+++ Pflücket und frohlocket: Die Arbeit trägt Früchte! +++
Liebe Wildgänse,
bisweilen war es ein zähes Ringen: um die richtigen Worte, um Contenance, um Freiheit & Weisheit, doch
BÄÄM
da sind sie nun: Die elf Storys der achten Runde schräger Geschichten und skurriler Einfälle!
Harten Applaus an dieser Stelle für alle Teilnehmer:innen, denn letztendlich haben ALLE ihre Story eingereicht, womit wir wieder auf eine saubere Abgabequote von 100% kommen - nach wie vor ist das keine Selbstverständlichkeit.
Doch gesabbelt wurde schon genug, jetzt geht es ans Eingemachte; daher nur noch die harten Fakten zum Download, zur Abstimmung und zum Feedback.
------------
Für die ganz Eiligen, hier der
Download:
------------
Darüber hinaus gibt es natürlich noch etwas zur Abstimmung zu sagen:
Es sind elf Storys, die zur Abstimmung stehen. Da das nach wie vor zu viele Storys sind, um bloß eine Stimme zur Verwendung zu haben, und weil zwei eine komische Zahl ist, hat ein jede:r wieder drei Stimmen zur Verfügung! Damit muss man sich quasi gegen acht Storys entscheiden, die keine Stimme von einem bekommen, das ist hart genug, denk ich.
Für die Abstimmung sind erstmal drei Wochen angesetzt - ggf kann aber noch verlängert werden, denn der Mammutteil ist ja geschafft, die Storys selbst der Hauptgewinn und alles andere nur noch Schleife und Sahnehäubchen. Das heißt: am 31. Oktober wird der oder die neue Buttfucking Queen oder King bestimmt! Wer wird diese Runde die Story schreiben, die den Nerv der Zeit trifft? Who knows!
Ganz wichtig dabei: Abstimmen darf, wie immer, jede:r! Je mehr, desto besser!
Und dann sei als Letztes daran erinnert, dass sich jede:r Teilnehmer:in über Feedback freut - ob Leser:in oder Schreiber:in, wenn du das hier liest, bist du gefragt!
Zusammengefasst:
- Lesen im Medium nach Wahl
- Abstimmen bis zum 31. Oktober, jede:r ist gefragt und eingeladen!
-> jede:r hat 3 Stimmen zur Verfügung!
- zack bumm, das wars!
Was noch?
Nix mehr!
Auf gehts -
HAPPY READING / POSTING / FEEDING!
Sexy Selbstentzündung (Vaylin)
Sexy Selbstentzündung: Der neue Trend im Rotlichtmilieu
Deutschland, Frankfurt/Main. Auf der Polizeiwache ist gegen Abend des 27. Septembers wenig los, bis ein seltsamer Anruf für Verwunderung in den Büros der Donutliebhaber sorgt. „Da liegt ‘ne brennende Nutte im Straßengraben.“ Heißt es laut Protokoll. Auch wenn es erst für einen Streich betrunkener Jugendlicher, die zu viel Billig-Gin intus haben, gehalten wurde, schickte man einen Streifenwagen los. Was man sah, verstörte sehr. Eine wirklich heiße Bordsteinschwalbe zündete sich eine Zigarette an. An ihrem Dekolleté.
Der Pelzmantel der Dame stand in Flammen und das Feuer griff langsam auf ihre übrige Kleidung über. Nach Verständigung der Feuerwehr und dem Aufklären des Missverständnisses, dass sie nicht angeheuert wird (zumindest nicht in der Dienstzeit), erkundigte man sich wie sie zu diesem auffälligen Kostüm kam. Offenkundig handelte es sich um einen neuen Trend, der unter Freiern soeben die Runde zog. Weitere Untersuchungen ergaben, dass dieser Modekult nicht aus den USA kam, da keine Waffen involviert sind. Doch wie kommt es dazu, dass einige viele Leute „lit“ so wörtlich nehmen?
Unsere Reporter begaben sich tiefer in die Materie und fanden schnell raus wo der Ursprung innerhalb ‘Schland lag: Hamburg. Ohne zu zögern schickten wir unsere wollüstigen Herren in den Norden. Aufgrund mehrerer Ausfälle mobiler Endgeräte musste das Radio auf der Fahrt eingeschaltet werden, was zu schweren psychischen Störungen führte. Wake me up when September ends wird wieder hoch und runter gespielt. Wir bitten um eine Schweigesekunde an dieser Stelle.
Nach einem solch anstrengenden Weg, begaben sich unsere mutigen Männer sofort auf die Reeperbahn. Zum Glück all unserer Leser sitzt der Stock im Arsch unseres Journalisten Hans fest, weshalb er sich zuerst informierte, bevor sich dem Vergnügen hingab. Seinen schnell hingekritzelten Notizen zufolge nennt man diese brandheiße Entwicklung „Sexy Selbstentzündung“, kurz: Sese. Interessierte Brandstifter müssen nur dieses unschuldige Wort verlieren, um den letzten Funken ihrer Unschuld zu verbrennen. Der Appeal dabei wäre die Frage, ob es in einem verbrannten oder gerissenen Kondom endet. Das Ganze mag auf den Normalsterblichen wie ein krankes Survival Game des 21. Jahrhundert wirken, jedoch berichten Freier von einem unvergleichlichen Gefühl, das jedes andere Techtelmechtel in den Schatten stellt oder besser gesagt: im Rauch verschwinden lässt. Natürlich gibt von diesem Phänomen auch seine Abhandlungen:
Manch einer will hinterher Stockbrot oder Marshmallows am Partner rösten.
Orgien beginnen nicht selten mit einem Fackelzug.
Viele gehen hinterher Nacktbaden, um auszukühlen.
Andere fragwürdige Methoden sind uns ebenfalls bekannt, werden zur Sicherheit unserer Leser nicht erwähnt.
Doch wie wurde dieser Trend geschaffen? Hans, mit seinem verkeilten Geäst im Anus, forschte weiter und sein Weg führte ihn schlussendlich nach Ungarn. Nachdem er den dortigen Nutten klarmachen konnte, dass er vorerst nicht als Kunde an ihnen interessiert ist, fand er Einiges heraus.
In einer Nacht erklang vom einem in der Hauptstadt befindlichen Stadions die wunderbare Melodie der Band Rammstein, was die in der Nähe befindliche Hippie-Bewegung in Aufruhr versetzte. Lauter als die Gitarren als auch die Anlage des siebziger Jahre VW-Busses musste ein anderes Mittel zur Unterhaltung gefunden werden. Nach Zeugenaussagen handelte es sich erst um eine Runde des Partyspiels „Wahrheit oder Pflicht“ und entwickelte sich zu einer der heißesten Orgien der Neuzeit. Die Römer hätten es nicht besser gekonnt!
Seit jener schicksalhaften Nacht vor zwei Wochen ist dieses Fest zu einer jährlichen Tradition geworden. Und Rammsteins „Deutschland“ zu kontern, welches in der Ursprungsnacht lief, läuft acht Stunden am Stück die spanische Nationalhymne, wie entschieden wurde. Der Text daraus sage den meisten daraus am ehesten zu. Sie besitzt keinen.
Wie neuste Untersuchungen ergaben, ist die Sese-Nacht nicht mehr aus diesem Lang weg zu denken. Durch das Verbrennen der Hippies stieg das Bruttoinlandsprodukt enorm und die Arbeitslosigkeit sank auf ein neues Allzeittief.
Für die Sicherheit der Bürger ist auch gesorgt: Um auf das Partygelände gelassen zu werden, muss man seinen Ausweis vorzeigen. Minderjährige und Business-Tycoons sind ungern gesehen (Kredithai dafür umso mehr)! Es ist also kein Wunder, dass ein solch wirtschaftliches Wunder auf eine Industrienation wie Deutschland überschwappte!
Falls Sie sich nun fragen sollten, warum wir unsere Ökos nicht auch verbrennen, müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass die Regierung wegen unseres Hintergrunds dies verbietet. Trotz mehrerer Aufstände der örtlich ansässigen Hippies konnte keine Genehmigung ausgehändigt werden. Wir haben keine Müh gescheut und einen Ober-Öko zu diesem Thema genauer befragt.
Im Verlauf des Interviews bezog sich „Bigby Big Foot“ -wie er genannt werden möchte- oftmals auf die Ungerechtigkeit des Staats gegenüber den einfachen Leuten, die laut ihm hier sehr gut zur Geltung kommt. Des Weiteren sagte er nicht weniger als 144-mal „man“ und versicherte unserer Reporterin, dass am Vorurteil mit den großen Füßen etwas dran wäre und gab ihr seine Nummer. Sie wird sich nicht melden. Tut uns leid, ihr nicht.
Wir bedankten uns für dieses Gespräch mit einem Schwamm.
Doch wer glaubt, dass Hippies so schnell Ruhe geben? Niemand. Auf den Straßen munkelt man von einem Event, dass zur Halloweenzeit stattfinden soll. Die Stimmen werden immer lauter, doch sind in keinem harmonischen Klang. Manch einer spricht von Blumenparaden, untermahlt mit feinster Mundorgelmusik. Live, versteht sich.
Andere sprechen wiederum davon, dass die Regierung ihre eigene Medizin zu schmecken bekommen soll, indem man gegen den Bundestag bei flackerndem Lagerfeuerlicht pisst. Was Selbstentzündung und Pinkeln miteinander zutun haben ist bei Redaktionsschluss nicht klar.
Wir wünschen allen Lesern schöne Träume von Rauchschwaden, gegrillten Hippies, verbrennenden Freiern und sonstige Entzündungen – selbst wenn man es selbst ist.
Selbstverständlich werden wir Ihnen die neusten Neuigkeiten über sämtliche Schattentänze informieren.
Ihr Reisemeiseblatt
Schattenwal (Yuniko)
Schattenwal
Weiß wie Schnee und so gigantisch, dass sie mit nur einem einzigen Flossenschlag ganzen Landstrichen einen Kahlschlag verpassen können, tauchen sie meistens, da auf wo man sie nicht erwartet. … Himmelswale … wunderschön und gleichzeitig die nervigsten Bewohner des weiten Wolkenmeeres.
In der Fantasie der Erdlinge sind sie nur Traum gestalten. Für Thanatos und alle anderen Kapitäne des Wolkenmeer leider all zu oft eher ein Ärgernis und manchmal eine echte Gefahr. Warum? Nun ja leider scheinen diese Geschöpfe gefallen daran zu finden sich unter Luftschiffe zu setzen und diese empor zu heben. Nur machen die Schiffe dabei nicht selten einen Salto, was für die Besatzung absolut kein Spaß ist.
Und trotzdem kann er sich einfach nicht dem Bann entziehen, den diese Geschöpfe auf ihre Beobachter ausüben. Wunderschön und majestetisch wie sie dort in ihrer kleinen Gruppe durch das Wolkenmeer streifen. Den Göttern sei dank mit ausreichend Abstand zu seinem Schiffe. Konnte sich Thanatos dennoch nicht verkneifen zu denken. Wie er so in Gedanken versunken mit einem Glas Limonade an der Reling seiner Jolly Roger stand und den Weg der Wale durch die Zuckerwatte-Wolken verfolgte.
Mit einem inneren Grinsen dachte er, wenn die Erdlinge wüssten, was ihnen ihre romantischen Sommergewitter eigentlich bescherte, würden keiner von ihnen mehr träumerisch in diesem örtlich begrenzten warmen Platzregen mehr tanzen wollen. Aber gut wer seines gleich in sogenannte Irrenhäuser steckt, weil sie Dinge gesehen haben, die sie nicht erklären können, hat wohl das Duschen in den Ausscheidungen eben solcher Dinge wohl verdient, dachte er sich schnaubend.
Eigentlich eher traurig in ihren ersten Jahren auf dieser Welt haben die Erdling einen wundervoll offenen und Fantasie vollen Geist doch bis auf wenige ausnahmen verlieren sie diese Eigenschaft sehr schnell. Stattdessen schlagen sie sich mit selbstgeschaffenen Problemen herum wie CO2-neutrale Fortbewegung, Überdüngung der Meere und Gendering. Darüber konnte Thanatos nur traurig den Kopfschütteln. Soviel verschwendetes Potenzial.
„THANI … ! Hier steckst du!“ hörte er da plötzlich einen schrillen Schrei der ihn unwillkürlich zusammenzucken ließ. Mit einem unterdrückten Stöhnen wandte er sich von dem Anblick der Himmelswale ab, um dem Besitzer der schrillen Stimmer entgegen zu treten. „Captain Thanatos Flying Hook! Wenn du immer nur an der Reling stehst und diese riesigen weißen Mistviecher anstarrst, werden wir ihn niemals finden!“. Den letzten Schiffssalto hat meine kleine Schwester Elvira den Walen wohl übel genommen. Dabei war sie eine der Wenigen, die Unterdeck waren und somit nicht in Gefahr wahr eine ungewollte Stippvisite zum Erdboden zu machen. Tja und der Name ist ein eher ungewolltes Anhängsel von den verloren Jungs, die es irre komisch fanden mir diesen Titel zu geben, nachdem wir ein Friedensabkommen mit Ihnen erreichten und sie dafür sorgten das mein Jolly Roger nun fliegen kann. Auch wenn die meisten mich seit dem nur Captain Flying Hook nennen, findet Elvira es super mich damit zu tritzen wenn ihr irgendwas nicht passt.
„Unter diesen Viechern werden wir ihn sowieso nicht finden! Du weißt doch es gibt keinen einzigen Augenzeugenbericht, der ihn je mit irgendwelchen anderen Wesen gesehen hat.“ Mit einer Lakritzstange zwischen den Zähnen und ungeduldig mit dem Fuss klopfend stand sie da und sah mich erwartungsvoll an.
Elvira Hook, die Qual und gleichzeitig der einzige Antrieb meins Lebens. Die Idee auf die Suche nach dem Schattenwal zu gehen stammte übrigens von ihr. Schon als Kind faselte sie ununterbrochen von dieser Legende.
… bla bla bla … Von derartigen Sprüchen habe ich nie wirklich viel gehalten. Aber gut für mich war es eine Ablenkung aus der Eintönigkeit. Und mal abgesehen von den Wenigen die ihn gesehen haben wollen, glaubt eh kaum einer daran, dass es diesen Wal wirklich gibt.
Aber für mich war es ein Grund weg zu kommen, weg vom Nimmerland mit seiner immer währenden guten Laune. Denn nach dem mein nichtsnutziger Onkel James es sich dummer Weise mit einem Rudel Lawinenhunde verscherzte hat und im Anschluss daran in einem Schneesturm geriet, wart er nie mehr gesehen und ich durfte mich mit seinem Zeug rumschlagen. Das einzig gute daran: ab dem Moment gehörte die Jolly Roger mir. Aber zugegeben ich selbst habe immer daran geglaubt, das Tictoc das Tickende Krokodil ihn irgendwann erwischt und um ehrlich zu sein hätte es das auch verdient. Nach dem verschwinden meines Onkels machte Tictoc einen wirklich bedrückten Eindruck. Irgendwie hat es meinen Onkel wohl wirklich gemocht, auf seine eigene verquere Weise.
Wie dem auch sei danach ist es wirklich ruhig geworden im Nimmerland. Ich schloss Frieden mit den verloren Jungs. Diese lebten immer weiter ihr Abenteuer aus, Bei denen ich gelegentlich als Pirat mit ihnen die Klingen kreuzte und den Rest der Zeit verbrachten wir durch Scharmützel mit den Indianer Jungs und beim Nacktbaden in der Lagune mit den Nymphen. Und dennoch irgendwann wird auch das irgendwie langweilig. Wahrscheinlich hat mein Onkel es auch nur dank Peter Pan solange im Nimmerland ausgehalten. Ein anständiger Rivale belebt das Geschäft, wie es bei den Erdlingen heißt.
Naja jedenfalls zog ich dann irgendwann mit der Jolly Roger los, um meine eigenen Abenteuer zufinden. Denn dank den verlorenen Jungs und Tinkerbell konnte diese ja nun fliegen. Zumindest dachte ich so. Denn außer einigen heftigen Unwettern – eine Achterbahn ist nix dagegen – und vom Himmel fallenden leuchtenden Steinen – angeblich sollen das Kernkristalle sein, schön anzusehen aber nichts wert – bestand wohl mein größtes Abenteuer darin, mit den Wächtern der Himmelsforte darüber zu diskutieren, wie blödsinnig Himmelshochzeiten sind. Denn mal ehrlich, ein wahnsinns Fest zu organisieren, dass nach drei Stunden zwangsbeendet werden muss, weil die Gäste sonst - im wahrsten Sinne des Wortes - aus allen Wolken fallen würden, ist doch einfach nur blödsinnig.
Jedenfalls hat mich dadurch Elvira ziemlich schnell dazu überreden können mit ihr auf die Suche nach diesem ominösen Schattenwal zu gehen. Im nach hinein hätte ich mir damals wohl lieber einen Drachen als Haustier zulegen sollen, dass wäre wohl weniger anstrengend geworden. Ständig nur dieses Atemlose hin und her gehetzte. „Thani schau hier.“, „Thani lass und da mal nachsehen.“, „Oh Thani dort wurde er gesichtet.“. Ich bin mir mittlerweile ziemlich sicher diesen Wal gibt es garnicht. Alles nur erfunden.
„Himmel an Thanatos! Bist du noch da? Oder muss ich dich erst von Board werfen bevor du dich rührst!“ ungeduldig stampfte Elvira mit dem Fuss auf. „Wir wollten doch heute noch zur Schenke und den Augenzeugen befragen!? Und nicht erst über morgen. Also hör verdammt nochmal auf zu träumen!!“. Mit diesen Worten drehte sich Elvira schwungvoll um und stapfte wütend In Richtung der Kajüten.
Und das halte ich jetzt schon fünf Jahre lang aus. Fünf Jahre, die wir schon nach diesem dähmlichen Phantomwal suchen…
Die Wahrheit über die Kulturrevolution (Wons)
Die Wahrheit über die Kulturrevolution
Oder: 101 Gründe, Tomaten noch mehr zu hassen als ohnehin schon
Der Blutmond stand schon hoch am Himmel, als der kleine Zhang und sein Kollege Li sich durch das letzte bisschen totes Gestrüpp kämpften und die ranzige Mahjongg-Hölle betraten. Hatte ihnen die feuchtkalte Nacht gerade noch eine Gänsehaut über den ganzen Körper gejagt, so schlug ihnen jetzt eine Welle der Hitze und des Gestanks entgegen. Kaum fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss, fühlten sie sich gefangen in einer Welt, die nicht die ihre war. Grüne Tische standen eng an eng beisammen, dazwischen ein Gewusel von Menschen, begleitet von ohrenbetäubenden Geräuschen, Gläserklirren, Gelächter, Gestöhne, das Klicken der Spielsteine. Die Luft war zum Zerschneiden dick angereichert mit Rauch, der einen die Gesichter der anderen Menschen durch das schummrige rote Licht nur erahnen ließ.
Der kleine Zhang, der eigentlich stramm auf die sechzig zuging und nur deshalb klein genannt wurde, weil es im Büro einen noch älteren Mann gleichen Namens gab, hustete und wischte sich angestrengt eine Träne aus dem Augenwinkel. Hier sollte er sein, der Mann, nach dem er und sein Kollege so dringend suchten. Andrew Wong, jener Halbamerikaner, der ihrer aller Rettung sein sollte. Er, der die Schrecken der Kulturrevolution mit eigenen Augen gesehen hatte, wie man sich erzählte. Ende der Sechziger Jahre war er aus seiner zweiten Heimat zurück aufs Festland berufen worden; statt Disco und Nacktbaden im Land der großen Freiheit hatten im Mutterland nur Feldarbeit und Mühsal auf ihn gewartet, so sagte man. Von all den Gerüchten, die über Wong existierten, war dieses neben dem Gerücht über seinen mit Feigwarzen verseuchten Riesenhoden vermutlich das einzige, das der Wahrheit halbwegs nahekam. Ansonsten erzählte man sich über ihn, er habe schon Zombies und Vampire gejagt – manch einer behauptete gar, Wong sei selbst ein Vampir. Er selbst hatte zu all dem freilich stets geschwiegen und so das Mysterium um seine eigene Person weiter genährt. Anfang der Siebziger war er spurlos verschwunden – nicht aber die Gerüchte über ihn. Die Regierung habe ihn für unmenschliche Experimente missbraucht, hörte man hier und dort. Andere waren überzeugt, dass er selbst in die Machenschaften der Regierung verwickelt gewesen sei und nach dem totalen Krieg trachtete. Das war jetzt schon über eine Dekade her. Mit den Jahren wurden die Gerüchte weniger – bis Andrew Wong so plötzlich, wie er verschwunden war, wieder auftauchte und damit das allgemeine Interesse an ihm erneut in ungeahnte Höhen katapultierte. Wong aber schwieg weiterhin beharrlich und so wusste man, obwohl er bekannt war wie ein bunter Hund, nach wie vor nicht viel über ihn, abgesehen davon, dass er das größte Kneipentier der Provinz Yunnan war, dem Tabak und den schönen Damen nicht abgeneigt war und jeden Großmeister im Mahjongg vernichten konnte. Mit anderen Worten: Dieser sagenumwobene Mann war die einzige Hoffnung, die dem kleinen Zhang, seinem Kollegen Li und allen Chinesen, womöglich sogar der ganzen Menschheit, noch blieb.
Als der kleine Zhang und sein Kollege Li die Mahjongg-Hölle betraten, nahm niemand auch nur im Entferntesten Notiz von ihnen. Zhang räusperte sich. Keine Reaktion. Pikiert rückte er seine Brille zurecht; ein solches Verhalten war er nicht gewohnt. Erst als die beiden sich einige Schritte weiter hinein in das verruchte Etablissement wagten, regte sich etwas. Ein bildhübsches, blutjunges Mädchen in einem mit smaragdfarbenen Drachen bestickten Kleid schmiegte sich lasziv an Li heran, dem sofort der Schweiß ausbrach. Mit einem unwürdigen Quieken wich er zurück und verzog sich in eine Ecke der Kaschemme. Zhang seufzte. Dann blieb die Sache wohl wie immer an ihm hängen. „Wir suchen Andrew Wong“, erklärte er dem Mädchen, dieses jedoch sah ihn nur dümmlich lächelnd an und brabbelte in einem merkwürdigen Dialekt unverständliche Worte vor sich hin. „Andrew Wong!“, wiederholte Zhang betont langsam, damit sie ihn auch ja verstand. Sie musste wohl schon von Wong gehört haben und ihm Auskunft geben können, ob er hier war oder nicht. Immer noch keine Reaktion außer einem fragenden Blick.
Vielleicht war Wong doch nicht hier? War all die Suche etwa umsonst gewesen? Sollte er umkehren und anderswo weitersuchen?
Nein. Er hatte genug Zeit darauf verwendet, Wongs Aufenthaltsort herauszufinden, seine Quelle war sich ganz sicher gewesen. Wong musste einfach hier sein.
Gerade als er sich an jemand anders wenden wollte, um nach Wong zu fragen, hörte Zhang zu seiner Linken ein grimmiges Knurren. „Suchst du mich?“
Und da saß er, zusammen mit drei weiteren, quasi gesichtslosen Männern, die er gerade vernichtend geschlagen hatte. Sein Gesicht war so zerschlissen und vernarbt, wie man sich überall erzählte, und im ersten Moment schnappte Zhang erschrocken nach Luft, was seinem Gegenüber ein heiseres Lachen entlockte. „Setz dich.“
Wie auf Kommando machte eine der drei gesichtslosen Gestalten Platz, sodass Zhang sich Wong gegenüber niedersinken lassen konnte. Ungefragt wurde ihm ein viel zu großer Becher Reisschnaps vor die Nase gestellt.
„Ich trinke nicht“, warf er höflich ein und wusste dabei schon, dass diese Ausrede heute nicht zählen würde.
„Ich auch nicht“, erwiderte Wong und hob das Glas.
Zhang unterdrückte einen weiteren Seufzer. Musste das nun wirklich sein? Ausgerechnet Reisschnaps? Sollte er wirklich seinen Körper und seine Gehirnzellen für den Rest des Abends zerstören?
Er musste. Wenn er Wong heute nicht auf seine Seite ziehen konnte, dann wäre das Ende der Welt vermutlich ohnehin nicht mehr weit, und dann konnte er mit seinen restlichen Gehirnzellen auch nichts mehr anfangen. Also hob er ebenfalls das Glas und kippte sich das widerliche Gesöff schaudernd in den Körper.
„Also dann“, griff Wong das Gespräch wieder auf, nachdem er sich den Mund abgewischt hatte. „Lass mich raten: Es geht um die Tomaten.“
Er wusste also schon Bescheid. Das wunderte Zhang nicht sonderlich. Umso besser; so musste er weniger Zeit mit langen Erklärungen verschwenden.
„Tomaten… ausgerechnet. Hab ich schon immer gehasst. Widerliche, schleimige Dinger. Schon als Kind konnte ich nicht ausstehen, wenn meine Mutter scharfen Tofu in Tomatensoße machte… Dass unser schönes Mutterland aber ernsthaft von Killertomaten fast gänzlich zerstört wird – das konnte selbst ich mir als kleiner Hosenscheißer nicht ausmalen.“ Kopfschüttelnd exte er ein weiteres Glas Reisschnaps. „Dass ich Tomaten leidenschaftlich hasse, heißt aber nicht, dass ich sie euch einfach so vom Hals schaffe. Ich wüsste auch gar nicht, wie.“
Zhang nickte wissend. „Li“, rief er in die Ecke, in der sein Kollege verschwunden war. Zögerlich trat Li an den Tisch heran und legte den Koffer, den er mitgebracht hatte, darauf. Inzwischen hatten sich bereits einige Schaulustige um sie herum versammelt. Li öffnete den Koffer und ein überraschtes Raunen ging durch die Menge der Umstehenden, als diese den Inhalt erblickten. Selbst in Wongs Augen blitzte es kurz auf, zumindest bildete Zhang sich das ein. Auch in einer fast gänzlich zerstörten Welt war Geld doch immer noch das Einzige, womit man sich Alkohol kaufen konnte.
„750 Millionen Yuan“, sagte Zhang, bevor Wong überhaupt fragen konnte. Und auch als Wong nun den Mund öffnete, kam Zhang ihm zuvor: „Und nicht nur das. Wir haben hier außerdem Pläne der Regierung, aus denen hervorgeht, dass die Quelle der Seuche hier“, er zeigte mit dem Finger auf eine Karte der Provinz, „in einer Höhle liegt.“
Anfangs hatte er die Echtheit der Dokumente selbst angezweifelt. Dass der Ursprung der Seuche, das, was auch immer die Tomaten hatte mutieren lassen, ausgerechnet hier in Yunnan lag, der einzigen Provinz, die noch nicht komplett zerstört worden war, war ihm doch sehr unwahrscheinlich erschienen; doch je mehr er darüber nachdachte, desto mehr Sinn ergab es. Die Provinz war sozusagen das Auge des Sturms.
Andrew Wong ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Mittlerweile war es fast schon unheimlich still geworden in der ranzigen Mahjongg-Hölle; alle Augen schienen auf dem seltsamen Trio zu ruhen und niemand sprach mehr ein Wort.
„Ich mach’s“, sagte Wong schließlich. „Unter einer Bedingung.“
„Aber das kann doch nicht sein Ernst sein!“ Lis Stimme überschlug sich fast vor Verzweiflung. Unbehaglich schaute er sich um.
Der einzige, der sich prächtig zu amüsieren schien, war Andrew Wong. „Obacht, dein kleiner Freund macht sich ja bald ins Hemd. Der guckt ja, als wäre irgendein verrückter Axtmörder hinter ihm her.“
„Ein Axtmörder vielleicht nicht, aber als ob Killertomaten so viel besser wären!“, ereiferte sich Li. Aus dem Gebüsch links von ihnen drangen unheimliche Laute herüber; mit einem Schrei sprang Li hinter den kleinen Zhang. „Was war das?“
„Nur eine Eule“, entgegnete Zhang brummend. Mittlerweile war selbst er, der er immer für seine Geduld bekannt gewesen war, genervt von seinem Kollegen. Sie waren noch nicht lange unterwegs, doch in dieser kurzen Zeit hatte Li die Gruppe schon so oft behindert, dass Zhang bereits ernsthaft in Erwägung gezogen hatte, Li einfach zurückzulassen. Auf einen mehr oder weniger kam es letztendlich auch nicht an.
„Laut Karte ist es nicht mehr weit“, mischte sich Wong ein, um die erhitzten Gemüter etwas zu besänftigen. „Wenn wir Glück haben und ihr Recht hattet, können wir schon bald mit dem Wiederaufbau des Mutterlands beginnen. Und wenn nicht… ja, dann bin ich um 750 Millionen Yuan reicher und kann mich für den Rest meines Daseins besaufen. Auch gut.“
Das ungleiche Trio kämpfte sich weiter durch den Dschungel Yunnans, durch Engelstrompeten und Stechäpfel, durch Büsche und Sträucher, durch allerlei Pflanzen, von denen Zhang gar nicht gewusst hatte, dass sie hier wuchsen. Allesamt Giftpflanzen. Dass ausgerechnet mutierte Tomaten das Land überwuchern und unter sich begraben würden statt irgendeiner dieser Giftpflanzen, war beinahe ironisch.
„Warum Tomaten?“, platzte es schließlich aus Zhang heraus. „Was hat die Regierung in ihnen gesehen? Was ist während der Kulturrevolution wirklich passiert?“
Wong schüttelte den Kopf. „Die Kulturrevolution ist vorbei. Die Viererbande ist tot. Es gibt nichts mehr, was darüber noch gesagt werden muss.“
Schweigend kämpfte Zhang sich weiter durch das wuchernde Unkraut um ihn herum. All die jungen Männer wie Andrew Wong, die während der Kulturrevolution zur Landarbeit geschickt wurden… waren sie alle nur Werkzeuge gewesen, um Tomaten zu sammeln, die dann für Experimente missbraucht wurden? All die Ärzte, Wissenschaftler und Professoren, die zu jener Zeit verschwunden waren – waren sie dazu benutzt worden, das tödliche Mutantenvirus zu erschaffen? Vermutlich war Andrew Wong einer der wenigen noch lebenden Menschen, die darüber Auskunft geben könnten, und doch schwieg er hartnäckig. Zhang wiederum, der selbst für die Regierung arbeitete, wusste nichts. Auch er war nur eine Spielfigur. Jetzt, da die Regierung begriffen hatte, dass die Sache aus dem Ruder gelaufen war und die Tomatenplage schnellstmöglich zerstört werden musste, kamen ihm doch langsam seine Zweifel. Waren es am Ende gar nicht die Amerikaner gewesen, die ihnen diese Plage auf den Hals gehetzt hatten? Waren die mutierten Tomaten eine chinesische Eigenkreation?
Wongs kratzige Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. „Hier muss es sein.“
Vor ihnen tat sich ein gewaltiges eisernes Tor auf, überzogen von Poison Ivy und Rost, das in eine Höhle hineinzuführen schien. Nach all der Zeit, in der das Tor hier im Dschungel Yunnans vor sich hin verwittert war, leistete es kaum Widerstand, als Wong es öffnete. Die drei traten ein und wurden von Düsternis und angenehmer Kühle empfangen.
Plötzlich ertönte zu ihrer Linken ein Geräusch, das ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließ, ein lautes Ratsch. Zhang wirbelte herum. Eine riesige, blutgetränkte schwarze Ranke schlug nach ihnen. Er konnte im letzten Moment zur Seite springen, doch sein Kollege Li war nicht schnell genug und wurde von der Monstertomate erwischt. Fest hielt sie ihn in ihren Klauen.
„Schnell!“, schrie Wong und selbst in seiner Stimme schien die Angst mitzuschwingen. „Hier entlang, sagen die Pläne. Wir müssen die Quelle dieser Seuche finden und zerstören!“
„Aber Li!“, erwiderte Zhang panisch und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die Mutantentomate, die seinen Kollegen so fest drückte, dass er kaum noch Luft zu bekommen schien. Es war schon seltsam. Vorhin noch, draußen im Dschungel, da hatte er seinen Kollegen am liebsten zurücklassen wollen. Und jetzt? Er hätte ihn hinter sich lassen und mit Wong laufen können, um zu versuchen, die Quelle des Übels zu zerstören. Sollte er? Er konnte es nicht. Fest entschlossen warf er mit aller Kraft seine Fackel nach der Mutantenpflanze, die ein ohrenbetäubendes Kreischen von sich gab, als das Feuer sie verzehrte. Sie lockerte den Griff und Li, der zum Glück nicht allzu hoch über dem Boden festgehalten worden war, plumpste wie ein nasser Sack herunter.
„Li! Alles gut?“ Zhang stürzte zu seinem Kollegen.
„Nein!“, schrie Wong mit aufgerissenen Augen.
Vor Zhangs Augen bildeten sich Blasen auf Lis Gesicht. Brandblasen? Nein… sein Gesicht wurde immer roter, seine Augen schneeweiß, seine Hände zu Schlingen, die im nächsten Moment hervorschnellten, sich um Zhangs Hals legten und zudrückten, bis ihm schwarz vor Augen wurde.
GAME OVER
Wütend pfeffere ich das Spielbuch mit dem blöden „Du entscheidest selbst, wie die Geschichte weitergeht!“-Aufkleber in die Ecke. Pff. Mochte ich eh noch nie, diese Bücher.
Ein nachweihnachtlicher Trip (Crèx)
Ein nachweihnachtlicher Trip
Laut schleifend schleppte sich der Sattelzug über den dunkel geteerten und rauen Asphalt, kleine Staubwölkchen hinter sich aufwirbelnd, die das Licht der gerade im Rücken aufgehenden Sonne zu mindern versuchten. Links der großen Maschine zischte die Leitlinie in kurzen regelmäßigen Abständen an den 18 massiven, mit silbernen Alufelgen bestückten Reifen vorbei. Der sechsachsige Flachbettauflieger hatte einige wundersame Päckchen geladen, die in unterschiedlichen Farben durch den braun-roten Staub glitzerten, ähnlich wie der kräftige rote Lack des Frontlenkers, der sich mit der Aufschrift „Coca-Cola“ zierte. Die laute Luftkühlung des 750 PS starken Volvos wurde nur von AC/DC übertönt, welche hämmernd aus der Fahrerkabine dröhnten.
Im Glas der schwarzen Sonnenbrille des Fahrers reflektierte sich der schwarz in blau übergehende Himmel im Westen Arizonas. Genüsslich nahm er einen Zug von der Zigarre, die sonst lässig mit dem linken Arm aus dem offenen Fenster hing und pustete die folgende Rauchschwade in die Kabine, durch welche sie dann über die hölzernen Armaturen auf die mit Kunstleder überzogenen Sitze tänzelte.
Von hinter den Sitzen aus hustete jemand, im kleinen Bett der Fahrerkabine liegend, heftig durch eine Mundfessel. Der Brustkorb unter dem weiß-siffigen Unterhemd zog sich einige Male, begleitet von einem Wimmern, krampfartig zusammen. Der kleine, auf einem Bücherstapel sitzende Fahrer reichte sich die Zigarre in seine rechte Hand und schnippte deren Asche hinter sich in das Gesicht des im Bett gefesselt und geknebelten Mannes.
„Halt’s Maul, Weihnachtsmann! Bald hast du’s geschafft“, brüllte der kleine grün gekleidete Elf mit der Zigarre im Mund und lachte boshaft, lauter als die Höllenglocken aus dem Radio. Doch das Lachen wurde abrupt von einem Knall unterbrochen. Der Laster kam von der Straße ab, rollte durch den roten Sand, über zwei oder drei Kakteen und kam schließlich auf einem erhabenen Sandhügel zum Stillstand.
Pixel setzte sich seine Zipfelmütze wieder auf sein blond-wuscheliges Haupt. Durch die unsanfte Fahrt wurde er und die fünf Bücher, die gerade noch als Sitzerhöhung gedient hatten, durch die gesamte Fahrerkabine geschleudert. „On the Road“ hatte die Sonnenbrille auf dem Gewissen, die Zigarre aber übte Vergeltung und zündete es an. Pixel riss einen der Vorhänge herunter und versuchte das Feuer auf dem Buch auszuklopfen, doch schon das Kunstleder sowie der Bart des Weihnachtsmannes standen in tobenden Flammen. Nachdem dieser den Vorhang einige Male in das Gesicht gedroschen bekommen hatte, fing auch das Stück Stoff Feuer und Pixel musste zugeben, dass es ganz schön schwer war durch den schwarzen Rauch noch etwas zu erkennen. Unüberhörbar waren jedoch die Schmerzensschreie des Weihnachtsmannes, dessen Mundfessel und Haare inzwischen verbrannt waren.
Da Pixel die Situation zu heiß geworden war, flüchtete er sich aus der Beifahrertür und ließ den alten Mann zurück. Die Flammen schlugen schon aus den Fenstern des Volvos und gingen, begleitet von einem tosenden und knackenden Geräusch, in schwarze Rauchschwaden über. Die Schreie und „Highway To Hell“ verstummten zeitgleich, als eine große und gleißende Stichflamme durch die Kabine jagte. Pixel wünschte sich er hätte eine Sonnenbrille aufgehabt.
Es war September gewesen. Weihnachten war schon lange vorbei und viele Kinder wurden zum letzten Fest schwer enttäuscht, denn Pixel hatte den Weihnachtsmann gekidnappt. Es war noch lange in den Medien. „Weihnachtsgeschenke bleiben aus“, „Weihnachtsmann vermisst“ und „Mysteriöser Coca-Cola Truck verwüstet Kleinstadt“ zierten noch allzu oft die Schlagzeilen in lokalen Zeitungen. Das Geschenkeausteilen wurde Pixel schnell zu eintönig und er wollte selbst das Steuer in die Hand nehmen. Problem war nur der Weihnachtszauber, der auf ihm und allen seinen Elfenkollegen gelegen hatte, der es Elfen nicht ermöglichte, den Weihnachtsmann zu verletzen. Nach einem kalten Entzug ohne Rückfall, war Pixel jedoch bereit gewesen es mit ihm aufzunehmen.
Da sich sein einziges Problem gerade in Luft aufgelöst hatte, zumindest Haut und Haar davon, war er nun endlich wirklich frei und konnte tun und lassen wie ihm beliebte. Die Gewissensbisse, die ihn plagten, weil er gerade den Weihnachtsmann getötet hatte, den er eigentlich in Phoenix an ein Kaufhaus verkaufen wollte, steckte er weg, wie das Smartphone ohne Empfang, welches er sich gerade wieder in die Hosentasche gleiten ließ.
„Danke, Jack Kerouac“, seufzte Pixel, der sich nun am Straßenrand durch die Hitze schleppte, „für dieses brandheiße Buch.“
So schön seine neu erlangte Freiheit war, so sehr trauerte er auch dem Volvo FH16 hinterher, der langsam hinter ihm am Horizont verschwand. Ohne eine Mitfahrgelegenheit konnte es noch Tage dauern bis er die nächste Stadt erreichte. Glücklicherweise konnten Elfen ihren Stoffwechsel so regulieren, dass sie tagelang ohne Nahrung und Wasser auskamen, aber angenehm wäre das trotzdem nicht gewesen. Er fühlte sich wie an den Verbannungsort Sibirien zurückversetzt, quasi das Bootcamp für Elfen, die nicht gehorchten. Pixel wurde einmal dorthin geschickt, hunderte Jahre her, als das Camp noch aktiv war, bevor es von der Vereinten Elfengewerkschaft geschlossen wurde. Damals bekamen sie tagelang weder zu essen noch zu trinken und mussten untertage Uranbergbau betreiben. Das Uran wurde mit dem Polarexpress gute 4.200 Kilometer nach Finnland transportiert, wo es zur Energiegewinnung im Atomkraftwerk, auf dem Firmengelände des Weihnachtsmannes diente. Nach der Schließung des Camps lohnte es sich kostentechnisch nicht, richtige Arbeiter im Bergwerk einzustellen und so fing man an, mit dem Polarexpress Kinder zu entführen, die dann stattdessen zur Energiegewinnung verbrannt wurden. Das rentierte sich gleich doppelt: Weniger Kinder zu beschenken und mehr Energie pro Quadratmeter Körperoberfläche pro Kind im Gegensatz zu Uran. Das behauptete zumindest Wichtgang Häuble, Kostenanalytiker aus der Finanzabteilung der Weihnachtswerkstatt.
Ein Boxer-Motor, der sich schnell von hinten näherte, unterbrach Pixels nostalgischen Gedankengang. Er wandte sich der Lärmquelle zu, die quietschend neben ihm zum Stehen kam. Ein wohl selbstgebautes Motorrad, das stark an eine Harley-Davidson erinnerte, stoppte den Lärm, als die wirklich kleine und beflügelte Fahrerin den Zündschlüssel zog.
„Hey, hör mal zu“, sagte die in schwarzer Lederjacke gekleidete Fee, während sie mit ihren Flügeln auf Pixel zu flatterte, „ist das dein Schrotthaufen da hinten?“, fragte sie beinahe schnippisch, die eine Hand in die Hüfte gestemmt und mit der anderen in die Richtung aus der Pixel kam zeigend. Den Rauch konnte man der Entfernung wegen nicht mehr sehen.
Pixel schaute die Straße hinunter, sich am Kopf kratzend. „Welcher Schrotthaufen?“, fragte er unwissend, ehe er ihr wieder in die Augen blickte.
„Na dieser ausgebrannte Truck. Der mit dem ewig langen Auflieger.“ Sie wirkte hektisch aber gesammelt und redete sehr schnell. „Hallo?“
„Nein, so einen habe ich nicht gesehen.“ Wenn Pixel log, klopfte er normalerweise mit der rechten Fußspitze einige Male auf den Boden, unterdrückte dies aber gerade ganz bewusst.
„Verflixt! Ich dachte du wärst es.“ Die leichtgläubige Fee schlug sich, sichtlich verärgert, auf die zusammengebundene schwarze Jeans, nachdem sie sich die Beine überschlagend in den Motorradsitz zurückfallen ließ. „Du siehst nett aus. Ich bin Fee“, sagte sie plötzlich euphorisch, mit ausgestreckter Hand aus dem Sitz auf Pixel zuspringend.
Die Fee war nicht halb so groß wie der durchschnittliche Weihnachtself, der es immerhin auf einen Meter und drei Zentimeter brachte. Auch wenn Pixel die magische Ein-Meter-Grenze gerade so packte, war sein Gegenüber immer noch beachtlich klein. Er streckte ihr Daumen und Zeigefinger entgegen und schüttelte ihre Hand. „Sehr erfreut, ich bin Elf.“
„Blöder Name. Was soll’s? Was tust du hier? Kann ich dir helfen? Hast du Durst?“, prompt kramte Fee aus einer der Motorradtaschen einen Trinkschlauch hervor und hielt ihn Pixel unter die Nase. „Hier trink! Hab ich selbst gemacht.“
„Nein danke, ich wäre heute schon fast gestorben“, wies Pixel die Fee falsch lächelnd zurück, „stattdessen könnte ich eine Mitfahrgelegenheit gebrauchen.“
Fee ließ den Trinkschlauch fallen, den Pixel reflexartig auffing und an seinem Gürtel befestigte, schoss spiralförmig in die Höhe und schnippte einmal mit den Fingern. „Klar. Natürlich. Super! Du kannst mir helfen“, rief sie erfreut und schoss im Sturzflug vor sein Gesicht. „Zusammen. Wir finden den Schuft. Den mit dem Truck. Jetzt ohne Truck. Du weißt schon.“ Zappelnd hüpfte Fee in der Luft aufgeregt auf und ab. Weißer Schaum sammelte sich vor ihrem Mund und sie stürzte zu Boden, auf dem sie sich im Sand hin und her wälzte.
Voller Tatendrang wollte Pixel Fee helfen, traute sich aber nicht sie anzufassen, da sie gerade anfing mit den Kiefern zu beißen. Ihr in einem Dutt zusammengemachtes hellbraunes Haar, wirbelte auf und fegte unter heftigen Kopfbewegungen durch den Sand, theatralisch sprühte sie dabei den Schaum aus ihrem Mund in die Luft. Ihr linkes Auge zuckte stark, während das rechte beinahe herauszufallen drohte. Die blau schimmernden Flügel flatterten wild und unkoordiniert, ebenso die Gliedmaßen. Pixel fühlte sich in den Elfen-Hilfe-Kurs zurückversetzt. Zwar nicht in den letzten, den hatte er blau gemacht, sondern den vorletzten. Der Kurs musste betrieblich alle 100 Jahre wiederaufgefrischt werden. Er erinnerte sich zurück und musste feststellen, dass er für diese Situation nicht ausreichend Knowhow in der Elfenhand hatte. Also zückte er das Smartphone. Klasse, drei Balken! Pixel rief die Kontaktliste auf und suchte unter G. Grumpel, Videoanruf… Das Smartphone tutete drei Mal, dann ein grummeliges „Wer da?“ und Grumpels knollige Nase erschien auf dem Display.
„Grumpel, hallo? Kannst du mich sehen?“ Pixel hielt sich die Kamera in verschiedenen Abständen vor sein Gesicht.
„Ah ja, ich seh was. Wer ist denn am Apparat? Pixel? Donnerwetter!“ Grumpels ganzes Gesicht erschien nun im Bild. Er formte ein O mit seinem Mund und machte große Augen. „Hätt ich ja nich gedacht, dass wir uns mal wiedersehen. Wo bist denn gerade?“
„Ja du, Grumpel, lange Geschichte. Jedenfalls gerade in Arizona. Also Amerika, du weißt schon.“
„Nich dein Ernst!“, staunte Grumpel, „erzähl, wie bist du da hingeraten? Und warte, weißt du was vom Weihnachtsmann? Der ist nämlich auch spurlos verschwunden.“
„Weihnachtsmann? Nein, ich war’s nicht, ehm, ich meine ich weiß nichts.“ Pixel klopfte mit der rechten Fußspitze auf den Boden.
„Okay, merkwürdig“, sagte Grumpel leise und murmelte noch etwas Unverständliches.
„Wie geht’s dem Stammtisch?“ Pixel wechselte schnell das Thema.
„Pass auf, hier bei uns hat sich einiges verändert, seit der Weihnachtsmann fehlt. McElfenhack, der alte Wichtel, hat jetzt das Sagen hier. Er hat die Weihnachtswerkstatt dicht gemacht. Schuften jetzt für den Drecksack. Weißt du noch Sibirien…“
„Ja. Musste vorhin mal dran denken.“ Pixel fuhr es nostalgisch kalt den Rücken hinunter.
„Wegen was rufst du eigentlich an?“
„Ähh, achso, klar. Warte einen Moment.“ Pixel schaltete auf die Hauptkamera des Smartphones um und richtete sie auf Fee, welche noch krampfend und Schaum speiend am Boden lag.
„Oh, so ein Glück!“, meinte Grumpel. „Ganz schön selten so ne Fee. Hast du zufällig ein kleines Fläschchen dabei, in der du sie aufbewahren kannst?“
„Grumpel, nein! Ich will ihr helfen“, sagte Pixel, beinahe entsetzt.
„Quatsch. Die kratzt ab. Dauert nicht mehr lange. Ich glaube das Gezappel wird schon weniger. Und aus ihren Flügeln kannst ne klasse Suppe machen,“ schwärmte Grumpel.
Tatsächlich hatte Pixel schon einmal, in einem Ranzrestaurant „Zum erbrechenden Oger“ nahe der Weihnachtswerkstatt, eine Feenflügelcremesuppe mit Rentiergulasch gegessen. Feenflügeln sagte man hinterher, dass sie eine deutlich aufputschende Wirkung und Halluzinationen nach dem Verzehr hervorriefen. Das konnte Pixel bestätigen. Erst tanzte er, mit einem gefühlten Puls von 200, über das Mobiliar des Lokals, einen ganzen Tag lang. Er stieß mit seinem schwungvollen Tanzbein links und rechts die Wichteleintöpfe und Koboldbraten mit Trollklößen von den Tischen und schwang an den Kronleuchtern zwischen ihnen hin und her. Dann war da dieser pinke Elefant, der ihn nachts auf die Straße lockte und sie sprangen grölend und singend durch die kleine Altstadt. Schließlich hatten sie im Dorfbrunnen Sex, zumindest glaubte Pixel das, bis er von der örtlichen Elfenpolizei festgenommen wurde. Sie brachten ihn in die Ausnüchterungszelle, in der er noch tagelang seinen Rausch ausfeierte. Den pinken Elefanten hatte er seitdem nie wiedergesehen und das war vielleicht auch besser so.
Fee war nach einem letzten kräftigen Aufbäumen plötzlich komplett regungslos.
„Hab ich es nicht gesagt? Jetzt ist sie hinüber,“ meinte Grumpel stolz.
Wenn Pixel aber etwas aus dem Elfen-Hilfe-Kurs mitgenommen hatte, dann war es neben dem kostenlosen Schlüsselanhänger und den Gummibärchen auch die Herzdruckmassage.
„War schön dich mal wieder zu sehen Grumpel, mir ist da grad was eingefallen,“ verabschiedete Pixel sich von seinem Kollegen und beendete das Telefonat.
Er legte Smartphone und grüne Zipfelmütze beiseite und kniete sich neben Fee. Pixel zögerte. Erst drücken und dann pusten, oder andersrum? Nein, erst Bewusstsein prüfen. Er nahm einen naheliegenden Ast und stupste das kleine Geschöpf mehrmals vorsichtig an.
„Hallo? Bist du tot?“ fragte er.
Keine Antwort. Ihm blieb keine Wahl, er musste jetzt handeln. Also legte er den Ast beiseite und entschied sich für Pusten, da er Angst hatte ihren kleinen Körper zu zerquetschen. Er packte ihren Kopf im Zangengriff zwischen Daumen und Zeigefinger, überstreckte ihren Nacken, um die Luftröhre freizumachen und legte seine Lippen über ihre Lippen und Nase, weil sie so klein war.
Wörtlich genommen hatte er schlagartig eine kleine Hand ins Gesicht bekommen. Fees Flügel flatterten und sie stürmte in die Luft. Wie betäubt fiel Pixel auf seinen Hintern und hielt sich die Wange, aber für ihn gab es keine Gnade. Sie stürzte sich schreiend auf ihn und trat wiederholt mit ihren nackten Füßen in sein Gesicht, was ein klatschendes Geräusch erzeugte.
„Halt Stopp! Was soll das?“ Er wedelte mit geschlossenen Augen in der Luft herum, bekam Fee zu packen und umklammerte sie mit seiner rechten.
„Ihhh, du wolltest mich küssen! So eklig,“ entsetzte sie sich und spuckte zwei Mal auf den Boden. „Vergehst du dich an jedem der wehrlos ist?“
„Wehrlos?“ Pixel hielt sie ein wenig fester und stand auf. Er beäugte sie schief. „Ich dachte du wärst tot. Das sollte eine Wiederbelebung werden.“
„Tot und Wiederbelebung? Schwachsinn! Ich hab nur Tollwut.“
Schnell ließ Pixel Fee los und wischte sich hektisch die Hände an der Hose ab. „Ist das ansteckend?“
„Weiß nicht,“ sagte Fee und verpackte ihre Haare wieder in einen Dutt. „Auch egal. Komm jetzt. Steig auf. Wir müssen los!“ Sie packte Pixel mit beiden Händen am Ärmel und zog ihn Richtung Motorrad. „Etwas die Straße runter. Eine Tanke. Vielleicht ist er da. Der Schlawiner. Komm!“
Sie plumpste auf den Sitz ihres Motorrads. Es war nicht groß genug für einen Menschen, aber ein kleiner Elf und eine noch kleinere Fee hatten genug Platz darauf. Die Lenker waren groß und geschwungen, sodass sie bis an Fees Sitzplatz reichten. Pixel entschloss sich ihr zu folgen, da er keine Lust hatte bei der Hitze zu laufen. So setzte er sich hinter sie und Fee startete den Boxer-Motor. Wo gerade noch das Motorrad war blieb nur eine große Staubwolke zurück.
Pixel wusste nicht wie schnell sie fuhren, aber weil es ihm beinahe die Zipfelmütze vom Kopf wehte, war es für seinen Geschmack etwas zu schnell. Er hielt sie mit einer Hand und sich selbst am Sitz fest. Es war schwer zu atmen, weil der Fahrtwind die Luft an ihm vorbeischob. Wenn er doch mal einen Atemzug schaffte, hatte er meistens zusätzlich eine Prise Sand und Feenstaub in der Lunge. Er fragte sich, ob der Inhalt des Trinkschlauchs, den er noch am Gürtel trug, ihm wohl etwas den Rachen freispülen könnte. Eine wahrlich blöde Idee. Zum einen schoss die Flüssigkeit durch die Turbulenzen aus seiner Nase wieder heraus und verteilte sich in der Lunge, zum anderen schmeckte das dickflüssige Gesöff sehr widerlich.
„Was ist in dem Schlauch?“, rief Pixel so laut er konnte Fee ins Ohr.
Sie antwortete mit einem herzhaften Lachen.
Ob sie noch etwas sagte konnte Pixel nicht mehr ausmachen. Der Lärm des Boxer-Motors wurde zu einem langen anhaltenden, melodischen Dröhnen, das in einer Dauerschleife immer wieder dieselben Noten spielte. Über die vorbeiziehende Kulisse legte sich vom Himmel bis zum Asphalt ein kräftiger Schleier aus orangenen Wolken, durch die Blitze aus rotfarbenem Laser zuckten. Pixel überkam ein vertrautes Glücksgefühl und wurde ganz locker. Die dröhnende Melodie spielte ihm ein bekanntes Wiegenlied, zu dem sich die Umgebung rhythmisch bewegte. Aus den Wolken tauchte jemand auf, den er schon lange nicht mehr gesehen hatte. Er tanzte auf einem der Laserblitze und winkte Pixel mit seinem Rüssel zu.
„Das ist das Fledermausland!“, trötete der pinke Elefant, der die feschsten Tanzmoves draufhatte, die Pixel je gesehen hatte. „Aber Vorsicht mein Freund. Vorsicht vor den Fliegen. Sie sind überall.“
Der Elf brauchte eine Sekunde, um zu verstehen. Er drehte seinen Kopf langsam. Die riesige Schlange, auf der er ritt, wühlte sich durch die Wolken. Wie in Pacman jagte sie riesige Fliegen, die sie in einem Bissen verschlang. Überall um Pixel herum summte es, auch wenn sich keine Fliege in direkter Nähe befand. Er wollte, dass die Schlange alle Fliegen auffraß. Weil er kein Wort über die Lippen brachte, tätschelte er ihr auf den Rücken und zeigte in die Luft. Die Schlange sagte ihm etwas, aber es war Pixel egal. Er stellte sich auf ihre Schuppen und fing an zu rennen. Die Blitze zuckten noch um ihn, verkohlten manchmal eine Fliege und ab und zu tanzte der pinke Elefant auf ihnen. Pixel kam auf dem Kopf der Schlange zum Stehen. Die Aussicht war grandios. Durch die orangenen Wolken konnte man am Horizont einen Palast entdecken, der auf einer schwebenden Insel erbaut wurde.
„Treibstoffmangel“, sagte die Schlange.
Aus der Höhe kam etwas auf Pixel zugeflogen. Wie fixiert, ließ er es auf sich hinabkommen. Er kassierte den Schlag, der überdimensionalen Fliegenklatsche in sein Gesicht. Das Programm endete wie ein ausgeschalteter Fernseher.
Als Pixel erwachte, dämmerte es bereits. Die orangenen Wolken waren verschwunden und vom pinken Elefanten fehlte jede Spur. Er lag auf einer Matratze, die jemand an den Straßenrand gelegt hatte. Direkt vor ihm ragte ein Schild in die Höhe auf dem „Route 66“ geschrieben stand.
Der verkaterte Elf setzte sich auf, als er den Klang von Werkzeug in der Nähe hörte. Die Sonne stand tief, die Straße war leer und die verwachsene Tankstelle war klein und augenscheinlich verlassen. Neben dem Gebäude war ein aufgebocktes 46er Chevy Cabriolet, an dem Fee gerade einen Reifenwechsel durchführte.
Pixel rappelte sich auf und schlenderte zu ihr hinüber. Die Umgebung war kahl und Wüste eben. Die zwei Zapfsäulen waren aufgebrochen und viele Scheiben des Tankstellenladens eingeschlagen.
„Hey, Elf!“, begrüßte ihn Fee, als er neben sie trat. Sie legte den Kreuzschlüssel beiseite und klopfte sich den Dreck von den Händen. „Rausch ausgeschlafen?“
„Was war da drin?“ Pixel nahm den leeren Trinkschlauch vom Gürtel und streckte ihn Fee entgegen.
Sie hielt sich eine Hand vor den Mund und kicherte verlegen. „Verrat ich nicht.“ Fee nahm den Trinkschlauch und warf ihn lässig in das Cabrio. Gleichzeitig leuchtete der Chevy pink auf und schwebte von den Ziegelsteinen, die ihn getragen hatten, auf den Boden. Die pinke Aura um den Wagen verschwand wieder. Auf der Fahrerseite des Wagens saß jemand. Ein Mensch. Er hatte eine fahle Haut und schwarzes, leicht gelocktes, schulterlanges Haar. Sein Hawaii-Hemd war etwas löchrig. Vollständig regungslos starrte er Pixel an, den Kopf auf die Seite geneigt.
„Oh, darf ich vorstellen.“ Fee deutete mit flacher Hand auf die Person. „Das ist Rango. Ihm gehört der Chevy. Und er will uns helfen. Rango, das ist Elf. Ein Freund von mir.“
Rango zeigte keine Reaktion. Er starrte immer noch unbewegt Pixel an.
„Fee, bist du sicher, dass der nicht tot ist?“
„Kann sein. Macht ihn das zu einem schlechteren Menschen? Ich glaube nicht!“ Fee brüstete sich entsetzt, woraufhin der tote Mann einen Daumen nach oben zeigte.
„Makaber,“ meinte Pixel nur.
„Er weiß wo wir den Halunken finden. Er wird uns morgen fahren.“
Die Leiche nickte bestätigend.
„Na großartig. Solange ich endlich von hier wegkomme, soll mir alles recht sein.“
„Hinter der Tanke. Rango sagt, da ist ein Pool.“ Fee deute hinter das Gebäude. „Wir wollen noch etwas entspannen. Kommst du mit, Elf?“
Pixel zuckte mit den Schultern und meinte: „Warum nicht?“
Rango öffnete unbeholfen die Fahrertür und humpelte aus dem Wagen. Er zeigte wieder einen Daumen nach oben.
Es war wohl das ungewöhnlichste Nacktbaden der Geschichte. Ein Elf, eine Fee und eine Leiche, die nackt in einem Pool hinter einer Tankstelle in Arizona, den Sonnenuntergang genossen.
Relics: Getragen vom Wind (TheMadZocker)
Relics: Getragen vom Wind
Säulen aus Marmor, Schätze aus Gold und Relikte, die ihre Götter priesen. All das ward das Markenzeichen des alten Griechenland. Wo Legenden im Sport geboren und Traditionen beibehalten wurden. Es waren Tage der Freude, Tage einer vielversprechenden Zukunft.
„Das ist ein Desaster!“
„Immer mehr entfernen sich von uns!“
„Die Welt verfällt langsam ins Chaos...“
Alle sprachen sie nacheinander. Erst mürrisch, dann rufend, dann nachdenkend. Die Stimmen vermischten sich alle untereinander, und doch war es ruhiger, als es einst mal war. Momos, jener mittig des großen runden Tisches stehend, schaute sich um und zählte die leeren Sitze. Eins, zwei... Einst waren es zwölf, die hier in der Chefetage des Olymp saßen, und heute sind es gerade einmal fünf, die verblieben.
„Wieder mussten wir einen aus unseren Reihen entbehren, um unsere verlorenen Kinder und Verbündeten wiederzufinden. Bald sitzt hier keiner mehr!“
„Hermes ist ein hervorragender Finder. Er wird uns bald frohe Kunde bringen, da bin ich sicher!“
„Suuuuper, sieben Jahre sind auch noch nicht lang genug! Letztes Jahr hörte ich nämlich genau denselben Satz, und das Jahr davor auch, und das Jahr davor davor eben-“
„Hermes verschwand erst vor zwei! Erzähl' also nicht so'n Quatsch!“
Die optimistische Athena, und der streitlustige Ares. Momos konnte nur mit geschlossenen Augen seufzen. Als er danach zu Zeus im Zentrum des Tisches direkt vor ihm sah, dessen Sitz etwas erhöht auf einer Plattform aus Marmor weilte, konnte er sich weiterhin nur fragen, wie der oberste Gott nur mit seiner Wange auf seiner Faust abgestellt dasitzen konnte. 'Bemühe dich doch mal um Ruhe, großer Vater!“ rief Momos' Verstand.
„N-nun lass uns doch lieber weitermachen, alles klar?“
„Schnauze, Poseidon!“ riefen beide im Chor. Der Meeresgott ließ sich mit erhobenen Händen wieder in seinen Sitz fallen.
„Und das alles ist sowieso nur deine Schuld!“ sagte Ares und deutete mit seinem Finger auf Momos. „Du standest der Verräterin Aello gegenüber, und was hast du getan!? Du und deine nutzlosen Moorsoldaten!? NICHTS!“
So sehr Momos seine Männer gegen diese tiefe Beleidigung verteidigen wollte, gegen den Gott des Massakers und dabei einen der Großen Zwölf die Stimme zu erheben kann ein böses Nachspiel haben; für ihn und seine Männer.
„Aber, aber, einem engen Freund gegenüberzustehen ist alles andere als eine leichte Aufgabe.“ erwiderte Aphrodite direkt mit sanfter Stimme und einer Hand auf Ares' Unterarm platziert.
„Pah! Wenn er sie wie geordert weggesperrt hätte, wären wir jetzt nicht in diesem Schlamassel und hätten mehr Infos. Die Vorzeichen waren eindeutig!“ antwortete Ares und plumpste mit verschränkten Armen zurück auf seinen Stuhl.
Momos ballte seine Hände zu Fäuste: „Großer Rat, ich kann Aello finden, ich kann-“
Der Soldat sah Ares schon Luft holen, da donnerte auf einmal Zeus' Stimme mit einem lauten „Nein!“ durch den Raum. Endlich erhob sich der mächtige Donnergott, mit der Unterstützung seines Zepters und schritt die wenigen Stufen zum Tisch hinunter. „Aello zu finden bringt nichts, sie ist verloren.“ Momos tat einen Schritt zurück, seine Augen zuckten erst und rissen sich dann noch weiter auf. „Es ist wahr, dass wir unsere alten Verbündeten wiederfinden müssen. Doch wenn die Wurzel allen Übels vernichtet ist, bin ich mir sicher, dass alle verlorenen Seelen zurückkehren werden.“ So sehr Momos dagegen etwas sagen wollte, gegen das Urteil von Zeus anzukommen wäre unmöglich. Deswegen konnte er nur hoffen, dass der Donnergott recht behalten würde. „Legionär Momos, ich ziehe Euch von dieser Angelegenheit ab! Euer Urteilsvermögen ist eingeschränkt und lasst Euch zu sehr von Euren Gefühlen leiten. An Eure Stelle wird Hemera treten und damit Eure Einheit stellvertretend übernehmen. Um die Wiederbeschaffung der Relikte kümmern sich weiterhin die Pegasusritter; Aello zu jagen und ihr den Flammenring wieder abzunehmen wird zu ihren Aufgaben hinzugefügt.“
Momos Herz blieb beinahe stehen.
„Ich? E-ein Reservist!? Aber, großer Zeus, ich-“
„Ich. Habe. Gesprochen!“ sagte er und ließ das Ende seines Zepters auf den Boden fallen, was einen lauten Donner durch den Raum hallen ließ. „Ich erkläre dieses Stammtischtreffen für beendet!“
Sichtlich niedergeschlagen machte sich Momos zurück auf den Weg zu seiner Kaserne. Durch die meterhohen Flügeltüren aus Gold ging es hinaus in den riesigen Garten der Götter. Die weißen Stufen hinuntergelaufen ging es auch direkt zu einer Ansammlung mehrerer großer Blumenwiesen. Die zu Momos' Rechten war bestückt mit etlichen Dahlien, Vergissmeinnichte, Stockmalven, sowie vielen anderen Sommerblumen, die im hellen Licht des Olymp getränkt waren. Dazu noch viele Untergebene niedrigen Ranges der Streitmacht von Zeus, die alle konzentriert ihrer Gartenarbeit nachgingen.
Mit gesenktem Kopf und schmerzendem Herzen ging Momos die Steingänge zwischen den Wiesen entlang. Das fröhliche 'Guten Morgen' eines Freundes, der gerade einige der verwelkten Blumen stutzte, überhörte er sogar. Der grimmige Blick Momos' verwehrte jenem Freund einen weiteren Versuch auf eine freundliche Begrüßung.
Momos seufzte. Als er sein Gemach betrat, grüßte ihn die Dunkelheit, woraufhin er direkt eine Kerze anzündete. „Muss das?“ fragte eine genervte weibliche Stimme, gefolgt von einem Gähnen, was dem Kreischen eines Vogels gleichkam. „Die Sitzung ist nun einmal beendet.“ entgegnete Momos in einer ähnlichen Tonlage und trug die Kerze zum Ursprung des Geräuschs. Vom leichten Kerzenschein beleuchtet offenbarte sich eine Frau mit schwarzen Federn am Körper, sowie ebenso schwarzen Flügeln, langen violetten Haaren und Krallen als Hände und Füße wie ein Adler. Kopfüber hielt sie sich mit einem Fuß an einer Lanze fest, die oben auf zwei hölzerne Dachplanken platziert wurde, und mit dem Anderen eine halbleere Flasche Sekt. Ihre Arme baumelten lose vor sich hin, ihre Handrücken berührten den Boden.
„Hasse mir was mitgebracht?“ fragte die Harpyie.
„Nein.“
„Das ist... schade.“ Beim Versuch, sich etwas zu richten, rutschte die Vogeldame plötzlich ab und landete mit dem Gesicht voraus auf dem Boden, die Sektflasche überlebte, verlor aber Flüssigkeit. „Uff.“
Viel schien ihr das aber gar nicht auszumachen, denn nachdem sie sich langsam aufrichtete, nuckelte sie vergnügt weiter an der Flasche.
„Und? Wie lief's?“ fragte sie irgendwann. „Beschissen!“ antwortete Momos energisch. „Bin nun Reservesoldat, Hemera übernimmt nun meine Position, und Aello wird von den Pegasusrittern gejagt.“
„Wir dürfen also nicht... nach meiner Schwester suchen?“
„Nein. Wir bleiben hier und polieren Rüstungen...“
Momos setzte sich nun an seinen Schreibtisch und stellte die Kerze ab; r hatte gerade wirklich keine Lust, den großen Kronleuchter an der Decke anzuzünden. Seine Freundin Kelaino ebenso wenig, die gerade die letzten Tropfen aus der Flasche zog.
Neben der Stille war nur noch das Tappen von Momos' Finger auf das Holz des Tisches zu vernehmen. Schneller und immer schneller tappte er, sein Gesicht verfinsterte sich, bis: „Pah! Ich werde doch nicht hier versauern!“
Kelainos spitze Ohren zuckten. „Selbst nach den Worten des ach so krassen Big Boss?“
„Zeus kann mich mal!“ antwortete er energisch. Ein breites Grinsen bildete sich auf Kelainos Gesicht. „Jawohl! Anarchieeee!!“ Im nächsten Moment flog auch schon die Flasche gegen die Wand und zerbrach in tausende kleine Stücke. Momos' Herz stoppte abermals und augenblickliche Stille hielt Einzug. Stille. Niemand reagierte, auch keine Stimmen von Außerhalb. Momos atmete erleichtert aus. „Müssen noch nach Katerini. Neuen Stoff kaufen.“ sagte Kelaino mit einem selbstgefälligen Grinsen. „Du bezahlst!“
Auf der Erde war es Nacht. Die Straßen waren verlassen, leichter Wasserdampf stieg aus den Gullydeckeln hervor und die Laternen beleuchteten die Straßen.
In einem alten Mazda fuhren Momos und Kelaino mit 30 durch die Nachbarschaft. Momos fröstelte etwas: „Scheißteil. Scheiß Winter. Müssen dringend mal das Gebläse reparieren lassen.“
Kelaino unterdessen kuschelte sich in ihren grauen Hoodie; zusammen mit ihren Federn hatte sie einen ideal gewärmten Körper. „Memme.~“ entgegnete die Harpyie mit einem frechen Lächeln. Plötzlich knallte der Motor, doch kamen sie glücklicherweise nicht zum Stillstand. „Ich hoffe, du hast 'ne gute Haftpflicht...“ warf die Dame hinterher.
Kurzerhand am Straßenrand geparkt, zog Kelaino sich die Kapuze ihres Hoodies über und ging mit dem Legionär zum Kofferraum, um in weiße Laken eingewickelte Gegenstände rauszuholen, die sie jeweils schulterten, als würden sie einen Camping-Ausflug machen. „Da lang.“ sagte Momos, Kelaino folgte und lief neben ihm her.
Nicht allzu viele Schritte brauchten sie, bis sie eine Gruppe von Typen sahen, die direkt auf sie zukamen. Doch als das Duo unter den Schein der nächsten Laterne liefen, stoppten die anderen Junge abrupt und wechselten die Straßenseite. Die Befiederte schaute fragend hinterher, allerdings konnte sie erkennen, dass sie sich erst nach ihrem Anblick dazu entschieden, zu türmen. Momos musste schmunzeln. Das feine Gehör der Harpyie schnappte noch ein paar geflüsterte Worte auf, und ihre Fragen wurden beantwortet:
„Haste die geseh'n!?“
„Jo, die ist glatt 'n ganzen Kopf größer als wir, vielleicht sogar noch größer!“
„Verdaaaaamt, über 2 Meter war die Frau also?“
„Und ihre Haut erst: Genauso tot und grau wie ihr Hoodie!“
Kelaino lachte sich ins Fäustchen; krasse Komplimente! Sie liebte es, wenn sie auf die Erde niederfuhr und allein durch ihre Präsenz ihre Ziele abschreckte.
Am Friedhof angekommen und vorbei an einer halb zerrissenen Plakatwerbung für Schuldenrückzahlungen, schritten sie durch geöffnete Gittertüren. Dem Kiesweg entlang zu einer Holzhütte folgend, verschwendete Momos keine Zeit und klopfte an dessen Tür. Und kaum hat diese sich geöffnet, schoss ein Hund mit schwarzem Fell heraus und schmiegte sich an die Fußgelenke der Harpyie. Dem Hund folgend trat nun ein Mann in braunen Lumpen, einem ungesunden Buckel und einem klar sichtbaren Glasauge heraus. „Was wollt ihr?“ grüßte er mit einer rauen Stimme, die nur einem alten Mann gehören konnte. „Sehr freundlich...“ murmelte Momos. Kelaino allerdings winkte dem Alten zu und sagte mit einem Grinsen: „Juten Abend, Boris!“
Der Mann, dem dieser Name offensichtlich gehörte, schaute zur großgewachsenen Vogelfrau auf. „Ah, ja. Kelaino. Und der Milchbubi hier vorne?“
Momos machte sich gar nicht erst die Mühe, darauf einzugehen; immer wieder dasselbe. „Hör zu, Boris.“ sagte er und nahm seine Kappe ab, sodass sich seine mittellangen schwarzen Haare wieder in alle Himmelsrichtungen verteilen konnten. „Wir müssen in die Unterwelt.“
„Aha, zum Hades. Ja ja, warum sollte man mir jemals aus Spaß an der Freude einen Besuch abstatten?“
Murmelnd ging der mürrische alte Mann wieder in seine Hütte, während Momos mit verschränkten Armen auf ihn wartete und Kelaino und der Hund vergnügt ihre Nasen aneinander rieben.
Aus der Hütte hörte man Glas zerspringen, einen Holzstab umfallen, eine Trittleiter öffnen und einen Boris, der nur Momente danach auf seinen Rücken fiel. Nja gut, die letzten beiden Ereignisse konnte Momos durch den leicht geöffneten Türschlitz erkennen. „Dann mal Abmarsch.“ sagte Boris, schulterte seine Schaufel und schloss die Tür schließlich von Außen ab.
Boris ging humpelnd voraus, sein Hund lief neben ihm her und Momos und Kelaino bildeten das Schlusslicht. Momos seufzte hörbar, ob der Tatsache, dass der Zugang zum Hades so weit weg liegen musste. Ganz am anderen Ende des Friedhofs, verdammt! Die Entfernung war jedenfalls größer, als der Weg vom Auto bis zur Hütte. „Mecker nich'!“ rief Boris über seine Schulter, als wenn er die Gedanken des Momos lesen konnte. Der Blick des Legionärs versteifte sich wieder, ob der Bemerkung des alten Mannes.
„Sind da.“ sagte Boris plötzlich, und das Duo des Olymp fand sich vor nacheinander verschlossenen Gittertüren wieder. Es waren 6, um genau zu sein, damit auch ja niemand in diesen Bereich vordringen konnte. Vom Gürtel löste der Totengräber seinen ekelhaft großen Schlüsselbund und ging die Schlüssel einzeln mit zittrigen Fingern durch. Momos seufzte abermals, Kelaino hockte sich unterdessen auf den Boden.
Endlich durch alle Tore durch, umgab sie eine hohe Hecke, und ein einzelner Gang, der zu einem einsamen Grab führte. Es sah aus, als wäre es seit Jahren nicht gepflegt worden; der von Ranken überwucherte Grabstein hing auf halb acht und die weiße Vogelkacke war penetrant auffällig. Boris machte sich dran, die Erde des Grabes weg zu schaufeln. Kelaino war unterdessen wieder mit dem Hund beschäftigt.
„Warum wollt ihr eigentlich zum Hades?“ unterbrach Boris plötzlich die Ruhe, die bisher nur von ein paar einsamen Krähen behindert wurde.
„Wir wollen Aello finden.“
Der Totengräber nickte leicht. „Ah, ja. Ich hörte von der Tragödie.“
Momos zog eine Augenbraue hoch. „Ach ja? Woher?“
„Heheh. Ein paar Pegasusritter belästigten mich schon um die Nachmittagszeit herum.“
Stimmt, die gab's ja auch noch. „Aber ich konnte ihnen keine Antwort geben. Wie kommt ihr darauf, im Hades eine zu finden?“
Momos machte eine kurze Pause, sorgend, dass Boris sie verraten würde. Aber er war niemand, der so aus dem Nähkästchen reden würde...
Erst zögerte er. „...Tartaros.“
Boris schmunzelte. „Der Herrscher der Unterwelt, also...“
Die Sorge, es ihm verraten zu haben, nahm Momos langsam aber sicher ein, womit er erst nicht gerechnet hatte. Bis er irgendwann: „A-aber sag' den Olympier nichts darüber, ja?“
„Heheh, dafür bin ich ein viel zu kleines Rad im Uhrwerk. Keine Sorge.“
Die Erde ward endlich weg, und alle konnten sie die freigelegte steinerne Treppe hinunter. Dunkelheit überkam sie, nur der Inhalt beider weißer Laken gab ein schwaches Licht ab, sowie Boris' Fackel. Unten angekommen, entledigten sich die olympischen Streiter ihrer Straßenkleidung und öffneten die Laken. In Kelainos war lediglich ihre Lanze, ansonsten hatte sie nur leichte Unterbekleidung aus Stahl, die ihre empfindlichsten Stellen bedeckte. Momos hingegen hatte eine volle goldglänzende Rüstung, sowie einen Einhänder und einen Schild.
„Ihr tut gut daran, so ausgerüstet hierhin zu kommen. Viele der Geister hier sind rebellisch.“ meinte Boris. Der Hund neben ihm wuchs um das Vierfache und gebar weiterhin 3 Köpfe, und sein Gebell kam nun dem rauen Schrei eines wilden Löwen gleich. Behielt aber neben den in Rot schimmernden Augen sein unschuldiges Lächeln bei. Die Köpfe richteten sich alle zu Kelaino, welche jeden einzelnen abwechselnd streichelte. „Jaaa, wir kommen ja bald zurück.~“
„Platz, Zerberus!“ Der Hund gehorchte auf des Totengräbers Befehl.
„Im tiefsten Punkt des Hades werdet ihr ihn finden. Erst über den grünen Fluss, dann hinter der roten Tür.“ sagte Boris und deutete in die ungefähre Richtung. „Viel Glück.“
„Danke.“
Den Fluss zu überqueren und durch die großen roten Flügeltüren zu kommen war leicht. Doch nun standen sie da, in einem mit Ketten dekorierten Raum, der ansonsten leer war. Lediglich ein tiefes Loch in der Mitte war da zu ihren Füßen, in das die Ketten hineinführten.
„Ich werde lieber mit Tartaros rede-“
„Daaaa bin ich dir voraus, mein Lieber!“ unterbrach Kelaino Momos und beeilte sich, einen Strick um ihren Speer zu binden. „Diese Beziehung neu aufzubauen ist wahrlich zu früh.“ schmiss sie hinterher.
Beide überprüften sie zuletzt die Stabilität des Stricks am Speer. Als sie es für gut befanden, schritt Kelaino ein paar Schritte zurück, nahm Anlauf und befestigte mit einem kräftigen Speerwurf die Lanze an der Decke, und ließ danach den endlos scheinenden Strick das Loch hinunterfallen.
„Bitte sehr.“ sagte die Harpyie und machte eine einladende Armbewegung, bevor sie sich auf ihre vier Buchstaben setzte. Momos machte sich auf.
Die Geschichte des Amboss war also nicht gelogen, welcher neun Tage bis ganz nach unten brauchte. Momos brauchte sieben, um die Echos gequälter Schreie zu hören. Am zehnten Tag machte er die Quelle aus: Ringsum, am inzwischen geweiteten Loch, in den Wänden, waren Zellen mit unzähligen Seelen, die wie graue Leichen aussahen. Am 15. Tag war er endlich ganz unten angekommen. Momos schaute sich um. Die Fackeln an den Mauern entzündeten sich und offenbarten seinen Gastgeber. Alle Ketten, die mit dem Seil zusammen nach hier runter hingen, verliefen unter den steinernen Sitz seines Gastgebers. Stechende rote Augen schauten ihn ernst an, und eine Präsenz von beinlangen schwarzen Haaren erhob sich von seinem Thron. Das Knacken von brechenden Knochen begleiteten seine Bewegungen.
„Hmmm...“ ein Raunen ging durch die Luft, Momos schluckte. „Besuch...“ Die Stimme war finster und tief, Momos tat einen Schritt zurück. „Möchtest du...“ Momos' Herz klopfte stärker. „... einen Tee?“
„Äh...“ Momos fand nicht die Worte, um darauf zu antworten.
„Na komm...“ führte Tartaros mit träger Stimme weiter aus und machte sich auf zu einem in Stein gehauenes Regal, in dem verschiedene Getränke und andere Substanzen standen, und jede seiner Bewegungen wurde von diesem Geräusch brechender Knochen begleitet.
„Jasmin, Kamille, Pefferminz... griechischer Bergtee? Nein, zu gewöhnlich.“
Der strahlende Olympianer konnte nur stillschweigend dabei zusehen, wie der Peiniger verlorener Seelen sich nicht auf eine Teesorte festlegen konnte; einen klaren Gedanken zu fassen war unmöglich. Und der Blick in seinen Augen veränderte sich nicht, doch statt ein eher ernstes Bild abzugeben, kombiniert mit dieser Stimme, würde er Tartaros' Blick nun als „“träge“ oder „müde“ bezeichnen.
„Ah, Schafgarbentee. Wunderbar.“
Das Aneinanderreiben von Gestein war zu vernehmen, und als Momos sich umsah, stand auf einmal ein Tisch aus Stein vor seinen Füßen.
„Was, äh, also-...“ stammelte Momos. Er schüttelte den Kopf. „Gut. Tartaros, ich-“
„Oh, wo bleiben meine Manieren. Nimm doch platz.“
Ein kurzes Gefühl von Schwindel überkam Momos und taumelte nach hinten, nur um ohne einen Schritt zu tun auf einen ebenso steinernen Sitz fallenzulassen.
„Woher-“
Im Kopf des Legionärs herrschte gähnende Leere. Tartaros stellte inzwischen zwei Teetassen aus weißem Porzellan auf den Tisch und füllte sie mit heißem Wasser, bevor er schließlich die Teeblätter hinzugab. Die schwarzhaarige Gottheit nahm ebenfalls platz. „Weiter unten hab' ich auch Bäder aus Lava. Eignet sich hervorragend zum Nacktbaden. Wenn du also Lust hast...“
„Nei-. *seufz* Hör mir kurz zu! Meine Zeit ist knapp.“
„Oh...“ Tartaros senkte den Kopf. „Das... ist schade.“ Er nahm nun seine Tasse in die Hand. „Wenn man tausende Jahre lang nur verlorene Seelen zum Foltern nach unten geschmissen bekommt, sehnt man sich nach etwas... lebendigerer Aufmerksamkeit. Gute Gesprächspartner sind sie jedenfalls nicht...“
Tartaros rührte seinen Tee um. „Also, was verdanke ich deine Anwesenheit?“
Momos atmete noch einmal tief durch und versuchte, die Events von gerade zu vergessen. „Alles klar. Aello hat uns verraten, und wir wollen sie finden.“
„Mhm, mhm.“ Wie ein geübter Therapeut entgegnete er mit zustimmenden Geräuschen die Probleme des Momos. „Gut... Wer war Aello noch gleich?“
'Hab ich mich da gerade verhört?' dachte sich Momos. „Eine der Harpyien-Schwestern.“
„Ach ja...“
Tartaros schaute runter. „Du solltest langsam mal auf deinen Tee achten.“
„Konzentrier dich!“
„...Sorry.“
Auf die laute Entgegnung Momos' kreischten die Seelen in ihren Käfigen lauter als sonst. Tartaros nahm eine der Ketten vom Boden, zog kräftig dran, und ein lautes Rumpeln ließ sie wieder sofort verstummen.
„Und warum kommst du damit zu mir?“
Ab diesem Zeitpunkt gab Momos auf, Tartaros' Erinnerungsvermögen zu vertrauen.
„Deine Ketten erstrecken sich doch um die ganze Erde. Du weißt immer über alles Bescheid. Darüber hinaus hast du doch die längste Zeit mit den Harpyien zusammengearbeitet!“
Kurze Stille kehrte ein, wo Tartaros Löcher in die Luft starrte. „Da ist was dran...“
Und wieder rutschten Momos' Nerven in den Keller. „Ja, also... ich kann dir auch nicht sagen, wo Aello ist. Sorry...“
„Was!?“ rief Momos und sprang auf, die Seelen schrien. Die Kette ließ sie abermals verstummen.
„Jetzt beruhige dich.“ meinte Tartaros träge und drückte Momos von der Schulter aus zurück auf den Sitz. „Du musst dringend ruhiger werden. Hier...“
Der Foltergott entfernte mit einem Löffel die Teeblätter aus Momos' Getränk und schob die Untertasse in seine Richtung. „Das hilft.“
„Gib endlich Ruhe mit deinem Tee! Ich habe mir so viel von deinen Informationen versprochen! Du kannst mich doch jetzt nicht mit einem 'Ich hab nichts' abspeisen!“
„Du tust ja so, als hätte ich das Sorgerecht für sie, und dabei war sie nur eine einfache Seelenjägerin, die mir alle zu Bestrafenden lieferte...“ Tartaros nahm einen Schluck. „Ich kenne zwar nicht den Aufenthaltsort von Aello, aber sehr wohl kenne ich deine Gefühle für sie. Aus diesem Grund... hat dich Zeus doch von diesem Fall abgezogen?“
Momos erstarrte und schluckte, Tartaros fuhr fort: „Du bist auch hierher gekommen, weil du den Hades für ihr Verschwinden verantwortlich machst, nicht wahr?“
Momos widersprach nicht. „Es gab zwar eine Zeit, wo Hades' Habgier die Runden über die Erde zog, doch seit Medusa ziert sein Antlitz die Tiefen Hallen als bloße Statue, und die Harmonie zwischen Olymp und Hades wurde wiederhergestellt. Kumpel, das is' nich' groovy von dir, yo!“ fügte Tartaros hinzu und drehte während des letzten Satzes seine Hand mit ausgestrecktem Daumen und kleinen Finger um die eigene Achse.
„Wenn du Aello finden willst, suchst du am besten dort, wo sie als nächstes hin möchte.“ Der Herrscher der Unterwelt trank seinen Tee zu Ende und erhob sich zum Schluss.
„Und wo, bitteschön?“ fragte Momos.
„Kein Plan.“ Tartaros zuckte mit den Schultern. „Du kennst sie besser als ich, sie wird dir doch wohl irgendeine Art Hinweis gegeben haben.“
Aellos Abschiedsworte hallten plötzlich wieder in Momos' Kopf, als sei er in einer Kirche: „Die Welt ist ein Tempel von Schätzen!“, und dann machte sie sich Richtung Osten auf...
zurück in der Realität bemerkte er Tartaros neben sich mit seiner vollen Tasse Tee. „Du bist immer so aufbrausend... Du brauchst eine Balance, mein Freund.“ Und vom einen Moment zum nächsten berührten sich ihre Torsos und der Foltergott legte seinen Arm und Momos' Schultern, während er mit der anderen Hand sanft den Tee in des Legionärs Mund schüttete. Der Olympianer konnte nicht reagieren, ob der ungewöhnlich forschen Art des schwarzhaarigen Gottes. Erst, als die Tasse komplett leer war, konnte sich Momos hustend vom Griff seines Gegenübers befreien. Ketten raschelten, und abermals stand Tartaros neben ihm. Ein ruckartiger Druck verriet ihm, dass eine Kette fest um seinen Bauch geknotet wurde. „Damit kommst du schneller hoch.“ sagte Tartaros und ging direkt zu einer Umarmung über, bevor er leise in Momos' Ohr flüsterte: „Du bist mein einziger Freund...“
Ein letzter Kuss an der Seite Seines Halses markierte Tartaros' Abschied. Momos wurde doch tatsächlich rot, wollte aber mit aller Kraft das eben geschehene leugnen. „Seh'n uns.“ sprach der Foltergott kurz mit einem Zwinkern und zog kräftig an einer der Ketten. Der Legionär schnellte nach oben, sodass er schon nach wenigen Sekunden den Sichtkontakt zu den sämtlichen eingesperrten Seelen verlor. Doch anstatt sich zu fragen, wie er nur schneller fliegen als fallen konnte, überlegte er, wie er diese Begegnung Kelaino schildern würde...
Liebe Wildgänse,
bisweilen war es ein zähes Ringen: um die richtigen Worte, um Contenance, um Freiheit & Weisheit, doch
BÄÄM
da sind sie nun: Die elf Storys der achten Runde schräger Geschichten und skurriler Einfälle!
Harten Applaus an dieser Stelle für alle Teilnehmer:innen, denn letztendlich haben ALLE ihre Story eingereicht, womit wir wieder auf eine saubere Abgabequote von 100% kommen - nach wie vor ist das keine Selbstverständlichkeit.
Doch gesabbelt wurde schon genug, jetzt geht es ans Eingemachte; daher nur noch die harten Fakten zum Download, zur Abstimmung und zum Feedback.
------------
Für die ganz Eiligen, hier der
Download:
- PDF: DIN A5
- PDF: DIN A4
- eBook: EPUB-Format (für freie eBook-Reader [tolino etc.] und eReader-Programme für Handy und Tablet)
- eBook: MOBI-Format (für Amazons Kindle-Reader)
------------
Darüber hinaus gibt es natürlich noch etwas zur Abstimmung zu sagen:
Es sind elf Storys, die zur Abstimmung stehen. Da das nach wie vor zu viele Storys sind, um bloß eine Stimme zur Verwendung zu haben, und weil zwei eine komische Zahl ist, hat ein jede:r wieder drei Stimmen zur Verfügung! Damit muss man sich quasi gegen acht Storys entscheiden, die keine Stimme von einem bekommen, das ist hart genug, denk ich.
Für die Abstimmung sind erstmal drei Wochen angesetzt - ggf kann aber noch verlängert werden, denn der Mammutteil ist ja geschafft, die Storys selbst der Hauptgewinn und alles andere nur noch Schleife und Sahnehäubchen. Das heißt: am 31. Oktober wird der oder die neue Buttfucking Queen oder King bestimmt! Wer wird diese Runde die Story schreiben, die den Nerv der Zeit trifft? Who knows!
Ganz wichtig dabei: Abstimmen darf, wie immer, jede:r! Je mehr, desto besser!
Und dann sei als Letztes daran erinnert, dass sich jede:r Teilnehmer:in über Feedback freut - ob Leser:in oder Schreiber:in, wenn du das hier liest, bist du gefragt!
Zusammengefasst:
- Lesen im Medium nach Wahl
- Abstimmen bis zum 31. Oktober, jede:r ist gefragt und eingeladen!
-> jede:r hat 3 Stimmen zur Verfügung!
- zack bumm, das wars!
Was noch?
Nix mehr!
Auf gehts -
HAPPY READING / POSTING / FEEDING!
BUTTFUCKING STORY 8
~ A Summer Night's Dream ~
~ A Summer Night's Dream ~
Sexy Selbstentzündung: Der neue Trend im Rotlichtmilieu
Deutschland, Frankfurt/Main. Auf der Polizeiwache ist gegen Abend des 27. Septembers wenig los, bis ein seltsamer Anruf für Verwunderung in den Büros der Donutliebhaber sorgt. „Da liegt ‘ne brennende Nutte im Straßengraben.“ Heißt es laut Protokoll. Auch wenn es erst für einen Streich betrunkener Jugendlicher, die zu viel Billig-Gin intus haben, gehalten wurde, schickte man einen Streifenwagen los. Was man sah, verstörte sehr. Eine wirklich heiße Bordsteinschwalbe zündete sich eine Zigarette an. An ihrem Dekolleté.
Der Pelzmantel der Dame stand in Flammen und das Feuer griff langsam auf ihre übrige Kleidung über. Nach Verständigung der Feuerwehr und dem Aufklären des Missverständnisses, dass sie nicht angeheuert wird (zumindest nicht in der Dienstzeit), erkundigte man sich wie sie zu diesem auffälligen Kostüm kam. Offenkundig handelte es sich um einen neuen Trend, der unter Freiern soeben die Runde zog. Weitere Untersuchungen ergaben, dass dieser Modekult nicht aus den USA kam, da keine Waffen involviert sind. Doch wie kommt es dazu, dass einige viele Leute „lit“ so wörtlich nehmen?
Unsere Reporter begaben sich tiefer in die Materie und fanden schnell raus wo der Ursprung innerhalb ‘Schland lag: Hamburg. Ohne zu zögern schickten wir unsere wollüstigen Herren in den Norden. Aufgrund mehrerer Ausfälle mobiler Endgeräte musste das Radio auf der Fahrt eingeschaltet werden, was zu schweren psychischen Störungen führte. Wake me up when September ends wird wieder hoch und runter gespielt. Wir bitten um eine Schweigesekunde an dieser Stelle.
Nach einem solch anstrengenden Weg, begaben sich unsere mutigen Männer sofort auf die Reeperbahn. Zum Glück all unserer Leser sitzt der Stock im Arsch unseres Journalisten Hans fest, weshalb er sich zuerst informierte, bevor sich dem Vergnügen hingab. Seinen schnell hingekritzelten Notizen zufolge nennt man diese brandheiße Entwicklung „Sexy Selbstentzündung“, kurz: Sese. Interessierte Brandstifter müssen nur dieses unschuldige Wort verlieren, um den letzten Funken ihrer Unschuld zu verbrennen. Der Appeal dabei wäre die Frage, ob es in einem verbrannten oder gerissenen Kondom endet. Das Ganze mag auf den Normalsterblichen wie ein krankes Survival Game des 21. Jahrhundert wirken, jedoch berichten Freier von einem unvergleichlichen Gefühl, das jedes andere Techtelmechtel in den Schatten stellt oder besser gesagt: im Rauch verschwinden lässt. Natürlich gibt von diesem Phänomen auch seine Abhandlungen:
Manch einer will hinterher Stockbrot oder Marshmallows am Partner rösten.
Orgien beginnen nicht selten mit einem Fackelzug.
Viele gehen hinterher Nacktbaden, um auszukühlen.
Andere fragwürdige Methoden sind uns ebenfalls bekannt, werden zur Sicherheit unserer Leser nicht erwähnt.
Doch wie wurde dieser Trend geschaffen? Hans, mit seinem verkeilten Geäst im Anus, forschte weiter und sein Weg führte ihn schlussendlich nach Ungarn. Nachdem er den dortigen Nutten klarmachen konnte, dass er vorerst nicht als Kunde an ihnen interessiert ist, fand er Einiges heraus.
In einer Nacht erklang vom einem in der Hauptstadt befindlichen Stadions die wunderbare Melodie der Band Rammstein, was die in der Nähe befindliche Hippie-Bewegung in Aufruhr versetzte. Lauter als die Gitarren als auch die Anlage des siebziger Jahre VW-Busses musste ein anderes Mittel zur Unterhaltung gefunden werden. Nach Zeugenaussagen handelte es sich erst um eine Runde des Partyspiels „Wahrheit oder Pflicht“ und entwickelte sich zu einer der heißesten Orgien der Neuzeit. Die Römer hätten es nicht besser gekonnt!
Seit jener schicksalhaften Nacht vor zwei Wochen ist dieses Fest zu einer jährlichen Tradition geworden. Und Rammsteins „Deutschland“ zu kontern, welches in der Ursprungsnacht lief, läuft acht Stunden am Stück die spanische Nationalhymne, wie entschieden wurde. Der Text daraus sage den meisten daraus am ehesten zu. Sie besitzt keinen.
Wie neuste Untersuchungen ergaben, ist die Sese-Nacht nicht mehr aus diesem Lang weg zu denken. Durch das Verbrennen der Hippies stieg das Bruttoinlandsprodukt enorm und die Arbeitslosigkeit sank auf ein neues Allzeittief.
Für die Sicherheit der Bürger ist auch gesorgt: Um auf das Partygelände gelassen zu werden, muss man seinen Ausweis vorzeigen. Minderjährige und Business-Tycoons sind ungern gesehen (Kredithai dafür umso mehr)! Es ist also kein Wunder, dass ein solch wirtschaftliches Wunder auf eine Industrienation wie Deutschland überschwappte!
Falls Sie sich nun fragen sollten, warum wir unsere Ökos nicht auch verbrennen, müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass die Regierung wegen unseres Hintergrunds dies verbietet. Trotz mehrerer Aufstände der örtlich ansässigen Hippies konnte keine Genehmigung ausgehändigt werden. Wir haben keine Müh gescheut und einen Ober-Öko zu diesem Thema genauer befragt.
Im Verlauf des Interviews bezog sich „Bigby Big Foot“ -wie er genannt werden möchte- oftmals auf die Ungerechtigkeit des Staats gegenüber den einfachen Leuten, die laut ihm hier sehr gut zur Geltung kommt. Des Weiteren sagte er nicht weniger als 144-mal „man“ und versicherte unserer Reporterin, dass am Vorurteil mit den großen Füßen etwas dran wäre und gab ihr seine Nummer. Sie wird sich nicht melden. Tut uns leid, ihr nicht.
Wir bedankten uns für dieses Gespräch mit einem Schwamm.
Doch wer glaubt, dass Hippies so schnell Ruhe geben? Niemand. Auf den Straßen munkelt man von einem Event, dass zur Halloweenzeit stattfinden soll. Die Stimmen werden immer lauter, doch sind in keinem harmonischen Klang. Manch einer spricht von Blumenparaden, untermahlt mit feinster Mundorgelmusik. Live, versteht sich.
Andere sprechen wiederum davon, dass die Regierung ihre eigene Medizin zu schmecken bekommen soll, indem man gegen den Bundestag bei flackerndem Lagerfeuerlicht pisst. Was Selbstentzündung und Pinkeln miteinander zutun haben ist bei Redaktionsschluss nicht klar.
Wir wünschen allen Lesern schöne Träume von Rauchschwaden, gegrillten Hippies, verbrennenden Freiern und sonstige Entzündungen – selbst wenn man es selbst ist.
Selbstverständlich werden wir Ihnen die neusten Neuigkeiten über sämtliche Schattentänze informieren.
Ihr Reisemeiseblatt
Schattenwal
„… In den Schleiern der Nacht und
dem Grauen des Tages ist er zu finden.
Bedeckt von den ersten Tropfen des Tages
und geführt von den letzten Sternen der Nacht,
wird der Suchende ihn niemals finden.“
dem Grauen des Tages ist er zu finden.
Bedeckt von den ersten Tropfen des Tages
und geführt von den letzten Sternen der Nacht,
wird der Suchende ihn niemals finden.“
Weiß wie Schnee und so gigantisch, dass sie mit nur einem einzigen Flossenschlag ganzen Landstrichen einen Kahlschlag verpassen können, tauchen sie meistens, da auf wo man sie nicht erwartet. … Himmelswale … wunderschön und gleichzeitig die nervigsten Bewohner des weiten Wolkenmeeres.
In der Fantasie der Erdlinge sind sie nur Traum gestalten. Für Thanatos und alle anderen Kapitäne des Wolkenmeer leider all zu oft eher ein Ärgernis und manchmal eine echte Gefahr. Warum? Nun ja leider scheinen diese Geschöpfe gefallen daran zu finden sich unter Luftschiffe zu setzen und diese empor zu heben. Nur machen die Schiffe dabei nicht selten einen Salto, was für die Besatzung absolut kein Spaß ist.
Und trotzdem kann er sich einfach nicht dem Bann entziehen, den diese Geschöpfe auf ihre Beobachter ausüben. Wunderschön und majestetisch wie sie dort in ihrer kleinen Gruppe durch das Wolkenmeer streifen. Den Göttern sei dank mit ausreichend Abstand zu seinem Schiffe. Konnte sich Thanatos dennoch nicht verkneifen zu denken. Wie er so in Gedanken versunken mit einem Glas Limonade an der Reling seiner Jolly Roger stand und den Weg der Wale durch die Zuckerwatte-Wolken verfolgte.
Mit einem inneren Grinsen dachte er, wenn die Erdlinge wüssten, was ihnen ihre romantischen Sommergewitter eigentlich bescherte, würden keiner von ihnen mehr träumerisch in diesem örtlich begrenzten warmen Platzregen mehr tanzen wollen. Aber gut wer seines gleich in sogenannte Irrenhäuser steckt, weil sie Dinge gesehen haben, die sie nicht erklären können, hat wohl das Duschen in den Ausscheidungen eben solcher Dinge wohl verdient, dachte er sich schnaubend.
Eigentlich eher traurig in ihren ersten Jahren auf dieser Welt haben die Erdling einen wundervoll offenen und Fantasie vollen Geist doch bis auf wenige ausnahmen verlieren sie diese Eigenschaft sehr schnell. Stattdessen schlagen sie sich mit selbstgeschaffenen Problemen herum wie CO2-neutrale Fortbewegung, Überdüngung der Meere und Gendering. Darüber konnte Thanatos nur traurig den Kopfschütteln. Soviel verschwendetes Potenzial.
„THANI … ! Hier steckst du!“ hörte er da plötzlich einen schrillen Schrei der ihn unwillkürlich zusammenzucken ließ. Mit einem unterdrückten Stöhnen wandte er sich von dem Anblick der Himmelswale ab, um dem Besitzer der schrillen Stimmer entgegen zu treten. „Captain Thanatos Flying Hook! Wenn du immer nur an der Reling stehst und diese riesigen weißen Mistviecher anstarrst, werden wir ihn niemals finden!“. Den letzten Schiffssalto hat meine kleine Schwester Elvira den Walen wohl übel genommen. Dabei war sie eine der Wenigen, die Unterdeck waren und somit nicht in Gefahr wahr eine ungewollte Stippvisite zum Erdboden zu machen. Tja und der Name ist ein eher ungewolltes Anhängsel von den verloren Jungs, die es irre komisch fanden mir diesen Titel zu geben, nachdem wir ein Friedensabkommen mit Ihnen erreichten und sie dafür sorgten das mein Jolly Roger nun fliegen kann. Auch wenn die meisten mich seit dem nur Captain Flying Hook nennen, findet Elvira es super mich damit zu tritzen wenn ihr irgendwas nicht passt.
„Unter diesen Viechern werden wir ihn sowieso nicht finden! Du weißt doch es gibt keinen einzigen Augenzeugenbericht, der ihn je mit irgendwelchen anderen Wesen gesehen hat.“ Mit einer Lakritzstange zwischen den Zähnen und ungeduldig mit dem Fuss klopfend stand sie da und sah mich erwartungsvoll an.
Elvira Hook, die Qual und gleichzeitig der einzige Antrieb meins Lebens. Die Idee auf die Suche nach dem Schattenwal zu gehen stammte übrigens von ihr. Schon als Kind faselte sie ununterbrochen von dieser Legende.
„Einen Wal soll es geben in lila, blau und grau,
gekleidet in ein Glitzkleid im Zenit,
sodass es Sonne und Mond gleichsam zu ihm zieht. ...“
gekleidet in ein Glitzkleid im Zenit,
sodass es Sonne und Mond gleichsam zu ihm zieht. ...“
… bla bla bla … Von derartigen Sprüchen habe ich nie wirklich viel gehalten. Aber gut für mich war es eine Ablenkung aus der Eintönigkeit. Und mal abgesehen von den Wenigen die ihn gesehen haben wollen, glaubt eh kaum einer daran, dass es diesen Wal wirklich gibt.
Aber für mich war es ein Grund weg zu kommen, weg vom Nimmerland mit seiner immer währenden guten Laune. Denn nach dem mein nichtsnutziger Onkel James es sich dummer Weise mit einem Rudel Lawinenhunde verscherzte hat und im Anschluss daran in einem Schneesturm geriet, wart er nie mehr gesehen und ich durfte mich mit seinem Zeug rumschlagen. Das einzig gute daran: ab dem Moment gehörte die Jolly Roger mir. Aber zugegeben ich selbst habe immer daran geglaubt, das Tictoc das Tickende Krokodil ihn irgendwann erwischt und um ehrlich zu sein hätte es das auch verdient. Nach dem verschwinden meines Onkels machte Tictoc einen wirklich bedrückten Eindruck. Irgendwie hat es meinen Onkel wohl wirklich gemocht, auf seine eigene verquere Weise.
Wie dem auch sei danach ist es wirklich ruhig geworden im Nimmerland. Ich schloss Frieden mit den verloren Jungs. Diese lebten immer weiter ihr Abenteuer aus, Bei denen ich gelegentlich als Pirat mit ihnen die Klingen kreuzte und den Rest der Zeit verbrachten wir durch Scharmützel mit den Indianer Jungs und beim Nacktbaden in der Lagune mit den Nymphen. Und dennoch irgendwann wird auch das irgendwie langweilig. Wahrscheinlich hat mein Onkel es auch nur dank Peter Pan solange im Nimmerland ausgehalten. Ein anständiger Rivale belebt das Geschäft, wie es bei den Erdlingen heißt.
Naja jedenfalls zog ich dann irgendwann mit der Jolly Roger los, um meine eigenen Abenteuer zufinden. Denn dank den verlorenen Jungs und Tinkerbell konnte diese ja nun fliegen. Zumindest dachte ich so. Denn außer einigen heftigen Unwettern – eine Achterbahn ist nix dagegen – und vom Himmel fallenden leuchtenden Steinen – angeblich sollen das Kernkristalle sein, schön anzusehen aber nichts wert – bestand wohl mein größtes Abenteuer darin, mit den Wächtern der Himmelsforte darüber zu diskutieren, wie blödsinnig Himmelshochzeiten sind. Denn mal ehrlich, ein wahnsinns Fest zu organisieren, dass nach drei Stunden zwangsbeendet werden muss, weil die Gäste sonst - im wahrsten Sinne des Wortes - aus allen Wolken fallen würden, ist doch einfach nur blödsinnig.
Jedenfalls hat mich dadurch Elvira ziemlich schnell dazu überreden können mit ihr auf die Suche nach diesem ominösen Schattenwal zu gehen. Im nach hinein hätte ich mir damals wohl lieber einen Drachen als Haustier zulegen sollen, dass wäre wohl weniger anstrengend geworden. Ständig nur dieses Atemlose hin und her gehetzte. „Thani schau hier.“, „Thani lass und da mal nachsehen.“, „Oh Thani dort wurde er gesichtet.“. Ich bin mir mittlerweile ziemlich sicher diesen Wal gibt es garnicht. Alles nur erfunden.
„Himmel an Thanatos! Bist du noch da? Oder muss ich dich erst von Board werfen bevor du dich rührst!“ ungeduldig stampfte Elvira mit dem Fuss auf. „Wir wollten doch heute noch zur Schenke und den Augenzeugen befragen!? Und nicht erst über morgen. Also hör verdammt nochmal auf zu träumen!!“. Mit diesen Worten drehte sich Elvira schwungvoll um und stapfte wütend In Richtung der Kajüten.
Und das halte ich jetzt schon fünf Jahre lang aus. Fünf Jahre, die wir schon nach diesem dähmlichen Phantomwal suchen…
- Fortsetzung folgt -
Die Wahrheit über die Kulturrevolution
Oder: 101 Gründe, Tomaten noch mehr zu hassen als ohnehin schon
Der Blutmond stand schon hoch am Himmel, als der kleine Zhang und sein Kollege Li sich durch das letzte bisschen totes Gestrüpp kämpften und die ranzige Mahjongg-Hölle betraten. Hatte ihnen die feuchtkalte Nacht gerade noch eine Gänsehaut über den ganzen Körper gejagt, so schlug ihnen jetzt eine Welle der Hitze und des Gestanks entgegen. Kaum fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss, fühlten sie sich gefangen in einer Welt, die nicht die ihre war. Grüne Tische standen eng an eng beisammen, dazwischen ein Gewusel von Menschen, begleitet von ohrenbetäubenden Geräuschen, Gläserklirren, Gelächter, Gestöhne, das Klicken der Spielsteine. Die Luft war zum Zerschneiden dick angereichert mit Rauch, der einen die Gesichter der anderen Menschen durch das schummrige rote Licht nur erahnen ließ.
Der kleine Zhang, der eigentlich stramm auf die sechzig zuging und nur deshalb klein genannt wurde, weil es im Büro einen noch älteren Mann gleichen Namens gab, hustete und wischte sich angestrengt eine Träne aus dem Augenwinkel. Hier sollte er sein, der Mann, nach dem er und sein Kollege so dringend suchten. Andrew Wong, jener Halbamerikaner, der ihrer aller Rettung sein sollte. Er, der die Schrecken der Kulturrevolution mit eigenen Augen gesehen hatte, wie man sich erzählte. Ende der Sechziger Jahre war er aus seiner zweiten Heimat zurück aufs Festland berufen worden; statt Disco und Nacktbaden im Land der großen Freiheit hatten im Mutterland nur Feldarbeit und Mühsal auf ihn gewartet, so sagte man. Von all den Gerüchten, die über Wong existierten, war dieses neben dem Gerücht über seinen mit Feigwarzen verseuchten Riesenhoden vermutlich das einzige, das der Wahrheit halbwegs nahekam. Ansonsten erzählte man sich über ihn, er habe schon Zombies und Vampire gejagt – manch einer behauptete gar, Wong sei selbst ein Vampir. Er selbst hatte zu all dem freilich stets geschwiegen und so das Mysterium um seine eigene Person weiter genährt. Anfang der Siebziger war er spurlos verschwunden – nicht aber die Gerüchte über ihn. Die Regierung habe ihn für unmenschliche Experimente missbraucht, hörte man hier und dort. Andere waren überzeugt, dass er selbst in die Machenschaften der Regierung verwickelt gewesen sei und nach dem totalen Krieg trachtete. Das war jetzt schon über eine Dekade her. Mit den Jahren wurden die Gerüchte weniger – bis Andrew Wong so plötzlich, wie er verschwunden war, wieder auftauchte und damit das allgemeine Interesse an ihm erneut in ungeahnte Höhen katapultierte. Wong aber schwieg weiterhin beharrlich und so wusste man, obwohl er bekannt war wie ein bunter Hund, nach wie vor nicht viel über ihn, abgesehen davon, dass er das größte Kneipentier der Provinz Yunnan war, dem Tabak und den schönen Damen nicht abgeneigt war und jeden Großmeister im Mahjongg vernichten konnte. Mit anderen Worten: Dieser sagenumwobene Mann war die einzige Hoffnung, die dem kleinen Zhang, seinem Kollegen Li und allen Chinesen, womöglich sogar der ganzen Menschheit, noch blieb.
Als der kleine Zhang und sein Kollege Li die Mahjongg-Hölle betraten, nahm niemand auch nur im Entferntesten Notiz von ihnen. Zhang räusperte sich. Keine Reaktion. Pikiert rückte er seine Brille zurecht; ein solches Verhalten war er nicht gewohnt. Erst als die beiden sich einige Schritte weiter hinein in das verruchte Etablissement wagten, regte sich etwas. Ein bildhübsches, blutjunges Mädchen in einem mit smaragdfarbenen Drachen bestickten Kleid schmiegte sich lasziv an Li heran, dem sofort der Schweiß ausbrach. Mit einem unwürdigen Quieken wich er zurück und verzog sich in eine Ecke der Kaschemme. Zhang seufzte. Dann blieb die Sache wohl wie immer an ihm hängen. „Wir suchen Andrew Wong“, erklärte er dem Mädchen, dieses jedoch sah ihn nur dümmlich lächelnd an und brabbelte in einem merkwürdigen Dialekt unverständliche Worte vor sich hin. „Andrew Wong!“, wiederholte Zhang betont langsam, damit sie ihn auch ja verstand. Sie musste wohl schon von Wong gehört haben und ihm Auskunft geben können, ob er hier war oder nicht. Immer noch keine Reaktion außer einem fragenden Blick.
Vielleicht war Wong doch nicht hier? War all die Suche etwa umsonst gewesen? Sollte er umkehren und anderswo weitersuchen?
Nein. Er hatte genug Zeit darauf verwendet, Wongs Aufenthaltsort herauszufinden, seine Quelle war sich ganz sicher gewesen. Wong musste einfach hier sein.
Gerade als er sich an jemand anders wenden wollte, um nach Wong zu fragen, hörte Zhang zu seiner Linken ein grimmiges Knurren. „Suchst du mich?“
Und da saß er, zusammen mit drei weiteren, quasi gesichtslosen Männern, die er gerade vernichtend geschlagen hatte. Sein Gesicht war so zerschlissen und vernarbt, wie man sich überall erzählte, und im ersten Moment schnappte Zhang erschrocken nach Luft, was seinem Gegenüber ein heiseres Lachen entlockte. „Setz dich.“
Wie auf Kommando machte eine der drei gesichtslosen Gestalten Platz, sodass Zhang sich Wong gegenüber niedersinken lassen konnte. Ungefragt wurde ihm ein viel zu großer Becher Reisschnaps vor die Nase gestellt.
„Ich trinke nicht“, warf er höflich ein und wusste dabei schon, dass diese Ausrede heute nicht zählen würde.
„Ich auch nicht“, erwiderte Wong und hob das Glas.
Zhang unterdrückte einen weiteren Seufzer. Musste das nun wirklich sein? Ausgerechnet Reisschnaps? Sollte er wirklich seinen Körper und seine Gehirnzellen für den Rest des Abends zerstören?
Er musste. Wenn er Wong heute nicht auf seine Seite ziehen konnte, dann wäre das Ende der Welt vermutlich ohnehin nicht mehr weit, und dann konnte er mit seinen restlichen Gehirnzellen auch nichts mehr anfangen. Also hob er ebenfalls das Glas und kippte sich das widerliche Gesöff schaudernd in den Körper.
„Also dann“, griff Wong das Gespräch wieder auf, nachdem er sich den Mund abgewischt hatte. „Lass mich raten: Es geht um die Tomaten.“
Er wusste also schon Bescheid. Das wunderte Zhang nicht sonderlich. Umso besser; so musste er weniger Zeit mit langen Erklärungen verschwenden.
„Tomaten… ausgerechnet. Hab ich schon immer gehasst. Widerliche, schleimige Dinger. Schon als Kind konnte ich nicht ausstehen, wenn meine Mutter scharfen Tofu in Tomatensoße machte… Dass unser schönes Mutterland aber ernsthaft von Killertomaten fast gänzlich zerstört wird – das konnte selbst ich mir als kleiner Hosenscheißer nicht ausmalen.“ Kopfschüttelnd exte er ein weiteres Glas Reisschnaps. „Dass ich Tomaten leidenschaftlich hasse, heißt aber nicht, dass ich sie euch einfach so vom Hals schaffe. Ich wüsste auch gar nicht, wie.“
Zhang nickte wissend. „Li“, rief er in die Ecke, in der sein Kollege verschwunden war. Zögerlich trat Li an den Tisch heran und legte den Koffer, den er mitgebracht hatte, darauf. Inzwischen hatten sich bereits einige Schaulustige um sie herum versammelt. Li öffnete den Koffer und ein überraschtes Raunen ging durch die Menge der Umstehenden, als diese den Inhalt erblickten. Selbst in Wongs Augen blitzte es kurz auf, zumindest bildete Zhang sich das ein. Auch in einer fast gänzlich zerstörten Welt war Geld doch immer noch das Einzige, womit man sich Alkohol kaufen konnte.
„750 Millionen Yuan“, sagte Zhang, bevor Wong überhaupt fragen konnte. Und auch als Wong nun den Mund öffnete, kam Zhang ihm zuvor: „Und nicht nur das. Wir haben hier außerdem Pläne der Regierung, aus denen hervorgeht, dass die Quelle der Seuche hier“, er zeigte mit dem Finger auf eine Karte der Provinz, „in einer Höhle liegt.“
Anfangs hatte er die Echtheit der Dokumente selbst angezweifelt. Dass der Ursprung der Seuche, das, was auch immer die Tomaten hatte mutieren lassen, ausgerechnet hier in Yunnan lag, der einzigen Provinz, die noch nicht komplett zerstört worden war, war ihm doch sehr unwahrscheinlich erschienen; doch je mehr er darüber nachdachte, desto mehr Sinn ergab es. Die Provinz war sozusagen das Auge des Sturms.
Andrew Wong ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Mittlerweile war es fast schon unheimlich still geworden in der ranzigen Mahjongg-Hölle; alle Augen schienen auf dem seltsamen Trio zu ruhen und niemand sprach mehr ein Wort.
„Ich mach’s“, sagte Wong schließlich. „Unter einer Bedingung.“
„Aber das kann doch nicht sein Ernst sein!“ Lis Stimme überschlug sich fast vor Verzweiflung. Unbehaglich schaute er sich um.
Der einzige, der sich prächtig zu amüsieren schien, war Andrew Wong. „Obacht, dein kleiner Freund macht sich ja bald ins Hemd. Der guckt ja, als wäre irgendein verrückter Axtmörder hinter ihm her.“
„Ein Axtmörder vielleicht nicht, aber als ob Killertomaten so viel besser wären!“, ereiferte sich Li. Aus dem Gebüsch links von ihnen drangen unheimliche Laute herüber; mit einem Schrei sprang Li hinter den kleinen Zhang. „Was war das?“
„Nur eine Eule“, entgegnete Zhang brummend. Mittlerweile war selbst er, der er immer für seine Geduld bekannt gewesen war, genervt von seinem Kollegen. Sie waren noch nicht lange unterwegs, doch in dieser kurzen Zeit hatte Li die Gruppe schon so oft behindert, dass Zhang bereits ernsthaft in Erwägung gezogen hatte, Li einfach zurückzulassen. Auf einen mehr oder weniger kam es letztendlich auch nicht an.
„Laut Karte ist es nicht mehr weit“, mischte sich Wong ein, um die erhitzten Gemüter etwas zu besänftigen. „Wenn wir Glück haben und ihr Recht hattet, können wir schon bald mit dem Wiederaufbau des Mutterlands beginnen. Und wenn nicht… ja, dann bin ich um 750 Millionen Yuan reicher und kann mich für den Rest meines Daseins besaufen. Auch gut.“
Das ungleiche Trio kämpfte sich weiter durch den Dschungel Yunnans, durch Engelstrompeten und Stechäpfel, durch Büsche und Sträucher, durch allerlei Pflanzen, von denen Zhang gar nicht gewusst hatte, dass sie hier wuchsen. Allesamt Giftpflanzen. Dass ausgerechnet mutierte Tomaten das Land überwuchern und unter sich begraben würden statt irgendeiner dieser Giftpflanzen, war beinahe ironisch.
„Warum Tomaten?“, platzte es schließlich aus Zhang heraus. „Was hat die Regierung in ihnen gesehen? Was ist während der Kulturrevolution wirklich passiert?“
Wong schüttelte den Kopf. „Die Kulturrevolution ist vorbei. Die Viererbande ist tot. Es gibt nichts mehr, was darüber noch gesagt werden muss.“
Schweigend kämpfte Zhang sich weiter durch das wuchernde Unkraut um ihn herum. All die jungen Männer wie Andrew Wong, die während der Kulturrevolution zur Landarbeit geschickt wurden… waren sie alle nur Werkzeuge gewesen, um Tomaten zu sammeln, die dann für Experimente missbraucht wurden? All die Ärzte, Wissenschaftler und Professoren, die zu jener Zeit verschwunden waren – waren sie dazu benutzt worden, das tödliche Mutantenvirus zu erschaffen? Vermutlich war Andrew Wong einer der wenigen noch lebenden Menschen, die darüber Auskunft geben könnten, und doch schwieg er hartnäckig. Zhang wiederum, der selbst für die Regierung arbeitete, wusste nichts. Auch er war nur eine Spielfigur. Jetzt, da die Regierung begriffen hatte, dass die Sache aus dem Ruder gelaufen war und die Tomatenplage schnellstmöglich zerstört werden musste, kamen ihm doch langsam seine Zweifel. Waren es am Ende gar nicht die Amerikaner gewesen, die ihnen diese Plage auf den Hals gehetzt hatten? Waren die mutierten Tomaten eine chinesische Eigenkreation?
Wongs kratzige Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. „Hier muss es sein.“
Vor ihnen tat sich ein gewaltiges eisernes Tor auf, überzogen von Poison Ivy und Rost, das in eine Höhle hineinzuführen schien. Nach all der Zeit, in der das Tor hier im Dschungel Yunnans vor sich hin verwittert war, leistete es kaum Widerstand, als Wong es öffnete. Die drei traten ein und wurden von Düsternis und angenehmer Kühle empfangen.
Plötzlich ertönte zu ihrer Linken ein Geräusch, das ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließ, ein lautes Ratsch. Zhang wirbelte herum. Eine riesige, blutgetränkte schwarze Ranke schlug nach ihnen. Er konnte im letzten Moment zur Seite springen, doch sein Kollege Li war nicht schnell genug und wurde von der Monstertomate erwischt. Fest hielt sie ihn in ihren Klauen.
„Schnell!“, schrie Wong und selbst in seiner Stimme schien die Angst mitzuschwingen. „Hier entlang, sagen die Pläne. Wir müssen die Quelle dieser Seuche finden und zerstören!“
„Aber Li!“, erwiderte Zhang panisch und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die Mutantentomate, die seinen Kollegen so fest drückte, dass er kaum noch Luft zu bekommen schien. Es war schon seltsam. Vorhin noch, draußen im Dschungel, da hatte er seinen Kollegen am liebsten zurücklassen wollen. Und jetzt? Er hätte ihn hinter sich lassen und mit Wong laufen können, um zu versuchen, die Quelle des Übels zu zerstören. Sollte er? Er konnte es nicht. Fest entschlossen warf er mit aller Kraft seine Fackel nach der Mutantenpflanze, die ein ohrenbetäubendes Kreischen von sich gab, als das Feuer sie verzehrte. Sie lockerte den Griff und Li, der zum Glück nicht allzu hoch über dem Boden festgehalten worden war, plumpste wie ein nasser Sack herunter.
„Li! Alles gut?“ Zhang stürzte zu seinem Kollegen.
„Nein!“, schrie Wong mit aufgerissenen Augen.
Vor Zhangs Augen bildeten sich Blasen auf Lis Gesicht. Brandblasen? Nein… sein Gesicht wurde immer roter, seine Augen schneeweiß, seine Hände zu Schlingen, die im nächsten Moment hervorschnellten, sich um Zhangs Hals legten und zudrückten, bis ihm schwarz vor Augen wurde.
GAME OVER
Wütend pfeffere ich das Spielbuch mit dem blöden „Du entscheidest selbst, wie die Geschichte weitergeht!“-Aufkleber in die Ecke. Pff. Mochte ich eh noch nie, diese Bücher.
Ein nachweihnachtlicher Trip
Laut schleifend schleppte sich der Sattelzug über den dunkel geteerten und rauen Asphalt, kleine Staubwölkchen hinter sich aufwirbelnd, die das Licht der gerade im Rücken aufgehenden Sonne zu mindern versuchten. Links der großen Maschine zischte die Leitlinie in kurzen regelmäßigen Abständen an den 18 massiven, mit silbernen Alufelgen bestückten Reifen vorbei. Der sechsachsige Flachbettauflieger hatte einige wundersame Päckchen geladen, die in unterschiedlichen Farben durch den braun-roten Staub glitzerten, ähnlich wie der kräftige rote Lack des Frontlenkers, der sich mit der Aufschrift „Coca-Cola“ zierte. Die laute Luftkühlung des 750 PS starken Volvos wurde nur von AC/DC übertönt, welche hämmernd aus der Fahrerkabine dröhnten.
Im Glas der schwarzen Sonnenbrille des Fahrers reflektierte sich der schwarz in blau übergehende Himmel im Westen Arizonas. Genüsslich nahm er einen Zug von der Zigarre, die sonst lässig mit dem linken Arm aus dem offenen Fenster hing und pustete die folgende Rauchschwade in die Kabine, durch welche sie dann über die hölzernen Armaturen auf die mit Kunstleder überzogenen Sitze tänzelte.
Von hinter den Sitzen aus hustete jemand, im kleinen Bett der Fahrerkabine liegend, heftig durch eine Mundfessel. Der Brustkorb unter dem weiß-siffigen Unterhemd zog sich einige Male, begleitet von einem Wimmern, krampfartig zusammen. Der kleine, auf einem Bücherstapel sitzende Fahrer reichte sich die Zigarre in seine rechte Hand und schnippte deren Asche hinter sich in das Gesicht des im Bett gefesselt und geknebelten Mannes.
„Halt’s Maul, Weihnachtsmann! Bald hast du’s geschafft“, brüllte der kleine grün gekleidete Elf mit der Zigarre im Mund und lachte boshaft, lauter als die Höllenglocken aus dem Radio. Doch das Lachen wurde abrupt von einem Knall unterbrochen. Der Laster kam von der Straße ab, rollte durch den roten Sand, über zwei oder drei Kakteen und kam schließlich auf einem erhabenen Sandhügel zum Stillstand.
Pixel setzte sich seine Zipfelmütze wieder auf sein blond-wuscheliges Haupt. Durch die unsanfte Fahrt wurde er und die fünf Bücher, die gerade noch als Sitzerhöhung gedient hatten, durch die gesamte Fahrerkabine geschleudert. „On the Road“ hatte die Sonnenbrille auf dem Gewissen, die Zigarre aber übte Vergeltung und zündete es an. Pixel riss einen der Vorhänge herunter und versuchte das Feuer auf dem Buch auszuklopfen, doch schon das Kunstleder sowie der Bart des Weihnachtsmannes standen in tobenden Flammen. Nachdem dieser den Vorhang einige Male in das Gesicht gedroschen bekommen hatte, fing auch das Stück Stoff Feuer und Pixel musste zugeben, dass es ganz schön schwer war durch den schwarzen Rauch noch etwas zu erkennen. Unüberhörbar waren jedoch die Schmerzensschreie des Weihnachtsmannes, dessen Mundfessel und Haare inzwischen verbrannt waren.
Da Pixel die Situation zu heiß geworden war, flüchtete er sich aus der Beifahrertür und ließ den alten Mann zurück. Die Flammen schlugen schon aus den Fenstern des Volvos und gingen, begleitet von einem tosenden und knackenden Geräusch, in schwarze Rauchschwaden über. Die Schreie und „Highway To Hell“ verstummten zeitgleich, als eine große und gleißende Stichflamme durch die Kabine jagte. Pixel wünschte sich er hätte eine Sonnenbrille aufgehabt.
Es war September gewesen. Weihnachten war schon lange vorbei und viele Kinder wurden zum letzten Fest schwer enttäuscht, denn Pixel hatte den Weihnachtsmann gekidnappt. Es war noch lange in den Medien. „Weihnachtsgeschenke bleiben aus“, „Weihnachtsmann vermisst“ und „Mysteriöser Coca-Cola Truck verwüstet Kleinstadt“ zierten noch allzu oft die Schlagzeilen in lokalen Zeitungen. Das Geschenkeausteilen wurde Pixel schnell zu eintönig und er wollte selbst das Steuer in die Hand nehmen. Problem war nur der Weihnachtszauber, der auf ihm und allen seinen Elfenkollegen gelegen hatte, der es Elfen nicht ermöglichte, den Weihnachtsmann zu verletzen. Nach einem kalten Entzug ohne Rückfall, war Pixel jedoch bereit gewesen es mit ihm aufzunehmen.
Da sich sein einziges Problem gerade in Luft aufgelöst hatte, zumindest Haut und Haar davon, war er nun endlich wirklich frei und konnte tun und lassen wie ihm beliebte. Die Gewissensbisse, die ihn plagten, weil er gerade den Weihnachtsmann getötet hatte, den er eigentlich in Phoenix an ein Kaufhaus verkaufen wollte, steckte er weg, wie das Smartphone ohne Empfang, welches er sich gerade wieder in die Hosentasche gleiten ließ.
„Danke, Jack Kerouac“, seufzte Pixel, der sich nun am Straßenrand durch die Hitze schleppte, „für dieses brandheiße Buch.“
So schön seine neu erlangte Freiheit war, so sehr trauerte er auch dem Volvo FH16 hinterher, der langsam hinter ihm am Horizont verschwand. Ohne eine Mitfahrgelegenheit konnte es noch Tage dauern bis er die nächste Stadt erreichte. Glücklicherweise konnten Elfen ihren Stoffwechsel so regulieren, dass sie tagelang ohne Nahrung und Wasser auskamen, aber angenehm wäre das trotzdem nicht gewesen. Er fühlte sich wie an den Verbannungsort Sibirien zurückversetzt, quasi das Bootcamp für Elfen, die nicht gehorchten. Pixel wurde einmal dorthin geschickt, hunderte Jahre her, als das Camp noch aktiv war, bevor es von der Vereinten Elfengewerkschaft geschlossen wurde. Damals bekamen sie tagelang weder zu essen noch zu trinken und mussten untertage Uranbergbau betreiben. Das Uran wurde mit dem Polarexpress gute 4.200 Kilometer nach Finnland transportiert, wo es zur Energiegewinnung im Atomkraftwerk, auf dem Firmengelände des Weihnachtsmannes diente. Nach der Schließung des Camps lohnte es sich kostentechnisch nicht, richtige Arbeiter im Bergwerk einzustellen und so fing man an, mit dem Polarexpress Kinder zu entführen, die dann stattdessen zur Energiegewinnung verbrannt wurden. Das rentierte sich gleich doppelt: Weniger Kinder zu beschenken und mehr Energie pro Quadratmeter Körperoberfläche pro Kind im Gegensatz zu Uran. Das behauptete zumindest Wichtgang Häuble, Kostenanalytiker aus der Finanzabteilung der Weihnachtswerkstatt.
Ein Boxer-Motor, der sich schnell von hinten näherte, unterbrach Pixels nostalgischen Gedankengang. Er wandte sich der Lärmquelle zu, die quietschend neben ihm zum Stehen kam. Ein wohl selbstgebautes Motorrad, das stark an eine Harley-Davidson erinnerte, stoppte den Lärm, als die wirklich kleine und beflügelte Fahrerin den Zündschlüssel zog.
„Hey, hör mal zu“, sagte die in schwarzer Lederjacke gekleidete Fee, während sie mit ihren Flügeln auf Pixel zu flatterte, „ist das dein Schrotthaufen da hinten?“, fragte sie beinahe schnippisch, die eine Hand in die Hüfte gestemmt und mit der anderen in die Richtung aus der Pixel kam zeigend. Den Rauch konnte man der Entfernung wegen nicht mehr sehen.
Pixel schaute die Straße hinunter, sich am Kopf kratzend. „Welcher Schrotthaufen?“, fragte er unwissend, ehe er ihr wieder in die Augen blickte.
„Na dieser ausgebrannte Truck. Der mit dem ewig langen Auflieger.“ Sie wirkte hektisch aber gesammelt und redete sehr schnell. „Hallo?“
„Nein, so einen habe ich nicht gesehen.“ Wenn Pixel log, klopfte er normalerweise mit der rechten Fußspitze einige Male auf den Boden, unterdrückte dies aber gerade ganz bewusst.
„Verflixt! Ich dachte du wärst es.“ Die leichtgläubige Fee schlug sich, sichtlich verärgert, auf die zusammengebundene schwarze Jeans, nachdem sie sich die Beine überschlagend in den Motorradsitz zurückfallen ließ. „Du siehst nett aus. Ich bin Fee“, sagte sie plötzlich euphorisch, mit ausgestreckter Hand aus dem Sitz auf Pixel zuspringend.
Die Fee war nicht halb so groß wie der durchschnittliche Weihnachtself, der es immerhin auf einen Meter und drei Zentimeter brachte. Auch wenn Pixel die magische Ein-Meter-Grenze gerade so packte, war sein Gegenüber immer noch beachtlich klein. Er streckte ihr Daumen und Zeigefinger entgegen und schüttelte ihre Hand. „Sehr erfreut, ich bin Elf.“
„Blöder Name. Was soll’s? Was tust du hier? Kann ich dir helfen? Hast du Durst?“, prompt kramte Fee aus einer der Motorradtaschen einen Trinkschlauch hervor und hielt ihn Pixel unter die Nase. „Hier trink! Hab ich selbst gemacht.“
„Nein danke, ich wäre heute schon fast gestorben“, wies Pixel die Fee falsch lächelnd zurück, „stattdessen könnte ich eine Mitfahrgelegenheit gebrauchen.“
Fee ließ den Trinkschlauch fallen, den Pixel reflexartig auffing und an seinem Gürtel befestigte, schoss spiralförmig in die Höhe und schnippte einmal mit den Fingern. „Klar. Natürlich. Super! Du kannst mir helfen“, rief sie erfreut und schoss im Sturzflug vor sein Gesicht. „Zusammen. Wir finden den Schuft. Den mit dem Truck. Jetzt ohne Truck. Du weißt schon.“ Zappelnd hüpfte Fee in der Luft aufgeregt auf und ab. Weißer Schaum sammelte sich vor ihrem Mund und sie stürzte zu Boden, auf dem sie sich im Sand hin und her wälzte.
Voller Tatendrang wollte Pixel Fee helfen, traute sich aber nicht sie anzufassen, da sie gerade anfing mit den Kiefern zu beißen. Ihr in einem Dutt zusammengemachtes hellbraunes Haar, wirbelte auf und fegte unter heftigen Kopfbewegungen durch den Sand, theatralisch sprühte sie dabei den Schaum aus ihrem Mund in die Luft. Ihr linkes Auge zuckte stark, während das rechte beinahe herauszufallen drohte. Die blau schimmernden Flügel flatterten wild und unkoordiniert, ebenso die Gliedmaßen. Pixel fühlte sich in den Elfen-Hilfe-Kurs zurückversetzt. Zwar nicht in den letzten, den hatte er blau gemacht, sondern den vorletzten. Der Kurs musste betrieblich alle 100 Jahre wiederaufgefrischt werden. Er erinnerte sich zurück und musste feststellen, dass er für diese Situation nicht ausreichend Knowhow in der Elfenhand hatte. Also zückte er das Smartphone. Klasse, drei Balken! Pixel rief die Kontaktliste auf und suchte unter G. Grumpel, Videoanruf… Das Smartphone tutete drei Mal, dann ein grummeliges „Wer da?“ und Grumpels knollige Nase erschien auf dem Display.
„Grumpel, hallo? Kannst du mich sehen?“ Pixel hielt sich die Kamera in verschiedenen Abständen vor sein Gesicht.
„Ah ja, ich seh was. Wer ist denn am Apparat? Pixel? Donnerwetter!“ Grumpels ganzes Gesicht erschien nun im Bild. Er formte ein O mit seinem Mund und machte große Augen. „Hätt ich ja nich gedacht, dass wir uns mal wiedersehen. Wo bist denn gerade?“
„Ja du, Grumpel, lange Geschichte. Jedenfalls gerade in Arizona. Also Amerika, du weißt schon.“
„Nich dein Ernst!“, staunte Grumpel, „erzähl, wie bist du da hingeraten? Und warte, weißt du was vom Weihnachtsmann? Der ist nämlich auch spurlos verschwunden.“
„Weihnachtsmann? Nein, ich war’s nicht, ehm, ich meine ich weiß nichts.“ Pixel klopfte mit der rechten Fußspitze auf den Boden.
„Okay, merkwürdig“, sagte Grumpel leise und murmelte noch etwas Unverständliches.
„Wie geht’s dem Stammtisch?“ Pixel wechselte schnell das Thema.
„Pass auf, hier bei uns hat sich einiges verändert, seit der Weihnachtsmann fehlt. McElfenhack, der alte Wichtel, hat jetzt das Sagen hier. Er hat die Weihnachtswerkstatt dicht gemacht. Schuften jetzt für den Drecksack. Weißt du noch Sibirien…“
„Ja. Musste vorhin mal dran denken.“ Pixel fuhr es nostalgisch kalt den Rücken hinunter.
„Wegen was rufst du eigentlich an?“
„Ähh, achso, klar. Warte einen Moment.“ Pixel schaltete auf die Hauptkamera des Smartphones um und richtete sie auf Fee, welche noch krampfend und Schaum speiend am Boden lag.
„Oh, so ein Glück!“, meinte Grumpel. „Ganz schön selten so ne Fee. Hast du zufällig ein kleines Fläschchen dabei, in der du sie aufbewahren kannst?“
„Grumpel, nein! Ich will ihr helfen“, sagte Pixel, beinahe entsetzt.
„Quatsch. Die kratzt ab. Dauert nicht mehr lange. Ich glaube das Gezappel wird schon weniger. Und aus ihren Flügeln kannst ne klasse Suppe machen,“ schwärmte Grumpel.
Tatsächlich hatte Pixel schon einmal, in einem Ranzrestaurant „Zum erbrechenden Oger“ nahe der Weihnachtswerkstatt, eine Feenflügelcremesuppe mit Rentiergulasch gegessen. Feenflügeln sagte man hinterher, dass sie eine deutlich aufputschende Wirkung und Halluzinationen nach dem Verzehr hervorriefen. Das konnte Pixel bestätigen. Erst tanzte er, mit einem gefühlten Puls von 200, über das Mobiliar des Lokals, einen ganzen Tag lang. Er stieß mit seinem schwungvollen Tanzbein links und rechts die Wichteleintöpfe und Koboldbraten mit Trollklößen von den Tischen und schwang an den Kronleuchtern zwischen ihnen hin und her. Dann war da dieser pinke Elefant, der ihn nachts auf die Straße lockte und sie sprangen grölend und singend durch die kleine Altstadt. Schließlich hatten sie im Dorfbrunnen Sex, zumindest glaubte Pixel das, bis er von der örtlichen Elfenpolizei festgenommen wurde. Sie brachten ihn in die Ausnüchterungszelle, in der er noch tagelang seinen Rausch ausfeierte. Den pinken Elefanten hatte er seitdem nie wiedergesehen und das war vielleicht auch besser so.
Fee war nach einem letzten kräftigen Aufbäumen plötzlich komplett regungslos.
„Hab ich es nicht gesagt? Jetzt ist sie hinüber,“ meinte Grumpel stolz.
Wenn Pixel aber etwas aus dem Elfen-Hilfe-Kurs mitgenommen hatte, dann war es neben dem kostenlosen Schlüsselanhänger und den Gummibärchen auch die Herzdruckmassage.
„War schön dich mal wieder zu sehen Grumpel, mir ist da grad was eingefallen,“ verabschiedete Pixel sich von seinem Kollegen und beendete das Telefonat.
Er legte Smartphone und grüne Zipfelmütze beiseite und kniete sich neben Fee. Pixel zögerte. Erst drücken und dann pusten, oder andersrum? Nein, erst Bewusstsein prüfen. Er nahm einen naheliegenden Ast und stupste das kleine Geschöpf mehrmals vorsichtig an.
„Hallo? Bist du tot?“ fragte er.
Keine Antwort. Ihm blieb keine Wahl, er musste jetzt handeln. Also legte er den Ast beiseite und entschied sich für Pusten, da er Angst hatte ihren kleinen Körper zu zerquetschen. Er packte ihren Kopf im Zangengriff zwischen Daumen und Zeigefinger, überstreckte ihren Nacken, um die Luftröhre freizumachen und legte seine Lippen über ihre Lippen und Nase, weil sie so klein war.
Wörtlich genommen hatte er schlagartig eine kleine Hand ins Gesicht bekommen. Fees Flügel flatterten und sie stürmte in die Luft. Wie betäubt fiel Pixel auf seinen Hintern und hielt sich die Wange, aber für ihn gab es keine Gnade. Sie stürzte sich schreiend auf ihn und trat wiederholt mit ihren nackten Füßen in sein Gesicht, was ein klatschendes Geräusch erzeugte.
„Halt Stopp! Was soll das?“ Er wedelte mit geschlossenen Augen in der Luft herum, bekam Fee zu packen und umklammerte sie mit seiner rechten.
„Ihhh, du wolltest mich küssen! So eklig,“ entsetzte sie sich und spuckte zwei Mal auf den Boden. „Vergehst du dich an jedem der wehrlos ist?“
„Wehrlos?“ Pixel hielt sie ein wenig fester und stand auf. Er beäugte sie schief. „Ich dachte du wärst tot. Das sollte eine Wiederbelebung werden.“
„Tot und Wiederbelebung? Schwachsinn! Ich hab nur Tollwut.“
Schnell ließ Pixel Fee los und wischte sich hektisch die Hände an der Hose ab. „Ist das ansteckend?“
„Weiß nicht,“ sagte Fee und verpackte ihre Haare wieder in einen Dutt. „Auch egal. Komm jetzt. Steig auf. Wir müssen los!“ Sie packte Pixel mit beiden Händen am Ärmel und zog ihn Richtung Motorrad. „Etwas die Straße runter. Eine Tanke. Vielleicht ist er da. Der Schlawiner. Komm!“
Sie plumpste auf den Sitz ihres Motorrads. Es war nicht groß genug für einen Menschen, aber ein kleiner Elf und eine noch kleinere Fee hatten genug Platz darauf. Die Lenker waren groß und geschwungen, sodass sie bis an Fees Sitzplatz reichten. Pixel entschloss sich ihr zu folgen, da er keine Lust hatte bei der Hitze zu laufen. So setzte er sich hinter sie und Fee startete den Boxer-Motor. Wo gerade noch das Motorrad war blieb nur eine große Staubwolke zurück.
Pixel wusste nicht wie schnell sie fuhren, aber weil es ihm beinahe die Zipfelmütze vom Kopf wehte, war es für seinen Geschmack etwas zu schnell. Er hielt sie mit einer Hand und sich selbst am Sitz fest. Es war schwer zu atmen, weil der Fahrtwind die Luft an ihm vorbeischob. Wenn er doch mal einen Atemzug schaffte, hatte er meistens zusätzlich eine Prise Sand und Feenstaub in der Lunge. Er fragte sich, ob der Inhalt des Trinkschlauchs, den er noch am Gürtel trug, ihm wohl etwas den Rachen freispülen könnte. Eine wahrlich blöde Idee. Zum einen schoss die Flüssigkeit durch die Turbulenzen aus seiner Nase wieder heraus und verteilte sich in der Lunge, zum anderen schmeckte das dickflüssige Gesöff sehr widerlich.
„Was ist in dem Schlauch?“, rief Pixel so laut er konnte Fee ins Ohr.
Sie antwortete mit einem herzhaften Lachen.
Ob sie noch etwas sagte konnte Pixel nicht mehr ausmachen. Der Lärm des Boxer-Motors wurde zu einem langen anhaltenden, melodischen Dröhnen, das in einer Dauerschleife immer wieder dieselben Noten spielte. Über die vorbeiziehende Kulisse legte sich vom Himmel bis zum Asphalt ein kräftiger Schleier aus orangenen Wolken, durch die Blitze aus rotfarbenem Laser zuckten. Pixel überkam ein vertrautes Glücksgefühl und wurde ganz locker. Die dröhnende Melodie spielte ihm ein bekanntes Wiegenlied, zu dem sich die Umgebung rhythmisch bewegte. Aus den Wolken tauchte jemand auf, den er schon lange nicht mehr gesehen hatte. Er tanzte auf einem der Laserblitze und winkte Pixel mit seinem Rüssel zu.
„Das ist das Fledermausland!“, trötete der pinke Elefant, der die feschsten Tanzmoves draufhatte, die Pixel je gesehen hatte. „Aber Vorsicht mein Freund. Vorsicht vor den Fliegen. Sie sind überall.“
Der Elf brauchte eine Sekunde, um zu verstehen. Er drehte seinen Kopf langsam. Die riesige Schlange, auf der er ritt, wühlte sich durch die Wolken. Wie in Pacman jagte sie riesige Fliegen, die sie in einem Bissen verschlang. Überall um Pixel herum summte es, auch wenn sich keine Fliege in direkter Nähe befand. Er wollte, dass die Schlange alle Fliegen auffraß. Weil er kein Wort über die Lippen brachte, tätschelte er ihr auf den Rücken und zeigte in die Luft. Die Schlange sagte ihm etwas, aber es war Pixel egal. Er stellte sich auf ihre Schuppen und fing an zu rennen. Die Blitze zuckten noch um ihn, verkohlten manchmal eine Fliege und ab und zu tanzte der pinke Elefant auf ihnen. Pixel kam auf dem Kopf der Schlange zum Stehen. Die Aussicht war grandios. Durch die orangenen Wolken konnte man am Horizont einen Palast entdecken, der auf einer schwebenden Insel erbaut wurde.
„Treibstoffmangel“, sagte die Schlange.
Aus der Höhe kam etwas auf Pixel zugeflogen. Wie fixiert, ließ er es auf sich hinabkommen. Er kassierte den Schlag, der überdimensionalen Fliegenklatsche in sein Gesicht. Das Programm endete wie ein ausgeschalteter Fernseher.
Als Pixel erwachte, dämmerte es bereits. Die orangenen Wolken waren verschwunden und vom pinken Elefanten fehlte jede Spur. Er lag auf einer Matratze, die jemand an den Straßenrand gelegt hatte. Direkt vor ihm ragte ein Schild in die Höhe auf dem „Route 66“ geschrieben stand.
Der verkaterte Elf setzte sich auf, als er den Klang von Werkzeug in der Nähe hörte. Die Sonne stand tief, die Straße war leer und die verwachsene Tankstelle war klein und augenscheinlich verlassen. Neben dem Gebäude war ein aufgebocktes 46er Chevy Cabriolet, an dem Fee gerade einen Reifenwechsel durchführte.
Pixel rappelte sich auf und schlenderte zu ihr hinüber. Die Umgebung war kahl und Wüste eben. Die zwei Zapfsäulen waren aufgebrochen und viele Scheiben des Tankstellenladens eingeschlagen.
„Hey, Elf!“, begrüßte ihn Fee, als er neben sie trat. Sie legte den Kreuzschlüssel beiseite und klopfte sich den Dreck von den Händen. „Rausch ausgeschlafen?“
„Was war da drin?“ Pixel nahm den leeren Trinkschlauch vom Gürtel und streckte ihn Fee entgegen.
Sie hielt sich eine Hand vor den Mund und kicherte verlegen. „Verrat ich nicht.“ Fee nahm den Trinkschlauch und warf ihn lässig in das Cabrio. Gleichzeitig leuchtete der Chevy pink auf und schwebte von den Ziegelsteinen, die ihn getragen hatten, auf den Boden. Die pinke Aura um den Wagen verschwand wieder. Auf der Fahrerseite des Wagens saß jemand. Ein Mensch. Er hatte eine fahle Haut und schwarzes, leicht gelocktes, schulterlanges Haar. Sein Hawaii-Hemd war etwas löchrig. Vollständig regungslos starrte er Pixel an, den Kopf auf die Seite geneigt.
„Oh, darf ich vorstellen.“ Fee deutete mit flacher Hand auf die Person. „Das ist Rango. Ihm gehört der Chevy. Und er will uns helfen. Rango, das ist Elf. Ein Freund von mir.“
Rango zeigte keine Reaktion. Er starrte immer noch unbewegt Pixel an.
„Fee, bist du sicher, dass der nicht tot ist?“
„Kann sein. Macht ihn das zu einem schlechteren Menschen? Ich glaube nicht!“ Fee brüstete sich entsetzt, woraufhin der tote Mann einen Daumen nach oben zeigte.
„Makaber,“ meinte Pixel nur.
„Er weiß wo wir den Halunken finden. Er wird uns morgen fahren.“
Die Leiche nickte bestätigend.
„Na großartig. Solange ich endlich von hier wegkomme, soll mir alles recht sein.“
„Hinter der Tanke. Rango sagt, da ist ein Pool.“ Fee deute hinter das Gebäude. „Wir wollen noch etwas entspannen. Kommst du mit, Elf?“
Pixel zuckte mit den Schultern und meinte: „Warum nicht?“
Rango öffnete unbeholfen die Fahrertür und humpelte aus dem Wagen. Er zeigte wieder einen Daumen nach oben.
Es war wohl das ungewöhnlichste Nacktbaden der Geschichte. Ein Elf, eine Fee und eine Leiche, die nackt in einem Pool hinter einer Tankstelle in Arizona, den Sonnenuntergang genossen.
Relics: Getragen vom Wind
Säulen aus Marmor, Schätze aus Gold und Relikte, die ihre Götter priesen. All das ward das Markenzeichen des alten Griechenland. Wo Legenden im Sport geboren und Traditionen beibehalten wurden. Es waren Tage der Freude, Tage einer vielversprechenden Zukunft.
„Das ist ein Desaster!“
„Immer mehr entfernen sich von uns!“
„Die Welt verfällt langsam ins Chaos...“
Alle sprachen sie nacheinander. Erst mürrisch, dann rufend, dann nachdenkend. Die Stimmen vermischten sich alle untereinander, und doch war es ruhiger, als es einst mal war. Momos, jener mittig des großen runden Tisches stehend, schaute sich um und zählte die leeren Sitze. Eins, zwei... Einst waren es zwölf, die hier in der Chefetage des Olymp saßen, und heute sind es gerade einmal fünf, die verblieben.
„Wieder mussten wir einen aus unseren Reihen entbehren, um unsere verlorenen Kinder und Verbündeten wiederzufinden. Bald sitzt hier keiner mehr!“
„Hermes ist ein hervorragender Finder. Er wird uns bald frohe Kunde bringen, da bin ich sicher!“
„Suuuuper, sieben Jahre sind auch noch nicht lang genug! Letztes Jahr hörte ich nämlich genau denselben Satz, und das Jahr davor auch, und das Jahr davor davor eben-“
„Hermes verschwand erst vor zwei! Erzähl' also nicht so'n Quatsch!“
Die optimistische Athena, und der streitlustige Ares. Momos konnte nur mit geschlossenen Augen seufzen. Als er danach zu Zeus im Zentrum des Tisches direkt vor ihm sah, dessen Sitz etwas erhöht auf einer Plattform aus Marmor weilte, konnte er sich weiterhin nur fragen, wie der oberste Gott nur mit seiner Wange auf seiner Faust abgestellt dasitzen konnte. 'Bemühe dich doch mal um Ruhe, großer Vater!“ rief Momos' Verstand.
„N-nun lass uns doch lieber weitermachen, alles klar?“
„Schnauze, Poseidon!“ riefen beide im Chor. Der Meeresgott ließ sich mit erhobenen Händen wieder in seinen Sitz fallen.
„Und das alles ist sowieso nur deine Schuld!“ sagte Ares und deutete mit seinem Finger auf Momos. „Du standest der Verräterin Aello gegenüber, und was hast du getan!? Du und deine nutzlosen Moorsoldaten!? NICHTS!“
So sehr Momos seine Männer gegen diese tiefe Beleidigung verteidigen wollte, gegen den Gott des Massakers und dabei einen der Großen Zwölf die Stimme zu erheben kann ein böses Nachspiel haben; für ihn und seine Männer.
„Aber, aber, einem engen Freund gegenüberzustehen ist alles andere als eine leichte Aufgabe.“ erwiderte Aphrodite direkt mit sanfter Stimme und einer Hand auf Ares' Unterarm platziert.
„Pah! Wenn er sie wie geordert weggesperrt hätte, wären wir jetzt nicht in diesem Schlamassel und hätten mehr Infos. Die Vorzeichen waren eindeutig!“ antwortete Ares und plumpste mit verschränkten Armen zurück auf seinen Stuhl.
Momos ballte seine Hände zu Fäuste: „Großer Rat, ich kann Aello finden, ich kann-“
Der Soldat sah Ares schon Luft holen, da donnerte auf einmal Zeus' Stimme mit einem lauten „Nein!“ durch den Raum. Endlich erhob sich der mächtige Donnergott, mit der Unterstützung seines Zepters und schritt die wenigen Stufen zum Tisch hinunter. „Aello zu finden bringt nichts, sie ist verloren.“ Momos tat einen Schritt zurück, seine Augen zuckten erst und rissen sich dann noch weiter auf. „Es ist wahr, dass wir unsere alten Verbündeten wiederfinden müssen. Doch wenn die Wurzel allen Übels vernichtet ist, bin ich mir sicher, dass alle verlorenen Seelen zurückkehren werden.“ So sehr Momos dagegen etwas sagen wollte, gegen das Urteil von Zeus anzukommen wäre unmöglich. Deswegen konnte er nur hoffen, dass der Donnergott recht behalten würde. „Legionär Momos, ich ziehe Euch von dieser Angelegenheit ab! Euer Urteilsvermögen ist eingeschränkt und lasst Euch zu sehr von Euren Gefühlen leiten. An Eure Stelle wird Hemera treten und damit Eure Einheit stellvertretend übernehmen. Um die Wiederbeschaffung der Relikte kümmern sich weiterhin die Pegasusritter; Aello zu jagen und ihr den Flammenring wieder abzunehmen wird zu ihren Aufgaben hinzugefügt.“
Momos Herz blieb beinahe stehen.
„Ich? E-ein Reservist!? Aber, großer Zeus, ich-“
„Ich. Habe. Gesprochen!“ sagte er und ließ das Ende seines Zepters auf den Boden fallen, was einen lauten Donner durch den Raum hallen ließ. „Ich erkläre dieses Stammtischtreffen für beendet!“
Sichtlich niedergeschlagen machte sich Momos zurück auf den Weg zu seiner Kaserne. Durch die meterhohen Flügeltüren aus Gold ging es hinaus in den riesigen Garten der Götter. Die weißen Stufen hinuntergelaufen ging es auch direkt zu einer Ansammlung mehrerer großer Blumenwiesen. Die zu Momos' Rechten war bestückt mit etlichen Dahlien, Vergissmeinnichte, Stockmalven, sowie vielen anderen Sommerblumen, die im hellen Licht des Olymp getränkt waren. Dazu noch viele Untergebene niedrigen Ranges der Streitmacht von Zeus, die alle konzentriert ihrer Gartenarbeit nachgingen.
Mit gesenktem Kopf und schmerzendem Herzen ging Momos die Steingänge zwischen den Wiesen entlang. Das fröhliche 'Guten Morgen' eines Freundes, der gerade einige der verwelkten Blumen stutzte, überhörte er sogar. Der grimmige Blick Momos' verwehrte jenem Freund einen weiteren Versuch auf eine freundliche Begrüßung.
Momos seufzte. Als er sein Gemach betrat, grüßte ihn die Dunkelheit, woraufhin er direkt eine Kerze anzündete. „Muss das?“ fragte eine genervte weibliche Stimme, gefolgt von einem Gähnen, was dem Kreischen eines Vogels gleichkam. „Die Sitzung ist nun einmal beendet.“ entgegnete Momos in einer ähnlichen Tonlage und trug die Kerze zum Ursprung des Geräuschs. Vom leichten Kerzenschein beleuchtet offenbarte sich eine Frau mit schwarzen Federn am Körper, sowie ebenso schwarzen Flügeln, langen violetten Haaren und Krallen als Hände und Füße wie ein Adler. Kopfüber hielt sie sich mit einem Fuß an einer Lanze fest, die oben auf zwei hölzerne Dachplanken platziert wurde, und mit dem Anderen eine halbleere Flasche Sekt. Ihre Arme baumelten lose vor sich hin, ihre Handrücken berührten den Boden.
„Hasse mir was mitgebracht?“ fragte die Harpyie.
„Nein.“
„Das ist... schade.“ Beim Versuch, sich etwas zu richten, rutschte die Vogeldame plötzlich ab und landete mit dem Gesicht voraus auf dem Boden, die Sektflasche überlebte, verlor aber Flüssigkeit. „Uff.“
Viel schien ihr das aber gar nicht auszumachen, denn nachdem sie sich langsam aufrichtete, nuckelte sie vergnügt weiter an der Flasche.
„Und? Wie lief's?“ fragte sie irgendwann. „Beschissen!“ antwortete Momos energisch. „Bin nun Reservesoldat, Hemera übernimmt nun meine Position, und Aello wird von den Pegasusrittern gejagt.“
„Wir dürfen also nicht... nach meiner Schwester suchen?“
„Nein. Wir bleiben hier und polieren Rüstungen...“
Momos setzte sich nun an seinen Schreibtisch und stellte die Kerze ab; r hatte gerade wirklich keine Lust, den großen Kronleuchter an der Decke anzuzünden. Seine Freundin Kelaino ebenso wenig, die gerade die letzten Tropfen aus der Flasche zog.
Neben der Stille war nur noch das Tappen von Momos' Finger auf das Holz des Tisches zu vernehmen. Schneller und immer schneller tappte er, sein Gesicht verfinsterte sich, bis: „Pah! Ich werde doch nicht hier versauern!“
Kelainos spitze Ohren zuckten. „Selbst nach den Worten des ach so krassen Big Boss?“
„Zeus kann mich mal!“ antwortete er energisch. Ein breites Grinsen bildete sich auf Kelainos Gesicht. „Jawohl! Anarchieeee!!“ Im nächsten Moment flog auch schon die Flasche gegen die Wand und zerbrach in tausende kleine Stücke. Momos' Herz stoppte abermals und augenblickliche Stille hielt Einzug. Stille. Niemand reagierte, auch keine Stimmen von Außerhalb. Momos atmete erleichtert aus. „Müssen noch nach Katerini. Neuen Stoff kaufen.“ sagte Kelaino mit einem selbstgefälligen Grinsen. „Du bezahlst!“
Auf der Erde war es Nacht. Die Straßen waren verlassen, leichter Wasserdampf stieg aus den Gullydeckeln hervor und die Laternen beleuchteten die Straßen.
In einem alten Mazda fuhren Momos und Kelaino mit 30 durch die Nachbarschaft. Momos fröstelte etwas: „Scheißteil. Scheiß Winter. Müssen dringend mal das Gebläse reparieren lassen.“
Kelaino unterdessen kuschelte sich in ihren grauen Hoodie; zusammen mit ihren Federn hatte sie einen ideal gewärmten Körper. „Memme.~“ entgegnete die Harpyie mit einem frechen Lächeln. Plötzlich knallte der Motor, doch kamen sie glücklicherweise nicht zum Stillstand. „Ich hoffe, du hast 'ne gute Haftpflicht...“ warf die Dame hinterher.
Kurzerhand am Straßenrand geparkt, zog Kelaino sich die Kapuze ihres Hoodies über und ging mit dem Legionär zum Kofferraum, um in weiße Laken eingewickelte Gegenstände rauszuholen, die sie jeweils schulterten, als würden sie einen Camping-Ausflug machen. „Da lang.“ sagte Momos, Kelaino folgte und lief neben ihm her.
Nicht allzu viele Schritte brauchten sie, bis sie eine Gruppe von Typen sahen, die direkt auf sie zukamen. Doch als das Duo unter den Schein der nächsten Laterne liefen, stoppten die anderen Junge abrupt und wechselten die Straßenseite. Die Befiederte schaute fragend hinterher, allerdings konnte sie erkennen, dass sie sich erst nach ihrem Anblick dazu entschieden, zu türmen. Momos musste schmunzeln. Das feine Gehör der Harpyie schnappte noch ein paar geflüsterte Worte auf, und ihre Fragen wurden beantwortet:
„Haste die geseh'n!?“
„Jo, die ist glatt 'n ganzen Kopf größer als wir, vielleicht sogar noch größer!“
„Verdaaaaamt, über 2 Meter war die Frau also?“
„Und ihre Haut erst: Genauso tot und grau wie ihr Hoodie!“
Kelaino lachte sich ins Fäustchen; krasse Komplimente! Sie liebte es, wenn sie auf die Erde niederfuhr und allein durch ihre Präsenz ihre Ziele abschreckte.
Am Friedhof angekommen und vorbei an einer halb zerrissenen Plakatwerbung für Schuldenrückzahlungen, schritten sie durch geöffnete Gittertüren. Dem Kiesweg entlang zu einer Holzhütte folgend, verschwendete Momos keine Zeit und klopfte an dessen Tür. Und kaum hat diese sich geöffnet, schoss ein Hund mit schwarzem Fell heraus und schmiegte sich an die Fußgelenke der Harpyie. Dem Hund folgend trat nun ein Mann in braunen Lumpen, einem ungesunden Buckel und einem klar sichtbaren Glasauge heraus. „Was wollt ihr?“ grüßte er mit einer rauen Stimme, die nur einem alten Mann gehören konnte. „Sehr freundlich...“ murmelte Momos. Kelaino allerdings winkte dem Alten zu und sagte mit einem Grinsen: „Juten Abend, Boris!“
Der Mann, dem dieser Name offensichtlich gehörte, schaute zur großgewachsenen Vogelfrau auf. „Ah, ja. Kelaino. Und der Milchbubi hier vorne?“
Momos machte sich gar nicht erst die Mühe, darauf einzugehen; immer wieder dasselbe. „Hör zu, Boris.“ sagte er und nahm seine Kappe ab, sodass sich seine mittellangen schwarzen Haare wieder in alle Himmelsrichtungen verteilen konnten. „Wir müssen in die Unterwelt.“
„Aha, zum Hades. Ja ja, warum sollte man mir jemals aus Spaß an der Freude einen Besuch abstatten?“
Murmelnd ging der mürrische alte Mann wieder in seine Hütte, während Momos mit verschränkten Armen auf ihn wartete und Kelaino und der Hund vergnügt ihre Nasen aneinander rieben.
Aus der Hütte hörte man Glas zerspringen, einen Holzstab umfallen, eine Trittleiter öffnen und einen Boris, der nur Momente danach auf seinen Rücken fiel. Nja gut, die letzten beiden Ereignisse konnte Momos durch den leicht geöffneten Türschlitz erkennen. „Dann mal Abmarsch.“ sagte Boris, schulterte seine Schaufel und schloss die Tür schließlich von Außen ab.
Boris ging humpelnd voraus, sein Hund lief neben ihm her und Momos und Kelaino bildeten das Schlusslicht. Momos seufzte hörbar, ob der Tatsache, dass der Zugang zum Hades so weit weg liegen musste. Ganz am anderen Ende des Friedhofs, verdammt! Die Entfernung war jedenfalls größer, als der Weg vom Auto bis zur Hütte. „Mecker nich'!“ rief Boris über seine Schulter, als wenn er die Gedanken des Momos lesen konnte. Der Blick des Legionärs versteifte sich wieder, ob der Bemerkung des alten Mannes.
„Sind da.“ sagte Boris plötzlich, und das Duo des Olymp fand sich vor nacheinander verschlossenen Gittertüren wieder. Es waren 6, um genau zu sein, damit auch ja niemand in diesen Bereich vordringen konnte. Vom Gürtel löste der Totengräber seinen ekelhaft großen Schlüsselbund und ging die Schlüssel einzeln mit zittrigen Fingern durch. Momos seufzte abermals, Kelaino hockte sich unterdessen auf den Boden.
Endlich durch alle Tore durch, umgab sie eine hohe Hecke, und ein einzelner Gang, der zu einem einsamen Grab führte. Es sah aus, als wäre es seit Jahren nicht gepflegt worden; der von Ranken überwucherte Grabstein hing auf halb acht und die weiße Vogelkacke war penetrant auffällig. Boris machte sich dran, die Erde des Grabes weg zu schaufeln. Kelaino war unterdessen wieder mit dem Hund beschäftigt.
„Warum wollt ihr eigentlich zum Hades?“ unterbrach Boris plötzlich die Ruhe, die bisher nur von ein paar einsamen Krähen behindert wurde.
„Wir wollen Aello finden.“
Der Totengräber nickte leicht. „Ah, ja. Ich hörte von der Tragödie.“
Momos zog eine Augenbraue hoch. „Ach ja? Woher?“
„Heheh. Ein paar Pegasusritter belästigten mich schon um die Nachmittagszeit herum.“
Stimmt, die gab's ja auch noch. „Aber ich konnte ihnen keine Antwort geben. Wie kommt ihr darauf, im Hades eine zu finden?“
Momos machte eine kurze Pause, sorgend, dass Boris sie verraten würde. Aber er war niemand, der so aus dem Nähkästchen reden würde...
Erst zögerte er. „...Tartaros.“
Boris schmunzelte. „Der Herrscher der Unterwelt, also...“
Die Sorge, es ihm verraten zu haben, nahm Momos langsam aber sicher ein, womit er erst nicht gerechnet hatte. Bis er irgendwann: „A-aber sag' den Olympier nichts darüber, ja?“
„Heheh, dafür bin ich ein viel zu kleines Rad im Uhrwerk. Keine Sorge.“
Die Erde ward endlich weg, und alle konnten sie die freigelegte steinerne Treppe hinunter. Dunkelheit überkam sie, nur der Inhalt beider weißer Laken gab ein schwaches Licht ab, sowie Boris' Fackel. Unten angekommen, entledigten sich die olympischen Streiter ihrer Straßenkleidung und öffneten die Laken. In Kelainos war lediglich ihre Lanze, ansonsten hatte sie nur leichte Unterbekleidung aus Stahl, die ihre empfindlichsten Stellen bedeckte. Momos hingegen hatte eine volle goldglänzende Rüstung, sowie einen Einhänder und einen Schild.
„Ihr tut gut daran, so ausgerüstet hierhin zu kommen. Viele der Geister hier sind rebellisch.“ meinte Boris. Der Hund neben ihm wuchs um das Vierfache und gebar weiterhin 3 Köpfe, und sein Gebell kam nun dem rauen Schrei eines wilden Löwen gleich. Behielt aber neben den in Rot schimmernden Augen sein unschuldiges Lächeln bei. Die Köpfe richteten sich alle zu Kelaino, welche jeden einzelnen abwechselnd streichelte. „Jaaa, wir kommen ja bald zurück.~“
„Platz, Zerberus!“ Der Hund gehorchte auf des Totengräbers Befehl.
„Im tiefsten Punkt des Hades werdet ihr ihn finden. Erst über den grünen Fluss, dann hinter der roten Tür.“ sagte Boris und deutete in die ungefähre Richtung. „Viel Glück.“
„Danke.“
Den Fluss zu überqueren und durch die großen roten Flügeltüren zu kommen war leicht. Doch nun standen sie da, in einem mit Ketten dekorierten Raum, der ansonsten leer war. Lediglich ein tiefes Loch in der Mitte war da zu ihren Füßen, in das die Ketten hineinführten.
„Ich werde lieber mit Tartaros rede-“
„Daaaa bin ich dir voraus, mein Lieber!“ unterbrach Kelaino Momos und beeilte sich, einen Strick um ihren Speer zu binden. „Diese Beziehung neu aufzubauen ist wahrlich zu früh.“ schmiss sie hinterher.
Beide überprüften sie zuletzt die Stabilität des Stricks am Speer. Als sie es für gut befanden, schritt Kelaino ein paar Schritte zurück, nahm Anlauf und befestigte mit einem kräftigen Speerwurf die Lanze an der Decke, und ließ danach den endlos scheinenden Strick das Loch hinunterfallen.
„Bitte sehr.“ sagte die Harpyie und machte eine einladende Armbewegung, bevor sie sich auf ihre vier Buchstaben setzte. Momos machte sich auf.
Die Geschichte des Amboss war also nicht gelogen, welcher neun Tage bis ganz nach unten brauchte. Momos brauchte sieben, um die Echos gequälter Schreie zu hören. Am zehnten Tag machte er die Quelle aus: Ringsum, am inzwischen geweiteten Loch, in den Wänden, waren Zellen mit unzähligen Seelen, die wie graue Leichen aussahen. Am 15. Tag war er endlich ganz unten angekommen. Momos schaute sich um. Die Fackeln an den Mauern entzündeten sich und offenbarten seinen Gastgeber. Alle Ketten, die mit dem Seil zusammen nach hier runter hingen, verliefen unter den steinernen Sitz seines Gastgebers. Stechende rote Augen schauten ihn ernst an, und eine Präsenz von beinlangen schwarzen Haaren erhob sich von seinem Thron. Das Knacken von brechenden Knochen begleiteten seine Bewegungen.
„Hmmm...“ ein Raunen ging durch die Luft, Momos schluckte. „Besuch...“ Die Stimme war finster und tief, Momos tat einen Schritt zurück. „Möchtest du...“ Momos' Herz klopfte stärker. „... einen Tee?“
„Äh...“ Momos fand nicht die Worte, um darauf zu antworten.
„Na komm...“ führte Tartaros mit träger Stimme weiter aus und machte sich auf zu einem in Stein gehauenes Regal, in dem verschiedene Getränke und andere Substanzen standen, und jede seiner Bewegungen wurde von diesem Geräusch brechender Knochen begleitet.
„Jasmin, Kamille, Pefferminz... griechischer Bergtee? Nein, zu gewöhnlich.“
Der strahlende Olympianer konnte nur stillschweigend dabei zusehen, wie der Peiniger verlorener Seelen sich nicht auf eine Teesorte festlegen konnte; einen klaren Gedanken zu fassen war unmöglich. Und der Blick in seinen Augen veränderte sich nicht, doch statt ein eher ernstes Bild abzugeben, kombiniert mit dieser Stimme, würde er Tartaros' Blick nun als „“träge“ oder „müde“ bezeichnen.
„Ah, Schafgarbentee. Wunderbar.“
Das Aneinanderreiben von Gestein war zu vernehmen, und als Momos sich umsah, stand auf einmal ein Tisch aus Stein vor seinen Füßen.
„Was, äh, also-...“ stammelte Momos. Er schüttelte den Kopf. „Gut. Tartaros, ich-“
„Oh, wo bleiben meine Manieren. Nimm doch platz.“
Ein kurzes Gefühl von Schwindel überkam Momos und taumelte nach hinten, nur um ohne einen Schritt zu tun auf einen ebenso steinernen Sitz fallenzulassen.
„Woher-“
Im Kopf des Legionärs herrschte gähnende Leere. Tartaros stellte inzwischen zwei Teetassen aus weißem Porzellan auf den Tisch und füllte sie mit heißem Wasser, bevor er schließlich die Teeblätter hinzugab. Die schwarzhaarige Gottheit nahm ebenfalls platz. „Weiter unten hab' ich auch Bäder aus Lava. Eignet sich hervorragend zum Nacktbaden. Wenn du also Lust hast...“
„Nei-. *seufz* Hör mir kurz zu! Meine Zeit ist knapp.“
„Oh...“ Tartaros senkte den Kopf. „Das... ist schade.“ Er nahm nun seine Tasse in die Hand. „Wenn man tausende Jahre lang nur verlorene Seelen zum Foltern nach unten geschmissen bekommt, sehnt man sich nach etwas... lebendigerer Aufmerksamkeit. Gute Gesprächspartner sind sie jedenfalls nicht...“
Tartaros rührte seinen Tee um. „Also, was verdanke ich deine Anwesenheit?“
Momos atmete noch einmal tief durch und versuchte, die Events von gerade zu vergessen. „Alles klar. Aello hat uns verraten, und wir wollen sie finden.“
„Mhm, mhm.“ Wie ein geübter Therapeut entgegnete er mit zustimmenden Geräuschen die Probleme des Momos. „Gut... Wer war Aello noch gleich?“
'Hab ich mich da gerade verhört?' dachte sich Momos. „Eine der Harpyien-Schwestern.“
„Ach ja...“
Tartaros schaute runter. „Du solltest langsam mal auf deinen Tee achten.“
„Konzentrier dich!“
„...Sorry.“
Auf die laute Entgegnung Momos' kreischten die Seelen in ihren Käfigen lauter als sonst. Tartaros nahm eine der Ketten vom Boden, zog kräftig dran, und ein lautes Rumpeln ließ sie wieder sofort verstummen.
„Und warum kommst du damit zu mir?“
Ab diesem Zeitpunkt gab Momos auf, Tartaros' Erinnerungsvermögen zu vertrauen.
„Deine Ketten erstrecken sich doch um die ganze Erde. Du weißt immer über alles Bescheid. Darüber hinaus hast du doch die längste Zeit mit den Harpyien zusammengearbeitet!“
Kurze Stille kehrte ein, wo Tartaros Löcher in die Luft starrte. „Da ist was dran...“
Und wieder rutschten Momos' Nerven in den Keller. „Ja, also... ich kann dir auch nicht sagen, wo Aello ist. Sorry...“
„Was!?“ rief Momos und sprang auf, die Seelen schrien. Die Kette ließ sie abermals verstummen.
„Jetzt beruhige dich.“ meinte Tartaros träge und drückte Momos von der Schulter aus zurück auf den Sitz. „Du musst dringend ruhiger werden. Hier...“
Der Foltergott entfernte mit einem Löffel die Teeblätter aus Momos' Getränk und schob die Untertasse in seine Richtung. „Das hilft.“
„Gib endlich Ruhe mit deinem Tee! Ich habe mir so viel von deinen Informationen versprochen! Du kannst mich doch jetzt nicht mit einem 'Ich hab nichts' abspeisen!“
„Du tust ja so, als hätte ich das Sorgerecht für sie, und dabei war sie nur eine einfache Seelenjägerin, die mir alle zu Bestrafenden lieferte...“ Tartaros nahm einen Schluck. „Ich kenne zwar nicht den Aufenthaltsort von Aello, aber sehr wohl kenne ich deine Gefühle für sie. Aus diesem Grund... hat dich Zeus doch von diesem Fall abgezogen?“
Momos erstarrte und schluckte, Tartaros fuhr fort: „Du bist auch hierher gekommen, weil du den Hades für ihr Verschwinden verantwortlich machst, nicht wahr?“
Momos widersprach nicht. „Es gab zwar eine Zeit, wo Hades' Habgier die Runden über die Erde zog, doch seit Medusa ziert sein Antlitz die Tiefen Hallen als bloße Statue, und die Harmonie zwischen Olymp und Hades wurde wiederhergestellt. Kumpel, das is' nich' groovy von dir, yo!“ fügte Tartaros hinzu und drehte während des letzten Satzes seine Hand mit ausgestrecktem Daumen und kleinen Finger um die eigene Achse.
„Wenn du Aello finden willst, suchst du am besten dort, wo sie als nächstes hin möchte.“ Der Herrscher der Unterwelt trank seinen Tee zu Ende und erhob sich zum Schluss.
„Und wo, bitteschön?“ fragte Momos.
„Kein Plan.“ Tartaros zuckte mit den Schultern. „Du kennst sie besser als ich, sie wird dir doch wohl irgendeine Art Hinweis gegeben haben.“
Aellos Abschiedsworte hallten plötzlich wieder in Momos' Kopf, als sei er in einer Kirche: „Die Welt ist ein Tempel von Schätzen!“, und dann machte sie sich Richtung Osten auf...
zurück in der Realität bemerkte er Tartaros neben sich mit seiner vollen Tasse Tee. „Du bist immer so aufbrausend... Du brauchst eine Balance, mein Freund.“ Und vom einen Moment zum nächsten berührten sich ihre Torsos und der Foltergott legte seinen Arm und Momos' Schultern, während er mit der anderen Hand sanft den Tee in des Legionärs Mund schüttete. Der Olympianer konnte nicht reagieren, ob der ungewöhnlich forschen Art des schwarzhaarigen Gottes. Erst, als die Tasse komplett leer war, konnte sich Momos hustend vom Griff seines Gegenübers befreien. Ketten raschelten, und abermals stand Tartaros neben ihm. Ein ruckartiger Druck verriet ihm, dass eine Kette fest um seinen Bauch geknotet wurde. „Damit kommst du schneller hoch.“ sagte Tartaros und ging direkt zu einer Umarmung über, bevor er leise in Momos' Ohr flüsterte: „Du bist mein einziger Freund...“
Ein letzter Kuss an der Seite Seines Halses markierte Tartaros' Abschied. Momos wurde doch tatsächlich rot, wollte aber mit aller Kraft das eben geschehene leugnen. „Seh'n uns.“ sprach der Foltergott kurz mit einem Zwinkern und zog kräftig an einer der Ketten. Der Legionär schnellte nach oben, sodass er schon nach wenigen Sekunden den Sichtkontakt zu den sämtlichen eingesperrten Seelen verlor. Doch anstatt sich zu fragen, wie er nur schneller fliegen als fallen konnte, überlegte er, wie er diese Begegnung Kelaino schildern würde...
I wasn't playing baseball, no!
I wasn't playing football, no!
I wasn't playing basketball, noo!
I was playing Class War!
I wasn't playing football, no!
I wasn't playing basketball, noo!
I was playing Class War!
Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von pondo ()