimmerte.
Loki setzte Odin nach in die Höhe und hatte ihn bald eingeholt.
„Du hast nichts verlernt, Loki“, sagte Odin, als Loki zu ihm aufschloss. Loki antwortete ihm jedoch nicht, und so flogen die zwei Götter schweigend. Irgendwann wurde der Himmel schwarz, es wurde kälter und begann zu schneien. Die Erde konnte man schon kaum mehr unter ihnen sehen, nur ein paar funkelnde Lichter in der Ferne erinnerten an die Städte.
Irgendwann hatten sie das Ende des Steinturms erreicht. Obenauf war eine Plattform, ebenfalls aus Stein, die perfekt auf dem Turm balancierte. Eine dicke Schneeschicht lag obenauf. Bis auf eine prähistorisch anmutende Hütte war weit und breit nichts zu sehen. Runen waren in den Schnee geschrieben.
Loki verwandelte sich zurück, landetet sachte im Schnee und fummelte sich eine Zigarette aus der Schachtel in seiner Hosentasche. Odin blieb ein Adler und setzte sich auf seine Schulter. Dass das verdammt noch mal wehtat, sagte Loki nicht.
„Da“, sagte er, als Loki sich die Zigarette mit einem Fingerschnippen angezündet hatte. Als er aufsah, sah er eine Gestalt durch die Dunkelheit und den Schnee auf sie zukommen.
Allen Anschein nach handelte es sich um einen jungen Mann, großgewachsen, mit seltsam animalisch anmutender Aura. Er trug seltsame, blaue Gewänder, deren abertausende Striemen im Wind flatterten und seine Umrisse unkenntlich machen. Er hatte Perlen und Knochen im langen, weißen Haar, und sein Gesicht war mit einer roten Bemalung verziert.
Was Loki am meisten verstörte, waren aber seine Augen: Er hatte drei Stück, das linke war blau, das rechte grün, und auf seiner Stirn starrte ein rundes, braunes Auge ohne zu blinzeln zu ihnen hinüber.
Loki verzog den Mund. „Perverse, diese Seher“, sagte er. „Kein Wunder, dass er hier in der übelsten Pampa lebt.“
Odin sagte nichts, flatterte nur mit den Flügeln.
Der Seher blieb auf der Mitte der Plattform stehen. Er neigte leicht den Kopf, seine zwei normalen Augen schlossen sich kurz, das dritte sah die beiden Besucher weiterhin an. „Ich habe euch erwartet.“
„Oh na super“, kommentierte Loki und verdrehte die Augen, Odin hielt ihm einen Flügel vor das Gesicht und hieß ihn schweigen.
„Du bist einer der letzten Seher“, sagte er zu dem Mann. „Und vielleicht der einzige, den es jemals gab, wenn ich genauer darüber nachdenke“, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu hinzu. In der Alten Zeit hatte es einige Frauen gegeben, die des Sehens fähig gewesen waren, Männern war Zauberei dieser Art verboten gewesen.
Der Seher sagte nichts. Sein braunes Auge hatte noch immer nicht geblinzelt und mittlerweile Loki fiziert, der begann, sich unter dem durchdringenden Blick unwohl zu fühlen.
Odin schien das nicht zu merken, denn er sprach einfach weiter. „Die Asen wissen keinen Rat mehr, daher wollten wir dich bitten, uns zu helfen. Es geht um folgendes—“ Er machte eine kurze Pause, als der Seher sich wieder in Bewegung setzte und auf sie zukam, sprach dann aber weiter. „—nämlich, dass ich einen Traum hatte, den ich nicht zu deuten weiß und auch keiner sonst von uns. Ich habe mit Balder gesprochen, der eigentlich Ahnung davon hat, aber auch er wusste nicht weiter, nicht mal unserem Fuchs Loki hier fiel viel Sinnvolles dazu ein außer seinem üblichen Sarkasmus und—“ Diesmal brachh Odin ganz ab. Der Seher stand jetzt direkt vor ihnen und streckte die Hand nach Loki aus, der instinktiv zurückwich, weil ihm ein ungutes Gefühl den Nacken hochkroch und sich wie eine eisige schlinge um seinen Hals legte.
„Komm mir nicht zu nahe, oder du wirst es bereuen!“, sagte er düster und machte gleichzeitig einen Schritt nach hinten. Odin flatterte mit den Flügeln und hatte sich keine Sekunde später in die Lüfte erhoben. Loki hatte nicht die Zeit, ihn einen Feigling zu schimpfen, denn der Seher hatte ihn am Gesicht gepackt. Seine klauenartigen Finger bohrten sich schmerzhaft in Lokis Wangenfleisch und er starrte ihm direkt in die Augen. Loki ertrug das nicht lange und kniff die Lider zusammen, aber selbst danach sah der das dritte Auge vor sich als hätte er die Augen gar nicht erst geschlossen. Der Seher schien ihm direkt in de Kopf und die tiefsten Gedanken zu starren. Loki verrammelte mental alle Türen und Tore, zwang sich, gar nichts zu denken, weil er spürte, dass der Seher eine Schlange gleich durch seine Gehirnwindungen kroch, und jede noch so verwinkelte Ecke aufspürte.
„Hau aus meinem Kopf ab!“, rief Loki entsetzt, merkte gar nicht, dass er in die Alte Sprache verfallen war. Der Blick des Sehers fing an, schmerzhaft zu werden, viel mehr als es sein Griff jemals sein könnte, und Loki spürte, wie seine Beine, die unendlich weit weg zu sein schienen, anfingen, nachzugeben. Er sank in die Knie, und erst, als er das Bewusstsein verlor, ließ der Seher ihn los.
Loki fiel wie tot in den Schnee und blieb liegen, wie er war.
Odin landete unweit von ihm im Schnee, verwandelte sich beim Aufstehen zurück und eilte zu ihm hinüber, griff Lokis leblosen Körper und drehte ihn um, tätschelte seine Wange. Er lebte noch, war aber wächsern und kalt, als wäre er schon seit einigen Stunden tot.
Odin sah auf zu dem Seher, der sich wieder entfernt hatte und nun mit einem Stab, in den einige Runen geritzt waren, Runen in den Schnee zu schreiben.
„Du musst dir keine Gedanken wegen deines Traumes machen“, sagte er, ohne Odin anzusehen. „Alles wird so passieren, wie du und Balder es geträumt habt.“
„Aber—“, begann Odin, der sich nicht mehr an seinen Traum erinnerte und das Balder gegenüber nach wie vor nicht zugegeben hatte. Ebensowenig wie er seinen Sohn danach gefragt hatte, was er geträumt hatte.
„Loki, Sohn der Laufey, wird auch in dieser Geschichte seine Rolle spielen, mit der niemand gerechnet hat.“ Der Seher schrieb noch immer Runen in den Schnee, trotzdem hatte odin das Gefühl, dass sein drittes Auge ihn ansah. „Er wird immer die zwielichtige Gestalt bleiben, die er immer schon war, aber er reut. Ich an deiner Stelle würde ihn nicht verbannen. Er wird sich noch nützlich machen.“
Odin sah den Seher sprachlos an. In der Ferne donnerte es, es grollte und polterte, bald war Scnauben zu hören und keine Sekunde später war mit einem weiteren Getöse Thor in seinem Wagen erschienen, den Hammer wurfbereit in der Hand. Er hatte nur seinen Vater mit dem leblosen Loki im Arm gesehen und seine eigenen Schlüsse gezogen, aber Odin riss die Hand hoch, ehe Thor Mjöllnir werfen konnte, und die Böcke vor Thors Wagens toppten so heftig, dass Thor beinahe den Halt verloren und in hohem Bogen durch die Luft geflogen wäre.
Er fluchte laut und unflätig in der alten Sprache in Richtung seines Vaters, der das gewöhnt war. Der Seher hatte während alledem nicht einmal mit der Wimper gezuckt.
„Was beim vermaledeiten Schwanz der Midgardschlange geht hier ab!“, verlangte Thor zu wissen, sprang aus dem Wagen und landetet sicher nicht unweit seines Vaters.
„Nichts, was dich entwas anginge“, sagte Odin und erhob sich aus der Hocke. Thor eilte zu ihnen hinüber, um den ohnmächtigen Loki aus dem Schnee zu heben und ihn sich wenig sanft wie einen nassen Sack über die Schulter zu werfen.
Odin sah den Seher an, der inmitten eines komplizierten Gemäldes aus Zaubersprüchen stand und sie scheinbar teilnahmslos ansah. „Ihr werdet wiederkommen, ehe all dies zuende ist, also sage ich nicht lebt wohl. Auf bald“, sagte er und setzte sich dann, wo er war, in den Schnee zwischen die Runen. Er fing an einzuschneien, was ihn nicht zu stören schien.
Odin wandte sich an Thor. „Verschwinden wir von hier“, sagte er, verwandelte sich wieder in einen Adler und stieg in die Lüfte. Thor hechtete hinüber zu seinem Wagen, warf Loki hinein und sprang hinterher, hielt seine Böcke zur Eile an und sah zu, dass er von dannen kam.
[...]
Die Nacht war zu weit fortgeschritten, um noch wirklich Nacht zu sein. Es dämmerte schon lange, war aber trotzdem zu früh, als dass irgendwer auf den Straßen gewesen wäre, von zwei Gestalten abgesehen, die lachend und schwatzend den Bürgersteig hinunterschlenderten. Jeder ihrer Schritte war ein nasses Schmatzen, sie trieften und hinterließen eine lange Blutspur. Von der Kleidung war unter all dem Blut keine Farbe mehr zu erkennen, ihre Haare waren strähnig und verklebt.
„Was für eine Sauerei“, sagte der schlankere, schlaksigere der beiden Männer und wischte sich mit der Hand durch das verschmierte Gesicht. Viel brachte es nicht. Also schnippte er ein nicht näher definierbares Stück Fleisch von seiner Schulter, das er entdeckte.
„Mann, ja“, sagte sein Freund mit tiefem Bass und lachte. „Wir sollten das öfter tun. Wie in den guten alten Zeiten.“
„Oh, fang mir nicht wieder damit an. Das ist vorbei und vergessen und ich will nicht dran erinnert werden.“ Loki tastete seine Hosentasche nach einer zerbeulten Zigarettenpackung ab und fand tatsächlich noch eine Kippe, die rauchbar aussah.
„Du hast auch wirklich viel Scheiße gebaut.“ Thor schwenkte seinen Hammer Mjöllnir ein wenig herum, sodass Loki automatisch zwei Schritte seitwärts machte.
„Sehr taktvoll“, knurrte er. „Hör zu, wie oft soll ich’s noch sagen. Ich war eben sauer, und wenn ich sauer bin, tick ich aus, da kann man Ragnarök schon mal einleiten.“ Loki wusste, dass das keine Entschuldigung war. „Und die Welt ist neuerschaffen worden und hier sind wir und bisher war alles recht friedlich, von einigen kleineren Konflikten mal abgesehen. An denen ich nicht mal beteiligt war. Selbst Balder habt ihr wiederbekommen.“ Loki verzog den Mund und blies den Zigarettenrauch durch die Nase.
„Ich mach dir ja auch keine Vorwürfe. Hat ja schon irgendwie Spaß gemacht“, sagte Thor leichthin. Daraufhin musste Loki etwas schmunzeln, denn ja, eigentlich war es vielleicht sogar ganz lustig gewesen, sich nicht mehr benehmen zu müssen und Heimdall endlich die Fresse polieren zu dürfen. Auch wenn Heimdall auch ziemlich gut zugelangt hatte... Na ja. Das war vorbei, und sie alle hatten sich irgendwie in der neuen Welt eingelebt. Trotzdem hielt Loki sich von den meisten Göttern fern. Nur zu Thor, der ihm wirklich verziehen zu haben schien, hatte er noch Kontakt. Manchmal gingen sie zusammen auf Riesenjagd, wie jetzt. Also, Thor ging auf Riesenjagd, Loki begleitete ihn nur. Endete meistens in einer Riesenschweinerei, im wörtlichsten Sinne des Wortes. Jedenfalls schien Thor ihm verziehen zu haben – aber er war auch von eher simplen Gemüt, sicherlich aufbrausend, aber keineswegs nachtragend. Da hätte eher Loki es ihm übel genommen, dass er es wirklich geschafft hatte, sein Kind die Midgardschlange wirklich zu töten – auch wenn er ihrem Gift am Ende doch erlegen war.
Aber Sieger hatte es im Ragnarök eh keine gegeben.
Und das schienen sie alle gemerkt zu haben, denn seit da hatte es bis auf ein paar kaum nennenswerte Auseinandersetzungen keinen Streit mehr gegeben.
Loki blies nachdenklich Runen aus Rauch in die Luft und starrte in den hellerwerdenden Himmel.
⁂ Næhmachinery
Premonitions in the rising wind; tonight the stars will fall.
The world in a cyclone, pouring out.
No escape, but hey, who cares? Just go with the flow.
The world in a cyclone, pouring out.
No escape, but hey, who cares? Just go with the flow.