Not for the do-gooders (Arbeitstitel)

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    • Not for the do-gooders (Arbeitstitel)

      Ahoi.

      Ich hab 'ne Weile gezögert, das hier mal vorzustellen, aber nachdem mir ein Freund, dessen Meinung ich sehr hoch schätze, den Rücken gestärkt hat dachte ich, ich könnte mir zu dem, was ich schon habe doch ein paar zusätzliche Meinungen einholen.

      Die Idee für diese Erzählung hatte ich schon ne Weile mit mir rumgetragen oft verändert, und jetzt gefestigt. Die Kurzfassung ist, dass es um einen jungen Mann namens John Bailer geht, den wir in dieser Geschichte durch eine schwierige Phase seines Lebens begleiten. Wie gesagt bin ich bis jetzt sehr zufrieden mit dem Werk meiner Hände, was mir allerdings immer noch Sorgen bereitet ist die Frage nach der Glaubwürdigkeit, u.A. weil das ganze in Amerika spielt und ich nicht weiß, ob ich die amerikanische Gesellschaft, die ich nur aus Büchern und Filmen kenne, akkurat wiedergeben kann und ob John Bailer, der zwar in Teilen auf mir basiert, aber eben nicht einhundertprozentig, ein glaubwürdiger Charakter ist.

      Ich poste hier einfach mal das, was ich schon habe und überlasse die Bewertung euch.

      MfG,
      Crowbar

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      Nachdem er die ersten 25 Jahre seines Lebens mit bemerkenswerter Anstandslosigkeit ertragen hatte war John Bailer an dem Punkt angelangt an dem er darauf verzichtete, sich anzuschnallen, den Fisch mit den Gräten aß und sich in der Badewanne die Haare föhnte.

      Es war ein verregneter Tag im November, an dem John Bailer das Licht der Welt erblickte, oder eher das schwächliche Licht einer halb durchgebrannten 75-Watt-Glühbirne inmitten der Dunkelheit, die ihn erwartete. Für den Moment hatte die Dunkelheit zur schäbigen Wohnung seiner Eltern gehört, die sich in einem baufälligen alten Gebäude aus den Fünfzigern befand, das zwei Jahre nach Johns Geburt abgerissen wurde. Sein Vater, ein irischstämmiger Hafenarbeiter, der ebenfalls John Bailer hieß, hatte es für unnötig befunden, seine Frau beim Einsetzen der Wehen in ein Krankenhaus zu bringen und hatte stattdessen ihren Nachbarn geholt, einen fünfzigjährigen ehemaligen Anästhesisten, der aus Gründen, über die zu sprechen er sich standhaft weigerte, seine Zulassung verloren hatte.
      John und seine Mutter hatten die Entbindung wundersamerweise überlebt, was seinen Vater so freute, dass er zwei Stunden später das Haus verließ und am nächsten Morgen in einer Ausnüchterungszelle der New Yorker Polizei wieder auftauchte.

      Wann immer John an seinen Vater dachte kamen ihm zuerst die Duftwolke von Whiskey, Schweiß und Zigarettenrauch in den Sinn, in der sich John Bailer sr. permanent zu bewegen
      schien. Sein Vater war von stattlicher Größe und Muskulatur gewesen und sah, wenn man sich nicht groß an furchtbar unregelmäßigem Bartwuchs störte, den John zu seinem Glück nicht geerbt hatte, auch nicht sonderlich schlecht aus. Wenn man ihn aber näher kennen lernte kam man recht schnell an den Punkt, an dem man begann, genau das zu bereuen, und zwar spätestens dann wenn man merkte, dass John Bailer sr. ein cholerischer Säufer und eingefleischter Unsympath war, der bis auf die eigenartige Begabung, einen Job kaum länger als zwei Wochen zu behalten, mit völliger Talentlosigkeit gesegnet war.

      Wenn es neben den Gerüchen etwas gab, woran sich John beim Gedanken an seinen Vater spontan erinnerte, dann seine häufige Abwesenheit. Nach wie vor hatte er absolut keine Ahnung, was John Bailer sr. eigentlich die ganze Zeit getrieben hatte, aber irgendwie schien es genug eingebracht zu haben, um seinen Alkoholismus zu finanzieren und nebenher seiner Familie, die drei Jahre nach Johns Geburt um eine weitere bemitleidenswerte Persönlichkeit, seine kleine Schwester Jeannie, angewachsen war, etwas zu ermöglichen, das man fast als richtiges Leben bezeichnen konnte.

      John hatte keine greifbare Erinnerung an seine Kindheit, was daran lag dass sein Gedächtnis seit einiger Zeit seltsam fragmentiert war, was sich John selbst nicht zufriedenstellend erklären konnte. Am wahrscheinlichsten erschien es ihm, dass sich sein Gehirn einfach aus Selbstschutz weigerte, sich an allzu viel zu erinnern.
      Die ersten handfesten Erinnerungen gehörten zu der Zeit um sein zwölftes Lebensjahr, in dem ihm sein Vater das bemerkenswerteste Geburtstagsgeschenk seines Lebens machte, indem er ebenso spur- wie kommentarlos verschwand. Bis heute war die Fortsetzung der Existenz von John Bailer sr. nicht eindeutig geklärt, aber John interessierte nicht wirklich, ob sein Vater nun bei einer seiner Sauftouren im Hudson ertrunken war oder sich mit einer Prostituierten nach Newark abgesetzt hatte. John Bailer sr. war aus seinem Leben verschwunden und seither nicht wieder aufgetaucht. Das zählte und sonst nichts.

      Seine Mutter, seine Schwester und er zogen weg, in eine kleine Stadt irgendwo in Massachussetts, ein paar Kilometer außerhalb von Boston. Anscheinend war vor Kurzem Johns Großvater gestorben – den er nie kennen gelernt hatte – und hatte seiner Mutter ein baufälliges Haus sowie eine gewisse Geldsumme hinterlassen.
      Johns Mutter schaffte es trotz neuer Umgebung nicht, ihre Situation und den Verlust ihres Ehemanns zu verarbeiten und begann, ihre sterblichen Überreste, die zu dieser Zeit rein technisch gesehen noch am Leben waren, in Alkohol einzulegen. Rückblickend wunderte sich John nach wie vor, dass sie nicht ins Visier des Jugendamtes geraten waren, wahrscheinlich hatte sich schlicht niemand von den Nachbarn die Mühe gemacht, den Staat auf die Überreste der Familie Bailer aufmerksam zu machen. Zwei Jahre gelang es ihnen so, zu überleben, bis sich Johns Mutter aufgrund der Folgen übermäßigen Alkoholkonsums zwei Tage vor Johns vierzehntem Geburtstag endgültig über den Jordan verabschiedete.

      John hatte die Leiche auf der angeschimmelten Couch im Wohnzimmer entdeckt und die Polizei gerufen. Mary Bailer wurde in einen Leichensack gesteckt und in einem Krankenwagen abtransportiert. Bis heute wusste John nicht, ob und wo seine Mutter begraben war, da es offenbar niemand für nötig befunden hatte, ihn oder seine Schwester zu informieren.
      Woran er sich allerdings ganz deutlich erinnerte war die Angst, die er verspürte, als er, seine Schwester an sich gedrückt, in der Polizeiwache saß. Man sagte ihm, sie würden nach lebenden Verwandten suchen, sollten sich keine finden blieben wohl nur noch eine Pflegefamilie oder ein Waisenhaus. Soweit wollte John, der das Risiko, von seiner Schwester getrennt zu werden, nicht eingehen wollte, es aber nicht kommen lassen und hatte den Plan gefasst, notfalls mit seiner Schwester zu fliehen – irgendwohin.
      Es mochte Schicksal, Zufall oder einfach nur Glück gewesen sein, doch so weit kam es nicht, denn es gelang dem Jugendamt tatsächlich, einen lebenden Bailer ausfindig zu machen. Patrick Bailer war ein Bruder seines Vaters und eine Art schwarzes Schaf der Familie, da er scheinbar der einzige Bailer war, der es gewagt hatte, es im Leben zu mehr zu bringen als einem trunksüchtigen Tagelöhner.

      Patrick nahm John und seine Schwester wahrscheinlich nur auf, um seine Seele zu retten, denn er arbeitete in der Werbeabteilung eines namhaften Tabakkonzerns und verdiente seine Brötchen damit, Jugendliche dazu zu verführen, ihre Lungen mit Teer vollzukleistern. Patrick lebte gemeinsam mit seiner Frau Barbara in einem Apartment in Boston und brachte genug Geld nach Hause, um seiner nun auf vier Personen angewachsenen Familie ein anständiges Leben zu ermöglichen Johns Schwester überwand den Kulturschock eines nun funktionierenden sozialen Umfelds relativ bald, womit sich John ungleich schwerer tat.
      Da er sich endlich keine Gedanken mehr um das Wohlergehen seiner Schwester machen musste, hatte John endlich Zeit, um nachzudenken. Er begann, sich Gedanken über das Leben und die Gesellschaft zu machen und fing damit an, Dinge zu hinterfragen, was sich besonders in seinem Verhältnis zur Schule niederschlug, wo er sehr bald mit weiten Teilen des Lehrkörpers und ganz besonders mit Direktor Richard Geiger kollidierte.

      Richard Geiger war eine Geißel der Menschheit und schien seit dem Tag, an dem ihn der Teufel aus der Hölle geworfen hatte, weil er seine Anwesenheit nicht länger ertragen konnte, nur zu existieren, um seinen Schülern das Leben zur Hölle zu machen. Er war der Sohn einer Einwandererfamilie aus Österreich und hatte es nie geschafft, seine Verwandtschaft mit Hitler eindeutig zu widerlegen.
      John konnte sich lebhaft an das Erscheinungsbild des Direktors erinnern. Ein großer, bulliger Mann, der mit immer denselben grauen Anzügen mit dunkelroter Krawatte nur einen Typ Kleidung zu besitzen schien. Das viereckige Gesicht wurde von kurzgeschorenen rotbraunen Haaren und einem ebenfalls relativ kurzen Bart eingerahmt, die kleinen, bösen Augen funkelten unter zwei buschigen schwarzen Brauen hervor.
      Das einzige, was Richard Geiger mit zumindest einem Teil seiner Schüler verband war der Hass auf John Bailer, damals eine hochgewachsene, dünne, bleiche, dunkelhaarige Kreatur mit Ringen unter den Augen, der immer, wenn es das Wetter zuließ mit einem dunkelgrauen Mantel zur Schule kam und in seiner Andersartigkeit weder in das Weltbild von Richard Geiger noch in das der meisten anderen Schüler passte. John
      Das hieß jedoch nicht, dass er überhaupt keine Freunde hatte. Er fand Anschluss an eine kleine Gruppe von Leuten, die ganz ähnlich dachten wie er, im Gegensatz zu ihm allerdings konform waren, um ihre Ruhe zu haben, woran John allerdings überhaupt kein Interesse hatte. Wieso sollte er sich verstellen, nur um von einer Gesellschaft aufgenommen zu werden die ihn ebensowenig haben wollte wie er sie?

      Von Anfang an hatte Geiger ihm das Leben schwer gemacht, was John als Kriegserklärung aufgefasst und diese bereitwillig angenommen hatte. Spätestens jetzt hatte er erkannt, dass das System Schule gegen John Bailer arbeitete, nicht nur, indem es ihn zwang, seine Zeit in Unterrichtsräumen zu verschwenden, die in einer Bücherei oder zuhause vorm alten Plattenspieler seines Großvaters wesentlich besser angelegt zu werden. Was in der Schule behandelt wurde war einfach nicht seine Welt. Die Theorien von Thomas Hobbes oder Beethovens Neunte interessierten ihn weitaus mehr als das, was er in der Schule lernen sollte.
      John begann, zu protestieren, las während des Unterrichts, machte keine Hausaufgaben und zeigte keinerlei Respekt dem Lehrpersonal gegenüber – er hatte sowieso nie verstanden, warum er das einfach so tun sollte, Respekt musste man sich seiner Meinung nach erst verdienen, ganz besonders den von John Bailer - trotzdem gelang es ihm, sich durch Prüfung um Prüfung zu winden.

      Der einzige, der beim Gedanken an John Bailer nicht sofort kopfschüttelnd den Raum verließ war sein Englischlehrer, ein vergleichsweise junger Mann namens Edward Morris, der in John irgendeine Art von Potential erkannt hatte. Von Johns offensichtlichem Desinteresse unbeeindruckt versuchte er, John, der nicht genau wusste, ob er dankbar oder genervt sein sollte, zu fördern, wo er nur konnte.
      Was John jedenfalls nicht leugnen konnte war, dass Morris ein wertvoller Verbündeter war, den er dringend brauchte, denn in seinem letzten Jahr auf der High School war endgültig Kieg zwischen ihm und Geiger ausgebrochen.

      Geiger, der nur noch nach einem Grund suchte, John der Schule zu verweisen, war sich mit einigen der dümmsten und fiesesten Jungen aus Johns Stufe, die wahrscheinlich alleine aus schierer Bosheit seit Jahren versuchten, John das Leben schwer zu machen, ein Zweckbündnis eingegangen. Wann immer John nicht im Unterricht saß wurde er entweder von Geiger oder einem seiner Lakaien beschattet. Trotzdem gelang es John fast immer, seine Verfolger abzuschütteln und seinerseits ein bisschen Chaos zu stiften.
      Dass es ihm einfach nicht gelang, John irgendetwas nachzuweisen trieb Geiger zur Weißglut, was John unglaubliche Genugtuung verschaffte. Dieser Zustand hielt solange an, bis John vom Hausmeister dabei erwischt wurde, wie er die Luft aus Richard Geigers Reifen ließ, anstatt in einer wichtigen Prüfung zu sitzen.
      John hatte sich darauf eingestellt, sechskantig von der Schule geworfen zu werden. Das dies nicht geschah lag einzig und allein an der unfassbaren Aufopferungsbereitschaft, mit der Ed Morris alle Hebel, an denen er saß, in Bewegung versetzte, um Richard Geiger, der aufgrund der Euphorie, die er spürte, da er John Bailer endlich hatte dingfest machen können, spontan den Verstand verloren zu haben schien, davon zu überzeugen, John eine allerletzte Chance zu geben.

      John hatte bis heute keine Ahnung, wie Morris es geschafft hatte, aber er hatte tatsächlich eine allerletzte Galgenfrist herausgehandelt. Noch am selben Tag führte er mit John ein ernsthaftes Gespräch von Mann zu Mann in dem er ihm klar machte, dass er Johns Hintern gerettet hatte und John, quid pro quo, ihm jetzt einen Gefallen schuldete, was John einsah, obgleich er Morris nicht darum gebeten hatte.
      Ed Morris verlangte nur eine Sache von ihm: Dass er sich zusammenriss, sich bis zum Jahresende benahm und einen halbwegs akzeptablen Abschluss hinlegte, alles andere sei weit unter seinen Fähigkeiten. John konnte ihm diesen Wunsch nicht abschlagen, sperrte seinen Stolz im Keller ein und machte sich zum Endspurt bereit.

      Geiger wusste, dass sich John nun nicht mehr wehren konnte, da John ihm aber gleichzeitig keine Angriffsfläche mehr bot konnte er das nicht richtig auskosten und musste sich damit zufrieden geben, John für Dinge wie „Rennen auf dem Gang“, „Auf dem Schulhof rumhängen“ und „Zu lautes Atmen“ Nachsitzen zu verpassen. John blieb aufgrund seines Versprechens Ed Morris gegenüber nichts anderes übrig als seine Mordlust herunter zu schlucken, während er seine Rache plante.
      Zur großen Überraschung von ungefähr allen, zum sichtlichen Stolz von Ed Morris und zur heillosen Wut von Richard Geiger machte John so letzendlich einen annehmbaren High School-Abschluss. Noch während der Abschlussfeier nahm Geiger ihn beiseite und machte ihm unmissverständlich klar, dass er nichts war und es in dem kurzen, erbärmlichen Leben, das ihm bevorstand auch zu absolut nichts bringen würde. John jedoch lächelte nur.

      Am ersten Tag des neuen Schuljahrs kam der vor Wut rauchende Richard Geiger zu spät zur Schule. Er hatte auf die öffentlichen Verkehrsmittel zurückgreifen müssen. Sein Wagen war nicht angesprungen weil jemand die Zündkerzen gestohlen hatte.

      John Bailer, letztendlich, war frei vom Käfig namens Schule, in dem er so viel Zeit verschwendet hatte.

      Seine Klassenkameraden wandten sich nun ihren Zukunftsplänen zu, die alle mit einer glücklichen Beziehung und zwei Kindern in einem weißen Reihenhaus in einem netten, sauberen Vorort endeten. Doch John hatte weit größere Pläne. Nun, da er die Schule endlich hinter sich hatte war es Zeit zu erkunden, was das Leben hinter den Zukunftsaussichten aus dem Fernsehen wirklich bereit hielt, und was sich wirklich hinter dem American Way of Life verbarg. So verließ John Bailer schließlich das Haus seines Onkels, zog in eine schäbige Wohnung in der Innenstadt und nahm eine schlecht bezahlte Arbeit als Angestellter der Postverteilungsstelle eines großen Unternehmens an.

      Das war die Geschichte, die John Bailer bis an jenen Tag führte, an dem sein Schlafzimmer mit der Intensität eines umkippenden Kleiderschranks aus 60 Kilo Massivholz wieder ins Lot kippte, nachdem John nach einem weiteren fehlgeschlagenen Versuch, seine Schlaflosigkeit im Alkohol zu ertränken, aus dem Delirium erwachte.