Liebe Zeldagemeinde,
diese Runde lief nicht ganz so reibungslos wie die letzte, die Verspätung tut mir leid. Einige sind abgesprungen, es gab private Probleme, das ist schade. Dennoch freue ich mich, dass immer noch Interesse bestand und besteht und dass ich der Gemeinschaft nun die diese Runde überlebenden BUTTFUCKING STORYS präsentieren darf! o/
Im Folgenden findet ihr unter den Spoiler-Tags die entsprechenden Geschichten.
Außerdem möchte ich einen Mod noch darum bitten, der Vollständigkeit halber die übliche Umfrage einzufügen. Nicht um Konkurrenzscheiße zu forcieren, sondern um im freundschaftlichen Miteinander herauszufinden, wessen Story die Massen (? %D) am meisten zu begeistern vermochte!
Letztes mal gab's bei 15 Storys 3 Stimmen, jetzt sind's 5 Storys, da scheint es mir fair, wenn jeder eine Stimme zu vergeben hat. Zum Lesen&Abstimmen sollten zwei Wochen dieses Mal genügen - die gesamte Userschaft ist dazu eingeladen!
Umfrage
- jeder darf teilnehmen
- über jede Kritik freuen sich die Schreiberlinge
- nur eine Stimme
- läuft zwei Wochen
Zur Abstimmung möchte ich mich aus der letzten Runde noch einmal selbst zitieren:
Wie immer gilt: Falls ich eine Formatierung versaut habe, schreit! Darüber hinaus sind die Assoziationen in den Texten nicht extra gekennzeichnet, um den Lesefluss nicht zu behindern. In einer später downloadbaren .pdf Datei könnt ihr euch aber auch die Geschichten dann mit Asso-Vermerk durchlesen.
Genug gelabert. In einer etwaigen späteren Runde sind es vielleicht wieder mehr Storys, aber das steht in den Sternen und soll uns jetzt nicht kümmern.
Los geht's! \o/
Sirius "Geronimo"
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Sirius hat folgenden Oberbegriff / Thema gewählt: Lust
bereth sagt dazu: Käsesahnetorte, Penisring
Maybe sagt dazu:
Hylia sagt dazu: Pflichten, Hunger
CAMIR sagt dazu: Vibration, Schokolade
Crowbar sagt dazu: Slaanesh, Leidenschaft
HeyDay sagt dazu: Essen, Langeweile
Senfsamen sagt dazu: Kleptomanie, unersättlich
pondo sagt dazu: Kommune 1, Verrohen
Geronimo
Ich habe in letzter Zeit eine unglaubliche Lust an der Lust. Ich könnte ständig irgendeiner Sache leidenschaftlich verfallen. Dieses ständige mentale Käsesahnetortenessenmüssen. Diese aufdringliche Lebe den Moment!-Neonreklame vor meinem inneren Auge. Die good vibrations an Körperstellen, von denen man vorher noch nicht einmal wusste.
Warum nicht mal in Jogginghose drei Bier einkaufen gehen, einfach weil man Bock hat, auf andere wie ein verlotterter Penner zu wirken?
Und warum nicht zwei Stunden später noch mal bei derselben Kassiererin in Krawatte und Anzug bezahlen?
Warum nicht einfach mal bei schönem Wetter vor die Tür gehen und einen Spaziergang durch seine Wohngegend unternehmen?
Warum nicht heute einfach die ganze Tafel Schokolade auf einmal verputzen?
Warum nicht einfach mal auf Anfragen wie „Heute Abend ist XYZ, kommst du mit?“ unreflektiert mit „Klar!“ antworten, ohne Rücksicht darauf, was morgen sein könnte.
Warum nicht einfach auf Plan B umsteigen, wenn man merkt, dass man mit Plan A auch auf Dauer keine Sonne sieht.
Warum nicht einfach leben?
Ich saß einmal in meiner abgefuckten Lieblingskneipe und diskutierte an der Bar, nach fünf Astra, zwei Whiskey-Cola und drei Bloody Mary, etwas lautstärker mit meiner Freundin darüber, dass Veganismus oft missverstanden wird. Für irgendwas gehalten wird, das in seinem Kern mit dezent realitätsfernen Esoterik-Bionade-Tofukultistinnen zu tun hat. Oder mit misanthropischen skandinavischen Subkulturen, was noch weitaus alberner ist. Nein, nein und nochmals nein! Die Maxime war von Anfang an: Nimm’ so viel Rücksicht auf deine Umwelt, wie es dir möglich ist!
Ich betone: Wie es dir möglich ist!
In Deutschland, dem Land der regelversessenen Wohlfühlbürokratiker, wurde daraus so etwas wie: MIT KÄSEBROT ERWISCHT WERDEN BEDEUTET EINZELHAFT UND LEBENSLANGE ÄCHTUNG. KENNET EURE PFLICHTEN. REGELBRUCH IST TOD.
Dogmatiker aller Länder, vereidigt euch!
Diese ganzen verbiesterten Ernährungsspinner. Alle erschießen. Alle. Kein Wunder, dass es die Leute abschreckt.
Warum nicht einfach: Jeder tut, was er kann.
Es könnte so simpel sein.
Ich sähe ja auch eh nicht so aus, hieß es mal. Dürre Männer mit Glatze leben fleischlos. Sonst niemand. Mangelerscheinung, Mangelerscheinung, Mangelerscheinung! Der isst doch heimlich Schnitzel! Der ist doch gar ni—
Ich will mich nicht aufregen.
Bahnfahren wird auch immer teurer.
MANN ICH HAB’ FIXKOSTEN. ICH MUSS PENDELN.
…jedenfalls, ich sprach also in dieser Kneipe mit ihr darüber. Laut und zum Teil vulgär. Das tue ich manchmal. So bin ich halt drauf. Da rief mir vom Tisch an der Eingangstür ein Trunkenbold zu: „Fang an zu leben, du Öko!“
Ich überlegte, ob ich mich eher degradiert fühlen soll oder nicht vielleicht doch eher missverstanden Ich entschied mich mit großer Mehrheit für letzteres und verkniff mir ein Alleine saufen hat nix mit Leben zu tun! in seine Richtung, während mein kritisches Inneres hart mit mir ins Gericht ging und mich fragte: Hast du das Gefühl, im Leben etwas verpasst zu haben?
Ich antworte: Nein. Ich nehm’ doch alles mit, was geht. Partys, Konzerte, versoffene Abende mit Freunden, durchgemachte Nächte mit guten Gesprächen und zu viel Kaffee, generell: Instinktives, unüberlegtes, spontanes Ja!-Sagen, absoluter Heißhunger auf das volle Leben mit all seinen Ecken und Kanten. Nein, ich habe nicht das Gefühl, etwas zu verpassen. Ich habe eher das Gefühl, dass andere etwas verpassen.
Mein kritisches Inneres schweigt. Schachmatt.
Ich stehe unter der Dusche.
Der Anblick meines eigenen durchschnittlichen Körpers, an dem ich gerade hinabsehe, macht mich überdurchschnittlich geil. Etwas mehr Sport würde dir nicht schaden, sagt mein innerer Fitnessberater zu mir. Meine Freundin liebt mich auch so!, schnauze ich zurück. Da ist sie übrigens die erste. Ich habe ihr letztens eine Karte geschenkt, auf der so was steht wie „Die Liebe will, dass wir den Partner so akzeptieren, wie er ist. Und nicht so, wie er irgendwann später einmal vielleicht sein könnte, wenn ich ihm alles abgewöhnt habe, was mich an ihm stört.“
Ist euch das eigentlich schon einmal aufgefallen.
Dieser Teufelskreis.
Männer in meinem Alter, sofern man da schon von Alter sprechen kann, heucheln falsche Männlichkeit, über die sich nicht annährend verfügen, um knallhart oder anderweitig souverän zu wirken. Frauen fallen darauf rein und stellen am Ende fest, dass es sich dabei doch nur um ein emotional verkrüppeltes Riesenbaby handelt. Es folgt die Ballade vom Verlassenwerden. Das ist für Frauen übrigens eine doppelte Enttäuschung, da sie erfahrungsgemäß dazu tendieren, in Männern Traumprinzen auf weißen Pferden zu sehen. Gibt’s nicht. Ist ausverkauft. War schon immer ausverkauft. Nie im Handel erhältlich gewesen. Die meisten Frauen wollen ihre Männer erziehen. Ist zum Scheitern verurteilt. Ach, und wo ich schon beim Thema bin: Meine Exfreundin hat mich mal für „lebensunfähig und weltfremd“ (sic!) erklärt, weil ich blamabel daran gescheitert bin, einen Dosenöffner zu bedienen. Dazu im direkten Vergleich: Meine jetzige Freundin sagte zu mir „Natürlich hast du da Schwierigkeiten, als Linkshänder ist das kniffliger, du musst das spiegelverkehrt machen“, zeigte mir, wo mein ewiger Fehler lag und zack. Funktionierte.
War eine Sache von nicht einmal zwei Minuten.
Nicht einmal zwei Minuten.
Das Leben kann so einfach sein. Mit den richtigen Menschen an seiner Seite. Man fühlt sich wie auf Wolken oder frischer Butter oder so ähnlich. Alles ist erlaubt und irgendwie einfach. Gute Gespräche, guter Sex, gute Zeit. Irgendwo abseits der Großhirnrinde vögelt sich meine innere Kommune 1 voll freie-liebe-mäßig die ewig gleiche Alltagsödnis aus der Birne. Man kann um sich kratzen und beißen, wie man will. Irgendwann holt einen die Realität ja doch ein. Also wird man am besten direkt Kleptomane in Sachen Leben und nimmt alles mit, was nicht niet- und nagelfest ist. Exzentrik bis zum Exzess! Da kann sich Langeweile erst gar nicht einstellen, wenn man an jeder Ecke etwas Faszinierendes für sich entdeckt.
Six billions souls and one urge to live.
Ist es nicht eine Lust, Menschen kennenzulernen? Es ist tatsächlich die größte, die ich kenne. Selbst dann, wenn der derjenige sich als Vollpfeife entpuppt. Es ist einfach dieser Adrenalinrausch, dieser Nervenkitzel, wenn man sich langsam an den Charakter, an die Persönlichkeit des Gegenübers herantastet. Ich liebe das. Und deshalb liebe ich irgendwie auch die Menschen. Selbst die, mit denen man nichts anfangen kann, die womöglich sogar verflucht unsympathisch erscheinen, verraten dir enorm viel. Über sich und über dich.
Wer unersättlich einatmet, was ihm jeder neue Tag vor die Füße wirft, hat einen großen Vorsprung gegenüber denen, die sich der Welt verschließen.
Wer das Leben genießt, lässt all jene hinter sich, die sich über ihn das Maul zerreißen. Mit meilenweitem Abstand.
Und das Lieben nicht vergessen.
In diesem Sinne verbleibe ich also mit einem Zitat des großen Berti Vogts, der da einst sagte:
"Wenn ich übers Wasser laufe, dann sagen meine Kritiker, nicht mal schwimmen kann er..."
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HeyDays "London 1940"
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HeyDay hat folgenden Oberbegriff / Thema gewählt: Teeparty
bereth sagt dazu: Mahjongg, pseudointellektuell
Maybe sagt dazu:
Hylia sagt dazu: Hafen, England
CAMIR sagt dazu: Hutmacher, Hammer
Crowbar sagt dazu: Märzhase, Earl Grey
Sirius sagt dazu: Tassenmangel, Nervosität
Senfsamen sagt dazu: Alice im Wunderland, Queen Elizabeth II.
pondo sagt dazu: Monokel, nordamerikanische Vollidioten
London 1940
Als Mr. Erskin seinen Besuch empfing war es schon später Nachmittag. Die Damen hatten sich unglücklicherweise verspätet, und der Tee war schon kalt. Mit wackeligen Beinen öffnete der Gastgeber seine Türe. „Mary meine Liebe! Schön dich zu sehen! Komm herein, komm nur herein!“ sprach seine trockene, alte Stimme. Dann blieb sein Blick auf dem jungen Mädchen hängen, das schüchtern herein trat. „Ohhhooo, Mary, wen hast du mir denn hier mitgebracht?“ „Das ist meine Nichte Sybil. Ich war der Meinung, dass du sie einmal selbst kennen lernen solltest.“ Mr. Erskin packte seinen Gehstock ein wenig fester, wobei sein Arm umso mehr zu zittern anfing, rückte sein Monokel zurecht und ging einen Schritt auf Sybil zu. Seine dürren Beinchen wollten sich grade zum Handkuss beugen, als die ältere der beiden Damen, die Mr. Erskin Mary nannte, zu ihm eilte um ihn wieder aufzurichten. „Sybil besteht nicht unbedingt auf einen Handkuss. Sie ist eine moderne Dame, du kannst ihr gerne die Hand reichen.“
Bei diesen Worten richtete sich der Alte verwundert auf. Seine Augen weiteten sich als er Begriff was man ihm grade gesagt hatte, so dass seine Sehhilfe vom Auge glitt und langsam anfing, an der Halterung hin und her zu baumeln. „So so, eine moderne Dame?! Das haben wohl diese nordamerikanischen Vollidioten eingeführt, was? Mary, ich sage dir, die bringen uns hier nichts als Ärger mit ihren modernen Trends. Sie wären gut beraten, hier in London geblieben zu sein! Wenn unsere Queen Victoria in Zukunft so etwas zum Standard werden lässt, ja, dann ist es mit unserem feinen England aus!“ Er drehte sich langsam weg und ging in den Salon während er so sprach. Bald vernahm man nur noch undeutliches Murren. „Tante, meint er nicht eher die voraussichtliche Queen Elisabeth II?“ sagte Sybil leise. „Lass ihn nur reden, es bringt ja doch nichts.“ Kam die leicht verbitterte Antwort.
Die Damen folgten dem alten Herren in den Salon, der sehr chaotisch wirkte. Überall lagen Bücher herum und altes Geschirr stand auf dem Tisch. „Setzt euch, so setzt euch doch!“ forderte Mr. Erkins seine Gäste auf während er selbst einen Stuhl heranrückte und sich am Tisch niederließ. „Entschuldigt die Unordnung. Ich habe das Hausmädchen lange nicht mehr gesehen. Ich werde sie wohl entlassen müssen, wenn sie sich das nächste mal blicken lässt …“ Bevor die Damen sich setzten, wandte sich die Tante zu dem jungen Mädchen: „Bereite doch bitte Tee. Ich bezweifel, dass Mr. Erskin es noch richtig schafft.“ „…. Wie ich schon sagte: Die Mädchen von heute halten sich alle für schlau. Dabei sind sie alle nur pseudointellektuell. Sogar mein Hausmädchen ist so!“ plapperte der alte Herr vor sich hin, während Sybil sich in die Küche begab. In der Küche herrschte ein noch größeres Chaos. Es sah aus, als wäre hier lange nicht mehr aufgeräumt worden. Nach langem suchen fand Sybil eine alte Teedose auf der asiatische Zeichnungen abgebildet waren. Die Dose erinnerte sie an ein Spiel namens Mahjongg, bei dem sie einmal zugesehen hatte, als sie noch jünger war. Sie öffnete die Dose und schaute sich den Inhalt genauer an: Es war Tee. Er roch nicht sehr intensiv aber es schien ihr Earl Grey zu sein, somit würde sie nichts falsch machen, wenn sie ihn zubereiten würde. Sybil letzte Wasser auf und schaute sich nach sauberen Tassen um. In der ganzen Küche war nichts zu sehen, so beschloss sie, ihre Tante zu fragen.
Als sie den Salon betrat saßen die beiden Älteren noch unverändert da. Mr. Erkins kauerte auf seinem Stuhl und starrte vor sich hin, unentwegt vor sich herplappernd. „Tante, ich kann keine Tassen in der Küche finden.“ „Hm, dass hier Tassenmangel herrscht, habe ich mir fast gedacht. Nimm Tassen vom Tisch und wasche sie bitte.“
Kurze Zeit später, war der Tee neu angerichtet und die kleine Gesellschaft saß stillschweigend am Tisch. Der alte Herr hatte mittlerweile wieder eine normale Haltung eingenommen und beäugte Sybil neugierig. Dann begann er zu sprechen: „Ich habe mir neulich einen neuen Zylinder vom Hutmacher aus der Chesterlane gekauft. Mary könntest du ihn bitte herholen?“ Die Angesprochene erhob sich seufzend und ging aus dem Salon um kurz darauf mit einem zerknitterten, staubigen Zylinder hereinzukommen. „Hier ist der Hut, er ist sehr hübsch Mr. Erkins. Ist der Hutmacher aus der Chaster Lane derjenige am Hafen?“ sie überreichte dem Alten seinen Zylinder, der ihn stolz entgegennahm und daraufhin auf seinen Kopf setzte. „Ja ja Mary, dass ist er. Er fertigt wirklich wunderhübsche Hüte. Liebe Sybil, was sagst du zu meinem neuen Zylinder?“ Ein unsicherer Blick flog zur Tante und ihre Stimme überschlug sich fast vor Nervosität. „Ich… ich finde, er, er erinnert mich an das Buch „Alice im Wunderland“.“ „Na so was. Ich kenne dieses Buch gar nicht. Erzähl mir doch mehr davon!“ „Also, da ist dieses Mädchen Alice, und sie trifft auf den Märzhasen, der sich andauernd beklagt, dass er zu spät ist…“ „So ein Blödsinn junges Fräulein! Wer käme denn auf die Idee so ein Buch zu schreiben?“ schritt der Alte dazwischen. Sybil wollte widersprechen, aber da spürte sie die Hand ihrer Tante auf ihrem Arm und sie schwieg. Ihr Gastgeber hingegen starrte schon wieder vor sich hin. „Sybil, könntest du bitte unsere Mäntel holen? Es ist schon spät.“ Das Mädchen stand auf und verließ den Tisch, da erwachte der Alte wieder aus seiner Starrheit. „Mary, ein wirklich reizendes Mädchen! Sie scheint mir sehr aufgeweckt und wird sich sicherlich noch gut entwickeln und dann diese Albernheiten vergessen. Du weißt ja, dass ich noch eine Heiratsangelegenheit für meinen Sohn Joshua benötige. Ich möchte bald noch einmal genauer darüber sprechen. Aber denk über mein Angebot nach!“ Die Tante nickte stumm und mit Tränen in ihren Augen.
Als Sybil mit den Mänteln wiederkam verabschiedeten sich die Frauen sogleich. Draußen schaute das Mädchen ihre Tante fragen an: „Warum hat er dich Mary genannt?“ „Ach mein Kind, dein Großvater ist dement. Er erkennt weder seine eigene Tochter, noch seine Enkelin. Er wollte dich sogar mit deinem Vater Joshua verheiraten obwohl er im Krieg gefallen ist. Mr. Erkins lebt in der Vergangenheit und bald wird er gar nicht mehr leben. Aber Sybil, ich war der Meinung, du solltest ihn auch einmal kennen lernen bevor es mir uns allen dahin geht.“
Wie der Schlag eines Hammers krachte eine Bombe einige Straßen weiter ein. Die Sirenen begannen zu läuten und die Tante nahm Sybil bei der Hand und die beiden liefen eilig Heim.
London 1940
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Crowbars "Auf gefrorenem Grund"
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Crowbar hat folgenden Oberbegriff / Thema gewählt: Winter
bereth sagt dazu: sternenklar, Eis- und Beinbruch
Maybe sagt dazu:
Hylia sagt dazu: Tod, Nebelbank
CAMIR sagt dazu: Schneemann, frieren
HeyDay sagt dazu: Adventssonntage, Singen
Sirius sagt dazu: Nihilismus, Menschenfeind
Senfsamen sagt dazu: Weihnachtsrestefressen, Die Jahresuhr
pondo sagt dazu: vereiste Schaukel, Endzeitgedanken
Auf gefrorenem Grund
Der Schnee, der beständig aus den dichten Wolken rieselte, die schon den ganzen Tag jegliches Sonnenlicht aussperrten, hatte sich am Boden mit der Asche vermischt und sich grau gefärbt. Die rechte Hand des jungen Mannes, der schon tagelang durch die Kälte nach, wie er hoffte, Süden stolperte, hatten sich um den Griff seiner Pistole gekrampft, die er in der ständigen Bereitschaft, zuerst zu schießen, mit gestreckten Arm vor sich hielt.
Der Mann war beinahe zwei Meter groß, hatte kurzes, schmutziges braunes Haar und einen sorgfältig gestutzten Bart, die blauen Augen flackerten unruhig aus tiefen Höhlen empor. Der Mann war sehr dünn, was er mit einer wahllos scheinenden Zusammensetzung von Winterkleidung wieder wett zu machen versuchte – verschiedene Hemden, ein Pullover mit hochgezogener Kapuze, darüber eine zerschlissene Winterjacke, deren rechter Ärmel nur noch mit Isolierband am Torso befestigt war, einen Schal und mehrere Dicke Socken über seine Armeestiefel – all das half aber nur wenig gegen den beißenden Wind, der ihm seit Tagen ins Gesicht wehte.
Ein zusammengerostetes Straßenschild kündigte eine Stadt an. Nur noch wenige unzusammenhängende Buchstaben waren zu lesen, so konnte er nicht erschließen, wie sie hieß. Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte. Er kletterte über das umgekippte, quer über der Straße liegende Werbeschild einer Fast Food-Filiale, deren ausgebranntes Gerippe am Straßenrand in den grauen Himmel ragte und bewegte sich langsam durch den Ortseingang.
Links und rechts befanden sich zweistöckige Backsteingebäude mit Flachdächern, bei denen die meisten Fenster und Türen zugenagelt waren. Instinktiv hob er die Waffe, als er zwischen zwei Häusern eine menschliche Gestalt bemerkte, als er näher kam merkte er jedoch, dass er nichts zu befürchten hatte.
Der Unglückliche war anscheinend schon eine Weile tot und hing steifgefroren in einem Gewirr von Stacheldraht, das irgendjemand zwischen den Häusern gespannt hatte. Offenbar hatte er sich hier auf der Flucht vor jemandem – oder etwas – hier verheddert und war dann verendet. Nun war die Leiche größtenteils bedeckt von den Schneefällen der letzten Tage, die morbide Version eines Schneemanns, die ihn aus blicklosen Augen anstarrte. Einen Moment lang starrte der Mann zurück, dann wandte er sich ab und ging weiter die Straße entlang – hoffend, ein Haus zu finden, in das er einsteigen konnte, um Vorräte zu finden, oder wenigstens ein Dach, unter dem er die Nacht verbringen konnte.
Ein Stück weiter befand sich abseits der Straße, hinter gewucherten, kahlen Hecken ein kleiner Spielplatz mit einem Karussell, einer Wippe und einer vereisten Schaukel, auf der er sich frierend niederließ, um sich auszuruhen. Als er sich umsah stellte er sich vor, wie es hier noch vor wenigen Jahren ausgesehen haben musste. Er dachte an rote Pick-Up-Trucks, die durch die Straßen fuhren, junge Paare, die hier an Adventssonntagen spazieren gingen, alte Männer, die auf der nun zerstörten Parkbank sitzend, die am Rande des Platzes stand, ihren Enkeln beim Spielen zusahen. Die Vergangenheit, in der es alles nicht gab, womit er sich nun tagtäglich herumschlagen musste, keine Asche, kein tägliches Ringen mit dem Tod, keine Endzeitgedanken, diese Vergangenheit verblasste mit jeder Minute und erschien ihm mittlerweile nur noch wie ein fernes Land, in dem er noch nie gewesen war, von dem er aber gehört hatte, durch Fotografien und Erzählungen, und nach dem er sich mehr und mehr sehnte, auch wenn er es niemals dorthin schaffen würde.
Der Mann gab sich einen Ruck und kehrte in die graue, verwüstete Realität zurück. Der Vergangenheit nachzutrauern hatte keinen Sinn, auch wenn sie möglicherweise das einzige war, das er noch hatte. Aber die Jahresuhr war abgelaufen und es war an der Zeit, dies zu akzeptieren.
Im Eingangsbereich eines Hauses stieß er auf eine weitere Leiche. Wie alt sie war ließ sich schwer sagen, aufgrund der Art, wie sie dalag war sie allerdings schon mehrmals gefleddert worden. Sie trug eine verrutschte olivgrüne Jacke, Blue Jeans und eine Gasmaske, mehr hatten die Plünderer nicht übrig gelassen. Außerdem war sie anscheinend als Weihnachtsrestefressen eines Rudels wilder Hunde geendet, da sie an mehreren Stellen angeknabbert war.
Sein Körper spannte sich ruckartig an, als er tiefer im Haus ein Husten hörte und er hinter einer Türe Licht aufblitzen sah. Mit gehobener Waffe ging er langsam den Flur entlang.
„Nicht schießen. Ich bin unbewaffnet.“
Die Türe öffnete sich und ein alter Mann streckte seinen Kopf in den Flur. Die Haare waren grau und gewuchert, der Bart reichte ihm fast bis auf die Brust. Er trug ein graues, schmutziges Sweatshirt mit der Aufschrift NEW YORK und eine schwarze Winterjacke, mehr konnte er nicht erkennen.
„Wer bist du?“, fragte der Mann.
„Ich bin ein Priester.“
Der Mann bemerkte ein silbernes Kreuz, das unter dem Bart des alten Mannes hervor ragte und senkte seine Waffe.
„Ich wollte ihn begraben“, sagte der Priester mit Blick auf die Leiche. „Aber der Boden ist zu hart.“ Er schaute den Mann wieder an. „Du siehst hungrig aus, willst du was essen?“
„Ja“, antwortete der Mann, ohne jedoch die Waffe zu senken. „Das wäre nett.“
Der Priester öffnete die Türe, trat einen Schritt zurück und der Mann trat ein. Das Zimmer hier war offenbar früher ein Wohnzimmer gewesen, war in der Zwischenzeit aber ausgeplündert worden. Ein alter Tisch und zwei Stühle standen darin, ebenso wie eine abgewetzte Couch und eine wacklige Vitrine, in der sich mehrere Konservendosen befanden. Auf dem ansonsten kahlen Boden stand ein Gaskocher, auf dem gerade eine Dose Bohnen kochte, daneben lag eine Taschenlampe.
„Hast du Besteck?“, fragte der Priester, während er sich neben den Kocher auf den Boden setzte.
„Ja.“
„Dann komm. Es ist gleich warm.“
Der junge Mann wuchtete seinen Rucksack auf den Boden und fischte das zugeschnürte Bündel heraus, in dem er Löffel und Gabel aufbewahrte.
„Ich bin es nicht gewohnt, mit jemandem zu teilen“, sagte er.
„Ich auch nicht. Das liegt aber daran, dass es nicht mehr viele Wanderer gibt.“
„Wohnst du hier?“
„Zeitweise, ja. Ich bin alt und müde und wandere nicht mehr sehr oft. Was ist mit dir?“
„Ich bin auf dem Weg nach Süden.“
Der Mann griff nach der Dose, die ihm der Priester entgegen hielt und nahm einen Bissen. Die Bohnen waren heiß und verbrannten seinen Mund. Es war himmlisch.
„Glaubst du an Gott?“, fragte der Priester.
Der Mann nahm einen weiteren Löffel Bohnen und zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht.“ Er zögerte nachdenklich. „Wenn es einen Gott gibt hat er vor gar nicht allzu langer Zeit sechs Milliarden Menschen getötet. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt an so einen Gott glauben will.“
Der Priester zuckte mit den Schultern. „Das ist verständlich. Aber ich glaube daran, dass alles Teil eines göttlichen Planes war, auch wenn wir ihn nicht verstehen.“
„Das macht es einfacher zu ertragen, was?“, sagte der Mann und versuchte dabei nicht, den Hohn in seiner Stimme zu verbergen.
„Ja, auch das.“
Der Mann reichte dem Priester die Bohnendose.
„Und teilst du deswegen mit mir? Weil du ein Priester bist und glaubst, dass du in den Himmel kommst?“
„Nein“, sagte der Priester, während er gegen seinen Löffel pustete. „Weil ich glaube, dass die Menschheit noch nicht verloren ist.“ Er führte den Löffel zum Mund. „Sie wird erst dann endgültig sterben, wenn es in der Welt keine Menschlichkeit mehr gibt.“
Der Mann zuckte mit den Schultern. „Schön und gut, aber diese Einstellung hat mich nicht die letzten zwei Jahre am Leben erhalten.“
„Ein Menschenfeind zu sein mag das Überleben des Individuums sichern, aber nicht das der Gemeinschaft.“, sagte er, nachdem er geschluckt hatte.
„Das ist gut genug für mich.“
Der Priester lächelte ihn nur verstehend an, was den Mann etwas irritierte. Sein Blick fiel wieder auf die Dosen im Regal, dann wieder auf den Priester, der in die Bohnendose pustete. Der Mann schnappte sich seine Pistole, die neben ihm lag und schoss dem Priester in den Kopf.
Die Leiche zu durchsuchen hatte nicht lange gedauert. Ein paar Batterien hatte er gefunden, Bindfadenrollen, eine Kneifzange und eine Plastiktüte mit Zigarettenfiltern. Wo der Priester seine restliche Ausrüstung hatte wusste er nicht, er würde sie aber sicher noch finden. Als er die Leiche des Priesters vor die Haustür zerrte waren die Wolken einer sternenklaren Nacht gewichen. Die Spuren, die er vorhin noch hinterlassen hatte waren bereits wieder unter Schnee und Asche verschwunden. Ein letztes Mal durchsuchte der Mann den toten Körper. Er fand ein verblichenes Foto, das einen bärtigen Mann an der Seite einer Frau und zwei kleinen Mädchen vor einer Blockhütte zeigte. Sie lachten in die Kamera, waren aber gleichzeitig hinter einer Nebelbank aus Vergangenheit gefangen, oder jedenfalls sah es auf dem ausgeblichenen Foto so aus. Er ließ es, wo es war, genau so wie das silberne Kreuz, das, wie er wusste, keinen Wert mehr hatte.
Er betrat das Haus und verriegelte die Türe hinter sich. Er würde die Nacht hier verbringen, morgen so viele Vorräte mitnehmen wie nur möglich, und dann seinen Weg fortsetzen, nach Süden, durch das, was von der Welt noch übrig war.
Vorwürfe machte er sich keine. Da draußen war es dunkel, und es wurde immer dunkler.
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CAMIRs "Sieben Fässer Bier"
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CAMIR hat folgenden Oberbegriff / Thema gewählt: Irland
bereth sagt dazu: Grünstich, Bienenstich
Maybe sagt dazu:
Hylia sagt dazu: Kleeblatt, Schafe
HeyDay sagt dazu: Zigeuner, Auswandern
Crowbar sagt dazu: Bushmills Black Bush, Flogging Molly
Sirius sagt dazu: paradiesisch, Kneipenschlägerei
Senfsamen sagt dazu: Kobold, Kloster
pondo sagt dazu: Bierbrau-Inkompetenz, geile Titten
Sieben Fässer Bier
Featuring: Das Triumvirat des Bösen
(Ähnlichkeiten mit lebenden Personen, Politikern, Iren, Österreichern, Schafen, Bierfässern und Whiskeygläsern sind total beabsichtigt und nicht zufällig.)
Der Zapfhahn war wieder verstopft. Bereits das dritte Mal in dieser Woche! Und dabei hing doch das Geschäft vom funktionierenden Zapfen ab. Wie konnte man ein Pub führen ohne Bier?
Wutentbrannt trat Brian gegen die metallenen Fässer hinter der Theke.
Schon wieder konnte er einen Reparaturdienst kommen lassen und das für teures Geld hinbiegen lassen.
Sollte aus dem Zapfhahn kein Bier fließen, wäre am Abend die Kneipenschlägerei vorprogrammiert. Und das zertrümmerte Mobiliar ersetzen zu lassen, wäre noch kostspieliger.
In gewisser Weise stellte der kaputte Zapfhahn die momentane Situation seines schönen Landes viel besser dar, als jeder Karikaturist es je vermocht hätte. Das Ding war ruiniert und alle dilettantischen Versuche zur Reparatur brachten nur kurzfristig etwas, bevor sie endgültig versagten.
Auch wenn andere Elemente alles taten, Brian als jemanden darzustellen, der keine Ahnung von Geld hatte – so sagte man ihm gar nach, er hätte das Land im Alleingang ruiniert – entsprach das doch nicht der Wahrheit. Er konnte sehr gut mit Geld umgehen, nur nicht mit dem, das nicht seines war. Aber die Wahrheit war auch – er hatte verkackt und zwar so richtig. Er konnte sich nirgends mehr sehen lassen ohne ausgelacht zu werden. Die Welt war schon ungerecht.
Wie paradiesisch waren doch die Zeiten, als er als noch als Premierminister im Dienstwagen hatte vorfahren können und die Leute vor ihm Bücklinge machten. Inzwischen war er in Schimpf und Schande davongejagt worden* und selbst den Dienstwagen hatte man ihn abgenommen. Diese Zeiten waren jetzt wohl endgültig vorbei und gerade kürzlich hatte er schmerzlich feststellen müssen, dass er keinen einzigen passenden Anzug mehr hatte, so sehr hatte er vor lauter Frust zugenommen.
Um nicht auswandern zu müssen, hatte er die großartige Idee gehabt, unter falschem Namen das Pub „Zum Grünen Kobold“ zu eröffnen, ganz an der entlegenen Westküste Irlands.
Parteifreunde wussten wohl, wer der wahre Wirt des Pubs war, auch wenn sich Brian in der Zwischenzeit einen Bart hatte wachsen lassen. Doch gewisse Dinge sprachen sich einfach herum, gerade in seinen Kreisen. Ab und an kamen sie vorbei, wenn sie in der Gegend waren und es wurde bereits angedacht den nächsten Parteitag in seinem bescheidenen Lokal abzuhalten.
Im Prinzip war also alles wie früher: Er verdiente sein Geld mit dem Geld anderer Leute. Jammern half sowieso nichts.
Um sich ein wenig aufzuheitern, bevor er den Reparaturdienst anrief, sah er aus dem Fenster. Es regnete und die Nebel schienen sich nicht lichten zu wollen. Es war alles so undurchdringlich, dass er nicht einmal das nahe gelegene Kloster von Clonrichert sehen konnte, auf dessen Wiese sehr oft Schafe grasten. Aber es brachte nichts. Alles war grau und grau.
„Scheißtag**!“ fluchte er und wollte gerade zum Wandtelefon greifen, um das Unvermeidliche zu tun, als er hörte, wie sich die Eingangstür öffnete.
Ein kleines Glöckchen, das über der Tür angebracht war, verriet ihm, wenn jemand außerhalb der Geschäftszeiten kam – abends, bevor er offiziell öffnete, nahm er es für gewöhnlich ab.
Er hängte wieder ein und drehte sich dann um, um nachzusehen, wer ihn zu einer solchen Stunde aufsuchte.
Kaum hatte er den Gast erkannt, tat sein Herz einen Sprung.
Alle Wolken, all der Nebel, alle verstopften Zapfhähne dieser Welt, sie spielten keine Rolle mehr. Was da in seine bescheidene Gaststube geschwebt war nahm all den Kummer von ihm, obwohl, das musste Brian zugeben, es sehr schwer war zu schweben, wenn man vollkommen durchnässt war.
Von all seinen ehemaligen Parteifreunden erfreute es ihn am meisten, sie zu Gesicht bekommen, seine ehemalige Stellvertreterin. Die Frau mit der er durch Dick und Dünn gegangen war, die Frau die ihn dazu verleitet hatte vor noch eingeschalteten Mikrofonen zu fluchen, die Frau mit den entsetzlich langen Beinen und noch viel kürzeren Röcken. Insgeheim hatte er immer gehofft, dass ihre Ernennung ihm ihrer Dankbarkeit versichern würde, doch daraus war nie etwas geworden. Aber auf der anderen Seite – sie waren ja beide verheiratet. Anerkennend stellte er fest, dass sie zudem noch immer geile Titten hatte, was ein weiterer Ernennungsgrund gewesen war. Politisch war sie ja nun doch eher inkompetent gewesen, um es milde auszudrücken.
Er setzte sein freundlichstes Lächeln auf, ja er erstrahlte geradezu.
„Mary, ich freue mich dich mal wieder zu sehen!“
„Was ein Sauwetter!“ war zunächst ihre lapidare Antwort.
Er nickte, nahm er ihr den triefenden Mantel ab und rannte in die nahegelegene Küche, um Handtücher zu besorgen, damit sie sich trocknen konnte. Während sie sich also Haare und Körper rieb, kam er gleich zum Geschäftlichen:
„Was führt dich denn hier her?“ Es kostete ihn Mühe nicht zu starren, als sie ihre Beine vorstreckte um sie zu trocknen.
„Ich wollte dir helfen. Es ist kein Geheimnis dass dein Geschäft nicht besonders gut geht. Für die Leute im Ort bist du nur ein dahergelaufener Zigeuner, der mehr auf Touristen abzielt. Bei einem so klischeehaften Namen für das Pub ist das aber auch kein Wunder.“
„Er schien mir damals eine gute Idee…“ murmelte er kleinlaut.
„Ja klar. Und warum hast du nicht noch ein Kleeblatt auf das Schild gemalt? Wenn man es von weitem sieht könnte man sowieso glatt meinen, es hätte einen Grünstich, so sehr dominiert eine gewisse Farbe!“
„Bei unserer Partei hat grün immer gut funktioniert…“ hielt er ein wenig eingeschnappt entgegen. Wie kam es, dass sie plötzlich anfing zu denken?
„Wir haben die Wahl verloren! Haushoch! Vielleicht erinnerst du dich ja!“
Er winkte ab.
„Schon gut, schon gut! Also, wie willst du mir helfen?“
Sie wechselte die Sitzposition, sodass es Brian gelang, kurzfristig unter ihren Rock zu schauen. Ganz zufällig natürlich.
„Dein Pub ist auf Touristen ausgelegt. Also sorgen wir dafür, dass es unter Touristen bekannt wird!“
„Aha…“ Er konnte nicht behaupten ihr folgen zu können.
„Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass die Finanzministerin Österreichs hier Urlaub macht. Wenn es uns also gelingt, sie für dein Pub zu begeistern, wäre das doch ein Publikumsmagnet sondersgleichen.“
„Und wie wollen wir das anstellen?“
„Die Europäer auf dem Festland unterstellen uns immer eine gewisse Bierbrau-Inkompetenz. Also sollten wir gar nicht erst versuchen, ihr Guinness hinzustellen. Servier ihr lieber gleich einen guten Whiskey, wie Bushmills Black Bush oder so. Und dann noch eine CD von einer Irischen Band im Hintergrund laufen lassen, was weiß denn ich, The Dubliners, Flogging Molly, so was in der Art. Wenn du schon auf Klischee machst, dann richtig.“
Er dachte einen Moment nach. Es war wahr, sein Pub lief schlecht, aber bei seiner momentanen Pension war das eigentlich egal. Dennoch kratzte es an seiner Ehre.
„Kannst du diese Ministerin denn dazu bringen hier überhaupt abzusteigen?“
„Aber natürlich. Was glaubst du denn, warum ich überhaupt herkam? Morgen abend wird sie da sein. Bekommst du das hin, bis dahin etwas vorzubereiten?“
Bevor er in der Lage war, darauf einzugehen, fügte sie noch etwas hinzu.
„Ich bin durch den Regen so vollkommen durchweicht. Könnte ich vielleicht deine Dusche benutzen?“
Die letzte Frage ließ Brian die Kinnlade runterklappen und bevor sein Verstand sich einschaltete, hörte er sich schon sagen:
„J-ja…!“
36 Stunden später
Als Brian erwachte tat ihm alles weh, wie bei einem Bienenstich, nur am ganzen Körper. Langsam setzte er sich auf und stellte fest, dass er nackt war. Doch damit nicht genug. Mary lag neben ihm, ebenfalls nackt, wie er unter der Bettdecke zu erkennen glaubte. Sein Kopf schmerzte und er hatte das Gefühl sich gleich übergeben zu müssen. Er blickte erneut auf seine ehemalige Stellvertreterin und sofort schlich sich eine Frage in sein Bewusstsein:
Haben wir…?
Er konnte nirgendwo um das Bett herum Kleider erkennen, was ein leidenschaftliches Entkleiden am vorigen Abend unmöglich machte und auch sonst schien ihm das alles höchst unwahrscheinlich, auch wenn er sich seiner Illusion nur ungern berauben ließ.
Langsam kehrte die Erinnerung an den vorigen Abend zurück...
Die österreichische Finanzministerin war tatsächlich in sein Pub gekommen, gemeinsam mit einem Mann, der für sie dolmetschte. Auf Marys Rat hin, hatte Brian auch Besorgungen für dieses Ereignis vorgenommen und den besten Whisky und, einige CDs besorgt sowie Kerzen eingekauft um eine wohlige Atmosphäre aufzubauen. Bis die Dame dann kam, brannten die meisten der Kerzen auch schon und auch sonst fühlte er sich vorbereitet genug.
Bis die Finanzministerin in Flammen aufging wohlgemerkt.
Entgegen sonstiger Gewohnheiten war sein Pub an diesem Abend sehr gut besucht. Es schien sich herumgesprochen zu haben, dass ein besonderer Gast da sein würde und da war man neugierig, wie er sich schlagen würde. Anfang lief auch fast alles nach Plan. Mary hatte die Begrüßung übernommen und sogar hier und da ein paar deutsche Wörter benutzt, die dem Gast allerdings ein Stirnrunzeln entlockten. Die Dame, die sich als Maria Fekter vorstellte, ließ sich dann auch an die Bar führen und… bestellte ein Bier.
Ein Kloß manifestierte sich in Brians Magen! Er hatte vor lauter Vorbereitungen vergessen den Reparaturdienst anzurufen und der Zapfhahn war noch immer defekt. Während er also Mary bat, den Gast mit Konversation hinzuhalten – in Smalltalk war sie immer gut gewesen – tat er sein Bestes trotz allem ein Glas Bier abzufüllen.
Warum er gedacht hatte, dass es eine gute Idee war, erneut gegen das Bierfass zu treten, um die Verstopfung im Zapfhahn zu lösen, wusste er selbst nicht mehr so genau. Aber dass das Fass in die Luft flog, damit hätte er in seinen kühnsten Träumen nicht gerechnet.
Von da an ging alles bergab.
Ein Regen von Bier ergoss sich über die Gäste, Frau Fekter fing an zu schreien und stieß, als sie wild wedelnd aufsprang, die Whiskeyflaschen um, die Brian extra für sie auf den Tresen gestellt hatte. Kreischend lief sie hin und her, wie ein aufgescheuchtes Huhn, während die Pubbesucher die noch nicht von Alkohol durchtränkt waren, entweder flohen, Platz machten oder ebenfalls wie aufgescheuchte Hühner herumliefen. Dies führte dazu, dass nach kurzer Zeit irgendjemand die Kerzen umstieß, die natürlich genau in den ausgelaufenen Whiskey fielen und diesen entflammten.
Das setzte eine absurde Kettenreaktion in gang, die damit endete, dass die Kleider der Finanzministerin brannten, Brian sich auf sie stürzte, um die Flammen zu löschen, Mary die Feuerwehr rief, und dann versuchte das Feuer mit dem vorhandenen Bier zu löschen. Kurz: es war ein enormes Chaos und als die Feuerwehr endlich anrückte, war zwar das meiste gelöscht, aber die Laune der Ministerin stand erst recht in Flammen. Wütend stampfte sie in den Überresten ihrer Kleider aus dem Pub, gefolgt von dem übersetzenden Mann und beobachtet von dem Rest der Besucher.
Brian konnte nicht mehr viel denken an jenem Abend, erinnerte sich aber daran, dass er sich seiner bierdurchtränkten Kleidung entledigte, bevor er ins Bett ging. Mary tat vermutlich genau dasselbe, was ihrer beider Nacktheit erklärte. Ein wenig enttäuscht, dass das alles war, war Brian ja dann schon, als er sich erinnerte. Frustriert ließ er sich zurück ins Bett sinken. Die verdammte Decke unter der sie schlief nahm ihm auch den Rest von Freude. Und sein schönes Pub war jetzt auch ruiniert.
Womit weder Brian, noch seine Freunde gerechnet hatten, war, dass dieser kleine Vorfall dafür sorgte, dass sein Etablissement jetzt besonderen Zuspruch fand, denn immerhin wurde in den Zeitungen ausgiebig davon berichtet, was der österreichischen Finanzministerin widerfahren war. Besonders dankbare Österreicher, die es gut fanden, dass er sie angezündet hatte, zählten zu seinen Gästen. Er hätte nicht geglaubt dass diese ganze Geschichte noch irgendeinen Vorteil hätte haben können, aber genau so war es. Einmal in ihrem Leben hatte Mary ihm einen guten Rat gegeben. Sollte er jemals wieder in die Politik einsteigen, würde er sicher wieder mit ihr zusammenarbeiten. So wie damals.
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* Neutralere Quellen würden sagen: Er hatte eine demokratische Wahl haushoch verloren, aber mit solchen Kleinigkeiten hielt sich Brian selten auf.
** Brian spricht natürlich englisch. Des besseren Verständnisses wegen wurde dies übersetzt.
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pondos "Ein ereignisreiches Abendessen"
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pondo hat folgenden Oberbegriff / Thema gewählt: Querulanz
bereth sagt dazu: Internetkinder, Politikwissenschaftler
Maybe sagt dazu:
Hylia sagt dazu: nörgeln, Anstrengung
CAMIR sagt dazu: Finanzamt, Formular
Crowbar sagt dazu: Beinhart, Frank Schaeffler
Sirius sagt dazu: Sand im Getriebe, linke Spießer
Senfsamen sagt dazu: Wiktionary, Revision
HeyDay sagt dazu: Zirkusdirektor, Nachbar
Ein ereignisreiches Abendessen
'Die heutige Jugend der Länder, die man gemeinhin als westlich bezeichnet, ist verroht, medial überfrachtet, fett gefressen und verloren', so äußert sich der umstrittene Politikwissenschaftler Frank Scheffler (nicht zu verwechseln mit dem Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler) nach der internationalen Konferenz über Jugendmentalität und Zukunftsperspektive der G8-Staaten. Im Rahmen dieser Konferenz sollte geklärt werden, ob, wann, wie und warum die heutige Jugend dem Phlegma des Internets verfallen ist. Während in anderen Ländern die Jungen auf die Straßen gehen, Regime um Regime stürzen, bleibt die Wahlbeteiligung hierzulande konstant niedrig. Einziges Novum ist das Politikum der Piratenpartei, welches laut Scheffler auch nur als Symptom der Internetsesshaftigkeit der heutigen Jugend zu werten sei. Angesichts dramatischer Zuwächse eines neuen Phänomens, das der so genannten Internet-Sucht, einer Kombination aus Immersion und sozialer Verwahrlosung, so Scheffler, wurden Maßnahmen beschlossen, um die 'Internetkinder' um ihrer selbst willen zu erretten. Scheffler schlägt dazu ein Programm vor, das am ehesten einem üblichen Auslandsjahr ähnelt. Die Jugendlichen erhalten die Möglichkeit, ein volles Jahr in einem Programm mitzuwirken, das gewährleistet, dass der oder die Süchtige nicht in Kontakt mit Computern gerät sowie das Leben auf eine vollkommen andere Art kennenlernt. Ein Jahr als Mitglied von einem der zahlreichen Naturvölker sei beispielsweise denkbar, so Scheffler.
Auf der Konferenz ging es darüber hinaus heiß her, eine allgemein angenommene Lösung wurde nicht gefunden. Den Gipfel ihrer Uneinigkeit erreichten die Teilnehmer am Sonntagabend, als zwei Entsandte der Nationen USA und Frankreich sich derart prügelten, dass die aktuelle Sitzung abgebrochen werden musste.
Solche Pisser. Er saß mit der Mutter und dem Vater am Frühstückstisch und schaute jetzt von dem vom Vater in die Hand gedrückten Zeitungsartikel auf.
Der Vater: „Nun... Du bist sicherlich aufgewühlt, Junge. Und nun sieh' uns doch nicht so an, wir machen uns bloß Sorgen um dich. Als wir das erste Mal von der Möglichkeit der schulischen Befreiung hörten, haben wir uns ein bisschen informiert. Du bist jetzt in der elften Klasse, hängst aber jedes Wochenende nur vor deiner Flimmerkiste. Und abgesehen von diesem ominösen Wochenende, an dem du deine Internetfreunde trafst und einen Tripper mit nach Hause brachtest, warst du auch die ganzen Sommerferien alleine. Wir möchten doch gar nicht über deine Interessen nörgeln, wir -“, der Vater brach ab, als er das zornerfüllte Gesicht seines Sohnes erblickte.
Der Sohn: „Ihr seid ernsthaft der Meinung, ich soll mich irgendeinem beschissenen Programm“, er spie das Wort aus, „anschließen, damit ihr das Gefühl habt, mir zu helfen? Habe ich da denn gar nicht mitzureden?“ Er suchte den Blick seiner Mutter, doch sie wich ihm aus.
Stattdessen antwortete der Vater: „Nun, beruhige dich. Wir wollen nur dein Bestes und wir haben doch noch gar nichts entschieden. Aber wir haben uns ein wenig informiert und als eines der ersten interessierten Elternpaare hat sich der Herr Scheffler selbst angeboten, mal mit uns zu Abend zu essen. Wenn dir nicht gefällt, was er sagt, dann verabschieden wir ihn und überlegen etwas Neues. Ist das ein Deal?“
Der Sohn: „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich mich zu so 'ner Psychoscheiße überreden lasse?“
Der Vater: „Ich bitte dich nur darum, dir anzuhören, was er zu sagen hat. Okay? Was er mir an Möglichkeiten genannt hat, hatte überhaupt nichts mit Psychoscheiße zu tun. Es ist viel mehr... Ein alternatives Angebot, wie man das Austauschjahr nutzen könnte. Die Kosten würden wohl die Ämter tragen, das Finanzamt verspräche sogar steuerliche Vorteile, und wenn du tatsächlich Lust hast, könnten wir ratzfatz das entsprechende Formular und...“
Der Junge seufzte. Er hasste es, sich mit seinen Eltern zu streiten. Er hasste es generell, sich zu streiten. Und seine Eltern waren offenbar wirklich besorgt. „Okay, Scheiße, ich werde mit euch heute Abend zusammen essen. Aber wenn ich nach diesem Abend auf diese ganze total bescheuerte Seekuhscheiße -“
„Musst du immer so fluchen?“, stöhnte die Mutter.
Der Sohn kanzelte sie ab: „Jaja, wenn ich den Abend artig hinter mich gebracht habe, dann habe ich von dieser Idee Ruhe?“
Der Vater nickte. Der Sohn willigte ein.
Um 20 Uhr desselben Abends klingelte es an der Tür. Der Sohn saß mürrisch am Tisch im Esszimmer, die Mutter beschäftigte sich in der Küche. Der Vater stand auf und öffnete. Als er wiederkehrte, folgte ihm nicht nur eine Person, sondern vier. Ein hochgewachsener, schnurrbärtiger Mann und ein untersetzter, dickbäuchiger mit flammenden Wangen und einer Peitsche in der Hand, ein jüngerer Kerl mit Knollennase und ein hübsches, doch etwas unscheinbares Mädchen, das, wenn sich der Sohn nicht täuschte, leicht nach Zwiebeln roch.
Misstrauisch beäugte er die Peitsche und fragte: „Und... wer sind die da?“
Doch ehe der Vater antworten konnte, beugte sich der hochgewachsene Mann mit einem so breiten Grinsen zu ihm hinunter, dass seine Backenzähne sichtbar wurden.
Er reichte dem Jungen die Hand und sagte: „Guten Tag, Junge, ich bin Frank Scheffler, du hast sicherlich von mir gehört.“ Sein Grinsen wurde noch breiter. „Ich werde dir helfen, eine neue Lebensqualität zu gewinnen.“
Der Sohn: „Und wenn ich das nicht möchte? Wenn ich medial überfrachtet, fett gefressen und verloren bleiben möchte?“ Er funkelte ihn an.
Der dickbäuchige Kerl lachte: „Hoho, wieso denn so feindselig?“
Dann stellten sie sich alle vor. Der untersetzte Mann war der Zirkusdirektor eines Wanderzirkusses. Der junge Kerl und das Mädchen hießen Rolli und Rosi und hatten offenbar während des Umherreisens zueinander gefunden, sahen allerdings überhaupt nicht glücklich aus. Nach kurzem Schweigen bat der Vater schließlich zu Tisch und, als die Stimmung nicht auflockerte, doch direkt zum Rotwein. Der passte ja auch prima zum Fisch.
Nachdem alle versorgt waren und einen Moment lang aßen und tranken, regte der Vater, angespannt, erneut das Gespräch an. Frank Scheffler sprach von den Abenteuern des Lebens und schwadronierte von verurteilenswerter Lethargie und den Möglichkeiten der globalisierten Welt, doch die restlichen Gäste schienen eher am Rotweintrinken interessiert zu sein. Ganz um gute Stimmung bemüht, schenkte der Vater reichlich nach. Selbst seine Mutter, sowieso eher stiller Natur, hielt sich beim Weintrinken nicht zurück. Schon bald waren die ersten Flaschen leer. Der Sohn war der einzige, der nicht trank. Die Zungen wurden lockerer.
Der Vater: „Nun, denn, Rosi, Rolli, durch welche Umstände seid ihr denn hierher gekommen? Ich hatte nur mit dem Herrn Scheffler gerechnet.“
Rolli, schaute deprimiert zur Decke: „Ich will sterben.“
Rosi: „Nein, das will er nicht!“ Sie warf ihm einen bösen Blick zu und trank einen Schluck.
Rolli: „Das Leben ist scheiße. Ich habe mit der Welt so meine Probleme. Geht doch eh alles zugrunde! Und wir werden eh alle sterben. Aber dann habe ich Rosi kennengelernt. Rosi und ich helfen dem Direktor ab und zu beim Auf- und Abbau. Wir waren ein Paar und alles schön, aber jetzt muss Rosi nach Istanbul. Ihre Eltern erlauben unsere Verlobung nicht.“
Der Vater verwirrt, da Rosi urdeutscher Abstammung zu sein schien: „Du bist muslimische Türkin?“
Rosi: „Nein, Sie Rassist! Aber meine Eltern leben dort.“
Rolli: „Und sie mögen mich nicht und nennen mich bloß Trollo-Rollo.“ Traurig senkte er den Blick und schaute zum Boden seines Weinglases.
Der Zirkusdirektor: „Trolli-Rolli. Hihi.“ Er kicherte angetrunken.
Rosi: „Wie oft soll ich es dir noch sagen, das war ein einziges Mal, und sie dachten, du hörst nicht hin!“
Rolli: „Das macht es nicht besser.“
Scheffler peinlich berührt: „Nun, das ist traurig, ja, aber es wird schon gut gehen. Auf jeden Fall ging es euch gut. Wie geht es dir denn, Junge?“ Er blickte zum Sohn.
Der Sohn: „Na ja, meine Eltern versuchen mich für irgendeinen verrückten Zirkus zu gewinnen. Was denken Sie denn, wie es mir geht?!“
Der Zirkusdirektor: „Hey!“
Der Vater: „Das ist doch gar nicht verrückt. Sohn, du würdest im Land herumkommen, würdest viele Leute kennenlernen, nette Mädchen, neue Freunde. Du bist alt genug, etwas erleben zu dürfen. Als ich in deinem Alter war, habe ich die meiste Zeit am Wochenende in Kneipen verbracht.“ Er begann zu strahlen. „Du hast noch so viel vor dir, Frauen, Spaß, Sex, Abenteuer! Wenn ich noch einmal jung wäre...!“
Die Mutter: „Helmut!“ Misstrauisch sah sie ihren Gatten an.
Der Vater mit vom Wein schon lockerer Stimme: „Es stimmt doch Marta, weißt du nicht mehr, du und ich, wie wir und wo wir einst -“
Die Mutter abermals und mit vor Anstrengung zitternder Stimme: „Helmut!“
Der Zirkusdirektor: „Hihi.“
Der Vater: „Ach Marta, meinst du denn, der Junge hat sich nie gefragt, warum seine Mutter nur achtzehn Jahre älter ist als er? Der Junge weiß Bescheid, er hatte doch sogar selbst schon mal einen Tripper!“
Der Sohn rot geworden: „Ich glaube, ich muss sterben.“
Rolli: „Uh, da mach ich mit!“ (Rosi schlug ihn.)
Scheffler: „Na! Ich muss doch bitten, so hat die Prügelei auf der Genfer Konferenz auch begonnen, mit harmlosen Streitigkeiten.“ Er hielt inne, doch auch sein Gesicht glühte bereits vom Alkohol. „Wir waren alle auf der Suche nach alternativen Erziehungskonzepten, und darum geht’s doch auch heute.
…
Aber wissen Sie was? Die Hälfte von denen waren reaktionäre Arschlöcher, vermeintlich alternativ, doch aus Angst vor Innovationen zutiefst konservativ. Wissen Sie, wie ich solche Leute nenne? Linke Spießer!“
Der Vater: „Nun ja, ein wenig Skepsis ist doch sicherlich nicht prinzipiell verkehrt, oder?“
Der Sohn: „Sag' ich doch!“
Scheffler: „Wollen Sie etwa behaupten, ich verstünde nicht, was ich tue?“
Der Vater: „Nennen Sie mich jetzt etwa einen Spießer?!“
Die Mutter intervenierend: „Wie wäre es mit noch einem bisschen Rotwein?“ Sie stand langsam auf und ging weiteren Wein holen.
Sie tranken eine Weile.
Rolli zu Rosi gewandt: „Würdest du deine Eltern vor den Kopf stoßen für mich?“
Der Zirkusdirektor: „Nicht für dich, mit dir. Hihi.“ Seine Wangen glühten.
Rosi: „Was wissen Sie denn schon von unserer Liebe?“ Doch sie sah Rolli nicht an.
Rolli: „Eben! Nur, weil -!“ Rumms. Rolli war beim Gestikulieren mit dem Stuhl nach hinten umgekippt.
Der Zirkusdirektor: „Trollo-Rollo.“
Der Vater mit roter Nase: „Hihi.“
Scheffler: „Also, wie dem auch sei, wir...“
Der Sohn: „Direktor, wieso haben Sie eigentlich eine Peitsche dabei?“ Der Direktor ließ sie knallen, aus dem Keller hörte man eine Flasche bersten und einen dumpfen Schrei.
Rosi: „Ist schon vorgekommen, dass Manegensand in unsere Treckergetriebe gekommen sind, und mit zu viel Sand im Getriebe fährt sich's schlecht, dann brauchen wir unsere Pferde.“ Rolli ächzte.
Rolli: „Außerdem ist er ein Sadist!“
Der Sohn murmelnd: „'mit der Peitsche durch die Hood, wie deine Mum durch die Peepshows, ...'“
Rolli: „Was?!“
Der Zirkusdirektor: „Hey!“ Er knallte noch einmal mit der Peitsche. „Also. Wir sind mit der Kutsche da, der Trecker spinnt mal wieder. Außerdem darf so auch der Fahrer trinken.“ Er gluckste.
Scheffler: „Kein Wunder, der Stand der Revision von der Maschine ist auch noch aus Vorkriegszeiten.“ Er wandte sich zu seinem Glas, schaute tief hinein, schenkte sich nach.
Der Zirkusdirektor aufgebracht: „Moment mal! Sie hatten keine Sorge, über die technischen Mängel hinwegzusehen, als Sie mich an Bord ihres bizarren Projektes holten!“ Endlich war die Mutter mit neuem Wein da, schenkte allgemein nach, dann tranken sie alle eine ganze Weile schweigend. Schließlich versuchte die Mutter das Gespräch auf eine andere Ebene zu lenken.
Die Mutter: „Na, Rosi, das ist aber ein schöner Gürtel, den du da trägst.“
Der Vater betrunken: „...Gürtelrosi, hihi.“
Die Mutter: „Helmut!“
Der Vater: „Man wird doch noch Wortwitze machen dürfen!“ Er hob entschuldigend die Hände.
Die Mutter: „Aber nicht, wenn du der Kleinen dafür permanent auf den Hintern schaust!“
Rosi zum Vater: „Gefällt er ihnen denn?“
Rolli und die Mutter: „Rosi!!“ Die Mutter setzte sich empört und trank.
Der Zirkusdirektor gleichmütig: „Ihr Hintern ist nun einmal schön. So, Junge, jetzt sag' doch mal, hast du denn prinzipiell Interesse, mal einen Zirkus kennenzulernen?“
Scheffler lallend: „Bei Ihnen herrsch' wirklich Zirkus.“ Er hickste.
Der Zirkusdirektor mit der Peitsche knallend: „Na hören Sie mal, immerhin bin ich nicht so ein geiler Bock wie der Vater dieses Jungen!“
Der Vater aufgestanden: „Jetzt gehen Sie zu weit, mein Lieber, denn ich liebe meine Frau!“
Die Mutter: „Ach, wirklich? Deswegen starrst du auf die Hintern irgendwelcher Hungerhaken! Und wieso treiben wir's nicht mehr?“
Der Sohn: „Mum!“
Rosi: „Was soll denn das heißen!“ Der Zirkusdirektor langte ihr an den Arsch. Rosi senkte beschämt den Blick.
Rolli zusammenkauert hin- und herwippend: „Ich will sterben.“
Der Zirkusdirektor betrunken: „Trolli-Rolli, hihi.“
Da platzte Rolli der Kragen. Er sprang auf und versuchte, dem Zirkusdirektor eine reinzuhauen. Der blockte jedoch ab und versuchte wiederum, Rolli mit der Peitsche zu treffen, traf aber hingegen den Sohn. Daraufhin eilte der Vater zur Kommode und holte den Revolver hervor, den er auf den Zirkusdirektor richtete. Beherzt sprang Scheffler dazwischen, um die Lage zu entschärfen, während Rosi versuchte, dem Vater den Revolver aus der Hand zu reißen. Dabei löste sich ein Schuss, er traf die Mutter in die Brust. Der Sohn schrie. Der Zirkusdirektor kicherte betrunken. Scheffler trat auf den Vater zu und riss ihm den Revolver grob aus der Hand. Nur noch mit seinen Fäusten bewaffnet, schlug dieser Scheffler nieder und kniete sich zum Sohn neben die Mutter. Es war nur eine Schulterverletzung. Der Zirkusdirektor kicherte immer noch, da wurde der Sohn wütend und schlug ihm die Zähne ein. Der Zirkusdirektor, robuster als der Sohn, schlug diesen wiederum nieder und den Vater gleich mit. Rosi und Rolli stürzten sich auf ihn, doch sie hatten gegen ihn keine Chance. In einem Handgemenge schlug sich Rosi den Kopf am Tisch an, auf Rollis Kopf zerdepperte der Zirkusdirektor eine leere Weinflasche. Euphorisiert knallte er, als er alle anderen bewusstlos auf dem Boden liegen sah, die Peitsche in die Luft. Denn er war ein Sadist und er hatte einen Zwiebelfetisch. Er peitschte noch ein paar mal wild in die Luft und traf dann den Kronleuchter, der durch eine unglückliche Fügung auf ihn hinuntersauste und hart traf. Bewusstlos sackte auch der Zirkusdirektor zu Boden.
Der Nachbar der Familie hatte mittlerweile den lautstarken Tumult mitbekommen, sorgenvoll die Polizei gerufen und sich mit dem bei ihm hinterlegten Zweitschlüssel ans Haus gepirscht. Als er nichts vernahm, trat er ein und blickte ins Esszimmer. Er war fassungslos. Vor ihm lagen das Zimmer in Trümmern sowie sieben bewusstlose Gestalten, wovon zwei stark bluteten.
Der Sohn würde wohl vorläufig nicht an irgendwelchen alternativen Erziehungskonzepten teilnehmen.
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diese Runde lief nicht ganz so reibungslos wie die letzte, die Verspätung tut mir leid. Einige sind abgesprungen, es gab private Probleme, das ist schade. Dennoch freue ich mich, dass immer noch Interesse bestand und besteht und dass ich der Gemeinschaft nun die diese Runde überlebenden BUTTFUCKING STORYS präsentieren darf! o/
Im Folgenden findet ihr unter den Spoiler-Tags die entsprechenden Geschichten.
Außerdem möchte ich einen Mod noch darum bitten, der Vollständigkeit halber die übliche Umfrage einzufügen. Nicht um Konkurrenzscheiße zu forcieren, sondern um im freundschaftlichen Miteinander herauszufinden, wessen Story die Massen (? %D) am meisten zu begeistern vermochte!
Letztes mal gab's bei 15 Storys 3 Stimmen, jetzt sind's 5 Storys, da scheint es mir fair, wenn jeder eine Stimme zu vergeben hat. Zum Lesen&Abstimmen sollten zwei Wochen dieses Mal genügen - die gesamte Userschaft ist dazu eingeladen!
Umfrage
- jeder darf teilnehmen
- über jede Kritik freuen sich die Schreiberlinge
- nur eine Stimme
- läuft zwei Wochen
Zur Abstimmung möchte ich mich aus der letzten Runde noch einmal selbst zitieren:
Und in diesem Zuge möchte ich noch mal erwähnen, dass die Umfrage keineswegs auf "besser"/"schlechter"-Relationen zu reduzieren ist; sie dient dazu, diejenigen zu ehren, die mit ihrer Story den Nerv der Zeit getroffen haben und es schafften, am meisten zu begeistern. Darüber hinaus soll die Umfrage dem Ganzen noch einen runden Abschluss zu bieten. Das ist also hier kein Wettkampf gegeneinander, sondern ein freundschaftliches Miteinander um das gegenseitige Erheitern und Amüsement, für Ellenbogenwettstreitfotzen ist hier kein Platz(, dahingegen aber natürlich für gegenseitige Kritik, Tipps, Ratschläge, Kommentare etc). Es soll sich also auch niemand grämen, wenn seine Story vermeintlich schlechter abschneidet als die des zukünftigen King/Queen aller Bananenhändler und Kokainschlampen. Dieser Titel darf dann übrigens so lange behalten werden, bis sie oder er in einer etwaigen weiteren Runde eventuell abgelöst wird!
Also stimmt in der Umfrage für die Geschichten, die euch am besten gefallen haben. :)
Wie immer gilt: Falls ich eine Formatierung versaut habe, schreit! Darüber hinaus sind die Assoziationen in den Texten nicht extra gekennzeichnet, um den Lesefluss nicht zu behindern. In einer später downloadbaren .pdf Datei könnt ihr euch aber auch die Geschichten dann mit Asso-Vermerk durchlesen.
Genug gelabert. In einer etwaigen späteren Runde sind es vielleicht wieder mehr Storys, aber das steht in den Sternen und soll uns jetzt nicht kümmern.
Los geht's! \o/
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Sirius hat folgenden Oberbegriff / Thema gewählt: Lust
bereth sagt dazu: Käsesahnetorte, Penisring
Hylia sagt dazu: Pflichten, Hunger
CAMIR sagt dazu: Vibration, Schokolade
Crowbar sagt dazu: Slaanesh, Leidenschaft
HeyDay sagt dazu: Essen, Langeweile
Senfsamen sagt dazu: Kleptomanie, unersättlich
pondo sagt dazu: Kommune 1, Verrohen
Geronimo
Ich habe in letzter Zeit eine unglaubliche Lust an der Lust. Ich könnte ständig irgendeiner Sache leidenschaftlich verfallen. Dieses ständige mentale Käsesahnetortenessenmüssen. Diese aufdringliche Lebe den Moment!-Neonreklame vor meinem inneren Auge. Die good vibrations an Körperstellen, von denen man vorher noch nicht einmal wusste.
Warum nicht mal in Jogginghose drei Bier einkaufen gehen, einfach weil man Bock hat, auf andere wie ein verlotterter Penner zu wirken?
Und warum nicht zwei Stunden später noch mal bei derselben Kassiererin in Krawatte und Anzug bezahlen?
Warum nicht einfach mal bei schönem Wetter vor die Tür gehen und einen Spaziergang durch seine Wohngegend unternehmen?
Warum nicht heute einfach die ganze Tafel Schokolade auf einmal verputzen?
Warum nicht einfach mal auf Anfragen wie „Heute Abend ist XYZ, kommst du mit?“ unreflektiert mit „Klar!“ antworten, ohne Rücksicht darauf, was morgen sein könnte.
Warum nicht einfach auf Plan B umsteigen, wenn man merkt, dass man mit Plan A auch auf Dauer keine Sonne sieht.
Warum nicht einfach leben?
Ich saß einmal in meiner abgefuckten Lieblingskneipe und diskutierte an der Bar, nach fünf Astra, zwei Whiskey-Cola und drei Bloody Mary, etwas lautstärker mit meiner Freundin darüber, dass Veganismus oft missverstanden wird. Für irgendwas gehalten wird, das in seinem Kern mit dezent realitätsfernen Esoterik-Bionade-Tofukultistinnen zu tun hat. Oder mit misanthropischen skandinavischen Subkulturen, was noch weitaus alberner ist. Nein, nein und nochmals nein! Die Maxime war von Anfang an: Nimm’ so viel Rücksicht auf deine Umwelt, wie es dir möglich ist!
Ich betone: Wie es dir möglich ist!
In Deutschland, dem Land der regelversessenen Wohlfühlbürokratiker, wurde daraus so etwas wie: MIT KÄSEBROT ERWISCHT WERDEN BEDEUTET EINZELHAFT UND LEBENSLANGE ÄCHTUNG. KENNET EURE PFLICHTEN. REGELBRUCH IST TOD.
Dogmatiker aller Länder, vereidigt euch!
Diese ganzen verbiesterten Ernährungsspinner. Alle erschießen. Alle. Kein Wunder, dass es die Leute abschreckt.
Warum nicht einfach: Jeder tut, was er kann.
Es könnte so simpel sein.
Ich sähe ja auch eh nicht so aus, hieß es mal. Dürre Männer mit Glatze leben fleischlos. Sonst niemand. Mangelerscheinung, Mangelerscheinung, Mangelerscheinung! Der isst doch heimlich Schnitzel! Der ist doch gar ni—
Ich will mich nicht aufregen.
Bahnfahren wird auch immer teurer.
MANN ICH HAB’ FIXKOSTEN. ICH MUSS PENDELN.
…jedenfalls, ich sprach also in dieser Kneipe mit ihr darüber. Laut und zum Teil vulgär. Das tue ich manchmal. So bin ich halt drauf. Da rief mir vom Tisch an der Eingangstür ein Trunkenbold zu: „Fang an zu leben, du Öko!“
Ich überlegte, ob ich mich eher degradiert fühlen soll oder nicht vielleicht doch eher missverstanden Ich entschied mich mit großer Mehrheit für letzteres und verkniff mir ein Alleine saufen hat nix mit Leben zu tun! in seine Richtung, während mein kritisches Inneres hart mit mir ins Gericht ging und mich fragte: Hast du das Gefühl, im Leben etwas verpasst zu haben?
Ich antworte: Nein. Ich nehm’ doch alles mit, was geht. Partys, Konzerte, versoffene Abende mit Freunden, durchgemachte Nächte mit guten Gesprächen und zu viel Kaffee, generell: Instinktives, unüberlegtes, spontanes Ja!-Sagen, absoluter Heißhunger auf das volle Leben mit all seinen Ecken und Kanten. Nein, ich habe nicht das Gefühl, etwas zu verpassen. Ich habe eher das Gefühl, dass andere etwas verpassen.
Mein kritisches Inneres schweigt. Schachmatt.
Ich stehe unter der Dusche.
Der Anblick meines eigenen durchschnittlichen Körpers, an dem ich gerade hinabsehe, macht mich überdurchschnittlich geil. Etwas mehr Sport würde dir nicht schaden, sagt mein innerer Fitnessberater zu mir. Meine Freundin liebt mich auch so!, schnauze ich zurück. Da ist sie übrigens die erste. Ich habe ihr letztens eine Karte geschenkt, auf der so was steht wie „Die Liebe will, dass wir den Partner so akzeptieren, wie er ist. Und nicht so, wie er irgendwann später einmal vielleicht sein könnte, wenn ich ihm alles abgewöhnt habe, was mich an ihm stört.“
Ist euch das eigentlich schon einmal aufgefallen.
Dieser Teufelskreis.
Männer in meinem Alter, sofern man da schon von Alter sprechen kann, heucheln falsche Männlichkeit, über die sich nicht annährend verfügen, um knallhart oder anderweitig souverän zu wirken. Frauen fallen darauf rein und stellen am Ende fest, dass es sich dabei doch nur um ein emotional verkrüppeltes Riesenbaby handelt. Es folgt die Ballade vom Verlassenwerden. Das ist für Frauen übrigens eine doppelte Enttäuschung, da sie erfahrungsgemäß dazu tendieren, in Männern Traumprinzen auf weißen Pferden zu sehen. Gibt’s nicht. Ist ausverkauft. War schon immer ausverkauft. Nie im Handel erhältlich gewesen. Die meisten Frauen wollen ihre Männer erziehen. Ist zum Scheitern verurteilt. Ach, und wo ich schon beim Thema bin: Meine Exfreundin hat mich mal für „lebensunfähig und weltfremd“ (sic!) erklärt, weil ich blamabel daran gescheitert bin, einen Dosenöffner zu bedienen. Dazu im direkten Vergleich: Meine jetzige Freundin sagte zu mir „Natürlich hast du da Schwierigkeiten, als Linkshänder ist das kniffliger, du musst das spiegelverkehrt machen“, zeigte mir, wo mein ewiger Fehler lag und zack. Funktionierte.
War eine Sache von nicht einmal zwei Minuten.
Nicht einmal zwei Minuten.
Das Leben kann so einfach sein. Mit den richtigen Menschen an seiner Seite. Man fühlt sich wie auf Wolken oder frischer Butter oder so ähnlich. Alles ist erlaubt und irgendwie einfach. Gute Gespräche, guter Sex, gute Zeit. Irgendwo abseits der Großhirnrinde vögelt sich meine innere Kommune 1 voll freie-liebe-mäßig die ewig gleiche Alltagsödnis aus der Birne. Man kann um sich kratzen und beißen, wie man will. Irgendwann holt einen die Realität ja doch ein. Also wird man am besten direkt Kleptomane in Sachen Leben und nimmt alles mit, was nicht niet- und nagelfest ist. Exzentrik bis zum Exzess! Da kann sich Langeweile erst gar nicht einstellen, wenn man an jeder Ecke etwas Faszinierendes für sich entdeckt.
Six billions souls and one urge to live.
Ist es nicht eine Lust, Menschen kennenzulernen? Es ist tatsächlich die größte, die ich kenne. Selbst dann, wenn der derjenige sich als Vollpfeife entpuppt. Es ist einfach dieser Adrenalinrausch, dieser Nervenkitzel, wenn man sich langsam an den Charakter, an die Persönlichkeit des Gegenübers herantastet. Ich liebe das. Und deshalb liebe ich irgendwie auch die Menschen. Selbst die, mit denen man nichts anfangen kann, die womöglich sogar verflucht unsympathisch erscheinen, verraten dir enorm viel. Über sich und über dich.
Wer unersättlich einatmet, was ihm jeder neue Tag vor die Füße wirft, hat einen großen Vorsprung gegenüber denen, die sich der Welt verschließen.
Wer das Leben genießt, lässt all jene hinter sich, die sich über ihn das Maul zerreißen. Mit meilenweitem Abstand.
Und das Lieben nicht vergessen.
In diesem Sinne verbleibe ich also mit einem Zitat des großen Berti Vogts, der da einst sagte:
"Wenn ich übers Wasser laufe, dann sagen meine Kritiker, nicht mal schwimmen kann er..."
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HeyDay hat folgenden Oberbegriff / Thema gewählt: Teeparty
bereth sagt dazu: Mahjongg, pseudointellektuell
Hylia sagt dazu: Hafen, England
CAMIR sagt dazu: Hutmacher, Hammer
Crowbar sagt dazu: Märzhase, Earl Grey
Sirius sagt dazu: Tassenmangel, Nervosität
Senfsamen sagt dazu: Alice im Wunderland, Queen Elizabeth II.
pondo sagt dazu: Monokel, nordamerikanische Vollidioten
London 1940
Als Mr. Erskin seinen Besuch empfing war es schon später Nachmittag. Die Damen hatten sich unglücklicherweise verspätet, und der Tee war schon kalt. Mit wackeligen Beinen öffnete der Gastgeber seine Türe. „Mary meine Liebe! Schön dich zu sehen! Komm herein, komm nur herein!“ sprach seine trockene, alte Stimme. Dann blieb sein Blick auf dem jungen Mädchen hängen, das schüchtern herein trat. „Ohhhooo, Mary, wen hast du mir denn hier mitgebracht?“ „Das ist meine Nichte Sybil. Ich war der Meinung, dass du sie einmal selbst kennen lernen solltest.“ Mr. Erskin packte seinen Gehstock ein wenig fester, wobei sein Arm umso mehr zu zittern anfing, rückte sein Monokel zurecht und ging einen Schritt auf Sybil zu. Seine dürren Beinchen wollten sich grade zum Handkuss beugen, als die ältere der beiden Damen, die Mr. Erskin Mary nannte, zu ihm eilte um ihn wieder aufzurichten. „Sybil besteht nicht unbedingt auf einen Handkuss. Sie ist eine moderne Dame, du kannst ihr gerne die Hand reichen.“
Bei diesen Worten richtete sich der Alte verwundert auf. Seine Augen weiteten sich als er Begriff was man ihm grade gesagt hatte, so dass seine Sehhilfe vom Auge glitt und langsam anfing, an der Halterung hin und her zu baumeln. „So so, eine moderne Dame?! Das haben wohl diese nordamerikanischen Vollidioten eingeführt, was? Mary, ich sage dir, die bringen uns hier nichts als Ärger mit ihren modernen Trends. Sie wären gut beraten, hier in London geblieben zu sein! Wenn unsere Queen Victoria in Zukunft so etwas zum Standard werden lässt, ja, dann ist es mit unserem feinen England aus!“ Er drehte sich langsam weg und ging in den Salon während er so sprach. Bald vernahm man nur noch undeutliches Murren. „Tante, meint er nicht eher die voraussichtliche Queen Elisabeth II?“ sagte Sybil leise. „Lass ihn nur reden, es bringt ja doch nichts.“ Kam die leicht verbitterte Antwort.
Die Damen folgten dem alten Herren in den Salon, der sehr chaotisch wirkte. Überall lagen Bücher herum und altes Geschirr stand auf dem Tisch. „Setzt euch, so setzt euch doch!“ forderte Mr. Erkins seine Gäste auf während er selbst einen Stuhl heranrückte und sich am Tisch niederließ. „Entschuldigt die Unordnung. Ich habe das Hausmädchen lange nicht mehr gesehen. Ich werde sie wohl entlassen müssen, wenn sie sich das nächste mal blicken lässt …“ Bevor die Damen sich setzten, wandte sich die Tante zu dem jungen Mädchen: „Bereite doch bitte Tee. Ich bezweifel, dass Mr. Erskin es noch richtig schafft.“ „…. Wie ich schon sagte: Die Mädchen von heute halten sich alle für schlau. Dabei sind sie alle nur pseudointellektuell. Sogar mein Hausmädchen ist so!“ plapperte der alte Herr vor sich hin, während Sybil sich in die Küche begab. In der Küche herrschte ein noch größeres Chaos. Es sah aus, als wäre hier lange nicht mehr aufgeräumt worden. Nach langem suchen fand Sybil eine alte Teedose auf der asiatische Zeichnungen abgebildet waren. Die Dose erinnerte sie an ein Spiel namens Mahjongg, bei dem sie einmal zugesehen hatte, als sie noch jünger war. Sie öffnete die Dose und schaute sich den Inhalt genauer an: Es war Tee. Er roch nicht sehr intensiv aber es schien ihr Earl Grey zu sein, somit würde sie nichts falsch machen, wenn sie ihn zubereiten würde. Sybil letzte Wasser auf und schaute sich nach sauberen Tassen um. In der ganzen Küche war nichts zu sehen, so beschloss sie, ihre Tante zu fragen.
Als sie den Salon betrat saßen die beiden Älteren noch unverändert da. Mr. Erkins kauerte auf seinem Stuhl und starrte vor sich hin, unentwegt vor sich herplappernd. „Tante, ich kann keine Tassen in der Küche finden.“ „Hm, dass hier Tassenmangel herrscht, habe ich mir fast gedacht. Nimm Tassen vom Tisch und wasche sie bitte.“
Kurze Zeit später, war der Tee neu angerichtet und die kleine Gesellschaft saß stillschweigend am Tisch. Der alte Herr hatte mittlerweile wieder eine normale Haltung eingenommen und beäugte Sybil neugierig. Dann begann er zu sprechen: „Ich habe mir neulich einen neuen Zylinder vom Hutmacher aus der Chesterlane gekauft. Mary könntest du ihn bitte herholen?“ Die Angesprochene erhob sich seufzend und ging aus dem Salon um kurz darauf mit einem zerknitterten, staubigen Zylinder hereinzukommen. „Hier ist der Hut, er ist sehr hübsch Mr. Erkins. Ist der Hutmacher aus der Chaster Lane derjenige am Hafen?“ sie überreichte dem Alten seinen Zylinder, der ihn stolz entgegennahm und daraufhin auf seinen Kopf setzte. „Ja ja Mary, dass ist er. Er fertigt wirklich wunderhübsche Hüte. Liebe Sybil, was sagst du zu meinem neuen Zylinder?“ Ein unsicherer Blick flog zur Tante und ihre Stimme überschlug sich fast vor Nervosität. „Ich… ich finde, er, er erinnert mich an das Buch „Alice im Wunderland“.“ „Na so was. Ich kenne dieses Buch gar nicht. Erzähl mir doch mehr davon!“ „Also, da ist dieses Mädchen Alice, und sie trifft auf den Märzhasen, der sich andauernd beklagt, dass er zu spät ist…“ „So ein Blödsinn junges Fräulein! Wer käme denn auf die Idee so ein Buch zu schreiben?“ schritt der Alte dazwischen. Sybil wollte widersprechen, aber da spürte sie die Hand ihrer Tante auf ihrem Arm und sie schwieg. Ihr Gastgeber hingegen starrte schon wieder vor sich hin. „Sybil, könntest du bitte unsere Mäntel holen? Es ist schon spät.“ Das Mädchen stand auf und verließ den Tisch, da erwachte der Alte wieder aus seiner Starrheit. „Mary, ein wirklich reizendes Mädchen! Sie scheint mir sehr aufgeweckt und wird sich sicherlich noch gut entwickeln und dann diese Albernheiten vergessen. Du weißt ja, dass ich noch eine Heiratsangelegenheit für meinen Sohn Joshua benötige. Ich möchte bald noch einmal genauer darüber sprechen. Aber denk über mein Angebot nach!“ Die Tante nickte stumm und mit Tränen in ihren Augen.
Als Sybil mit den Mänteln wiederkam verabschiedeten sich die Frauen sogleich. Draußen schaute das Mädchen ihre Tante fragen an: „Warum hat er dich Mary genannt?“ „Ach mein Kind, dein Großvater ist dement. Er erkennt weder seine eigene Tochter, noch seine Enkelin. Er wollte dich sogar mit deinem Vater Joshua verheiraten obwohl er im Krieg gefallen ist. Mr. Erkins lebt in der Vergangenheit und bald wird er gar nicht mehr leben. Aber Sybil, ich war der Meinung, du solltest ihn auch einmal kennen lernen bevor es mir uns allen dahin geht.“
Wie der Schlag eines Hammers krachte eine Bombe einige Straßen weiter ein. Die Sirenen begannen zu läuten und die Tante nahm Sybil bei der Hand und die beiden liefen eilig Heim.
London 1940
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Crowbar hat folgenden Oberbegriff / Thema gewählt: Winter
bereth sagt dazu: sternenklar, Eis- und Beinbruch
Hylia sagt dazu: Tod, Nebelbank
CAMIR sagt dazu: Schneemann, frieren
HeyDay sagt dazu: Adventssonntage, Singen
Sirius sagt dazu: Nihilismus, Menschenfeind
Senfsamen sagt dazu: Weihnachtsrestefressen, Die Jahresuhr
pondo sagt dazu: vereiste Schaukel, Endzeitgedanken
Auf gefrorenem Grund
Der Schnee, der beständig aus den dichten Wolken rieselte, die schon den ganzen Tag jegliches Sonnenlicht aussperrten, hatte sich am Boden mit der Asche vermischt und sich grau gefärbt. Die rechte Hand des jungen Mannes, der schon tagelang durch die Kälte nach, wie er hoffte, Süden stolperte, hatten sich um den Griff seiner Pistole gekrampft, die er in der ständigen Bereitschaft, zuerst zu schießen, mit gestreckten Arm vor sich hielt.
Der Mann war beinahe zwei Meter groß, hatte kurzes, schmutziges braunes Haar und einen sorgfältig gestutzten Bart, die blauen Augen flackerten unruhig aus tiefen Höhlen empor. Der Mann war sehr dünn, was er mit einer wahllos scheinenden Zusammensetzung von Winterkleidung wieder wett zu machen versuchte – verschiedene Hemden, ein Pullover mit hochgezogener Kapuze, darüber eine zerschlissene Winterjacke, deren rechter Ärmel nur noch mit Isolierband am Torso befestigt war, einen Schal und mehrere Dicke Socken über seine Armeestiefel – all das half aber nur wenig gegen den beißenden Wind, der ihm seit Tagen ins Gesicht wehte.
Ein zusammengerostetes Straßenschild kündigte eine Stadt an. Nur noch wenige unzusammenhängende Buchstaben waren zu lesen, so konnte er nicht erschließen, wie sie hieß. Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte. Er kletterte über das umgekippte, quer über der Straße liegende Werbeschild einer Fast Food-Filiale, deren ausgebranntes Gerippe am Straßenrand in den grauen Himmel ragte und bewegte sich langsam durch den Ortseingang.
Links und rechts befanden sich zweistöckige Backsteingebäude mit Flachdächern, bei denen die meisten Fenster und Türen zugenagelt waren. Instinktiv hob er die Waffe, als er zwischen zwei Häusern eine menschliche Gestalt bemerkte, als er näher kam merkte er jedoch, dass er nichts zu befürchten hatte.
Der Unglückliche war anscheinend schon eine Weile tot und hing steifgefroren in einem Gewirr von Stacheldraht, das irgendjemand zwischen den Häusern gespannt hatte. Offenbar hatte er sich hier auf der Flucht vor jemandem – oder etwas – hier verheddert und war dann verendet. Nun war die Leiche größtenteils bedeckt von den Schneefällen der letzten Tage, die morbide Version eines Schneemanns, die ihn aus blicklosen Augen anstarrte. Einen Moment lang starrte der Mann zurück, dann wandte er sich ab und ging weiter die Straße entlang – hoffend, ein Haus zu finden, in das er einsteigen konnte, um Vorräte zu finden, oder wenigstens ein Dach, unter dem er die Nacht verbringen konnte.
Ein Stück weiter befand sich abseits der Straße, hinter gewucherten, kahlen Hecken ein kleiner Spielplatz mit einem Karussell, einer Wippe und einer vereisten Schaukel, auf der er sich frierend niederließ, um sich auszuruhen. Als er sich umsah stellte er sich vor, wie es hier noch vor wenigen Jahren ausgesehen haben musste. Er dachte an rote Pick-Up-Trucks, die durch die Straßen fuhren, junge Paare, die hier an Adventssonntagen spazieren gingen, alte Männer, die auf der nun zerstörten Parkbank sitzend, die am Rande des Platzes stand, ihren Enkeln beim Spielen zusahen. Die Vergangenheit, in der es alles nicht gab, womit er sich nun tagtäglich herumschlagen musste, keine Asche, kein tägliches Ringen mit dem Tod, keine Endzeitgedanken, diese Vergangenheit verblasste mit jeder Minute und erschien ihm mittlerweile nur noch wie ein fernes Land, in dem er noch nie gewesen war, von dem er aber gehört hatte, durch Fotografien und Erzählungen, und nach dem er sich mehr und mehr sehnte, auch wenn er es niemals dorthin schaffen würde.
Der Mann gab sich einen Ruck und kehrte in die graue, verwüstete Realität zurück. Der Vergangenheit nachzutrauern hatte keinen Sinn, auch wenn sie möglicherweise das einzige war, das er noch hatte. Aber die Jahresuhr war abgelaufen und es war an der Zeit, dies zu akzeptieren.
Im Eingangsbereich eines Hauses stieß er auf eine weitere Leiche. Wie alt sie war ließ sich schwer sagen, aufgrund der Art, wie sie dalag war sie allerdings schon mehrmals gefleddert worden. Sie trug eine verrutschte olivgrüne Jacke, Blue Jeans und eine Gasmaske, mehr hatten die Plünderer nicht übrig gelassen. Außerdem war sie anscheinend als Weihnachtsrestefressen eines Rudels wilder Hunde geendet, da sie an mehreren Stellen angeknabbert war.
Sein Körper spannte sich ruckartig an, als er tiefer im Haus ein Husten hörte und er hinter einer Türe Licht aufblitzen sah. Mit gehobener Waffe ging er langsam den Flur entlang.
„Nicht schießen. Ich bin unbewaffnet.“
Die Türe öffnete sich und ein alter Mann streckte seinen Kopf in den Flur. Die Haare waren grau und gewuchert, der Bart reichte ihm fast bis auf die Brust. Er trug ein graues, schmutziges Sweatshirt mit der Aufschrift NEW YORK und eine schwarze Winterjacke, mehr konnte er nicht erkennen.
„Wer bist du?“, fragte der Mann.
„Ich bin ein Priester.“
Der Mann bemerkte ein silbernes Kreuz, das unter dem Bart des alten Mannes hervor ragte und senkte seine Waffe.
„Ich wollte ihn begraben“, sagte der Priester mit Blick auf die Leiche. „Aber der Boden ist zu hart.“ Er schaute den Mann wieder an. „Du siehst hungrig aus, willst du was essen?“
„Ja“, antwortete der Mann, ohne jedoch die Waffe zu senken. „Das wäre nett.“
Der Priester öffnete die Türe, trat einen Schritt zurück und der Mann trat ein. Das Zimmer hier war offenbar früher ein Wohnzimmer gewesen, war in der Zwischenzeit aber ausgeplündert worden. Ein alter Tisch und zwei Stühle standen darin, ebenso wie eine abgewetzte Couch und eine wacklige Vitrine, in der sich mehrere Konservendosen befanden. Auf dem ansonsten kahlen Boden stand ein Gaskocher, auf dem gerade eine Dose Bohnen kochte, daneben lag eine Taschenlampe.
„Hast du Besteck?“, fragte der Priester, während er sich neben den Kocher auf den Boden setzte.
„Ja.“
„Dann komm. Es ist gleich warm.“
Der junge Mann wuchtete seinen Rucksack auf den Boden und fischte das zugeschnürte Bündel heraus, in dem er Löffel und Gabel aufbewahrte.
„Ich bin es nicht gewohnt, mit jemandem zu teilen“, sagte er.
„Ich auch nicht. Das liegt aber daran, dass es nicht mehr viele Wanderer gibt.“
„Wohnst du hier?“
„Zeitweise, ja. Ich bin alt und müde und wandere nicht mehr sehr oft. Was ist mit dir?“
„Ich bin auf dem Weg nach Süden.“
Der Mann griff nach der Dose, die ihm der Priester entgegen hielt und nahm einen Bissen. Die Bohnen waren heiß und verbrannten seinen Mund. Es war himmlisch.
„Glaubst du an Gott?“, fragte der Priester.
Der Mann nahm einen weiteren Löffel Bohnen und zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht.“ Er zögerte nachdenklich. „Wenn es einen Gott gibt hat er vor gar nicht allzu langer Zeit sechs Milliarden Menschen getötet. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt an so einen Gott glauben will.“
Der Priester zuckte mit den Schultern. „Das ist verständlich. Aber ich glaube daran, dass alles Teil eines göttlichen Planes war, auch wenn wir ihn nicht verstehen.“
„Das macht es einfacher zu ertragen, was?“, sagte der Mann und versuchte dabei nicht, den Hohn in seiner Stimme zu verbergen.
„Ja, auch das.“
Der Mann reichte dem Priester die Bohnendose.
„Und teilst du deswegen mit mir? Weil du ein Priester bist und glaubst, dass du in den Himmel kommst?“
„Nein“, sagte der Priester, während er gegen seinen Löffel pustete. „Weil ich glaube, dass die Menschheit noch nicht verloren ist.“ Er führte den Löffel zum Mund. „Sie wird erst dann endgültig sterben, wenn es in der Welt keine Menschlichkeit mehr gibt.“
Der Mann zuckte mit den Schultern. „Schön und gut, aber diese Einstellung hat mich nicht die letzten zwei Jahre am Leben erhalten.“
„Ein Menschenfeind zu sein mag das Überleben des Individuums sichern, aber nicht das der Gemeinschaft.“, sagte er, nachdem er geschluckt hatte.
„Das ist gut genug für mich.“
Der Priester lächelte ihn nur verstehend an, was den Mann etwas irritierte. Sein Blick fiel wieder auf die Dosen im Regal, dann wieder auf den Priester, der in die Bohnendose pustete. Der Mann schnappte sich seine Pistole, die neben ihm lag und schoss dem Priester in den Kopf.
Die Leiche zu durchsuchen hatte nicht lange gedauert. Ein paar Batterien hatte er gefunden, Bindfadenrollen, eine Kneifzange und eine Plastiktüte mit Zigarettenfiltern. Wo der Priester seine restliche Ausrüstung hatte wusste er nicht, er würde sie aber sicher noch finden. Als er die Leiche des Priesters vor die Haustür zerrte waren die Wolken einer sternenklaren Nacht gewichen. Die Spuren, die er vorhin noch hinterlassen hatte waren bereits wieder unter Schnee und Asche verschwunden. Ein letztes Mal durchsuchte der Mann den toten Körper. Er fand ein verblichenes Foto, das einen bärtigen Mann an der Seite einer Frau und zwei kleinen Mädchen vor einer Blockhütte zeigte. Sie lachten in die Kamera, waren aber gleichzeitig hinter einer Nebelbank aus Vergangenheit gefangen, oder jedenfalls sah es auf dem ausgeblichenen Foto so aus. Er ließ es, wo es war, genau so wie das silberne Kreuz, das, wie er wusste, keinen Wert mehr hatte.
Er betrat das Haus und verriegelte die Türe hinter sich. Er würde die Nacht hier verbringen, morgen so viele Vorräte mitnehmen wie nur möglich, und dann seinen Weg fortsetzen, nach Süden, durch das, was von der Welt noch übrig war.
Vorwürfe machte er sich keine. Da draußen war es dunkel, und es wurde immer dunkler.
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CAMIR hat folgenden Oberbegriff / Thema gewählt: Irland
bereth sagt dazu: Grünstich, Bienenstich
Hylia sagt dazu: Kleeblatt, Schafe
HeyDay sagt dazu: Zigeuner, Auswandern
Crowbar sagt dazu: Bushmills Black Bush, Flogging Molly
Sirius sagt dazu: paradiesisch, Kneipenschlägerei
Senfsamen sagt dazu: Kobold, Kloster
pondo sagt dazu: Bierbrau-Inkompetenz, geile Titten
Sieben Fässer Bier
Featuring: Das Triumvirat des Bösen
(Ähnlichkeiten mit lebenden Personen, Politikern, Iren, Österreichern, Schafen, Bierfässern und Whiskeygläsern sind total beabsichtigt und nicht zufällig.)
Der Zapfhahn war wieder verstopft. Bereits das dritte Mal in dieser Woche! Und dabei hing doch das Geschäft vom funktionierenden Zapfen ab. Wie konnte man ein Pub führen ohne Bier?
Wutentbrannt trat Brian gegen die metallenen Fässer hinter der Theke.
Schon wieder konnte er einen Reparaturdienst kommen lassen und das für teures Geld hinbiegen lassen.
Sollte aus dem Zapfhahn kein Bier fließen, wäre am Abend die Kneipenschlägerei vorprogrammiert. Und das zertrümmerte Mobiliar ersetzen zu lassen, wäre noch kostspieliger.
In gewisser Weise stellte der kaputte Zapfhahn die momentane Situation seines schönen Landes viel besser dar, als jeder Karikaturist es je vermocht hätte. Das Ding war ruiniert und alle dilettantischen Versuche zur Reparatur brachten nur kurzfristig etwas, bevor sie endgültig versagten.
Auch wenn andere Elemente alles taten, Brian als jemanden darzustellen, der keine Ahnung von Geld hatte – so sagte man ihm gar nach, er hätte das Land im Alleingang ruiniert – entsprach das doch nicht der Wahrheit. Er konnte sehr gut mit Geld umgehen, nur nicht mit dem, das nicht seines war. Aber die Wahrheit war auch – er hatte verkackt und zwar so richtig. Er konnte sich nirgends mehr sehen lassen ohne ausgelacht zu werden. Die Welt war schon ungerecht.
Wie paradiesisch waren doch die Zeiten, als er als noch als Premierminister im Dienstwagen hatte vorfahren können und die Leute vor ihm Bücklinge machten. Inzwischen war er in Schimpf und Schande davongejagt worden* und selbst den Dienstwagen hatte man ihn abgenommen. Diese Zeiten waren jetzt wohl endgültig vorbei und gerade kürzlich hatte er schmerzlich feststellen müssen, dass er keinen einzigen passenden Anzug mehr hatte, so sehr hatte er vor lauter Frust zugenommen.
Um nicht auswandern zu müssen, hatte er die großartige Idee gehabt, unter falschem Namen das Pub „Zum Grünen Kobold“ zu eröffnen, ganz an der entlegenen Westküste Irlands.
Parteifreunde wussten wohl, wer der wahre Wirt des Pubs war, auch wenn sich Brian in der Zwischenzeit einen Bart hatte wachsen lassen. Doch gewisse Dinge sprachen sich einfach herum, gerade in seinen Kreisen. Ab und an kamen sie vorbei, wenn sie in der Gegend waren und es wurde bereits angedacht den nächsten Parteitag in seinem bescheidenen Lokal abzuhalten.
Im Prinzip war also alles wie früher: Er verdiente sein Geld mit dem Geld anderer Leute. Jammern half sowieso nichts.
Um sich ein wenig aufzuheitern, bevor er den Reparaturdienst anrief, sah er aus dem Fenster. Es regnete und die Nebel schienen sich nicht lichten zu wollen. Es war alles so undurchdringlich, dass er nicht einmal das nahe gelegene Kloster von Clonrichert sehen konnte, auf dessen Wiese sehr oft Schafe grasten. Aber es brachte nichts. Alles war grau und grau.
„Scheißtag**!“ fluchte er und wollte gerade zum Wandtelefon greifen, um das Unvermeidliche zu tun, als er hörte, wie sich die Eingangstür öffnete.
Ein kleines Glöckchen, das über der Tür angebracht war, verriet ihm, wenn jemand außerhalb der Geschäftszeiten kam – abends, bevor er offiziell öffnete, nahm er es für gewöhnlich ab.
Er hängte wieder ein und drehte sich dann um, um nachzusehen, wer ihn zu einer solchen Stunde aufsuchte.
Kaum hatte er den Gast erkannt, tat sein Herz einen Sprung.
Alle Wolken, all der Nebel, alle verstopften Zapfhähne dieser Welt, sie spielten keine Rolle mehr. Was da in seine bescheidene Gaststube geschwebt war nahm all den Kummer von ihm, obwohl, das musste Brian zugeben, es sehr schwer war zu schweben, wenn man vollkommen durchnässt war.
Von all seinen ehemaligen Parteifreunden erfreute es ihn am meisten, sie zu Gesicht bekommen, seine ehemalige Stellvertreterin. Die Frau mit der er durch Dick und Dünn gegangen war, die Frau die ihn dazu verleitet hatte vor noch eingeschalteten Mikrofonen zu fluchen, die Frau mit den entsetzlich langen Beinen und noch viel kürzeren Röcken. Insgeheim hatte er immer gehofft, dass ihre Ernennung ihm ihrer Dankbarkeit versichern würde, doch daraus war nie etwas geworden. Aber auf der anderen Seite – sie waren ja beide verheiratet. Anerkennend stellte er fest, dass sie zudem noch immer geile Titten hatte, was ein weiterer Ernennungsgrund gewesen war. Politisch war sie ja nun doch eher inkompetent gewesen, um es milde auszudrücken.
Er setzte sein freundlichstes Lächeln auf, ja er erstrahlte geradezu.
„Mary, ich freue mich dich mal wieder zu sehen!“
„Was ein Sauwetter!“ war zunächst ihre lapidare Antwort.
Er nickte, nahm er ihr den triefenden Mantel ab und rannte in die nahegelegene Küche, um Handtücher zu besorgen, damit sie sich trocknen konnte. Während sie sich also Haare und Körper rieb, kam er gleich zum Geschäftlichen:
„Was führt dich denn hier her?“ Es kostete ihn Mühe nicht zu starren, als sie ihre Beine vorstreckte um sie zu trocknen.
„Ich wollte dir helfen. Es ist kein Geheimnis dass dein Geschäft nicht besonders gut geht. Für die Leute im Ort bist du nur ein dahergelaufener Zigeuner, der mehr auf Touristen abzielt. Bei einem so klischeehaften Namen für das Pub ist das aber auch kein Wunder.“
„Er schien mir damals eine gute Idee…“ murmelte er kleinlaut.
„Ja klar. Und warum hast du nicht noch ein Kleeblatt auf das Schild gemalt? Wenn man es von weitem sieht könnte man sowieso glatt meinen, es hätte einen Grünstich, so sehr dominiert eine gewisse Farbe!“
„Bei unserer Partei hat grün immer gut funktioniert…“ hielt er ein wenig eingeschnappt entgegen. Wie kam es, dass sie plötzlich anfing zu denken?
„Wir haben die Wahl verloren! Haushoch! Vielleicht erinnerst du dich ja!“
Er winkte ab.
„Schon gut, schon gut! Also, wie willst du mir helfen?“
Sie wechselte die Sitzposition, sodass es Brian gelang, kurzfristig unter ihren Rock zu schauen. Ganz zufällig natürlich.
„Dein Pub ist auf Touristen ausgelegt. Also sorgen wir dafür, dass es unter Touristen bekannt wird!“
„Aha…“ Er konnte nicht behaupten ihr folgen zu können.
„Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass die Finanzministerin Österreichs hier Urlaub macht. Wenn es uns also gelingt, sie für dein Pub zu begeistern, wäre das doch ein Publikumsmagnet sondersgleichen.“
„Und wie wollen wir das anstellen?“
„Die Europäer auf dem Festland unterstellen uns immer eine gewisse Bierbrau-Inkompetenz. Also sollten wir gar nicht erst versuchen, ihr Guinness hinzustellen. Servier ihr lieber gleich einen guten Whiskey, wie Bushmills Black Bush oder so. Und dann noch eine CD von einer Irischen Band im Hintergrund laufen lassen, was weiß denn ich, The Dubliners, Flogging Molly, so was in der Art. Wenn du schon auf Klischee machst, dann richtig.“
Er dachte einen Moment nach. Es war wahr, sein Pub lief schlecht, aber bei seiner momentanen Pension war das eigentlich egal. Dennoch kratzte es an seiner Ehre.
„Kannst du diese Ministerin denn dazu bringen hier überhaupt abzusteigen?“
„Aber natürlich. Was glaubst du denn, warum ich überhaupt herkam? Morgen abend wird sie da sein. Bekommst du das hin, bis dahin etwas vorzubereiten?“
Bevor er in der Lage war, darauf einzugehen, fügte sie noch etwas hinzu.
„Ich bin durch den Regen so vollkommen durchweicht. Könnte ich vielleicht deine Dusche benutzen?“
Die letzte Frage ließ Brian die Kinnlade runterklappen und bevor sein Verstand sich einschaltete, hörte er sich schon sagen:
„J-ja…!“
36 Stunden später
Als Brian erwachte tat ihm alles weh, wie bei einem Bienenstich, nur am ganzen Körper. Langsam setzte er sich auf und stellte fest, dass er nackt war. Doch damit nicht genug. Mary lag neben ihm, ebenfalls nackt, wie er unter der Bettdecke zu erkennen glaubte. Sein Kopf schmerzte und er hatte das Gefühl sich gleich übergeben zu müssen. Er blickte erneut auf seine ehemalige Stellvertreterin und sofort schlich sich eine Frage in sein Bewusstsein:
Haben wir…?
Er konnte nirgendwo um das Bett herum Kleider erkennen, was ein leidenschaftliches Entkleiden am vorigen Abend unmöglich machte und auch sonst schien ihm das alles höchst unwahrscheinlich, auch wenn er sich seiner Illusion nur ungern berauben ließ.
Langsam kehrte die Erinnerung an den vorigen Abend zurück...
Die österreichische Finanzministerin war tatsächlich in sein Pub gekommen, gemeinsam mit einem Mann, der für sie dolmetschte. Auf Marys Rat hin, hatte Brian auch Besorgungen für dieses Ereignis vorgenommen und den besten Whisky und, einige CDs besorgt sowie Kerzen eingekauft um eine wohlige Atmosphäre aufzubauen. Bis die Dame dann kam, brannten die meisten der Kerzen auch schon und auch sonst fühlte er sich vorbereitet genug.
Bis die Finanzministerin in Flammen aufging wohlgemerkt.
Entgegen sonstiger Gewohnheiten war sein Pub an diesem Abend sehr gut besucht. Es schien sich herumgesprochen zu haben, dass ein besonderer Gast da sein würde und da war man neugierig, wie er sich schlagen würde. Anfang lief auch fast alles nach Plan. Mary hatte die Begrüßung übernommen und sogar hier und da ein paar deutsche Wörter benutzt, die dem Gast allerdings ein Stirnrunzeln entlockten. Die Dame, die sich als Maria Fekter vorstellte, ließ sich dann auch an die Bar führen und… bestellte ein Bier.
Ein Kloß manifestierte sich in Brians Magen! Er hatte vor lauter Vorbereitungen vergessen den Reparaturdienst anzurufen und der Zapfhahn war noch immer defekt. Während er also Mary bat, den Gast mit Konversation hinzuhalten – in Smalltalk war sie immer gut gewesen – tat er sein Bestes trotz allem ein Glas Bier abzufüllen.
Warum er gedacht hatte, dass es eine gute Idee war, erneut gegen das Bierfass zu treten, um die Verstopfung im Zapfhahn zu lösen, wusste er selbst nicht mehr so genau. Aber dass das Fass in die Luft flog, damit hätte er in seinen kühnsten Träumen nicht gerechnet.
Von da an ging alles bergab.
Ein Regen von Bier ergoss sich über die Gäste, Frau Fekter fing an zu schreien und stieß, als sie wild wedelnd aufsprang, die Whiskeyflaschen um, die Brian extra für sie auf den Tresen gestellt hatte. Kreischend lief sie hin und her, wie ein aufgescheuchtes Huhn, während die Pubbesucher die noch nicht von Alkohol durchtränkt waren, entweder flohen, Platz machten oder ebenfalls wie aufgescheuchte Hühner herumliefen. Dies führte dazu, dass nach kurzer Zeit irgendjemand die Kerzen umstieß, die natürlich genau in den ausgelaufenen Whiskey fielen und diesen entflammten.
Das setzte eine absurde Kettenreaktion in gang, die damit endete, dass die Kleider der Finanzministerin brannten, Brian sich auf sie stürzte, um die Flammen zu löschen, Mary die Feuerwehr rief, und dann versuchte das Feuer mit dem vorhandenen Bier zu löschen. Kurz: es war ein enormes Chaos und als die Feuerwehr endlich anrückte, war zwar das meiste gelöscht, aber die Laune der Ministerin stand erst recht in Flammen. Wütend stampfte sie in den Überresten ihrer Kleider aus dem Pub, gefolgt von dem übersetzenden Mann und beobachtet von dem Rest der Besucher.
Brian konnte nicht mehr viel denken an jenem Abend, erinnerte sich aber daran, dass er sich seiner bierdurchtränkten Kleidung entledigte, bevor er ins Bett ging. Mary tat vermutlich genau dasselbe, was ihrer beider Nacktheit erklärte. Ein wenig enttäuscht, dass das alles war, war Brian ja dann schon, als er sich erinnerte. Frustriert ließ er sich zurück ins Bett sinken. Die verdammte Decke unter der sie schlief nahm ihm auch den Rest von Freude. Und sein schönes Pub war jetzt auch ruiniert.
Womit weder Brian, noch seine Freunde gerechnet hatten, war, dass dieser kleine Vorfall dafür sorgte, dass sein Etablissement jetzt besonderen Zuspruch fand, denn immerhin wurde in den Zeitungen ausgiebig davon berichtet, was der österreichischen Finanzministerin widerfahren war. Besonders dankbare Österreicher, die es gut fanden, dass er sie angezündet hatte, zählten zu seinen Gästen. Er hätte nicht geglaubt dass diese ganze Geschichte noch irgendeinen Vorteil hätte haben können, aber genau so war es. Einmal in ihrem Leben hatte Mary ihm einen guten Rat gegeben. Sollte er jemals wieder in die Politik einsteigen, würde er sicher wieder mit ihr zusammenarbeiten. So wie damals.
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* Neutralere Quellen würden sagen: Er hatte eine demokratische Wahl haushoch verloren, aber mit solchen Kleinigkeiten hielt sich Brian selten auf.
** Brian spricht natürlich englisch. Des besseren Verständnisses wegen wurde dies übersetzt.
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pondo hat folgenden Oberbegriff / Thema gewählt: Querulanz
bereth sagt dazu: Internetkinder, Politikwissenschaftler
Hylia sagt dazu: nörgeln, Anstrengung
CAMIR sagt dazu: Finanzamt, Formular
Crowbar sagt dazu: Beinhart, Frank Schaeffler
Sirius sagt dazu: Sand im Getriebe, linke Spießer
Senfsamen sagt dazu: Wiktionary, Revision
HeyDay sagt dazu: Zirkusdirektor, Nachbar
Ein ereignisreiches Abendessen
'Die heutige Jugend der Länder, die man gemeinhin als westlich bezeichnet, ist verroht, medial überfrachtet, fett gefressen und verloren', so äußert sich der umstrittene Politikwissenschaftler Frank Scheffler (nicht zu verwechseln mit dem Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler) nach der internationalen Konferenz über Jugendmentalität und Zukunftsperspektive der G8-Staaten. Im Rahmen dieser Konferenz sollte geklärt werden, ob, wann, wie und warum die heutige Jugend dem Phlegma des Internets verfallen ist. Während in anderen Ländern die Jungen auf die Straßen gehen, Regime um Regime stürzen, bleibt die Wahlbeteiligung hierzulande konstant niedrig. Einziges Novum ist das Politikum der Piratenpartei, welches laut Scheffler auch nur als Symptom der Internetsesshaftigkeit der heutigen Jugend zu werten sei. Angesichts dramatischer Zuwächse eines neuen Phänomens, das der so genannten Internet-Sucht, einer Kombination aus Immersion und sozialer Verwahrlosung, so Scheffler, wurden Maßnahmen beschlossen, um die 'Internetkinder' um ihrer selbst willen zu erretten. Scheffler schlägt dazu ein Programm vor, das am ehesten einem üblichen Auslandsjahr ähnelt. Die Jugendlichen erhalten die Möglichkeit, ein volles Jahr in einem Programm mitzuwirken, das gewährleistet, dass der oder die Süchtige nicht in Kontakt mit Computern gerät sowie das Leben auf eine vollkommen andere Art kennenlernt. Ein Jahr als Mitglied von einem der zahlreichen Naturvölker sei beispielsweise denkbar, so Scheffler.
Auf der Konferenz ging es darüber hinaus heiß her, eine allgemein angenommene Lösung wurde nicht gefunden. Den Gipfel ihrer Uneinigkeit erreichten die Teilnehmer am Sonntagabend, als zwei Entsandte der Nationen USA und Frankreich sich derart prügelten, dass die aktuelle Sitzung abgebrochen werden musste.
Solche Pisser. Er saß mit der Mutter und dem Vater am Frühstückstisch und schaute jetzt von dem vom Vater in die Hand gedrückten Zeitungsartikel auf.
Der Vater: „Nun... Du bist sicherlich aufgewühlt, Junge. Und nun sieh' uns doch nicht so an, wir machen uns bloß Sorgen um dich. Als wir das erste Mal von der Möglichkeit der schulischen Befreiung hörten, haben wir uns ein bisschen informiert. Du bist jetzt in der elften Klasse, hängst aber jedes Wochenende nur vor deiner Flimmerkiste. Und abgesehen von diesem ominösen Wochenende, an dem du deine Internetfreunde trafst und einen Tripper mit nach Hause brachtest, warst du auch die ganzen Sommerferien alleine. Wir möchten doch gar nicht über deine Interessen nörgeln, wir -“, der Vater brach ab, als er das zornerfüllte Gesicht seines Sohnes erblickte.
Der Sohn: „Ihr seid ernsthaft der Meinung, ich soll mich irgendeinem beschissenen Programm“, er spie das Wort aus, „anschließen, damit ihr das Gefühl habt, mir zu helfen? Habe ich da denn gar nicht mitzureden?“ Er suchte den Blick seiner Mutter, doch sie wich ihm aus.
Stattdessen antwortete der Vater: „Nun, beruhige dich. Wir wollen nur dein Bestes und wir haben doch noch gar nichts entschieden. Aber wir haben uns ein wenig informiert und als eines der ersten interessierten Elternpaare hat sich der Herr Scheffler selbst angeboten, mal mit uns zu Abend zu essen. Wenn dir nicht gefällt, was er sagt, dann verabschieden wir ihn und überlegen etwas Neues. Ist das ein Deal?“
Der Sohn: „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich mich zu so 'ner Psychoscheiße überreden lasse?“
Der Vater: „Ich bitte dich nur darum, dir anzuhören, was er zu sagen hat. Okay? Was er mir an Möglichkeiten genannt hat, hatte überhaupt nichts mit Psychoscheiße zu tun. Es ist viel mehr... Ein alternatives Angebot, wie man das Austauschjahr nutzen könnte. Die Kosten würden wohl die Ämter tragen, das Finanzamt verspräche sogar steuerliche Vorteile, und wenn du tatsächlich Lust hast, könnten wir ratzfatz das entsprechende Formular und...“
Der Junge seufzte. Er hasste es, sich mit seinen Eltern zu streiten. Er hasste es generell, sich zu streiten. Und seine Eltern waren offenbar wirklich besorgt. „Okay, Scheiße, ich werde mit euch heute Abend zusammen essen. Aber wenn ich nach diesem Abend auf diese ganze total bescheuerte Seekuhscheiße -“
„Musst du immer so fluchen?“, stöhnte die Mutter.
Der Sohn kanzelte sie ab: „Jaja, wenn ich den Abend artig hinter mich gebracht habe, dann habe ich von dieser Idee Ruhe?“
Der Vater nickte. Der Sohn willigte ein.
Um 20 Uhr desselben Abends klingelte es an der Tür. Der Sohn saß mürrisch am Tisch im Esszimmer, die Mutter beschäftigte sich in der Küche. Der Vater stand auf und öffnete. Als er wiederkehrte, folgte ihm nicht nur eine Person, sondern vier. Ein hochgewachsener, schnurrbärtiger Mann und ein untersetzter, dickbäuchiger mit flammenden Wangen und einer Peitsche in der Hand, ein jüngerer Kerl mit Knollennase und ein hübsches, doch etwas unscheinbares Mädchen, das, wenn sich der Sohn nicht täuschte, leicht nach Zwiebeln roch.
Misstrauisch beäugte er die Peitsche und fragte: „Und... wer sind die da?“
Doch ehe der Vater antworten konnte, beugte sich der hochgewachsene Mann mit einem so breiten Grinsen zu ihm hinunter, dass seine Backenzähne sichtbar wurden.
Er reichte dem Jungen die Hand und sagte: „Guten Tag, Junge, ich bin Frank Scheffler, du hast sicherlich von mir gehört.“ Sein Grinsen wurde noch breiter. „Ich werde dir helfen, eine neue Lebensqualität zu gewinnen.“
Der Sohn: „Und wenn ich das nicht möchte? Wenn ich medial überfrachtet, fett gefressen und verloren bleiben möchte?“ Er funkelte ihn an.
Der dickbäuchige Kerl lachte: „Hoho, wieso denn so feindselig?“
Dann stellten sie sich alle vor. Der untersetzte Mann war der Zirkusdirektor eines Wanderzirkusses. Der junge Kerl und das Mädchen hießen Rolli und Rosi und hatten offenbar während des Umherreisens zueinander gefunden, sahen allerdings überhaupt nicht glücklich aus. Nach kurzem Schweigen bat der Vater schließlich zu Tisch und, als die Stimmung nicht auflockerte, doch direkt zum Rotwein. Der passte ja auch prima zum Fisch.
Nachdem alle versorgt waren und einen Moment lang aßen und tranken, regte der Vater, angespannt, erneut das Gespräch an. Frank Scheffler sprach von den Abenteuern des Lebens und schwadronierte von verurteilenswerter Lethargie und den Möglichkeiten der globalisierten Welt, doch die restlichen Gäste schienen eher am Rotweintrinken interessiert zu sein. Ganz um gute Stimmung bemüht, schenkte der Vater reichlich nach. Selbst seine Mutter, sowieso eher stiller Natur, hielt sich beim Weintrinken nicht zurück. Schon bald waren die ersten Flaschen leer. Der Sohn war der einzige, der nicht trank. Die Zungen wurden lockerer.
Der Vater: „Nun, denn, Rosi, Rolli, durch welche Umstände seid ihr denn hierher gekommen? Ich hatte nur mit dem Herrn Scheffler gerechnet.“
Rolli, schaute deprimiert zur Decke: „Ich will sterben.“
Rosi: „Nein, das will er nicht!“ Sie warf ihm einen bösen Blick zu und trank einen Schluck.
Rolli: „Das Leben ist scheiße. Ich habe mit der Welt so meine Probleme. Geht doch eh alles zugrunde! Und wir werden eh alle sterben. Aber dann habe ich Rosi kennengelernt. Rosi und ich helfen dem Direktor ab und zu beim Auf- und Abbau. Wir waren ein Paar und alles schön, aber jetzt muss Rosi nach Istanbul. Ihre Eltern erlauben unsere Verlobung nicht.“
Der Vater verwirrt, da Rosi urdeutscher Abstammung zu sein schien: „Du bist muslimische Türkin?“
Rosi: „Nein, Sie Rassist! Aber meine Eltern leben dort.“
Rolli: „Und sie mögen mich nicht und nennen mich bloß Trollo-Rollo.“ Traurig senkte er den Blick und schaute zum Boden seines Weinglases.
Der Zirkusdirektor: „Trolli-Rolli. Hihi.“ Er kicherte angetrunken.
Rosi: „Wie oft soll ich es dir noch sagen, das war ein einziges Mal, und sie dachten, du hörst nicht hin!“
Rolli: „Das macht es nicht besser.“
Scheffler peinlich berührt: „Nun, das ist traurig, ja, aber es wird schon gut gehen. Auf jeden Fall ging es euch gut. Wie geht es dir denn, Junge?“ Er blickte zum Sohn.
Der Sohn: „Na ja, meine Eltern versuchen mich für irgendeinen verrückten Zirkus zu gewinnen. Was denken Sie denn, wie es mir geht?!“
Der Zirkusdirektor: „Hey!“
Der Vater: „Das ist doch gar nicht verrückt. Sohn, du würdest im Land herumkommen, würdest viele Leute kennenlernen, nette Mädchen, neue Freunde. Du bist alt genug, etwas erleben zu dürfen. Als ich in deinem Alter war, habe ich die meiste Zeit am Wochenende in Kneipen verbracht.“ Er begann zu strahlen. „Du hast noch so viel vor dir, Frauen, Spaß, Sex, Abenteuer! Wenn ich noch einmal jung wäre...!“
Die Mutter: „Helmut!“ Misstrauisch sah sie ihren Gatten an.
Der Vater mit vom Wein schon lockerer Stimme: „Es stimmt doch Marta, weißt du nicht mehr, du und ich, wie wir und wo wir einst -“
Die Mutter abermals und mit vor Anstrengung zitternder Stimme: „Helmut!“
Der Zirkusdirektor: „Hihi.“
Der Vater: „Ach Marta, meinst du denn, der Junge hat sich nie gefragt, warum seine Mutter nur achtzehn Jahre älter ist als er? Der Junge weiß Bescheid, er hatte doch sogar selbst schon mal einen Tripper!“
Der Sohn rot geworden: „Ich glaube, ich muss sterben.“
Rolli: „Uh, da mach ich mit!“ (Rosi schlug ihn.)
Scheffler: „Na! Ich muss doch bitten, so hat die Prügelei auf der Genfer Konferenz auch begonnen, mit harmlosen Streitigkeiten.“ Er hielt inne, doch auch sein Gesicht glühte bereits vom Alkohol. „Wir waren alle auf der Suche nach alternativen Erziehungskonzepten, und darum geht’s doch auch heute.
…
Aber wissen Sie was? Die Hälfte von denen waren reaktionäre Arschlöcher, vermeintlich alternativ, doch aus Angst vor Innovationen zutiefst konservativ. Wissen Sie, wie ich solche Leute nenne? Linke Spießer!“
Der Vater: „Nun ja, ein wenig Skepsis ist doch sicherlich nicht prinzipiell verkehrt, oder?“
Der Sohn: „Sag' ich doch!“
Scheffler: „Wollen Sie etwa behaupten, ich verstünde nicht, was ich tue?“
Der Vater: „Nennen Sie mich jetzt etwa einen Spießer?!“
Die Mutter intervenierend: „Wie wäre es mit noch einem bisschen Rotwein?“ Sie stand langsam auf und ging weiteren Wein holen.
Sie tranken eine Weile.
Rolli zu Rosi gewandt: „Würdest du deine Eltern vor den Kopf stoßen für mich?“
Der Zirkusdirektor: „Nicht für dich, mit dir. Hihi.“ Seine Wangen glühten.
Rosi: „Was wissen Sie denn schon von unserer Liebe?“ Doch sie sah Rolli nicht an.
Rolli: „Eben! Nur, weil -!“ Rumms. Rolli war beim Gestikulieren mit dem Stuhl nach hinten umgekippt.
Der Zirkusdirektor: „Trollo-Rollo.“
Der Vater mit roter Nase: „Hihi.“
Scheffler: „Also, wie dem auch sei, wir...“
Der Sohn: „Direktor, wieso haben Sie eigentlich eine Peitsche dabei?“ Der Direktor ließ sie knallen, aus dem Keller hörte man eine Flasche bersten und einen dumpfen Schrei.
Rosi: „Ist schon vorgekommen, dass Manegensand in unsere Treckergetriebe gekommen sind, und mit zu viel Sand im Getriebe fährt sich's schlecht, dann brauchen wir unsere Pferde.“ Rolli ächzte.
Rolli: „Außerdem ist er ein Sadist!“
Der Sohn murmelnd: „'mit der Peitsche durch die Hood, wie deine Mum durch die Peepshows, ...'“
Rolli: „Was?!“
Der Zirkusdirektor: „Hey!“ Er knallte noch einmal mit der Peitsche. „Also. Wir sind mit der Kutsche da, der Trecker spinnt mal wieder. Außerdem darf so auch der Fahrer trinken.“ Er gluckste.
Scheffler: „Kein Wunder, der Stand der Revision von der Maschine ist auch noch aus Vorkriegszeiten.“ Er wandte sich zu seinem Glas, schaute tief hinein, schenkte sich nach.
Der Zirkusdirektor aufgebracht: „Moment mal! Sie hatten keine Sorge, über die technischen Mängel hinwegzusehen, als Sie mich an Bord ihres bizarren Projektes holten!“ Endlich war die Mutter mit neuem Wein da, schenkte allgemein nach, dann tranken sie alle eine ganze Weile schweigend. Schließlich versuchte die Mutter das Gespräch auf eine andere Ebene zu lenken.
Die Mutter: „Na, Rosi, das ist aber ein schöner Gürtel, den du da trägst.“
Der Vater betrunken: „...Gürtelrosi, hihi.“
Die Mutter: „Helmut!“
Der Vater: „Man wird doch noch Wortwitze machen dürfen!“ Er hob entschuldigend die Hände.
Die Mutter: „Aber nicht, wenn du der Kleinen dafür permanent auf den Hintern schaust!“
Rosi zum Vater: „Gefällt er ihnen denn?“
Rolli und die Mutter: „Rosi!!“ Die Mutter setzte sich empört und trank.
Der Zirkusdirektor gleichmütig: „Ihr Hintern ist nun einmal schön. So, Junge, jetzt sag' doch mal, hast du denn prinzipiell Interesse, mal einen Zirkus kennenzulernen?“
Scheffler lallend: „Bei Ihnen herrsch' wirklich Zirkus.“ Er hickste.
Der Zirkusdirektor mit der Peitsche knallend: „Na hören Sie mal, immerhin bin ich nicht so ein geiler Bock wie der Vater dieses Jungen!“
Der Vater aufgestanden: „Jetzt gehen Sie zu weit, mein Lieber, denn ich liebe meine Frau!“
Die Mutter: „Ach, wirklich? Deswegen starrst du auf die Hintern irgendwelcher Hungerhaken! Und wieso treiben wir's nicht mehr?“
Der Sohn: „Mum!“
Rosi: „Was soll denn das heißen!“ Der Zirkusdirektor langte ihr an den Arsch. Rosi senkte beschämt den Blick.
Rolli zusammenkauert hin- und herwippend: „Ich will sterben.“
Der Zirkusdirektor betrunken: „Trolli-Rolli, hihi.“
Da platzte Rolli der Kragen. Er sprang auf und versuchte, dem Zirkusdirektor eine reinzuhauen. Der blockte jedoch ab und versuchte wiederum, Rolli mit der Peitsche zu treffen, traf aber hingegen den Sohn. Daraufhin eilte der Vater zur Kommode und holte den Revolver hervor, den er auf den Zirkusdirektor richtete. Beherzt sprang Scheffler dazwischen, um die Lage zu entschärfen, während Rosi versuchte, dem Vater den Revolver aus der Hand zu reißen. Dabei löste sich ein Schuss, er traf die Mutter in die Brust. Der Sohn schrie. Der Zirkusdirektor kicherte betrunken. Scheffler trat auf den Vater zu und riss ihm den Revolver grob aus der Hand. Nur noch mit seinen Fäusten bewaffnet, schlug dieser Scheffler nieder und kniete sich zum Sohn neben die Mutter. Es war nur eine Schulterverletzung. Der Zirkusdirektor kicherte immer noch, da wurde der Sohn wütend und schlug ihm die Zähne ein. Der Zirkusdirektor, robuster als der Sohn, schlug diesen wiederum nieder und den Vater gleich mit. Rosi und Rolli stürzten sich auf ihn, doch sie hatten gegen ihn keine Chance. In einem Handgemenge schlug sich Rosi den Kopf am Tisch an, auf Rollis Kopf zerdepperte der Zirkusdirektor eine leere Weinflasche. Euphorisiert knallte er, als er alle anderen bewusstlos auf dem Boden liegen sah, die Peitsche in die Luft. Denn er war ein Sadist und er hatte einen Zwiebelfetisch. Er peitschte noch ein paar mal wild in die Luft und traf dann den Kronleuchter, der durch eine unglückliche Fügung auf ihn hinuntersauste und hart traf. Bewusstlos sackte auch der Zirkusdirektor zu Boden.
Der Nachbar der Familie hatte mittlerweile den lautstarken Tumult mitbekommen, sorgenvoll die Polizei gerufen und sich mit dem bei ihm hinterlegten Zweitschlüssel ans Haus gepirscht. Als er nichts vernahm, trat er ein und blickte ins Esszimmer. Er war fassungslos. Vor ihm lagen das Zimmer in Trümmern sowie sieben bewusstlose Gestalten, wovon zwei stark bluteten.
Der Sohn würde wohl vorläufig nicht an irgendwelchen alternativen Erziehungskonzepten teilnehmen.
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I wasn't playing baseball, no!
I wasn't playing football, no!
I wasn't playing basketball, noo!
I was playing Class War!
I wasn't playing football, no!
I wasn't playing basketball, noo!
I was playing Class War!
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