Ahoi.
Vor einiger Zeit habe ich eine Geschichte geschrieben, von der ein paar Freunde von mir so begeistert waren, dass ich mich jetzt dazu entschlossen habe, sie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, womit ich dieses Forum meine.
Bevor's mit derselben aber losgeht muss ich aber noch ein paar einleitende Worte von mir geben:
Die Geschichte spielt in einer (noch) namenlosen Fantasy-Welt, die ich letztes Jahr für ein Tischrollenspiel entworfen habe. Der Aufbau des Hauptkontinentes Telw ist relativ konventionell, im Süden Wüste, mit entsprechenden Nomadenkulturen, das Mittelreich, das von drei menschlichen Königreichen geprägt wird und schließlich die Nordlande, in dem Zwerge, Orks und die Norsen, eine wikingerähnliche Menschenkultur leben.
Ich schätze, man kann die Welt dem Dark-Fantasy-Genre zuordnen; sie ist schmutzig und düster und die Grenzen zwischen Gut und Böse sind nicht eindeutig gezogen, die Menschen bekämpfen sich gegenseitig, die Zwerge bekämpfen sich gegenseitig, einzig die Orks leben in relativem Frieden - jedenfalls bis jetzt.
Eine Sonderrolle nimmt die Magie ein. Sie existiert zwar, ist aber extrem selten und potentiell gefährlich, weshalb es fast überall mit dem Tod bestraft wird, Magie auszuüben, soviel zur Welt.
Als ich damit angefangen habe, die Geschichte zu schreiben war es eigentlich lediglich ein Experiment mit schnell und oft wechselnder Erzählperspektive, das sich irgendwie verselbstständigt hat. Dementsprechend wimmelt es in dem Text nur so von Fußnoten und Begriffen, die ihr nicht verstehen werdet. Falls euch die Geschichte so enthusiasmieren sollte, dass ihr irgendwelche Fragen habt, fühlt euch bitte frei, sie zu stellen.
Für Kapitel 7-11 siehe meinen Post weiter unten.
--
1.) Grindelfels
2.) Der Marsch der Horde
3.) Das zerschmetterte Wachhaus
4.) Schwarzkiels Rat
5.) Warum wir kämpfen
6.) Relikte
MfG,
Crow
Vor einiger Zeit habe ich eine Geschichte geschrieben, von der ein paar Freunde von mir so begeistert waren, dass ich mich jetzt dazu entschlossen habe, sie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, womit ich dieses Forum meine.
Bevor's mit derselben aber losgeht muss ich aber noch ein paar einleitende Worte von mir geben:
Die Geschichte spielt in einer (noch) namenlosen Fantasy-Welt, die ich letztes Jahr für ein Tischrollenspiel entworfen habe. Der Aufbau des Hauptkontinentes Telw ist relativ konventionell, im Süden Wüste, mit entsprechenden Nomadenkulturen, das Mittelreich, das von drei menschlichen Königreichen geprägt wird und schließlich die Nordlande, in dem Zwerge, Orks und die Norsen, eine wikingerähnliche Menschenkultur leben.
Ich schätze, man kann die Welt dem Dark-Fantasy-Genre zuordnen; sie ist schmutzig und düster und die Grenzen zwischen Gut und Böse sind nicht eindeutig gezogen, die Menschen bekämpfen sich gegenseitig, die Zwerge bekämpfen sich gegenseitig, einzig die Orks leben in relativem Frieden - jedenfalls bis jetzt.
Eine Sonderrolle nimmt die Magie ein. Sie existiert zwar, ist aber extrem selten und potentiell gefährlich, weshalb es fast überall mit dem Tod bestraft wird, Magie auszuüben, soviel zur Welt.
Als ich damit angefangen habe, die Geschichte zu schreiben war es eigentlich lediglich ein Experiment mit schnell und oft wechselnder Erzählperspektive, das sich irgendwie verselbstständigt hat. Dementsprechend wimmelt es in dem Text nur so von Fußnoten und Begriffen, die ihr nicht verstehen werdet. Falls euch die Geschichte so enthusiasmieren sollte, dass ihr irgendwelche Fragen habt, fühlt euch bitte frei, sie zu stellen.
Für Kapitel 7-11 siehe meinen Post weiter unten.
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1.) Grindelfels
Die Wolken hingen tief und der sich ankündigende Regen lag wie ein schweres Tuch über dem Land. Kein Lüftchen regte sich, doch vom Turm der Festung Grindelfels aus konnte man am Horizont bereits das nahende Gewitter erkennen. Doch es war nicht das Gewitter, das Kommandant Kelbos Sorgen bereitete, es war etwas weitaus gefährlicheres, was sich im Schatten dieses Gewitters bewegte. Die Orks hatten die von ihnen besetzten Länder im Norden verlassen und einen Eroberungsfeldzug gegen die Welt der Menschen begonnen. Zahlreiche Gemeinden waren bereits gefallen, ein schier endloser Flüchtlingsstrom ergoss sich nach Süden und niemand schien in der Lage, den Orks Einhalt zu gebieten.
Kelbos war ein groß gewachsener, kräftiger Mann in den Endvierzigern, ein Veteran früherer Kriege gegen die Nachbarkönigreiche, der die Situation gut einschätzen konnte. Er machte sich nichts vor – Grindelfels würde dir Orks nicht aufhalten. Alles was sie tun konnten war, ihnen einen würdigen Kampf zu liefern und ihren Vormarsch so lange wie möglich aufzuhalten, bis sich hoffentlich ein effektiver Widerstand formiert hatte. Was ihn anging hatte er keine Angst, zu sterben. Im Gegensatz zur Aussicht auf Demütigung durch Gefangenschaft erschien ihm dieses Schicksal sogar beinahe wünschenswert.
Kelbos stand an die Brüstung des oberen Wehrgangs gelehnt und beobachtete die Blitze am Horizont. Nachdenklich strich er sich immer wieder um das von Bartstoppeln bewachsene Kinn, während er wie um sich selbst zu beruhigen eine Pfeife rauchte. Schließlich drehte er sich um, lehnte sich mit dem Rücken an die Zinnen und beobachtete den Hof. Hunderte verängstigte Gesichter starrten zu ihm auf. Bauern und Handwerker, die in der Festung Zuflucht gesucht hatten, Soldaten, besonders die jüngeren. Auch sie wussten, was sie erwartete, aber im Gegensatz zu Kelbos machte es ihnen eine Höllenangst.
„Herr?“, sagte eine Stimme links von ihm. Er drehte sich um und sah einen seiner Offiziere, einen jungen Mann namens Henric, der gerade im Begriff war, die Leiter hochzuklettern, die auf den hölzernen Wehrgang führte.
„Henric“, sagte Kelbos mit neutraler Stimme. „Wurden meine Befehle ausgeführt?“
Henric nickte. „Wir haben so viele Leute wie möglich mit Allem ausgerüstet, was die Waffenkammer her gab.“
Kelbos nickte.
„Glaubt Ihr, dass wir die Orks besiegen können?“
Kelbos seufze schwer und drehte sich wieder zum Gewitter. Er beschloss, dass es am Besten war, Henric die Wahrheit zu sagen.
„Nein. Wir können nur ihren Vormarsch verzögern.“
Er schaute zu Henric. Halb hatte er erwartet, dass es ihn schockieren würde, etwas derartiges zu hören, aber er war ganz ruhig geblieben.
„Das habe ich schon geahnt. Und ich bin mir sicher, dass es die Männer auch wissen. Die einzigen um die ich mir Sorgen mache sind die Bauern im Hof.“
„Ich habe heute morgen erklärt, dass sie gehen können, wenn sie wollen. Jetzt ist es zu spät, wir werden die Tore nicht mehr öffnen. Ich sehe die Orks schon“, fügte er auf Henrics fragenden Blick hinzu.
Nun wirkte Henric bestürzt, machte einen großen Schritt auf die Brüstung zu und spähte hinab in die Ebene. Das Blut wich aus seinem Gesicht, als er die schwarze Masse sah, die sich langsam, aber stetig auf Grindelfels zu bewegte, wissend, dass es sich dabei um mindestens dreitausend schwer bewaffnete Orks handelte.
„Tyrran möge uns beistehen“, flüsterte er, ohne den Blick von der feindlichen Armee abzuwenden.
„Tyrrans Segen kommt zu den Tapferen“, antwortete Kelbos und legte Henric eine Hand auf die Schulter. „Also seid tapfer, Henric.“ Er lächelte. „Ihr tragt den selben Namen wie unser König. Ich schätze dass es Zeit wird, sich dieses Namens würdig zu erweisen.“
Henric sah zu Kelbos auf und nickte, das Gesicht voll grimmiger Entschlossenheit.
„Na also.“
Kelbos ließ Henrics Schulter los.
„Schickt die Schützen hier rauf. Und führt die Zivilisten in den Bergfried und die Kerker.“
„Aber Herr, von dort haben sie keine Möglichkeit zu fliehen.“
Kelbos schüttelte den Kopf. „Wenn die Orks durch dieses Tor kommen sind wir sowieso alle tot. Sorgt trotzdem dafür, dass sie ein paar Beschützer kriegen, das letzte, was wir jetzt brauchen ist ein Aufruhr.“
Henric nickte und ging dann mit großen Schritten auf die Leiter zu, um zurück in den Burghof zu klettern.
„Henric.“
Er zögerte und drehte sich noch einmal um.
„Es war mir eine Ehre, dich auszubilden“, sagte Kelbos und lächelte Henric an. „Ich bin stolz auf dich.“
Niemals hatte sich Darokh eine größere Ehre vorstellen können, während eines Kriegszuges direkt neben seinem Häuptling zu marschieren und er konnte immer noch kaum fassen, dass ihm diese Ehre endlich zu Teil geworden war. Vokrash, der Häuptling der Schädelreißer, ritt auf seinem Reitwarg. Er hatte seine prächtige geschwärzte Zeremonienrüstung angelegt und sein leicht ergrautes schwarzes Haar sowie seinen dichten Kinnbart zu vielen Zöpfen geflochten. Vom Gürtel seines Kampfrocks hingen die Schädel menschlicher Befehlshaber, die er erschlagen hatte. Seine mächtige Axt hielt er in Erwartung der kommenden Schlacht in der Hand.
Der neue Kriegshäuptling hatte Vokrash den Befehl über die Hälfte der Armee übergeben, während er selbst die andere Hälfte nach Norden führte, ins Land der Zwerge. Für Vokrash, der den neuen Kriegshäuptling von Anfang an unterstützt hatte, war diese Ehre genau so groß wie die Ehre Darokhs, direkt an der Seite seines Häuptlings zu kämpfen.
„Häuptling?“, knurrte ein grobschlächtiger Krieger, der soeben neben Vokrashs Warg aufgetaucht war. „Skirrak ist wieder da und bringt Neuigkeiten.“
„So?“, antwortete Vokrash. „Dann soll er mir das selbst sagen.“
Der Krieger nickte, drehte sich um und brüllte laut „Skirrak!“
Wenige Augenblicke später tauchte Skirrak schon auf. Er war dünner und schmächtiger, als die Krieger und hatte zugunsten seiner Beweglichkeit auf eine schwere Rüstung verzichtet. Bis auf seine zerkratzte Brustplatte und dem angerosteten Kettenhemd war er komplett in Leder gerüstet.
„So, Skirrak“, knurrte Vokrash, ohne Skirrak dabei anzusehen. „Was hast du mir zu sagen?“
„Die Festung ist ziemlich gut geschützt“, krächzte Skirrak. „Der einzige Weg zum Tor ist eine gewundene Straße, viele Gelegenheiten für die Bogenschützen, uns zu erledigen.“
„Und weiter?“
„Das Tor hat definitiv schon bessere Zeiten gesehen. Sonderlich viel dürfte das nicht aushalten.“
Vokrash nickte. „Und sonst?“
Skirrak grinste nun hämisch. „Auf der Rückseite kommt man relativ einfach hoch zur Mauer. Wir können ein paar Gobbos hochwerfen.“
„Wie schwer bewacht?“
„Die Wachsamkeit konzentriert sich auf den Torbereich. Wahrscheinlich verlassen sie sich einfach auf ihre Festung.“
Vokrash lachte schnaubend auf. Darokh grinste.
„Das war gut, Skirrak“, grunzte Vokrash. „Jetzt verzieh dich.“
Skirrak deutete eine Verbeugung an und verschwand dann wieder in der Menge.
„Maruz“, knurrte Vokrash grinsend. „Bring mir ein paar Gobbos.“
Die Soldaten, die neben ihm auf dem Wehrgang standen drehten sich halb verwundert, halb erschrocken zu Kelbos um, der aufgelacht hatte.
„Halgas scheint einen Sinn für Dramaturgie zu haben“, erklärte er noch halb grinsend. „Es fängt an zu regnen.“
Tatsächlich war eben ein großer Wassertropfen auf seinen kurz geschorenen Haaren gelandet. Dick und schwer fielen nun weitere zu Boden.
„Schlechte Sicht für die Schützen“, murmelte er halblaut. „Na, wird schon gehen. Was schaut ihr denn so entgeistert?“, fragte er, als er die Gesichter seiner Männer sah.
Ohne auf eine Reaktion zu warten wandte er sich den Orks zu, die immer näher kamen. Das Orkheer hatte nun Fackeln entzündet, wodurch es auf gespenstische Art und Weise beleuchtet wurde. Er konnte nun die Gesichter der Orks sehen, schwarzgrün mit brutaler Kriegsbemalung. Ein paar hundert Meter vor der Festung blieben sie stehen, gerade außer Reichweite der Schützen. Befehle wurden gebrüllt und die Horde formierte sich.
„Sie werden versuchen, uns einzuschüchtern“, sagte Kelbos. „Es liegt an euch, ob ihnen das gelingt.“
Darokh stand in der ersten Reihe, wo Vokrash ihn hinbefohlen hatte. „Wir machen folgendes“, brüllte er. „Schilde nach vorn, Schützen dahinter. Unsere Aufgabe ist es, die Aufmerksamkeit so lange wie möglich auf der Vorderseite zu halten, Maruz hat eine kleine Überraschung für diese Maden. Wir gehen in Formation bis zum Tor. Sobald es offen ist könnt ihr auf die Formation scheißen.“
Ein Ruck ging durch die Armee, als die Orks ihre Positionen einnahmen. Darokh schlug einen kleineren Ork neben ihm nieder, nahm ihm den Schild ab und begann dann, mit seinem wuchtigen Schwert darauf einzuschlagen. Die Krieger um ihn herum taten es ihm gleich und bald war die Luft erfüllt von den rhytmischen Schlägen der Horde.
„Das hab ich gemeint“, rief Kelbos. „Nicht einschüchtern lassen.“
Darokh drehte sich um und schaute zu Vokrash, der seinen Warg auf eine kleine Erhebung geführt hatte, um einen besseren Überblick zu haben. Er nickte ihm zu, nahm ein großes Horn vom Zaumzeug seines Wargs und blies hinein. Überall taten es ihm andere gleich, das Zeichen dass alle bereit waren. Darokh erhob sein Schwert, schrie „Vorwärts“ und die Horde setzt sich in Bewegung.
„Pfeile bereit“, schrie Kelbos und entlang des Wehrgang wurden Bögen und Armbrüste gespannt. „Wartet, bis ihr freies Schussfeld auf die Schützen habt.“
Das würde allerdings gar nicht so einfach werden, denn die Schützen waren hinter den Schilden in der ersten Reihe verborgen. Wenn sie den schmalen Weg erreichten musste sich die Formation aber zwangsläufig ein wenig lockern.
Die Horde bewegte sich auf die Festung zu und machte dabei einen Höllenlärm, eine Mischung aus dem Scheppern der Rüstungen und den Kriegschreien der Krieger. Sie erreichte jetzt den Weg, der zum Tor führte. Nun hatten die Schützen freies Schussfeld auf die Krieger in der Mitte...
„Pfeile los“, schrie Kelbos, und hundertfünfzig Pfeile sirrten in Richtung der Horde.
Kelbos fluchte, als die meisten von ihnen ihr Ziel verfehlten und entweder in den Kampfschilden der Krieger landeten oder über die Horde hinwegsausten. Nur wenige Orks waren getroffen worden, und noch weniger tödlich.
„Feuer frei“, befahl Kelbos, drehte sich um, und kletterte die nächstbeste Leiter zurück in den Hof.
„Ist das alles, was ihr könnt, ihr Maden?“, brüllte Darokh. Fünf Pfeile hatte er bereits mit seinem Schild abgewehrt, einer hatte ihn an der Schulter getroffen, war allerdings nicht durch die Rüstung gedrungen. Die Schützen der Horde hatten im Gegenzug schon mehrere Menschen von den Wällen geschossen.
„Macht Platz für den Rammbock“, brüllte ein anderer hinter ihm und Darokh drehte sich um. Sechs Orks drängten sich durch die Horde und schleiften dabei einen Rammbock hinter sich her. Darokh grinste einen zu Tode geängstigten Menschen an, der vom Torhaus auf sie herunter blickte.
„Reißt es ein!“, brüllte er.
„Bildet einen Schildwall“, schrie Kelbos, während er über den Hof rannte. Schilde vor, Lanzen dahinter. Haltet sie so lange wie möglich auf!“
Es gab einen heftigen Schlag gegen das Tor, das ebenso heftig erzitterte. Lange würde es nicht halten. Auf einmal hörte er ein Geräusch, dass nichts mit dem Kampf am Tor zu tun hatte. Vielstimmiges, schrilles, hohes Gelächter. Er drehte sich um und erstarrte. Zwanzig kleine, grüne Kreaturen mit langen Nasen und großen Ohren hüpften singend und lachend über den hinteren Wall und stachen und hackten auf die völlig überrumpelten Soldaten ein – Goblins. Die Horde hatte es irgendwie geschafft, über den hinteren Wall zu klettern, der kaum bewacht gewesen war.
Hinter ihm ertönte das laute Bersten von Holz. Er wirbelte herum und sah, dass die Orks das Tor mit nur wenigen Schlägen geöffnet hatten.
Darokh brüllte laut, während um ihn herum die Formation zerbrach und die Horde haltlos in den Burghof stürmte. In Sekundenschnelle hatten sie den Schildwall der Menschen durchbrochen und trieben die Soldaten auseinander. Mit einem lauten Kriegsschrei stürzte er sich auf einen verängstigten Menschen und schlug ihm mit einem sauberen Schlag den Kopf ab.
Er schaute hoch zum Wehrgang, auf dem der Angriff der Goblins langsam ins Stocken geriet. Fluchend rannte er zur nächstbesten Leiter, indem er auf dem Weg einem Menschen die Beine abhackte und einem anderen seinen Schild zertrümmerte.
Seine Rüstung wog schwer, trotzdem erreichte er den Wehrgang schnell, packte einen der Bogenschützen und warf ihn über den Wall. Mit einem hässlichen Krachen prallte er auf den Fels. Lachend drehte sich Darokh dem nächsten zu.
Immer mehr Orks strömten in den Hof der Festung. Kelbos' Rüstung war voller Blut, glücklicherweise war es nicht sein eigenes. Er stand nun wieder auf dem Wall und versuchte verzweifelt, die herumhüpfenden Goblins zurück zu drängen. Auf einmal spürte er einen starken Schmerz im Rücken, dann an der Seite. Er brauchte einige Sekunden bis ihm klar wurde, dass ihn ein Ork mit dem Schlag seines Schildes gegen die Brustwehr geschleudert hatte. Der Ork, der jetzt über ihm stand, war fast drei Meter groß. Seine lange, zottige Haarmähne war verkrustet von getrocknetem Blut, in seinem Gesicht trug er grausame Kriegsbemalung und mit einem breiten Grinsen zeigte er seine Hauer.
Der Ork packte Kelbos am Kragen, zerrte ihn auf die Beine und begab sich dann in Kampfposition. Er wollte sich duellieren. Gut, dachte Kelbos, immerhin gehe ich kämpfend unter. Sein Griff schloss sich um das Heft seines Schwertes und der Ork griff an.
Der Schlag war so heftig, dass Kelbos ihn kaum parieren konnte, allerdings gab es ihm Gelegenheit, sofort einen Sticht nachzusetzen, der jedoch an der Rüstung des Orks abprallte. Entschlossen, den Vorteil der höheren Beweglichkeit auszunutzen, griff Kelbos weiter an, wich Schlägen aus und schlug auf jeden Zentimeter des Orks ein, den er erreichen konnte.
Schließlich jedoch war sein Widerstand vergebens. Eine kurze unbedachte Bewegung, dann verspürte er einen stechenden Schmerz am Handgelenk seiner Schwerthand. Er blickte sie an und sah mit Entsetzen, dass der Ork sie abgeschlagen hatte. Ein feiner Blutstrahl schoss aus dem Stumpf und Kelbos sank auf die Knie.
Darokh grinste den Menschen an. Er hatte ihm einen würdigen Kampf geliefert, aber er war auch nur ein Mensch. Mit seiner linken Hand packte er den Menschen am Kopf, während er mit der rechten das Schwert erhob. Eine weitere Trophäe für die Schädelhalle seines Clans.
„Nein!“
Ohne den Schlag ausgeführt zu haben drehte Darokh sich um. Der Schrei hatte ihm gegolten. Ein Mensch, fast noch ein Welpe, rannte über den Wehrgang auf ihn zu, eine Mischung aus Furcht und Hass stand ihm ins Gesicht geschrieben.
„Henric?“, stöhnte der Mensch, der vor Darokh kniete.
Mit einem lauten Schrei erhob Henric sein Schwert, und schlug zu. Hätte sein plötzliches Auftauchen Darokh nicht überrascht wäre der Welpe schon tot, aber so hatte er es tatsächlich geschafft, ihn an einer ungerüsteten Stelle zu verwunden. Mit einem Wutschrei stieß Darokh den besiegten Soldaten zurück und griff den Jungen an.
Er war ausgesprochen leicht gerüstet und bewegte sich demzufolge sehr schnell, so dass es Darokh nur gelang, ihm eine kleine Wunde am Arm zuzufügen. Während um sie herum die Schlacht tobte, hetzten sie sich gegenseitig über den Wehrgang. Darokh war ein erfahrener Krieger, aber der Junge kämpfte mit einer aus Hass und Verzweiflung gleichermaßen resultierenden Entschlossenheit, über die er selbst verwundert zu sein schien.
Darokh war nun in der Defensive, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis der Junge seine Kraft verlor, und dann würde Darokh ihn töten. Er wich noch einen Schritt weiter zurück – und stolperte über die Leiche eines Goblins. Mit einem Wutschrei richtete er sich wieder auf, da spürte er schon den kalten Stahl auf seiner Haut und einen stechenden Schmerz am Hals.
Instinktiv schnellte seine Hand zur Wunde, doch er bemerkte, dass er bereits tot war, denn der Welpe hatte ihn an der Schlagader getroffen. Röchelnd prallte er gegen die steinernen Zinnen und schaute dem Jungen ins Gesicht. Die Wut war jetzt dem Entsetzen über die eigene Tat gewichen, doch sofort fing sich der Junge wieder, holte aus und warf sich dann mit seinem gesamten Gewicht gegen Darokhs Brust.
Während er von der Mauer fiel schien jemand die Zeit verlangsamt zu haben. Sein erster Gedanke war, gedemütigt worden zu sein, besiegt, von einem Welpen. Dann wurde ihm jedoch klar, dass er von einem Krieger besiegt wurde. Einem Krieger, der mächtiger war als er. Er hatte seinen Meister gefunden und war einen ehrenhaften Tod gestorben, den Tod, den er sich immer gewünscht hatte.
Der kurze Moment, bevor Darokh auf dem regennassen Felsen aufschlug und sich das Genick brach war pure Glückseligkeit.
Die Wolken hingen tief und der sich ankündigende Regen lag wie ein schweres Tuch über dem Land. Kein Lüftchen regte sich, doch vom Turm der Festung Grindelfels aus konnte man am Horizont bereits das nahende Gewitter erkennen. Doch es war nicht das Gewitter, das Kommandant Kelbos Sorgen bereitete, es war etwas weitaus gefährlicheres, was sich im Schatten dieses Gewitters bewegte. Die Orks hatten die von ihnen besetzten Länder im Norden verlassen und einen Eroberungsfeldzug gegen die Welt der Menschen begonnen. Zahlreiche Gemeinden waren bereits gefallen, ein schier endloser Flüchtlingsstrom ergoss sich nach Süden und niemand schien in der Lage, den Orks Einhalt zu gebieten.
Kelbos war ein groß gewachsener, kräftiger Mann in den Endvierzigern, ein Veteran früherer Kriege gegen die Nachbarkönigreiche, der die Situation gut einschätzen konnte. Er machte sich nichts vor – Grindelfels würde dir Orks nicht aufhalten. Alles was sie tun konnten war, ihnen einen würdigen Kampf zu liefern und ihren Vormarsch so lange wie möglich aufzuhalten, bis sich hoffentlich ein effektiver Widerstand formiert hatte. Was ihn anging hatte er keine Angst, zu sterben. Im Gegensatz zur Aussicht auf Demütigung durch Gefangenschaft erschien ihm dieses Schicksal sogar beinahe wünschenswert.
Kelbos stand an die Brüstung des oberen Wehrgangs gelehnt und beobachtete die Blitze am Horizont. Nachdenklich strich er sich immer wieder um das von Bartstoppeln bewachsene Kinn, während er wie um sich selbst zu beruhigen eine Pfeife rauchte. Schließlich drehte er sich um, lehnte sich mit dem Rücken an die Zinnen und beobachtete den Hof. Hunderte verängstigte Gesichter starrten zu ihm auf. Bauern und Handwerker, die in der Festung Zuflucht gesucht hatten, Soldaten, besonders die jüngeren. Auch sie wussten, was sie erwartete, aber im Gegensatz zu Kelbos machte es ihnen eine Höllenangst.
„Herr?“, sagte eine Stimme links von ihm. Er drehte sich um und sah einen seiner Offiziere, einen jungen Mann namens Henric, der gerade im Begriff war, die Leiter hochzuklettern, die auf den hölzernen Wehrgang führte.
„Henric“, sagte Kelbos mit neutraler Stimme. „Wurden meine Befehle ausgeführt?“
Henric nickte. „Wir haben so viele Leute wie möglich mit Allem ausgerüstet, was die Waffenkammer her gab.“
Kelbos nickte.
„Glaubt Ihr, dass wir die Orks besiegen können?“
Kelbos seufze schwer und drehte sich wieder zum Gewitter. Er beschloss, dass es am Besten war, Henric die Wahrheit zu sagen.
„Nein. Wir können nur ihren Vormarsch verzögern.“
Er schaute zu Henric. Halb hatte er erwartet, dass es ihn schockieren würde, etwas derartiges zu hören, aber er war ganz ruhig geblieben.
„Das habe ich schon geahnt. Und ich bin mir sicher, dass es die Männer auch wissen. Die einzigen um die ich mir Sorgen mache sind die Bauern im Hof.“
„Ich habe heute morgen erklärt, dass sie gehen können, wenn sie wollen. Jetzt ist es zu spät, wir werden die Tore nicht mehr öffnen. Ich sehe die Orks schon“, fügte er auf Henrics fragenden Blick hinzu.
Nun wirkte Henric bestürzt, machte einen großen Schritt auf die Brüstung zu und spähte hinab in die Ebene. Das Blut wich aus seinem Gesicht, als er die schwarze Masse sah, die sich langsam, aber stetig auf Grindelfels zu bewegte, wissend, dass es sich dabei um mindestens dreitausend schwer bewaffnete Orks handelte.
„Tyrran möge uns beistehen“, flüsterte er, ohne den Blick von der feindlichen Armee abzuwenden.
„Tyrrans Segen kommt zu den Tapferen“, antwortete Kelbos und legte Henric eine Hand auf die Schulter. „Also seid tapfer, Henric.“ Er lächelte. „Ihr tragt den selben Namen wie unser König. Ich schätze dass es Zeit wird, sich dieses Namens würdig zu erweisen.“
Henric sah zu Kelbos auf und nickte, das Gesicht voll grimmiger Entschlossenheit.
„Na also.“
Kelbos ließ Henrics Schulter los.
„Schickt die Schützen hier rauf. Und führt die Zivilisten in den Bergfried und die Kerker.“
„Aber Herr, von dort haben sie keine Möglichkeit zu fliehen.“
Kelbos schüttelte den Kopf. „Wenn die Orks durch dieses Tor kommen sind wir sowieso alle tot. Sorgt trotzdem dafür, dass sie ein paar Beschützer kriegen, das letzte, was wir jetzt brauchen ist ein Aufruhr.“
Henric nickte und ging dann mit großen Schritten auf die Leiter zu, um zurück in den Burghof zu klettern.
„Henric.“
Er zögerte und drehte sich noch einmal um.
„Es war mir eine Ehre, dich auszubilden“, sagte Kelbos und lächelte Henric an. „Ich bin stolz auf dich.“
Niemals hatte sich Darokh eine größere Ehre vorstellen können, während eines Kriegszuges direkt neben seinem Häuptling zu marschieren und er konnte immer noch kaum fassen, dass ihm diese Ehre endlich zu Teil geworden war. Vokrash, der Häuptling der Schädelreißer, ritt auf seinem Reitwarg. Er hatte seine prächtige geschwärzte Zeremonienrüstung angelegt und sein leicht ergrautes schwarzes Haar sowie seinen dichten Kinnbart zu vielen Zöpfen geflochten. Vom Gürtel seines Kampfrocks hingen die Schädel menschlicher Befehlshaber, die er erschlagen hatte. Seine mächtige Axt hielt er in Erwartung der kommenden Schlacht in der Hand.
Der neue Kriegshäuptling hatte Vokrash den Befehl über die Hälfte der Armee übergeben, während er selbst die andere Hälfte nach Norden führte, ins Land der Zwerge. Für Vokrash, der den neuen Kriegshäuptling von Anfang an unterstützt hatte, war diese Ehre genau so groß wie die Ehre Darokhs, direkt an der Seite seines Häuptlings zu kämpfen.
„Häuptling?“, knurrte ein grobschlächtiger Krieger, der soeben neben Vokrashs Warg aufgetaucht war. „Skirrak ist wieder da und bringt Neuigkeiten.“
„So?“, antwortete Vokrash. „Dann soll er mir das selbst sagen.“
Der Krieger nickte, drehte sich um und brüllte laut „Skirrak!“
Wenige Augenblicke später tauchte Skirrak schon auf. Er war dünner und schmächtiger, als die Krieger und hatte zugunsten seiner Beweglichkeit auf eine schwere Rüstung verzichtet. Bis auf seine zerkratzte Brustplatte und dem angerosteten Kettenhemd war er komplett in Leder gerüstet.
„So, Skirrak“, knurrte Vokrash, ohne Skirrak dabei anzusehen. „Was hast du mir zu sagen?“
„Die Festung ist ziemlich gut geschützt“, krächzte Skirrak. „Der einzige Weg zum Tor ist eine gewundene Straße, viele Gelegenheiten für die Bogenschützen, uns zu erledigen.“
„Und weiter?“
„Das Tor hat definitiv schon bessere Zeiten gesehen. Sonderlich viel dürfte das nicht aushalten.“
Vokrash nickte. „Und sonst?“
Skirrak grinste nun hämisch. „Auf der Rückseite kommt man relativ einfach hoch zur Mauer. Wir können ein paar Gobbos hochwerfen.“
„Wie schwer bewacht?“
„Die Wachsamkeit konzentriert sich auf den Torbereich. Wahrscheinlich verlassen sie sich einfach auf ihre Festung.“
Vokrash lachte schnaubend auf. Darokh grinste.
„Das war gut, Skirrak“, grunzte Vokrash. „Jetzt verzieh dich.“
Skirrak deutete eine Verbeugung an und verschwand dann wieder in der Menge.
„Maruz“, knurrte Vokrash grinsend. „Bring mir ein paar Gobbos.“
Die Soldaten, die neben ihm auf dem Wehrgang standen drehten sich halb verwundert, halb erschrocken zu Kelbos um, der aufgelacht hatte.
„Halgas scheint einen Sinn für Dramaturgie zu haben“, erklärte er noch halb grinsend. „Es fängt an zu regnen.“
Tatsächlich war eben ein großer Wassertropfen auf seinen kurz geschorenen Haaren gelandet. Dick und schwer fielen nun weitere zu Boden.
„Schlechte Sicht für die Schützen“, murmelte er halblaut. „Na, wird schon gehen. Was schaut ihr denn so entgeistert?“, fragte er, als er die Gesichter seiner Männer sah.
Ohne auf eine Reaktion zu warten wandte er sich den Orks zu, die immer näher kamen. Das Orkheer hatte nun Fackeln entzündet, wodurch es auf gespenstische Art und Weise beleuchtet wurde. Er konnte nun die Gesichter der Orks sehen, schwarzgrün mit brutaler Kriegsbemalung. Ein paar hundert Meter vor der Festung blieben sie stehen, gerade außer Reichweite der Schützen. Befehle wurden gebrüllt und die Horde formierte sich.
„Sie werden versuchen, uns einzuschüchtern“, sagte Kelbos. „Es liegt an euch, ob ihnen das gelingt.“
Darokh stand in der ersten Reihe, wo Vokrash ihn hinbefohlen hatte. „Wir machen folgendes“, brüllte er. „Schilde nach vorn, Schützen dahinter. Unsere Aufgabe ist es, die Aufmerksamkeit so lange wie möglich auf der Vorderseite zu halten, Maruz hat eine kleine Überraschung für diese Maden. Wir gehen in Formation bis zum Tor. Sobald es offen ist könnt ihr auf die Formation scheißen.“
Ein Ruck ging durch die Armee, als die Orks ihre Positionen einnahmen. Darokh schlug einen kleineren Ork neben ihm nieder, nahm ihm den Schild ab und begann dann, mit seinem wuchtigen Schwert darauf einzuschlagen. Die Krieger um ihn herum taten es ihm gleich und bald war die Luft erfüllt von den rhytmischen Schlägen der Horde.
„Das hab ich gemeint“, rief Kelbos. „Nicht einschüchtern lassen.“
Darokh drehte sich um und schaute zu Vokrash, der seinen Warg auf eine kleine Erhebung geführt hatte, um einen besseren Überblick zu haben. Er nickte ihm zu, nahm ein großes Horn vom Zaumzeug seines Wargs und blies hinein. Überall taten es ihm andere gleich, das Zeichen dass alle bereit waren. Darokh erhob sein Schwert, schrie „Vorwärts“ und die Horde setzt sich in Bewegung.
„Pfeile bereit“, schrie Kelbos und entlang des Wehrgang wurden Bögen und Armbrüste gespannt. „Wartet, bis ihr freies Schussfeld auf die Schützen habt.“
Das würde allerdings gar nicht so einfach werden, denn die Schützen waren hinter den Schilden in der ersten Reihe verborgen. Wenn sie den schmalen Weg erreichten musste sich die Formation aber zwangsläufig ein wenig lockern.
Die Horde bewegte sich auf die Festung zu und machte dabei einen Höllenlärm, eine Mischung aus dem Scheppern der Rüstungen und den Kriegschreien der Krieger. Sie erreichte jetzt den Weg, der zum Tor führte. Nun hatten die Schützen freies Schussfeld auf die Krieger in der Mitte...
„Pfeile los“, schrie Kelbos, und hundertfünfzig Pfeile sirrten in Richtung der Horde.
Kelbos fluchte, als die meisten von ihnen ihr Ziel verfehlten und entweder in den Kampfschilden der Krieger landeten oder über die Horde hinwegsausten. Nur wenige Orks waren getroffen worden, und noch weniger tödlich.
„Feuer frei“, befahl Kelbos, drehte sich um, und kletterte die nächstbeste Leiter zurück in den Hof.
„Ist das alles, was ihr könnt, ihr Maden?“, brüllte Darokh. Fünf Pfeile hatte er bereits mit seinem Schild abgewehrt, einer hatte ihn an der Schulter getroffen, war allerdings nicht durch die Rüstung gedrungen. Die Schützen der Horde hatten im Gegenzug schon mehrere Menschen von den Wällen geschossen.
„Macht Platz für den Rammbock“, brüllte ein anderer hinter ihm und Darokh drehte sich um. Sechs Orks drängten sich durch die Horde und schleiften dabei einen Rammbock hinter sich her. Darokh grinste einen zu Tode geängstigten Menschen an, der vom Torhaus auf sie herunter blickte.
„Reißt es ein!“, brüllte er.
„Bildet einen Schildwall“, schrie Kelbos, während er über den Hof rannte. Schilde vor, Lanzen dahinter. Haltet sie so lange wie möglich auf!“
Es gab einen heftigen Schlag gegen das Tor, das ebenso heftig erzitterte. Lange würde es nicht halten. Auf einmal hörte er ein Geräusch, dass nichts mit dem Kampf am Tor zu tun hatte. Vielstimmiges, schrilles, hohes Gelächter. Er drehte sich um und erstarrte. Zwanzig kleine, grüne Kreaturen mit langen Nasen und großen Ohren hüpften singend und lachend über den hinteren Wall und stachen und hackten auf die völlig überrumpelten Soldaten ein – Goblins. Die Horde hatte es irgendwie geschafft, über den hinteren Wall zu klettern, der kaum bewacht gewesen war.
Hinter ihm ertönte das laute Bersten von Holz. Er wirbelte herum und sah, dass die Orks das Tor mit nur wenigen Schlägen geöffnet hatten.
Darokh brüllte laut, während um ihn herum die Formation zerbrach und die Horde haltlos in den Burghof stürmte. In Sekundenschnelle hatten sie den Schildwall der Menschen durchbrochen und trieben die Soldaten auseinander. Mit einem lauten Kriegsschrei stürzte er sich auf einen verängstigten Menschen und schlug ihm mit einem sauberen Schlag den Kopf ab.
Er schaute hoch zum Wehrgang, auf dem der Angriff der Goblins langsam ins Stocken geriet. Fluchend rannte er zur nächstbesten Leiter, indem er auf dem Weg einem Menschen die Beine abhackte und einem anderen seinen Schild zertrümmerte.
Seine Rüstung wog schwer, trotzdem erreichte er den Wehrgang schnell, packte einen der Bogenschützen und warf ihn über den Wall. Mit einem hässlichen Krachen prallte er auf den Fels. Lachend drehte sich Darokh dem nächsten zu.
Immer mehr Orks strömten in den Hof der Festung. Kelbos' Rüstung war voller Blut, glücklicherweise war es nicht sein eigenes. Er stand nun wieder auf dem Wall und versuchte verzweifelt, die herumhüpfenden Goblins zurück zu drängen. Auf einmal spürte er einen starken Schmerz im Rücken, dann an der Seite. Er brauchte einige Sekunden bis ihm klar wurde, dass ihn ein Ork mit dem Schlag seines Schildes gegen die Brustwehr geschleudert hatte. Der Ork, der jetzt über ihm stand, war fast drei Meter groß. Seine lange, zottige Haarmähne war verkrustet von getrocknetem Blut, in seinem Gesicht trug er grausame Kriegsbemalung und mit einem breiten Grinsen zeigte er seine Hauer.
Der Ork packte Kelbos am Kragen, zerrte ihn auf die Beine und begab sich dann in Kampfposition. Er wollte sich duellieren. Gut, dachte Kelbos, immerhin gehe ich kämpfend unter. Sein Griff schloss sich um das Heft seines Schwertes und der Ork griff an.
Der Schlag war so heftig, dass Kelbos ihn kaum parieren konnte, allerdings gab es ihm Gelegenheit, sofort einen Sticht nachzusetzen, der jedoch an der Rüstung des Orks abprallte. Entschlossen, den Vorteil der höheren Beweglichkeit auszunutzen, griff Kelbos weiter an, wich Schlägen aus und schlug auf jeden Zentimeter des Orks ein, den er erreichen konnte.
Schließlich jedoch war sein Widerstand vergebens. Eine kurze unbedachte Bewegung, dann verspürte er einen stechenden Schmerz am Handgelenk seiner Schwerthand. Er blickte sie an und sah mit Entsetzen, dass der Ork sie abgeschlagen hatte. Ein feiner Blutstrahl schoss aus dem Stumpf und Kelbos sank auf die Knie.
Darokh grinste den Menschen an. Er hatte ihm einen würdigen Kampf geliefert, aber er war auch nur ein Mensch. Mit seiner linken Hand packte er den Menschen am Kopf, während er mit der rechten das Schwert erhob. Eine weitere Trophäe für die Schädelhalle seines Clans.
„Nein!“
Ohne den Schlag ausgeführt zu haben drehte Darokh sich um. Der Schrei hatte ihm gegolten. Ein Mensch, fast noch ein Welpe, rannte über den Wehrgang auf ihn zu, eine Mischung aus Furcht und Hass stand ihm ins Gesicht geschrieben.
„Henric?“, stöhnte der Mensch, der vor Darokh kniete.
Mit einem lauten Schrei erhob Henric sein Schwert, und schlug zu. Hätte sein plötzliches Auftauchen Darokh nicht überrascht wäre der Welpe schon tot, aber so hatte er es tatsächlich geschafft, ihn an einer ungerüsteten Stelle zu verwunden. Mit einem Wutschrei stieß Darokh den besiegten Soldaten zurück und griff den Jungen an.
Er war ausgesprochen leicht gerüstet und bewegte sich demzufolge sehr schnell, so dass es Darokh nur gelang, ihm eine kleine Wunde am Arm zuzufügen. Während um sie herum die Schlacht tobte, hetzten sie sich gegenseitig über den Wehrgang. Darokh war ein erfahrener Krieger, aber der Junge kämpfte mit einer aus Hass und Verzweiflung gleichermaßen resultierenden Entschlossenheit, über die er selbst verwundert zu sein schien.
Darokh war nun in der Defensive, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis der Junge seine Kraft verlor, und dann würde Darokh ihn töten. Er wich noch einen Schritt weiter zurück – und stolperte über die Leiche eines Goblins. Mit einem Wutschrei richtete er sich wieder auf, da spürte er schon den kalten Stahl auf seiner Haut und einen stechenden Schmerz am Hals.
Instinktiv schnellte seine Hand zur Wunde, doch er bemerkte, dass er bereits tot war, denn der Welpe hatte ihn an der Schlagader getroffen. Röchelnd prallte er gegen die steinernen Zinnen und schaute dem Jungen ins Gesicht. Die Wut war jetzt dem Entsetzen über die eigene Tat gewichen, doch sofort fing sich der Junge wieder, holte aus und warf sich dann mit seinem gesamten Gewicht gegen Darokhs Brust.
Während er von der Mauer fiel schien jemand die Zeit verlangsamt zu haben. Sein erster Gedanke war, gedemütigt worden zu sein, besiegt, von einem Welpen. Dann wurde ihm jedoch klar, dass er von einem Krieger besiegt wurde. Einem Krieger, der mächtiger war als er. Er hatte seinen Meister gefunden und war einen ehrenhaften Tod gestorben, den Tod, den er sich immer gewünscht hatte.
Der kurze Moment, bevor Darokh auf dem regennassen Felsen aufschlug und sich das Genick brach war pure Glückseligkeit.
2.) Der Marsch der Horde
Vokrash nahm den Tod eines seiner besten Krieger, den er von seinem Warg aus beobachtete, mit einem Kopfnicken hin. Darokh war einen ehrenhaften Tod gestorben, was man von den schwächlichen Menschen in ihrer Festung nicht behaupten konnte. Alle wurden getötet, selbst die, die sich ergeben hatten. Kapitulation war ein Zeichen von Schwäche, und Schwäche hatte keinen Platz in der Gesellschaft der Orks, nicht einmal unter den Sklaven.
Langsam dämmerte sich der Morgen und das Gemetzel neigte sich dem Ende. Die Goblins hatten den Bergfried, dessen obere Stockwerke aus Holz bestanden, angezündet und das Feuer warf ein gespenstisches Licht auf seine übrigen Krieger, die nun auch den letzten Widerstand auslöschten. Vokrash hatte seinen Warg in den Burghof, auf die hölzerne Platform des Galgens geführt, von wo aus er die Lage gut im Blick hatte.
Als schließlich die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg über die Berge fanden, kam Grindelfels zur Ruhe. Der Regen hatte aufgehört und die Wolken hatten sich verzogen. Bis zu den Knöcheln standen seine Krieger im Blut, der Boden war bedeckt mit Leichen.
„Bringt die Verwundeten nach hinten“, brüllte er, während er seinen Warg wendete. „Und bringt die Gefangenen nach draußen. Die Schamanen sollen sie segnen. Ishak!“
„Ja, Herr?“, fragte ein kleiner Goblin, der nun angewuselt kam. In der einen Hand hielt er ein langes Messer, in der anderen einen Kopf, den er offensichtlich gerade frisch abgetrennt hatte.
„Deine Goblins sollen die Festung durchsuchen. Nehmt alles mit, was ihr findet.“
„Dürfen wir das Glitzerzeugs behalten?“, fragte er und machte dabei einen Gesichtsausdruck wie ein erfreutes Kind.
„Meinetwegen“, knurrte Vokrash. „Aber beeilt Euch.“
Er ließ seinen Blick noch einmal über den Hof schweifen und lächelte. Die Verluste waren erfreulich gering ausgefallen. Niemand konnte die Horde aufhalten.
König Henric II saß in seinem Thron wie eine Statue. Seit die Orks den Norden seines Königreichs gestürmt hatten hatte er nicht mehr richtig geschlafen, was sich mit der Zeit in seinem Gesicht deutlich bemerkbar gemacht hatte.
Der Thronsaal in Burg Falkentor war eine lang gestreckte Halle, die an den Innenraum einer Kathedrale erinnerte. Schwaches Tageslicht fiel durch die hohen Buntglasfenster an der Ostseite und ließ die Rüstungen, die an den hohen Säulen entlang aufgestellt waren, schwach glänzen.
Das schwere Eichenportal am anderen Ende der Halle wurde knarrend aufgezogen und ein gebeugter alter Mann erschien im Türrahmen, der sich nun langsam auf den König zubewegte. Er war in die eigentlich Roben der königlichen Akademie gekleidet, wirkte aber trotzdem ausgesprochen schäbig. Sein weißgraues Haar war buschig und stand in alle möglichen Richtungen ab. Er war sehr dünn, bleich und faltig und erweckte so den Eindruck eines Skeletts, dem man eine viel zu große Haut übergestülpt hatte.
„Eure Majestät“, krächzte er mit einer tiefen Verbeugung, als er den Thron erreicht hatte. „Ihr habt nach mir gerufen?“
„Adrian Schwarzkiel?“, fragte Henric, der sich eigentlich etwas beeindruckenderes vorgestellt hatte.
„Ganz Recht“, antwortete Schwarzkiel und begutachtete Henric mit einem Ausdruck unverhohlenen Interesses.
„Na gut“, sagte Henric und lehnte sich zurück. „Ich denke, ihr wisst, was man an der Akademie über euch erzählt.“
Schwarzkiel kicherte. „Dass ich ein Spinner bin, der sein Leben mit nutzlosen Studien vergeudet?“
„Exakt“, meinte Henric. „Nun, ich habe Euch hierher gerufen weil Ihr Euch selbst als Orkologen bezeichnet, weil ich das Volk der Orks studiert.“ Henric bemühte sich gar nicht erst, die Misbilligung in seiner Stimme zu verbergen. „Also, falls Ihr irgendetwas wisst was uns gegen die Horde helfen könnte wäre ich euch sehr dankbar, wenn Ihr Euer Wissen mit uns teilen könntet.“
„Nun, dann haben wir viel zu besprechen“, antwortete Schwarzkiel. „Wenn ich mich vielleicht irgendwo setzen könnte...“
„Gewiss. Helmschmidt“, sagte er an eine Wache gewandt, die links von seinem Thron stand. „Holt dem Doctor einen Stuhl.“
Die Wache verbeugte sich tief und verließ dann den Thronsaal durch eine Türe hinter dem Thron.
„Also, Doctor“, sagte Henric. „Wie können wir die Horde stoppen?“
„Nun, eure Majestät, zuerst solltet Ihr wissen dass die Kultur der Orks sehr kriegerisch ist.“
Henric schnaubte. „Welche Überraschung.“
Schwarzkiel schien ihn überhört zu haben. „Die Orks leben in vielen verschieden großen Clans, die jeweils einem Häuptling gehorchen. Dieser Häuptling ist für gewöhnlich der stärkste Krieger. Wird er jedoch in einem ehrenhaften Duell von einem anderen Clanmitglied besiegt so ist dieses der neue Anführer.“
Schwarzkiel legte eine Kunstpause ein, die Henric unglaublich ärgerte.
„Und weiter?“, fragte er gereizt.
„Nun, ich muss sagen dass jegliche Prognosen beinahe unmöglich sind... Vielen Dank“, sagte Schwarzkiel und setzte sich auf den Stuhl, den Helmschmidt, der nun wieder seinen Platz neben dem König einnahm, gerade hereingebracht hatte. „Ihr müsst verstehen, Majestät, dass wir es hier mit einem wahren Jahrhundertereignis zu tun haben. Dieser Kriegshäuptling...“
„Dieser was?“
„Verzeihung. Das System der Führung funktioniert in gewisser Weise auch Clanübergreifend. Theoretisch kann ein Häuptling, indem er mit seinem Clan alle anderen Clans unterwirft zum Kriegshäuptling aufsteigen, und...“
„Hättet Ihr auch die Güte mir zu erklären, was ein Kriegshäuptling ist?“, fragte Henric, der sich unwillkürlich vorgebeugt hatte jetzt genervt.
„Der Kriegshäuptling. Der oberste Kriegshäuptling. Sozusagen der Anführer aller Orks. Ich vermute, dass wir es mit einem solchen zu tun haben.“
„Und was ist jetzt ein Jahrhundertereignis?“
„Das kommt sehr, sehr selten vor“, antwortete Schwarzkiel. „Der letzte Kriegshäuptling rief glaube ich vor etwa dreihundert Jahren die Horde aus und griff die Zwerge von Isenwerk an.“
„Ich verstehe. Und wie können wir sie aufhalten?“
„Aufhalten?“, fragte Schwarzkiel verwirrt. „Wir können sie nicht aufhalten. Wir haben es hier mit der geballten Macht aller Clans zu tun.“
Henric sank in seinem Thron zusammen.
„Aber es muss doch einen Weg geben.“
„Es könnte tatsächlich einen geben“, meinte Schwarzkiel.
„Wie?“ Henric wäre beinahe aufgeprungen.
„Es ist im Grunde ganz einfach.“
„Einfach?“
„Ich sagte einfach, nicht leicht“, gab Schwarzkiel zurück, der nun seinerseits gereizt klang und wirkte wie ein Lehrer, der einem Schüler einen eigentlich einfachen Sachverhalt zum dritten Mal erklären musste. „Wir müssen nur den Kriegshäuptling töten. Durch das so entstehende Machtvakuum wird sich die Horde gegeneinander wenden oder vielleicht sogar zurück ziehen.“
„Klingt tatsächlich einfach. Wo ist der Haken?“
„Der Kriegshäuptling wird wohl kaum auf dem Schlachtfeld in Erscheinung treten, es sei denn...“
„Es sei denn was, Doctor?“
„Es gibt eine Möglichkeit, Eure Majestät... aber die wird Euch nicht gefallen.“
„Sire? Ist alles in Ordnung?“
Henric schreckte aus dem Schlaf.
„Verzeihung“, murmelte er, „Ich muss eingenickt sein.“
„Ihr seht nicht gut aus, Sire“, sagte General Darvik vorsichtig. „Ihr habt sein Tagen kaum geschlafen. Seid Ihr sicher, dass Ihr euch nicht lieber ausruhen wollt?“
„Ich bin sicher“, antwortete der König mit aller Schärfe in der Stimme, die ihm sein Zustand erlaubte. „Wo waren wir stehen geblieben?“
„Bei den Bewegungen der Horde nördlich unserer Grenzen.“
„Gut. Was gibt es dazu zu sagen?“
General Andreos Darvik befand sich mit zwei weiteren Generälen und dem König in einem kleinen Raum im Herzen von Burg Falkentor. Ein großer Teil des onehin knappen Platzes wurde von einem massiven Eisenholztisch beansprucht, auf dem Karten und Berichte verstreut lagen. Der Raum hatte keine Fenster und das einzige dürftige Licht kam von abbrennenden Kerzenstummeln in Haltern an den Wänden.
„Anhand von Berichten von Zivilisten und Spähern konnten wir die Bewegungen der Horde grob rekonstruieren. Vor dem Angriff auf Grindelfels hat sich die Horde geteilt, grob die Hälfte bewegt sich seitdem in Richtung Norden, auf Isenwerk zu.“
„Müssen wir uns dann Sorgen um die Zwerge machen“, fragte der König.
Andreos schüttelte den Kopf. „Nein, Sire. An Isenwerk werden sich die Orks die Zähne ausbeißen. Die Stadt ist uneinnehmbar.“
„Und was ist wenn sie eine der kleineren Zwergenstädte angreifen? Wie ich hörte sind alle Zwergenstädte durch Tunnel mit Isenwerk verbunden.“
„Wenn Ihr erlaubt, Sire“, sprach General Zerlok, ein Offizier der für seine guten Kontakte zu den Zwergen Isenwerks bekannt war und geschätzt wurde. „Um Isenwerk müssen wir uns wirklich keine Sorgen machen. Ja, theoretisch wäre es möglich, durch eine kleinere Stadt nach Isenwerk zu kommen, allerdings lassen sich die Tunnel verriegeln, was die Zwerge mit Sicherheit tun werden sobald sie Isenwerk bedroht sehen.“
„Gut, angenommen die Horde beißt sich an Isenwerk die Zähne aus. Wie werden Sie dann wohl verfahren?“
„Nun“, sagte Andreos, „Wir können die Pläne des Kriegshäuptlings nur vermuten, aber wahrscheinlich werden sie weiter nach Norden ziehen, ins Gebiet der Nordmänner.“
„Und?“
„Schwer zu sagen. Die Norsen dürften den Orks im Kampf ebenbürtig sein, da beide Kulturen ausgesprochen kriegerisch geprägt sind. Allerdings werden die Stämme kaum einheitlich gegen die Horde vorgehen, was den Orks einen erheblichen Vorteil verschafft. Allerdings müssten die Orks erstmal ins Norsengebiet vordringen.“
„Und was wird sie daran hindern?“
Andreos tippte mit seinem Zeigefinger auf eine Stelle der Weltkarte.
„Sie müssen erst eine Region namens Nordwall durchqueren. Eine kaum zugängliche Hochebene, in der es unglaublich kalt ist. Und an den passierbaren Stellen hat sich ein besonders zäher Norsenstamm eingegraben. Nordwall wird sie viele Männer kosten.“
„Und was macht euch so sicher dass sie die Norsen nicht einfach links liegen lassen und nach Falkentor zurück kehren?“
„Ich habe mit Doctor Schwarzkiel geredet, und...“
Der König schnaubte um deutlich zu machen, wie wenig er von Adrian Schwarzkiel hielt.
„Verzeihung, Sire, aber was Doctor Schwarzkiel sagt hat durchaus Hand und Fuß.“
„Was sagt Doctor Schwarzkiel denn?“
„Dass Die Orks, sobald sie sich einen Gegner ausgesucht haben, solange gegen ihn kämpfen bis sie ihn besiegt haben – oder er sie. Und da die Orks einen Feldzug gegen Alles führen können wir es als sicher betrachten, dass sie den Kampf mit den Norsen suchen.“
„Verstehe.“ Henric sank wieder in seinen Stuhl zurück. „Gibt es sonst noch etwas, das wir besprechen sollen?“
Andreos tauschte bedeutungsvolle Blicke mit den beiden anderen Generälen.
„Sire“, begann er schließlich, „Was Doctor Schwarzkiel über den Kriegshäuptling gesagt hat...“
„Ich werde alle Möglichkeiten, mein Volk zu schützen ausschöpfen, General Darvik“, sagte der König scharf. „Aber diese wird jedenfalls die Letzte sein.“
„Verzeihung, Sire, wenn ich Euch...“
„Wenn sonst niemand mehr etwas zu sagen hat“, schnitt ihm der König das Wort ab, indem er sich erhob. „Dann können wir diese Sitzung ja als beendet betrachten.“
Mit diesen Worten verließ er den Raum.
Thargan Steinbart hatte es sich in der niedrigen Wachstube gerade in einem der Lehnstühle gemütlich gemacht, die Beine auf den Tisch gelegt und den Helm über das Gesicht gezogen, als jemand mit fast schon panischer Geschwindigkeit an die mannshohe Tür klopfte, die in die weit größeren Thore der Zwergensiedlung Thelgarad eingelassen war.
Thargan wollte aufstehen und nachsehen, vergaß aber, dass seine Beine auf dem Tisch lagen und fiel hin. Fluchend rappelte er sich wieder auf, griff nach seinem Helm, der über den glatten Steinboden davongerutscht war und setzte ihn auf. Irgendjemand hatte doch tatsächlich die Nerven, um drei Uhr nachts, nach dem Schließen der Tore, Einlass nach Thelgarad zu erwarten. Und was noch viel schlimmer war – er hatte Thargan von seinem Schläfchen abgehalten.
Mürrisch vor sich hin murmelnd öffnete er das Fenster, das sich in der Tür befand und sagte laut „Wer da?“
„Äh... Verzeihung, ich verstehe nicht“, krächzte deine Stimme in der Sprache der Menschen. Thargan zog die Augenbrauen hoch. Ein Mensch, der um drei Uhr nachts in eine Zwergensiedlung wollte? Hatte er sich vielleicht verlaufen?
„Wer seid Ihr“, sagte Thargan nun ebenfalls in der Menschensprache.
„Mein Name ist Luzis Hahnenschrey, und ich habe eine dringende Botschaft für Euren Gouverneur.“
„Soso“.
Der Fremde stand zwar innerhalb der Fackeln, hatte jedoch einen Mantel mit weit ins Gesicht gezogener Kapuze. Allerdings konnte sich Thargan aufgrund seines Dialekts erschließen, dass er aus dem Königreich Falkentor kam.
„Gut, Herr Hahnenschrey, dann nehmt mal diese Kapuze ab, damit ich euch anschauen kann.“
„Bitte, lasst mich einfach rein. Es ist dringend.“
„Es ist in erster Linie mitten in der Nacht. Der Gouverneur schläft und wird sicherlich unglaublich ungehalten reagieren wenn man ihn wegen einer Nichtigkeit weckt.“
Hahnenschrey murmelte ein paar Worte, die Thargan nicht verstand und zog dann die Kapuze ab. Er hatte schulterlanges braunes Haar, das an den Schläfen schon zu ergrauen begann. Sein gewaltiger Schnurrbart hatte dieselbe Farbe, sein geflochtener Kinnbart hingegen war fast weiß. Er machte den Eindruck eines Mannes, der seit Tagen in diesem unwegsamen Gelände unterwegs war, aber sein Gesicht war nicht das Gesicht eines Schurken.
Thargan zog seine Axt und öffnete die Türe. Mit einem großen Satz stand Hahnenschrey im Innern der Halle.
„Schnell, macht sie zu. Vielleicht sind sie mir gefolgt.“
Thargan zog eine Augenbraue hoch.
„Gefolgt? Wer ist Euch gefolgt?“
„Orks“, sagte Hahnenschrey atemlos. „Das ist die Nachricht, die ich eurem Gouverneur überbringen muss. Eine ganze Armee davon marschiert auf eure Stadt zu. Mindestens dreitausend.“
„Orks“, wiederholte Thargan und schnaubte. „Unsinn. Seit dreihundert Jahren hat kein Ork die Orklande verlassen.“
„Und was ist dann das hier?“, fragte Hahnenschrey, zog den abgeschlagenen Kopf eines Orks aus seinem Bündel und warf ihn Thargan vor die Füße. „Ich habe mich also ins Orkgebiet geschlichen, es geschafft einen Ork zu finden, der ohne seinen Clan unterwegs war, habe ihn getötet, ihm den Kopf abgeschlagen und ihn hierher gebracht ohne dass er auf dem Weg begonnen hätte zu verwesen? Wäre das nicht ein bisschen viel Aufwand, nur um dem Gouverneur von Thelgarad einen Streich zu spielen?“
„Nun...“ Der Anblick des Kopfes hatte Thargan tief verunsichert und er versuchte nun, diese Unsicherheit zu überspielen. „Gut, vielleicht wäre das viel Aufwand. Aber wo habt ihr den her?“
Hahnenschrey hob den Kopf wieder auf und lehnte sich an das Tor.
„Wir waren zwölf Mann, als wir von Falkentor aufbrachen. Zwei Botschafter und jeweils fünf Mann Geleitschutz. Am Kreuzweg haben wir uns getrennt, ich und mein Geleitschutz gingen nach Westen, Richtung Isenwerk, der Rest marschierte auf Nordwall zu. Vor zwei Nächten wurden wir von einem Trupp Ork-Späher überrascht, doch wir konnten sie überwältigen. Ich entschied mich, diesen Kopf mitzunehmen, als Beweis.“ Hahnenschrey seufzte. „Letzte Nacht umstellten sie unser Lager. Ich konnte irgendwie entkommen und habe mich dann weiter durchgeschlagen. Nach Isenwerk habe ich es nicht mehr geschafft und Thalgarad war die nächstmögliche Option.“
Thargan hatte die Arme verschränkt und einen grüblerischen Gesichtsausdruck aufgesetzt. Möglicherweise redete dieser Hahnenschrey Unsinn, aber wenn wirklich Orks in der Nähe herumschlichen war Thalgarad in großer Gefahr.
„Einverstanden“, sagte er schließlich. „Ich sorge dafür, dass der Gouverneur geweckt wird.“
Die Sonne ging hinter ihnen auf, als Uthruk und der Teil der Horde, die ihm der Kriegshäuptling unterstellt hatte, den flachen Hügel erklommen, um einen Blick auf das Land zu werfen, das vor ihnen lag. Tórward wurde es in der Sprache der Zwerge genannt, wie Uthruk erfahren hatte – Türschwelle. Hier begann das Gebiet der Zwerge, deren Reich als nächstes brennen würde, falls sie nicht manns genug waren, die Horde zu stoppen.
Eine weite, bis auf einige kleine Hügel komplett flache Ebene lag vor ihnen. Zu großen Teilen war sie mit Schnee bedeckt, aber an vielen Stellen sah man kleinere Flächen hellbraunen Grases. Hier und da ragten kahle Bäume oder große Geröllblöcke aus dem Land hervor. Am Horizont erhob sich ein gewaltiges Gebirge. In Tórward endete einer seiner Ausläufer, in dem sich eine Zwergenstadt namens Thalgarad befand. Dies war die Siedlung, die zuerst fallen würde.
„Häuptling“, grunzte eine tiefe Stimme hinter ihm Uthruk drehte sich um.
„Gibt es etwas Neues von Durgôsh, Gorrath?“
Gorrath nickte. „Ja, Häuptling. Er hat das Gelände untersucht und meint, dass den Spuren nach einer der Menschen entkommen sein könnte.“
„Hm.“
Uthruk drehte sich wieder um und ließ seinen Blick über die Ebene schweifen als erwartete er, die schmächtige Gestalt eines Menschen über die Felder humpeln zu sehen.
„Was waren es für Menschen?“
„Die, die wir getötet haben waren vier Soldaten mit roten Waffenröcken.“
„Hatten sie auch eine Clanrune oder so was?“
„Ja, alle diesen Falken.“
„Also genau wie diese Truppe, die vor zwei Tagen von Oshrogh und seinen Jungs erwischt wurden?“
„Ja, aber waren das nicht fünf?“
„Wenn wirklich einer entkommen ist waren auch diese hier fünf.“ Uthruk dachte einen Moment nach. „Ich vermute, die Menschen, die Vokrash gerade im Süden bekämpft wollen die Völker des Nordens warnen. Sag Durgôsh, er soll noch einmal das Gebiet durchkämmen und diesen fünften Mann suchen, oder einen Hinweis auf seinen Verbleib. Und Oshrogh soll die Straße im Norden beobachten, bis wir mit dieser Festung fertig sind.“
„Und wie verfahren wir mit dieser Festung?“
„Angenommen es ist tatsächlich einer der Menschen entkommen und hat die Zwerge gewarnt... Dann wissen sie, dass wir kommen. Und die Zwerge werden sich nicht auf eine Feldschlacht einlassen, sondern sich hinter ihren Mauern verstecken. Und ihre Mauern sind dick.“
Uthruk kratzte sich am Kinn.
„Wir sollten in jedem Fall so schnell wie möglich angreifen. Die Clans sollen sich bereit halten.“
Vokrash nahm den Tod eines seiner besten Krieger, den er von seinem Warg aus beobachtete, mit einem Kopfnicken hin. Darokh war einen ehrenhaften Tod gestorben, was man von den schwächlichen Menschen in ihrer Festung nicht behaupten konnte. Alle wurden getötet, selbst die, die sich ergeben hatten. Kapitulation war ein Zeichen von Schwäche, und Schwäche hatte keinen Platz in der Gesellschaft der Orks, nicht einmal unter den Sklaven.
Langsam dämmerte sich der Morgen und das Gemetzel neigte sich dem Ende. Die Goblins hatten den Bergfried, dessen obere Stockwerke aus Holz bestanden, angezündet und das Feuer warf ein gespenstisches Licht auf seine übrigen Krieger, die nun auch den letzten Widerstand auslöschten. Vokrash hatte seinen Warg in den Burghof, auf die hölzerne Platform des Galgens geführt, von wo aus er die Lage gut im Blick hatte.
Als schließlich die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg über die Berge fanden, kam Grindelfels zur Ruhe. Der Regen hatte aufgehört und die Wolken hatten sich verzogen. Bis zu den Knöcheln standen seine Krieger im Blut, der Boden war bedeckt mit Leichen.
„Bringt die Verwundeten nach hinten“, brüllte er, während er seinen Warg wendete. „Und bringt die Gefangenen nach draußen. Die Schamanen sollen sie segnen. Ishak!“
„Ja, Herr?“, fragte ein kleiner Goblin, der nun angewuselt kam. In der einen Hand hielt er ein langes Messer, in der anderen einen Kopf, den er offensichtlich gerade frisch abgetrennt hatte.
„Deine Goblins sollen die Festung durchsuchen. Nehmt alles mit, was ihr findet.“
„Dürfen wir das Glitzerzeugs behalten?“, fragte er und machte dabei einen Gesichtsausdruck wie ein erfreutes Kind.
„Meinetwegen“, knurrte Vokrash. „Aber beeilt Euch.“
Er ließ seinen Blick noch einmal über den Hof schweifen und lächelte. Die Verluste waren erfreulich gering ausgefallen. Niemand konnte die Horde aufhalten.
König Henric II saß in seinem Thron wie eine Statue. Seit die Orks den Norden seines Königreichs gestürmt hatten hatte er nicht mehr richtig geschlafen, was sich mit der Zeit in seinem Gesicht deutlich bemerkbar gemacht hatte.
Der Thronsaal in Burg Falkentor war eine lang gestreckte Halle, die an den Innenraum einer Kathedrale erinnerte. Schwaches Tageslicht fiel durch die hohen Buntglasfenster an der Ostseite und ließ die Rüstungen, die an den hohen Säulen entlang aufgestellt waren, schwach glänzen.
Das schwere Eichenportal am anderen Ende der Halle wurde knarrend aufgezogen und ein gebeugter alter Mann erschien im Türrahmen, der sich nun langsam auf den König zubewegte. Er war in die eigentlich Roben der königlichen Akademie gekleidet, wirkte aber trotzdem ausgesprochen schäbig. Sein weißgraues Haar war buschig und stand in alle möglichen Richtungen ab. Er war sehr dünn, bleich und faltig und erweckte so den Eindruck eines Skeletts, dem man eine viel zu große Haut übergestülpt hatte.
„Eure Majestät“, krächzte er mit einer tiefen Verbeugung, als er den Thron erreicht hatte. „Ihr habt nach mir gerufen?“
„Adrian Schwarzkiel?“, fragte Henric, der sich eigentlich etwas beeindruckenderes vorgestellt hatte.
„Ganz Recht“, antwortete Schwarzkiel und begutachtete Henric mit einem Ausdruck unverhohlenen Interesses.
„Na gut“, sagte Henric und lehnte sich zurück. „Ich denke, ihr wisst, was man an der Akademie über euch erzählt.“
Schwarzkiel kicherte. „Dass ich ein Spinner bin, der sein Leben mit nutzlosen Studien vergeudet?“
„Exakt“, meinte Henric. „Nun, ich habe Euch hierher gerufen weil Ihr Euch selbst als Orkologen bezeichnet, weil ich das Volk der Orks studiert.“ Henric bemühte sich gar nicht erst, die Misbilligung in seiner Stimme zu verbergen. „Also, falls Ihr irgendetwas wisst was uns gegen die Horde helfen könnte wäre ich euch sehr dankbar, wenn Ihr Euer Wissen mit uns teilen könntet.“
„Nun, dann haben wir viel zu besprechen“, antwortete Schwarzkiel. „Wenn ich mich vielleicht irgendwo setzen könnte...“
„Gewiss. Helmschmidt“, sagte er an eine Wache gewandt, die links von seinem Thron stand. „Holt dem Doctor einen Stuhl.“
Die Wache verbeugte sich tief und verließ dann den Thronsaal durch eine Türe hinter dem Thron.
„Also, Doctor“, sagte Henric. „Wie können wir die Horde stoppen?“
„Nun, eure Majestät, zuerst solltet Ihr wissen dass die Kultur der Orks sehr kriegerisch ist.“
Henric schnaubte. „Welche Überraschung.“
Schwarzkiel schien ihn überhört zu haben. „Die Orks leben in vielen verschieden großen Clans, die jeweils einem Häuptling gehorchen. Dieser Häuptling ist für gewöhnlich der stärkste Krieger. Wird er jedoch in einem ehrenhaften Duell von einem anderen Clanmitglied besiegt so ist dieses der neue Anführer.“
Schwarzkiel legte eine Kunstpause ein, die Henric unglaublich ärgerte.
„Und weiter?“, fragte er gereizt.
„Nun, ich muss sagen dass jegliche Prognosen beinahe unmöglich sind... Vielen Dank“, sagte Schwarzkiel und setzte sich auf den Stuhl, den Helmschmidt, der nun wieder seinen Platz neben dem König einnahm, gerade hereingebracht hatte. „Ihr müsst verstehen, Majestät, dass wir es hier mit einem wahren Jahrhundertereignis zu tun haben. Dieser Kriegshäuptling...“
„Dieser was?“
„Verzeihung. Das System der Führung funktioniert in gewisser Weise auch Clanübergreifend. Theoretisch kann ein Häuptling, indem er mit seinem Clan alle anderen Clans unterwirft zum Kriegshäuptling aufsteigen, und...“
„Hättet Ihr auch die Güte mir zu erklären, was ein Kriegshäuptling ist?“, fragte Henric, der sich unwillkürlich vorgebeugt hatte jetzt genervt.
„Der Kriegshäuptling. Der oberste Kriegshäuptling. Sozusagen der Anführer aller Orks. Ich vermute, dass wir es mit einem solchen zu tun haben.“
„Und was ist jetzt ein Jahrhundertereignis?“
„Das kommt sehr, sehr selten vor“, antwortete Schwarzkiel. „Der letzte Kriegshäuptling rief glaube ich vor etwa dreihundert Jahren die Horde aus und griff die Zwerge von Isenwerk an.“
„Ich verstehe. Und wie können wir sie aufhalten?“
„Aufhalten?“, fragte Schwarzkiel verwirrt. „Wir können sie nicht aufhalten. Wir haben es hier mit der geballten Macht aller Clans zu tun.“
Henric sank in seinem Thron zusammen.
„Aber es muss doch einen Weg geben.“
„Es könnte tatsächlich einen geben“, meinte Schwarzkiel.
„Wie?“ Henric wäre beinahe aufgeprungen.
„Es ist im Grunde ganz einfach.“
„Einfach?“
„Ich sagte einfach, nicht leicht“, gab Schwarzkiel zurück, der nun seinerseits gereizt klang und wirkte wie ein Lehrer, der einem Schüler einen eigentlich einfachen Sachverhalt zum dritten Mal erklären musste. „Wir müssen nur den Kriegshäuptling töten. Durch das so entstehende Machtvakuum wird sich die Horde gegeneinander wenden oder vielleicht sogar zurück ziehen.“
„Klingt tatsächlich einfach. Wo ist der Haken?“
„Der Kriegshäuptling wird wohl kaum auf dem Schlachtfeld in Erscheinung treten, es sei denn...“
„Es sei denn was, Doctor?“
„Es gibt eine Möglichkeit, Eure Majestät... aber die wird Euch nicht gefallen.“
„Sire? Ist alles in Ordnung?“
Henric schreckte aus dem Schlaf.
„Verzeihung“, murmelte er, „Ich muss eingenickt sein.“
„Ihr seht nicht gut aus, Sire“, sagte General Darvik vorsichtig. „Ihr habt sein Tagen kaum geschlafen. Seid Ihr sicher, dass Ihr euch nicht lieber ausruhen wollt?“
„Ich bin sicher“, antwortete der König mit aller Schärfe in der Stimme, die ihm sein Zustand erlaubte. „Wo waren wir stehen geblieben?“
„Bei den Bewegungen der Horde nördlich unserer Grenzen.“
„Gut. Was gibt es dazu zu sagen?“
General Andreos Darvik befand sich mit zwei weiteren Generälen und dem König in einem kleinen Raum im Herzen von Burg Falkentor. Ein großer Teil des onehin knappen Platzes wurde von einem massiven Eisenholztisch beansprucht, auf dem Karten und Berichte verstreut lagen. Der Raum hatte keine Fenster und das einzige dürftige Licht kam von abbrennenden Kerzenstummeln in Haltern an den Wänden.
„Anhand von Berichten von Zivilisten und Spähern konnten wir die Bewegungen der Horde grob rekonstruieren. Vor dem Angriff auf Grindelfels hat sich die Horde geteilt, grob die Hälfte bewegt sich seitdem in Richtung Norden, auf Isenwerk zu.“
„Müssen wir uns dann Sorgen um die Zwerge machen“, fragte der König.
Andreos schüttelte den Kopf. „Nein, Sire. An Isenwerk werden sich die Orks die Zähne ausbeißen. Die Stadt ist uneinnehmbar.“
„Und was ist wenn sie eine der kleineren Zwergenstädte angreifen? Wie ich hörte sind alle Zwergenstädte durch Tunnel mit Isenwerk verbunden.“
„Wenn Ihr erlaubt, Sire“, sprach General Zerlok, ein Offizier der für seine guten Kontakte zu den Zwergen Isenwerks bekannt war und geschätzt wurde. „Um Isenwerk müssen wir uns wirklich keine Sorgen machen. Ja, theoretisch wäre es möglich, durch eine kleinere Stadt nach Isenwerk zu kommen, allerdings lassen sich die Tunnel verriegeln, was die Zwerge mit Sicherheit tun werden sobald sie Isenwerk bedroht sehen.“
„Gut, angenommen die Horde beißt sich an Isenwerk die Zähne aus. Wie werden Sie dann wohl verfahren?“
„Nun“, sagte Andreos, „Wir können die Pläne des Kriegshäuptlings nur vermuten, aber wahrscheinlich werden sie weiter nach Norden ziehen, ins Gebiet der Nordmänner.“
„Und?“
„Schwer zu sagen. Die Norsen dürften den Orks im Kampf ebenbürtig sein, da beide Kulturen ausgesprochen kriegerisch geprägt sind. Allerdings werden die Stämme kaum einheitlich gegen die Horde vorgehen, was den Orks einen erheblichen Vorteil verschafft. Allerdings müssten die Orks erstmal ins Norsengebiet vordringen.“
„Und was wird sie daran hindern?“
Andreos tippte mit seinem Zeigefinger auf eine Stelle der Weltkarte.
„Sie müssen erst eine Region namens Nordwall durchqueren. Eine kaum zugängliche Hochebene, in der es unglaublich kalt ist. Und an den passierbaren Stellen hat sich ein besonders zäher Norsenstamm eingegraben. Nordwall wird sie viele Männer kosten.“
„Und was macht euch so sicher dass sie die Norsen nicht einfach links liegen lassen und nach Falkentor zurück kehren?“
„Ich habe mit Doctor Schwarzkiel geredet, und...“
Der König schnaubte um deutlich zu machen, wie wenig er von Adrian Schwarzkiel hielt.
„Verzeihung, Sire, aber was Doctor Schwarzkiel sagt hat durchaus Hand und Fuß.“
„Was sagt Doctor Schwarzkiel denn?“
„Dass Die Orks, sobald sie sich einen Gegner ausgesucht haben, solange gegen ihn kämpfen bis sie ihn besiegt haben – oder er sie. Und da die Orks einen Feldzug gegen Alles führen können wir es als sicher betrachten, dass sie den Kampf mit den Norsen suchen.“
„Verstehe.“ Henric sank wieder in seinen Stuhl zurück. „Gibt es sonst noch etwas, das wir besprechen sollen?“
Andreos tauschte bedeutungsvolle Blicke mit den beiden anderen Generälen.
„Sire“, begann er schließlich, „Was Doctor Schwarzkiel über den Kriegshäuptling gesagt hat...“
„Ich werde alle Möglichkeiten, mein Volk zu schützen ausschöpfen, General Darvik“, sagte der König scharf. „Aber diese wird jedenfalls die Letzte sein.“
„Verzeihung, Sire, wenn ich Euch...“
„Wenn sonst niemand mehr etwas zu sagen hat“, schnitt ihm der König das Wort ab, indem er sich erhob. „Dann können wir diese Sitzung ja als beendet betrachten.“
Mit diesen Worten verließ er den Raum.
Thargan Steinbart hatte es sich in der niedrigen Wachstube gerade in einem der Lehnstühle gemütlich gemacht, die Beine auf den Tisch gelegt und den Helm über das Gesicht gezogen, als jemand mit fast schon panischer Geschwindigkeit an die mannshohe Tür klopfte, die in die weit größeren Thore der Zwergensiedlung Thelgarad eingelassen war.
Thargan wollte aufstehen und nachsehen, vergaß aber, dass seine Beine auf dem Tisch lagen und fiel hin. Fluchend rappelte er sich wieder auf, griff nach seinem Helm, der über den glatten Steinboden davongerutscht war und setzte ihn auf. Irgendjemand hatte doch tatsächlich die Nerven, um drei Uhr nachts, nach dem Schließen der Tore, Einlass nach Thelgarad zu erwarten. Und was noch viel schlimmer war – er hatte Thargan von seinem Schläfchen abgehalten.
Mürrisch vor sich hin murmelnd öffnete er das Fenster, das sich in der Tür befand und sagte laut „Wer da?“
„Äh... Verzeihung, ich verstehe nicht“, krächzte deine Stimme in der Sprache der Menschen. Thargan zog die Augenbrauen hoch. Ein Mensch, der um drei Uhr nachts in eine Zwergensiedlung wollte? Hatte er sich vielleicht verlaufen?
„Wer seid Ihr“, sagte Thargan nun ebenfalls in der Menschensprache.
„Mein Name ist Luzis Hahnenschrey, und ich habe eine dringende Botschaft für Euren Gouverneur.“
„Soso“.
Der Fremde stand zwar innerhalb der Fackeln, hatte jedoch einen Mantel mit weit ins Gesicht gezogener Kapuze. Allerdings konnte sich Thargan aufgrund seines Dialekts erschließen, dass er aus dem Königreich Falkentor kam.
„Gut, Herr Hahnenschrey, dann nehmt mal diese Kapuze ab, damit ich euch anschauen kann.“
„Bitte, lasst mich einfach rein. Es ist dringend.“
„Es ist in erster Linie mitten in der Nacht. Der Gouverneur schläft und wird sicherlich unglaublich ungehalten reagieren wenn man ihn wegen einer Nichtigkeit weckt.“
Hahnenschrey murmelte ein paar Worte, die Thargan nicht verstand und zog dann die Kapuze ab. Er hatte schulterlanges braunes Haar, das an den Schläfen schon zu ergrauen begann. Sein gewaltiger Schnurrbart hatte dieselbe Farbe, sein geflochtener Kinnbart hingegen war fast weiß. Er machte den Eindruck eines Mannes, der seit Tagen in diesem unwegsamen Gelände unterwegs war, aber sein Gesicht war nicht das Gesicht eines Schurken.
Thargan zog seine Axt und öffnete die Türe. Mit einem großen Satz stand Hahnenschrey im Innern der Halle.
„Schnell, macht sie zu. Vielleicht sind sie mir gefolgt.“
Thargan zog eine Augenbraue hoch.
„Gefolgt? Wer ist Euch gefolgt?“
„Orks“, sagte Hahnenschrey atemlos. „Das ist die Nachricht, die ich eurem Gouverneur überbringen muss. Eine ganze Armee davon marschiert auf eure Stadt zu. Mindestens dreitausend.“
„Orks“, wiederholte Thargan und schnaubte. „Unsinn. Seit dreihundert Jahren hat kein Ork die Orklande verlassen.“
„Und was ist dann das hier?“, fragte Hahnenschrey, zog den abgeschlagenen Kopf eines Orks aus seinem Bündel und warf ihn Thargan vor die Füße. „Ich habe mich also ins Orkgebiet geschlichen, es geschafft einen Ork zu finden, der ohne seinen Clan unterwegs war, habe ihn getötet, ihm den Kopf abgeschlagen und ihn hierher gebracht ohne dass er auf dem Weg begonnen hätte zu verwesen? Wäre das nicht ein bisschen viel Aufwand, nur um dem Gouverneur von Thelgarad einen Streich zu spielen?“
„Nun...“ Der Anblick des Kopfes hatte Thargan tief verunsichert und er versuchte nun, diese Unsicherheit zu überspielen. „Gut, vielleicht wäre das viel Aufwand. Aber wo habt ihr den her?“
Hahnenschrey hob den Kopf wieder auf und lehnte sich an das Tor.
„Wir waren zwölf Mann, als wir von Falkentor aufbrachen. Zwei Botschafter und jeweils fünf Mann Geleitschutz. Am Kreuzweg haben wir uns getrennt, ich und mein Geleitschutz gingen nach Westen, Richtung Isenwerk, der Rest marschierte auf Nordwall zu. Vor zwei Nächten wurden wir von einem Trupp Ork-Späher überrascht, doch wir konnten sie überwältigen. Ich entschied mich, diesen Kopf mitzunehmen, als Beweis.“ Hahnenschrey seufzte. „Letzte Nacht umstellten sie unser Lager. Ich konnte irgendwie entkommen und habe mich dann weiter durchgeschlagen. Nach Isenwerk habe ich es nicht mehr geschafft und Thalgarad war die nächstmögliche Option.“
Thargan hatte die Arme verschränkt und einen grüblerischen Gesichtsausdruck aufgesetzt. Möglicherweise redete dieser Hahnenschrey Unsinn, aber wenn wirklich Orks in der Nähe herumschlichen war Thalgarad in großer Gefahr.
„Einverstanden“, sagte er schließlich. „Ich sorge dafür, dass der Gouverneur geweckt wird.“
Die Sonne ging hinter ihnen auf, als Uthruk und der Teil der Horde, die ihm der Kriegshäuptling unterstellt hatte, den flachen Hügel erklommen, um einen Blick auf das Land zu werfen, das vor ihnen lag. Tórward wurde es in der Sprache der Zwerge genannt, wie Uthruk erfahren hatte – Türschwelle. Hier begann das Gebiet der Zwerge, deren Reich als nächstes brennen würde, falls sie nicht manns genug waren, die Horde zu stoppen.
Eine weite, bis auf einige kleine Hügel komplett flache Ebene lag vor ihnen. Zu großen Teilen war sie mit Schnee bedeckt, aber an vielen Stellen sah man kleinere Flächen hellbraunen Grases. Hier und da ragten kahle Bäume oder große Geröllblöcke aus dem Land hervor. Am Horizont erhob sich ein gewaltiges Gebirge. In Tórward endete einer seiner Ausläufer, in dem sich eine Zwergenstadt namens Thalgarad befand. Dies war die Siedlung, die zuerst fallen würde.
„Häuptling“, grunzte eine tiefe Stimme hinter ihm Uthruk drehte sich um.
„Gibt es etwas Neues von Durgôsh, Gorrath?“
Gorrath nickte. „Ja, Häuptling. Er hat das Gelände untersucht und meint, dass den Spuren nach einer der Menschen entkommen sein könnte.“
„Hm.“
Uthruk drehte sich wieder um und ließ seinen Blick über die Ebene schweifen als erwartete er, die schmächtige Gestalt eines Menschen über die Felder humpeln zu sehen.
„Was waren es für Menschen?“
„Die, die wir getötet haben waren vier Soldaten mit roten Waffenröcken.“
„Hatten sie auch eine Clanrune oder so was?“
„Ja, alle diesen Falken.“
„Also genau wie diese Truppe, die vor zwei Tagen von Oshrogh und seinen Jungs erwischt wurden?“
„Ja, aber waren das nicht fünf?“
„Wenn wirklich einer entkommen ist waren auch diese hier fünf.“ Uthruk dachte einen Moment nach. „Ich vermute, die Menschen, die Vokrash gerade im Süden bekämpft wollen die Völker des Nordens warnen. Sag Durgôsh, er soll noch einmal das Gebiet durchkämmen und diesen fünften Mann suchen, oder einen Hinweis auf seinen Verbleib. Und Oshrogh soll die Straße im Norden beobachten, bis wir mit dieser Festung fertig sind.“
„Und wie verfahren wir mit dieser Festung?“
„Angenommen es ist tatsächlich einer der Menschen entkommen und hat die Zwerge gewarnt... Dann wissen sie, dass wir kommen. Und die Zwerge werden sich nicht auf eine Feldschlacht einlassen, sondern sich hinter ihren Mauern verstecken. Und ihre Mauern sind dick.“
Uthruk kratzte sich am Kinn.
„Wir sollten in jedem Fall so schnell wie möglich angreifen. Die Clans sollen sich bereit halten.“
3.) Das zerschmetterte Wachhaus
In der Blütezeit des zwergischen Volkes war die Stadt Thalgarad ein wichtiger Handelsposten gewesen, quasi der Punkt, der die Nation der Zwerge mit den Menschen des Südens verbunden hatte. Nach Fünfhundert Jahren, in denen die Zahlen der Zwerge durch Fehden mit ihren kriegerischen Vettern, den Wildzwergen sowie den Orks des östlichen Hochlandes stetig ausgedünnt wurden, und seit Handel und Politik immer weiter zentralisiert wurden war Thalgarad in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Der einzige Anspruch, den Thalgarad noch zu vermelden hatte war der, die mächtigste Festung in Tórward zu sein, das Wachhaus der Zwerge. Denn das war es, was der Name bedeutete.
Der Haupteingang zur Stadt befand sich am Ende eines Gebirgsausläufers der Eyron-garadol, den „eisernen Häusern“, in der Sprache der Menschen das Isenwerk-Massiv. Es war ein massives Tor aus besonders hartem Holz, einen Meter dick, mit Eisen beschlagen und im Boden verkeilt. Links und rechts davon ragten Türme und Schießscharten aus dem Berg, an denen Armbrüste und Ballisten angebracht waren. Vor fünfhundert Jahren war diese Festung einmal im Kampf gegen die Wildzwerge gefallen, das einzige Mal bis jetzt. Und ein zweites Mal würde es nicht geben, dafür würde Stahlbraue schon sorgen.
Garnisonskommandant Torgosch Stahlbraue war ein besonders kräftiger Zwerg, der durch seine wuchtige Rüstung noch massiver wirkte. Sein eisengrauer Bart war zu zwei Zöpfen geflochten, während sein Haar zu einem Zopf gebunden auf seinem Rücken lag. Er hatte eine selbst für einen Zwergen besonders ausgeprägte Hakennase, buschige Augenbrauen und ein leicht hervortretendes Auge, das andere hatte er vor Jahren im Zweikampf mit einem Wildzwerge verloren, die Höhle war unter einer Augenklappe verborgen.
Die Sonne war nun fast aufgegangen, strahlte die Festung an und nahm ihm die Sicht, als er versuchte, mit einem Fernrohr den Horizont nach Spuren der Horde abzusuchen.
„Wir kämpfen gegen die Sonne“, grummelte er seinem Adjudanten entgegen „Das gefällt mir nicht.“
„Glaubt Ihr wirklich, dass die Orks das Tor durchbrechen können?“
„Ich glaube es nicht, aber ich befürchte es. Diese Orks haben diese Festung der Menschen... Grantelstein oder so ähnlich, im Sturm genommen. Wer weiß, wozu sie noch fähig sind?“
„Es war eine Festung der Menschen...“
„Auch die Festungen der Menschen sind stabil“, antwortete er, ohne das Fernglas vom Horizont abzuwenden, obwohl ihm die Sonne ins Auge stach „Wir sollten auf alles vorbereitet sein, das ist alles.“
Er nahm das Fernglas herunter und seufzte.
„Sie sollten nicht in der Lage sein, das Tor zu durchbrechen.“
„Krieger“, brüllte Uthruk, der einen der Geröllblöcke bestiegen hatte und nun auf seine Krieger hinabsah „Wir kämpfen heute gegen einen Feind, der es eigentlich nicht wert ist, bekämpft zu werden. Anstatt den ehrenhaften Kampf zu suchen, wie wir es tun, verstecken sie sich hinter ihren Mauern!“
Ein Raunen ging durch die Orks. Uthruk grinste.
„Ihr könntet mich fragen, warum wir uns dann die Mühe machen sollen. Aus zwei Gründen: Erst einmal, weil wir noch eine Rechnung offen haben, denn vor dreihundert Jahren, als sie noch den Mut zum Kampf hatten, haben sie uns besiegt.“
Die Menge brüllte wütend und Uthruk hob eine Hand, um ihr Einhalt zu gebieten.
„Zum Zweiten... weil es Feiglinge sind. Und wir werden ihnen jetzt geben, was sie verdienen!“
Erneut brüllten die Krieger. Diesmal ließ sie Uthruk etwas länger brüllen, bevor er sie erneut mit einer Handbewegung verstummen ließ.
„Wir werden kämpfen. Und wir werden siegen. Wir, und die Krieger, die sich uns angeschlossen haben.“
Diesmal brüllten andere. Ungefähr fünfhundert kleinwüchsige, halbnackte Gestalten mit gewaltigen Bärten, die ein wenig abseits der Horde standen – Wildzwerge.
„Geht in Formation!“, rief er „Wir greifen an!“
Mit scheppernden Rüstungen setzte sich die Horde in Bewegung. Uthruk grinste.
„Das war gut“, sagte eine Stimme links von ihm. Es war der Häuptling der Wildzwerge, der sich als Turgol vorgestellt hatte. Er sprach die Gemeinsprache, allerdings mit unüberhörbarem Akzent, der es Uthruk teilweise schwer machte, ihn zu verstehen.
Uthruk hatte nicht schlecht gestaunt, als sich ihnen die Zwerge vor zwei Tagen auf einer Waldstraße in den Weg gestellt hatten. Auch sie hatten vom Kriegszug gehört. Sie wussten, dass die Orks ihre Vettern aus den Bergen angreifen würden, und hatten Uthruk darum gebeten, sich ihnen anschließen zu dürfen, was dieser ohne zu zögern akzeptiert hatte.
Er wusste, dass es eine jahrtausendalte Feindschaft zwischen den Wildzwergen und ihren Brüdern gab. Er kannte die Gründe nicht, doch sie waren ihm auch egal. Die Wildzwerge hatten sich als fähige Krieger erwiesen und waren als solche respektiert, auch unter den Orks.
„Ich hoffe, Eure Methode, das Tor zu öffnen wird funktionieren, Turgol“, sagte Uthruk, während sie gemeinsam den Felsen hinunter kletterten.
„Keine Angst, das wird sie.“
„Ich traue diesen Dingen ja nicht, seid Ihr sicher, dass sich das Tor durch einen Rammbock nicht öffnen lässt?“
„Absolut sicher. Jedenfalls von keinem Rammbock, der existiert. Ich verspreche Euch, Ihr bekommt euren Kampf, wir bekommen das Blut der Verräter. Sorgt nur dafür, dass meine Leute unbeschadet zum Tor kommen.“
„Steh auf“, sagte eine raue Stimme. Henric reagierte erst nicht und bekam kurz darauf die Quittung in Form eines schmerzhaften Fußtritts in die Rippen. Mit vor Schmerz trändenden Augen rappelte er sich von der zerrissenen Decke auf, auf der er geschlafen hatte. Ein Ork stand vor ihm, das erste Mal, dass er einen Ork ohne Rüstung sah. Sein nackter, ungeheuer muskulöser Oberkörper hatte dieselbe schwarzgrüne Farbe wie sein Gesicht, seine haarigen Arme waren dick vor Muskeln. Der Ork war mit einer Art Lederkilt bekleidet, das war aber auch schon alles.
„Der Häuptling will dich sehen“, schnarrte er.
Kaum war Henric aufgestanden packte ihn der Ork am Genick und trieb ihn und führte ihn mit einer fast schon schleudernden Bewegugn aus dem Zelt.
Henric wusste nicht, warum ihn die Orks nicht getötet hatten, aber mittlerweile fragte er sich, ob es ihm dann nicht besser ergangen wäre. Seit drei Tagen war er Gefangener der Horde, als erstes hatten sie ihm sämtliche Kleider abgenommen. Er schlief in einem stinkenden kleinen Zelt aus schlecht gegerbten Tierhäuten, bekam jeden Tag eine Schale mit rohem Fleisch und zähem Brot zu essen und schlief auf einer dünnen, zerrissenen Decke.
Henric blinzelte der Sonne entgegen. Es war das erste Mal, dass er das Orklager sah, bei den Märschen hatten sie ihm immer die Augen verbunden. Die Zelte der Orks bestanden aus Leder, Tierfellen oder grobem Stoff, die Gestänge aus Holz und teilweise aus geplünderten Hellebarden und Speeren, für die die Orks zu groß waren. Auf den ersten Blick schien es einfach ein großes Durcheinander von Zelten zu sein, allerdings erkannte Henric nach einer Weile, dass die Zelte offenbar einem bestimmten Muster folgten, das er allerdings nicht verstand.
Die Orks hatten das Lager an einem Ort aufgeschlagen, den er nicht kannte. Es war eine weitläufige Wiesenfläche, die auf der rechten Seite durch eine Hügelkette und auf der linken Seite durch einen Wald begrenzt wurde. Das Zelt des Häuptlings, was immer das war, befand sich anscheinend in der Mitte des Lagers und war größer als die anderen. Der Ork, der ihn hergebracht hatte stieß ihn hinein, folgte ihm aber nicht.
Das Zelt war rund und sehr zweckmäßig eingerichtet. In der Mitte befand sich eine große, runde Feuerstelle, in der Glut schwelte. Daneben standen eine Art Bett, das aus Holz und den Knochen eines großen Tieres bestand sowie eine große Truhe, die wohl einst einem Ordensmann gehört hatte, denn Henric erkannte das Zeichen Aureans auf den Beschlägen. Hinter der Feuerstelle erhob sich eine Art Thron, der mit menschlichen Knochen verziert war, auf diesem Thron saß ein Ork, der der Häuptling sein musste.
Er war größer und breiter als die anderen Orks, fast drei Meter groß, seine Haut war dunkler. Sein wilder Bart und die schwarze Haarmähne, in die er kleine Knochen eingeflochten hatte, waren leicht ergraut, seine Nase schein bereits mindestens zweimal gebrochen zu sein. Er trug eine massive schwarze Rüstung, die ihn noch gewaltiger erscheinen ließ und Henric fragte sich, wie ihn der Thron aushielt.
„Ich bin Gor'Bashuk“, sagte der Ork mit einer grollenden Stimme. „Hast du auch einen Namen?“
„Henric... Henric Sichelschmied.“
„Und weißt du auch, warum wir dich nicht getötet haben, Henric Sichelschmied?“
Der Kriegshäuptling sprach die Gemeinsprache fließend und beinahe akzentfrei, was Henricc, der kein Wort herausbrachte und deshalb nur den Kopf schüttelte, erstaunte.
„Weil du Darokh von den Schädelreißern getötet hast. Einer der mächtigsten Krieger meiner Horde. Das heißt, dass du etwas wert sein musst. Ich glaube, du kannst uns noch nützen.“
Gor'Bashuk taxierte Henric für einen Moment und wies dann mit einer Hand auf einen herumstehenden Holzklotz. „Setz dich.“
Henric tat, wie ihm geheißen. Gor'Bashuk legte die Kuppen seiner behandschuhten Finger aneinander und musterte Henric eine Weile. Wahrscheinlich fragte er sich, wie es dieser schmächtigen Gestalt gelungen war, einen mächtigen Ork-Krieger zu besiegen.
„Ich habe eine Aufgabe für dich“, sagte er schließlich. „Du wirst dich auf den Weg in eure Hauptstadt machen und deinem König eine Nachricht überbringen. Sag ihm, dass ich ihm die Gelegenheit zur Kapitulation gebe. Alle eure Soldaten sollen die Waffen innerhalb einer Woche nieder legen. Wenn er ablehnt, sag ihm, dass ich die Horde ein zweites Mal geteilt habe. Ein Teil wird weiter über euer Land fegen, der andere schnurstracks auf eure Hauptstadt zuhalten. Und ich denke du kannst ihm besonders glaubhaft klar machen, dass eure Festungen uns nicht aufhalten. Hast du das verstanden?“
Henric nickte.
„Wunderbar“, sagte Gor'Bashuk, erhob sich und rief laut „Groth!“
Der Ork, der Henric hergebracht hatte betrat das Zelt und sagte etwas auf orkisch.
„Wir werden den Jungen frei lassen. Bringt ihm ein paar Kleider und gebt ihm ein Pferd. Kannst du reiten?“, fragte er, an Henric gewandt. Henric nickte erneut. „Ausgezeichnet.“
Groth führte Henric zurück in sein Zelt und brachte ihm dann eine Hose aus grobem Leder und eine braune Wollweste. Die Hose passte ihm zwar nicht richtig, aber da er die letzten drei Tage vollkommen nackt verbracht hatte dachte er nicht einmal, daran sich zu beklagen.
Es schockierte ihn fast schon, dass dem Heer ein Tross aus Frauen und Kindern gefolgt war, denn er hatte niemals daran gedacht, dass es so etwas wie Orkfrauen überhaupt gab. Alles an den Orks und ihrer Kultur war ihm so fremd dass es ihm vorkam, als seien sie nicht von dieser Welt.
Während sie durch die Zeltreihen gingen folgten ihnen die Blicke der Krieger. Henric hatte eigentlich geglaubt, sie würden ihn mit Verachtung anschauen, daher wunderte er sich, dass die Blicke, die er im Vorbeigehen auffing, größtenteils interessiert und teilweise sogar schon respektvoll waren. Ab und zu glaubte er sogar, ein Ork hätte ihm zugenickt, er wagte es allerdings nicht, sich umzudrehen um sich zu vergewissern.
Am anderen Ende des Lagers befand sich eine provisorische Koppel mit etwa fünfzig Pferden, die die Horde wohl als Futter für die Warge oder als Wegzehrung für die Orks selbst mitgenommen hatte, denn ein Pferd konnte einen Ork unmöglich tragen. Nachdem Henric sich einen bereits gesattelten Rappen entschieden hatte kam Groth zu ihm und zeigte auf die Hügel.
„Auf der anderen Seite liegt ein Tal mit einer Straße. Wenn du ihr folgst kommst du in die nächste Stadt. Ich nehme an die können dir sagen, wie du zur Hauptstadt kommst.“
„Danke.“
Groth lachte auf. „Wofür dankst du mir?“
„Ich weiß nicht. Das sagt man nur so.“
Groth schüttelte den Kopf mit einem Gesichtsausdruck, der entfernt an ein Lächeln erinnerte, aber die Vorstellung, ein Ork würde ihn anlächeln war so absurd, dass er dies nicht mal in Erwägung zog.
„Ihr seid ein seltsames Volk“, sagte Groth „Ich würde gerne verstehen, was in euch eigentlich vor geht.“
Darauf wusste Henric keine Antwort, also wendete er sein Pferd und galoppierte davon. Der Wind, der sein Haar zerzauste war ein wunderschönes Gefühl. Er brauchte einige Augenblicke um zu realisieren, was eben geschehen war. Er war noch am Leben. Und er war frei.
Wie Wellen auf eine Felswand brandete die Horde auf die Tore von Thalgarad. Bis jetzt hatten sich die Verluste trotz des Sperrfeuers der Zwerge in den Türmen in Grenzen gehalten, lange würden die Orks aber nicht durchhalten. Uthruk beobachtete den Angriff mit Besorgnis und wachsender Wut auf Turgol, der ihm versprochen hatte, seine Leute könnten das Tor öffnen.
„Turgol“, sagte er scharf zu dem Zwergen, der neben ihm stand und die Schlacht mit einem offensichtlich irgendwann geplünderten Fernrohr beobachtete. „Wir rennen nun schon seit einer Stunde gegen eine Wand. Ihr habt behauptet, ihr würdet das Tor öffnen können.“
„Das habe ich, aber ich habe nicht behauptet dass es einfach würde“, sagte Turgol, ohne den Blick von der Schlacht abzuwenden. „Aber wie ich sehe sind meine Leute gleich soweit.“
„Was habt ihr eigentlich vor?“
„Wir werden sie mit ihren eigenen Waffen schlagen.“
Nach Thargans Auffassung mussten die Orks sehr dumm sein, denn es war offensichtlich, dass sie nicht in der Lage waren, das massive Tor von Thalgarad zu durchbrechen, und trotzdem brandete Welle um Welle der Horde gegen die Festung. Trotzdem war es ein sehr frustrierender Kampf, denn die Orks hatten ihre Schilde gehoben und es war sehr schwer, einen von ihnen mit der Armbrust zu treffen.
Garnisonskommandant Stahlbraue, der die Reihen seiner Männer abschritt, war neben ihn getreten und schaute auf die Armee hinunter.
„Ziemlich langweilig, der Kampf“, sagte Thargan beiläufig, während er seine Armbrust nachlud. „Ich glaube wenn wir etwas Schwarzpulver hätten wäre dieser Kampf mit Sicherheit sehr schnell vorbei.“
„Wir sollten eigentlich welches haben“, sagte Stahlbraue. „Das Mechanikum hat schon vor einer Woche welches geschickt, es ist nur nicht angekommen.“ Stahlbraue warf einen nachdenklichen Blick auf die Horde. „Mir gefällt nicht, was diese Orks da unten am Tor treiben.“
Thargan, der gerade gezielt hatte, ließ die Armbrust sinken und schaute hinunter. Einige Orks machten sich gerade an irgendetwas großem zu schaffen, dass Thargan allerdings nicht genau erkennen konnte. Was ihn stutzig machte war, dass er neben den Orks kleinere Gestalten erkennen konnte.
„Sind das Wildzwerge?“, fragte er. Stahlbraue zückte sein Fernrohr und warf einen Blick nach unten.
„Tatsächlich.“ Stahlbraue schien beunruhigt, was Thargan aber nicht nachvollziehen konnte. Wildzwerge machten die Horde zwar zahlreicher, im Angesicht der Festung aber nicht gefährlicher. Jetzt geschah etwas anderes, was ihn verwunderte.
„Ziehen sie sich zurück?“
Die Horde begann, einen großen, halbkreisförmigen Bereich um das Tor herum zu räumen. Offenbar hatten sie große Lederbündel am Tor zurück gelassen, von denen jetzt sanft Rauch aufstieg.
Im nächsten Moment ging in einem Wirbel aus Feuer, Schutt und ohrenbetäubendem Lärm die Welt unter.
„Seht ihr“, sagte Turgol gleichmütig zu Uthruk, der tief beeindruckt das klaffende Loch in der Festung anstarrte, das bis vor Kurzem noch ein undurchdringliches Tor gewesen war.
„Ist das Zauberei?“, fragte er ehrfürchtig.
„Aber nein“, lachte Turgol. „Das ist irgendein teuflisches Pulver aus den Laboren von Isenwerk. Sie benutzen es schon seit Jahren gegen meine Leute. Vor wenigen Tagen gelang es uns, etwas davon zu erbeuten.“
„Es ist zweifellos sehr effektiv“, gab Uthruk zu. „Aber keine Methode, die mir gefällt.“
„Warum nicht?“
„Weil es hier nicht ums Töten geht sondern um den ehrenhaften Kampf“, sagte Uthruk, während er Turgol tief in die Augen sah. „Und an derartigen Waffen ist nichts ehrenhaft.“ Dass Turgol diese Ansicht mit einem Schulterzucken quittierte, ärgerte ihn.
Unter starken Schmerzen rappelte sich Torgosch wieder auf. Die Explosion hatte nicht nur das Tor zerstört, auch Teile des Wehrgangs und der Bunkeranlage waren in Mitleidenschaft gezogen worden. Im Mauerwerk rechts von ihm hatten sich tiefe Risse gebildet, einer der Türme schien eingestürzt zu sein. Wächter Steinbart lag neben ihm, tot. Lärm, den er durch die dicke Wand, die den Wehrgang von der Torhalle trennte nur gedämpft wahr nahm sagte ihm, dass die Orks in der Stadt waren.
Sein linkes Bein tat furchtbar weh, doch er schleppte sich vorwärts, zu den Treppen. Wenn er schon sterben musste würde er den Orks, die es gewagt hatten, eine Zwergensiedlung anzugreifen wenigstens noch die Hölle heiß machen.
Er erreichte die Torhalle, die in jahrhundertlanger Arbeit in den Berg gemeißelt wurde. Bis zur von sechs rechteckigen Säulen gestützten Decke waren es gut zwanzig Meter. Am anderen Ende befand sich der Zugang zu den Wohnbereichen Thalgarads.
Die Gardisten hatten eine Phalanx gebildet, mit der sie die Orks wenigstens im Moment in Schach halten konnte, wenn auch sicher nicht mehr lange. Torgosch, der auf dem Treppenabsatz über der Horde stand, zog seine Äxte. Mit dem Schlachruf „Isenwerk“ sprang er von der Erhebung in die Orks unter ihm.
In der Blütezeit des zwergischen Volkes war die Stadt Thalgarad ein wichtiger Handelsposten gewesen, quasi der Punkt, der die Nation der Zwerge mit den Menschen des Südens verbunden hatte. Nach Fünfhundert Jahren, in denen die Zahlen der Zwerge durch Fehden mit ihren kriegerischen Vettern, den Wildzwergen sowie den Orks des östlichen Hochlandes stetig ausgedünnt wurden, und seit Handel und Politik immer weiter zentralisiert wurden war Thalgarad in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Der einzige Anspruch, den Thalgarad noch zu vermelden hatte war der, die mächtigste Festung in Tórward zu sein, das Wachhaus der Zwerge. Denn das war es, was der Name bedeutete.
Der Haupteingang zur Stadt befand sich am Ende eines Gebirgsausläufers der Eyron-garadol, den „eisernen Häusern“, in der Sprache der Menschen das Isenwerk-Massiv. Es war ein massives Tor aus besonders hartem Holz, einen Meter dick, mit Eisen beschlagen und im Boden verkeilt. Links und rechts davon ragten Türme und Schießscharten aus dem Berg, an denen Armbrüste und Ballisten angebracht waren. Vor fünfhundert Jahren war diese Festung einmal im Kampf gegen die Wildzwerge gefallen, das einzige Mal bis jetzt. Und ein zweites Mal würde es nicht geben, dafür würde Stahlbraue schon sorgen.
Garnisonskommandant Torgosch Stahlbraue war ein besonders kräftiger Zwerg, der durch seine wuchtige Rüstung noch massiver wirkte. Sein eisengrauer Bart war zu zwei Zöpfen geflochten, während sein Haar zu einem Zopf gebunden auf seinem Rücken lag. Er hatte eine selbst für einen Zwergen besonders ausgeprägte Hakennase, buschige Augenbrauen und ein leicht hervortretendes Auge, das andere hatte er vor Jahren im Zweikampf mit einem Wildzwerge verloren, die Höhle war unter einer Augenklappe verborgen.
Die Sonne war nun fast aufgegangen, strahlte die Festung an und nahm ihm die Sicht, als er versuchte, mit einem Fernrohr den Horizont nach Spuren der Horde abzusuchen.
„Wir kämpfen gegen die Sonne“, grummelte er seinem Adjudanten entgegen „Das gefällt mir nicht.“
„Glaubt Ihr wirklich, dass die Orks das Tor durchbrechen können?“
„Ich glaube es nicht, aber ich befürchte es. Diese Orks haben diese Festung der Menschen... Grantelstein oder so ähnlich, im Sturm genommen. Wer weiß, wozu sie noch fähig sind?“
„Es war eine Festung der Menschen...“
„Auch die Festungen der Menschen sind stabil“, antwortete er, ohne das Fernglas vom Horizont abzuwenden, obwohl ihm die Sonne ins Auge stach „Wir sollten auf alles vorbereitet sein, das ist alles.“
Er nahm das Fernglas herunter und seufzte.
„Sie sollten nicht in der Lage sein, das Tor zu durchbrechen.“
„Krieger“, brüllte Uthruk, der einen der Geröllblöcke bestiegen hatte und nun auf seine Krieger hinabsah „Wir kämpfen heute gegen einen Feind, der es eigentlich nicht wert ist, bekämpft zu werden. Anstatt den ehrenhaften Kampf zu suchen, wie wir es tun, verstecken sie sich hinter ihren Mauern!“
Ein Raunen ging durch die Orks. Uthruk grinste.
„Ihr könntet mich fragen, warum wir uns dann die Mühe machen sollen. Aus zwei Gründen: Erst einmal, weil wir noch eine Rechnung offen haben, denn vor dreihundert Jahren, als sie noch den Mut zum Kampf hatten, haben sie uns besiegt.“
Die Menge brüllte wütend und Uthruk hob eine Hand, um ihr Einhalt zu gebieten.
„Zum Zweiten... weil es Feiglinge sind. Und wir werden ihnen jetzt geben, was sie verdienen!“
Erneut brüllten die Krieger. Diesmal ließ sie Uthruk etwas länger brüllen, bevor er sie erneut mit einer Handbewegung verstummen ließ.
„Wir werden kämpfen. Und wir werden siegen. Wir, und die Krieger, die sich uns angeschlossen haben.“
Diesmal brüllten andere. Ungefähr fünfhundert kleinwüchsige, halbnackte Gestalten mit gewaltigen Bärten, die ein wenig abseits der Horde standen – Wildzwerge.
„Geht in Formation!“, rief er „Wir greifen an!“
Mit scheppernden Rüstungen setzte sich die Horde in Bewegung. Uthruk grinste.
„Das war gut“, sagte eine Stimme links von ihm. Es war der Häuptling der Wildzwerge, der sich als Turgol vorgestellt hatte. Er sprach die Gemeinsprache, allerdings mit unüberhörbarem Akzent, der es Uthruk teilweise schwer machte, ihn zu verstehen.
Uthruk hatte nicht schlecht gestaunt, als sich ihnen die Zwerge vor zwei Tagen auf einer Waldstraße in den Weg gestellt hatten. Auch sie hatten vom Kriegszug gehört. Sie wussten, dass die Orks ihre Vettern aus den Bergen angreifen würden, und hatten Uthruk darum gebeten, sich ihnen anschließen zu dürfen, was dieser ohne zu zögern akzeptiert hatte.
Er wusste, dass es eine jahrtausendalte Feindschaft zwischen den Wildzwergen und ihren Brüdern gab. Er kannte die Gründe nicht, doch sie waren ihm auch egal. Die Wildzwerge hatten sich als fähige Krieger erwiesen und waren als solche respektiert, auch unter den Orks.
„Ich hoffe, Eure Methode, das Tor zu öffnen wird funktionieren, Turgol“, sagte Uthruk, während sie gemeinsam den Felsen hinunter kletterten.
„Keine Angst, das wird sie.“
„Ich traue diesen Dingen ja nicht, seid Ihr sicher, dass sich das Tor durch einen Rammbock nicht öffnen lässt?“
„Absolut sicher. Jedenfalls von keinem Rammbock, der existiert. Ich verspreche Euch, Ihr bekommt euren Kampf, wir bekommen das Blut der Verräter. Sorgt nur dafür, dass meine Leute unbeschadet zum Tor kommen.“
„Steh auf“, sagte eine raue Stimme. Henric reagierte erst nicht und bekam kurz darauf die Quittung in Form eines schmerzhaften Fußtritts in die Rippen. Mit vor Schmerz trändenden Augen rappelte er sich von der zerrissenen Decke auf, auf der er geschlafen hatte. Ein Ork stand vor ihm, das erste Mal, dass er einen Ork ohne Rüstung sah. Sein nackter, ungeheuer muskulöser Oberkörper hatte dieselbe schwarzgrüne Farbe wie sein Gesicht, seine haarigen Arme waren dick vor Muskeln. Der Ork war mit einer Art Lederkilt bekleidet, das war aber auch schon alles.
„Der Häuptling will dich sehen“, schnarrte er.
Kaum war Henric aufgestanden packte ihn der Ork am Genick und trieb ihn und führte ihn mit einer fast schon schleudernden Bewegugn aus dem Zelt.
Henric wusste nicht, warum ihn die Orks nicht getötet hatten, aber mittlerweile fragte er sich, ob es ihm dann nicht besser ergangen wäre. Seit drei Tagen war er Gefangener der Horde, als erstes hatten sie ihm sämtliche Kleider abgenommen. Er schlief in einem stinkenden kleinen Zelt aus schlecht gegerbten Tierhäuten, bekam jeden Tag eine Schale mit rohem Fleisch und zähem Brot zu essen und schlief auf einer dünnen, zerrissenen Decke.
Henric blinzelte der Sonne entgegen. Es war das erste Mal, dass er das Orklager sah, bei den Märschen hatten sie ihm immer die Augen verbunden. Die Zelte der Orks bestanden aus Leder, Tierfellen oder grobem Stoff, die Gestänge aus Holz und teilweise aus geplünderten Hellebarden und Speeren, für die die Orks zu groß waren. Auf den ersten Blick schien es einfach ein großes Durcheinander von Zelten zu sein, allerdings erkannte Henric nach einer Weile, dass die Zelte offenbar einem bestimmten Muster folgten, das er allerdings nicht verstand.
Die Orks hatten das Lager an einem Ort aufgeschlagen, den er nicht kannte. Es war eine weitläufige Wiesenfläche, die auf der rechten Seite durch eine Hügelkette und auf der linken Seite durch einen Wald begrenzt wurde. Das Zelt des Häuptlings, was immer das war, befand sich anscheinend in der Mitte des Lagers und war größer als die anderen. Der Ork, der ihn hergebracht hatte stieß ihn hinein, folgte ihm aber nicht.
Das Zelt war rund und sehr zweckmäßig eingerichtet. In der Mitte befand sich eine große, runde Feuerstelle, in der Glut schwelte. Daneben standen eine Art Bett, das aus Holz und den Knochen eines großen Tieres bestand sowie eine große Truhe, die wohl einst einem Ordensmann gehört hatte, denn Henric erkannte das Zeichen Aureans auf den Beschlägen. Hinter der Feuerstelle erhob sich eine Art Thron, der mit menschlichen Knochen verziert war, auf diesem Thron saß ein Ork, der der Häuptling sein musste.
Er war größer und breiter als die anderen Orks, fast drei Meter groß, seine Haut war dunkler. Sein wilder Bart und die schwarze Haarmähne, in die er kleine Knochen eingeflochten hatte, waren leicht ergraut, seine Nase schein bereits mindestens zweimal gebrochen zu sein. Er trug eine massive schwarze Rüstung, die ihn noch gewaltiger erscheinen ließ und Henric fragte sich, wie ihn der Thron aushielt.
„Ich bin Gor'Bashuk“, sagte der Ork mit einer grollenden Stimme. „Hast du auch einen Namen?“
„Henric... Henric Sichelschmied.“
„Und weißt du auch, warum wir dich nicht getötet haben, Henric Sichelschmied?“
Der Kriegshäuptling sprach die Gemeinsprache fließend und beinahe akzentfrei, was Henricc, der kein Wort herausbrachte und deshalb nur den Kopf schüttelte, erstaunte.
„Weil du Darokh von den Schädelreißern getötet hast. Einer der mächtigsten Krieger meiner Horde. Das heißt, dass du etwas wert sein musst. Ich glaube, du kannst uns noch nützen.“
Gor'Bashuk taxierte Henric für einen Moment und wies dann mit einer Hand auf einen herumstehenden Holzklotz. „Setz dich.“
Henric tat, wie ihm geheißen. Gor'Bashuk legte die Kuppen seiner behandschuhten Finger aneinander und musterte Henric eine Weile. Wahrscheinlich fragte er sich, wie es dieser schmächtigen Gestalt gelungen war, einen mächtigen Ork-Krieger zu besiegen.
„Ich habe eine Aufgabe für dich“, sagte er schließlich. „Du wirst dich auf den Weg in eure Hauptstadt machen und deinem König eine Nachricht überbringen. Sag ihm, dass ich ihm die Gelegenheit zur Kapitulation gebe. Alle eure Soldaten sollen die Waffen innerhalb einer Woche nieder legen. Wenn er ablehnt, sag ihm, dass ich die Horde ein zweites Mal geteilt habe. Ein Teil wird weiter über euer Land fegen, der andere schnurstracks auf eure Hauptstadt zuhalten. Und ich denke du kannst ihm besonders glaubhaft klar machen, dass eure Festungen uns nicht aufhalten. Hast du das verstanden?“
Henric nickte.
„Wunderbar“, sagte Gor'Bashuk, erhob sich und rief laut „Groth!“
Der Ork, der Henric hergebracht hatte betrat das Zelt und sagte etwas auf orkisch.
„Wir werden den Jungen frei lassen. Bringt ihm ein paar Kleider und gebt ihm ein Pferd. Kannst du reiten?“, fragte er, an Henric gewandt. Henric nickte erneut. „Ausgezeichnet.“
Groth führte Henric zurück in sein Zelt und brachte ihm dann eine Hose aus grobem Leder und eine braune Wollweste. Die Hose passte ihm zwar nicht richtig, aber da er die letzten drei Tage vollkommen nackt verbracht hatte dachte er nicht einmal, daran sich zu beklagen.
Es schockierte ihn fast schon, dass dem Heer ein Tross aus Frauen und Kindern gefolgt war, denn er hatte niemals daran gedacht, dass es so etwas wie Orkfrauen überhaupt gab. Alles an den Orks und ihrer Kultur war ihm so fremd dass es ihm vorkam, als seien sie nicht von dieser Welt.
Während sie durch die Zeltreihen gingen folgten ihnen die Blicke der Krieger. Henric hatte eigentlich geglaubt, sie würden ihn mit Verachtung anschauen, daher wunderte er sich, dass die Blicke, die er im Vorbeigehen auffing, größtenteils interessiert und teilweise sogar schon respektvoll waren. Ab und zu glaubte er sogar, ein Ork hätte ihm zugenickt, er wagte es allerdings nicht, sich umzudrehen um sich zu vergewissern.
Am anderen Ende des Lagers befand sich eine provisorische Koppel mit etwa fünfzig Pferden, die die Horde wohl als Futter für die Warge oder als Wegzehrung für die Orks selbst mitgenommen hatte, denn ein Pferd konnte einen Ork unmöglich tragen. Nachdem Henric sich einen bereits gesattelten Rappen entschieden hatte kam Groth zu ihm und zeigte auf die Hügel.
„Auf der anderen Seite liegt ein Tal mit einer Straße. Wenn du ihr folgst kommst du in die nächste Stadt. Ich nehme an die können dir sagen, wie du zur Hauptstadt kommst.“
„Danke.“
Groth lachte auf. „Wofür dankst du mir?“
„Ich weiß nicht. Das sagt man nur so.“
Groth schüttelte den Kopf mit einem Gesichtsausdruck, der entfernt an ein Lächeln erinnerte, aber die Vorstellung, ein Ork würde ihn anlächeln war so absurd, dass er dies nicht mal in Erwägung zog.
„Ihr seid ein seltsames Volk“, sagte Groth „Ich würde gerne verstehen, was in euch eigentlich vor geht.“
Darauf wusste Henric keine Antwort, also wendete er sein Pferd und galoppierte davon. Der Wind, der sein Haar zerzauste war ein wunderschönes Gefühl. Er brauchte einige Augenblicke um zu realisieren, was eben geschehen war. Er war noch am Leben. Und er war frei.
Wie Wellen auf eine Felswand brandete die Horde auf die Tore von Thalgarad. Bis jetzt hatten sich die Verluste trotz des Sperrfeuers der Zwerge in den Türmen in Grenzen gehalten, lange würden die Orks aber nicht durchhalten. Uthruk beobachtete den Angriff mit Besorgnis und wachsender Wut auf Turgol, der ihm versprochen hatte, seine Leute könnten das Tor öffnen.
„Turgol“, sagte er scharf zu dem Zwergen, der neben ihm stand und die Schlacht mit einem offensichtlich irgendwann geplünderten Fernrohr beobachtete. „Wir rennen nun schon seit einer Stunde gegen eine Wand. Ihr habt behauptet, ihr würdet das Tor öffnen können.“
„Das habe ich, aber ich habe nicht behauptet dass es einfach würde“, sagte Turgol, ohne den Blick von der Schlacht abzuwenden. „Aber wie ich sehe sind meine Leute gleich soweit.“
„Was habt ihr eigentlich vor?“
„Wir werden sie mit ihren eigenen Waffen schlagen.“
Nach Thargans Auffassung mussten die Orks sehr dumm sein, denn es war offensichtlich, dass sie nicht in der Lage waren, das massive Tor von Thalgarad zu durchbrechen, und trotzdem brandete Welle um Welle der Horde gegen die Festung. Trotzdem war es ein sehr frustrierender Kampf, denn die Orks hatten ihre Schilde gehoben und es war sehr schwer, einen von ihnen mit der Armbrust zu treffen.
Garnisonskommandant Stahlbraue, der die Reihen seiner Männer abschritt, war neben ihn getreten und schaute auf die Armee hinunter.
„Ziemlich langweilig, der Kampf“, sagte Thargan beiläufig, während er seine Armbrust nachlud. „Ich glaube wenn wir etwas Schwarzpulver hätten wäre dieser Kampf mit Sicherheit sehr schnell vorbei.“
„Wir sollten eigentlich welches haben“, sagte Stahlbraue. „Das Mechanikum hat schon vor einer Woche welches geschickt, es ist nur nicht angekommen.“ Stahlbraue warf einen nachdenklichen Blick auf die Horde. „Mir gefällt nicht, was diese Orks da unten am Tor treiben.“
Thargan, der gerade gezielt hatte, ließ die Armbrust sinken und schaute hinunter. Einige Orks machten sich gerade an irgendetwas großem zu schaffen, dass Thargan allerdings nicht genau erkennen konnte. Was ihn stutzig machte war, dass er neben den Orks kleinere Gestalten erkennen konnte.
„Sind das Wildzwerge?“, fragte er. Stahlbraue zückte sein Fernrohr und warf einen Blick nach unten.
„Tatsächlich.“ Stahlbraue schien beunruhigt, was Thargan aber nicht nachvollziehen konnte. Wildzwerge machten die Horde zwar zahlreicher, im Angesicht der Festung aber nicht gefährlicher. Jetzt geschah etwas anderes, was ihn verwunderte.
„Ziehen sie sich zurück?“
Die Horde begann, einen großen, halbkreisförmigen Bereich um das Tor herum zu räumen. Offenbar hatten sie große Lederbündel am Tor zurück gelassen, von denen jetzt sanft Rauch aufstieg.
Im nächsten Moment ging in einem Wirbel aus Feuer, Schutt und ohrenbetäubendem Lärm die Welt unter.
„Seht ihr“, sagte Turgol gleichmütig zu Uthruk, der tief beeindruckt das klaffende Loch in der Festung anstarrte, das bis vor Kurzem noch ein undurchdringliches Tor gewesen war.
„Ist das Zauberei?“, fragte er ehrfürchtig.
„Aber nein“, lachte Turgol. „Das ist irgendein teuflisches Pulver aus den Laboren von Isenwerk. Sie benutzen es schon seit Jahren gegen meine Leute. Vor wenigen Tagen gelang es uns, etwas davon zu erbeuten.“
„Es ist zweifellos sehr effektiv“, gab Uthruk zu. „Aber keine Methode, die mir gefällt.“
„Warum nicht?“
„Weil es hier nicht ums Töten geht sondern um den ehrenhaften Kampf“, sagte Uthruk, während er Turgol tief in die Augen sah. „Und an derartigen Waffen ist nichts ehrenhaft.“ Dass Turgol diese Ansicht mit einem Schulterzucken quittierte, ärgerte ihn.
Unter starken Schmerzen rappelte sich Torgosch wieder auf. Die Explosion hatte nicht nur das Tor zerstört, auch Teile des Wehrgangs und der Bunkeranlage waren in Mitleidenschaft gezogen worden. Im Mauerwerk rechts von ihm hatten sich tiefe Risse gebildet, einer der Türme schien eingestürzt zu sein. Wächter Steinbart lag neben ihm, tot. Lärm, den er durch die dicke Wand, die den Wehrgang von der Torhalle trennte nur gedämpft wahr nahm sagte ihm, dass die Orks in der Stadt waren.
Sein linkes Bein tat furchtbar weh, doch er schleppte sich vorwärts, zu den Treppen. Wenn er schon sterben musste würde er den Orks, die es gewagt hatten, eine Zwergensiedlung anzugreifen wenigstens noch die Hölle heiß machen.
Er erreichte die Torhalle, die in jahrhundertlanger Arbeit in den Berg gemeißelt wurde. Bis zur von sechs rechteckigen Säulen gestützten Decke waren es gut zwanzig Meter. Am anderen Ende befand sich der Zugang zu den Wohnbereichen Thalgarads.
Die Gardisten hatten eine Phalanx gebildet, mit der sie die Orks wenigstens im Moment in Schach halten konnte, wenn auch sicher nicht mehr lange. Torgosch, der auf dem Treppenabsatz über der Horde stand, zog seine Äxte. Mit dem Schlachruf „Isenwerk“ sprang er von der Erhebung in die Orks unter ihm.
4.) Schwarzkiels Rat
Cornelius Karkaday hasste es, wenn man etwas von ihm erwartete, was er unmöglich erfüllen konnte, doch genau das war jetzt der Fall. Seit sein Großvater Aldus, ein Inquisitor der Aureanskirche, irgendeinen Nekromanten getötet hatte, der vor Jahren die Stadt Greifental bedroht hatte war die Familie Karkaday in Greifental so etwas wie heilig. Der Respekt, den man ihm entgegen brachte war zwar durchaus angenehm, allerdings hatte die Verehrung seines Großvaters in den letzten Jahren extreme Züge angenommen, die gesamte Bevölkerung schien eine Heldentat von Cornelius zu erwarten.
Wie auch sein Vater, der kurz nach Cornelius' Geburt mit seiner Frau nach Adamant gegangen war und Cornelius bei einer Tante gelassen hatte, war Cornelius der königlichen Armee beigetreten, um dem Erwartungsdruck der Greifentaler zu entfliehen. Jahrelang hatte er an den Westgrenzen des Reiches gegen die feindlichen Armeen aus Stalvard und Tardun gekämpft, war nach dem Waffenstillstand allerdings als Garnisonskommandant in seine Heimatstand zurückbeordert worden, was er nach wie vor für einen grausamen Scherz hielt.
Nachdenklich betrachtete er sein Spiegelbild im Fenster des Kommandantenbüros der Garnison. Er konnte sich gar nicht daran erinnern, so alt zu sein, vielleicht war es auch nur das schmutzige Glas. Sein strubbliger brauner Haarschopf schien bereits die ersten grauen Haare hervorgebracht zu haben, sein Bart sah ziemlich zerzaust aus, es war das Bild eines Mannes, der seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen hatte.
Genau genommen war es so gewesen, denn mit jedem Tag rückte die Horde näher.
„Herr Karkaday“, sagte eine Stimme hinter ihm. Einer seiner Offiziere hatte den Raum betreten. Karkaday hatte es nicht gemerkt.
„Ja?“
„Der Junge ist soweit. Soll ich ihn rein schicken?“
„Bitte.“
Der Offizier öffnete die Türe und ließ einen jungen Mann herein. Er trug ein schlichtes weißes Leinenhemd und eine braune Hose. Seine Kleidung standen im starken Gegensatz zu seiner restlichen Erscheinung, Karkaday konnte sich nicht erinnern, jemals einen Menschen gesehen zu haben, der mitgenommener wirkte.
Das schulterlange blonde Haar war schmutzig und verfilzt. Immerhin hatte er sich den Schmutz und das getrocknete Blut abgewaschen, als er vor ungefähr zwei Stunden in Greifental angekommen war war er geradezu verkrustet davon gewesen und hatte außerdem durchdringend gestunken.
„Setz dich“, sagte Karkaday freundlich und wies auf einen niedrigen Tisch, an dem zwei Stühle standen. Der Junge setzte sich, während Karkaday stehen blieb.
„Wie war dein Name nochmal?“
„Henric. Henric Sichelschmied.“
Karkaday verschränkte die Arme und taxierte Henric einen Moment lang. Henric hatte behauptet, von den Orks gefangen genommen zu sein. Karkaday konnte sich nur schwer vorstellen, dass die Orks Gefangene machten, und noch weniger, dass sie sie wieder freilassen würden, doch er konnte es in seiner gegenwärtigen Lage nicht riskieren, Henric nicht zu glauben.
„Ich würde eure Geschichte gerne noch einmal selbst hören, wenn es euch nichts ausmacht“, sagte Karkaday. „Vielleicht verstehe ich eure Lage dann besser.“
Henric seufzte. „Wir haben eigentlich keine Zeit für so etwas, Herr. Ich muss schnellstens nach Falkentor.“
„Es wird nicht lange dauern“, sagte Karkaday.
„Also gut“, sagte Henric. „Ich war Offizier von Kommandant Heron Kelbos in Grindelfels, als die Orks die Festung angriffen. Sie haben die Burg im Sturm genommen und alle getötet.“
„Warum haben sie euch verschont?“
„Sie sagten mir, ich hätte einen ihrer mächtigsten Krieger getötet. Ich schätze, das habe ich tatsächlich, das war aber pures Glück.“
„Und weiter?“
Henric zuckte die Schultern. „Viel gibt es eigentlich nicht mehr zu sagen. Die nächsten drei Tage habe ich quasi mit verbundenen Augen verbracht, dann hat mich ihr Kriegshäuptling zu sich rufen lassen und mir einen Auftrag erteilt.“
„Was für einen Auftrag?“
„Ich soll dem König die Aufforderung zur Kapitulation überbringen.“
Karkaday lehnte sich an die Wand und musterte Henric erneut. Was er sagte hörte sich nicht nach dem an, was er bis jetzt über Orks gehört hatte, aber er konnte sich in diesem Fall nur auf sein Bauchgefühl verlassen, das ihm riet, Henric zu vertrauen.
„Ich verstehe“, sagte Karkaday. „Ihr seht erschöpft aus, einer Meiner Leute kann diesen Auftrag für euch übernehmen.“
Henric lächelte müde. „Nichts für ungut, Herr Karkaday, aber ich denke, ich kann dem König diese Sache besser näher bringen als einer eurer Soldaten.“
„Ich verstehe.“ Karkaday dachte einen Moment nach. „Wir werden euch was richtiges zum Anziehen besorgen. Und ein neues Pferd. Ruht euch solange aus, wenn ihr auf dem Weg nach Falkentor schlapp macht ist niemandem geholfen.“
„Ich würde gerne so schnell wie möglich aufbrechen.“ Henric schien für einen Moment zu zögern. „Der Kriegshäuptling hat mir gesagt, dass er die Horde erneut teilen wird. Ein Teil wird auf Falkentor zu marschieren, und wahrscheinlich ist Greifental das nächste Ziel des anderen Teils.“
Die Schlacht war vorüber und eine tödliche Stille hatte sich über die Siedlung Thalgarad gelegt, die Uthruk jetzt erkundete. Die Zwerge waren würdige Gegner gewesen und hatten mehr Krieger getötet, als Uthruk erwartet hätte. Während er durch die leichengepflasterten Hallen lief kam er nicht umhin, die Baukunst der Zwerge zu bewundern.
Die eigentliche Stadt Thalgarad bestand aus sieben ringförmigen Plateaus, die auf unterschiedlichen Tiefen in den Berg gemeißelt waren. An den Wänden dieser Plateus befanden sich komplette Hausfassaden, die in die Behausungen der Zwerge führten. Das alles zu bauen musste hunderte Jahre gedauert haben.
„Häuptling“, rief Gorrath, der, eben, gefolgt von Turgol aus einem der zahlreichen Tunnel aufgetaucht, auf Uthruk zugerannt kam. „Die Überlebenden sind in die Tunnel geflohen und haben sie hinter sich versiegelt. Keine Chance, sie zu verfolgen.“
„Das heißt, dass Isenwerk bald alarmiert sein wird“, sagte Turgol. „Und glaubt mir, Ork, an Isenwerk werdet sogar Ihr euch die Zähne ausbeißen.“
„Unsinn“, sagte Gorrath mit einem überheblichen Grinsen und schlug sich mit der Faust auf die Brust. „Niemand kann der Macht der Horde standhalten.“
„Das sagt ihr nur weil ihr keine Ahnung habt, wovon ihr redet“, antwortete Turgol mit einem gehässig verständnisvollen Lächeln. „Die Festung hat drei Tore, die noch dicker sind als das von Thalgarad. Und zwischen jedem dieser Tore befinden sich zwanzig Meter Straße. Stellt euch vor, ohne Deckungsmöglichkeit vorzurücken während Pfeile und Feuer auf euch regnen, bis ihr überhaupt erst zu den Schmieden gelangt. Der Weg in die eigentliche Stadt ist noch besser geschützt. Isenwerk kann nicht erobert werden, Ork. Nicht von euch, und auch nicht von niemandem sonst.“
„Der Zwerg hat keine Ahnung von unserer wahren Stärke“, sagte Gorrath auf Orkisch. „Ich denke nicht, dass wir etwas auf seine Meinung geben müssen.“
„Kennt Ihr Isenwerk?“, gab Uthruk, ebenfalls auf orkisch, zurück. „Nein, das tut ihr nicht. Ich auch nicht. Das Wort des Zwergen ist alles, was wir haben und es gibt keinen Grund, ihm nicht zu glauben.“
Gorrath zuckte mit den Schultern. „Die Befehle des Kriegshäuptling sind eindeutig, er hat gesagt...“
„Er hat uns gesagt, wir sollen das Reich der Zwerge erobern. Er hat nicht gesagt, dass wir für nichts sterben sollen.“
„Es ist eure Entscheidung.“
Uthruk wandte sich wieder Turgol zu der, sichtlich verärgert darüber, dass man in seiner Gegenwart eine offenbar wichtige Unterhaltung in einer Sprache führte, die er nicht verstand, die Arme verschränkt hatte.
„Turgol“, sagte Uthruk. „Werdet Ihr uns bei einem Angriff auf Isenwerk beistehen?“
Turgol schüttelte den Kopf. „Nein, Ork. Meine Leute würden zwar, wenn sie könnten, jeden einzelnen der Verräter töten, aber Isenwerk ist nicht zu nehmen. Sie werden Isenwerk auch nicht verlassen, und sie auszuhungern wird Jahrzehnte dauern.“
Uthruk wandte sich Gorrath zu. „Dann ist es beschlossen. Dies ist ein Kampf, den wir nicht führen werden.“
„Dann trennen sich unsere Wege hier“, sagte Turgol und nickte höflich. „Ich werde meine Männer zusammen rufen und wir werden uns zurück ziehen.“
„Seid Ihr sicher, dass Ihr euch nicht an unserem Feldzug beteiligen wollt“, fragte Uthruk. „Ihr seid hervorragende Kämpfer und wir können jeden Mann brauchen.“
Turgol schüttelte den Kopf. „Nein, Ork. Wir haben uns geholfen weil wir Isenwerk an eurer Seite einen schweren Schlag versetzen konnten. Ab jetzt, fürchte ich, seid ihr wieder ein potentieller Feind.“
Henric von Falkentor stand auf dem hölzernen Balkon, der aus dem Speisesaal von Schloss Falkentor ragte und betrachtete das Meer aus Lichtern unter ihm. Jeder Haushalt in Falkentor, so schien es jedenfalls, hatte eine Kerze ins Fenster gestellt, zum Gedenken an die Gefallenen von Grindelfels, Vargstein, Kornhaven, mittlerweile mochte die Liste bereits länger sein, Henric wusste es nicht. Drei Tage waren vergangen seit ein gewisser Henric Sichelschmied in Falkentor aufgetaucht war, mit einer Nachricht des Kriegshäuptlings der Orks und einem Schreiben von Garnisonskommandant Karkaday, in dem er sich für die Glaubwürdigkeit des Jungen verbürgte. Drei Tage, in denen Ratlosigkeit und Verantwortungsdruck schwer auf seinen Schultern gelastet hatten.
„Sire?“, fragte eine Stimme hinter ihm. Henric drehte sich um und sah General Darvik im Türrahmen stehen.
„General Darvik.“
Darvik trug seine volle Rüstung, Henric bezweifelte, dass er sie seit der Beratung am Vormittag abgelegt hatte.
„Ich wollte mit euch reden und euer Kammerdiener hat mir gesagt dass ihr hier irgendwo seid.“
„Ich rede gern mit euch. Kommt nur herüber.“
Darvik kam um den großen Eichentisch herum und lehnte sich neben Henric an das Geländer.
„Was soll ich tun, Andreos?“
Andreos stutzte einen Moment, denn der König hatte ihn, obwohl er ihn sehr schätzte, noch nie mit seinem Vornamen angesprochen.
„All diese Menschen“, sagte er und ließ seinen Blick über die erleuchteten Häuser unter ihm schweifen. „Sie erwarten, dass ich sie rette, sie führe, aber wie soll ich das machen, wenn ich diese unaufhaltsame... 'Horde' gegen mich habe?“
„Was sie erwarten“, sagte Andreos „ist, dass ihr irgendetwas unternehmt. Es geht weniger darum, was Ihr tut, es geht eher darum, dass Ihr überhaupt etwas tut.“
„Ja, aber was soll ich unternehmen? Glaubt ihr, wir können die Horde aufhalten?“
Andreos fühlte, dass sich sein König nach Zuspruch sehnte, allerdings konnte er es nicht vor sich verantworten, ihm falsche Hoffnungen zu machen.
„Nein“, sagte Andreos. „Das können wir nicht.“
Henric nickte und wandte seinen Blick wieder auf die Stadt.
„Allerdings... wenn dieser Schwarzkiel recht hat...“
Henric wandte sich Andreos zu. „Ihr habt wieder mit Schwarzkiel geredet?“
Andreos lief leicht rot an. „Ja, Sire. Und wenn er Recht hat haben wir eine einmalige Gelegenheit, die Horde mit einem Schlag zu stoppen.“
Cornelius Karkaday hasste es, wenn man etwas von ihm erwartete, was er unmöglich erfüllen konnte, doch genau das war jetzt der Fall. Seit sein Großvater Aldus, ein Inquisitor der Aureanskirche, irgendeinen Nekromanten getötet hatte, der vor Jahren die Stadt Greifental bedroht hatte war die Familie Karkaday in Greifental so etwas wie heilig. Der Respekt, den man ihm entgegen brachte war zwar durchaus angenehm, allerdings hatte die Verehrung seines Großvaters in den letzten Jahren extreme Züge angenommen, die gesamte Bevölkerung schien eine Heldentat von Cornelius zu erwarten.
Wie auch sein Vater, der kurz nach Cornelius' Geburt mit seiner Frau nach Adamant gegangen war und Cornelius bei einer Tante gelassen hatte, war Cornelius der königlichen Armee beigetreten, um dem Erwartungsdruck der Greifentaler zu entfliehen. Jahrelang hatte er an den Westgrenzen des Reiches gegen die feindlichen Armeen aus Stalvard und Tardun gekämpft, war nach dem Waffenstillstand allerdings als Garnisonskommandant in seine Heimatstand zurückbeordert worden, was er nach wie vor für einen grausamen Scherz hielt.
Nachdenklich betrachtete er sein Spiegelbild im Fenster des Kommandantenbüros der Garnison. Er konnte sich gar nicht daran erinnern, so alt zu sein, vielleicht war es auch nur das schmutzige Glas. Sein strubbliger brauner Haarschopf schien bereits die ersten grauen Haare hervorgebracht zu haben, sein Bart sah ziemlich zerzaust aus, es war das Bild eines Mannes, der seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen hatte.
Genau genommen war es so gewesen, denn mit jedem Tag rückte die Horde näher.
„Herr Karkaday“, sagte eine Stimme hinter ihm. Einer seiner Offiziere hatte den Raum betreten. Karkaday hatte es nicht gemerkt.
„Ja?“
„Der Junge ist soweit. Soll ich ihn rein schicken?“
„Bitte.“
Der Offizier öffnete die Türe und ließ einen jungen Mann herein. Er trug ein schlichtes weißes Leinenhemd und eine braune Hose. Seine Kleidung standen im starken Gegensatz zu seiner restlichen Erscheinung, Karkaday konnte sich nicht erinnern, jemals einen Menschen gesehen zu haben, der mitgenommener wirkte.
Das schulterlange blonde Haar war schmutzig und verfilzt. Immerhin hatte er sich den Schmutz und das getrocknete Blut abgewaschen, als er vor ungefähr zwei Stunden in Greifental angekommen war war er geradezu verkrustet davon gewesen und hatte außerdem durchdringend gestunken.
„Setz dich“, sagte Karkaday freundlich und wies auf einen niedrigen Tisch, an dem zwei Stühle standen. Der Junge setzte sich, während Karkaday stehen blieb.
„Wie war dein Name nochmal?“
„Henric. Henric Sichelschmied.“
Karkaday verschränkte die Arme und taxierte Henric einen Moment lang. Henric hatte behauptet, von den Orks gefangen genommen zu sein. Karkaday konnte sich nur schwer vorstellen, dass die Orks Gefangene machten, und noch weniger, dass sie sie wieder freilassen würden, doch er konnte es in seiner gegenwärtigen Lage nicht riskieren, Henric nicht zu glauben.
„Ich würde eure Geschichte gerne noch einmal selbst hören, wenn es euch nichts ausmacht“, sagte Karkaday. „Vielleicht verstehe ich eure Lage dann besser.“
Henric seufzte. „Wir haben eigentlich keine Zeit für so etwas, Herr. Ich muss schnellstens nach Falkentor.“
„Es wird nicht lange dauern“, sagte Karkaday.
„Also gut“, sagte Henric. „Ich war Offizier von Kommandant Heron Kelbos in Grindelfels, als die Orks die Festung angriffen. Sie haben die Burg im Sturm genommen und alle getötet.“
„Warum haben sie euch verschont?“
„Sie sagten mir, ich hätte einen ihrer mächtigsten Krieger getötet. Ich schätze, das habe ich tatsächlich, das war aber pures Glück.“
„Und weiter?“
Henric zuckte die Schultern. „Viel gibt es eigentlich nicht mehr zu sagen. Die nächsten drei Tage habe ich quasi mit verbundenen Augen verbracht, dann hat mich ihr Kriegshäuptling zu sich rufen lassen und mir einen Auftrag erteilt.“
„Was für einen Auftrag?“
„Ich soll dem König die Aufforderung zur Kapitulation überbringen.“
Karkaday lehnte sich an die Wand und musterte Henric erneut. Was er sagte hörte sich nicht nach dem an, was er bis jetzt über Orks gehört hatte, aber er konnte sich in diesem Fall nur auf sein Bauchgefühl verlassen, das ihm riet, Henric zu vertrauen.
„Ich verstehe“, sagte Karkaday. „Ihr seht erschöpft aus, einer Meiner Leute kann diesen Auftrag für euch übernehmen.“
Henric lächelte müde. „Nichts für ungut, Herr Karkaday, aber ich denke, ich kann dem König diese Sache besser näher bringen als einer eurer Soldaten.“
„Ich verstehe.“ Karkaday dachte einen Moment nach. „Wir werden euch was richtiges zum Anziehen besorgen. Und ein neues Pferd. Ruht euch solange aus, wenn ihr auf dem Weg nach Falkentor schlapp macht ist niemandem geholfen.“
„Ich würde gerne so schnell wie möglich aufbrechen.“ Henric schien für einen Moment zu zögern. „Der Kriegshäuptling hat mir gesagt, dass er die Horde erneut teilen wird. Ein Teil wird auf Falkentor zu marschieren, und wahrscheinlich ist Greifental das nächste Ziel des anderen Teils.“
Die Schlacht war vorüber und eine tödliche Stille hatte sich über die Siedlung Thalgarad gelegt, die Uthruk jetzt erkundete. Die Zwerge waren würdige Gegner gewesen und hatten mehr Krieger getötet, als Uthruk erwartet hätte. Während er durch die leichengepflasterten Hallen lief kam er nicht umhin, die Baukunst der Zwerge zu bewundern.
Die eigentliche Stadt Thalgarad bestand aus sieben ringförmigen Plateaus, die auf unterschiedlichen Tiefen in den Berg gemeißelt waren. An den Wänden dieser Plateus befanden sich komplette Hausfassaden, die in die Behausungen der Zwerge führten. Das alles zu bauen musste hunderte Jahre gedauert haben.
„Häuptling“, rief Gorrath, der, eben, gefolgt von Turgol aus einem der zahlreichen Tunnel aufgetaucht, auf Uthruk zugerannt kam. „Die Überlebenden sind in die Tunnel geflohen und haben sie hinter sich versiegelt. Keine Chance, sie zu verfolgen.“
„Das heißt, dass Isenwerk bald alarmiert sein wird“, sagte Turgol. „Und glaubt mir, Ork, an Isenwerk werdet sogar Ihr euch die Zähne ausbeißen.“
„Unsinn“, sagte Gorrath mit einem überheblichen Grinsen und schlug sich mit der Faust auf die Brust. „Niemand kann der Macht der Horde standhalten.“
„Das sagt ihr nur weil ihr keine Ahnung habt, wovon ihr redet“, antwortete Turgol mit einem gehässig verständnisvollen Lächeln. „Die Festung hat drei Tore, die noch dicker sind als das von Thalgarad. Und zwischen jedem dieser Tore befinden sich zwanzig Meter Straße. Stellt euch vor, ohne Deckungsmöglichkeit vorzurücken während Pfeile und Feuer auf euch regnen, bis ihr überhaupt erst zu den Schmieden gelangt. Der Weg in die eigentliche Stadt ist noch besser geschützt. Isenwerk kann nicht erobert werden, Ork. Nicht von euch, und auch nicht von niemandem sonst.“
„Der Zwerg hat keine Ahnung von unserer wahren Stärke“, sagte Gorrath auf Orkisch. „Ich denke nicht, dass wir etwas auf seine Meinung geben müssen.“
„Kennt Ihr Isenwerk?“, gab Uthruk, ebenfalls auf orkisch, zurück. „Nein, das tut ihr nicht. Ich auch nicht. Das Wort des Zwergen ist alles, was wir haben und es gibt keinen Grund, ihm nicht zu glauben.“
Gorrath zuckte mit den Schultern. „Die Befehle des Kriegshäuptling sind eindeutig, er hat gesagt...“
„Er hat uns gesagt, wir sollen das Reich der Zwerge erobern. Er hat nicht gesagt, dass wir für nichts sterben sollen.“
„Es ist eure Entscheidung.“
Uthruk wandte sich wieder Turgol zu der, sichtlich verärgert darüber, dass man in seiner Gegenwart eine offenbar wichtige Unterhaltung in einer Sprache führte, die er nicht verstand, die Arme verschränkt hatte.
„Turgol“, sagte Uthruk. „Werdet Ihr uns bei einem Angriff auf Isenwerk beistehen?“
Turgol schüttelte den Kopf. „Nein, Ork. Meine Leute würden zwar, wenn sie könnten, jeden einzelnen der Verräter töten, aber Isenwerk ist nicht zu nehmen. Sie werden Isenwerk auch nicht verlassen, und sie auszuhungern wird Jahrzehnte dauern.“
Uthruk wandte sich Gorrath zu. „Dann ist es beschlossen. Dies ist ein Kampf, den wir nicht führen werden.“
„Dann trennen sich unsere Wege hier“, sagte Turgol und nickte höflich. „Ich werde meine Männer zusammen rufen und wir werden uns zurück ziehen.“
„Seid Ihr sicher, dass Ihr euch nicht an unserem Feldzug beteiligen wollt“, fragte Uthruk. „Ihr seid hervorragende Kämpfer und wir können jeden Mann brauchen.“
Turgol schüttelte den Kopf. „Nein, Ork. Wir haben uns geholfen weil wir Isenwerk an eurer Seite einen schweren Schlag versetzen konnten. Ab jetzt, fürchte ich, seid ihr wieder ein potentieller Feind.“
Henric von Falkentor stand auf dem hölzernen Balkon, der aus dem Speisesaal von Schloss Falkentor ragte und betrachtete das Meer aus Lichtern unter ihm. Jeder Haushalt in Falkentor, so schien es jedenfalls, hatte eine Kerze ins Fenster gestellt, zum Gedenken an die Gefallenen von Grindelfels, Vargstein, Kornhaven, mittlerweile mochte die Liste bereits länger sein, Henric wusste es nicht. Drei Tage waren vergangen seit ein gewisser Henric Sichelschmied in Falkentor aufgetaucht war, mit einer Nachricht des Kriegshäuptlings der Orks und einem Schreiben von Garnisonskommandant Karkaday, in dem er sich für die Glaubwürdigkeit des Jungen verbürgte. Drei Tage, in denen Ratlosigkeit und Verantwortungsdruck schwer auf seinen Schultern gelastet hatten.
„Sire?“, fragte eine Stimme hinter ihm. Henric drehte sich um und sah General Darvik im Türrahmen stehen.
„General Darvik.“
Darvik trug seine volle Rüstung, Henric bezweifelte, dass er sie seit der Beratung am Vormittag abgelegt hatte.
„Ich wollte mit euch reden und euer Kammerdiener hat mir gesagt dass ihr hier irgendwo seid.“
„Ich rede gern mit euch. Kommt nur herüber.“
Darvik kam um den großen Eichentisch herum und lehnte sich neben Henric an das Geländer.
„Was soll ich tun, Andreos?“
Andreos stutzte einen Moment, denn der König hatte ihn, obwohl er ihn sehr schätzte, noch nie mit seinem Vornamen angesprochen.
„All diese Menschen“, sagte er und ließ seinen Blick über die erleuchteten Häuser unter ihm schweifen. „Sie erwarten, dass ich sie rette, sie führe, aber wie soll ich das machen, wenn ich diese unaufhaltsame... 'Horde' gegen mich habe?“
„Was sie erwarten“, sagte Andreos „ist, dass ihr irgendetwas unternehmt. Es geht weniger darum, was Ihr tut, es geht eher darum, dass Ihr überhaupt etwas tut.“
„Ja, aber was soll ich unternehmen? Glaubt ihr, wir können die Horde aufhalten?“
Andreos fühlte, dass sich sein König nach Zuspruch sehnte, allerdings konnte er es nicht vor sich verantworten, ihm falsche Hoffnungen zu machen.
„Nein“, sagte Andreos. „Das können wir nicht.“
Henric nickte und wandte seinen Blick wieder auf die Stadt.
„Allerdings... wenn dieser Schwarzkiel recht hat...“
Henric wandte sich Andreos zu. „Ihr habt wieder mit Schwarzkiel geredet?“
Andreos lief leicht rot an. „Ja, Sire. Und wenn er Recht hat haben wir eine einmalige Gelegenheit, die Horde mit einem Schlag zu stoppen.“
5.) Warum wir kämpfen
Mor'gosh war mittlerweile klar, warum die Region, die sie durchqueren wollten „Nordwall“ genannt wurde, doch dieser Name wurde ihr nicht gerecht, denn es war gewiss einfacher, den Wall einer Festung zu überwinden. Nordwall bestand aus zwei Ebenen, einem Hochplateau, auf dem der Schnee nie schmolz, auf dem eisige Winde wehten und auf dem man sich unmöglich orientieren konnte. Der einzige Weg durch diese Lebensfeindliche Einöde war eine gewundene Schlucht im Osten der Ebene, die die Nordmänner von jenseits des Nordwalls allerdings unglaublich gut befestigt hatten. Seit Tagen schon kämpften sie schon um jeden Zentimeter Boden, doch sie kamen nur schwer vorwärts, denn hinter jedem Geröllbrocken und auf jedem Felsvorsprung schien sich ein mit Bogenschützen besetzter Holzverschlag zu befinden. Mor'goshs Angriffstrupp war bereits beinahe aufgerieben worden und er hegte die Befürchtung, dass Nordwall die Horde so viele Krieger kosten könnte, dass sie bei der Eroberung der Länder der Norsen Schwierigkeiten bekommen könnten.
Mor'gosh schritt die Reihen der Verwundeten ab, die der letzte Kampf hinterlassen hatte. Die Norsen hatten sie mit Pfeilen beschossen und waren geflohen, bevor sie einen hatten töten können. Generell war das Verhältnis der besiegten Gegner bis jetzt frustrierend gering gewesen.
Das Gebrüll eines wilden Tieres hallte durch die Schlucht, gefolgt von ein paar Rufen der Krieger und im nächsten Moment preschte ein Wargreiter hinter einer Windung hervor, brachte das Tier zum stehen und sprang ab.
„Man sagte mir, der Subrok sei hier vorne.“
„Ich bin der Subrok“, sagte Mor'gosh. „Wer seid Ihr?“
Der Ork salutierte, indem er sich auf die Brustplatte klopfte.
„Uthruk von den Stachelrücken schickt mich“, sagte er. „Wir haben entschieden, die Stadt der Zwerge links liegen zu lassen und euch hier zu unterstützen. Uthruk wird in wenigen Tagen hier ankommen.“ Der Ork grinste. „Und er wird die Wargreiter mitbringen.“
Das war die beste Nachricht, die Mor'gosh seit Tagen gehört hatte.
„Wir postieren eine zweite Reihe Bogenschützen oberhalb des Torhauses“, rief Karkaday, während er über den Wehrgang schritt. „Versucht, die Katapulte so zu postieren, dass wir die Horde damit beschießen können, aber wir sollten sie auch schnell genug verbrennen können, bevor sie die Horde an sich reißen kann.“
Um ihn herum rannten Soldaten umher, um seine Befehle auszuführen. Landbüttel hatten die Vorhut der Horde bei einer kleinen Gemeinde im Nordosten gesehen, es war nur noch eine Frage von Stunden, bis sie in Greifental eintraf, und Karkaday wollte es ihnen so schwer wie möglich machen. Nachdem er die Truppen auf der Stadtmauer inspiziert hatte kehrte er auf den Marktplatz zurück, der kurz hinter der Stadtmauer lag. Der Hauptmann der ersten Wachkompanie, ein drahtiger Mann namens Raphael Harpner, sowie der Stadtarchitekt, eine große, dünne Gestalt namens Luther Octavius, unterhielten sich gerade.
„Habt Ihr noch eine Idee für die zusätzliche Stabilisierung der Verteidigungsanlagen, Luther?“
Octavius schüttelte den Kopf. „Nicht mehr als die Holzverschläge, die wir bereits angebracht haben. Was wir haben muss reichen.“
„Raphael?“
„Wir haben alle bewaffnet, die sich freiwillig gemeldet haben, Sire“, sagte Harpner. „Allerdings verstehe ich nicht, warum wir nicht einfach alle waffenfähigen Männer eingezogen haben.“
„Weil ich es von diesen Leuten nicht verlangen kann, für Greifental zu sterben, wenn sie nicht wollen“, sagte Karkaday.
Harpner zuckte mit den Schultern, zog eine Karte aus seinem Gürtel und begann, sie zu studieren.
„Wie steht es mit der Evakuierung?“
„Alle Einwohner, die wollten, haben wir nach Süden geschickt“, sagte Harpner, ohne den Blick von der Karte abzuwenden. „Die anderen wurden angewiesen, sich vor dem Rathaus zu versammeln.“
„Sehr gut.“ Karkaday wandte sich nun an beide. „Gibt es Ihrer Meinung sonst noch etwas, das wir tun können meine Herren?“
Harpner und Octavius sahen sich an. „Nein, Sire“, sagte Octavius. „Nach meiner Einschätzung nicht.“
Karkaday nickte grimmig. „Dann lassen wir sie kommen.“
Vokrash saß auf einem Baumstumpf und streichelte nachdenklich seinen Warg, der neben ihm auf der Erde lag und döste. Er hatte auf einem Hügel, auf dem ein paar Tannen wuchsen Quartier bezogen. Von hier hatte er einen guten Blick auf die Stadt Greifental, die das nächste Ziel der Horde darstellte. Vokrash hatte die Stadt schon mit einem gestohlenen Fernrohr untersucht, wollte allerdings noch auf die Einschätzung der Späher warten.
Am Fuße des Hügels tauchte Skirrak aus der Menge der wartenden Krieger auf und kletterte den Hügel empor.
„Ich höre“, knurrte Vokrash.
„Die Stadt ist gut befestigt“, sagte Skirrak. „Besser als diese andere Festung.“
„Wie ist sie verteidigt?“
„Hohe Wälle, viele Bogenschützen, quasi der komplette Wall ist besetzt. Wir kommen höchstens mit Leitern hoch, aber das wird nicht einfach.“
„Vorschläge?“
„Wir können zuerst ihre Reihen ausdünnen, bevor wir Leitern an den Wall setzen“, sagte Skirrak. „Aber hohe Verluste werden wir so oder so hinnehmen müssen.“
„Gut gemacht, Skirrak. Schick mir die Häuptlings hier hoch.“
Skirrak verbeugte sich und rannte den Hügel herunter.
Es war dunkel geworden und die Horde hatte Fackeln angezündet. Unzählige Lichtpunkte, und jeder für sich bedrohlich, bewegten sich jetzt auf Greifental zu. Karkaday hatte an der Seite Harpners auf dem Torhaus Stellung bezogen. Mit verschränkten Armen stand er vor einem Falkenbanner, dass er am Tor hatte befestigen lassen. Wie der Kampf auch ausgehen mochte, sie würden den Orks einen würdigen Kampf liefern.
Die Horde marschierte ihn geordneten Reihen auf die Stadtmauer zu, was Karkaday verwunderte, denn derartige Disziplin hätte er ihr nicht unbedingt zugetraut. Jemand brüllte einen Befehl. Augenblicklich blieb die Horde stehen und die erste Reihe hob ihre Schilde.
„Lasst sie noch ein Stück herankommen“, sagte Karkaday laut. „Schickt ihnen auf meinen Befehl einen Pfeilhagel.“
Überall auf der Mauer wurden Bögen und Armbrüste gespannt. Karkaday zog sein Schwert.
Ein weiterer Befehl aus der Horde und die Orks bewegten sich langsam auf den Wall zu.
„Wartet... Wartet... Feuer!“
Diesen Befehl schrie Karkaday heraus, so laut er konnte. Ein Pfeilhagel prasselte auf die Horde hoch, allerdings hatten viele Orks kleine Kampfschilde, die sie rechtzeitig gehoben hatten. Karkaday fluchte. „Feuer Frei!“
Pfeil um Pfeil fand sein Ziel, jedoch schien das die Horde aufgrund ihrer schieren Zahl nicht großartig zu beeindrucken. Sie hatten den Wall erreicht und nun begannen ihre Schützen, die Menschen auf den Wällen unter Beschuss zu nehmen. Während sie die Verteidiger durch Sperrfeuer in die Deckung zwangen erhoben sich Leitern aus der Horde. Kaum hatten diese die Mauern erreicht, begannen die Orks auch schon damit, hoch zu klettern.
Karkaday, der sich unter den Zinnen geduckt hatte sprang auf, machte einen großen Satz zu der Leiter, die ihm am nächsten war und stieß sie mit einem Fußtritt um, bevor der erste Ork die Mauer erreicht hatte, allerdings durchbohrte ein Orkpfeil keine Sekunde später seine linke Schulter. Fluchend tauchte er wieder unter die Zinnen.
„Cornelius“, rief Harpner, der in der Deckung der Zinnen auf ihn zu kroch. „Ist alles in Ordnung?“
„Ich lebe noch“, rief Karkaday zurück, während er die Zähne zusammen biss und den Pfeil aus seiner Schulter zog.
„Ihr solltet zurück nach unten“, sagte Harpner. „Wir kommen hier oben klar.“
„Sicher?“
„Absolut sicher. Lasst Euch das verbinden.“
Karkaday nickte ihm zu und kroch dann zur nächstbesten Walltreppe.
Wieder und wieder hämmerte der Rammbock gegen das Tor, das immer noch hielt, obwohl die ersten Splitter schon auf dem Boden lagen. Um ihn herum starben seine Brüder, wurden von Pfeilen getroffen oder von Steinen, die von den Verteidigern heruntergeworfen wurden, doch Maruz kümmerte es nicht. Hinter ihm drängte sich die Horde in Erwartung auf den Kampf, der sie im Inneren der Stadt erwarten würde.
Das Tor brach. Die Krieger ließen den Rammbock fallen und stürmten hinein, Maruz vorneweg. Hinter dem Tor befand sich ein weitläufiger Platz, der von mehrstöckigen Fachwerkhäusern eingerahmt war. Die Menschen hatten einen Schildwall gebildet, der den Orks den Weg versperren sollte, worüber Maruz nur grinsen konnte. Er zog seine Äxte und stieß einen Kriegsschrei aus. Er war zuhause. Er und seine Brüder stürmten los, auf die Reihen der Menschen zu.
„Jetzt!“, rief einer von ihnen. Die Schildträger der ersten Reihe fielen auf die Knie und offenbarten eine Reihe von Armbrustschützen, die nun eine Salve auf die Orks abschossen. Einer der Pfeile schoss direkt auf Maruz' Stirn zu und durchbohrte seinen Kopf. Maruz kippte nach hinten um und begrub dabei einen Goblin, unter sich, der hinter ihm gelaufen war.
Karkaday hatte sich seine Wunde notdürftig verarzten lassen und hatte sich wieder dem Kampf auf dem Marktplatz angeschlossen. Der Schildwall war natürlich längst gebrochen, doch die Verteidiger leisteten außerordentlich zähen Widerstand, allerdings waren immer mehr gezwungen, in die Straßen auszuweichen, da die Horde unaufhaltsam in die Stadt drängte.
Er selbst hatte sich einer kleinen Gruppe von Soldaten angeschlossen und führte nun verbitterte Rückzugsgefechte nach Westen, zum Kirchplatz, an dessen Eingang einige Wachsoldaten notdürftige Barrikaden errichtet hatten. In dem ganzen Chaos gelang es ihm, einen Wachoffizier ausfindig zu machen.
„Bericht“, sagte Karkaday knapp.
„Wir haben ein paar Zivilsten aufgegabelt, sie sind in der Kirche.“
„Wieviele?“
„Ungefähr zehn.“
„Irgendwas neues von Harpner?“
„Nein, Herr, aber ich habe ihn vorhin mit Octavius in Richtung Rathaus gehen sehen.“
Karkaday zog die Augenbrauen hoch. „Was wollen sie am Rathaus?“
„Ich weiß es nicht, Herr.“
Karkaday nickte. „Gut, danke für die Informationen.“
„Cornelius!“
Ein hochgewachsener alter Mann in einem Kettenhemd und einem etwas abgewetzten Armeewappenrock kam auf ihn zugehinkt und Cornelius erkannte Serpius Valentin, der vor ihm die Greifentaler Garnison kommandiert hatte.
„Serpius“, sagte Cornelius überrascht. „Ich dachte ihr wärt geflohen.“
Augenblicklich wurde Cornelius klar, dass er Serpius mit der Unterstellung, er hätte Greifental im Angesicht des Feindes verlassen, beleidigt hatte und er senkte den Blick.
„Ich werde Greifental niemals verlassen, wenn es in Gefahr ist“, sagte er. „Ganz besonders nicht, wenn die Gefahr groß ist.“
„Habt ihr den Kirchplatz verbarrikadieren lassen?“
„Ja.“
„Gut gemacht. Ich fürchte nur dass es nicht viel bringen wird, die Orks sind einfach zu zahlreich.“
„Mir ist durchaus klar, dass wir diesen Kampf nicht gewinnen können, Cornelius“, sagte Serpius. „Allerdings haben wir nicht vor, es den Orks einfach zu machen. Ich jedenfalls, ich weiß nicht, wie ihr das seht.“
Karkaday schätzte Serpius zwar, allerdings hatte er mit fortschreitendem Alter eine gewisse kauzige Überheblichkeit entwickelt, die Karkaday ihm in den meisten Fällen zwar gönnte, die in der derzeitigen Situation allerdings nicht sonderlich produktiv war.
„Ich werde mal einen Blick in die Kirche werfen“, sagte Karkaday. Serpius nickte.
„Nur zu.“ In seiner Stimme schwang leichte Verachtung mit, die Karkaday allerdings ignorierte, da er derartige Stimmungsschwankungen von Serpius gewöhnt war.
Die Kirche war ein längliches Gebäude, das zum der Tür gegenüberliegenden Ende ein sachte geschwungenes Dreieck beschrieb. Die Holzbänke, die sonst immer hier standen hatte man offenbar nach draußen getragen und in den Barrikaden verbaut. Elf Bürger, Männer und Frauen jeden Alters, saßen auf dem Boden, beschützt von fünf Soldaten.
„Seht, da ist Herr Karkaday“, sagte eine alte Frau, als sie Karkaday erkannte. „Ihr werdet uns beschützen. Das werdet Ihr doch, oder?“
„Ja“, sagte Karkaday. „Ich werde euch beschützen.“ Sie dabei anzusehen ertrug er nicht. Wie als würde er hoffen, in der Kirche einen Ausweg aus ihrer hoffnungslosen Lage zu finden, sah er sich um. Die Kirche war ein prunkvolles Gebäude mit einer hohen Decke und Buntglasfenstern, die die jungen Götter zeigten. Das größte befand sich am Ende des Raumes über dem Altar und zeigte Aurean. Ein großes Auge war auf die Decke gemalt, das Symbol Vaters. Karkaday wusste, dass die Kirche noch aus der Zeit des Imperiums stammte, aus einer Zeit, bevor der Kaiser in einem Bürgerkrieg gestürzt wurde, der schließlich die drei Königreiche Stalvard, Falkentor und Tardun hervor gebracht hatte, und lange vor dem Bescheidenheitserlass des Ordus Aira.
Knarrend wurde die Türe aufgezogen. Es waren Raphael Harpner und Luther Octavius.
„Raphael“, rief Karkaday erleichtert. „Ihr seid am Leben. Wo wart ihr?“
„Der Herr Architekt musste unbedingt ins Stadtarchiv“, sagte Harpner mit einem Kopfnicken in Richtung Octavius, der eine sehr große Pergamentrolle unter den Arm geklemmt hatte. „Er meinte, er hätte was wichtiges entdeckt.“
„Das habe ich in der Tat“, sagte Octavius. Er kniete sich hin und entrollte das Pergament. Es war wirklich sehr groß, beinahe zwei Meter in der Länge und einen Meter in der Breite. Es war offensichtlich eine Straßenkarte von Greifental, allerdings konnte sie nicht sehr aktuell sein, denn die Randbezirke waren in der Zwischenzeit stark angewachsen. Außerdem irritierte Karkaday, dass überall auf dem Plan scheinbar völlig willkürlich dicke rote Linien eingezeichnet waren.
„Was ist das, Luther?“, fragte Karkaday skeptisch.
„Ein alter Stadtplan“, sagte Octavius und deutete auf eine Jahreszahl, die jemand in eine Ecke gekritzelt hatte. Sollte sie stimmen stammte diese Karte aus der Mitte des ersten Zeitalters und war somit fast tausend Jahre alt.
„Und eine tausend Jahre alte Stadtkarte soll unser aller Rettung sein?“, fragte Karkaday nicht minder skeptisch.
„Indirekt ja“, sagte Octavius und deutete auf einer der roten Linien.
„Wisst ihr, was das ist?“
„Ein roter Strich?“
„Das sind Abwasserkanäle.“
Karkaday zog eine Augenbraue hoch. „Abwasserkanäle?“
„Abwasserkanäle“, wiederholte Octavius. „Falls ihr aufgepasst habt, als in der Schule Historie gelehrt wurde, während des Bürgerkriegs wurde Greifental von kaisertreuen Truppen nahezu vollständig zerstört. Viele Abwasserkanäle brachen dabei ein und nahmen ganze Häuserblocks mit. Die Löcher wurden wieder aufgefüllt und man baute einfach die Stadt über den Abwasserkanälen wieder auf. Sie gerieten in Vergessenheit.“
„Und warum wisst ihr auf einmal davon?“
„Es ist mir vorhin eingefallen“, sagte Octavius. „Reiner Zufall. Es war eine Randnotiz in einem Buch, das ich kürzlich gelesen habe. Es gibt hier am Kirchplatz noch irgendwo einen Eingang.“
„Sagtet ihr nicht, die Abwasserkanäle seien eingestürzt?“
Octavius schüttelte den Kopf. „Mit Verlaub, Sire, ihr kennt diese Stadt nicht so gut wie ich. Eingestürzt sind vor Allem Partien im Osten der Stadt, aber hier dürfte das Netz weitgehend intakt geblieben sein, ich kann mich an keine erwähnenswerten Grundabsenkungen in den letzten tausend Jahren erinnern.“
Karkaday sah immer noch nicht überzeugt aus
„Vielleicht ist es riskant“, sagte Octavius so leise, dass nur Karkaday und Harpner ihn hören konnten. „Aber es ist der einzige Weg, das Leben dieser Leute zu retten. Und wir kämpfen doch nur deswegen, oder?“
„Ja“, sagte Karkaday nachdenklich. „Deswegen kämpfen wir.“
Mor'gosh war mittlerweile klar, warum die Region, die sie durchqueren wollten „Nordwall“ genannt wurde, doch dieser Name wurde ihr nicht gerecht, denn es war gewiss einfacher, den Wall einer Festung zu überwinden. Nordwall bestand aus zwei Ebenen, einem Hochplateau, auf dem der Schnee nie schmolz, auf dem eisige Winde wehten und auf dem man sich unmöglich orientieren konnte. Der einzige Weg durch diese Lebensfeindliche Einöde war eine gewundene Schlucht im Osten der Ebene, die die Nordmänner von jenseits des Nordwalls allerdings unglaublich gut befestigt hatten. Seit Tagen schon kämpften sie schon um jeden Zentimeter Boden, doch sie kamen nur schwer vorwärts, denn hinter jedem Geröllbrocken und auf jedem Felsvorsprung schien sich ein mit Bogenschützen besetzter Holzverschlag zu befinden. Mor'goshs Angriffstrupp war bereits beinahe aufgerieben worden und er hegte die Befürchtung, dass Nordwall die Horde so viele Krieger kosten könnte, dass sie bei der Eroberung der Länder der Norsen Schwierigkeiten bekommen könnten.
Mor'gosh schritt die Reihen der Verwundeten ab, die der letzte Kampf hinterlassen hatte. Die Norsen hatten sie mit Pfeilen beschossen und waren geflohen, bevor sie einen hatten töten können. Generell war das Verhältnis der besiegten Gegner bis jetzt frustrierend gering gewesen.
Das Gebrüll eines wilden Tieres hallte durch die Schlucht, gefolgt von ein paar Rufen der Krieger und im nächsten Moment preschte ein Wargreiter hinter einer Windung hervor, brachte das Tier zum stehen und sprang ab.
„Man sagte mir, der Subrok sei hier vorne.“
„Ich bin der Subrok“, sagte Mor'gosh. „Wer seid Ihr?“
Der Ork salutierte, indem er sich auf die Brustplatte klopfte.
„Uthruk von den Stachelrücken schickt mich“, sagte er. „Wir haben entschieden, die Stadt der Zwerge links liegen zu lassen und euch hier zu unterstützen. Uthruk wird in wenigen Tagen hier ankommen.“ Der Ork grinste. „Und er wird die Wargreiter mitbringen.“
Das war die beste Nachricht, die Mor'gosh seit Tagen gehört hatte.
„Wir postieren eine zweite Reihe Bogenschützen oberhalb des Torhauses“, rief Karkaday, während er über den Wehrgang schritt. „Versucht, die Katapulte so zu postieren, dass wir die Horde damit beschießen können, aber wir sollten sie auch schnell genug verbrennen können, bevor sie die Horde an sich reißen kann.“
Um ihn herum rannten Soldaten umher, um seine Befehle auszuführen. Landbüttel hatten die Vorhut der Horde bei einer kleinen Gemeinde im Nordosten gesehen, es war nur noch eine Frage von Stunden, bis sie in Greifental eintraf, und Karkaday wollte es ihnen so schwer wie möglich machen. Nachdem er die Truppen auf der Stadtmauer inspiziert hatte kehrte er auf den Marktplatz zurück, der kurz hinter der Stadtmauer lag. Der Hauptmann der ersten Wachkompanie, ein drahtiger Mann namens Raphael Harpner, sowie der Stadtarchitekt, eine große, dünne Gestalt namens Luther Octavius, unterhielten sich gerade.
„Habt Ihr noch eine Idee für die zusätzliche Stabilisierung der Verteidigungsanlagen, Luther?“
Octavius schüttelte den Kopf. „Nicht mehr als die Holzverschläge, die wir bereits angebracht haben. Was wir haben muss reichen.“
„Raphael?“
„Wir haben alle bewaffnet, die sich freiwillig gemeldet haben, Sire“, sagte Harpner. „Allerdings verstehe ich nicht, warum wir nicht einfach alle waffenfähigen Männer eingezogen haben.“
„Weil ich es von diesen Leuten nicht verlangen kann, für Greifental zu sterben, wenn sie nicht wollen“, sagte Karkaday.
Harpner zuckte mit den Schultern, zog eine Karte aus seinem Gürtel und begann, sie zu studieren.
„Wie steht es mit der Evakuierung?“
„Alle Einwohner, die wollten, haben wir nach Süden geschickt“, sagte Harpner, ohne den Blick von der Karte abzuwenden. „Die anderen wurden angewiesen, sich vor dem Rathaus zu versammeln.“
„Sehr gut.“ Karkaday wandte sich nun an beide. „Gibt es Ihrer Meinung sonst noch etwas, das wir tun können meine Herren?“
Harpner und Octavius sahen sich an. „Nein, Sire“, sagte Octavius. „Nach meiner Einschätzung nicht.“
Karkaday nickte grimmig. „Dann lassen wir sie kommen.“
Vokrash saß auf einem Baumstumpf und streichelte nachdenklich seinen Warg, der neben ihm auf der Erde lag und döste. Er hatte auf einem Hügel, auf dem ein paar Tannen wuchsen Quartier bezogen. Von hier hatte er einen guten Blick auf die Stadt Greifental, die das nächste Ziel der Horde darstellte. Vokrash hatte die Stadt schon mit einem gestohlenen Fernrohr untersucht, wollte allerdings noch auf die Einschätzung der Späher warten.
Am Fuße des Hügels tauchte Skirrak aus der Menge der wartenden Krieger auf und kletterte den Hügel empor.
„Ich höre“, knurrte Vokrash.
„Die Stadt ist gut befestigt“, sagte Skirrak. „Besser als diese andere Festung.“
„Wie ist sie verteidigt?“
„Hohe Wälle, viele Bogenschützen, quasi der komplette Wall ist besetzt. Wir kommen höchstens mit Leitern hoch, aber das wird nicht einfach.“
„Vorschläge?“
„Wir können zuerst ihre Reihen ausdünnen, bevor wir Leitern an den Wall setzen“, sagte Skirrak. „Aber hohe Verluste werden wir so oder so hinnehmen müssen.“
„Gut gemacht, Skirrak. Schick mir die Häuptlings hier hoch.“
Skirrak verbeugte sich und rannte den Hügel herunter.
Es war dunkel geworden und die Horde hatte Fackeln angezündet. Unzählige Lichtpunkte, und jeder für sich bedrohlich, bewegten sich jetzt auf Greifental zu. Karkaday hatte an der Seite Harpners auf dem Torhaus Stellung bezogen. Mit verschränkten Armen stand er vor einem Falkenbanner, dass er am Tor hatte befestigen lassen. Wie der Kampf auch ausgehen mochte, sie würden den Orks einen würdigen Kampf liefern.
Die Horde marschierte ihn geordneten Reihen auf die Stadtmauer zu, was Karkaday verwunderte, denn derartige Disziplin hätte er ihr nicht unbedingt zugetraut. Jemand brüllte einen Befehl. Augenblicklich blieb die Horde stehen und die erste Reihe hob ihre Schilde.
„Lasst sie noch ein Stück herankommen“, sagte Karkaday laut. „Schickt ihnen auf meinen Befehl einen Pfeilhagel.“
Überall auf der Mauer wurden Bögen und Armbrüste gespannt. Karkaday zog sein Schwert.
Ein weiterer Befehl aus der Horde und die Orks bewegten sich langsam auf den Wall zu.
„Wartet... Wartet... Feuer!“
Diesen Befehl schrie Karkaday heraus, so laut er konnte. Ein Pfeilhagel prasselte auf die Horde hoch, allerdings hatten viele Orks kleine Kampfschilde, die sie rechtzeitig gehoben hatten. Karkaday fluchte. „Feuer Frei!“
Pfeil um Pfeil fand sein Ziel, jedoch schien das die Horde aufgrund ihrer schieren Zahl nicht großartig zu beeindrucken. Sie hatten den Wall erreicht und nun begannen ihre Schützen, die Menschen auf den Wällen unter Beschuss zu nehmen. Während sie die Verteidiger durch Sperrfeuer in die Deckung zwangen erhoben sich Leitern aus der Horde. Kaum hatten diese die Mauern erreicht, begannen die Orks auch schon damit, hoch zu klettern.
Karkaday, der sich unter den Zinnen geduckt hatte sprang auf, machte einen großen Satz zu der Leiter, die ihm am nächsten war und stieß sie mit einem Fußtritt um, bevor der erste Ork die Mauer erreicht hatte, allerdings durchbohrte ein Orkpfeil keine Sekunde später seine linke Schulter. Fluchend tauchte er wieder unter die Zinnen.
„Cornelius“, rief Harpner, der in der Deckung der Zinnen auf ihn zu kroch. „Ist alles in Ordnung?“
„Ich lebe noch“, rief Karkaday zurück, während er die Zähne zusammen biss und den Pfeil aus seiner Schulter zog.
„Ihr solltet zurück nach unten“, sagte Harpner. „Wir kommen hier oben klar.“
„Sicher?“
„Absolut sicher. Lasst Euch das verbinden.“
Karkaday nickte ihm zu und kroch dann zur nächstbesten Walltreppe.
Wieder und wieder hämmerte der Rammbock gegen das Tor, das immer noch hielt, obwohl die ersten Splitter schon auf dem Boden lagen. Um ihn herum starben seine Brüder, wurden von Pfeilen getroffen oder von Steinen, die von den Verteidigern heruntergeworfen wurden, doch Maruz kümmerte es nicht. Hinter ihm drängte sich die Horde in Erwartung auf den Kampf, der sie im Inneren der Stadt erwarten würde.
Das Tor brach. Die Krieger ließen den Rammbock fallen und stürmten hinein, Maruz vorneweg. Hinter dem Tor befand sich ein weitläufiger Platz, der von mehrstöckigen Fachwerkhäusern eingerahmt war. Die Menschen hatten einen Schildwall gebildet, der den Orks den Weg versperren sollte, worüber Maruz nur grinsen konnte. Er zog seine Äxte und stieß einen Kriegsschrei aus. Er war zuhause. Er und seine Brüder stürmten los, auf die Reihen der Menschen zu.
„Jetzt!“, rief einer von ihnen. Die Schildträger der ersten Reihe fielen auf die Knie und offenbarten eine Reihe von Armbrustschützen, die nun eine Salve auf die Orks abschossen. Einer der Pfeile schoss direkt auf Maruz' Stirn zu und durchbohrte seinen Kopf. Maruz kippte nach hinten um und begrub dabei einen Goblin, unter sich, der hinter ihm gelaufen war.
Karkaday hatte sich seine Wunde notdürftig verarzten lassen und hatte sich wieder dem Kampf auf dem Marktplatz angeschlossen. Der Schildwall war natürlich längst gebrochen, doch die Verteidiger leisteten außerordentlich zähen Widerstand, allerdings waren immer mehr gezwungen, in die Straßen auszuweichen, da die Horde unaufhaltsam in die Stadt drängte.
Er selbst hatte sich einer kleinen Gruppe von Soldaten angeschlossen und führte nun verbitterte Rückzugsgefechte nach Westen, zum Kirchplatz, an dessen Eingang einige Wachsoldaten notdürftige Barrikaden errichtet hatten. In dem ganzen Chaos gelang es ihm, einen Wachoffizier ausfindig zu machen.
„Bericht“, sagte Karkaday knapp.
„Wir haben ein paar Zivilsten aufgegabelt, sie sind in der Kirche.“
„Wieviele?“
„Ungefähr zehn.“
„Irgendwas neues von Harpner?“
„Nein, Herr, aber ich habe ihn vorhin mit Octavius in Richtung Rathaus gehen sehen.“
Karkaday zog die Augenbrauen hoch. „Was wollen sie am Rathaus?“
„Ich weiß es nicht, Herr.“
Karkaday nickte. „Gut, danke für die Informationen.“
„Cornelius!“
Ein hochgewachsener alter Mann in einem Kettenhemd und einem etwas abgewetzten Armeewappenrock kam auf ihn zugehinkt und Cornelius erkannte Serpius Valentin, der vor ihm die Greifentaler Garnison kommandiert hatte.
„Serpius“, sagte Cornelius überrascht. „Ich dachte ihr wärt geflohen.“
Augenblicklich wurde Cornelius klar, dass er Serpius mit der Unterstellung, er hätte Greifental im Angesicht des Feindes verlassen, beleidigt hatte und er senkte den Blick.
„Ich werde Greifental niemals verlassen, wenn es in Gefahr ist“, sagte er. „Ganz besonders nicht, wenn die Gefahr groß ist.“
„Habt ihr den Kirchplatz verbarrikadieren lassen?“
„Ja.“
„Gut gemacht. Ich fürchte nur dass es nicht viel bringen wird, die Orks sind einfach zu zahlreich.“
„Mir ist durchaus klar, dass wir diesen Kampf nicht gewinnen können, Cornelius“, sagte Serpius. „Allerdings haben wir nicht vor, es den Orks einfach zu machen. Ich jedenfalls, ich weiß nicht, wie ihr das seht.“
Karkaday schätzte Serpius zwar, allerdings hatte er mit fortschreitendem Alter eine gewisse kauzige Überheblichkeit entwickelt, die Karkaday ihm in den meisten Fällen zwar gönnte, die in der derzeitigen Situation allerdings nicht sonderlich produktiv war.
„Ich werde mal einen Blick in die Kirche werfen“, sagte Karkaday. Serpius nickte.
„Nur zu.“ In seiner Stimme schwang leichte Verachtung mit, die Karkaday allerdings ignorierte, da er derartige Stimmungsschwankungen von Serpius gewöhnt war.
Die Kirche war ein längliches Gebäude, das zum der Tür gegenüberliegenden Ende ein sachte geschwungenes Dreieck beschrieb. Die Holzbänke, die sonst immer hier standen hatte man offenbar nach draußen getragen und in den Barrikaden verbaut. Elf Bürger, Männer und Frauen jeden Alters, saßen auf dem Boden, beschützt von fünf Soldaten.
„Seht, da ist Herr Karkaday“, sagte eine alte Frau, als sie Karkaday erkannte. „Ihr werdet uns beschützen. Das werdet Ihr doch, oder?“
„Ja“, sagte Karkaday. „Ich werde euch beschützen.“ Sie dabei anzusehen ertrug er nicht. Wie als würde er hoffen, in der Kirche einen Ausweg aus ihrer hoffnungslosen Lage zu finden, sah er sich um. Die Kirche war ein prunkvolles Gebäude mit einer hohen Decke und Buntglasfenstern, die die jungen Götter zeigten. Das größte befand sich am Ende des Raumes über dem Altar und zeigte Aurean. Ein großes Auge war auf die Decke gemalt, das Symbol Vaters. Karkaday wusste, dass die Kirche noch aus der Zeit des Imperiums stammte, aus einer Zeit, bevor der Kaiser in einem Bürgerkrieg gestürzt wurde, der schließlich die drei Königreiche Stalvard, Falkentor und Tardun hervor gebracht hatte, und lange vor dem Bescheidenheitserlass des Ordus Aira.
Knarrend wurde die Türe aufgezogen. Es waren Raphael Harpner und Luther Octavius.
„Raphael“, rief Karkaday erleichtert. „Ihr seid am Leben. Wo wart ihr?“
„Der Herr Architekt musste unbedingt ins Stadtarchiv“, sagte Harpner mit einem Kopfnicken in Richtung Octavius, der eine sehr große Pergamentrolle unter den Arm geklemmt hatte. „Er meinte, er hätte was wichtiges entdeckt.“
„Das habe ich in der Tat“, sagte Octavius. Er kniete sich hin und entrollte das Pergament. Es war wirklich sehr groß, beinahe zwei Meter in der Länge und einen Meter in der Breite. Es war offensichtlich eine Straßenkarte von Greifental, allerdings konnte sie nicht sehr aktuell sein, denn die Randbezirke waren in der Zwischenzeit stark angewachsen. Außerdem irritierte Karkaday, dass überall auf dem Plan scheinbar völlig willkürlich dicke rote Linien eingezeichnet waren.
„Was ist das, Luther?“, fragte Karkaday skeptisch.
„Ein alter Stadtplan“, sagte Octavius und deutete auf eine Jahreszahl, die jemand in eine Ecke gekritzelt hatte. Sollte sie stimmen stammte diese Karte aus der Mitte des ersten Zeitalters und war somit fast tausend Jahre alt.
„Und eine tausend Jahre alte Stadtkarte soll unser aller Rettung sein?“, fragte Karkaday nicht minder skeptisch.
„Indirekt ja“, sagte Octavius und deutete auf einer der roten Linien.
„Wisst ihr, was das ist?“
„Ein roter Strich?“
„Das sind Abwasserkanäle.“
Karkaday zog eine Augenbraue hoch. „Abwasserkanäle?“
„Abwasserkanäle“, wiederholte Octavius. „Falls ihr aufgepasst habt, als in der Schule Historie gelehrt wurde, während des Bürgerkriegs wurde Greifental von kaisertreuen Truppen nahezu vollständig zerstört. Viele Abwasserkanäle brachen dabei ein und nahmen ganze Häuserblocks mit. Die Löcher wurden wieder aufgefüllt und man baute einfach die Stadt über den Abwasserkanälen wieder auf. Sie gerieten in Vergessenheit.“
„Und warum wisst ihr auf einmal davon?“
„Es ist mir vorhin eingefallen“, sagte Octavius. „Reiner Zufall. Es war eine Randnotiz in einem Buch, das ich kürzlich gelesen habe. Es gibt hier am Kirchplatz noch irgendwo einen Eingang.“
„Sagtet ihr nicht, die Abwasserkanäle seien eingestürzt?“
Octavius schüttelte den Kopf. „Mit Verlaub, Sire, ihr kennt diese Stadt nicht so gut wie ich. Eingestürzt sind vor Allem Partien im Osten der Stadt, aber hier dürfte das Netz weitgehend intakt geblieben sein, ich kann mich an keine erwähnenswerten Grundabsenkungen in den letzten tausend Jahren erinnern.“
Karkaday sah immer noch nicht überzeugt aus
„Vielleicht ist es riskant“, sagte Octavius so leise, dass nur Karkaday und Harpner ihn hören konnten. „Aber es ist der einzige Weg, das Leben dieser Leute zu retten. Und wir kämpfen doch nur deswegen, oder?“
„Ja“, sagte Karkaday nachdenklich. „Deswegen kämpfen wir.“
Relikte
Mit einem lauten Krachen zerbarst die Barrikade, die die Menschen aus Möbeln errichtet hatten. Sie war so wacklig dass sie sogar ein einzelner Ork hätte durchbrechen können, es wäre gar nicht nötig gewesen, einen Goblin dagegen zu werfen, aber Skûrz war langweilig gewesen. Prustend wühlte sich der Goblin aus dem Schutthaufen hervor und stoplerte in Skûrz' Richtung, der ihn lachend an den Schultern packte und in die richtige Richung drehte.
„Da ist der Feind“, schnarrte er und versetzte dem Goblin einen Fußtritt. Das stimmte allerdings nicht so ganz, denn die Menschen schienen diesen Bereich der Stadt geräumt zu haben, was aber kaum möglich war. Es war ein weitläufiger Platz, in dessen Mitte eine große Statue stand. Die Straße, die sie verbarrikadiert hatten war der einzige Zugang.
„Ishak“, brüllte Skûrz und der Goblin kam angewuselt.
„Jaaa?“
„Durchsucht alle Häuser. Die Menschen müssen sich hier irgendwo verstecken.“
Während Ishak seine Goblins zu sich rief und auf dem Platz ausschwärmte lehnte sich Skûrz an die Wand eines Hauses. Warum die Menschen den Kampf so scheuten würde er nie verstehen.
Das Licht von Karkadays Fackel ließ die Schatten an den uralten Mauern des antiken Abwassersystems von Greifental tanzen. Octavius hatte Recht gehabt, in einem der Häuser hatte es tatsächlich einen Zugang gegeben, eine alte Falltür, unter einem massiven Schrank verborgen und über jahrhunderte vergessen. Octavius, der den Grundriss der Abwasserkanäle grob im Kopf hatte ging mit Karkaday voraus, ihnen folgten die Flüchtlinge und die übrigen Soldaten, das Schlusslicht bildete Serpius.
In den Jahrtausenden waren die Kanäle ausgetrocknet, aber nach wie vor haftete ihnen der Geruch von Fäkalien und Verwesung an, ab und zu hörte man eine Ratte.
Die Abwasserkanäle waren breite, hohe Korridore mit großen Rinnen im Boden. Links und rechts an den Wänden befanden sich Rohre, die früher wohl dazu gedient hatten, Abwässer in den Kanal zu leiten, der sie letztendlich in den Amoth getragen hatte. Hin und wieder sahen sie links und rechts eine alte metallene Leiter oder eine Treppe, aber die meisten davon führten zu verschlossenen Türen oder sogar nirgendwohin.
„Ich will ehrlich sein, Sire“, sagte Octavius nach einer Weile. „Ich weiß nicht mal, wo wir sind. Ich vermute, dass wir uns an der Westmauer entlang bewegen, aber ich weiß nicht, wo genau und wann wir nach rechts abbiegen müssen.“
Karkaday war auf so etwas gefasst gewesen.
„Die Hauptsache ist, dass wir noch leben“, antwortete er.
„Keine Spur von den Menschen“, krächzte Ishak, der nun von der Kirche her auf Skûrz zu gerannt kam. „Aber wir haben was anderes gefunden.“
Skûrz erkannte, dass Ishak eine große Pergamentrolle mit sich trug, die er nun vor Skûrz ausbreitete. Skûrz senkte seine Fackel, um sie zu untersuchen.
„Was ist das?“, fragte er.
„Meine Leute vermuten, dass das die Stadt ist“, quietschte Ishak.
„Kann sein“, brummte Skûrz. „Aber was sind das für rote Striche?“
„Keine Ahnung. Tunnel vielleicht?“
Skûrz schaute Ishak an, der bis über beide Ohren grinste. „Wie kommt ihr darauf?“
Ishak zuckte grinsend mit den Schultern. „Nur so 'ne Idee. Würde erklären, wo die Menschlinge hin sind.“
Skûrz schaute wieder auf die Karte.
„Gut“, sagte er schließlich. „Dann schaut nach, ob es hier so was wie einen Tunneleingang gibt. Wenn sich die Menschen wirklich verzogen haben... dann findet sie und macht sie fertig.“
Ishak wurde urplötzlich von einem heftigen Kicheranfall geschüttelt und wuselte schließlich, immer noch kichernd, los.
„Wir haben den Eingang schon gefunden“, rief er mit seiner schrillen Goblinstimme, während er sich immer weiter entfernte. „Meine Jungs sind schon unten.“
Irre lachend hüpfte er auf ein Haus zu. Er hatte zwar eigentlich gute Arbeit geleistet, aber Skûrz hätte ihm trotzdem am Liebsten den Kopf abgerissen.
„Cornelius“, zischte Serpius, der vom Ende des Zuges . „Ich hab was gehört.“
„War wahrscheinlich nur eine Ratte“, antwortete Karkaday.
„Nein“, sagte Serpius bestimmt. „Ratten lachen nicht.“
Karkaday stutzte. Jetzt hörte er es auch. Hinter ihnen näherten sich viele schrill kichernde Stimmen.
„Das sind Goblins“, flüsterte er. „Haben wir Spuren hinterlassen?“
„Schau mal nach unten“, antwortete Serpius.
Karkaday verfluchte seine eigene Dummheit. Die ganze Zeit waren sie in der Kanalrinne gelaufen, in der sich im Laufe der Jahrhunderte eine Art Schlamm angesammelt hatte, der zwar sehr trocken, aber immer noch weich genug war, um gut sichtbare Spuren zu hinterlassen.
„Ich halte sie auf.“
Karkaday drehte sich irritiert um, denn der, der gesprochen hatte war Octavius gewesen.
„Ihr? Wie wollt ihr...“
„Ich schaffe das schon“, sagte Octavius bestimmt. „Wenn ich es nicht tue werden sie alle töten.“
„Aber...“
„Wartet hinter der nächsten Biegung auf mich“, sagte Octavius. „Ich bin gleich zurück. Und bitte... bitte vertraut mir.“
Ohne auf Karkadays Reaktion zu warten rannte Octavius davon und verschwand hinter der Tunnelbiegung.
„Lasst den Spinner gehen“, sagte Harpner. „Soll er sie halt beschäftigen, das verschafft uns wenigstens Zeit zu entkommen.“
„Und wohin sollen wir entkommen, Raphael?“, fragte Karkaday erzürnt. „Octavius ist der einzige, der weiß, wo wir uns überhaupt befinden. Wenn wir...“
Doch ein lautes Geräusch, das sich mit den Schreien der Goblins vermischte schnitt ihm das Wort ab. Die Wände um sie herum erzitterten, ein lautes Krachen und das Geräusch von mahlendem Fels walzte sich durch den Tunnel. Aus einer Staubwolke, die um die Ecke wehte, kam der hustende Octavius, offenbar unverletzt. Karkaday klappte der Mund auf.
„Was habt ihr getan?“
„Den Weg versperrt“, hustete Octavius.
„Aber wie...“
„Vielleicht komme ich mal dazu, es euch zu erklären. Jetzt müssen wir aber erstmal hier raus.“
Dieses Mal erhob sich der Thane nicht wie sonst immer, um die Minister zu begrüßen. Er saß in seinem Lehnstuhl und tastete gedankenverloren auf dem mit Silberbeschlägen verzierten Eisenhelm, der auf der Armlehne lag herum. Die Minister setzten sich, ohne dass der Thane überhaupt Notiz von ihnen zu nehmen schien.
„Meine Herren“, sagte er schließlich. „Ich denke ihnen dürfte klar sein, warum ich diese außerordentliche Sitzung einberufen habe.“
Die Senatoren sahen sich verstehend an.
„Gegenwärtig befinden wir uns in einer komplizierten Lage“, fuhrt der Thane fort. „Thalgarad ist gefallen und geplündert worden, unser gesamtes Reich ist in Aufruhr. Der Senat hat beschlossen, zu handeln, aber die Detailfragen auf uns abgeschoben.“
„Das ist wieder mal typisch“, murmelte einer der Minister, ein Zwerg mit wilden roten Haaren namens Tiefstollen.
„Jedenfalls sollten wir uns, bevor wir handeln erst einmal einen Überblick verschaffen. Ist Isenwerk direkt bedroht?“
„Ich habe heute morgen die neuesten Späherberichte bekommen“, antwortete der Thane. „Das Orkheer hat sich nach seinem Sieg bei Thalgarad nach Nordosten gewandt und bewegt sich auf Nordwall zu.“
„Nordwall... heißt das, sie wollen die Norsen angreifen?“
„Das vermutet jedenfalls der Senat“, sagte der Thane. „Und ich auch“, fügte er hinzu.
„Aber dann ist es ja gar nicht unser Problem“, rief Tiefstollen, der beinahe aufgesprungen wäre. „Warum halten wir uns nicht einfach aus diesem Krieg heraus?“
„Weil er uns schon längst erfasst hat“, sagte Kupferbart, ein kahlköpfiger Zwerg mit einem gewaltigen rotblonden Bart. „Thalgarad ist schließlich nicht von selbst gefallen.“
„Thalgarad war eine Tragödie“, sagte Tiefstollen. „Aber warum sollten noch mehr Zwerge sterben, wenn diese Horde überhaupt keine Bedrohung für uns darstellt?“
„Wir sollen es also einfach aussitzen?“, rief Steinarm, ein vergleichsweise junger Zwerg mit blonden Haaren. „Damit würdet ihr jeden Zwerg beleidigen, der in Thalgarad gefallen ist.“
Tiefstollen sprang auf und überall in der Sesselrunde taten es ihm die Minister gleich. Sie begannen, sich nun wild durcheinander gegenseitig anzuschreien, was dem Thane, der versuchte, seine Gedanken zu ordnen nicht unbedingt zupass kam.
„Ruhe!“
Der Thane war aufgestanden und bot einen so beeindruckenden Anblick, dass augenblicklich Stille einkehrte und sich die Minister wieder setzten.
„Tiefstollen hat einerseits Recht“, sagte er. „Wir sind zu wenige als dass wir eine offene Schlacht ausfechten können. Aber...“
Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und blieb bei Tiefstollen hängen, dem er tief in die Augen sah.
„Wir haben eine Verpflichtung gegenüber den Norsen. Ich weiß nicht, wie Herr Tiefstollen das hält, aber falls wir den alten Vertägen noch wenigstens einen Funken Wert beimessen ist es unsere Pflicht, an der Seite der Norsen in den Kampf zu ziehen.“
„Aber was sollen wir tun? Wir können die Horde nicht angreifen. Nicht alleine“, sagte Schwarzbart, ein steinalter Zwerg, dessen Bart aber immer noch die tiefschwarze Farbe seiner Jugend hatte.
„Wenn wir kämpfen“, sagte der Thane, „dann an der Seite der Norsen.“
„Aber wenn die Orks nach Nordwall ziehen werden sie die Schluchten bereits blockiert haben. Es sei denn...“
Schwarzbarts Augen weiteten sich. „Sire, Ihr habt doch nicht etwa vor, über die Hochebene zu gehen?“
Der Thane sagte nichts, aber sein Blick war Antwort genug.
Skûrz wollte nicht glauben, was er gerade gesehen hatte. Ein komplettes Haus war einfach in einer Erdspalte verschwunden, die sich urplötzlich aufgetan hatte, nur wenige Augenblicke später hatten sich Ishak und seine Goblins aus dem Schutt gewühlt.
„Ishak“, rief Skûrz verwundert. „Was zur Hölle ist da unten passiert?“
„Bin mir nicht sicher“, sagte Ishak. „Der Gang ist einfach eingestürzt.“
„Und die Menschen?“
„Sind entkommen, können aber nicht weit sein. Habt ihr die Karte noch?“
„Habe sie hier.“
„Dann rollt sie aus, vielleicht gibt es hier in der Nähe noch einen zweiten Eingang.“
„Hier muss ein Ausgang in der Nähe sein“, sagte Octavius. „Ich glaube, ich habe eine solche Anordnung von Gängen auf der Karte gesehen.“ Sie hatten einen kleinen, rechteckigen Raum erreicht, der in einer dreiteiligen Gabelung endete. „Es ist der mittlere.“
Octavius ging voran und die Gruppe folgte ihm. Es war ein langer Gang und sie gingen mehrere Minuten bis...
„Nein“, flüsterte Octavius. Sie hatten das Ende des Ganges erreicht. Die Decke war eingebrochen und große Geröllblöcke versperrten den Weg. Es war eine Sackgasse.
„Sollen wir wieder zurück“, fragte Karkaday vorsichtig.
Octavius schüttelte den Kopf, ohne den Blick vom versperrten Weg abzuwenden.
„Ich war mir so sicher“, flüsterte er. „so sicher...“
„Wir können nicht zurück“, rief Serpius. „Ich höre wieder etwas, aber das sind keine Goblins!“
Auch Karkaday hörte es. Das Scheppern von Rüstungen und sogar leises Grunzen und Schnaufen. Das waren wirklich keine Goblins, das waren Orks.
„Wie kommen die hier runter?“, flüsterte Karkaday.
„Das macht keinen Unterschied“, sagte der entsetzte Harpner. „Wir sitzen in der Falle.“
„Nein. Es gibt noch einen Ausweg.“
Serpius, Harpner und Karkaday drehten sich zu Octavius um, der hart mit sich zu ringen schien.
„Eine Möglichkeit ist noch übrig. Tretet zurück.“
Er wandte sich dem versperrten Weg zu und hob die rechte Hand. Dann passierte etwas seltsames. Seine Hand begann zu leuchten, aber es war ein seltsames Licht, ein Licht, das nichts erhellte und auch nicht aus seiner Hand kam, sondern einfach nur da war. Nicht wenige schrien auf, als sich der gesamte Geröllhaufen ein Stück anhob, kleinere Brocken heraus schwebten und ein Loch auftaten, das groß genug war, um einen aufrecht gehenden Menschen durchzulassen.
„Ihr seid ein Hexer“, rief Harpner, der jetzt noch viel entsetzter aussah.
Doch im Gegensatz zu ihm war Karkaday im Moment komplett egal, wer oder was Luther Octavius wirklich war. Wenn er zwischen Orks und dem Portal eines Hexers wählen musste entschied er sich für das Portal. Er schritt hindurch. Der erste, der ihm folgte war Serpius, dann kamen Harpner, die verbliebenen Soldaten und der Rest der Flüchtlinge, wenn auch mit sichtlichem Widerwillen.
Octavius kam als letzter. Kaum hatte er den Durchgang passiert erlosch auch schon das seltsame Licht an seinen Händen und der Durchgang stürzte wieder ein. Er lehnte sich an eine Wand und atmete tief durch.
„Das war wirklich knapp“, sagte er. „Ich habe die Orks schon gesehen.“ Er sah die Flüchtlinge an, entweder schien er sich aus dem Abscheu, den sie ihm mit ihren Blicken entgegen warfen, nichts zu machen, oder er bemerkte ihn nicht. „Wir sollten weitergehen“, sagte er schließlich. „Ich glaube, ich habe eben einen Luftzug gespürt.“
„Sie hatten einen Hexer dabei“, brummte Thrugg, den Skûrz auf die Verfolgung der Menschen angesetzt hat. „Haben sich geradewegs durch einen Geröllhaufen gezaubert, der den Weg versperrt hat. Haben uns da lieber fern gehalten.“
Skûrz nickte.
„Nun, wir können sie ja nicht alle erwischen. Und mit diesen Hexern ist sowieso nicht zu spaßen. Gut gemacht, Thrugg, trotzdem“, sagte er. Zufrieden sah er sich um. Von menschlichem Widerstand war nirgendwo mehr etwas zu sehen. Die Stadt war eingenommen.
Sie hatten sich gut zwei Kilometer von Greifental entfernt, auch wenn die brennende Stadt immer noch in Sichtweite war. Auf einem niedrigen Hügel in einem kleinen Wäldchen hatten sie beschlossen, erst einmal zu rasten. Karkaday wollte nachher mit Serpius und Harpner über das weitere beraten, allerdings wollte er davor noch ein paar Worte mit Octavius wechseln.
Octavius saß abseits der anderen Flüchtlinge, die ihn jetzt, da er sich als Magier offenbart hatte, nicht mehr in ihrer Nähe duldeten. Er hatte ihre Undankbarkeit stillschweigend hingenommen, was Karkaday für hochgradig bewundernswert hielt.
„Kann ich Euch kurz sprechen, Luther?“
„Natürlich.“ Octavius lächelte. „Genau genommen freue ich mich, dass überhaupt noch jemand mit mir sprechen will.“
Karkaday setzte sich neben Octavius auf den weichen Boden.
„Was ihr da vorhin getan habt war sehr mutig von euch. Und selbstlos.“
„Ja“, murmelte Octavius nachdenklich. „Ich habe ihnen vorhin das Leben gerettet und nun wollen sie mich nicht mal mehr ansehen. Man müsste doch meinen sie wären wenigstens ein bisschen dankbar, oder?“
In Octavius' Stimme schwang keine Bitterkeit mit, anscheinend kümmerte ihn der von ihm beschriebene Umstand nicht im Geringsten.
„Ich wollte nur sagen, dass es mir egal ist, was ihr seid und was die Leute über euch denken. Ohne euch...“
Doch Karkaday kam nicht mehr dazu, den Satz zu beenden, denn Harpner, der sich unbemerkt von hinten genähert hatte, hatte sich auf Octavius gestürzt und rang ihn zu Boden während er mit einem langen Messer auf ihn einstach.
„Harpner“, schrie Karkaday, sprang auf und versuchte, Harpner von Octavius herunter zu ziehen, doch es war bereits zu spät. Octavius rührte sich nicht mehr, auf seiner blauen Robe erschien ein immer größer werdender Blutfleck. Einer von Harpners Stichen hatte ihn mitten ins Herz getroffen.
„Harpner“, brüllte Karkaday erneut. „Bei allen Göttern, habt ihr denn den letzten Rest eures Verstandes verloren?“
„Er war ein Magier“, schrie Harpner zurück. „Ein gottverfluchter Magier! Ein Wunder, dass wir noch alle am Leben sind! Er hätte uns alle töten können!“
„Euch mag das entgangen sein, aber Luther Octavius hat uns nicht getötet, er hat uns gerettet!“ Karkaday war so in Rage, dass er Harpners Wappenrock mit Spucke besprenkelte.
„Jaah, er hat uns gerettet. Aber wer weiß, was er mit uns vorhatte? Hat man euch nicht gelehrt, dass man diesem Pack nicht trauen kann?“
„Und das ist ein Grund, einen unschuldigen Mann zu töten?“
„Was bedeutet schon Unschuld? Und ja, ich bin der Meinung das ist ein Grund. Und die Leute scheinen meine Meinung zu teilen.“
So sehr es Karkaday auch schmerzte, das zuzugeben, Harpner hatte Recht. Die Flüchtlinge, durch den Tumult angelockt, standen an der Hügelkante und schaute auf die drei herunter. Keiner von ihnen wirkte bestürzt, einige wirkten sogar erleichtert. Einzig Serpius' Miene ließ nicht erkennen, was er empfand.
Tausend Jahre, oder jedenfalls kam es Karkaday so vor, regte sich niemand, dann sagte Serpius: „Egal, was hier jetzt vorgefallen ist, wir sollten so viele Meilen wie möglich zwischen uns und die Orks bringen wie nur irgendwie möglich.“
„Wir gehen nicht“, sagte Karkaday. „Jedenfalls nicht, bevor wir Luther Octavius anständig begraben haben.“ Er wandte sich Harpner zu, der vor Zorn rot angelaufen war. „Hauptmann Harpner hier wird das Grab schaufeln.“
Harpners Gesicht wurde noch röter und er schnaubte. „Sehr witzig. Wie soll ich das machen? Wir haben doch nichtmal eine Schaufel.“
„Ganz genau“, sagte Karkaday grimmig. Für einen kurzen Augenblick sah Harpner so aus, als würde er Karkaday schlagen wollen, dann begnügte er sich aber damit, ihm ins Gesicht zu spucken. Karkaday wischte den Speichel mit seinem Handrücken ab und kniete sich zu Octavius' Leiche hinunter. Sein letzter Gesichtsausdruck, die Überraschung über den plötzlichen Angriff war auf seinem Gesicht eingefroren. Karkaday strecke die Hand aus und schloss seine Augen.
Mit einem lauten Krachen zerbarst die Barrikade, die die Menschen aus Möbeln errichtet hatten. Sie war so wacklig dass sie sogar ein einzelner Ork hätte durchbrechen können, es wäre gar nicht nötig gewesen, einen Goblin dagegen zu werfen, aber Skûrz war langweilig gewesen. Prustend wühlte sich der Goblin aus dem Schutthaufen hervor und stoplerte in Skûrz' Richtung, der ihn lachend an den Schultern packte und in die richtige Richung drehte.
„Da ist der Feind“, schnarrte er und versetzte dem Goblin einen Fußtritt. Das stimmte allerdings nicht so ganz, denn die Menschen schienen diesen Bereich der Stadt geräumt zu haben, was aber kaum möglich war. Es war ein weitläufiger Platz, in dessen Mitte eine große Statue stand. Die Straße, die sie verbarrikadiert hatten war der einzige Zugang.
„Ishak“, brüllte Skûrz und der Goblin kam angewuselt.
„Jaaa?“
„Durchsucht alle Häuser. Die Menschen müssen sich hier irgendwo verstecken.“
Während Ishak seine Goblins zu sich rief und auf dem Platz ausschwärmte lehnte sich Skûrz an die Wand eines Hauses. Warum die Menschen den Kampf so scheuten würde er nie verstehen.
Das Licht von Karkadays Fackel ließ die Schatten an den uralten Mauern des antiken Abwassersystems von Greifental tanzen. Octavius hatte Recht gehabt, in einem der Häuser hatte es tatsächlich einen Zugang gegeben, eine alte Falltür, unter einem massiven Schrank verborgen und über jahrhunderte vergessen. Octavius, der den Grundriss der Abwasserkanäle grob im Kopf hatte ging mit Karkaday voraus, ihnen folgten die Flüchtlinge und die übrigen Soldaten, das Schlusslicht bildete Serpius.
In den Jahrtausenden waren die Kanäle ausgetrocknet, aber nach wie vor haftete ihnen der Geruch von Fäkalien und Verwesung an, ab und zu hörte man eine Ratte.
Die Abwasserkanäle waren breite, hohe Korridore mit großen Rinnen im Boden. Links und rechts an den Wänden befanden sich Rohre, die früher wohl dazu gedient hatten, Abwässer in den Kanal zu leiten, der sie letztendlich in den Amoth getragen hatte. Hin und wieder sahen sie links und rechts eine alte metallene Leiter oder eine Treppe, aber die meisten davon führten zu verschlossenen Türen oder sogar nirgendwohin.
„Ich will ehrlich sein, Sire“, sagte Octavius nach einer Weile. „Ich weiß nicht mal, wo wir sind. Ich vermute, dass wir uns an der Westmauer entlang bewegen, aber ich weiß nicht, wo genau und wann wir nach rechts abbiegen müssen.“
Karkaday war auf so etwas gefasst gewesen.
„Die Hauptsache ist, dass wir noch leben“, antwortete er.
„Keine Spur von den Menschen“, krächzte Ishak, der nun von der Kirche her auf Skûrz zu gerannt kam. „Aber wir haben was anderes gefunden.“
Skûrz erkannte, dass Ishak eine große Pergamentrolle mit sich trug, die er nun vor Skûrz ausbreitete. Skûrz senkte seine Fackel, um sie zu untersuchen.
„Was ist das?“, fragte er.
„Meine Leute vermuten, dass das die Stadt ist“, quietschte Ishak.
„Kann sein“, brummte Skûrz. „Aber was sind das für rote Striche?“
„Keine Ahnung. Tunnel vielleicht?“
Skûrz schaute Ishak an, der bis über beide Ohren grinste. „Wie kommt ihr darauf?“
Ishak zuckte grinsend mit den Schultern. „Nur so 'ne Idee. Würde erklären, wo die Menschlinge hin sind.“
Skûrz schaute wieder auf die Karte.
„Gut“, sagte er schließlich. „Dann schaut nach, ob es hier so was wie einen Tunneleingang gibt. Wenn sich die Menschen wirklich verzogen haben... dann findet sie und macht sie fertig.“
Ishak wurde urplötzlich von einem heftigen Kicheranfall geschüttelt und wuselte schließlich, immer noch kichernd, los.
„Wir haben den Eingang schon gefunden“, rief er mit seiner schrillen Goblinstimme, während er sich immer weiter entfernte. „Meine Jungs sind schon unten.“
Irre lachend hüpfte er auf ein Haus zu. Er hatte zwar eigentlich gute Arbeit geleistet, aber Skûrz hätte ihm trotzdem am Liebsten den Kopf abgerissen.
„Cornelius“, zischte Serpius, der vom Ende des Zuges . „Ich hab was gehört.“
„War wahrscheinlich nur eine Ratte“, antwortete Karkaday.
„Nein“, sagte Serpius bestimmt. „Ratten lachen nicht.“
Karkaday stutzte. Jetzt hörte er es auch. Hinter ihnen näherten sich viele schrill kichernde Stimmen.
„Das sind Goblins“, flüsterte er. „Haben wir Spuren hinterlassen?“
„Schau mal nach unten“, antwortete Serpius.
Karkaday verfluchte seine eigene Dummheit. Die ganze Zeit waren sie in der Kanalrinne gelaufen, in der sich im Laufe der Jahrhunderte eine Art Schlamm angesammelt hatte, der zwar sehr trocken, aber immer noch weich genug war, um gut sichtbare Spuren zu hinterlassen.
„Ich halte sie auf.“
Karkaday drehte sich irritiert um, denn der, der gesprochen hatte war Octavius gewesen.
„Ihr? Wie wollt ihr...“
„Ich schaffe das schon“, sagte Octavius bestimmt. „Wenn ich es nicht tue werden sie alle töten.“
„Aber...“
„Wartet hinter der nächsten Biegung auf mich“, sagte Octavius. „Ich bin gleich zurück. Und bitte... bitte vertraut mir.“
Ohne auf Karkadays Reaktion zu warten rannte Octavius davon und verschwand hinter der Tunnelbiegung.
„Lasst den Spinner gehen“, sagte Harpner. „Soll er sie halt beschäftigen, das verschafft uns wenigstens Zeit zu entkommen.“
„Und wohin sollen wir entkommen, Raphael?“, fragte Karkaday erzürnt. „Octavius ist der einzige, der weiß, wo wir uns überhaupt befinden. Wenn wir...“
Doch ein lautes Geräusch, das sich mit den Schreien der Goblins vermischte schnitt ihm das Wort ab. Die Wände um sie herum erzitterten, ein lautes Krachen und das Geräusch von mahlendem Fels walzte sich durch den Tunnel. Aus einer Staubwolke, die um die Ecke wehte, kam der hustende Octavius, offenbar unverletzt. Karkaday klappte der Mund auf.
„Was habt ihr getan?“
„Den Weg versperrt“, hustete Octavius.
„Aber wie...“
„Vielleicht komme ich mal dazu, es euch zu erklären. Jetzt müssen wir aber erstmal hier raus.“
Dieses Mal erhob sich der Thane nicht wie sonst immer, um die Minister zu begrüßen. Er saß in seinem Lehnstuhl und tastete gedankenverloren auf dem mit Silberbeschlägen verzierten Eisenhelm, der auf der Armlehne lag herum. Die Minister setzten sich, ohne dass der Thane überhaupt Notiz von ihnen zu nehmen schien.
„Meine Herren“, sagte er schließlich. „Ich denke ihnen dürfte klar sein, warum ich diese außerordentliche Sitzung einberufen habe.“
Die Senatoren sahen sich verstehend an.
„Gegenwärtig befinden wir uns in einer komplizierten Lage“, fuhrt der Thane fort. „Thalgarad ist gefallen und geplündert worden, unser gesamtes Reich ist in Aufruhr. Der Senat hat beschlossen, zu handeln, aber die Detailfragen auf uns abgeschoben.“
„Das ist wieder mal typisch“, murmelte einer der Minister, ein Zwerg mit wilden roten Haaren namens Tiefstollen.
„Jedenfalls sollten wir uns, bevor wir handeln erst einmal einen Überblick verschaffen. Ist Isenwerk direkt bedroht?“
„Ich habe heute morgen die neuesten Späherberichte bekommen“, antwortete der Thane. „Das Orkheer hat sich nach seinem Sieg bei Thalgarad nach Nordosten gewandt und bewegt sich auf Nordwall zu.“
„Nordwall... heißt das, sie wollen die Norsen angreifen?“
„Das vermutet jedenfalls der Senat“, sagte der Thane. „Und ich auch“, fügte er hinzu.
„Aber dann ist es ja gar nicht unser Problem“, rief Tiefstollen, der beinahe aufgesprungen wäre. „Warum halten wir uns nicht einfach aus diesem Krieg heraus?“
„Weil er uns schon längst erfasst hat“, sagte Kupferbart, ein kahlköpfiger Zwerg mit einem gewaltigen rotblonden Bart. „Thalgarad ist schließlich nicht von selbst gefallen.“
„Thalgarad war eine Tragödie“, sagte Tiefstollen. „Aber warum sollten noch mehr Zwerge sterben, wenn diese Horde überhaupt keine Bedrohung für uns darstellt?“
„Wir sollen es also einfach aussitzen?“, rief Steinarm, ein vergleichsweise junger Zwerg mit blonden Haaren. „Damit würdet ihr jeden Zwerg beleidigen, der in Thalgarad gefallen ist.“
Tiefstollen sprang auf und überall in der Sesselrunde taten es ihm die Minister gleich. Sie begannen, sich nun wild durcheinander gegenseitig anzuschreien, was dem Thane, der versuchte, seine Gedanken zu ordnen nicht unbedingt zupass kam.
„Ruhe!“
Der Thane war aufgestanden und bot einen so beeindruckenden Anblick, dass augenblicklich Stille einkehrte und sich die Minister wieder setzten.
„Tiefstollen hat einerseits Recht“, sagte er. „Wir sind zu wenige als dass wir eine offene Schlacht ausfechten können. Aber...“
Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und blieb bei Tiefstollen hängen, dem er tief in die Augen sah.
„Wir haben eine Verpflichtung gegenüber den Norsen. Ich weiß nicht, wie Herr Tiefstollen das hält, aber falls wir den alten Vertägen noch wenigstens einen Funken Wert beimessen ist es unsere Pflicht, an der Seite der Norsen in den Kampf zu ziehen.“
„Aber was sollen wir tun? Wir können die Horde nicht angreifen. Nicht alleine“, sagte Schwarzbart, ein steinalter Zwerg, dessen Bart aber immer noch die tiefschwarze Farbe seiner Jugend hatte.
„Wenn wir kämpfen“, sagte der Thane, „dann an der Seite der Norsen.“
„Aber wenn die Orks nach Nordwall ziehen werden sie die Schluchten bereits blockiert haben. Es sei denn...“
Schwarzbarts Augen weiteten sich. „Sire, Ihr habt doch nicht etwa vor, über die Hochebene zu gehen?“
Der Thane sagte nichts, aber sein Blick war Antwort genug.
Skûrz wollte nicht glauben, was er gerade gesehen hatte. Ein komplettes Haus war einfach in einer Erdspalte verschwunden, die sich urplötzlich aufgetan hatte, nur wenige Augenblicke später hatten sich Ishak und seine Goblins aus dem Schutt gewühlt.
„Ishak“, rief Skûrz verwundert. „Was zur Hölle ist da unten passiert?“
„Bin mir nicht sicher“, sagte Ishak. „Der Gang ist einfach eingestürzt.“
„Und die Menschen?“
„Sind entkommen, können aber nicht weit sein. Habt ihr die Karte noch?“
„Habe sie hier.“
„Dann rollt sie aus, vielleicht gibt es hier in der Nähe noch einen zweiten Eingang.“
„Hier muss ein Ausgang in der Nähe sein“, sagte Octavius. „Ich glaube, ich habe eine solche Anordnung von Gängen auf der Karte gesehen.“ Sie hatten einen kleinen, rechteckigen Raum erreicht, der in einer dreiteiligen Gabelung endete. „Es ist der mittlere.“
Octavius ging voran und die Gruppe folgte ihm. Es war ein langer Gang und sie gingen mehrere Minuten bis...
„Nein“, flüsterte Octavius. Sie hatten das Ende des Ganges erreicht. Die Decke war eingebrochen und große Geröllblöcke versperrten den Weg. Es war eine Sackgasse.
„Sollen wir wieder zurück“, fragte Karkaday vorsichtig.
Octavius schüttelte den Kopf, ohne den Blick vom versperrten Weg abzuwenden.
„Ich war mir so sicher“, flüsterte er. „so sicher...“
„Wir können nicht zurück“, rief Serpius. „Ich höre wieder etwas, aber das sind keine Goblins!“
Auch Karkaday hörte es. Das Scheppern von Rüstungen und sogar leises Grunzen und Schnaufen. Das waren wirklich keine Goblins, das waren Orks.
„Wie kommen die hier runter?“, flüsterte Karkaday.
„Das macht keinen Unterschied“, sagte der entsetzte Harpner. „Wir sitzen in der Falle.“
„Nein. Es gibt noch einen Ausweg.“
Serpius, Harpner und Karkaday drehten sich zu Octavius um, der hart mit sich zu ringen schien.
„Eine Möglichkeit ist noch übrig. Tretet zurück.“
Er wandte sich dem versperrten Weg zu und hob die rechte Hand. Dann passierte etwas seltsames. Seine Hand begann zu leuchten, aber es war ein seltsames Licht, ein Licht, das nichts erhellte und auch nicht aus seiner Hand kam, sondern einfach nur da war. Nicht wenige schrien auf, als sich der gesamte Geröllhaufen ein Stück anhob, kleinere Brocken heraus schwebten und ein Loch auftaten, das groß genug war, um einen aufrecht gehenden Menschen durchzulassen.
„Ihr seid ein Hexer“, rief Harpner, der jetzt noch viel entsetzter aussah.
Doch im Gegensatz zu ihm war Karkaday im Moment komplett egal, wer oder was Luther Octavius wirklich war. Wenn er zwischen Orks und dem Portal eines Hexers wählen musste entschied er sich für das Portal. Er schritt hindurch. Der erste, der ihm folgte war Serpius, dann kamen Harpner, die verbliebenen Soldaten und der Rest der Flüchtlinge, wenn auch mit sichtlichem Widerwillen.
Octavius kam als letzter. Kaum hatte er den Durchgang passiert erlosch auch schon das seltsame Licht an seinen Händen und der Durchgang stürzte wieder ein. Er lehnte sich an eine Wand und atmete tief durch.
„Das war wirklich knapp“, sagte er. „Ich habe die Orks schon gesehen.“ Er sah die Flüchtlinge an, entweder schien er sich aus dem Abscheu, den sie ihm mit ihren Blicken entgegen warfen, nichts zu machen, oder er bemerkte ihn nicht. „Wir sollten weitergehen“, sagte er schließlich. „Ich glaube, ich habe eben einen Luftzug gespürt.“
„Sie hatten einen Hexer dabei“, brummte Thrugg, den Skûrz auf die Verfolgung der Menschen angesetzt hat. „Haben sich geradewegs durch einen Geröllhaufen gezaubert, der den Weg versperrt hat. Haben uns da lieber fern gehalten.“
Skûrz nickte.
„Nun, wir können sie ja nicht alle erwischen. Und mit diesen Hexern ist sowieso nicht zu spaßen. Gut gemacht, Thrugg, trotzdem“, sagte er. Zufrieden sah er sich um. Von menschlichem Widerstand war nirgendwo mehr etwas zu sehen. Die Stadt war eingenommen.
Sie hatten sich gut zwei Kilometer von Greifental entfernt, auch wenn die brennende Stadt immer noch in Sichtweite war. Auf einem niedrigen Hügel in einem kleinen Wäldchen hatten sie beschlossen, erst einmal zu rasten. Karkaday wollte nachher mit Serpius und Harpner über das weitere beraten, allerdings wollte er davor noch ein paar Worte mit Octavius wechseln.
Octavius saß abseits der anderen Flüchtlinge, die ihn jetzt, da er sich als Magier offenbart hatte, nicht mehr in ihrer Nähe duldeten. Er hatte ihre Undankbarkeit stillschweigend hingenommen, was Karkaday für hochgradig bewundernswert hielt.
„Kann ich Euch kurz sprechen, Luther?“
„Natürlich.“ Octavius lächelte. „Genau genommen freue ich mich, dass überhaupt noch jemand mit mir sprechen will.“
Karkaday setzte sich neben Octavius auf den weichen Boden.
„Was ihr da vorhin getan habt war sehr mutig von euch. Und selbstlos.“
„Ja“, murmelte Octavius nachdenklich. „Ich habe ihnen vorhin das Leben gerettet und nun wollen sie mich nicht mal mehr ansehen. Man müsste doch meinen sie wären wenigstens ein bisschen dankbar, oder?“
In Octavius' Stimme schwang keine Bitterkeit mit, anscheinend kümmerte ihn der von ihm beschriebene Umstand nicht im Geringsten.
„Ich wollte nur sagen, dass es mir egal ist, was ihr seid und was die Leute über euch denken. Ohne euch...“
Doch Karkaday kam nicht mehr dazu, den Satz zu beenden, denn Harpner, der sich unbemerkt von hinten genähert hatte, hatte sich auf Octavius gestürzt und rang ihn zu Boden während er mit einem langen Messer auf ihn einstach.
„Harpner“, schrie Karkaday, sprang auf und versuchte, Harpner von Octavius herunter zu ziehen, doch es war bereits zu spät. Octavius rührte sich nicht mehr, auf seiner blauen Robe erschien ein immer größer werdender Blutfleck. Einer von Harpners Stichen hatte ihn mitten ins Herz getroffen.
„Harpner“, brüllte Karkaday erneut. „Bei allen Göttern, habt ihr denn den letzten Rest eures Verstandes verloren?“
„Er war ein Magier“, schrie Harpner zurück. „Ein gottverfluchter Magier! Ein Wunder, dass wir noch alle am Leben sind! Er hätte uns alle töten können!“
„Euch mag das entgangen sein, aber Luther Octavius hat uns nicht getötet, er hat uns gerettet!“ Karkaday war so in Rage, dass er Harpners Wappenrock mit Spucke besprenkelte.
„Jaah, er hat uns gerettet. Aber wer weiß, was er mit uns vorhatte? Hat man euch nicht gelehrt, dass man diesem Pack nicht trauen kann?“
„Und das ist ein Grund, einen unschuldigen Mann zu töten?“
„Was bedeutet schon Unschuld? Und ja, ich bin der Meinung das ist ein Grund. Und die Leute scheinen meine Meinung zu teilen.“
So sehr es Karkaday auch schmerzte, das zuzugeben, Harpner hatte Recht. Die Flüchtlinge, durch den Tumult angelockt, standen an der Hügelkante und schaute auf die drei herunter. Keiner von ihnen wirkte bestürzt, einige wirkten sogar erleichtert. Einzig Serpius' Miene ließ nicht erkennen, was er empfand.
Tausend Jahre, oder jedenfalls kam es Karkaday so vor, regte sich niemand, dann sagte Serpius: „Egal, was hier jetzt vorgefallen ist, wir sollten so viele Meilen wie möglich zwischen uns und die Orks bringen wie nur irgendwie möglich.“
„Wir gehen nicht“, sagte Karkaday. „Jedenfalls nicht, bevor wir Luther Octavius anständig begraben haben.“ Er wandte sich Harpner zu, der vor Zorn rot angelaufen war. „Hauptmann Harpner hier wird das Grab schaufeln.“
Harpners Gesicht wurde noch röter und er schnaubte. „Sehr witzig. Wie soll ich das machen? Wir haben doch nichtmal eine Schaufel.“
„Ganz genau“, sagte Karkaday grimmig. Für einen kurzen Augenblick sah Harpner so aus, als würde er Karkaday schlagen wollen, dann begnügte er sich aber damit, ihm ins Gesicht zu spucken. Karkaday wischte den Speichel mit seinem Handrücken ab und kniete sich zu Octavius' Leiche hinunter. Sein letzter Gesichtsausdruck, die Überraschung über den plötzlichen Angriff war auf seinem Gesicht eingefroren. Karkaday strecke die Hand aus und schloss seine Augen.
MfG,
Crow
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