Gibt es ein kollektives Volksgedächtnis?

    • Gibt es ein kollektives Volksgedächtnis?

      Was mich ebenfalls schon seit einigen Tagen bewegt, nachdem ich nun einige Zeit im Ausland bin.

      Die Iren haben eine wahnsinnige Paranoia. Sie sind sonst ein aufgeschlossenes, offenes, herzliches Volk - aber was ihr Haus angeht, so wird das doppelt und dreifach gesichert, abgeschlossen und gealarmanlagt. Es ist total egal, ob es Wertsachen gibt, ob es eine Bruchbude oder eine Villa ist - nach außen wird es abgeriegelt.
      Ich habe mich gefragt, ob das so ist, weil sie jahrhundertelang von den Engländern alles weggenommen bekommen haben und nun diese Angst haben, dass jemand kommt und es ihnen auch wieder wegnimmt. Nur - diese Leute heute haben das mit den Engländern garnicht mehr mitbekommen. Das ist jetzt schon über 70 Jahre her. Aber ist es vielleicht im Volksgedächtnis hängengeblieben?

      Anderes Beispiel:
      Die Schwaben sind ja heute noch sehr "sparsam". Daher auch die Witze. Das kommt aber auch von einer Zeit der Härte und Kargheit, die aber die Leute heute niemals erlebt haben.

      Die Franzosen sind so wahnsinnig protestfreudig. Geht das auf die französische Revolution zurück. Die einzig "erfolgreiche" Revolution auf dem Kontinent?

      usw.

      Was denkt ihr? Ist es möglich, dass solche Sachen unbewusst an die nächste Generation weitergegeben werden und bis heute durchklingen, wo es diese Zustände schon lange nicht mehr gibt, oder gibt es andere Ursachen dafür?

      Persönlich glaube ich, dass das bis zu einem gewissen Grade schon so ist und man sich auch nur sehr schwer von so etwas lösen kann.
      Bin mal auf eure Meinungen gespannt.
      Vielleicht habt ihr ja auch noch andere Beispiele oder sogar Gegenbeispiele.
    • In gewisser Weise gibt es sowas immer. Nicht nur unbedingt auf nationaler Ebene, sondern auch in kleinem Rahmen - was einem frühere Generationen beibringen, übernimmt man halt bis zu einem gewissen Grad völlig automatisch. Klar kann ich mich jetzt bewusst hinsetzen und irgendwas tun, was völlig untypisch ist, aber gewisse Verhaltensweisen werden einem doch immer anerzogen bleiben.

      Wenn schon der Opa total sparsam war, ists vielleicht dann auch die Mama und der kleine James wirds dann womöglich auch, weil ihm Eltern und Großeltern das vormachen und immer so weiter.
      Ein gewisses Bewusstsein über solche Verhaltensweisen sollte man halt schon haben, man muss ja nicht jeden Käse übernehmen.


      (Ja, man kann draufklicken)
    • Wuerde mich nicht wundern, wenn das mehr oder weniger unterbewusst immer weitergegeben wuerde. Schliesslich hoert man doch immer wieder von Eltern oder Verwandten alte Geschichten, wie schlimm frueher alles war, wie man nichts hatte, ...

      Irgendwann gab es mal eine Generation, der es tatsaechlich so ging. Und die hat ihren Nachkoemmlingen eben bereits vom Kindesalter an die Geschichten erzaehlt und sie gewarnt. Wenn man sowas dann wiederholt aufgetischt bekommt, graebt es sich irgendwann ein und man erzaehlt es auch seinen Kindern weiter (wenn sie's nicht von Oma/Opa eingetrichtert bekommen oder diese es zusaetzlich runterrattern). Auch wenn es vielleicht gar nicht mehr relevant sein mag.
      Zumindest ich hab desoefteren von meinem Vater gehoert, wie schlimm es doch war, als man nichts hatte - obwohl er selbst den Krieg gar nicht mehr miterlebt hat und es seinerzeit schon wieder bergauf ging.

      Ich denke, in anderen Laendern laeuft es genauso. Man mahnt seine Nachkoemmlinge und bei denen verankert sich das im Gehirn und kommt immer wieder durch, auch wenn manches aus heutiger Sicht vielleicht nicht mehr noetig waere.
      Andererseits: Wer weiss, was noch alles auf uns zukommt und wie schnell sich andere Voelker umentscheiden und wieder anders verhalten. (;
      それでも未来 吹いてい
      感じ 生命息吹 Ƹ̵̡Ӝ̵̨̄Ʒ
    • Was mir dazu noch einfällt: Die Amerikaner auf der anderen Seite hatten eigentlich nie Hungersnot und Mangel und sind deshalb wahnsinnig verschwenderisch mit dem Essen, sodass es einem als Europäer wirklich wehtut...
      Das funktioniert also auch eher umgekehrt...
    • Denke schon, dass sowas an die nachfolgende Generation weitergegeben wird, glaube aber nicht, dass dies unbewusst geschieht, sondern eher dass die meisten Völker sich ihrer Tradition und Geschichte durchaus bewusst sind und die Dinge einfach nicht mehr hinterfragt, sondern als gegeben hingenommen werden.

      Ein anderes Beispiel wären die heutigen USA und deren Waffenverliebtheit und die Ansicht, man müsse sich und seine Familie selbst beschützen können, was aber meistens eher in ländlichen Regionen besonders stark auftritt. Bin weder Soziologe noch Historiker und mir durchaus bewusst, dass gerade auch das Thema USA sehr komplex ist und nicht in einem einzigen Posting erörtert werden kann. Aber es war nun einmal so - und wir kennen es alle aus dem Fernsehen/Kino - dass abseits der dicht besiedelten Ostküste viele Regionen über Jahrhunderte (für amerikanische Verhältnisse ;) ) "gesetzlos" waren und Interessen mit Waffengewalt durchgesetzt wurden (quasi die amerikanische Version des europäischen Mittelalters oder so). Klingt jetzt alles ein wenig so, als sei es für die Sendung mit der Maus geschrieben :D, aber es genügt doch, sich einfach mal ein paar wirklich gute Western reinzuziehen, um zu verstehen wie das lief und dass eigentlich jeder auf dem Land mit Waffen umzugehen wusste, um sich zu verteidigen. Und das macht sich natürlich auch heute noch bemerkbar.

      Um also die Eingangsfrage zu beantworten: Ja, ich glaube schon, dass es sowas wie ein Volksgedächtnis gibt, wobei das bei einem Vielvölkerstaat wie den USA sicherlich erheblich variiert. Die "älteren" Völker (Briten, Iren, Franzosen) haben wahrscheinlich eher zur Entwicklung eines jeweils neuen beigetragen, wobei die "jüngeren" Völker (Italiener, Juden, Osteuropäer, Asiaten) noch ihre Traditionen back from the old country pflegen.
    • In gewisser Weise bestimmt.
      Ich mein, letztlich lernen die Menschen vorrangig von ihren Eltern am Anfang ihres Lebens die Dinge. Phobien (z.B. vor Spinnen) setzen sich fest, Lieblingsnahrungsmittel und Lieblingsfarben werden "einprogrammiert" und opa erzählt auch immer die selben Geschichten von damals.
      Ich selbst würde z.B. NIEMALS mit einem Auto zur Uni/Schule/Arbeit fahren, wenn es nicht sein muss. Meine Theorie ist, dass es an meiner Oma liegt, die schon früher immer erzählt hat, wie sie ne halbe Stunde Fußweg bis zur Schule hatte und ich ihr keine Gelegenheit zum "Was habt ihr es doch heute besser" geben will.

      Und sowas kann sich sicherlich auch auf ganze Nationen ausweiten.
      Ich mein, unsere Eltern haben ausgesorgt gehabt. Denen wurde alles, was möglich war, in den Allerwertesten geschoben, alle mussten in die Schule, im Bestfall auf die Uni, sie bekamen Spielzeug, große Festmähler, alles alles.
      Einfach, weil unsere Großeltern die Kriegsgeneration waren, die nichts hatten, deren Kindheit aus Häuser aufbauen und Schlange stehen für Essensmarken bestand. Das wollten sie ihren Kindern nicht antun, also wurde verwöhnt ohne Ende.

      Und sowas kann man sicherlich fast noch drastischer auf ein bestimmtes Schlüsselereignis ausweiten.
      Mir fehlte bei deinen beispiel z.B. Deutschlands fast schon extrem hysterischer Umgang mit Rassismus. Ist ja so, es ging einmal wirklich auf grausamste Art schief, also wird sofort auf jeden Spatzen geschossen, der irgendwie rassistisch sein könnte.

      Aber auch sonst...
      In Belgien ist es z.B. vollkommen normal, das wildfremde Omas jungen Müttern in die Kinderwagen gucken. Wär hier nicht denkbar, da würde jede Mutter sofort vermuten, die will ihrem Kind was. Hatte mich als Kind sehr irritiert, das meine Oma einfach in fremde Kinderwagen schaute, war da aber normal. Hab später beim Nachforschen dann rausgekriegt, das irgendwann um 1900 eine extrem hohe Kindersterblichkeitsrate herrschte und die weisen Großeltern immer die Babys inspizierten, ob diese gesund sind und überleben. Und das scheint noch nicht rausgewachsen zu sein.
      Leider bin ich zu wenig in der Welt unterwegs, um noch mehr so Beispiele zu kennen, ich weiß nur, das in der Türkei in fast jedem Geschäft ähnlich wie in Japan ein Verkäufer dir nachrennt, dir Tee anbietet und bei jeder noch so kleinen Frage sofort zur Stelle ist. Worauf das gründet, keine Ahnung. Evtl. gab mal viele Ladendiebstähle und es soll ne Überwachung sein, evtl konnten früher nur Gutbetuchte einkaufen und die erwarteten Luxus. Ich weiß es nicht.

      Aber ich finds immer wieder interessant :D