Achtung, Riesenladung! oO;; Ich wusste gar nicht, dass ich vergessen hatte, den ersten Absatz vom neunten kapitel zu posten. Hups! xD
BTW: "Das Chaos" hat genau exakt auf den Punkt hundert Seiten, als ich dies poste. :3 *cola und kekse verteil* x3
Kapitel 9:
Gäa
Tuomas hasste sich selbst abgrundtief, als er mit zwei Fingern in die Zigarettenschachtel in seiner Hosentasche glitt und nur noch eine einzige Kippe ertastete. Er zog sie mit verzogenem, Gesicht hervor, drehte sie langsam zwischen den Fingern und sinnierte ein bisschen. „Scheiß drauf“, sagte er dann, schob sich die Zigarette zwischen die Lippen und hob den rechten Finger an die Spitze, entzündete eine kleine Flamme im Sicht- und Windschutz der anderen Hand und inhalierte tief.
Vanessa hatte ihn beobachtet. Dann sah sie wieder auf ihre Füße hinab. „Wohin genau gehen wir eigentlich?“, fragte sie.
„Ich weiß es selbst nicht so genau“, sagte Tuomas und sah zu Mane und Sirius, die ein paar Schritte vor ihnen gingen und sich vehement anschwiegen, als ob sie jedem beweisen wollten, dass sie nichts miteinander zu tun hatten. Fakt war, dass beide sich darin einig waren, dass Gäa und Sol sich wohl voneinander verabschieden sollten, aber da kannten sie Tuomas schlecht.
Er seufzte, inhalierte und blies den Rauch durch die Nase. Vanessa ging schweigend neben ihm. Sie hatten die City vor einer Weile hinter sich gelassen und schlenderten jetzt die weniger belebten Straßen entlang. Erst, als sie an einem kleinen Café vorbeikamen, veränderte sich Tuomas’ Gesichtsausdruck von lethargisch und distanziert zu nahezu sehnsüchtig und verzweifelt. Vanessa bemerkte das, trabte vor zu Sirius und Mane, hakte sich in der Mitte von ihnen ein und redete kurz mit ihnen. Ehe Tuomas auch nur andeutungsweise eifersüchtig werden konnte, war sie schon wieder bei ihm und schmuste sich an seinen Arm.
„Lass uns einen Kaffee trinken gehen, Tuomas“, schnurrte sie. Tuomas ließ sich zu einem kurzen, dankbaren Lächeln hinreißen, ehe er wieder eine mürrische Miene zog.
„Wenn du meinen Arm dann loslässt und aufhörst, mir das Blut abzudrücken...“
„Kein Problem. Aber zu bezahlst, ich hab nix Bares bei mir.“ Ehe Tuomas noch etwas erwidern konnte, zog Vanessa ihn am Arm mit sich und Tuomas konnte sich nur, als er ihr hinterherstolperte, nach Sirius und Mane umdrehen, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite standen und ihm ohne größere Gefühlsregung nachsahen. Sirius hatte seine schmale, stilvolle Sonnenbrille wieder aufgesetzt und die Hände in den Hosentaschen seiner Anzughose vergraben. Er sah gut und sportlich wie immer aus, und Mane neben ihm wirkte unglaublich deplaziert mit seinem ausgewaschenem Anzug, der Kragenklammer und, wie immer, dem Geigenkasten in der Hand.
Dann fiel die Tür des Cafés hinter ihm zu und Vanessa schob und zerrte ihn zu einem kleinen Tisch mit zwei Stühlen, drückte ihn auf einen davon und setzte sich ihm gegenüber. Sie lächelte ihn an, und Tuomas klopfte etwas planlos seine Asche in den kleinen, schwarzen Aschenbecher vor ihm.
„Bonjour, Madame et Monsieur“, sagte eine junge Kellnerin, die ihnen die Karten hinhielt.
„Einen doppelten Espresso“, murmelte Tuomas, ohne sie auch nur anzusehen.
Die Kellnerin sah etwas verwirrt aus, dann nickte sie. „Und die Dame?“
„Einen Milchkaffee mit viel Schaum“, sagte Vanessa mit einem Lächeln, als wollte sie selbst die Kellnerin verführen. Mit etwas eigenartigem Blick entfernte sich die junge Frau wieder und ließ Tuomas und Vanessa allein.
Tuomas rauchte still und sah an Vanessa vorbei, bis sie schließlich die Initiative ergriff und nach seiner Hand griff. Ihre Haut war warm und weich und angenehm, doch er sah sie nur kurz an, blickte dann wieder weg, aber er ließ ihre Hand, wo sie war.
Sie sprachen nicht, bis ihre Kaffees kamen und Tuomas mit einer Hand die Zigarette ausdrückte und denn mit der anderen, eine oft ausgeführte und einstudierte Bewegung, Zucker in seine Tasse schüttete. Vanessa löffelte eifrig den Schaum von ihrem Kaffee. Ein Blick durch die verdunkelte Türe des Cafés sagte Tuomas, dass Mane und Sirius noch immer auf der anderen Straßenseite warteten.
„Nun“, sagte Tuomas nach einer Weile. „Was hat Mane dir so gesagt?“
Vanessa zuckte die Schultern. „So ziemlich... alles“, sagte sie und leckte sich mit der Zungenspitze einen weißen Schaumbart von der Oberlippe. Tuomas schlug den Blick nieder auf seine Tasse, in dem er den Zucker verrührte.
„Und... was denkst du so?“, meinte er nach einer Weile. Er war sich nicht sicher, aber Vanessas Ruhe war ihm gespenstig.
Vanessa zuckte leicht mit den Schultern. „Er hat mir... dieses Lied wieder vorgespielt. Ich weiß nicht, aber irgendetwas ist daran eigenartig. Ich kenne es, und könnte mir nicht erklären, woher. Daher glaube ich ihm.“ Ihr Blick wanderte zu Tuomas’ Augen. „Es sind zu viele komische Dinge in letzter Zeit passiert, als dass ich eine andere Erklärung dafür finden könnte. Deine Augen, Sirius’ Augen, Lucifers Auftauchen, das Lied, diese... Dinge, die ich auslöse.“
„Du bist sehr ruhig“, stellte Tuomas leise fest.
„Was soll ich tun? Hysterisch herumrennen und Dinge in die Luft jagen, bis man mich wegsperrt?“ Vanessa grinste. Tuomas überlegte und kam zu dem Ergebnis, dass wahrscheinlich nichts besser zu Vanessa passte als diese seltsame, ausgeglichene Ruhe.
„Mane sagte auch, dass wir mal ein Paar waren, du und ich.“ Vanessa beugte sich ein wenig über den Tisch.
Tuomas nickte langsam und trank einen Schluck. „Ja, so ist das wohl gewesen.“
„Und er hat gesagt, du hättest nicht gewollt, dass ich mich in all diese Angelegenheiten einmische.“
Tuomas nickte nur stumm.
„Und er hat gesagt, dass du ihm befohlen hättest, immer auf mich aufzupassen.“
Wieder konnte Tuomas nur nicken und trank einen Schluck.
„Mit anderen Worten: Du hast dich verpisst, den Ruhm eingesackt und mich sitzen gelassen.“
Tuomas wollte gerade nicken, da traf ihn Vanessas Hand schmerzhaft auf der linken Wange, sodass ihm der Kopf zur rechten Seite flog und er beinahe seinen Kaffee wieder ausgespuckt hätte.
„Wichser. Mach das nie wieder, verstanden?!“ Vanessa knurrte und setzte sich wieder ordentlich hin, trank einen Schluck. Tuomas sah sie verwirrt an und rieb sich seine pochende Wange. Hinter der Theke tuschelten zwei Kellnerinnen miteinander. Tuomas ignorierte sie, aber seine Wange tat wirklich weh. Kaum zu glauben, wie viel Kraft dieses kleine Ding da vor ihm hatte. Andererseits, dachte er, hatte sie wahrscheinlich schon einige Männer geohrfeigt.
„Eigentlich“, sagte er ein bisschen beleidigt, wie er feststellte, „hatte ich nicht vor, dich in die ganze Angeleg-...“
„Fick dich, Tuomas! Vergiss es! Schmink’s dir ab! No way!“ Vanessa sah richtig empört aus und er erinnerte sie leise daran, dass sie in einem öffentlichen Café saßen. Sie atmete einmal tief durch. „Keine Chance, Schatz, das ziehen wir jetzt zusammen durch“, sagte sie dann und war von einem Augenblick wieder die verschmuste, zärtliche und liebende Vanessa, an die er sich so mehr oder weniger gewöhnt hatte.
„Schatz...?“ Tuomas war überfordert, deswegen trank er schnell seinen Kaffee aus, tastete seine Taschen ab und fand noch ein paar Geldscheine, die er auf seinen Unterteller legte und Vanessa dann anwies, ihm zu folgen. „Da werden wir noch mal drüber reden, denke ich“, sagte er. „Und die Zeit zum Schwatzen bleibt echt nicht. Komm schon.“
Kaum, dass sie wieder draußen und zu Mane und Sirius getreten waren, fuhr Tuomas’ Hand wieder in seine Tasche, aber da war wirklich keine Zigarette mehr. Resignierend ließ er die Hand sinken und meinte dann: „Also, wie sehen die direkten Pläne zur Weltrettung aus?“
Mane und Sirius wechselten einen Blick, der stark nach „Ich hab keinen Plan, du?“ – „Nein, auch nicht“ aussah. Dann zog Sirius langsam die Schultern nach oben.
„Ich denke“, sagte er, „wir beide machen uns auf den Weg zum Siegel.“
Kurze Pause. Dann meine Tuomas: „Das war’s?“
„So ziemlich.“ Sirius nickte und rieb nervös die Handflächen aneinander. Besonders motiviert sah er nicht aus.
„Ich komme mit!“, sagte Vanessa.
„Nein“, sagte Tuomas, ohne sie anzublicken.
„Sehr wohl!“
„Wirst du nicht!“
„Du hast mir gar nichts zu sagen!“
„Solange du dich meine Freundin nennst, habe ich das sehr wohl!“ Tuomas knurrte und fuhr sich durch die Haare. „Also, Siegel. Sirius, nur... keine Ahnung, nimmst mich mit oder so? Ich bin zwar schon dort gewesen, aber ich weiß nicht, ob ich das noch mal schaffe...“
Sirius lachte humorlos. „Ich werde es versuchen, ja. Haha. So ein Spaß. Oh Gott, ich will nicht sterben!“
Mane und Tuomas sahen ihn beide äußerst entfremdet und entgeistert an, dann schüttelte Tuomas den Kopf. „Deswegen kommst du brav mit – Angriff ist die beste Verteidigung. Und wer weiß, vielleicht kannst du ja doch mal was sinnvolles anrichten. Und dann liegen dir alle Frauen zu Füßen. Na, hört sich das gut an?“ Er erwartete keine Antwort. Vanessa an seiner Seite schmollte, aber Mane sah sie zärtlich – Tuomas wäre ihm am liebsten an die Gurgel gegangen! – an und meinte:
„Keine Sorge, Vanessa. Sol macht das schließlich nicht zum ersten Mal. Er wird das schon schaff-...“
„Es geht nicht ums Schaffen oder Scheitern!“, sagte Vanessa verzweifelt und griff nach Tuomas’ Hand. „Es geht darum, ob ich an seiner Seite bin oder nicht! Wenn wir ein Paar sind, dann... machen wir doch alles zusammen, oder nicht?!“
„Ich will nicht, dass du dich in Gefahr begibst“, murmelte Tuomas hilflos. „Wenn dir etwas passieren würde...“ Er vollendete seinen Satz nicht.
„Ja! Genau das! Genau so fühle ich auch! Was, wenn dir etwas passiert? Du kannst mich doch nicht hier allein lassen!“ Vanessa klang immer verzweifelter. „Haben sie nicht alle gesagt, ich sei...!“
„Shh“, machte Tuomas und beugte sich für einen kurzen Moment zu ihr herunter und hauchte ihr einen vorsichtigen Kuss auf die Lippen. „Du bleibst bei Mane. Es ist sicherer so.“ Und dann kippte seine Welt, auch wenn er nicht wusste, wie er es geschafft hatte, und alles wurde dunkel.
„Aber Tuomas, i-...“ Vanessa brach mittendrin ab. Ihre Hand fasste in die Leere. Tuomas war fort. „Was zum!“
„Was zum“, murmelte auch Sirius und sah sich um. „Hat er es von alleine geschafft?“
„Was geschafft?!“ Vanessas Stimme war schrill.
„Den Weg zum Siegel.“
„Was? Ich will auch hin!“
„Du bleibst brav hier.“ Sirius sah nervös aus. „Du bleibst schön brav hier. Ich, uh... Ich melde mich bei euch, oder so.“ Und dann war er auch verschwunden, einfach so, mitten auf der Straße. Nichts blieb außer der Erinnerung, dass sie eben beide noch hier gestanden hatten.
Vanessa fing an zu schluchzen. Mane legte langsam einen Arm um sie, und Vanessa lehnte sich an ihn und weinte vor lauter Angst um Tuomas.
Ohne die Siegeltür war das Nichts nur noch Endlosigkeit ohne Fokus. Tuomas spürte, dass sich jedes Haar auf seinem Körper aufrichtete. Angefangen bei seinen Handgelenken über die Unter- und Oberarme, über die Schultern zum Nacken hinauf und den Rücken hinab.
Er erzitterte.
Trümmer lagen auf dem Boden und Tuomas stellte mit gelinde angeekeltem Gesichtsausdruck fest, dass er auf irgendwelchen abgetrennten Körperteilen stand. Er machte einen Schritt zur Seite, ohne genauer hinzusehen, auf was genau er gestanden hatte.
Hinter ihm materialisierte sich Sirius. Als Tuomas ihn wahrnahm, lachte er humorlos. „Wie siehst du denn aus?“
Sirius runzelte die Stirn. Seine Haare waren, wie eigentlich für ihn üblich, hüftlang und glatt wie ein Seidenvorhang. Kettenglieder klirrten um seinen Hals und seine Handgelenke, schwarze Verzierungen waren auf seine linke Wange gezeichnet. „Als ob dir mein eigentliches Erscheinungsbild neu wäre“, sagte er. Dann machte er einen Schritt auf Tuomas zu, packte ihn nicht gerade sanft und zog ihm den linken Ärmel des schwarzen T-Shirts hoch.
„Hey, was...“ Tuomas verstummte. Auf seiner linkten Schulter prangte ein kleines Zeichen; ein Kreis mit einem kleineren Kreis darin. Schlicht, klein und schwarz war Sols Kennzeichen, aber es verschlug Tuomas die Sprache.
„Das wäre dann der letzte Beweis, dass du es bist“, sagte Sirius grimmig. „Hier tragt ihr alle eure Zeichen, du und Gäa und Lucifer und alle anderen der höheren Rangordnung.“
„Ist das gut?“, fragte Tuomas und rieb sich mit einer Hand über die Schulter.
„Es verringert unsere Chancen zumindest nicht“, murmelte Sirius und sah sich dann um. „Wir sind zu spät.“
„Ja, das dachte ich mir.“ Tuomas sah hinab auf das Trümmerfeld, in dem sie standen. Irgendwo links neben ihnen zuckte ein Körper, aber sie sahen beide nicht hin. Die Brocken der Siegeltüre waren riesig und reichten Tuomas ohne weiteres bis an die Hüfte. Sie waren aus schwarzem Material, das Tuomas nicht kannte, und schienen in der Dunkelheit leicht zu glänzen.
„Ich hatte mir etwas mehr Action erhofft“, sagte Tuomas trocken, als nichts passierte. „Wenigstens ein Erdbeben oder so... Aber hier tut sich ja nichts!“
„Freu dich nicht zu früh.“ Sirius war unruhig und blickte immer wieder umher, als befürchtete er, gleich von jemandem – oder etwas – angefallen zu werden. „Das wird schon noch kommen.“
„Wir warten also sozusagen auf den Weltuntergang?“ Tuomas seufzte und setzte sich auf einen Trümmerhaufen, zog die Beine an und suchte aus Gewohnheit seine Taschen nach Zigaretten ab, fand aber keine. Zähneknirschend legte er die Arme auf die Knie und sah wieder zu Sirius.
„Mir gefällt das nicht“, sagte er. „Ganz und gar nicht. Es ist zu... ruhig.“
„Darf ich dich daran erinnern, dass das hier das Nichts ist?“ Tuomas schüttelte den Kopf. „Was soll schon passieren? Vielleicht ist das Chaos ja in einer... anderen Dimensionsebene oder so rausgekommen? Ich hab wenig Ahnung von Physik, na ja.“
„Mit Physik hat das hier auch nicht mehr viel zu tun. Das ist etwas, was die Menschen nicht begreifen können, und wenn doch, werden sie als verrückt abgestempelt.“
„Das erste mal in meinem Leben habe ich das Gefühl, mit dir einer Meinung zu sein“, sagte Tuomas gelinde überrascht.
Sirius warf ihm einen strafenden Blick zu und fuhr sich dann mit beiden Händen über die langen Haare. „Mir gefällt das nicht“, sagte er wieder. „Wir sollten vielleicht zurück. Wenn wir wirklich so spät sind, dass es nicht einmal hier ist...“
Tuomas hörte ihm nicht weiter zu, als er lamentierte und jammerte. Er brauchte Sirius für den entscheidenden Startschubs, denn nur Sirius war in der Lage, Tuomas einen gelinden Übersicht über die Situation zu verschaffen.
Aber im Kampf wäre er allein, das wusste er. Allein gegen die ultimative Zerstörung.
Etwas zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Schwarze Schatten schlichen um seine Füße herum und nahm ihm zwischenzeitlich sogar die Sicht auf ebenjene. Viel beunruhigender war allerdings, dass er, sobald seine Füße in der Schwärze verwanden, sie nicht mehr spüren konnte. Es war, als wäre alles unterhalb des Knies eingeschlafen. Etwas beunruhigt bewegte er die Zehen, aber er spürte nichts. Er war sich nicht einmal sicher, ob er überhaupt noch Zehen besaß. Und wenn ja, wie man sie bewegte.
Er folgte den Schlieren mit den Augen, während Sirius ein paar Schritt weiter nervös im Kreis ging und noch immer am reden war. Er schien den schwarzen Nebel auf dem Boden nicht bemerkt zu haben, und auch nicht, dass er sich immer weiter verdichtete, bis man ihn beinahe anfassen konnte, in die Höhe wuchs und Gestalt annahm...
„Vorsicht!!“, schrie Tuomas, stieß sich von dem Stein ab, auf dem er saß und schleuderte Sirius mit einem Luftstoß hart zu Boden, kurz bevor er selbst das Gleichgewicht verlor, da er seine Füße nach wie vor nicht spürte.
Er sah, dass er genau in den Nebel fallen würde, und wenn das, was mit seinen Füßen passiert war, sich auf den ganzen Körper ausbreiten sollte, wäre er wohl die längste zeit seines Lebens Tuomas Valentin gewesen.
Er drehte sich im Fall und schlang die Arme um den Oberkörper. Als er auf den Boden aufprallte, hüllte er sich in einen Luftschild. Die Schatten wurden aufgewirbelt und stoben in alle Richtungen davon, nun nicht mehr so dicht wie vorher. Im Schutze seines Schildes, das man nur daran erahnen konnte, weil die Schatten davon abprallten, stolperte Tuomas zu Sirius, der noch immer irgendwo im Dunkeln lag, was sich als nicht so einfach gestaltete, da seine Beine noch immer taub waren und er mehr fiel als lief. Aber jetzt spürte er sie wieder, spürte sie, als hätten sie ein Eiswasser gelegen. Sie stachen und brannten, aber Tuomas biss die Zähne zusammen und langte mit einem Arm in die fast undurchdringbare Dunkelheit.
Er bekam einen kalten Körper zu fassen und zog Sirius an was auch immer er ihn festhielt in die Höhe und hinein in seinen Schutzschild. „Komm zu dir!“, sagte er etwas panisch, als er Sirius in beiden Armen festhielt, aber keine Reaktion auf ihn zeigte. Seine hellen, grauen Augen mit der kleinen, stechendschwarzen Pupille darin waren verdreht. Sein Körper war kalt und steif, als sei er schon seit einigen Stunden tot. „Scheiße, Mann! Lass den Mist!“ Tuomas ohrfeigte Sirius ein paar Mal ordentlich auf beide Wangen, bis endlich das Leben zurück in ihn gefunden hatte.
Sirius gab ein wenig intelligentes Geräusch von sich und packte sich dann an den Kopf. Er zitterte am ganzen Körper. Seine Lippen waren blau, schwarze Schleier huschten sichtbar über seine Augen. „Was...“
Tuomas ohrfeigte ihn ungefragt noch ein paar mal. Diesmal kam seine Nachricht wohl besser an, denn Sirius konnte sich aus seinen Armen reißen und spürte wohl auch wieder Schmerz, denn er fluchte ziemlich unhöflich und hielt sich die Wangen fest.
„Geht’s wieder?“, fragte Tuomas etwas unbeholfen. „Scheiße, jag mir niemals wieder so einen Schreck ein! Ich dachte schon, jetzt wär ich vollkommen allein!“
Sirius sah ihn einen Moment lang verwirrt an, dann wurde er endlich ihrer Umgebung gewahr. Schwarze Schatten kratzten an Tuomas wabernden Schutzkreis, der unter dem Druck der Schattenarme, die nach ihnen griffen, beunruhigend flackerte.
Sirius begann wieder zu zittern. „Wir... sollten hier schleunigst weg. Lass uns zurück zur Erde, und uns noch einmal beraten, wir...“ Er brach ab, als er Tuomas sah.
Der schüttelte nur den Kopf. „Ich hab hier was zu erledigen“, sagte er. „Ich kann jetzt nicht mehr gehen. Ich verlange nicht von dir, dass du bleibst und mit mir kämpfst. Aber du musst mir wenigstens sagen, was ich tun muss.“
Sirius sah verzweifelt aus. „Ich... ich war nicht dabei, als das Chaos damals versiegelt wurde.“ Er zuckte zusammen, als für einen kurzen Moment die Schattenarme die Überhand zu gewinnen schienen und nur für die Dauer eines Wimpernschlages durch die unsichtbare Wand brachen, die sie schütze, aber Tuomas zuckte nicht einmal mit dem Lid, und die Barriere hatte sich wieder stabilisiert.
Er war vollkommen ruhig. Zwar etwas bleicher als sonst und die Haare auf seinen Armen hatten sich aufgerichtet, aber ansonsten schein er von allem um ihn herum recht wenig angetan. Er passte nicht hierher, weniger noch als Sirius, der mit den fast hüftlangen Haaren und den Eisenketten um die Gelenke und dem perfekt sitzenden Herrenanzug recht skurril wirkte.
Tuomas stand da, mit seinen ausgetragenen und nur lose geschnürten Schuhen, das blassschwarze, ausgetragene T-Shirt in die zerschlissene graue Jeans mit den geraden Beinen gesteckt, den schwarzen Ledergürtel im dritten Loch, die Fingernägel zum Gitarrespielen rechts lang, links kurz und die Fingerspitzen vom ewigen Rauchen schon gelblich verfärbt. Seine Lippen waren schmal und bleich, die Haare lang und glatt. Seine Arme lagen ruhig neben den Oberschenkeln an, das Gewicht hatte er auf den rechten Fuß gestützt. Er hätte genauso gut an einer Straßenbahnhaltestelle stehen und warten können.
Er war zu... normal für diesen Ort.
Allein seine Augen verrieten, dass er zu Höherem bestimmt war als Gebäude für Geld in Brand zu setzen. Ungetrübt starrten sie Sirius fest an und blinzelten nur selten.
Sirius zuckte wieder zusammen, als die Schatten versuchten, zu ihnen durchzukommen. Tuomas ignorierte das vollkommen. „Ich höre“, sagte er. „Irgendwas wirst du mir ja wohl sagen können. Und an deiner Stelle würde ich mich damit beeilen, ich merke genau, dass ich den Luftschild nicht mehr lange so problemlos aufrechterhalten kann, und die Schatten da draußen werden immer dichter.“
„Sol, hör mir zu. Ich kann dir hierbei nicht helfen. Lucifer hatte Recht mit all seinen Anschuldigungen – dass ich in der Rangliste so weit oben stehe, habe ich meiner Arschkriecherei zu verdanken und dem Glück, dass man mich in der Regel mag, aber ich habe keinem von euch etwas entgegenzusetzen. Alles, was ich für dich tun kann, ist dich herbringen, so lange du es noch nicht selbst kannst – und selbst das erledigst du mittlerweile von selbst.“
Tuomas starrte ihn an und zog langsam die Stirn kraus. Sirius entgegnete seinem Blick unbeweglich.
Irgendwann gab Tuomas nach. „Mach, dass du weg kommst“, sagte er. „Ich will dich nicht auch noch unnötig gefährden. Pass... pass auf Vanessa auf, solange ich nicht da bin.“
Sirius lächelte bitter. „Den Satz hast du schon einmal zu mir gesagt, vor sehr langer Zeit.“ Er zögerte einen Moment. Dann machte er einen Schritt und packte Tuomas an der Schulter. „Lass uns nicht hängen, Sol. Unser aller Leben liegt auf deinen Schultern.“
„Ein guter Grund für dich, ebenjene jetzt loszulassen und nicht noch zu zertrümmern.“ Tuomas löste Sirius’ Hand. „Hau ab, hier wird’s jetzt nämlich brenzlig.“
Sirius nickte und verschwand. Er hinterließ nichts außer einem schwachen Luftzug. Es war das letzte Mal, dass Tuomas ihn sah.
Tuomas keuchte, sein Luftschutzschild zertrümmerte. Es war höllisch anstrengend gewesen, vor Sirius keine Schwäche zu zeigen. Er sackte in die Knie und konnte gerade noch tief Luft holen, ehe er in das Meer aus schwarzen Schatten eintauchte, das mittlerweile allgegenwärtig war.
Er verlor den Boden unter den Füßen, überschlug sich und prallte, ehe er sich wirklich erschrecken konnte, hart auf eine Wiese.
Verwirrt starrte er in den blauen Himmel über sich. Er spürte grünes Gras zwischen seinen Fingern. Er rupfte ein paar Halme aus und sah sie skeptisch sie an, roch daran. Definitiv Gras.
Er blickte sich um. Weit hinten am Horizont konnte er weiße Berge sehen und einen im Licht schimmernden See. Keine Wolke war am hellblauen Himmel zu sehen. Unweit von ihm standen drei Bäume auf einem kleinen Hügel. Alles wirkte wie gemalt und seltsam unwirklich. Die Luft flimmerte wie an einem heißen Somemrtag.
„Was zur Hölle...“ Tuomas kam wieder auf die Beine und klopfte sich die Kleidung ab.
Dann erstarrte er.
Bei den drei Bäumen stand eine Gestalt. Selbst auf die Entfernung konnte Tuomas jedes Detail erkennen, als stünde sie direkt vor ihm.
Das Chaos war fast zwei Meter groß und seine Haut war weiß wie Porzellan, ebenso sein Haar, dass sich irgendwo auf Hüfthöhe im Nichts verlor und einfach... verschwand. Es trug eine schwarze Rüstung, deren Material Tuomas nicht sofort identifizieren konnte. Seine Hände steckten in krallenartigen Handschuhen passend zur Rüstung, die Stiefel liefen spitz zu. Nur an den Gelenken von Hals, Kniekehlen, Schritt und Armen blitzt unter der schwarzen Rüstung roter Stoff – wenn es denn Stoff war – hervor. Es hatte einen schwarzen Einhänder, dessen Klinge das Licht einfach zu verschlucken schien, vor sich in den Boden gerammt. Das Gras darum herum dörrte zusehends aus.
Das Urchaos trug eine schwarze Augenbinde über dem weißen Gesicht und grinste ihm entgegen.
Tuomas machte einen Schritt zurück, als es sein Schwert aus der Erde zog und langsam auf ihn zuschritt. Unter seinen Füßen starben alle Pflanzen augenblicklich ab. Es hatte menschliche Züge, auch wenn jedwede Menschlichkeit bei ihm vergebens gesucht war. Doch es hatte eine Nase, Lippen, Arme und Beine und unter dem schwarzen Tuch, das sich über seine Augenhöhen zog, mochte wohl auch ein Augenpaar verborgen liegen.
DIES IST, WAS ER WILL, sagte es, als es sich Tuomas auf fast fünf Meter genähert hatte. WIR WERDEN UNS NICHT WIEDER EINSPERREN LASSEN. WIR SIND DAS URCHAOS. WIR SIND URSPRUNG ALLER WELTEN UND UNTERGANG EBENJENER. WIR SIND ANFANG UND ENDE, WIR SIND ALLGEGENWÄRTIG. WIR SOLLTEN NICHT IN FESSELN LIEGEN!
„Da bin ich aber anderer Meinung“, sagte Tuomas langsam und betrachtete alarmbereit, wie das Chaos die Hände hob und die Augenbinde um seinen Kopf ablöste. Das schwarze Tuch segelte unbeachtet zu Boden und Tuomas konnte die weißen Wimpern des Chaos sehen, jede einzelne davon, als blickte er durch eine Lupe. Generell schienen seine Sinne verrückt zu spielen, so glaubte er, auf dem linken Ohr nichts mehr zu hören, und seine Zunge fühlte sich pelzig und taub an, er vernahm den schweren Eisengeschmack von Blut. Er bekam Kopfschmerzen, wenn er das Chaos vor sich zu lange ansah, und sein Magen krampfte sich quälend zusammen.
Alles an der Gestalt ihm gegenüber wirkte so hübsch und androgyn, von den feinen Gesichtszügen zu den langen Wimpern, nur seine Stimme war dunkel und bedrohlich, wie die Ruhe vor dem Sturm.
Das Chaos öffnete seine Augen.
Der Himmel wurde wie im Zeitraffer von strahlendblau zu blutrot. Wolken zogen auf und ließen den Himmel aussehen wie eine Decke, die mit Tapete überzogen war, die sich ablöste und es nur eine Frage der Zeit war, bis sie zu Boden fiel. Wind kam auf und rauschte in den Blättern der Bäume, das Gras unter Tuomas’ Füßen wippte.
Die Augen des Chaos schienen ihn zu verschlingen und mit sich zu reißen. Es hatte keine Pupille und keine Iris. Seine Augäpfel waren das All. Ob es nun Irrglaube oder Wirklichkeit war, doch in seinen Augen funkelten Sterne, gingen Universen auf und verschwanden wieder. Man konnte dem zusehen, doch Tuomas wagte nicht, das zu lange zu tun. Mit höchster Konzentration lenkte er seinen Blick auf eine Stelle links neben dem Ohr des Chaos.
Das Chaos zog wieder sein Schwert. Aus der Nähe konnte Tuomas ganz deutlich erkennen, dass er mit dieser Waffe lieber keine Bekanntschaft machen wollte. Er konnte sehen, wie die Klinge aus Schatten langsam alles Licht aufnahmen.
VON IHM, WÄCHTER, HÄNGT ZERFALL ODER INKARNATION AB. Das Chaos sah ihn an. Tuomas spürte, dass sein Herz einen Moment lang aussetzte, dann riss er sich zusammen und machte sich darauf bereit, sich zu verteidigen. Wie auch immer er das tun würde – darüber würde er sich Gedanken machen, wenn es so weit war.
DIES IST SEIN ENDE, sagte das Chaos. UND UNSER ANFANG.
Es hob die Klinge.
~
Cliffhanger.
W.f.
BTW: "Das Chaos" hat genau exakt auf den Punkt hundert Seiten, als ich dies poste. :3 *cola und kekse verteil* x3
Kapitel 9:
Gäa
Tuomas hasste sich selbst abgrundtief, als er mit zwei Fingern in die Zigarettenschachtel in seiner Hosentasche glitt und nur noch eine einzige Kippe ertastete. Er zog sie mit verzogenem, Gesicht hervor, drehte sie langsam zwischen den Fingern und sinnierte ein bisschen. „Scheiß drauf“, sagte er dann, schob sich die Zigarette zwischen die Lippen und hob den rechten Finger an die Spitze, entzündete eine kleine Flamme im Sicht- und Windschutz der anderen Hand und inhalierte tief.
Vanessa hatte ihn beobachtet. Dann sah sie wieder auf ihre Füße hinab. „Wohin genau gehen wir eigentlich?“, fragte sie.
„Ich weiß es selbst nicht so genau“, sagte Tuomas und sah zu Mane und Sirius, die ein paar Schritte vor ihnen gingen und sich vehement anschwiegen, als ob sie jedem beweisen wollten, dass sie nichts miteinander zu tun hatten. Fakt war, dass beide sich darin einig waren, dass Gäa und Sol sich wohl voneinander verabschieden sollten, aber da kannten sie Tuomas schlecht.
Er seufzte, inhalierte und blies den Rauch durch die Nase. Vanessa ging schweigend neben ihm. Sie hatten die City vor einer Weile hinter sich gelassen und schlenderten jetzt die weniger belebten Straßen entlang. Erst, als sie an einem kleinen Café vorbeikamen, veränderte sich Tuomas’ Gesichtsausdruck von lethargisch und distanziert zu nahezu sehnsüchtig und verzweifelt. Vanessa bemerkte das, trabte vor zu Sirius und Mane, hakte sich in der Mitte von ihnen ein und redete kurz mit ihnen. Ehe Tuomas auch nur andeutungsweise eifersüchtig werden konnte, war sie schon wieder bei ihm und schmuste sich an seinen Arm.
„Lass uns einen Kaffee trinken gehen, Tuomas“, schnurrte sie. Tuomas ließ sich zu einem kurzen, dankbaren Lächeln hinreißen, ehe er wieder eine mürrische Miene zog.
„Wenn du meinen Arm dann loslässt und aufhörst, mir das Blut abzudrücken...“
„Kein Problem. Aber zu bezahlst, ich hab nix Bares bei mir.“ Ehe Tuomas noch etwas erwidern konnte, zog Vanessa ihn am Arm mit sich und Tuomas konnte sich nur, als er ihr hinterherstolperte, nach Sirius und Mane umdrehen, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite standen und ihm ohne größere Gefühlsregung nachsahen. Sirius hatte seine schmale, stilvolle Sonnenbrille wieder aufgesetzt und die Hände in den Hosentaschen seiner Anzughose vergraben. Er sah gut und sportlich wie immer aus, und Mane neben ihm wirkte unglaublich deplaziert mit seinem ausgewaschenem Anzug, der Kragenklammer und, wie immer, dem Geigenkasten in der Hand.
Dann fiel die Tür des Cafés hinter ihm zu und Vanessa schob und zerrte ihn zu einem kleinen Tisch mit zwei Stühlen, drückte ihn auf einen davon und setzte sich ihm gegenüber. Sie lächelte ihn an, und Tuomas klopfte etwas planlos seine Asche in den kleinen, schwarzen Aschenbecher vor ihm.
„Bonjour, Madame et Monsieur“, sagte eine junge Kellnerin, die ihnen die Karten hinhielt.
„Einen doppelten Espresso“, murmelte Tuomas, ohne sie auch nur anzusehen.
Die Kellnerin sah etwas verwirrt aus, dann nickte sie. „Und die Dame?“
„Einen Milchkaffee mit viel Schaum“, sagte Vanessa mit einem Lächeln, als wollte sie selbst die Kellnerin verführen. Mit etwas eigenartigem Blick entfernte sich die junge Frau wieder und ließ Tuomas und Vanessa allein.
Tuomas rauchte still und sah an Vanessa vorbei, bis sie schließlich die Initiative ergriff und nach seiner Hand griff. Ihre Haut war warm und weich und angenehm, doch er sah sie nur kurz an, blickte dann wieder weg, aber er ließ ihre Hand, wo sie war.
Sie sprachen nicht, bis ihre Kaffees kamen und Tuomas mit einer Hand die Zigarette ausdrückte und denn mit der anderen, eine oft ausgeführte und einstudierte Bewegung, Zucker in seine Tasse schüttete. Vanessa löffelte eifrig den Schaum von ihrem Kaffee. Ein Blick durch die verdunkelte Türe des Cafés sagte Tuomas, dass Mane und Sirius noch immer auf der anderen Straßenseite warteten.
„Nun“, sagte Tuomas nach einer Weile. „Was hat Mane dir so gesagt?“
Vanessa zuckte die Schultern. „So ziemlich... alles“, sagte sie und leckte sich mit der Zungenspitze einen weißen Schaumbart von der Oberlippe. Tuomas schlug den Blick nieder auf seine Tasse, in dem er den Zucker verrührte.
„Und... was denkst du so?“, meinte er nach einer Weile. Er war sich nicht sicher, aber Vanessas Ruhe war ihm gespenstig.
Vanessa zuckte leicht mit den Schultern. „Er hat mir... dieses Lied wieder vorgespielt. Ich weiß nicht, aber irgendetwas ist daran eigenartig. Ich kenne es, und könnte mir nicht erklären, woher. Daher glaube ich ihm.“ Ihr Blick wanderte zu Tuomas’ Augen. „Es sind zu viele komische Dinge in letzter Zeit passiert, als dass ich eine andere Erklärung dafür finden könnte. Deine Augen, Sirius’ Augen, Lucifers Auftauchen, das Lied, diese... Dinge, die ich auslöse.“
„Du bist sehr ruhig“, stellte Tuomas leise fest.
„Was soll ich tun? Hysterisch herumrennen und Dinge in die Luft jagen, bis man mich wegsperrt?“ Vanessa grinste. Tuomas überlegte und kam zu dem Ergebnis, dass wahrscheinlich nichts besser zu Vanessa passte als diese seltsame, ausgeglichene Ruhe.
„Mane sagte auch, dass wir mal ein Paar waren, du und ich.“ Vanessa beugte sich ein wenig über den Tisch.
Tuomas nickte langsam und trank einen Schluck. „Ja, so ist das wohl gewesen.“
„Und er hat gesagt, du hättest nicht gewollt, dass ich mich in all diese Angelegenheiten einmische.“
Tuomas nickte nur stumm.
„Und er hat gesagt, dass du ihm befohlen hättest, immer auf mich aufzupassen.“
Wieder konnte Tuomas nur nicken und trank einen Schluck.
„Mit anderen Worten: Du hast dich verpisst, den Ruhm eingesackt und mich sitzen gelassen.“
Tuomas wollte gerade nicken, da traf ihn Vanessas Hand schmerzhaft auf der linken Wange, sodass ihm der Kopf zur rechten Seite flog und er beinahe seinen Kaffee wieder ausgespuckt hätte.
„Wichser. Mach das nie wieder, verstanden?!“ Vanessa knurrte und setzte sich wieder ordentlich hin, trank einen Schluck. Tuomas sah sie verwirrt an und rieb sich seine pochende Wange. Hinter der Theke tuschelten zwei Kellnerinnen miteinander. Tuomas ignorierte sie, aber seine Wange tat wirklich weh. Kaum zu glauben, wie viel Kraft dieses kleine Ding da vor ihm hatte. Andererseits, dachte er, hatte sie wahrscheinlich schon einige Männer geohrfeigt.
„Eigentlich“, sagte er ein bisschen beleidigt, wie er feststellte, „hatte ich nicht vor, dich in die ganze Angeleg-...“
„Fick dich, Tuomas! Vergiss es! Schmink’s dir ab! No way!“ Vanessa sah richtig empört aus und er erinnerte sie leise daran, dass sie in einem öffentlichen Café saßen. Sie atmete einmal tief durch. „Keine Chance, Schatz, das ziehen wir jetzt zusammen durch“, sagte sie dann und war von einem Augenblick wieder die verschmuste, zärtliche und liebende Vanessa, an die er sich so mehr oder weniger gewöhnt hatte.
„Schatz...?“ Tuomas war überfordert, deswegen trank er schnell seinen Kaffee aus, tastete seine Taschen ab und fand noch ein paar Geldscheine, die er auf seinen Unterteller legte und Vanessa dann anwies, ihm zu folgen. „Da werden wir noch mal drüber reden, denke ich“, sagte er. „Und die Zeit zum Schwatzen bleibt echt nicht. Komm schon.“
Kaum, dass sie wieder draußen und zu Mane und Sirius getreten waren, fuhr Tuomas’ Hand wieder in seine Tasche, aber da war wirklich keine Zigarette mehr. Resignierend ließ er die Hand sinken und meinte dann: „Also, wie sehen die direkten Pläne zur Weltrettung aus?“
Mane und Sirius wechselten einen Blick, der stark nach „Ich hab keinen Plan, du?“ – „Nein, auch nicht“ aussah. Dann zog Sirius langsam die Schultern nach oben.
„Ich denke“, sagte er, „wir beide machen uns auf den Weg zum Siegel.“
Kurze Pause. Dann meine Tuomas: „Das war’s?“
„So ziemlich.“ Sirius nickte und rieb nervös die Handflächen aneinander. Besonders motiviert sah er nicht aus.
„Ich komme mit!“, sagte Vanessa.
„Nein“, sagte Tuomas, ohne sie anzublicken.
„Sehr wohl!“
„Wirst du nicht!“
„Du hast mir gar nichts zu sagen!“
„Solange du dich meine Freundin nennst, habe ich das sehr wohl!“ Tuomas knurrte und fuhr sich durch die Haare. „Also, Siegel. Sirius, nur... keine Ahnung, nimmst mich mit oder so? Ich bin zwar schon dort gewesen, aber ich weiß nicht, ob ich das noch mal schaffe...“
Sirius lachte humorlos. „Ich werde es versuchen, ja. Haha. So ein Spaß. Oh Gott, ich will nicht sterben!“
Mane und Tuomas sahen ihn beide äußerst entfremdet und entgeistert an, dann schüttelte Tuomas den Kopf. „Deswegen kommst du brav mit – Angriff ist die beste Verteidigung. Und wer weiß, vielleicht kannst du ja doch mal was sinnvolles anrichten. Und dann liegen dir alle Frauen zu Füßen. Na, hört sich das gut an?“ Er erwartete keine Antwort. Vanessa an seiner Seite schmollte, aber Mane sah sie zärtlich – Tuomas wäre ihm am liebsten an die Gurgel gegangen! – an und meinte:
„Keine Sorge, Vanessa. Sol macht das schließlich nicht zum ersten Mal. Er wird das schon schaff-...“
„Es geht nicht ums Schaffen oder Scheitern!“, sagte Vanessa verzweifelt und griff nach Tuomas’ Hand. „Es geht darum, ob ich an seiner Seite bin oder nicht! Wenn wir ein Paar sind, dann... machen wir doch alles zusammen, oder nicht?!“
„Ich will nicht, dass du dich in Gefahr begibst“, murmelte Tuomas hilflos. „Wenn dir etwas passieren würde...“ Er vollendete seinen Satz nicht.
„Ja! Genau das! Genau so fühle ich auch! Was, wenn dir etwas passiert? Du kannst mich doch nicht hier allein lassen!“ Vanessa klang immer verzweifelter. „Haben sie nicht alle gesagt, ich sei...!“
„Shh“, machte Tuomas und beugte sich für einen kurzen Moment zu ihr herunter und hauchte ihr einen vorsichtigen Kuss auf die Lippen. „Du bleibst bei Mane. Es ist sicherer so.“ Und dann kippte seine Welt, auch wenn er nicht wusste, wie er es geschafft hatte, und alles wurde dunkel.
„Aber Tuomas, i-...“ Vanessa brach mittendrin ab. Ihre Hand fasste in die Leere. Tuomas war fort. „Was zum!“
„Was zum“, murmelte auch Sirius und sah sich um. „Hat er es von alleine geschafft?“
„Was geschafft?!“ Vanessas Stimme war schrill.
„Den Weg zum Siegel.“
„Was? Ich will auch hin!“
„Du bleibst brav hier.“ Sirius sah nervös aus. „Du bleibst schön brav hier. Ich, uh... Ich melde mich bei euch, oder so.“ Und dann war er auch verschwunden, einfach so, mitten auf der Straße. Nichts blieb außer der Erinnerung, dass sie eben beide noch hier gestanden hatten.
Vanessa fing an zu schluchzen. Mane legte langsam einen Arm um sie, und Vanessa lehnte sich an ihn und weinte vor lauter Angst um Tuomas.
Ohne die Siegeltür war das Nichts nur noch Endlosigkeit ohne Fokus. Tuomas spürte, dass sich jedes Haar auf seinem Körper aufrichtete. Angefangen bei seinen Handgelenken über die Unter- und Oberarme, über die Schultern zum Nacken hinauf und den Rücken hinab.
Er erzitterte.
Trümmer lagen auf dem Boden und Tuomas stellte mit gelinde angeekeltem Gesichtsausdruck fest, dass er auf irgendwelchen abgetrennten Körperteilen stand. Er machte einen Schritt zur Seite, ohne genauer hinzusehen, auf was genau er gestanden hatte.
Hinter ihm materialisierte sich Sirius. Als Tuomas ihn wahrnahm, lachte er humorlos. „Wie siehst du denn aus?“
Sirius runzelte die Stirn. Seine Haare waren, wie eigentlich für ihn üblich, hüftlang und glatt wie ein Seidenvorhang. Kettenglieder klirrten um seinen Hals und seine Handgelenke, schwarze Verzierungen waren auf seine linke Wange gezeichnet. „Als ob dir mein eigentliches Erscheinungsbild neu wäre“, sagte er. Dann machte er einen Schritt auf Tuomas zu, packte ihn nicht gerade sanft und zog ihm den linken Ärmel des schwarzen T-Shirts hoch.
„Hey, was...“ Tuomas verstummte. Auf seiner linkten Schulter prangte ein kleines Zeichen; ein Kreis mit einem kleineren Kreis darin. Schlicht, klein und schwarz war Sols Kennzeichen, aber es verschlug Tuomas die Sprache.
„Das wäre dann der letzte Beweis, dass du es bist“, sagte Sirius grimmig. „Hier tragt ihr alle eure Zeichen, du und Gäa und Lucifer und alle anderen der höheren Rangordnung.“
„Ist das gut?“, fragte Tuomas und rieb sich mit einer Hand über die Schulter.
„Es verringert unsere Chancen zumindest nicht“, murmelte Sirius und sah sich dann um. „Wir sind zu spät.“
„Ja, das dachte ich mir.“ Tuomas sah hinab auf das Trümmerfeld, in dem sie standen. Irgendwo links neben ihnen zuckte ein Körper, aber sie sahen beide nicht hin. Die Brocken der Siegeltüre waren riesig und reichten Tuomas ohne weiteres bis an die Hüfte. Sie waren aus schwarzem Material, das Tuomas nicht kannte, und schienen in der Dunkelheit leicht zu glänzen.
„Ich hatte mir etwas mehr Action erhofft“, sagte Tuomas trocken, als nichts passierte. „Wenigstens ein Erdbeben oder so... Aber hier tut sich ja nichts!“
„Freu dich nicht zu früh.“ Sirius war unruhig und blickte immer wieder umher, als befürchtete er, gleich von jemandem – oder etwas – angefallen zu werden. „Das wird schon noch kommen.“
„Wir warten also sozusagen auf den Weltuntergang?“ Tuomas seufzte und setzte sich auf einen Trümmerhaufen, zog die Beine an und suchte aus Gewohnheit seine Taschen nach Zigaretten ab, fand aber keine. Zähneknirschend legte er die Arme auf die Knie und sah wieder zu Sirius.
„Mir gefällt das nicht“, sagte er. „Ganz und gar nicht. Es ist zu... ruhig.“
„Darf ich dich daran erinnern, dass das hier das Nichts ist?“ Tuomas schüttelte den Kopf. „Was soll schon passieren? Vielleicht ist das Chaos ja in einer... anderen Dimensionsebene oder so rausgekommen? Ich hab wenig Ahnung von Physik, na ja.“
„Mit Physik hat das hier auch nicht mehr viel zu tun. Das ist etwas, was die Menschen nicht begreifen können, und wenn doch, werden sie als verrückt abgestempelt.“
„Das erste mal in meinem Leben habe ich das Gefühl, mit dir einer Meinung zu sein“, sagte Tuomas gelinde überrascht.
Sirius warf ihm einen strafenden Blick zu und fuhr sich dann mit beiden Händen über die langen Haare. „Mir gefällt das nicht“, sagte er wieder. „Wir sollten vielleicht zurück. Wenn wir wirklich so spät sind, dass es nicht einmal hier ist...“
Tuomas hörte ihm nicht weiter zu, als er lamentierte und jammerte. Er brauchte Sirius für den entscheidenden Startschubs, denn nur Sirius war in der Lage, Tuomas einen gelinden Übersicht über die Situation zu verschaffen.
Aber im Kampf wäre er allein, das wusste er. Allein gegen die ultimative Zerstörung.
Etwas zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Schwarze Schatten schlichen um seine Füße herum und nahm ihm zwischenzeitlich sogar die Sicht auf ebenjene. Viel beunruhigender war allerdings, dass er, sobald seine Füße in der Schwärze verwanden, sie nicht mehr spüren konnte. Es war, als wäre alles unterhalb des Knies eingeschlafen. Etwas beunruhigt bewegte er die Zehen, aber er spürte nichts. Er war sich nicht einmal sicher, ob er überhaupt noch Zehen besaß. Und wenn ja, wie man sie bewegte.
Er folgte den Schlieren mit den Augen, während Sirius ein paar Schritt weiter nervös im Kreis ging und noch immer am reden war. Er schien den schwarzen Nebel auf dem Boden nicht bemerkt zu haben, und auch nicht, dass er sich immer weiter verdichtete, bis man ihn beinahe anfassen konnte, in die Höhe wuchs und Gestalt annahm...
„Vorsicht!!“, schrie Tuomas, stieß sich von dem Stein ab, auf dem er saß und schleuderte Sirius mit einem Luftstoß hart zu Boden, kurz bevor er selbst das Gleichgewicht verlor, da er seine Füße nach wie vor nicht spürte.
Er sah, dass er genau in den Nebel fallen würde, und wenn das, was mit seinen Füßen passiert war, sich auf den ganzen Körper ausbreiten sollte, wäre er wohl die längste zeit seines Lebens Tuomas Valentin gewesen.
Er drehte sich im Fall und schlang die Arme um den Oberkörper. Als er auf den Boden aufprallte, hüllte er sich in einen Luftschild. Die Schatten wurden aufgewirbelt und stoben in alle Richtungen davon, nun nicht mehr so dicht wie vorher. Im Schutze seines Schildes, das man nur daran erahnen konnte, weil die Schatten davon abprallten, stolperte Tuomas zu Sirius, der noch immer irgendwo im Dunkeln lag, was sich als nicht so einfach gestaltete, da seine Beine noch immer taub waren und er mehr fiel als lief. Aber jetzt spürte er sie wieder, spürte sie, als hätten sie ein Eiswasser gelegen. Sie stachen und brannten, aber Tuomas biss die Zähne zusammen und langte mit einem Arm in die fast undurchdringbare Dunkelheit.
Er bekam einen kalten Körper zu fassen und zog Sirius an was auch immer er ihn festhielt in die Höhe und hinein in seinen Schutzschild. „Komm zu dir!“, sagte er etwas panisch, als er Sirius in beiden Armen festhielt, aber keine Reaktion auf ihn zeigte. Seine hellen, grauen Augen mit der kleinen, stechendschwarzen Pupille darin waren verdreht. Sein Körper war kalt und steif, als sei er schon seit einigen Stunden tot. „Scheiße, Mann! Lass den Mist!“ Tuomas ohrfeigte Sirius ein paar Mal ordentlich auf beide Wangen, bis endlich das Leben zurück in ihn gefunden hatte.
Sirius gab ein wenig intelligentes Geräusch von sich und packte sich dann an den Kopf. Er zitterte am ganzen Körper. Seine Lippen waren blau, schwarze Schleier huschten sichtbar über seine Augen. „Was...“
Tuomas ohrfeigte ihn ungefragt noch ein paar mal. Diesmal kam seine Nachricht wohl besser an, denn Sirius konnte sich aus seinen Armen reißen und spürte wohl auch wieder Schmerz, denn er fluchte ziemlich unhöflich und hielt sich die Wangen fest.
„Geht’s wieder?“, fragte Tuomas etwas unbeholfen. „Scheiße, jag mir niemals wieder so einen Schreck ein! Ich dachte schon, jetzt wär ich vollkommen allein!“
Sirius sah ihn einen Moment lang verwirrt an, dann wurde er endlich ihrer Umgebung gewahr. Schwarze Schatten kratzten an Tuomas wabernden Schutzkreis, der unter dem Druck der Schattenarme, die nach ihnen griffen, beunruhigend flackerte.
Sirius begann wieder zu zittern. „Wir... sollten hier schleunigst weg. Lass uns zurück zur Erde, und uns noch einmal beraten, wir...“ Er brach ab, als er Tuomas sah.
Der schüttelte nur den Kopf. „Ich hab hier was zu erledigen“, sagte er. „Ich kann jetzt nicht mehr gehen. Ich verlange nicht von dir, dass du bleibst und mit mir kämpfst. Aber du musst mir wenigstens sagen, was ich tun muss.“
Sirius sah verzweifelt aus. „Ich... ich war nicht dabei, als das Chaos damals versiegelt wurde.“ Er zuckte zusammen, als für einen kurzen Moment die Schattenarme die Überhand zu gewinnen schienen und nur für die Dauer eines Wimpernschlages durch die unsichtbare Wand brachen, die sie schütze, aber Tuomas zuckte nicht einmal mit dem Lid, und die Barriere hatte sich wieder stabilisiert.
Er war vollkommen ruhig. Zwar etwas bleicher als sonst und die Haare auf seinen Armen hatten sich aufgerichtet, aber ansonsten schein er von allem um ihn herum recht wenig angetan. Er passte nicht hierher, weniger noch als Sirius, der mit den fast hüftlangen Haaren und den Eisenketten um die Gelenke und dem perfekt sitzenden Herrenanzug recht skurril wirkte.
Tuomas stand da, mit seinen ausgetragenen und nur lose geschnürten Schuhen, das blassschwarze, ausgetragene T-Shirt in die zerschlissene graue Jeans mit den geraden Beinen gesteckt, den schwarzen Ledergürtel im dritten Loch, die Fingernägel zum Gitarrespielen rechts lang, links kurz und die Fingerspitzen vom ewigen Rauchen schon gelblich verfärbt. Seine Lippen waren schmal und bleich, die Haare lang und glatt. Seine Arme lagen ruhig neben den Oberschenkeln an, das Gewicht hatte er auf den rechten Fuß gestützt. Er hätte genauso gut an einer Straßenbahnhaltestelle stehen und warten können.
Er war zu... normal für diesen Ort.
Allein seine Augen verrieten, dass er zu Höherem bestimmt war als Gebäude für Geld in Brand zu setzen. Ungetrübt starrten sie Sirius fest an und blinzelten nur selten.
Sirius zuckte wieder zusammen, als die Schatten versuchten, zu ihnen durchzukommen. Tuomas ignorierte das vollkommen. „Ich höre“, sagte er. „Irgendwas wirst du mir ja wohl sagen können. Und an deiner Stelle würde ich mich damit beeilen, ich merke genau, dass ich den Luftschild nicht mehr lange so problemlos aufrechterhalten kann, und die Schatten da draußen werden immer dichter.“
„Sol, hör mir zu. Ich kann dir hierbei nicht helfen. Lucifer hatte Recht mit all seinen Anschuldigungen – dass ich in der Rangliste so weit oben stehe, habe ich meiner Arschkriecherei zu verdanken und dem Glück, dass man mich in der Regel mag, aber ich habe keinem von euch etwas entgegenzusetzen. Alles, was ich für dich tun kann, ist dich herbringen, so lange du es noch nicht selbst kannst – und selbst das erledigst du mittlerweile von selbst.“
Tuomas starrte ihn an und zog langsam die Stirn kraus. Sirius entgegnete seinem Blick unbeweglich.
Irgendwann gab Tuomas nach. „Mach, dass du weg kommst“, sagte er. „Ich will dich nicht auch noch unnötig gefährden. Pass... pass auf Vanessa auf, solange ich nicht da bin.“
Sirius lächelte bitter. „Den Satz hast du schon einmal zu mir gesagt, vor sehr langer Zeit.“ Er zögerte einen Moment. Dann machte er einen Schritt und packte Tuomas an der Schulter. „Lass uns nicht hängen, Sol. Unser aller Leben liegt auf deinen Schultern.“
„Ein guter Grund für dich, ebenjene jetzt loszulassen und nicht noch zu zertrümmern.“ Tuomas löste Sirius’ Hand. „Hau ab, hier wird’s jetzt nämlich brenzlig.“
Sirius nickte und verschwand. Er hinterließ nichts außer einem schwachen Luftzug. Es war das letzte Mal, dass Tuomas ihn sah.
Tuomas keuchte, sein Luftschutzschild zertrümmerte. Es war höllisch anstrengend gewesen, vor Sirius keine Schwäche zu zeigen. Er sackte in die Knie und konnte gerade noch tief Luft holen, ehe er in das Meer aus schwarzen Schatten eintauchte, das mittlerweile allgegenwärtig war.
Er verlor den Boden unter den Füßen, überschlug sich und prallte, ehe er sich wirklich erschrecken konnte, hart auf eine Wiese.
Verwirrt starrte er in den blauen Himmel über sich. Er spürte grünes Gras zwischen seinen Fingern. Er rupfte ein paar Halme aus und sah sie skeptisch sie an, roch daran. Definitiv Gras.
Er blickte sich um. Weit hinten am Horizont konnte er weiße Berge sehen und einen im Licht schimmernden See. Keine Wolke war am hellblauen Himmel zu sehen. Unweit von ihm standen drei Bäume auf einem kleinen Hügel. Alles wirkte wie gemalt und seltsam unwirklich. Die Luft flimmerte wie an einem heißen Somemrtag.
„Was zur Hölle...“ Tuomas kam wieder auf die Beine und klopfte sich die Kleidung ab.
Dann erstarrte er.
Bei den drei Bäumen stand eine Gestalt. Selbst auf die Entfernung konnte Tuomas jedes Detail erkennen, als stünde sie direkt vor ihm.
Das Chaos war fast zwei Meter groß und seine Haut war weiß wie Porzellan, ebenso sein Haar, dass sich irgendwo auf Hüfthöhe im Nichts verlor und einfach... verschwand. Es trug eine schwarze Rüstung, deren Material Tuomas nicht sofort identifizieren konnte. Seine Hände steckten in krallenartigen Handschuhen passend zur Rüstung, die Stiefel liefen spitz zu. Nur an den Gelenken von Hals, Kniekehlen, Schritt und Armen blitzt unter der schwarzen Rüstung roter Stoff – wenn es denn Stoff war – hervor. Es hatte einen schwarzen Einhänder, dessen Klinge das Licht einfach zu verschlucken schien, vor sich in den Boden gerammt. Das Gras darum herum dörrte zusehends aus.
Das Urchaos trug eine schwarze Augenbinde über dem weißen Gesicht und grinste ihm entgegen.
Tuomas machte einen Schritt zurück, als es sein Schwert aus der Erde zog und langsam auf ihn zuschritt. Unter seinen Füßen starben alle Pflanzen augenblicklich ab. Es hatte menschliche Züge, auch wenn jedwede Menschlichkeit bei ihm vergebens gesucht war. Doch es hatte eine Nase, Lippen, Arme und Beine und unter dem schwarzen Tuch, das sich über seine Augenhöhen zog, mochte wohl auch ein Augenpaar verborgen liegen.
DIES IST, WAS ER WILL, sagte es, als es sich Tuomas auf fast fünf Meter genähert hatte. WIR WERDEN UNS NICHT WIEDER EINSPERREN LASSEN. WIR SIND DAS URCHAOS. WIR SIND URSPRUNG ALLER WELTEN UND UNTERGANG EBENJENER. WIR SIND ANFANG UND ENDE, WIR SIND ALLGEGENWÄRTIG. WIR SOLLTEN NICHT IN FESSELN LIEGEN!
„Da bin ich aber anderer Meinung“, sagte Tuomas langsam und betrachtete alarmbereit, wie das Chaos die Hände hob und die Augenbinde um seinen Kopf ablöste. Das schwarze Tuch segelte unbeachtet zu Boden und Tuomas konnte die weißen Wimpern des Chaos sehen, jede einzelne davon, als blickte er durch eine Lupe. Generell schienen seine Sinne verrückt zu spielen, so glaubte er, auf dem linken Ohr nichts mehr zu hören, und seine Zunge fühlte sich pelzig und taub an, er vernahm den schweren Eisengeschmack von Blut. Er bekam Kopfschmerzen, wenn er das Chaos vor sich zu lange ansah, und sein Magen krampfte sich quälend zusammen.
Alles an der Gestalt ihm gegenüber wirkte so hübsch und androgyn, von den feinen Gesichtszügen zu den langen Wimpern, nur seine Stimme war dunkel und bedrohlich, wie die Ruhe vor dem Sturm.
Das Chaos öffnete seine Augen.
Der Himmel wurde wie im Zeitraffer von strahlendblau zu blutrot. Wolken zogen auf und ließen den Himmel aussehen wie eine Decke, die mit Tapete überzogen war, die sich ablöste und es nur eine Frage der Zeit war, bis sie zu Boden fiel. Wind kam auf und rauschte in den Blättern der Bäume, das Gras unter Tuomas’ Füßen wippte.
Die Augen des Chaos schienen ihn zu verschlingen und mit sich zu reißen. Es hatte keine Pupille und keine Iris. Seine Augäpfel waren das All. Ob es nun Irrglaube oder Wirklichkeit war, doch in seinen Augen funkelten Sterne, gingen Universen auf und verschwanden wieder. Man konnte dem zusehen, doch Tuomas wagte nicht, das zu lange zu tun. Mit höchster Konzentration lenkte er seinen Blick auf eine Stelle links neben dem Ohr des Chaos.
Das Chaos zog wieder sein Schwert. Aus der Nähe konnte Tuomas ganz deutlich erkennen, dass er mit dieser Waffe lieber keine Bekanntschaft machen wollte. Er konnte sehen, wie die Klinge aus Schatten langsam alles Licht aufnahmen.
VON IHM, WÄCHTER, HÄNGT ZERFALL ODER INKARNATION AB. Das Chaos sah ihn an. Tuomas spürte, dass sein Herz einen Moment lang aussetzte, dann riss er sich zusammen und machte sich darauf bereit, sich zu verteidigen. Wie auch immer er das tun würde – darüber würde er sich Gedanken machen, wenn es so weit war.
DIES IST SEIN ENDE, sagte das Chaos. UND UNSER ANFANG.
Es hob die Klinge.
~
Cliffhanger.
W.f.
⁂ Næhmachinery
Premonitions in the rising wind; tonight the stars will fall.
The world in a cyclone, pouring out.
No escape, but hey, who cares? Just go with the flow.
The world in a cyclone, pouring out.
No escape, but hey, who cares? Just go with the flow.