Sturm

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    • Ahoi.

      Vor einiger Zeit habe ich eine Geschichte geschrieben, von der ein paar Freunde von mir so begeistert waren, dass ich mich jetzt dazu entschlossen habe, sie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, womit ich dieses Forum meine.

      Bevor's mit derselben aber losgeht muss ich aber noch ein paar einleitende Worte von mir geben:
      Die Geschichte spielt in einer (noch) namenlosen Fantasy-Welt, die ich letztes Jahr für ein Tischrollenspiel entworfen habe. Der Aufbau des Hauptkontinentes Telw ist relativ konventionell, im Süden Wüste, mit entsprechenden Nomadenkulturen, das Mittelreich, das von drei menschlichen Königreichen geprägt wird und schließlich die Nordlande, in dem Zwerge, Orks und die Norsen, eine wikingerähnliche Menschenkultur leben.
      Ich schätze, man kann die Welt dem Dark-Fantasy-Genre zuordnen; sie ist schmutzig und düster und die Grenzen zwischen Gut und Böse sind nicht eindeutig gezogen, die Menschen bekämpfen sich gegenseitig, die Zwerge bekämpfen sich gegenseitig, einzig die Orks leben in relativem Frieden - jedenfalls bis jetzt.
      Eine Sonderrolle nimmt die Magie ein. Sie existiert zwar, ist aber extrem selten und potentiell gefährlich, weshalb es fast überall mit dem Tod bestraft wird, Magie auszuüben, soviel zur Welt.

      Als ich damit angefangen habe, die Geschichte zu schreiben war es eigentlich lediglich ein Experiment mit schnell und oft wechselnder Erzählperspektive, das sich irgendwie verselbstständigt hat. Dementsprechend wimmelt es in dem Text nur so von Fußnoten und Begriffen, die ihr nicht verstehen werdet. Falls euch die Geschichte so enthusiasmieren sollte, dass ihr irgendwelche Fragen habt, fühlt euch bitte frei, sie zu stellen.

      Für Kapitel 7-11 siehe meinen Post weiter unten.

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      1.) Grindelfels
      1.) Grindelfels

      Die Wolken hingen tief und der sich ankündigende Regen lag wie ein schweres Tuch über dem Land. Kein Lüftchen regte sich, doch vom Turm der Festung Grindelfels aus konnte man am Horizont bereits das nahende Gewitter erkennen. Doch es war nicht das Gewitter, das Kommandant Kelbos Sorgen bereitete, es war etwas weitaus gefährlicheres, was sich im Schatten dieses Gewitters bewegte. Die Orks hatten die von ihnen besetzten Länder im Norden verlassen und einen Eroberungsfeldzug gegen die Welt der Menschen begonnen. Zahlreiche Gemeinden waren bereits gefallen, ein schier endloser Flüchtlingsstrom ergoss sich nach Süden und niemand schien in der Lage, den Orks Einhalt zu gebieten.
      Kelbos war ein groß gewachsener, kräftiger Mann in den Endvierzigern, ein Veteran früherer Kriege gegen die Nachbarkönigreiche, der die Situation gut einschätzen konnte. Er machte sich nichts vor – Grindelfels würde dir Orks nicht aufhalten. Alles was sie tun konnten war, ihnen einen würdigen Kampf zu liefern und ihren Vormarsch so lange wie möglich aufzuhalten, bis sich hoffentlich ein effektiver Widerstand formiert hatte. Was ihn anging hatte er keine Angst, zu sterben. Im Gegensatz zur Aussicht auf Demütigung durch Gefangenschaft erschien ihm dieses Schicksal sogar beinahe wünschenswert.

      Kelbos stand an die Brüstung des oberen Wehrgangs gelehnt und beobachtete die Blitze am Horizont. Nachdenklich strich er sich immer wieder um das von Bartstoppeln bewachsene Kinn, während er wie um sich selbst zu beruhigen eine Pfeife rauchte. Schließlich drehte er sich um, lehnte sich mit dem Rücken an die Zinnen und beobachtete den Hof. Hunderte verängstigte Gesichter starrten zu ihm auf. Bauern und Handwerker, die in der Festung Zuflucht gesucht hatten, Soldaten, besonders die jüngeren. Auch sie wussten, was sie erwartete, aber im Gegensatz zu Kelbos machte es ihnen eine Höllenangst.

      „Herr?“, sagte eine Stimme links von ihm. Er drehte sich um und sah einen seiner Offiziere, einen jungen Mann namens Henric, der gerade im Begriff war, die Leiter hochzuklettern, die auf den hölzernen Wehrgang führte.
      „Henric“, sagte Kelbos mit neutraler Stimme. „Wurden meine Befehle ausgeführt?“
      Henric nickte. „Wir haben so viele Leute wie möglich mit Allem ausgerüstet, was die Waffenkammer her gab.“
      Kelbos nickte.
      „Glaubt Ihr, dass wir die Orks besiegen können?“
      Kelbos seufze schwer und drehte sich wieder zum Gewitter. Er beschloss, dass es am Besten war, Henric die Wahrheit zu sagen.
      „Nein. Wir können nur ihren Vormarsch verzögern.“
      Er schaute zu Henric. Halb hatte er erwartet, dass es ihn schockieren würde, etwas derartiges zu hören, aber er war ganz ruhig geblieben.
      „Das habe ich schon geahnt. Und ich bin mir sicher, dass es die Männer auch wissen. Die einzigen um die ich mir Sorgen mache sind die Bauern im Hof.“
      „Ich habe heute morgen erklärt, dass sie gehen können, wenn sie wollen. Jetzt ist es zu spät, wir werden die Tore nicht mehr öffnen. Ich sehe die Orks schon“, fügte er auf Henrics fragenden Blick hinzu.
      Nun wirkte Henric bestürzt, machte einen großen Schritt auf die Brüstung zu und spähte hinab in die Ebene. Das Blut wich aus seinem Gesicht, als er die schwarze Masse sah, die sich langsam, aber stetig auf Grindelfels zu bewegte, wissend, dass es sich dabei um mindestens dreitausend schwer bewaffnete Orks handelte.
      „Tyrran möge uns beistehen“, flüsterte er, ohne den Blick von der feindlichen Armee abzuwenden.
      „Tyrrans Segen kommt zu den Tapferen“, antwortete Kelbos und legte Henric eine Hand auf die Schulter. „Also seid tapfer, Henric.“ Er lächelte. „Ihr tragt den selben Namen wie unser König. Ich schätze dass es Zeit wird, sich dieses Namens würdig zu erweisen.“
      Henric sah zu Kelbos auf und nickte, das Gesicht voll grimmiger Entschlossenheit.
      „Na also.“
      Kelbos ließ Henrics Schulter los.
      „Schickt die Schützen hier rauf. Und führt die Zivilisten in den Bergfried und die Kerker.“
      „Aber Herr, von dort haben sie keine Möglichkeit zu fliehen.“
      Kelbos schüttelte den Kopf. „Wenn die Orks durch dieses Tor kommen sind wir sowieso alle tot. Sorgt trotzdem dafür, dass sie ein paar Beschützer kriegen, das letzte, was wir jetzt brauchen ist ein Aufruhr.“
      Henric nickte und ging dann mit großen Schritten auf die Leiter zu, um zurück in den Burghof zu klettern.
      „Henric.“
      Er zögerte und drehte sich noch einmal um.
      „Es war mir eine Ehre, dich auszubilden“, sagte Kelbos und lächelte Henric an. „Ich bin stolz auf dich.“

      Niemals hatte sich Darokh eine größere Ehre vorstellen können, während eines Kriegszuges direkt neben seinem Häuptling zu marschieren und er konnte immer noch kaum fassen, dass ihm diese Ehre endlich zu Teil geworden war. Vokrash, der Häuptling der Schädelreißer, ritt auf seinem Reitwarg. Er hatte seine prächtige geschwärzte Zeremonienrüstung angelegt und sein leicht ergrautes schwarzes Haar sowie seinen dichten Kinnbart zu vielen Zöpfen geflochten. Vom Gürtel seines Kampfrocks hingen die Schädel menschlicher Befehlshaber, die er erschlagen hatte. Seine mächtige Axt hielt er in Erwartung der kommenden Schlacht in der Hand.

      Der neue Kriegshäuptling hatte Vokrash den Befehl über die Hälfte der Armee übergeben, während er selbst die andere Hälfte nach Norden führte, ins Land der Zwerge. Für Vokrash, der den neuen Kriegshäuptling von Anfang an unterstützt hatte, war diese Ehre genau so groß wie die Ehre Darokhs, direkt an der Seite seines Häuptlings zu kämpfen.
      „Häuptling?“, knurrte ein grobschlächtiger Krieger, der soeben neben Vokrashs Warg aufgetaucht war. „Skirrak ist wieder da und bringt Neuigkeiten.“
      „So?“, antwortete Vokrash. „Dann soll er mir das selbst sagen.“
      Der Krieger nickte, drehte sich um und brüllte laut „Skirrak!“
      Wenige Augenblicke später tauchte Skirrak schon auf. Er war dünner und schmächtiger, als die Krieger und hatte zugunsten seiner Beweglichkeit auf eine schwere Rüstung verzichtet. Bis auf seine zerkratzte Brustplatte und dem angerosteten Kettenhemd war er komplett in Leder gerüstet.
      „So, Skirrak“, knurrte Vokrash, ohne Skirrak dabei anzusehen. „Was hast du mir zu sagen?“
      „Die Festung ist ziemlich gut geschützt“, krächzte Skirrak. „Der einzige Weg zum Tor ist eine gewundene Straße, viele Gelegenheiten für die Bogenschützen, uns zu erledigen.“
      „Und weiter?“
      „Das Tor hat definitiv schon bessere Zeiten gesehen. Sonderlich viel dürfte das nicht aushalten.“
      Vokrash nickte. „Und sonst?“
      Skirrak grinste nun hämisch. „Auf der Rückseite kommt man relativ einfach hoch zur Mauer. Wir können ein paar Gobbos hochwerfen.“
      „Wie schwer bewacht?“
      „Die Wachsamkeit konzentriert sich auf den Torbereich. Wahrscheinlich verlassen sie sich einfach auf ihre Festung.“
      Vokrash lachte schnaubend auf. Darokh grinste.
      „Das war gut, Skirrak“, grunzte Vokrash. „Jetzt verzieh dich.“
      Skirrak deutete eine Verbeugung an und verschwand dann wieder in der Menge.
      „Maruz“, knurrte Vokrash grinsend. „Bring mir ein paar Gobbos.“

      Die Soldaten, die neben ihm auf dem Wehrgang standen drehten sich halb verwundert, halb erschrocken zu Kelbos um, der aufgelacht hatte.
      „Halgas scheint einen Sinn für Dramaturgie zu haben“, erklärte er noch halb grinsend. „Es fängt an zu regnen.“
      Tatsächlich war eben ein großer Wassertropfen auf seinen kurz geschorenen Haaren gelandet. Dick und schwer fielen nun weitere zu Boden.
      „Schlechte Sicht für die Schützen“, murmelte er halblaut. „Na, wird schon gehen. Was schaut ihr denn so entgeistert?“, fragte er, als er die Gesichter seiner Männer sah.
      Ohne auf eine Reaktion zu warten wandte er sich den Orks zu, die immer näher kamen. Das Orkheer hatte nun Fackeln entzündet, wodurch es auf gespenstische Art und Weise beleuchtet wurde. Er konnte nun die Gesichter der Orks sehen, schwarzgrün mit brutaler Kriegsbemalung. Ein paar hundert Meter vor der Festung blieben sie stehen, gerade außer Reichweite der Schützen. Befehle wurden gebrüllt und die Horde formierte sich.
      „Sie werden versuchen, uns einzuschüchtern“, sagte Kelbos. „Es liegt an euch, ob ihnen das gelingt.“

      Darokh stand in der ersten Reihe, wo Vokrash ihn hinbefohlen hatte. „Wir machen folgendes“, brüllte er. „Schilde nach vorn, Schützen dahinter. Unsere Aufgabe ist es, die Aufmerksamkeit so lange wie möglich auf der Vorderseite zu halten, Maruz hat eine kleine Überraschung für diese Maden. Wir gehen in Formation bis zum Tor. Sobald es offen ist könnt ihr auf die Formation scheißen.“
      Ein Ruck ging durch die Armee, als die Orks ihre Positionen einnahmen. Darokh schlug einen kleineren Ork neben ihm nieder, nahm ihm den Schild ab und begann dann, mit seinem wuchtigen Schwert darauf einzuschlagen. Die Krieger um ihn herum taten es ihm gleich und bald war die Luft erfüllt von den rhytmischen Schlägen der Horde.

      „Das hab ich gemeint“, rief Kelbos. „Nicht einschüchtern lassen.“

      Darokh drehte sich um und schaute zu Vokrash, der seinen Warg auf eine kleine Erhebung geführt hatte, um einen besseren Überblick zu haben. Er nickte ihm zu, nahm ein großes Horn vom Zaumzeug seines Wargs und blies hinein. Überall taten es ihm andere gleich, das Zeichen dass alle bereit waren. Darokh erhob sein Schwert, schrie „Vorwärts“ und die Horde setzt sich in Bewegung.

      „Pfeile bereit“, schrie Kelbos und entlang des Wehrgang wurden Bögen und Armbrüste gespannt. „Wartet, bis ihr freies Schussfeld auf die Schützen habt.“
      Das würde allerdings gar nicht so einfach werden, denn die Schützen waren hinter den Schilden in der ersten Reihe verborgen. Wenn sie den schmalen Weg erreichten musste sich die Formation aber zwangsläufig ein wenig lockern.
      Die Horde bewegte sich auf die Festung zu und machte dabei einen Höllenlärm, eine Mischung aus dem Scheppern der Rüstungen und den Kriegschreien der Krieger. Sie erreichte jetzt den Weg, der zum Tor führte. Nun hatten die Schützen freies Schussfeld auf die Krieger in der Mitte...
      „Pfeile los“, schrie Kelbos, und hundertfünfzig Pfeile sirrten in Richtung der Horde.
      Kelbos fluchte, als die meisten von ihnen ihr Ziel verfehlten und entweder in den Kampfschilden der Krieger landeten oder über die Horde hinwegsausten. Nur wenige Orks waren getroffen worden, und noch weniger tödlich.
      „Feuer frei“, befahl Kelbos, drehte sich um, und kletterte die nächstbeste Leiter zurück in den Hof.

      „Ist das alles, was ihr könnt, ihr Maden?“, brüllte Darokh. Fünf Pfeile hatte er bereits mit seinem Schild abgewehrt, einer hatte ihn an der Schulter getroffen, war allerdings nicht durch die Rüstung gedrungen. Die Schützen der Horde hatten im Gegenzug schon mehrere Menschen von den Wällen geschossen.
      „Macht Platz für den Rammbock“, brüllte ein anderer hinter ihm und Darokh drehte sich um. Sechs Orks drängten sich durch die Horde und schleiften dabei einen Rammbock hinter sich her. Darokh grinste einen zu Tode geängstigten Menschen an, der vom Torhaus auf sie herunter blickte.
      „Reißt es ein!“, brüllte er.

      „Bildet einen Schildwall“, schrie Kelbos, während er über den Hof rannte. Schilde vor, Lanzen dahinter. Haltet sie so lange wie möglich auf!“
      Es gab einen heftigen Schlag gegen das Tor, das ebenso heftig erzitterte. Lange würde es nicht halten. Auf einmal hörte er ein Geräusch, dass nichts mit dem Kampf am Tor zu tun hatte. Vielstimmiges, schrilles, hohes Gelächter. Er drehte sich um und erstarrte. Zwanzig kleine, grüne Kreaturen mit langen Nasen und großen Ohren hüpften singend und lachend über den hinteren Wall und stachen und hackten auf die völlig überrumpelten Soldaten ein – Goblins. Die Horde hatte es irgendwie geschafft, über den hinteren Wall zu klettern, der kaum bewacht gewesen war.
      Hinter ihm ertönte das laute Bersten von Holz. Er wirbelte herum und sah, dass die Orks das Tor mit nur wenigen Schlägen geöffnet hatten.

      Darokh brüllte laut, während um ihn herum die Formation zerbrach und die Horde haltlos in den Burghof stürmte. In Sekundenschnelle hatten sie den Schildwall der Menschen durchbrochen und trieben die Soldaten auseinander. Mit einem lauten Kriegsschrei stürzte er sich auf einen verängstigten Menschen und schlug ihm mit einem sauberen Schlag den Kopf ab.
      Er schaute hoch zum Wehrgang, auf dem der Angriff der Goblins langsam ins Stocken geriet. Fluchend rannte er zur nächstbesten Leiter, indem er auf dem Weg einem Menschen die Beine abhackte und einem anderen seinen Schild zertrümmerte.
      Seine Rüstung wog schwer, trotzdem erreichte er den Wehrgang schnell, packte einen der Bogenschützen und warf ihn über den Wall. Mit einem hässlichen Krachen prallte er auf den Fels. Lachend drehte sich Darokh dem nächsten zu.

      Immer mehr Orks strömten in den Hof der Festung. Kelbos' Rüstung war voller Blut, glücklicherweise war es nicht sein eigenes. Er stand nun wieder auf dem Wall und versuchte verzweifelt, die herumhüpfenden Goblins zurück zu drängen. Auf einmal spürte er einen starken Schmerz im Rücken, dann an der Seite. Er brauchte einige Sekunden bis ihm klar wurde, dass ihn ein Ork mit dem Schlag seines Schildes gegen die Brustwehr geschleudert hatte. Der Ork, der jetzt über ihm stand, war fast drei Meter groß. Seine lange, zottige Haarmähne war verkrustet von getrocknetem Blut, in seinem Gesicht trug er grausame Kriegsbemalung und mit einem breiten Grinsen zeigte er seine Hauer.
      Der Ork packte Kelbos am Kragen, zerrte ihn auf die Beine und begab sich dann in Kampfposition. Er wollte sich duellieren. Gut, dachte Kelbos, immerhin gehe ich kämpfend unter. Sein Griff schloss sich um das Heft seines Schwertes und der Ork griff an.
      Der Schlag war so heftig, dass Kelbos ihn kaum parieren konnte, allerdings gab es ihm Gelegenheit, sofort einen Sticht nachzusetzen, der jedoch an der Rüstung des Orks abprallte. Entschlossen, den Vorteil der höheren Beweglichkeit auszunutzen, griff Kelbos weiter an, wich Schlägen aus und schlug auf jeden Zentimeter des Orks ein, den er erreichen konnte.
      Schließlich jedoch war sein Widerstand vergebens. Eine kurze unbedachte Bewegung, dann verspürte er einen stechenden Schmerz am Handgelenk seiner Schwerthand. Er blickte sie an und sah mit Entsetzen, dass der Ork sie abgeschlagen hatte. Ein feiner Blutstrahl schoss aus dem Stumpf und Kelbos sank auf die Knie.

      Darokh grinste den Menschen an. Er hatte ihm einen würdigen Kampf geliefert, aber er war auch nur ein Mensch. Mit seiner linken Hand packte er den Menschen am Kopf, während er mit der rechten das Schwert erhob. Eine weitere Trophäe für die Schädelhalle seines Clans.
      „Nein!“
      Ohne den Schlag ausgeführt zu haben drehte Darokh sich um. Der Schrei hatte ihm gegolten. Ein Mensch, fast noch ein Welpe, rannte über den Wehrgang auf ihn zu, eine Mischung aus Furcht und Hass stand ihm ins Gesicht geschrieben.
      „Henric?“, stöhnte der Mensch, der vor Darokh kniete.
      Mit einem lauten Schrei erhob Henric sein Schwert, und schlug zu. Hätte sein plötzliches Auftauchen Darokh nicht überrascht wäre der Welpe schon tot, aber so hatte er es tatsächlich geschafft, ihn an einer ungerüsteten Stelle zu verwunden. Mit einem Wutschrei stieß Darokh den besiegten Soldaten zurück und griff den Jungen an.
      Er war ausgesprochen leicht gerüstet und bewegte sich demzufolge sehr schnell, so dass es Darokh nur gelang, ihm eine kleine Wunde am Arm zuzufügen. Während um sie herum die Schlacht tobte, hetzten sie sich gegenseitig über den Wehrgang. Darokh war ein erfahrener Krieger, aber der Junge kämpfte mit einer aus Hass und Verzweiflung gleichermaßen resultierenden Entschlossenheit, über die er selbst verwundert zu sein schien.
      Darokh war nun in der Defensive, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis der Junge seine Kraft verlor, und dann würde Darokh ihn töten. Er wich noch einen Schritt weiter zurück – und stolperte über die Leiche eines Goblins. Mit einem Wutschrei richtete er sich wieder auf, da spürte er schon den kalten Stahl auf seiner Haut und einen stechenden Schmerz am Hals.
      Instinktiv schnellte seine Hand zur Wunde, doch er bemerkte, dass er bereits tot war, denn der Welpe hatte ihn an der Schlagader getroffen. Röchelnd prallte er gegen die steinernen Zinnen und schaute dem Jungen ins Gesicht. Die Wut war jetzt dem Entsetzen über die eigene Tat gewichen, doch sofort fing sich der Junge wieder, holte aus und warf sich dann mit seinem gesamten Gewicht gegen Darokhs Brust.

      Während er von der Mauer fiel schien jemand die Zeit verlangsamt zu haben. Sein erster Gedanke war, gedemütigt worden zu sein, besiegt, von einem Welpen. Dann wurde ihm jedoch klar, dass er von einem Krieger besiegt wurde. Einem Krieger, der mächtiger war als er. Er hatte seinen Meister gefunden und war einen ehrenhaften Tod gestorben, den Tod, den er sich immer gewünscht hatte.

      Der kurze Moment, bevor Darokh auf dem regennassen Felsen aufschlug und sich das Genick brach war pure Glückseligkeit.


      2.) Der Marsch der Horde
      2.) Der Marsch der Horde

      Vokrash nahm den Tod eines seiner besten Krieger, den er von seinem Warg aus beobachtete, mit einem Kopfnicken hin. Darokh war einen ehrenhaften Tod gestorben, was man von den schwächlichen Menschen in ihrer Festung nicht behaupten konnte. Alle wurden getötet, selbst die, die sich ergeben hatten. Kapitulation war ein Zeichen von Schwäche, und Schwäche hatte keinen Platz in der Gesellschaft der Orks, nicht einmal unter den Sklaven.

      Langsam dämmerte sich der Morgen und das Gemetzel neigte sich dem Ende. Die Goblins hatten den Bergfried, dessen obere Stockwerke aus Holz bestanden, angezündet und das Feuer warf ein gespenstisches Licht auf seine übrigen Krieger, die nun auch den letzten Widerstand auslöschten. Vokrash hatte seinen Warg in den Burghof, auf die hölzerne Platform des Galgens geführt, von wo aus er die Lage gut im Blick hatte.

      Als schließlich die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg über die Berge fanden, kam Grindelfels zur Ruhe. Der Regen hatte aufgehört und die Wolken hatten sich verzogen. Bis zu den Knöcheln standen seine Krieger im Blut, der Boden war bedeckt mit Leichen.
      „Bringt die Verwundeten nach hinten“, brüllte er, während er seinen Warg wendete. „Und bringt die Gefangenen nach draußen. Die Schamanen sollen sie segnen. Ishak!“
      „Ja, Herr?“, fragte ein kleiner Goblin, der nun angewuselt kam. In der einen Hand hielt er ein langes Messer, in der anderen einen Kopf, den er offensichtlich gerade frisch abgetrennt hatte.
      „Deine Goblins sollen die Festung durchsuchen. Nehmt alles mit, was ihr findet.“
      „Dürfen wir das Glitzerzeugs behalten?“, fragte er und machte dabei einen Gesichtsausdruck wie ein erfreutes Kind.
      „Meinetwegen“, knurrte Vokrash. „Aber beeilt Euch.“
      Er ließ seinen Blick noch einmal über den Hof schweifen und lächelte. Die Verluste waren erfreulich gering ausgefallen. Niemand konnte die Horde aufhalten.

      König Henric II saß in seinem Thron wie eine Statue. Seit die Orks den Norden seines Königreichs gestürmt hatten hatte er nicht mehr richtig geschlafen, was sich mit der Zeit in seinem Gesicht deutlich bemerkbar gemacht hatte.
      Der Thronsaal in Burg Falkentor war eine lang gestreckte Halle, die an den Innenraum einer Kathedrale erinnerte. Schwaches Tageslicht fiel durch die hohen Buntglasfenster an der Ostseite und ließ die Rüstungen, die an den hohen Säulen entlang aufgestellt waren, schwach glänzen.
      Das schwere Eichenportal am anderen Ende der Halle wurde knarrend aufgezogen und ein gebeugter alter Mann erschien im Türrahmen, der sich nun langsam auf den König zubewegte. Er war in die eigentlich Roben der königlichen Akademie gekleidet, wirkte aber trotzdem ausgesprochen schäbig. Sein weißgraues Haar war buschig und stand in alle möglichen Richtungen ab. Er war sehr dünn, bleich und faltig und erweckte so den Eindruck eines Skeletts, dem man eine viel zu große Haut übergestülpt hatte.
      „Eure Majestät“, krächzte er mit einer tiefen Verbeugung, als er den Thron erreicht hatte. „Ihr habt nach mir gerufen?“
      „Adrian Schwarzkiel?“, fragte Henric, der sich eigentlich etwas beeindruckenderes vorgestellt hatte.
      „Ganz Recht“, antwortete Schwarzkiel und begutachtete Henric mit einem Ausdruck unverhohlenen Interesses.
      „Na gut“, sagte Henric und lehnte sich zurück. „Ich denke, ihr wisst, was man an der Akademie über euch erzählt.“
      Schwarzkiel kicherte. „Dass ich ein Spinner bin, der sein Leben mit nutzlosen Studien vergeudet?“
      „Exakt“, meinte Henric. „Nun, ich habe Euch hierher gerufen weil Ihr Euch selbst als Orkologen bezeichnet, weil ich das Volk der Orks studiert.“ Henric bemühte sich gar nicht erst, die Misbilligung in seiner Stimme zu verbergen. „Also, falls Ihr irgendetwas wisst was uns gegen die Horde helfen könnte wäre ich euch sehr dankbar, wenn Ihr Euer Wissen mit uns teilen könntet.“
      „Nun, dann haben wir viel zu besprechen“, antwortete Schwarzkiel. „Wenn ich mich vielleicht irgendwo setzen könnte...“
      „Gewiss. Helmschmidt“, sagte er an eine Wache gewandt, die links von seinem Thron stand. „Holt dem Doctor einen Stuhl.“
      Die Wache verbeugte sich tief und verließ dann den Thronsaal durch eine Türe hinter dem Thron.
      „Also, Doctor“, sagte Henric. „Wie können wir die Horde stoppen?“
      „Nun, eure Majestät, zuerst solltet Ihr wissen dass die Kultur der Orks sehr kriegerisch ist.“
      Henric schnaubte. „Welche Überraschung.“
      Schwarzkiel schien ihn überhört zu haben. „Die Orks leben in vielen verschieden großen Clans, die jeweils einem Häuptling gehorchen. Dieser Häuptling ist für gewöhnlich der stärkste Krieger. Wird er jedoch in einem ehrenhaften Duell von einem anderen Clanmitglied besiegt so ist dieses der neue Anführer.“
      Schwarzkiel legte eine Kunstpause ein, die Henric unglaublich ärgerte.
      „Und weiter?“, fragte er gereizt.
      „Nun, ich muss sagen dass jegliche Prognosen beinahe unmöglich sind... Vielen Dank“, sagte Schwarzkiel und setzte sich auf den Stuhl, den Helmschmidt, der nun wieder seinen Platz neben dem König einnahm, gerade hereingebracht hatte. „Ihr müsst verstehen, Majestät, dass wir es hier mit einem wahren Jahrhundertereignis zu tun haben. Dieser Kriegshäuptling...“
      „Dieser was?“
      „Verzeihung. Das System der Führung funktioniert in gewisser Weise auch Clanübergreifend. Theoretisch kann ein Häuptling, indem er mit seinem Clan alle anderen Clans unterwirft zum Kriegshäuptling aufsteigen, und...“
      „Hättet Ihr auch die Güte mir zu erklären, was ein Kriegshäuptling ist?“, fragte Henric, der sich unwillkürlich vorgebeugt hatte jetzt genervt.
      „Der Kriegshäuptling. Der oberste Kriegshäuptling. Sozusagen der Anführer aller Orks. Ich vermute, dass wir es mit einem solchen zu tun haben.“
      „Und was ist jetzt ein Jahrhundertereignis?“
      „Das kommt sehr, sehr selten vor“, antwortete Schwarzkiel. „Der letzte Kriegshäuptling rief glaube ich vor etwa dreihundert Jahren die Horde aus und griff die Zwerge von Isenwerk an.“
      „Ich verstehe. Und wie können wir sie aufhalten?“
      „Aufhalten?“, fragte Schwarzkiel verwirrt. „Wir können sie nicht aufhalten. Wir haben es hier mit der geballten Macht aller Clans zu tun.“
      Henric sank in seinem Thron zusammen.
      „Aber es muss doch einen Weg geben.“
      „Es könnte tatsächlich einen geben“, meinte Schwarzkiel.
      „Wie?“ Henric wäre beinahe aufgeprungen.
      „Es ist im Grunde ganz einfach.“
      „Einfach?“
      „Ich sagte einfach, nicht leicht“, gab Schwarzkiel zurück, der nun seinerseits gereizt klang und wirkte wie ein Lehrer, der einem Schüler einen eigentlich einfachen Sachverhalt zum dritten Mal erklären musste. „Wir müssen nur den Kriegshäuptling töten. Durch das so entstehende Machtvakuum wird sich die Horde gegeneinander wenden oder vielleicht sogar zurück ziehen.“
      „Klingt tatsächlich einfach. Wo ist der Haken?“
      „Der Kriegshäuptling wird wohl kaum auf dem Schlachtfeld in Erscheinung treten, es sei denn...“
      „Es sei denn was, Doctor?“
      „Es gibt eine Möglichkeit, Eure Majestät... aber die wird Euch nicht gefallen.“

      „Sire? Ist alles in Ordnung?“
      Henric schreckte aus dem Schlaf.
      „Verzeihung“, murmelte er, „Ich muss eingenickt sein.“
      „Ihr seht nicht gut aus, Sire“, sagte General Darvik vorsichtig. „Ihr habt sein Tagen kaum geschlafen. Seid Ihr sicher, dass Ihr euch nicht lieber ausruhen wollt?“
      „Ich bin sicher“, antwortete der König mit aller Schärfe in der Stimme, die ihm sein Zustand erlaubte. „Wo waren wir stehen geblieben?“
      „Bei den Bewegungen der Horde nördlich unserer Grenzen.“
      „Gut. Was gibt es dazu zu sagen?“
      General Andreos Darvik befand sich mit zwei weiteren Generälen und dem König in einem kleinen Raum im Herzen von Burg Falkentor. Ein großer Teil des onehin knappen Platzes wurde von einem massiven Eisenholztisch beansprucht, auf dem Karten und Berichte verstreut lagen. Der Raum hatte keine Fenster und das einzige dürftige Licht kam von abbrennenden Kerzenstummeln in Haltern an den Wänden.
      „Anhand von Berichten von Zivilisten und Spähern konnten wir die Bewegungen der Horde grob rekonstruieren. Vor dem Angriff auf Grindelfels hat sich die Horde geteilt, grob die Hälfte bewegt sich seitdem in Richtung Norden, auf Isenwerk zu.“
      „Müssen wir uns dann Sorgen um die Zwerge machen“, fragte der König.
      Andreos schüttelte den Kopf. „Nein, Sire. An Isenwerk werden sich die Orks die Zähne ausbeißen. Die Stadt ist uneinnehmbar.“
      „Und was ist wenn sie eine der kleineren Zwergenstädte angreifen? Wie ich hörte sind alle Zwergenstädte durch Tunnel mit Isenwerk verbunden.“
      „Wenn Ihr erlaubt, Sire“, sprach General Zerlok, ein Offizier der für seine guten Kontakte zu den Zwergen Isenwerks bekannt war und geschätzt wurde. „Um Isenwerk müssen wir uns wirklich keine Sorgen machen. Ja, theoretisch wäre es möglich, durch eine kleinere Stadt nach Isenwerk zu kommen, allerdings lassen sich die Tunnel verriegeln, was die Zwerge mit Sicherheit tun werden sobald sie Isenwerk bedroht sehen.“
      „Gut, angenommen die Horde beißt sich an Isenwerk die Zähne aus. Wie werden Sie dann wohl verfahren?“
      „Nun“, sagte Andreos, „Wir können die Pläne des Kriegshäuptlings nur vermuten, aber wahrscheinlich werden sie weiter nach Norden ziehen, ins Gebiet der Nordmänner.“
      „Und?“
      „Schwer zu sagen. Die Norsen dürften den Orks im Kampf ebenbürtig sein, da beide Kulturen ausgesprochen kriegerisch geprägt sind. Allerdings werden die Stämme kaum einheitlich gegen die Horde vorgehen, was den Orks einen erheblichen Vorteil verschafft. Allerdings müssten die Orks erstmal ins Norsengebiet vordringen.“
      „Und was wird sie daran hindern?“
      Andreos tippte mit seinem Zeigefinger auf eine Stelle der Weltkarte.
      „Sie müssen erst eine Region namens Nordwall durchqueren. Eine kaum zugängliche Hochebene, in der es unglaublich kalt ist. Und an den passierbaren Stellen hat sich ein besonders zäher Norsenstamm eingegraben. Nordwall wird sie viele Männer kosten.“
      „Und was macht euch so sicher dass sie die Norsen nicht einfach links liegen lassen und nach Falkentor zurück kehren?“
      „Ich habe mit Doctor Schwarzkiel geredet, und...“
      Der König schnaubte um deutlich zu machen, wie wenig er von Adrian Schwarzkiel hielt.
      „Verzeihung, Sire, aber was Doctor Schwarzkiel sagt hat durchaus Hand und Fuß.“
      „Was sagt Doctor Schwarzkiel denn?“
      „Dass Die Orks, sobald sie sich einen Gegner ausgesucht haben, solange gegen ihn kämpfen bis sie ihn besiegt haben – oder er sie. Und da die Orks einen Feldzug gegen Alles führen können wir es als sicher betrachten, dass sie den Kampf mit den Norsen suchen.“
      „Verstehe.“ Henric sank wieder in seinen Stuhl zurück. „Gibt es sonst noch etwas, das wir besprechen sollen?“
      Andreos tauschte bedeutungsvolle Blicke mit den beiden anderen Generälen.
      „Sire“, begann er schließlich, „Was Doctor Schwarzkiel über den Kriegshäuptling gesagt hat...“
      „Ich werde alle Möglichkeiten, mein Volk zu schützen ausschöpfen, General Darvik“, sagte der König scharf. „Aber diese wird jedenfalls die Letzte sein.“
      „Verzeihung, Sire, wenn ich Euch...“
      „Wenn sonst niemand mehr etwas zu sagen hat“, schnitt ihm der König das Wort ab, indem er sich erhob. „Dann können wir diese Sitzung ja als beendet betrachten.“
      Mit diesen Worten verließ er den Raum.

      Thargan Steinbart hatte es sich in der niedrigen Wachstube gerade in einem der Lehnstühle gemütlich gemacht, die Beine auf den Tisch gelegt und den Helm über das Gesicht gezogen, als jemand mit fast schon panischer Geschwindigkeit an die mannshohe Tür klopfte, die in die weit größeren Thore der Zwergensiedlung Thelgarad eingelassen war.
      Thargan wollte aufstehen und nachsehen, vergaß aber, dass seine Beine auf dem Tisch lagen und fiel hin. Fluchend rappelte er sich wieder auf, griff nach seinem Helm, der über den glatten Steinboden davongerutscht war und setzte ihn auf. Irgendjemand hatte doch tatsächlich die Nerven, um drei Uhr nachts, nach dem Schließen der Tore, Einlass nach Thelgarad zu erwarten. Und was noch viel schlimmer war – er hatte Thargan von seinem Schläfchen abgehalten.
      Mürrisch vor sich hin murmelnd öffnete er das Fenster, das sich in der Tür befand und sagte laut „Wer da?“
      „Äh... Verzeihung, ich verstehe nicht“, krächzte deine Stimme in der Sprache der Menschen. Thargan zog die Augenbrauen hoch. Ein Mensch, der um drei Uhr nachts in eine Zwergensiedlung wollte? Hatte er sich vielleicht verlaufen?
      „Wer seid Ihr“, sagte Thargan nun ebenfalls in der Menschensprache.
      „Mein Name ist Luzis Hahnenschrey, und ich habe eine dringende Botschaft für Euren Gouverneur.“
      „Soso“.
      Der Fremde stand zwar innerhalb der Fackeln, hatte jedoch einen Mantel mit weit ins Gesicht gezogener Kapuze. Allerdings konnte sich Thargan aufgrund seines Dialekts erschließen, dass er aus dem Königreich Falkentor kam.
      „Gut, Herr Hahnenschrey, dann nehmt mal diese Kapuze ab, damit ich euch anschauen kann.“
      „Bitte, lasst mich einfach rein. Es ist dringend.“
      „Es ist in erster Linie mitten in der Nacht. Der Gouverneur schläft und wird sicherlich unglaublich ungehalten reagieren wenn man ihn wegen einer Nichtigkeit weckt.“
      Hahnenschrey murmelte ein paar Worte, die Thargan nicht verstand und zog dann die Kapuze ab. Er hatte schulterlanges braunes Haar, das an den Schläfen schon zu ergrauen begann. Sein gewaltiger Schnurrbart hatte dieselbe Farbe, sein geflochtener Kinnbart hingegen war fast weiß. Er machte den Eindruck eines Mannes, der seit Tagen in diesem unwegsamen Gelände unterwegs war, aber sein Gesicht war nicht das Gesicht eines Schurken.
      Thargan zog seine Axt und öffnete die Türe. Mit einem großen Satz stand Hahnenschrey im Innern der Halle.
      „Schnell, macht sie zu. Vielleicht sind sie mir gefolgt.“
      Thargan zog eine Augenbraue hoch.
      „Gefolgt? Wer ist Euch gefolgt?“
      „Orks“, sagte Hahnenschrey atemlos. „Das ist die Nachricht, die ich eurem Gouverneur überbringen muss. Eine ganze Armee davon marschiert auf eure Stadt zu. Mindestens dreitausend.“
      „Orks“, wiederholte Thargan und schnaubte. „Unsinn. Seit dreihundert Jahren hat kein Ork die Orklande verlassen.“
      „Und was ist dann das hier?“, fragte Hahnenschrey, zog den abgeschlagenen Kopf eines Orks aus seinem Bündel und warf ihn Thargan vor die Füße. „Ich habe mich also ins Orkgebiet geschlichen, es geschafft einen Ork zu finden, der ohne seinen Clan unterwegs war, habe ihn getötet, ihm den Kopf abgeschlagen und ihn hierher gebracht ohne dass er auf dem Weg begonnen hätte zu verwesen? Wäre das nicht ein bisschen viel Aufwand, nur um dem Gouverneur von Thelgarad einen Streich zu spielen?“
      „Nun...“ Der Anblick des Kopfes hatte Thargan tief verunsichert und er versuchte nun, diese Unsicherheit zu überspielen. „Gut, vielleicht wäre das viel Aufwand. Aber wo habt ihr den her?“
      Hahnenschrey hob den Kopf wieder auf und lehnte sich an das Tor.
      „Wir waren zwölf Mann, als wir von Falkentor aufbrachen. Zwei Botschafter und jeweils fünf Mann Geleitschutz. Am Kreuzweg haben wir uns getrennt, ich und mein Geleitschutz gingen nach Westen, Richtung Isenwerk, der Rest marschierte auf Nordwall zu. Vor zwei Nächten wurden wir von einem Trupp Ork-Späher überrascht, doch wir konnten sie überwältigen. Ich entschied mich, diesen Kopf mitzunehmen, als Beweis.“ Hahnenschrey seufzte. „Letzte Nacht umstellten sie unser Lager. Ich konnte irgendwie entkommen und habe mich dann weiter durchgeschlagen. Nach Isenwerk habe ich es nicht mehr geschafft und Thalgarad war die nächstmögliche Option.“
      Thargan hatte die Arme verschränkt und einen grüblerischen Gesichtsausdruck aufgesetzt. Möglicherweise redete dieser Hahnenschrey Unsinn, aber wenn wirklich Orks in der Nähe herumschlichen war Thalgarad in großer Gefahr.
      „Einverstanden“, sagte er schließlich. „Ich sorge dafür, dass der Gouverneur geweckt wird.“

      Die Sonne ging hinter ihnen auf, als Uthruk und der Teil der Horde, die ihm der Kriegshäuptling unterstellt hatte, den flachen Hügel erklommen, um einen Blick auf das Land zu werfen, das vor ihnen lag. Tórward wurde es in der Sprache der Zwerge genannt, wie Uthruk erfahren hatte – Türschwelle. Hier begann das Gebiet der Zwerge, deren Reich als nächstes brennen würde, falls sie nicht manns genug waren, die Horde zu stoppen.
      Eine weite, bis auf einige kleine Hügel komplett flache Ebene lag vor ihnen. Zu großen Teilen war sie mit Schnee bedeckt, aber an vielen Stellen sah man kleinere Flächen hellbraunen Grases. Hier und da ragten kahle Bäume oder große Geröllblöcke aus dem Land hervor. Am Horizont erhob sich ein gewaltiges Gebirge. In Tórward endete einer seiner Ausläufer, in dem sich eine Zwergenstadt namens Thalgarad befand. Dies war die Siedlung, die zuerst fallen würde.
      „Häuptling“, grunzte eine tiefe Stimme hinter ihm Uthruk drehte sich um.
      „Gibt es etwas Neues von Durgôsh, Gorrath?“
      Gorrath nickte. „Ja, Häuptling. Er hat das Gelände untersucht und meint, dass den Spuren nach einer der Menschen entkommen sein könnte.“
      „Hm.“
      Uthruk drehte sich wieder um und ließ seinen Blick über die Ebene schweifen als erwartete er, die schmächtige Gestalt eines Menschen über die Felder humpeln zu sehen.
      „Was waren es für Menschen?“
      „Die, die wir getötet haben waren vier Soldaten mit roten Waffenröcken.“
      „Hatten sie auch eine Clanrune oder so was?“
      „Ja, alle diesen Falken.“
      „Also genau wie diese Truppe, die vor zwei Tagen von Oshrogh und seinen Jungs erwischt wurden?“
      „Ja, aber waren das nicht fünf?“
      „Wenn wirklich einer entkommen ist waren auch diese hier fünf.“ Uthruk dachte einen Moment nach. „Ich vermute, die Menschen, die Vokrash gerade im Süden bekämpft wollen die Völker des Nordens warnen. Sag Durgôsh, er soll noch einmal das Gebiet durchkämmen und diesen fünften Mann suchen, oder einen Hinweis auf seinen Verbleib. Und Oshrogh soll die Straße im Norden beobachten, bis wir mit dieser Festung fertig sind.“
      „Und wie verfahren wir mit dieser Festung?“
      „Angenommen es ist tatsächlich einer der Menschen entkommen und hat die Zwerge gewarnt... Dann wissen sie, dass wir kommen. Und die Zwerge werden sich nicht auf eine Feldschlacht einlassen, sondern sich hinter ihren Mauern verstecken. Und ihre Mauern sind dick.“
      Uthruk kratzte sich am Kinn.
      „Wir sollten in jedem Fall so schnell wie möglich angreifen. Die Clans sollen sich bereit halten.“


      3.) Das zerschmetterte Wachhaus
      3.) Das zerschmetterte Wachhaus
      In der Blütezeit des zwergischen Volkes war die Stadt Thalgarad ein wichtiger Handelsposten gewesen, quasi der Punkt, der die Nation der Zwerge mit den Menschen des Südens verbunden hatte. Nach Fünfhundert Jahren, in denen die Zahlen der Zwerge durch Fehden mit ihren kriegerischen Vettern, den Wildzwergen sowie den Orks des östlichen Hochlandes stetig ausgedünnt wurden, und seit Handel und Politik immer weiter zentralisiert wurden war Thalgarad in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Der einzige Anspruch, den Thalgarad noch zu vermelden hatte war der, die mächtigste Festung in Tórward zu sein, das Wachhaus der Zwerge. Denn das war es, was der Name bedeutete.

      Der Haupteingang zur Stadt befand sich am Ende eines Gebirgsausläufers der Eyron-garadol, den „eisernen Häusern“, in der Sprache der Menschen das Isenwerk-Massiv. Es war ein massives Tor aus besonders hartem Holz, einen Meter dick, mit Eisen beschlagen und im Boden verkeilt. Links und rechts davon ragten Türme und Schießscharten aus dem Berg, an denen Armbrüste und Ballisten angebracht waren. Vor fünfhundert Jahren war diese Festung einmal im Kampf gegen die Wildzwerge gefallen, das einzige Mal bis jetzt. Und ein zweites Mal würde es nicht geben, dafür würde Stahlbraue schon sorgen.

      Garnisonskommandant Torgosch Stahlbraue war ein besonders kräftiger Zwerg, der durch seine wuchtige Rüstung noch massiver wirkte. Sein eisengrauer Bart war zu zwei Zöpfen geflochten, während sein Haar zu einem Zopf gebunden auf seinem Rücken lag. Er hatte eine selbst für einen Zwergen besonders ausgeprägte Hakennase, buschige Augenbrauen und ein leicht hervortretendes Auge, das andere hatte er vor Jahren im Zweikampf mit einem Wildzwerge verloren, die Höhle war unter einer Augenklappe verborgen.
      Die Sonne war nun fast aufgegangen, strahlte die Festung an und nahm ihm die Sicht, als er versuchte, mit einem Fernrohr den Horizont nach Spuren der Horde abzusuchen.
      „Wir kämpfen gegen die Sonne“, grummelte er seinem Adjudanten entgegen „Das gefällt mir nicht.“
      „Glaubt Ihr wirklich, dass die Orks das Tor durchbrechen können?“
      „Ich glaube es nicht, aber ich befürchte es. Diese Orks haben diese Festung der Menschen... Grantelstein oder so ähnlich, im Sturm genommen. Wer weiß, wozu sie noch fähig sind?“
      „Es war eine Festung der Menschen...“
      „Auch die Festungen der Menschen sind stabil“, antwortete er, ohne das Fernglas vom Horizont abzuwenden, obwohl ihm die Sonne ins Auge stach „Wir sollten auf alles vorbereitet sein, das ist alles.“
      Er nahm das Fernglas herunter und seufzte.
      „Sie sollten nicht in der Lage sein, das Tor zu durchbrechen.“

      „Krieger“, brüllte Uthruk, der einen der Geröllblöcke bestiegen hatte und nun auf seine Krieger hinabsah „Wir kämpfen heute gegen einen Feind, der es eigentlich nicht wert ist, bekämpft zu werden. Anstatt den ehrenhaften Kampf zu suchen, wie wir es tun, verstecken sie sich hinter ihren Mauern!“
      Ein Raunen ging durch die Orks. Uthruk grinste.
      „Ihr könntet mich fragen, warum wir uns dann die Mühe machen sollen. Aus zwei Gründen: Erst einmal, weil wir noch eine Rechnung offen haben, denn vor dreihundert Jahren, als sie noch den Mut zum Kampf hatten, haben sie uns besiegt.“
      Die Menge brüllte wütend und Uthruk hob eine Hand, um ihr Einhalt zu gebieten.
      „Zum Zweiten... weil es Feiglinge sind. Und wir werden ihnen jetzt geben, was sie verdienen!“
      Erneut brüllten die Krieger. Diesmal ließ sie Uthruk etwas länger brüllen, bevor er sie erneut mit einer Handbewegung verstummen ließ.
      „Wir werden kämpfen. Und wir werden siegen. Wir, und die Krieger, die sich uns angeschlossen haben.“
      Diesmal brüllten andere. Ungefähr fünfhundert kleinwüchsige, halbnackte Gestalten mit gewaltigen Bärten, die ein wenig abseits der Horde standen – Wildzwerge.
      „Geht in Formation!“, rief er „Wir greifen an!“
      Mit scheppernden Rüstungen setzte sich die Horde in Bewegung. Uthruk grinste.
      „Das war gut“, sagte eine Stimme links von ihm. Es war der Häuptling der Wildzwerge, der sich als Turgol vorgestellt hatte. Er sprach die Gemeinsprache, allerdings mit unüberhörbarem Akzent, der es Uthruk teilweise schwer machte, ihn zu verstehen.
      Uthruk hatte nicht schlecht gestaunt, als sich ihnen die Zwerge vor zwei Tagen auf einer Waldstraße in den Weg gestellt hatten. Auch sie hatten vom Kriegszug gehört. Sie wussten, dass die Orks ihre Vettern aus den Bergen angreifen würden, und hatten Uthruk darum gebeten, sich ihnen anschließen zu dürfen, was dieser ohne zu zögern akzeptiert hatte.
      Er wusste, dass es eine jahrtausendalte Feindschaft zwischen den Wildzwergen und ihren Brüdern gab. Er kannte die Gründe nicht, doch sie waren ihm auch egal. Die Wildzwerge hatten sich als fähige Krieger erwiesen und waren als solche respektiert, auch unter den Orks.
      „Ich hoffe, Eure Methode, das Tor zu öffnen wird funktionieren, Turgol“, sagte Uthruk, während sie gemeinsam den Felsen hinunter kletterten.
      „Keine Angst, das wird sie.“
      „Ich traue diesen Dingen ja nicht, seid Ihr sicher, dass sich das Tor durch einen Rammbock nicht öffnen lässt?“
      „Absolut sicher. Jedenfalls von keinem Rammbock, der existiert. Ich verspreche Euch, Ihr bekommt euren Kampf, wir bekommen das Blut der Verräter. Sorgt nur dafür, dass meine Leute unbeschadet zum Tor kommen.“

      „Steh auf“, sagte eine raue Stimme. Henric reagierte erst nicht und bekam kurz darauf die Quittung in Form eines schmerzhaften Fußtritts in die Rippen. Mit vor Schmerz trändenden Augen rappelte er sich von der zerrissenen Decke auf, auf der er geschlafen hatte. Ein Ork stand vor ihm, das erste Mal, dass er einen Ork ohne Rüstung sah. Sein nackter, ungeheuer muskulöser Oberkörper hatte dieselbe schwarzgrüne Farbe wie sein Gesicht, seine haarigen Arme waren dick vor Muskeln. Der Ork war mit einer Art Lederkilt bekleidet, das war aber auch schon alles.
      „Der Häuptling will dich sehen“, schnarrte er.
      Kaum war Henric aufgestanden packte ihn der Ork am Genick und trieb ihn und führte ihn mit einer fast schon schleudernden Bewegugn aus dem Zelt.
      Henric wusste nicht, warum ihn die Orks nicht getötet hatten, aber mittlerweile fragte er sich, ob es ihm dann nicht besser ergangen wäre. Seit drei Tagen war er Gefangener der Horde, als erstes hatten sie ihm sämtliche Kleider abgenommen. Er schlief in einem stinkenden kleinen Zelt aus schlecht gegerbten Tierhäuten, bekam jeden Tag eine Schale mit rohem Fleisch und zähem Brot zu essen und schlief auf einer dünnen, zerrissenen Decke.
      Henric blinzelte der Sonne entgegen. Es war das erste Mal, dass er das Orklager sah, bei den Märschen hatten sie ihm immer die Augen verbunden. Die Zelte der Orks bestanden aus Leder, Tierfellen oder grobem Stoff, die Gestänge aus Holz und teilweise aus geplünderten Hellebarden und Speeren, für die die Orks zu groß waren. Auf den ersten Blick schien es einfach ein großes Durcheinander von Zelten zu sein, allerdings erkannte Henric nach einer Weile, dass die Zelte offenbar einem bestimmten Muster folgten, das er allerdings nicht verstand.
      Die Orks hatten das Lager an einem Ort aufgeschlagen, den er nicht kannte. Es war eine weitläufige Wiesenfläche, die auf der rechten Seite durch eine Hügelkette und auf der linken Seite durch einen Wald begrenzt wurde. Das Zelt des Häuptlings, was immer das war, befand sich anscheinend in der Mitte des Lagers und war größer als die anderen. Der Ork, der ihn hergebracht hatte stieß ihn hinein, folgte ihm aber nicht.

      Das Zelt war rund und sehr zweckmäßig eingerichtet. In der Mitte befand sich eine große, runde Feuerstelle, in der Glut schwelte. Daneben standen eine Art Bett, das aus Holz und den Knochen eines großen Tieres bestand sowie eine große Truhe, die wohl einst einem Ordensmann gehört hatte, denn Henric erkannte das Zeichen Aureans auf den Beschlägen. Hinter der Feuerstelle erhob sich eine Art Thron, der mit menschlichen Knochen verziert war, auf diesem Thron saß ein Ork, der der Häuptling sein musste.
      Er war größer und breiter als die anderen Orks, fast drei Meter groß, seine Haut war dunkler. Sein wilder Bart und die schwarze Haarmähne, in die er kleine Knochen eingeflochten hatte, waren leicht ergraut, seine Nase schein bereits mindestens zweimal gebrochen zu sein. Er trug eine massive schwarze Rüstung, die ihn noch gewaltiger erscheinen ließ und Henric fragte sich, wie ihn der Thron aushielt.
      „Ich bin Gor'Bashuk“, sagte der Ork mit einer grollenden Stimme. „Hast du auch einen Namen?“
      „Henric... Henric Sichelschmied.“
      „Und weißt du auch, warum wir dich nicht getötet haben, Henric Sichelschmied?“
      Der Kriegshäuptling sprach die Gemeinsprache fließend und beinahe akzentfrei, was Henricc, der kein Wort herausbrachte und deshalb nur den Kopf schüttelte, erstaunte.
      „Weil du Darokh von den Schädelreißern getötet hast. Einer der mächtigsten Krieger meiner Horde. Das heißt, dass du etwas wert sein musst. Ich glaube, du kannst uns noch nützen.“
      Gor'Bashuk taxierte Henric für einen Moment und wies dann mit einer Hand auf einen herumstehenden Holzklotz. „Setz dich.“
      Henric tat, wie ihm geheißen. Gor'Bashuk legte die Kuppen seiner behandschuhten Finger aneinander und musterte Henric eine Weile. Wahrscheinlich fragte er sich, wie es dieser schmächtigen Gestalt gelungen war, einen mächtigen Ork-Krieger zu besiegen.
      „Ich habe eine Aufgabe für dich“, sagte er schließlich. „Du wirst dich auf den Weg in eure Hauptstadt machen und deinem König eine Nachricht überbringen. Sag ihm, dass ich ihm die Gelegenheit zur Kapitulation gebe. Alle eure Soldaten sollen die Waffen innerhalb einer Woche nieder legen. Wenn er ablehnt, sag ihm, dass ich die Horde ein zweites Mal geteilt habe. Ein Teil wird weiter über euer Land fegen, der andere schnurstracks auf eure Hauptstadt zuhalten. Und ich denke du kannst ihm besonders glaubhaft klar machen, dass eure Festungen uns nicht aufhalten. Hast du das verstanden?“
      Henric nickte.
      „Wunderbar“, sagte Gor'Bashuk, erhob sich und rief laut „Groth!“
      Der Ork, der Henric hergebracht hatte betrat das Zelt und sagte etwas auf orkisch.
      „Wir werden den Jungen frei lassen. Bringt ihm ein paar Kleider und gebt ihm ein Pferd. Kannst du reiten?“, fragte er, an Henric gewandt. Henric nickte erneut. „Ausgezeichnet.“

      Groth führte Henric zurück in sein Zelt und brachte ihm dann eine Hose aus grobem Leder und eine braune Wollweste. Die Hose passte ihm zwar nicht richtig, aber da er die letzten drei Tage vollkommen nackt verbracht hatte dachte er nicht einmal, daran sich zu beklagen.
      Es schockierte ihn fast schon, dass dem Heer ein Tross aus Frauen und Kindern gefolgt war, denn er hatte niemals daran gedacht, dass es so etwas wie Orkfrauen überhaupt gab. Alles an den Orks und ihrer Kultur war ihm so fremd dass es ihm vorkam, als seien sie nicht von dieser Welt.
      Während sie durch die Zeltreihen gingen folgten ihnen die Blicke der Krieger. Henric hatte eigentlich geglaubt, sie würden ihn mit Verachtung anschauen, daher wunderte er sich, dass die Blicke, die er im Vorbeigehen auffing, größtenteils interessiert und teilweise sogar schon respektvoll waren. Ab und zu glaubte er sogar, ein Ork hätte ihm zugenickt, er wagte es allerdings nicht, sich umzudrehen um sich zu vergewissern.
      Am anderen Ende des Lagers befand sich eine provisorische Koppel mit etwa fünfzig Pferden, die die Horde wohl als Futter für die Warge oder als Wegzehrung für die Orks selbst mitgenommen hatte, denn ein Pferd konnte einen Ork unmöglich tragen. Nachdem Henric sich einen bereits gesattelten Rappen entschieden hatte kam Groth zu ihm und zeigte auf die Hügel.
      „Auf der anderen Seite liegt ein Tal mit einer Straße. Wenn du ihr folgst kommst du in die nächste Stadt. Ich nehme an die können dir sagen, wie du zur Hauptstadt kommst.“
      „Danke.“
      Groth lachte auf. „Wofür dankst du mir?“
      „Ich weiß nicht. Das sagt man nur so.“
      Groth schüttelte den Kopf mit einem Gesichtsausdruck, der entfernt an ein Lächeln erinnerte, aber die Vorstellung, ein Ork würde ihn anlächeln war so absurd, dass er dies nicht mal in Erwägung zog.
      „Ihr seid ein seltsames Volk“, sagte Groth „Ich würde gerne verstehen, was in euch eigentlich vor geht.“
      Darauf wusste Henric keine Antwort, also wendete er sein Pferd und galoppierte davon. Der Wind, der sein Haar zerzauste war ein wunderschönes Gefühl. Er brauchte einige Augenblicke um zu realisieren, was eben geschehen war. Er war noch am Leben. Und er war frei.

      Wie Wellen auf eine Felswand brandete die Horde auf die Tore von Thalgarad. Bis jetzt hatten sich die Verluste trotz des Sperrfeuers der Zwerge in den Türmen in Grenzen gehalten, lange würden die Orks aber nicht durchhalten. Uthruk beobachtete den Angriff mit Besorgnis und wachsender Wut auf Turgol, der ihm versprochen hatte, seine Leute könnten das Tor öffnen.
      „Turgol“, sagte er scharf zu dem Zwergen, der neben ihm stand und die Schlacht mit einem offensichtlich irgendwann geplünderten Fernrohr beobachtete. „Wir rennen nun schon seit einer Stunde gegen eine Wand. Ihr habt behauptet, ihr würdet das Tor öffnen können.“
      „Das habe ich, aber ich habe nicht behauptet dass es einfach würde“, sagte Turgol, ohne den Blick von der Schlacht abzuwenden. „Aber wie ich sehe sind meine Leute gleich soweit.“
      „Was habt ihr eigentlich vor?“
      „Wir werden sie mit ihren eigenen Waffen schlagen.“

      Nach Thargans Auffassung mussten die Orks sehr dumm sein, denn es war offensichtlich, dass sie nicht in der Lage waren, das massive Tor von Thalgarad zu durchbrechen, und trotzdem brandete Welle um Welle der Horde gegen die Festung. Trotzdem war es ein sehr frustrierender Kampf, denn die Orks hatten ihre Schilde gehoben und es war sehr schwer, einen von ihnen mit der Armbrust zu treffen.
      Garnisonskommandant Stahlbraue, der die Reihen seiner Männer abschritt, war neben ihn getreten und schaute auf die Armee hinunter.
      „Ziemlich langweilig, der Kampf“, sagte Thargan beiläufig, während er seine Armbrust nachlud. „Ich glaube wenn wir etwas Schwarzpulver hätten wäre dieser Kampf mit Sicherheit sehr schnell vorbei.“
      „Wir sollten eigentlich welches haben“, sagte Stahlbraue. „Das Mechanikum hat schon vor einer Woche welches geschickt, es ist nur nicht angekommen.“ Stahlbraue warf einen nachdenklichen Blick auf die Horde. „Mir gefällt nicht, was diese Orks da unten am Tor treiben.“
      Thargan, der gerade gezielt hatte, ließ die Armbrust sinken und schaute hinunter. Einige Orks machten sich gerade an irgendetwas großem zu schaffen, dass Thargan allerdings nicht genau erkennen konnte. Was ihn stutzig machte war, dass er neben den Orks kleinere Gestalten erkennen konnte.
      „Sind das Wildzwerge?“, fragte er. Stahlbraue zückte sein Fernrohr und warf einen Blick nach unten.
      „Tatsächlich.“ Stahlbraue schien beunruhigt, was Thargan aber nicht nachvollziehen konnte. Wildzwerge machten die Horde zwar zahlreicher, im Angesicht der Festung aber nicht gefährlicher. Jetzt geschah etwas anderes, was ihn verwunderte.
      „Ziehen sie sich zurück?“
      Die Horde begann, einen großen, halbkreisförmigen Bereich um das Tor herum zu räumen. Offenbar hatten sie große Lederbündel am Tor zurück gelassen, von denen jetzt sanft Rauch aufstieg.
      Im nächsten Moment ging in einem Wirbel aus Feuer, Schutt und ohrenbetäubendem Lärm die Welt unter.

      „Seht ihr“, sagte Turgol gleichmütig zu Uthruk, der tief beeindruckt das klaffende Loch in der Festung anstarrte, das bis vor Kurzem noch ein undurchdringliches Tor gewesen war.
      „Ist das Zauberei?“, fragte er ehrfürchtig.
      „Aber nein“, lachte Turgol. „Das ist irgendein teuflisches Pulver aus den Laboren von Isenwerk. Sie benutzen es schon seit Jahren gegen meine Leute. Vor wenigen Tagen gelang es uns, etwas davon zu erbeuten.“
      „Es ist zweifellos sehr effektiv“, gab Uthruk zu. „Aber keine Methode, die mir gefällt.“
      „Warum nicht?“
      „Weil es hier nicht ums Töten geht sondern um den ehrenhaften Kampf“, sagte Uthruk, während er Turgol tief in die Augen sah. „Und an derartigen Waffen ist nichts ehrenhaft.“ Dass Turgol diese Ansicht mit einem Schulterzucken quittierte, ärgerte ihn.

      Unter starken Schmerzen rappelte sich Torgosch wieder auf. Die Explosion hatte nicht nur das Tor zerstört, auch Teile des Wehrgangs und der Bunkeranlage waren in Mitleidenschaft gezogen worden. Im Mauerwerk rechts von ihm hatten sich tiefe Risse gebildet, einer der Türme schien eingestürzt zu sein. Wächter Steinbart lag neben ihm, tot. Lärm, den er durch die dicke Wand, die den Wehrgang von der Torhalle trennte nur gedämpft wahr nahm sagte ihm, dass die Orks in der Stadt waren.
      Sein linkes Bein tat furchtbar weh, doch er schleppte sich vorwärts, zu den Treppen. Wenn er schon sterben musste würde er den Orks, die es gewagt hatten, eine Zwergensiedlung anzugreifen wenigstens noch die Hölle heiß machen.
      Er erreichte die Torhalle, die in jahrhundertlanger Arbeit in den Berg gemeißelt wurde. Bis zur von sechs rechteckigen Säulen gestützten Decke waren es gut zwanzig Meter. Am anderen Ende befand sich der Zugang zu den Wohnbereichen Thalgarads.
      Die Gardisten hatten eine Phalanx gebildet, mit der sie die Orks wenigstens im Moment in Schach halten konnte, wenn auch sicher nicht mehr lange. Torgosch, der auf dem Treppenabsatz über der Horde stand, zog seine Äxte. Mit dem Schlachruf „Isenwerk“ sprang er von der Erhebung in die Orks unter ihm.


      4.) Schwarzkiels Rat
      4.) Schwarzkiels Rat

      Cornelius Karkaday hasste es, wenn man etwas von ihm erwartete, was er unmöglich erfüllen konnte, doch genau das war jetzt der Fall. Seit sein Großvater Aldus, ein Inquisitor der Aureanskirche, irgendeinen Nekromanten getötet hatte, der vor Jahren die Stadt Greifental bedroht hatte war die Familie Karkaday in Greifental so etwas wie heilig. Der Respekt, den man ihm entgegen brachte war zwar durchaus angenehm, allerdings hatte die Verehrung seines Großvaters in den letzten Jahren extreme Züge angenommen, die gesamte Bevölkerung schien eine Heldentat von Cornelius zu erwarten.
      Wie auch sein Vater, der kurz nach Cornelius' Geburt mit seiner Frau nach Adamant gegangen war und Cornelius bei einer Tante gelassen hatte, war Cornelius der königlichen Armee beigetreten, um dem Erwartungsdruck der Greifentaler zu entfliehen. Jahrelang hatte er an den Westgrenzen des Reiches gegen die feindlichen Armeen aus Stalvard und Tardun gekämpft, war nach dem Waffenstillstand allerdings als Garnisonskommandant in seine Heimatstand zurückbeordert worden, was er nach wie vor für einen grausamen Scherz hielt.
      Nachdenklich betrachtete er sein Spiegelbild im Fenster des Kommandantenbüros der Garnison. Er konnte sich gar nicht daran erinnern, so alt zu sein, vielleicht war es auch nur das schmutzige Glas. Sein strubbliger brauner Haarschopf schien bereits die ersten grauen Haare hervorgebracht zu haben, sein Bart sah ziemlich zerzaust aus, es war das Bild eines Mannes, der seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen hatte.
      Genau genommen war es so gewesen, denn mit jedem Tag rückte die Horde näher.
      „Herr Karkaday“, sagte eine Stimme hinter ihm. Einer seiner Offiziere hatte den Raum betreten. Karkaday hatte es nicht gemerkt.
      „Ja?“
      „Der Junge ist soweit. Soll ich ihn rein schicken?“
      „Bitte.“
      Der Offizier öffnete die Türe und ließ einen jungen Mann herein. Er trug ein schlichtes weißes Leinenhemd und eine braune Hose. Seine Kleidung standen im starken Gegensatz zu seiner restlichen Erscheinung, Karkaday konnte sich nicht erinnern, jemals einen Menschen gesehen zu haben, der mitgenommener wirkte.
      Das schulterlange blonde Haar war schmutzig und verfilzt. Immerhin hatte er sich den Schmutz und das getrocknete Blut abgewaschen, als er vor ungefähr zwei Stunden in Greifental angekommen war war er geradezu verkrustet davon gewesen und hatte außerdem durchdringend gestunken.
      „Setz dich“, sagte Karkaday freundlich und wies auf einen niedrigen Tisch, an dem zwei Stühle standen. Der Junge setzte sich, während Karkaday stehen blieb.
      „Wie war dein Name nochmal?“
      „Henric. Henric Sichelschmied.“
      Karkaday verschränkte die Arme und taxierte Henric einen Moment lang. Henric hatte behauptet, von den Orks gefangen genommen zu sein. Karkaday konnte sich nur schwer vorstellen, dass die Orks Gefangene machten, und noch weniger, dass sie sie wieder freilassen würden, doch er konnte es in seiner gegenwärtigen Lage nicht riskieren, Henric nicht zu glauben.
      „Ich würde eure Geschichte gerne noch einmal selbst hören, wenn es euch nichts ausmacht“, sagte Karkaday. „Vielleicht verstehe ich eure Lage dann besser.“
      Henric seufzte. „Wir haben eigentlich keine Zeit für so etwas, Herr. Ich muss schnellstens nach Falkentor.“
      „Es wird nicht lange dauern“, sagte Karkaday.
      „Also gut“, sagte Henric. „Ich war Offizier von Kommandant Heron Kelbos in Grindelfels, als die Orks die Festung angriffen. Sie haben die Burg im Sturm genommen und alle getötet.“
      „Warum haben sie euch verschont?“
      „Sie sagten mir, ich hätte einen ihrer mächtigsten Krieger getötet. Ich schätze, das habe ich tatsächlich, das war aber pures Glück.“
      „Und weiter?“
      Henric zuckte die Schultern. „Viel gibt es eigentlich nicht mehr zu sagen. Die nächsten drei Tage habe ich quasi mit verbundenen Augen verbracht, dann hat mich ihr Kriegshäuptling zu sich rufen lassen und mir einen Auftrag erteilt.“
      „Was für einen Auftrag?“
      „Ich soll dem König die Aufforderung zur Kapitulation überbringen.“
      Karkaday lehnte sich an die Wand und musterte Henric erneut. Was er sagte hörte sich nicht nach dem an, was er bis jetzt über Orks gehört hatte, aber er konnte sich in diesem Fall nur auf sein Bauchgefühl verlassen, das ihm riet, Henric zu vertrauen.
      „Ich verstehe“, sagte Karkaday. „Ihr seht erschöpft aus, einer Meiner Leute kann diesen Auftrag für euch übernehmen.“
      Henric lächelte müde. „Nichts für ungut, Herr Karkaday, aber ich denke, ich kann dem König diese Sache besser näher bringen als einer eurer Soldaten.“
      „Ich verstehe.“ Karkaday dachte einen Moment nach. „Wir werden euch was richtiges zum Anziehen besorgen. Und ein neues Pferd. Ruht euch solange aus, wenn ihr auf dem Weg nach Falkentor schlapp macht ist niemandem geholfen.“
      „Ich würde gerne so schnell wie möglich aufbrechen.“ Henric schien für einen Moment zu zögern. „Der Kriegshäuptling hat mir gesagt, dass er die Horde erneut teilen wird. Ein Teil wird auf Falkentor zu marschieren, und wahrscheinlich ist Greifental das nächste Ziel des anderen Teils.“

      Die Schlacht war vorüber und eine tödliche Stille hatte sich über die Siedlung Thalgarad gelegt, die Uthruk jetzt erkundete. Die Zwerge waren würdige Gegner gewesen und hatten mehr Krieger getötet, als Uthruk erwartet hätte. Während er durch die leichengepflasterten Hallen lief kam er nicht umhin, die Baukunst der Zwerge zu bewundern.
      Die eigentliche Stadt Thalgarad bestand aus sieben ringförmigen Plateaus, die auf unterschiedlichen Tiefen in den Berg gemeißelt waren. An den Wänden dieser Plateus befanden sich komplette Hausfassaden, die in die Behausungen der Zwerge führten. Das alles zu bauen musste hunderte Jahre gedauert haben.
      „Häuptling“, rief Gorrath, der, eben, gefolgt von Turgol aus einem der zahlreichen Tunnel aufgetaucht, auf Uthruk zugerannt kam. „Die Überlebenden sind in die Tunnel geflohen und haben sie hinter sich versiegelt. Keine Chance, sie zu verfolgen.“
      „Das heißt, dass Isenwerk bald alarmiert sein wird“, sagte Turgol. „Und glaubt mir, Ork, an Isenwerk werdet sogar Ihr euch die Zähne ausbeißen.“
      „Unsinn“, sagte Gorrath mit einem überheblichen Grinsen und schlug sich mit der Faust auf die Brust. „Niemand kann der Macht der Horde standhalten.“
      „Das sagt ihr nur weil ihr keine Ahnung habt, wovon ihr redet“, antwortete Turgol mit einem gehässig verständnisvollen Lächeln. „Die Festung hat drei Tore, die noch dicker sind als das von Thalgarad. Und zwischen jedem dieser Tore befinden sich zwanzig Meter Straße. Stellt euch vor, ohne Deckungsmöglichkeit vorzurücken während Pfeile und Feuer auf euch regnen, bis ihr überhaupt erst zu den Schmieden gelangt. Der Weg in die eigentliche Stadt ist noch besser geschützt. Isenwerk kann nicht erobert werden, Ork. Nicht von euch, und auch nicht von niemandem sonst.“
      „Der Zwerg hat keine Ahnung von unserer wahren Stärke“, sagte Gorrath auf Orkisch. „Ich denke nicht, dass wir etwas auf seine Meinung geben müssen.“
      „Kennt Ihr Isenwerk?“, gab Uthruk, ebenfalls auf orkisch, zurück. „Nein, das tut ihr nicht. Ich auch nicht. Das Wort des Zwergen ist alles, was wir haben und es gibt keinen Grund, ihm nicht zu glauben.“
      Gorrath zuckte mit den Schultern. „Die Befehle des Kriegshäuptling sind eindeutig, er hat gesagt...“
      „Er hat uns gesagt, wir sollen das Reich der Zwerge erobern. Er hat nicht gesagt, dass wir für nichts sterben sollen.“
      „Es ist eure Entscheidung.“
      Uthruk wandte sich wieder Turgol zu der, sichtlich verärgert darüber, dass man in seiner Gegenwart eine offenbar wichtige Unterhaltung in einer Sprache führte, die er nicht verstand, die Arme verschränkt hatte.
      „Turgol“, sagte Uthruk. „Werdet Ihr uns bei einem Angriff auf Isenwerk beistehen?“
      Turgol schüttelte den Kopf. „Nein, Ork. Meine Leute würden zwar, wenn sie könnten, jeden einzelnen der Verräter töten, aber Isenwerk ist nicht zu nehmen. Sie werden Isenwerk auch nicht verlassen, und sie auszuhungern wird Jahrzehnte dauern.“
      Uthruk wandte sich Gorrath zu. „Dann ist es beschlossen. Dies ist ein Kampf, den wir nicht führen werden.“
      „Dann trennen sich unsere Wege hier“, sagte Turgol und nickte höflich. „Ich werde meine Männer zusammen rufen und wir werden uns zurück ziehen.“
      „Seid Ihr sicher, dass Ihr euch nicht an unserem Feldzug beteiligen wollt“, fragte Uthruk. „Ihr seid hervorragende Kämpfer und wir können jeden Mann brauchen.“
      Turgol schüttelte den Kopf. „Nein, Ork. Wir haben uns geholfen weil wir Isenwerk an eurer Seite einen schweren Schlag versetzen konnten. Ab jetzt, fürchte ich, seid ihr wieder ein potentieller Feind.“

      Henric von Falkentor stand auf dem hölzernen Balkon, der aus dem Speisesaal von Schloss Falkentor ragte und betrachtete das Meer aus Lichtern unter ihm. Jeder Haushalt in Falkentor, so schien es jedenfalls, hatte eine Kerze ins Fenster gestellt, zum Gedenken an die Gefallenen von Grindelfels, Vargstein, Kornhaven, mittlerweile mochte die Liste bereits länger sein, Henric wusste es nicht. Drei Tage waren vergangen seit ein gewisser Henric Sichelschmied in Falkentor aufgetaucht war, mit einer Nachricht des Kriegshäuptlings der Orks und einem Schreiben von Garnisonskommandant Karkaday, in dem er sich für die Glaubwürdigkeit des Jungen verbürgte. Drei Tage, in denen Ratlosigkeit und Verantwortungsdruck schwer auf seinen Schultern gelastet hatten.
      „Sire?“, fragte eine Stimme hinter ihm. Henric drehte sich um und sah General Darvik im Türrahmen stehen.
      „General Darvik.“
      Darvik trug seine volle Rüstung, Henric bezweifelte, dass er sie seit der Beratung am Vormittag abgelegt hatte.
      „Ich wollte mit euch reden und euer Kammerdiener hat mir gesagt dass ihr hier irgendwo seid.“
      „Ich rede gern mit euch. Kommt nur herüber.“
      Darvik kam um den großen Eichentisch herum und lehnte sich neben Henric an das Geländer.
      „Was soll ich tun, Andreos?“

      Andreos stutzte einen Moment, denn der König hatte ihn, obwohl er ihn sehr schätzte, noch nie mit seinem Vornamen angesprochen.
      „All diese Menschen“, sagte er und ließ seinen Blick über die erleuchteten Häuser unter ihm schweifen. „Sie erwarten, dass ich sie rette, sie führe, aber wie soll ich das machen, wenn ich diese unaufhaltsame... 'Horde' gegen mich habe?“
      „Was sie erwarten“, sagte Andreos „ist, dass ihr irgendetwas unternehmt. Es geht weniger darum, was Ihr tut, es geht eher darum, dass Ihr überhaupt etwas tut.“
      „Ja, aber was soll ich unternehmen? Glaubt ihr, wir können die Horde aufhalten?“
      Andreos fühlte, dass sich sein König nach Zuspruch sehnte, allerdings konnte er es nicht vor sich verantworten, ihm falsche Hoffnungen zu machen.
      „Nein“, sagte Andreos. „Das können wir nicht.“
      Henric nickte und wandte seinen Blick wieder auf die Stadt.
      „Allerdings... wenn dieser Schwarzkiel recht hat...“
      Henric wandte sich Andreos zu. „Ihr habt wieder mit Schwarzkiel geredet?“
      Andreos lief leicht rot an. „Ja, Sire. Und wenn er Recht hat haben wir eine einmalige Gelegenheit, die Horde mit einem Schlag zu stoppen.“


      5.) Warum wir kämpfen
      5.) Warum wir kämpfen

      Mor'gosh war mittlerweile klar, warum die Region, die sie durchqueren wollten „Nordwall“ genannt wurde, doch dieser Name wurde ihr nicht gerecht, denn es war gewiss einfacher, den Wall einer Festung zu überwinden. Nordwall bestand aus zwei Ebenen, einem Hochplateau, auf dem der Schnee nie schmolz, auf dem eisige Winde wehten und auf dem man sich unmöglich orientieren konnte. Der einzige Weg durch diese Lebensfeindliche Einöde war eine gewundene Schlucht im Osten der Ebene, die die Nordmänner von jenseits des Nordwalls allerdings unglaublich gut befestigt hatten. Seit Tagen schon kämpften sie schon um jeden Zentimeter Boden, doch sie kamen nur schwer vorwärts, denn hinter jedem Geröllbrocken und auf jedem Felsvorsprung schien sich ein mit Bogenschützen besetzter Holzverschlag zu befinden. Mor'goshs Angriffstrupp war bereits beinahe aufgerieben worden und er hegte die Befürchtung, dass Nordwall die Horde so viele Krieger kosten könnte, dass sie bei der Eroberung der Länder der Norsen Schwierigkeiten bekommen könnten.
      Mor'gosh schritt die Reihen der Verwundeten ab, die der letzte Kampf hinterlassen hatte. Die Norsen hatten sie mit Pfeilen beschossen und waren geflohen, bevor sie einen hatten töten können. Generell war das Verhältnis der besiegten Gegner bis jetzt frustrierend gering gewesen.
      Das Gebrüll eines wilden Tieres hallte durch die Schlucht, gefolgt von ein paar Rufen der Krieger und im nächsten Moment preschte ein Wargreiter hinter einer Windung hervor, brachte das Tier zum stehen und sprang ab.
      „Man sagte mir, der Subrok sei hier vorne.“
      „Ich bin der Subrok“, sagte Mor'gosh. „Wer seid Ihr?“
      Der Ork salutierte, indem er sich auf die Brustplatte klopfte.
      „Uthruk von den Stachelrücken schickt mich“, sagte er. „Wir haben entschieden, die Stadt der Zwerge links liegen zu lassen und euch hier zu unterstützen. Uthruk wird in wenigen Tagen hier ankommen.“ Der Ork grinste. „Und er wird die Wargreiter mitbringen.“
      Das war die beste Nachricht, die Mor'gosh seit Tagen gehört hatte.

      „Wir postieren eine zweite Reihe Bogenschützen oberhalb des Torhauses“, rief Karkaday, während er über den Wehrgang schritt. „Versucht, die Katapulte so zu postieren, dass wir die Horde damit beschießen können, aber wir sollten sie auch schnell genug verbrennen können, bevor sie die Horde an sich reißen kann.“
      Um ihn herum rannten Soldaten umher, um seine Befehle auszuführen. Landbüttel hatten die Vorhut der Horde bei einer kleinen Gemeinde im Nordosten gesehen, es war nur noch eine Frage von Stunden, bis sie in Greifental eintraf, und Karkaday wollte es ihnen so schwer wie möglich machen. Nachdem er die Truppen auf der Stadtmauer inspiziert hatte kehrte er auf den Marktplatz zurück, der kurz hinter der Stadtmauer lag. Der Hauptmann der ersten Wachkompanie, ein drahtiger Mann namens Raphael Harpner, sowie der Stadtarchitekt, eine große, dünne Gestalt namens Luther Octavius, unterhielten sich gerade.
      „Habt Ihr noch eine Idee für die zusätzliche Stabilisierung der Verteidigungsanlagen, Luther?“
      Octavius schüttelte den Kopf. „Nicht mehr als die Holzverschläge, die wir bereits angebracht haben. Was wir haben muss reichen.“
      „Raphael?“
      „Wir haben alle bewaffnet, die sich freiwillig gemeldet haben, Sire“, sagte Harpner. „Allerdings verstehe ich nicht, warum wir nicht einfach alle waffenfähigen Männer eingezogen haben.“
      „Weil ich es von diesen Leuten nicht verlangen kann, für Greifental zu sterben, wenn sie nicht wollen“, sagte Karkaday.
      Harpner zuckte mit den Schultern, zog eine Karte aus seinem Gürtel und begann, sie zu studieren.
      „Wie steht es mit der Evakuierung?“
      „Alle Einwohner, die wollten, haben wir nach Süden geschickt“, sagte Harpner, ohne den Blick von der Karte abzuwenden. „Die anderen wurden angewiesen, sich vor dem Rathaus zu versammeln.“
      „Sehr gut.“ Karkaday wandte sich nun an beide. „Gibt es Ihrer Meinung sonst noch etwas, das wir tun können meine Herren?“
      Harpner und Octavius sahen sich an. „Nein, Sire“, sagte Octavius. „Nach meiner Einschätzung nicht.“
      Karkaday nickte grimmig. „Dann lassen wir sie kommen.“

      Vokrash saß auf einem Baumstumpf und streichelte nachdenklich seinen Warg, der neben ihm auf der Erde lag und döste. Er hatte auf einem Hügel, auf dem ein paar Tannen wuchsen Quartier bezogen. Von hier hatte er einen guten Blick auf die Stadt Greifental, die das nächste Ziel der Horde darstellte. Vokrash hatte die Stadt schon mit einem gestohlenen Fernrohr untersucht, wollte allerdings noch auf die Einschätzung der Späher warten.
      Am Fuße des Hügels tauchte Skirrak aus der Menge der wartenden Krieger auf und kletterte den Hügel empor.
      „Ich höre“, knurrte Vokrash.
      „Die Stadt ist gut befestigt“, sagte Skirrak. „Besser als diese andere Festung.“
      „Wie ist sie verteidigt?“
      „Hohe Wälle, viele Bogenschützen, quasi der komplette Wall ist besetzt. Wir kommen höchstens mit Leitern hoch, aber das wird nicht einfach.“
      „Vorschläge?“
      „Wir können zuerst ihre Reihen ausdünnen, bevor wir Leitern an den Wall setzen“, sagte Skirrak. „Aber hohe Verluste werden wir so oder so hinnehmen müssen.“
      „Gut gemacht, Skirrak. Schick mir die Häuptlings hier hoch.“
      Skirrak verbeugte sich und rannte den Hügel herunter.

      Es war dunkel geworden und die Horde hatte Fackeln angezündet. Unzählige Lichtpunkte, und jeder für sich bedrohlich, bewegten sich jetzt auf Greifental zu. Karkaday hatte an der Seite Harpners auf dem Torhaus Stellung bezogen. Mit verschränkten Armen stand er vor einem Falkenbanner, dass er am Tor hatte befestigen lassen. Wie der Kampf auch ausgehen mochte, sie würden den Orks einen würdigen Kampf liefern.
      Die Horde marschierte ihn geordneten Reihen auf die Stadtmauer zu, was Karkaday verwunderte, denn derartige Disziplin hätte er ihr nicht unbedingt zugetraut. Jemand brüllte einen Befehl. Augenblicklich blieb die Horde stehen und die erste Reihe hob ihre Schilde.
      „Lasst sie noch ein Stück herankommen“, sagte Karkaday laut. „Schickt ihnen auf meinen Befehl einen Pfeilhagel.“
      Überall auf der Mauer wurden Bögen und Armbrüste gespannt. Karkaday zog sein Schwert.
      Ein weiterer Befehl aus der Horde und die Orks bewegten sich langsam auf den Wall zu.
      „Wartet... Wartet... Feuer!“
      Diesen Befehl schrie Karkaday heraus, so laut er konnte. Ein Pfeilhagel prasselte auf die Horde hoch, allerdings hatten viele Orks kleine Kampfschilde, die sie rechtzeitig gehoben hatten. Karkaday fluchte. „Feuer Frei!“
      Pfeil um Pfeil fand sein Ziel, jedoch schien das die Horde aufgrund ihrer schieren Zahl nicht großartig zu beeindrucken. Sie hatten den Wall erreicht und nun begannen ihre Schützen, die Menschen auf den Wällen unter Beschuss zu nehmen. Während sie die Verteidiger durch Sperrfeuer in die Deckung zwangen erhoben sich Leitern aus der Horde. Kaum hatten diese die Mauern erreicht, begannen die Orks auch schon damit, hoch zu klettern.
      Karkaday, der sich unter den Zinnen geduckt hatte sprang auf, machte einen großen Satz zu der Leiter, die ihm am nächsten war und stieß sie mit einem Fußtritt um, bevor der erste Ork die Mauer erreicht hatte, allerdings durchbohrte ein Orkpfeil keine Sekunde später seine linke Schulter. Fluchend tauchte er wieder unter die Zinnen.
      „Cornelius“, rief Harpner, der in der Deckung der Zinnen auf ihn zu kroch. „Ist alles in Ordnung?“
      „Ich lebe noch“, rief Karkaday zurück, während er die Zähne zusammen biss und den Pfeil aus seiner Schulter zog.
      „Ihr solltet zurück nach unten“, sagte Harpner. „Wir kommen hier oben klar.“
      „Sicher?“
      „Absolut sicher. Lasst Euch das verbinden.“
      Karkaday nickte ihm zu und kroch dann zur nächstbesten Walltreppe.

      Wieder und wieder hämmerte der Rammbock gegen das Tor, das immer noch hielt, obwohl die ersten Splitter schon auf dem Boden lagen. Um ihn herum starben seine Brüder, wurden von Pfeilen getroffen oder von Steinen, die von den Verteidigern heruntergeworfen wurden, doch Maruz kümmerte es nicht. Hinter ihm drängte sich die Horde in Erwartung auf den Kampf, der sie im Inneren der Stadt erwarten würde.
      Das Tor brach. Die Krieger ließen den Rammbock fallen und stürmten hinein, Maruz vorneweg. Hinter dem Tor befand sich ein weitläufiger Platz, der von mehrstöckigen Fachwerkhäusern eingerahmt war. Die Menschen hatten einen Schildwall gebildet, der den Orks den Weg versperren sollte, worüber Maruz nur grinsen konnte. Er zog seine Äxte und stieß einen Kriegsschrei aus. Er war zuhause. Er und seine Brüder stürmten los, auf die Reihen der Menschen zu.
      „Jetzt!“, rief einer von ihnen. Die Schildträger der ersten Reihe fielen auf die Knie und offenbarten eine Reihe von Armbrustschützen, die nun eine Salve auf die Orks abschossen. Einer der Pfeile schoss direkt auf Maruz' Stirn zu und durchbohrte seinen Kopf. Maruz kippte nach hinten um und begrub dabei einen Goblin, unter sich, der hinter ihm gelaufen war.

      Karkaday hatte sich seine Wunde notdürftig verarzten lassen und hatte sich wieder dem Kampf auf dem Marktplatz angeschlossen. Der Schildwall war natürlich längst gebrochen, doch die Verteidiger leisteten außerordentlich zähen Widerstand, allerdings waren immer mehr gezwungen, in die Straßen auszuweichen, da die Horde unaufhaltsam in die Stadt drängte.
      Er selbst hatte sich einer kleinen Gruppe von Soldaten angeschlossen und führte nun verbitterte Rückzugsgefechte nach Westen, zum Kirchplatz, an dessen Eingang einige Wachsoldaten notdürftige Barrikaden errichtet hatten. In dem ganzen Chaos gelang es ihm, einen Wachoffizier ausfindig zu machen.
      „Bericht“, sagte Karkaday knapp.
      „Wir haben ein paar Zivilsten aufgegabelt, sie sind in der Kirche.“
      „Wieviele?“
      „Ungefähr zehn.“
      „Irgendwas neues von Harpner?“
      „Nein, Herr, aber ich habe ihn vorhin mit Octavius in Richtung Rathaus gehen sehen.“
      Karkaday zog die Augenbrauen hoch. „Was wollen sie am Rathaus?“
      „Ich weiß es nicht, Herr.“
      Karkaday nickte. „Gut, danke für die Informationen.“
      „Cornelius!“
      Ein hochgewachsener alter Mann in einem Kettenhemd und einem etwas abgewetzten Armeewappenrock kam auf ihn zugehinkt und Cornelius erkannte Serpius Valentin, der vor ihm die Greifentaler Garnison kommandiert hatte.
      „Serpius“, sagte Cornelius überrascht. „Ich dachte ihr wärt geflohen.“
      Augenblicklich wurde Cornelius klar, dass er Serpius mit der Unterstellung, er hätte Greifental im Angesicht des Feindes verlassen, beleidigt hatte und er senkte den Blick.
      „Ich werde Greifental niemals verlassen, wenn es in Gefahr ist“, sagte er. „Ganz besonders nicht, wenn die Gefahr groß ist.“
      „Habt ihr den Kirchplatz verbarrikadieren lassen?“
      „Ja.“
      „Gut gemacht. Ich fürchte nur dass es nicht viel bringen wird, die Orks sind einfach zu zahlreich.“
      „Mir ist durchaus klar, dass wir diesen Kampf nicht gewinnen können, Cornelius“, sagte Serpius. „Allerdings haben wir nicht vor, es den Orks einfach zu machen. Ich jedenfalls, ich weiß nicht, wie ihr das seht.“
      Karkaday schätzte Serpius zwar, allerdings hatte er mit fortschreitendem Alter eine gewisse kauzige Überheblichkeit entwickelt, die Karkaday ihm in den meisten Fällen zwar gönnte, die in der derzeitigen Situation allerdings nicht sonderlich produktiv war.
      „Ich werde mal einen Blick in die Kirche werfen“, sagte Karkaday. Serpius nickte.
      „Nur zu.“ In seiner Stimme schwang leichte Verachtung mit, die Karkaday allerdings ignorierte, da er derartige Stimmungsschwankungen von Serpius gewöhnt war.

      Die Kirche war ein längliches Gebäude, das zum der Tür gegenüberliegenden Ende ein sachte geschwungenes Dreieck beschrieb. Die Holzbänke, die sonst immer hier standen hatte man offenbar nach draußen getragen und in den Barrikaden verbaut. Elf Bürger, Männer und Frauen jeden Alters, saßen auf dem Boden, beschützt von fünf Soldaten.
      „Seht, da ist Herr Karkaday“, sagte eine alte Frau, als sie Karkaday erkannte. „Ihr werdet uns beschützen. Das werdet Ihr doch, oder?“
      „Ja“, sagte Karkaday. „Ich werde euch beschützen.“ Sie dabei anzusehen ertrug er nicht. Wie als würde er hoffen, in der Kirche einen Ausweg aus ihrer hoffnungslosen Lage zu finden, sah er sich um. Die Kirche war ein prunkvolles Gebäude mit einer hohen Decke und Buntglasfenstern, die die jungen Götter zeigten. Das größte befand sich am Ende des Raumes über dem Altar und zeigte Aurean. Ein großes Auge war auf die Decke gemalt, das Symbol Vaters. Karkaday wusste, dass die Kirche noch aus der Zeit des Imperiums stammte, aus einer Zeit, bevor der Kaiser in einem Bürgerkrieg gestürzt wurde, der schließlich die drei Königreiche Stalvard, Falkentor und Tardun hervor gebracht hatte, und lange vor dem Bescheidenheitserlass des Ordus Aira.

      Knarrend wurde die Türe aufgezogen. Es waren Raphael Harpner und Luther Octavius.
      „Raphael“, rief Karkaday erleichtert. „Ihr seid am Leben. Wo wart ihr?“
      „Der Herr Architekt musste unbedingt ins Stadtarchiv“, sagte Harpner mit einem Kopfnicken in Richtung Octavius, der eine sehr große Pergamentrolle unter den Arm geklemmt hatte. „Er meinte, er hätte was wichtiges entdeckt.“
      „Das habe ich in der Tat“, sagte Octavius. Er kniete sich hin und entrollte das Pergament. Es war wirklich sehr groß, beinahe zwei Meter in der Länge und einen Meter in der Breite. Es war offensichtlich eine Straßenkarte von Greifental, allerdings konnte sie nicht sehr aktuell sein, denn die Randbezirke waren in der Zwischenzeit stark angewachsen. Außerdem irritierte Karkaday, dass überall auf dem Plan scheinbar völlig willkürlich dicke rote Linien eingezeichnet waren.
      „Was ist das, Luther?“, fragte Karkaday skeptisch.
      „Ein alter Stadtplan“, sagte Octavius und deutete auf eine Jahreszahl, die jemand in eine Ecke gekritzelt hatte. Sollte sie stimmen stammte diese Karte aus der Mitte des ersten Zeitalters und war somit fast tausend Jahre alt.
      „Und eine tausend Jahre alte Stadtkarte soll unser aller Rettung sein?“, fragte Karkaday nicht minder skeptisch.
      „Indirekt ja“, sagte Octavius und deutete auf einer der roten Linien.
      „Wisst ihr, was das ist?“
      „Ein roter Strich?“
      „Das sind Abwasserkanäle.“
      Karkaday zog eine Augenbraue hoch. „Abwasserkanäle?“
      „Abwasserkanäle“, wiederholte Octavius. „Falls ihr aufgepasst habt, als in der Schule Historie gelehrt wurde, während des Bürgerkriegs wurde Greifental von kaisertreuen Truppen nahezu vollständig zerstört. Viele Abwasserkanäle brachen dabei ein und nahmen ganze Häuserblocks mit. Die Löcher wurden wieder aufgefüllt und man baute einfach die Stadt über den Abwasserkanälen wieder auf. Sie gerieten in Vergessenheit.“
      „Und warum wisst ihr auf einmal davon?“
      „Es ist mir vorhin eingefallen“, sagte Octavius. „Reiner Zufall. Es war eine Randnotiz in einem Buch, das ich kürzlich gelesen habe. Es gibt hier am Kirchplatz noch irgendwo einen Eingang.“
      „Sagtet ihr nicht, die Abwasserkanäle seien eingestürzt?“
      Octavius schüttelte den Kopf. „Mit Verlaub, Sire, ihr kennt diese Stadt nicht so gut wie ich. Eingestürzt sind vor Allem Partien im Osten der Stadt, aber hier dürfte das Netz weitgehend intakt geblieben sein, ich kann mich an keine erwähnenswerten Grundabsenkungen in den letzten tausend Jahren erinnern.“
      Karkaday sah immer noch nicht überzeugt aus
      „Vielleicht ist es riskant“, sagte Octavius so leise, dass nur Karkaday und Harpner ihn hören konnten. „Aber es ist der einzige Weg, das Leben dieser Leute zu retten. Und wir kämpfen doch nur deswegen, oder?“
      „Ja“, sagte Karkaday nachdenklich. „Deswegen kämpfen wir.“


      6.) Relikte
      Relikte

      Mit einem lauten Krachen zerbarst die Barrikade, die die Menschen aus Möbeln errichtet hatten. Sie war so wacklig dass sie sogar ein einzelner Ork hätte durchbrechen können, es wäre gar nicht nötig gewesen, einen Goblin dagegen zu werfen, aber Skûrz war langweilig gewesen. Prustend wühlte sich der Goblin aus dem Schutthaufen hervor und stoplerte in Skûrz' Richtung, der ihn lachend an den Schultern packte und in die richtige Richung drehte.
      „Da ist der Feind“, schnarrte er und versetzte dem Goblin einen Fußtritt. Das stimmte allerdings nicht so ganz, denn die Menschen schienen diesen Bereich der Stadt geräumt zu haben, was aber kaum möglich war. Es war ein weitläufiger Platz, in dessen Mitte eine große Statue stand. Die Straße, die sie verbarrikadiert hatten war der einzige Zugang.
      „Ishak“, brüllte Skûrz und der Goblin kam angewuselt.
      „Jaaa?“
      „Durchsucht alle Häuser. Die Menschen müssen sich hier irgendwo verstecken.“
      Während Ishak seine Goblins zu sich rief und auf dem Platz ausschwärmte lehnte sich Skûrz an die Wand eines Hauses. Warum die Menschen den Kampf so scheuten würde er nie verstehen.

      Das Licht von Karkadays Fackel ließ die Schatten an den uralten Mauern des antiken Abwassersystems von Greifental tanzen. Octavius hatte Recht gehabt, in einem der Häuser hatte es tatsächlich einen Zugang gegeben, eine alte Falltür, unter einem massiven Schrank verborgen und über jahrhunderte vergessen. Octavius, der den Grundriss der Abwasserkanäle grob im Kopf hatte ging mit Karkaday voraus, ihnen folgten die Flüchtlinge und die übrigen Soldaten, das Schlusslicht bildete Serpius.
      In den Jahrtausenden waren die Kanäle ausgetrocknet, aber nach wie vor haftete ihnen der Geruch von Fäkalien und Verwesung an, ab und zu hörte man eine Ratte.
      Die Abwasserkanäle waren breite, hohe Korridore mit großen Rinnen im Boden. Links und rechts an den Wänden befanden sich Rohre, die früher wohl dazu gedient hatten, Abwässer in den Kanal zu leiten, der sie letztendlich in den Amoth getragen hatte. Hin und wieder sahen sie links und rechts eine alte metallene Leiter oder eine Treppe, aber die meisten davon führten zu verschlossenen Türen oder sogar nirgendwohin.
      „Ich will ehrlich sein, Sire“, sagte Octavius nach einer Weile. „Ich weiß nicht mal, wo wir sind. Ich vermute, dass wir uns an der Westmauer entlang bewegen, aber ich weiß nicht, wo genau und wann wir nach rechts abbiegen müssen.“
      Karkaday war auf so etwas gefasst gewesen.
      „Die Hauptsache ist, dass wir noch leben“, antwortete er.

      „Keine Spur von den Menschen“, krächzte Ishak, der nun von der Kirche her auf Skûrz zu gerannt kam. „Aber wir haben was anderes gefunden.“
      Skûrz erkannte, dass Ishak eine große Pergamentrolle mit sich trug, die er nun vor Skûrz ausbreitete. Skûrz senkte seine Fackel, um sie zu untersuchen.
      „Was ist das?“, fragte er.
      „Meine Leute vermuten, dass das die Stadt ist“, quietschte Ishak.
      „Kann sein“, brummte Skûrz. „Aber was sind das für rote Striche?“
      „Keine Ahnung. Tunnel vielleicht?“
      Skûrz schaute Ishak an, der bis über beide Ohren grinste. „Wie kommt ihr darauf?“
      Ishak zuckte grinsend mit den Schultern. „Nur so 'ne Idee. Würde erklären, wo die Menschlinge hin sind.“
      Skûrz schaute wieder auf die Karte.
      „Gut“, sagte er schließlich. „Dann schaut nach, ob es hier so was wie einen Tunneleingang gibt. Wenn sich die Menschen wirklich verzogen haben... dann findet sie und macht sie fertig.“
      Ishak wurde urplötzlich von einem heftigen Kicheranfall geschüttelt und wuselte schließlich, immer noch kichernd, los.
      „Wir haben den Eingang schon gefunden“, rief er mit seiner schrillen Goblinstimme, während er sich immer weiter entfernte. „Meine Jungs sind schon unten.“
      Irre lachend hüpfte er auf ein Haus zu. Er hatte zwar eigentlich gute Arbeit geleistet, aber Skûrz hätte ihm trotzdem am Liebsten den Kopf abgerissen.

      „Cornelius“, zischte Serpius, der vom Ende des Zuges . „Ich hab was gehört.“
      „War wahrscheinlich nur eine Ratte“, antwortete Karkaday.
      „Nein“, sagte Serpius bestimmt. „Ratten lachen nicht.“
      Karkaday stutzte. Jetzt hörte er es auch. Hinter ihnen näherten sich viele schrill kichernde Stimmen.
      „Das sind Goblins“, flüsterte er. „Haben wir Spuren hinterlassen?“
      „Schau mal nach unten“, antwortete Serpius.
      Karkaday verfluchte seine eigene Dummheit. Die ganze Zeit waren sie in der Kanalrinne gelaufen, in der sich im Laufe der Jahrhunderte eine Art Schlamm angesammelt hatte, der zwar sehr trocken, aber immer noch weich genug war, um gut sichtbare Spuren zu hinterlassen.
      „Ich halte sie auf.“
      Karkaday drehte sich irritiert um, denn der, der gesprochen hatte war Octavius gewesen.
      „Ihr? Wie wollt ihr...“
      „Ich schaffe das schon“, sagte Octavius bestimmt. „Wenn ich es nicht tue werden sie alle töten.“
      „Aber...“
      „Wartet hinter der nächsten Biegung auf mich“, sagte Octavius. „Ich bin gleich zurück. Und bitte... bitte vertraut mir.“
      Ohne auf Karkadays Reaktion zu warten rannte Octavius davon und verschwand hinter der Tunnelbiegung.
      „Lasst den Spinner gehen“, sagte Harpner. „Soll er sie halt beschäftigen, das verschafft uns wenigstens Zeit zu entkommen.“
      „Und wohin sollen wir entkommen, Raphael?“, fragte Karkaday erzürnt. „Octavius ist der einzige, der weiß, wo wir uns überhaupt befinden. Wenn wir...“
      Doch ein lautes Geräusch, das sich mit den Schreien der Goblins vermischte schnitt ihm das Wort ab. Die Wände um sie herum erzitterten, ein lautes Krachen und das Geräusch von mahlendem Fels walzte sich durch den Tunnel. Aus einer Staubwolke, die um die Ecke wehte, kam der hustende Octavius, offenbar unverletzt. Karkaday klappte der Mund auf.
      „Was habt ihr getan?“
      „Den Weg versperrt“, hustete Octavius.
      „Aber wie...“
      „Vielleicht komme ich mal dazu, es euch zu erklären. Jetzt müssen wir aber erstmal hier raus.“

      Dieses Mal erhob sich der Thane nicht wie sonst immer, um die Minister zu begrüßen. Er saß in seinem Lehnstuhl und tastete gedankenverloren auf dem mit Silberbeschlägen verzierten Eisenhelm, der auf der Armlehne lag herum. Die Minister setzten sich, ohne dass der Thane überhaupt Notiz von ihnen zu nehmen schien.
      „Meine Herren“, sagte er schließlich. „Ich denke ihnen dürfte klar sein, warum ich diese außerordentliche Sitzung einberufen habe.“
      Die Senatoren sahen sich verstehend an.
      „Gegenwärtig befinden wir uns in einer komplizierten Lage“, fuhrt der Thane fort. „Thalgarad ist gefallen und geplündert worden, unser gesamtes Reich ist in Aufruhr. Der Senat hat beschlossen, zu handeln, aber die Detailfragen auf uns abgeschoben.“
      „Das ist wieder mal typisch“, murmelte einer der Minister, ein Zwerg mit wilden roten Haaren namens Tiefstollen.
      „Jedenfalls sollten wir uns, bevor wir handeln erst einmal einen Überblick verschaffen. Ist Isenwerk direkt bedroht?“
      „Ich habe heute morgen die neuesten Späherberichte bekommen“, antwortete der Thane. „Das Orkheer hat sich nach seinem Sieg bei Thalgarad nach Nordosten gewandt und bewegt sich auf Nordwall zu.“
      „Nordwall... heißt das, sie wollen die Norsen angreifen?“
      „Das vermutet jedenfalls der Senat“, sagte der Thane. „Und ich auch“, fügte er hinzu.
      „Aber dann ist es ja gar nicht unser Problem“, rief Tiefstollen, der beinahe aufgesprungen wäre. „Warum halten wir uns nicht einfach aus diesem Krieg heraus?“
      „Weil er uns schon längst erfasst hat“, sagte Kupferbart, ein kahlköpfiger Zwerg mit einem gewaltigen rotblonden Bart. „Thalgarad ist schließlich nicht von selbst gefallen.“
      „Thalgarad war eine Tragödie“, sagte Tiefstollen. „Aber warum sollten noch mehr Zwerge sterben, wenn diese Horde überhaupt keine Bedrohung für uns darstellt?“
      „Wir sollen es also einfach aussitzen?“, rief Steinarm, ein vergleichsweise junger Zwerg mit blonden Haaren. „Damit würdet ihr jeden Zwerg beleidigen, der in Thalgarad gefallen ist.“
      Tiefstollen sprang auf und überall in der Sesselrunde taten es ihm die Minister gleich. Sie begannen, sich nun wild durcheinander gegenseitig anzuschreien, was dem Thane, der versuchte, seine Gedanken zu ordnen nicht unbedingt zupass kam.
      „Ruhe!“
      Der Thane war aufgestanden und bot einen so beeindruckenden Anblick, dass augenblicklich Stille einkehrte und sich die Minister wieder setzten.
      „Tiefstollen hat einerseits Recht“, sagte er. „Wir sind zu wenige als dass wir eine offene Schlacht ausfechten können. Aber...“
      Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und blieb bei Tiefstollen hängen, dem er tief in die Augen sah.
      „Wir haben eine Verpflichtung gegenüber den Norsen. Ich weiß nicht, wie Herr Tiefstollen das hält, aber falls wir den alten Vertägen noch wenigstens einen Funken Wert beimessen ist es unsere Pflicht, an der Seite der Norsen in den Kampf zu ziehen.“
      „Aber was sollen wir tun? Wir können die Horde nicht angreifen. Nicht alleine“, sagte Schwarzbart, ein steinalter Zwerg, dessen Bart aber immer noch die tiefschwarze Farbe seiner Jugend hatte.
      „Wenn wir kämpfen“, sagte der Thane, „dann an der Seite der Norsen.“
      „Aber wenn die Orks nach Nordwall ziehen werden sie die Schluchten bereits blockiert haben. Es sei denn...“
      Schwarzbarts Augen weiteten sich. „Sire, Ihr habt doch nicht etwa vor, über die Hochebene zu gehen?“
      Der Thane sagte nichts, aber sein Blick war Antwort genug.

      Skûrz wollte nicht glauben, was er gerade gesehen hatte. Ein komplettes Haus war einfach in einer Erdspalte verschwunden, die sich urplötzlich aufgetan hatte, nur wenige Augenblicke später hatten sich Ishak und seine Goblins aus dem Schutt gewühlt.
      „Ishak“, rief Skûrz verwundert. „Was zur Hölle ist da unten passiert?“
      „Bin mir nicht sicher“, sagte Ishak. „Der Gang ist einfach eingestürzt.“
      „Und die Menschen?“
      „Sind entkommen, können aber nicht weit sein. Habt ihr die Karte noch?“
      „Habe sie hier.“
      „Dann rollt sie aus, vielleicht gibt es hier in der Nähe noch einen zweiten Eingang.“

      „Hier muss ein Ausgang in der Nähe sein“, sagte Octavius. „Ich glaube, ich habe eine solche Anordnung von Gängen auf der Karte gesehen.“ Sie hatten einen kleinen, rechteckigen Raum erreicht, der in einer dreiteiligen Gabelung endete. „Es ist der mittlere.“
      Octavius ging voran und die Gruppe folgte ihm. Es war ein langer Gang und sie gingen mehrere Minuten bis...
      „Nein“, flüsterte Octavius. Sie hatten das Ende des Ganges erreicht. Die Decke war eingebrochen und große Geröllblöcke versperrten den Weg. Es war eine Sackgasse.
      „Sollen wir wieder zurück“, fragte Karkaday vorsichtig.
      Octavius schüttelte den Kopf, ohne den Blick vom versperrten Weg abzuwenden.
      „Ich war mir so sicher“, flüsterte er. „so sicher...“
      „Wir können nicht zurück“, rief Serpius. „Ich höre wieder etwas, aber das sind keine Goblins!“
      Auch Karkaday hörte es. Das Scheppern von Rüstungen und sogar leises Grunzen und Schnaufen. Das waren wirklich keine Goblins, das waren Orks.
      „Wie kommen die hier runter?“, flüsterte Karkaday.
      „Das macht keinen Unterschied“, sagte der entsetzte Harpner. „Wir sitzen in der Falle.“
      „Nein. Es gibt noch einen Ausweg.“
      Serpius, Harpner und Karkaday drehten sich zu Octavius um, der hart mit sich zu ringen schien.
      „Eine Möglichkeit ist noch übrig. Tretet zurück.“
      Er wandte sich dem versperrten Weg zu und hob die rechte Hand. Dann passierte etwas seltsames. Seine Hand begann zu leuchten, aber es war ein seltsames Licht, ein Licht, das nichts erhellte und auch nicht aus seiner Hand kam, sondern einfach nur da war. Nicht wenige schrien auf, als sich der gesamte Geröllhaufen ein Stück anhob, kleinere Brocken heraus schwebten und ein Loch auftaten, das groß genug war, um einen aufrecht gehenden Menschen durchzulassen.
      „Ihr seid ein Hexer“, rief Harpner, der jetzt noch viel entsetzter aussah.
      Doch im Gegensatz zu ihm war Karkaday im Moment komplett egal, wer oder was Luther Octavius wirklich war. Wenn er zwischen Orks und dem Portal eines Hexers wählen musste entschied er sich für das Portal. Er schritt hindurch. Der erste, der ihm folgte war Serpius, dann kamen Harpner, die verbliebenen Soldaten und der Rest der Flüchtlinge, wenn auch mit sichtlichem Widerwillen.
      Octavius kam als letzter. Kaum hatte er den Durchgang passiert erlosch auch schon das seltsame Licht an seinen Händen und der Durchgang stürzte wieder ein. Er lehnte sich an eine Wand und atmete tief durch.
      „Das war wirklich knapp“, sagte er. „Ich habe die Orks schon gesehen.“ Er sah die Flüchtlinge an, entweder schien er sich aus dem Abscheu, den sie ihm mit ihren Blicken entgegen warfen, nichts zu machen, oder er bemerkte ihn nicht. „Wir sollten weitergehen“, sagte er schließlich. „Ich glaube, ich habe eben einen Luftzug gespürt.“

      „Sie hatten einen Hexer dabei“, brummte Thrugg, den Skûrz auf die Verfolgung der Menschen angesetzt hat. „Haben sich geradewegs durch einen Geröllhaufen gezaubert, der den Weg versperrt hat. Haben uns da lieber fern gehalten.“
      Skûrz nickte.
      „Nun, wir können sie ja nicht alle erwischen. Und mit diesen Hexern ist sowieso nicht zu spaßen. Gut gemacht, Thrugg, trotzdem“, sagte er. Zufrieden sah er sich um. Von menschlichem Widerstand war nirgendwo mehr etwas zu sehen. Die Stadt war eingenommen.

      Sie hatten sich gut zwei Kilometer von Greifental entfernt, auch wenn die brennende Stadt immer noch in Sichtweite war. Auf einem niedrigen Hügel in einem kleinen Wäldchen hatten sie beschlossen, erst einmal zu rasten. Karkaday wollte nachher mit Serpius und Harpner über das weitere beraten, allerdings wollte er davor noch ein paar Worte mit Octavius wechseln.
      Octavius saß abseits der anderen Flüchtlinge, die ihn jetzt, da er sich als Magier offenbart hatte, nicht mehr in ihrer Nähe duldeten. Er hatte ihre Undankbarkeit stillschweigend hingenommen, was Karkaday für hochgradig bewundernswert hielt.
      „Kann ich Euch kurz sprechen, Luther?“
      „Natürlich.“ Octavius lächelte. „Genau genommen freue ich mich, dass überhaupt noch jemand mit mir sprechen will.“
      Karkaday setzte sich neben Octavius auf den weichen Boden.
      „Was ihr da vorhin getan habt war sehr mutig von euch. Und selbstlos.“
      „Ja“, murmelte Octavius nachdenklich. „Ich habe ihnen vorhin das Leben gerettet und nun wollen sie mich nicht mal mehr ansehen. Man müsste doch meinen sie wären wenigstens ein bisschen dankbar, oder?“
      In Octavius' Stimme schwang keine Bitterkeit mit, anscheinend kümmerte ihn der von ihm beschriebene Umstand nicht im Geringsten.
      „Ich wollte nur sagen, dass es mir egal ist, was ihr seid und was die Leute über euch denken. Ohne euch...“
      Doch Karkaday kam nicht mehr dazu, den Satz zu beenden, denn Harpner, der sich unbemerkt von hinten genähert hatte, hatte sich auf Octavius gestürzt und rang ihn zu Boden während er mit einem langen Messer auf ihn einstach.
      „Harpner“, schrie Karkaday, sprang auf und versuchte, Harpner von Octavius herunter zu ziehen, doch es war bereits zu spät. Octavius rührte sich nicht mehr, auf seiner blauen Robe erschien ein immer größer werdender Blutfleck. Einer von Harpners Stichen hatte ihn mitten ins Herz getroffen.
      „Harpner“, brüllte Karkaday erneut. „Bei allen Göttern, habt ihr denn den letzten Rest eures Verstandes verloren?“
      „Er war ein Magier“, schrie Harpner zurück. „Ein gottverfluchter Magier! Ein Wunder, dass wir noch alle am Leben sind! Er hätte uns alle töten können!“
      „Euch mag das entgangen sein, aber Luther Octavius hat uns nicht getötet, er hat uns gerettet!“ Karkaday war so in Rage, dass er Harpners Wappenrock mit Spucke besprenkelte.
      „Jaah, er hat uns gerettet. Aber wer weiß, was er mit uns vorhatte? Hat man euch nicht gelehrt, dass man diesem Pack nicht trauen kann?“
      „Und das ist ein Grund, einen unschuldigen Mann zu töten?“
      „Was bedeutet schon Unschuld? Und ja, ich bin der Meinung das ist ein Grund. Und die Leute scheinen meine Meinung zu teilen.“
      So sehr es Karkaday auch schmerzte, das zuzugeben, Harpner hatte Recht. Die Flüchtlinge, durch den Tumult angelockt, standen an der Hügelkante und schaute auf die drei herunter. Keiner von ihnen wirkte bestürzt, einige wirkten sogar erleichtert. Einzig Serpius' Miene ließ nicht erkennen, was er empfand.
      Tausend Jahre, oder jedenfalls kam es Karkaday so vor, regte sich niemand, dann sagte Serpius: „Egal, was hier jetzt vorgefallen ist, wir sollten so viele Meilen wie möglich zwischen uns und die Orks bringen wie nur irgendwie möglich.“
      „Wir gehen nicht“, sagte Karkaday. „Jedenfalls nicht, bevor wir Luther Octavius anständig begraben haben.“ Er wandte sich Harpner zu, der vor Zorn rot angelaufen war. „Hauptmann Harpner hier wird das Grab schaufeln.“
      Harpners Gesicht wurde noch röter und er schnaubte. „Sehr witzig. Wie soll ich das machen? Wir haben doch nichtmal eine Schaufel.“
      „Ganz genau“, sagte Karkaday grimmig. Für einen kurzen Augenblick sah Harpner so aus, als würde er Karkaday schlagen wollen, dann begnügte er sich aber damit, ihm ins Gesicht zu spucken. Karkaday wischte den Speichel mit seinem Handrücken ab und kniete sich zu Octavius' Leiche hinunter. Sein letzter Gesichtsausdruck, die Überraschung über den plötzlichen Angriff war auf seinem Gesicht eingefroren. Karkaday strecke die Hand aus und schloss seine Augen.


      MfG,
      Crow

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    • Vorab: nicht schlecht, es ist gut geschrieben und hat mich gefesselt. Im ersten Teil fühlte ich mich an die Schlacht auf der Honrburg erinnert, sie war am Anfang ähnlich aufgebaut - das hielt aber nur so lange, bis die Menschen verloren ;3

      Sprachlich sind mir nur kleine Fehlerchen aufgefallen, zumeist Wortwiederholungen, die du vielelicht noch ausmerzen könntest, oder hier und da ein Fehler mit dem Kasus. Wenn du dich in einem Satz auf ein Akkuativobjekt aus dem vorhergehenden Satz beziehst, so musst du auch den Artikel in den Akkusativ setzen; das fiel mir allerdings nur einmal auf, im zweiten Teil - als der Häuptling Henric den Grund dafür erklärt, warum er verschont wurde (Du hast den getötet. Einer meiner stärksten... - hier muss es heißen: EineN, meiner stärksten...).
      Was die wechselnden Erzählperspektiven angeht: Sie machen das Ganze lebendiger. Pass aber auf, dass du nicht zu schnell zu viele neue Figuren einführst, das könnte den Leser überfordern ^^
      Aber du hast gleichzeitig ein gutes Gespür, wann du mit einer Person weitermachen musst, die einen Moment nicht behandelt wurde.
      Gerade, als ich mich ungeduldig zu fragen begann, was eigentlich aus Henric wurde, taucht er wieder auf :thumbs_up:

      Inhaltlich muss ich sagen, dass mich die Orks als "ehrhafte Krieger" etwas verwirren, aber man lernt ja nie aus ;3
      Keine schlechte Idee, die mal nicht, wie Tolkien es zum Beispiel machte, als lediglich kriegerische Horden darzustellen ohne Kultur oder ähnliches (wobei sie ja bei Tolkien eigtl auch nichts dafür konnten, die armen gequälten Ex-Elben ^^).

      Ich bin gespannt, wie du deine Welt entwickelst und ob du jemanden findest, der die Menschen und Zwerge einen kann :3

      "Heirs of Miraika"
      Fantasy, Steampunk, LGBT+

      "Dreaming of Dawn"
      Fantasy, Psychological, Depression
    • Die letzten Kapitel musste ich leider auslagern weil der Eingangspost zu lang geworden wäre. Viel Spaß beim Lesen.

      7.) Der Sturz des Falken
      Der Sturz des Falken

      Karkaday saß in der Dunkelheit. Es war bereits fast Mitternacht und sie hatten Quartier in einem Bauernhof bezogen, dessen Bewohner vor nicht allzu langer Zeit nach Süden geflohen waren. Es hatte Stunden gedauert, bis Octavius endlich begraben war, denn Karkaday hatte es nicht zugelassen, dass jemand Harpner half. Auch deswegen hatte er die ganze Zeit mit gezücktem Schwert neben Harpner Wache gehalten. Sonderlich gut hatte er sich allerdings nicht gefühlt, denn durch die Verzögerung hatte er sie unnötig in Gefahr gebracht. Trotzdem hatte er das Gefühl gehabt, es Octavius schuldig zu sein, Harpner wenigstens irgendwie zu bestrafen.
      Er hatte sich dazu bereit erklärt, die Wache zu übernehmen. Es war nun fast 24 Stunden her, seit Greifental an die Orks gefallen war, und in dieser Zeit hatte Karkaday nicht geschlafen, doch er fühlte sich überhaupt nicht müde. Ihm war eher danach, in der Dunkelheit zu sitzen und seine Gedanken zu ordnen, was ihm nach Allem, was ihm in diesen letzten 24 Stunden widerfahren war, nicht sonderlich leicht fiel.
      „Cornelius“, sagte eine Stimme hinter ihm. Karkaday, der sich zu leer fühlte, um zu erschrecken, hob den Kopf. Es war Serpius. Obwohl es stockdunkel war konnte Karkaday erkennen, dass Serpius eine Pechfackel trug, die er jetzt mit einem Feuerzeug entzündete. „Darf ich mich setzen?“
      „Gern“, sagte Karkaday und starrte wieder in die Dunkelheit. Serpius ließ sich neben ihm nieder und steckte die Fackel in den Boden.
      „Wunderschöne Nacht“, sagte Serpius und starrte in den sternklaren Himmel. „Angesichts unserer Umstände könnte man glatt meinen, dass Halgas uns verhöhnen will. Manchmal habe ich wirklich das Gefühl er ist ein zynischer alter Bastard.“
      „Ich werde gehen“, sagte Karkaday. Er hatte diese Entscheidung seit er hier saß im Kopf hin und her gewälzt. „Nach dem Vorfall mit Octavius glaube ich, dass meine Anwesenheit hier nicht länger erwünscht ist.“
      „Ich halte Euch nach wie vor für einen fähigen Anführer“, sagte Serpius.
      „Das mag sein, aber ich sehe, wie sie mich ansehen. Ich habe einen Magier beschützt. Und was ist ein Anführer, der den Respekt seiner Leute verspielt noch wert?“ Er seufzte. „Ich habe das Gefühl, dass ich die Erwartungen nicht erfüllen konnte... dass ich nicht so sein kann, wie mein Großvater.“
      „Was?“ Serpius' Stimme klang bestürzt, und es war eine ehrliche Bestürzung, keine Stimmung, die er vortäuschte, um sich über Karkaday lustig zu machen, wie er es sonst immer tat. „Cornelius, wenn ich das so sagen darf, ihr habt mehr geleistet als euer Großvater jemals geschafft hätte.“
      „Aber...“
      „Radek der Fledderer“, fuhr Serpius fort, „War ein mächtiger Nekromant. Aber eben genau das. Ein mächtiger Nekromant. Aldus Karkaday hat Greifental niemals gegen ein gewaltiges Orkheer verteidigt.“
      „Aber wir haben die Stadt nicht gehalten“, sagte Karkaday. „Ich habe Greifental nicht gerettet.“
      „Doch, das habt Ihr in gewisser Weise. Ihr habt das Leben von einundzwanzig Menschen gerettet. Einundzwanzig Menschen, die in gewisser Weise Greifental sind.“
      Karkaday starrte in die Flamme der Fackel und dachte über Serpius' Worte nach.
      „Ich kenne dich gut genug um zu wissen, dass ich dir deine Entscheidung nicht ausreden kann“, sagte Serpius nach einigen Minuten. „Aber ich will wenigstens, dass du weißt, dass du dich wegen dem Ruhm deines Großvaters nicht schlecht fühlen musst.“
      Karkaday lächelte. Es war das erste Lächeln seit Tagen. Das Gefühl war seltsam unnatürlich, wahrscheinlich musste er sich erst wieder daran gewöhnen. Trotz Allem – zum ersten Mal war er froh, Serpius Valentin in seiner Nähe zu haben.

      Der Anblick von Gor'Bashuk war ohne Zweifel sehr beeindruckend, selbst nach orkischen Maßstäben. Er war nahezu drei Meter groß, hatte unglaublich breite Schultern und schien nur aus Muskeln zu bestehen. Seine bullige schwarze Rüstung tat ihr übriges. Die Weibchen hatten seine Haare zu Zöpfen geflochten, die nun im Wind wehten, der über die Hügelkette fegte, an der er Position bezogen hatte, mit einem guten Blick auf das nächste Ziel seiner Horde. Die Stadt Falkentor.

      Falkentor, die Hauptstadt des gleichnamigen Königreiches, stammte noch aus der Zeit des Imperiums infolge eines Siedlungsprojekts des Kaisers, um die nördlichen Provinzen zu erschließen. Die umliegenden Berge waren extrem eisenhaltig und hatten Falkentor, das ursprünglich kaum mehr als eine Garnison mit einem angebauten Handelsposten war, dauerhaften Reichtum beschert.
      Die Stadt war auf einem flachen Berg gebaut worden und bestand aus drei Stufen. Der größte Teil der Stadt war das Bauernviertel, oder die Unterstadt. Sie befand sich am Fuß des Berges und war das größte Gebiet. Hier wohnten Tagelöhner, Arbeiter und die Armen. Das Leben dort war sehr hart, nicht wenige Einwohner waren kriminell. Ging man eine der Rampen hoch, die an der Felswand angebracht waren, kam man zum Handwerkerviertel, das die Handwerker und Bürger beheimatete. Auf der Spitze des Berges befand sich schließlich die Oberstadt. Hier stand die große Aureanskathedrale, die alte Garnison und die Feste Falkentor, der Sitz des Königs.
      Jedes Viertel wurde von einer massiven Mauer geschützt, und um die Oberstadt zu betreten musste man erst die anderen Viertel durchqueren. Die Stadt einzunehmen würde nicht leicht sein, das war Gor'Bashuk klar. Dennoch änderte das nichts an seinem Entschluss, es zu tun.
      Vorsichtig öffnete Andreos die Türe zum Konferenzraum. Es hatte eine lautstarke Auseinandersetzung zwischen dem König und Prinz Vincent, seinem einzigen Sohn gegeben, der sich erst geweigert hatte, Falkentor zu verlassen und sich nach Adamant in Sicherheit zu begeben. Zwar hatte er am Ende eingelenkt, aber der König war trotzdem außerordentlich schlechter Laune und hatte erst einmal alle Generäle hinaus geschickt.
      Er saß, den Kopf auf seine Hand gestützt, in seinem Lehnstuhl. Die üblichen roten und goldenen Gewänder hatte er gegen seine reich verzierte Rüstung getauscht, die farblich auf die goldene Krone abgestimmt war. Trotz seines niedergeschlagenen Zustandes sah er sehr beeindruckend aus.
      „Eure Majestät?“
      Henric sah auf. „General Darvik. Ist es schon so weit?“
      Andreos nickte. „Die Horde ist im Tal aufmarschiert. Wir treffen gerade die letzten Vorbereitungen zur Verteidiung. Ich habe vier Armbrustschützen abkommandiert, für unser Vorhaben.“
      „Ich verstehe.“ Henric stand auf. „Und?“
      „Links und Rechts neben dem Eingang des Thronsaals befinden sich zwei Nischen. Wir haben die Rüstungen entfernt und werden Banner drüber hängen.“
      Der König nickte. „Das sollte funktionieren. Ich werde die letzten Vorbereitungen treffen.“
      „Vielleicht kommt es ja gar nicht so weit“, sagte Andreos. Henric lächelte nur.

      „Die Stadt zu nehmen wird nicht leicht“, sagte Groth. „Dicke Mauern, viele Soldaten und permanenter Beschuss durch diese Trebuchets.“
      „Wir haben genug Krieger“, sagte Gor'Bashuk. „Wenn wir die geplünderten Belagerungsmaschinen gut einsetzen sollten wir nicht allzuviele Schwierigkeiten haben.“
      „Wollen wir's hoffen.“
      „Nun, es bringt sicherlich nichts, wenn wir es noch länger aufschieben“, sagte Gor'Bashuk. „Gebt den Befehl zum Angriff.“
      „Jawohl, Häuptling.“
      Groth gab seinem Warg die Sporen und ritt über die Wiese davon. Gor'Bashuk betrachtete seine Armee. Trotz der letzten Teilung waren es immer noch gut dreitausend Orks, die Goblins nicht mitgezählt. Er wusste nicht, wieviele Menschen es waren, doch in der Überzahl konnten sie nicht sein. Und dann konnten sie auch nicht gewinnen, trotz ihrer Festung.

      Der Garnisonskommandant, ein Mann namens Rehan Lehmgräber mit Spitznamen „Zweifaust“, hatte Henric zu einer Einheit geschickt, die die Wälle verteidigen sollte und größtenteils aus Bogen- und Armbrustschützen bestand. In zwei langen Reihen standen sie auf dem Wall, während sich die Horde auf sie zubewegte. Henric kannte den Anblick noch von Grindelfels, allerdings machte es die Erfahrung nicht weniger beeindruckend.
      „Sie haben Katapulte“, grummelte sein Vorgesetzter, ein hünenhafter Mann, der nicht nur wegen seines wilden braunen Bartes nur „Bär“ genannt wurde. Er machte den Eindruck als hätte er bereits mehr als nur eine Schlacht geschlagen. In seinem Gesicht hatte er einige hässliche Narben und er trug eine Augenklappe. „Haben sie wahrscheinlich in Vargstein mitgehen lassen. Das macht die Sache nicht unbedingt einfacher.“
      „Wissen sie überhaupt, wie man die benutzt?“, fragte ein Soldat neben Henric. „Diese Orks erscheinen mir recht dumm.“
      „Wenn sie so dumm wären hätten sie Vargstein nicht eingenommen“, antwortete Bär. „Die Festung war fast so gut beschützt wie Falkentor.“
      Henric sagte nichts, obwohl er die Orks, wie er fand, mittlerweile etwas besser kannte. Man konnte über sie sagen, was man wollte, aber nicht, dass sie dumm waren.
      Die Orkverbände waren jetzt bis auf wenige hundert Meter an Falkentor heran gerückt, aber noch nicht in Schussweite.
      „Das hab ich mir gedacht“, sagte Bär. „Sie wollen uns erst von den Mauern schießen.“
      Die Orks hatten damit begonnen, die Katapulte zu spannen.
      „Kommen sie damit überhaupt weit genug?“, fragte Henric.
      „Wahrscheinlich“, knurrte Bär. „Aufpassen.“
      Die ersten Katapulte wurden abgefeuert. Eins der Geschosse traf etwa fünfzig Meter von Henric entfernt den Wall und brachte ihn zum erzittern. Jetzt setzte sich die Horde in Bewegung, wälzte sich langsam und gleichmäßig auf Falkentor zu. Ein weiteres Geschoss traf den Wall an der Spitze, nur wenige Meter von Henric entfernt. Soldaten stürzten schreiend in die Tiefe, das Geschoss hatte ein tiefes Loch hinterlassen.
      Henric war hingefallen und hatte sich die Hand aufgeschürft. Fluchend stemmte er sich wieder hoch und sah auf. Das letzte was er sah war ein großer Felsbrocken, der sich von einem der Katapulte löste und direkt auf ihn zuflog.

      Die ersten Pfeile schossen auf die Horde nieder, und die ersten Pfeile schossen zurück. Groth und seine Wargreiter hatten am Rand des Heeres Position bezogen, sie waren erst zu etwas gut wenn der verfluchte Wall offen war. Der Beschuss stoppte in dem Moment, als die Reihen der Horde die Mauer erreicht hatte. Die Leitern wurden an den Wall gelegt und die ersten Orks stiegen hinauf. Nach dem zu urteilen was Groth erkennen konnte leisteten die Menschen heftigen Widerstand. Doch auch er würde früher oder später brechen.
      Eine Gruppe Krieger hatte sich auf dem Wall den Weg zum Torhaus freigekämpft und ein Kriegsbanner der Horde gehisst, das Zeichen dafür, dass das Tor geöffnet wurde. Groth stieß einen Kriegsschrei aus und gab seinem Warg die Sporen.

      Der Nachmittag war angebrochen, dunkler als üblich und es hatte begonnen, zu regnen. Karkaday hatte beschlossen, die Straße zu verlassen, nachdem er bereits zwei mal beinahe von einem Spähtrupp der Orks gefasst worden war. Seinen Plan, nach Falkentor zu gehen, hatte er mittlerweile fallen gelassen, nach dem er zu dem Schluss gekommen war, dass die Horde bereits dort sein könnte. Diese Erkenntnis hatte ihn jedoch seines einzigen Ziels beraubt, also ging er jetzt einfach nach Süden, als würde er hoffen, dort etwas zu finden.

      In der Unterstadt war nun Chaos ausgebrochen. Wargreiter, die die erste Verteidigungslinie einfach nieder geritten hatten, fegten durch die Straßen und töteten jeden, der sich ihnen in den Weg stellte. Die Tore zum Handwerkerviertel waren bereits geschlossen worden. Es gab nichts, was Andreos noch für die Soldaten tun konnte. Für die Bürger hoffte er, dass die Orks sie nicht alle töten würden. Eine ganze Stadt auszulöschen war aber auch ein derart großes Verbrechen dass nicht einmal Orks dazu fähig sein konnten.

      Nachdem Uthruk mit seinen Truppen angekommen war hatte Mor'gosh nicht lange gefackelt und den Sturm der norsischen Befestigungen befohlen. Uthruks Reiter fegten gerade zu durch die Schlucht, ihnen folgte das Fußvolk. Durch die Verstärkung kamen sie deutlich schneller und deutlich verlustärmer zum Ziel. Wenn sie die Norsen erst besiegt hatten konnte sie nichts und niemand mehr aufhalten. Es war ein einziger, großer Kampfrausch.

      Die Befestigungen hatten die Orks drei Stunden lang aufgehalten, länger als befürchtet. Viele Orks waren getötet worden, doch mittlerweile hatten sie es bis vor die Festung geschafft. Nun gab es endgültig kein Entkommen mehr. Andreos stand nun neben dem Thron des Königs, um ihm in der Stunde der Entscheidung bei zu stehen. Etwa fünfzig Mann standen noch zwischen der Horde und dem König, doch sie würden kaum lange standhalten.
      Selbst im Thronsaal hörte Andreos, wie das Tor zerbarst. Der König sah aus, als würde ihn die Anspannung fast umbringen. Minuten vergingen, ohne dass sich jemand im Thronsaal auch nur rührte, dann wurde die Türe aufgestoßen.
      Der Ork, der den Saal betrat war in jeder Hinsicht gewaltig. Zweieinhalb Meter groß mit einer massiven schwarzen Rüstung. Er trug eine für menschliche Verhältnisse gigantische, gezackte Axt, die scheinbar eben noch Blut gekostet hatte. Für Andreos gab es keinen Zweifel: Dies musste der Kriegshäuptling sein, von dem Doctor Schwarzkiel gesprochen hatte. Der König erhob sich.
      „Ich bin Gor'Bashuk“, sagte der Ork und klopfte mit dem Stiel seiner Axt auf den Boden. „Und ich bin hier, um Euer Land zu fordern.“
      „Mein Name ist Henric von Falkentor“, antwortete der König. „Und ich fürchte, ihr werdet mein Land nicht bekommen. Im Gegenteil werdet ihr für jeden meiner Leute bezahlen, den ihr und eure Krieger abgeschlachtet habt.“
      Auf Gor'Bashuks Gesicht zeichnete sich ein grausames Lächeln ab.
      „Ich denke nicht, dass Ihr in der Position seid, derartige Äußerungen von Euch zu geben, Henric von Falkentor.“
      „Das mag euch vielleicht so vorkommen“, sagte der König. „Aber ihr solltet die Möglichkeit eines Irrtums ins Auge fassen.“
      Gor'Bashuk lachte und die Krieger, die ihn begleiteten, lachten mit. Henric zog sein Schwert und deutete damit auf die Brust des Orks.
      „Willst du dich duellieren?“, fragte der Kriegshäuptling ungläubig und runzelte die Stirn.
      „Nicht ganz“, sagte der König.

      Dann geschah alles ganz schnell. Die Banner, die links und rechts von der Eingangstüre hingen, wurden herunter gerissen und entblößten Mauernischen, in denen sich jeweils zwei Soldaten mit gespannten Armbrüsten versteckt hatten. Vier Pfeile wurden abgeschossen und trafen Gor'Bashuk in den Rücken und den rechten Oberarm.

      Für einen Moment, einen wunderbaren, bittersüßen Moment, in dem Gor'Bashuk zusammenbrach glaubte Andreos, alles sei vorbei. Die Krieger des Kriegshäuptling waren für einen Moment verwirrt, bis sie ihren Zorn auf die Schützen richteten. Der König schien in seiner Position erstarrt zu sein, mit einem Ausdruck der Ungläubigkeit auf dem Gesicht. Dann fiel dieser Moment in sich zusammen, als sich Gor'Bashuk langsam, mit verzerrtem Gesicht – Andreos konnte nicht sagen ob es Schmerz oder Wut war – wieder aufrichtete.
      Er zog ein Schwert aus seinem Gürtel, machte einen großen Schritt nach vorne und schlug zu.
      Das Blut seines Königs besprühte den zurückweichenden Andreos. Eine Blutfontäne sprudelte aus Henrics Hals, sein Kopf flog durch die Luft und landete dann mit einem dumpfen Schlag. Die goldene Krone rollte über den Boden und ein Zacken brach heraus.

      Gor'Bashuk ließ ein triumphierendes Grunzen ertönen und kippte dann nach vorne um, wobei er die kopflose Leiche des Königs unter sich begrub und den Thron zerschmetterte.


      8.) Nachwirkungen
      Nachwirkungen

      Andreos wurde sofort klar, dass die Verwirrung der Orks seine Chance war. Er sprang über Gor'Bashuk hinweg, inständig betend, dass er tot war, und rannte um sein Leben.

      Karkaday hatte eine kleine Hügelkette erklettert und starrte fassungslos auf das Feld unter ihm. Offensichtlich hatte hier eine Schlacht stattgefunden, oder besser, ein Gemetzel. Unzählige Leichen von Menschen und Pferden lagen dort, zerstörte und geplünderte Wagen. Krähen pickten an den Körpern herum und einige Leichen waren von Tieren angenagt worden, wahrscheinlich waren Barghest in der Nähe. Entsetzt ging Karkaday auf dem Feld herum. Einige schienen Soldaten gewesen zu sein, den größten Teil machten allerdings Zivilisten aus. Männer, Frauen und sogar Kinder fanden sich zwischen den Toten.
      Offenbar war dies hier ein Flüchtlingskonvoi gewesen, der auf dem Weg nach Süden von Orks oder Goblins überrascht worden war. Einige der Leichen lagen abseits des Schlachtfeldes. Wahrscheinlich hatten sie ihr Heil in der Flucht gesucht, waren aber den Pfeilen der Orks zum Opfer gefallen.
      Am Rand des Feldes befand sich ein niedriger, frisch aufgeschütteter Erdhügel, in dem ungefähr zwanzig Orkschwerter steckten. Schmale rote Tücher waren an die Griffe geknotet und wehten im sanften Wind. Die Verteidiger mussten heftigen Widerstand geleistet und viele Orks getötet haben, die dann an Ort und Stelle von ihren Brüder begraben worden waren. Eine der Leichen fiel Karkaday besonders ins Auge. Ein großer Mann mit feuerroten Haaren und Bart, der eine schlichte Plattenrüstung und einen weißen Wappenrock mit einem schwarzen Aureanskreuz darauf trug. Einer der Geweihten des Ordus Aira. Karkaday hatte von ihnen gehört. Es hieß, einer von ihnen könne es mit einer ganzen Armee aufnehmen.
      Was da auch immer dran war, für die Orks hatte es jedenfalls nicht gereicht.
      Der Tote trug einen silbernen Anhänger in Form eines Aureanskreuzes. Karkaday, der irgendwie das Gefühl hatte, er müsse ihn aufbewahren, nahm ihn an sich. Er steckte sein Schwert in den Boden, befestigte den Anhänger am Griff und fing an zu beten.

      Es mochte ein Sieg sein, aber es war kein Triumph. Plünderungen wurden untersagt und die Horde zurück vor die Tore gerufen. Die allerhöchste Priorität für alle Soldaten der Horde galt nun dem Schutz des Kriegshäuptling, der in seinem Zelt im Orklager um sein Leben kämpfte. Die höchsten Schamanen aller anwesenden Clans versorgten ihn, doch Groth hatte die Befürchtung, dass es nicht reichen würde. Und wenn der Kriegshäuptling starb würden die Machtkämpfe erneut entbrennen, und die Horde wäre am Ende.
      „Allein, dass er es überlebt hat zeigt, dass er unglaublich stark ist“, hatte Drakhan Trübauge, der Hochschamane der Rückenbrecher, Gor'Bashuks eigenem Clan, versucht, Groth zu beschwichtigen. „Ich bin mir sicher dass es mehr als vier Pfeile braucht, um ihn zu töten.“
      Groth stand vor Gor'Bashuks Zelt Wache. Er wusste, dass die Menschen massenweise aus der Stadt flohen, doch er würde sie nicht aufhalten. Jetzt war nicht die Zeit für Gemetzel. Zwar hatten sich Proteste innerhalb der Horde erhoben, aber Groth, den Gor'Bashuk zu seinem Stellvertreter bestimmt hatte, duldete keinen Widerspruch. Jedenfalls nicht, solange der Kriegshäuptling in Lebensgefahr schwebte.

      Bevor der Angriff auf Falkentor begonnen hatte hatten die falkentorer Generäle einen Sammelpunkt etwa zwanzig Kilometer westlich bestimmt, für den Fall, dass der König bei dem Angriff sterben sollte, was eingetreten war. Andreos hatte aus einigen Überlebenden Soldaten eine neue Einheit gebildet und sich an deren Spitze gestellt. Mittlerweile war er zu dem Schluss gekommen, dass der König – wie man es auch drehte und wendete – nicht umsonst gestorben war. Auch wenn es den Kriegshäuptling nicht getötet hatte, so hatte es die Horde wenigstens zeitweise betäubt, und Zeit war das Wertvollste, was Falkentor gerade besaß. Dennoch – die Hauptstadt war gefallen, der König war tot und die Zukunft tiefschwarz.
      Er und seine Truppe hatten ihr Lager am Fuß einer Felswand aufgeschlagen. Ein paar alte Armeezelte, die sie aus der Garnison gerettet hatten. Andreos hatte sich einen provisorischen Tisch aufbauen lassen und studierte gerade eine Karte, als ein junger Soldat das Zelt betrat.
      „Verzeiht, Sire, aber hier ist jemand, der Euch sprechen will.“
      „Hat das nicht Zeit? Ich bin beschäftigt.“
      „Es tut mir Leid, Sire, aber er sagt es duldet keinen Aufschub.“
      „Wer ist es denn?“
      Jemand schob den Jungen beiseite und betrat das Zelt.
      Andreos hatte immer von den Aureansgeweihten gehört, aber noch nie einen gesehen. Jetzt, da er ganz offenbar einen vor sich hatte war ihm klar, dass alles, was man über sie sagte, in keiner Weise zutraf, denn ein lebendiger Geweihter war noch um einiges beeindruckender als jede Beschreibung. Der Mann war ein Hüne, zwei Meter groß, und er schien alle Anwesenden mit seiner Autorität geradezu zu erschlagen. Dabei war es eine natürliche Autorität, die von innen kam, aus einer tiefen Selbstüberzeugung, die er ausstrahlte.
      Er war relativ schlicht gerüstet, trug einfache stählerne Schulterplatten und einen Stahlkragen, Lederhandschuhe mit stählernen Armschienen und Lederstiefel mit ebenfalls stählernen Beinschienen. Ansonsten trug er ein Kettenhemd, das die Arme und die Schenkel bedeckte. Aufgrund der Wölbung seines weißen Wappenrocks vermutete Adreos, dass er einen Harnisch darunter trug. Er hatte langes schwarzes Haar, dass er in einem Pferdeschwanz auf dem Rücken und einen entsprechend schwarzen Vollbart.
      „Mein Name ist Vitrus Dominicus“, sagte er und neigte den Kopf. „Ich bin Ritter des Ordus Aira und habe mich zufällig in Falkentor aufgehalten, als die Orks angriffen.“
      „Ich bin General Andreos Darvik“, antwortete Andreos und verneigte sich ebenfalls. „Erfreut, Euch kennen zu lernen. Bitte, setzt Euch.“ Andreos zeigte auf einen Baumstumpf, der Besuchern als Stuhl dienen sollte.
      „Danke“, sagte Dominicus und setzte sich. Andreos merkte, dass er sehr schwer bewaffnet war. Er trug ein Zweihandschwert und einen Schild auf dem Rücken, während an seinem Gürtel ein Eineinhalbhänder und ein Kurzschwert hingen. In einem seiner Stiefel meinte Andreos sogar, ein Stiefelmesser zu erkennen.
      „Was kann ich für Euch tun, Vitrus?“
      „Ich habe einen Vorschlag. Eigentlich wollte ich mich damit an König Henric wenden, aber dafür ist es wohl zu spät.“
      „Fahrt fort.“
      „Dieser Krieg bedroht nicht nur Falkentor, sondern auch eure Nachbarkönigreiche. Vielleicht bin ich nicht der Mann für Diplomatie, aber es wird Zeit, Stalvard um Hilfe zu ersuchen.“
      Andreos lehnte sich zurück. Er fragte sich, wie er Dominicus klarmachen konnte, wie unmöglich sein Vorhaben zu realisieren war.
      „Vitrus, ich würde gerne sicher sein ob ihr die politische Situation zwischen Stalvard und Falkentor versteht...“
      „Ich verstehe sie sehr gut“, sagte Dominicus scharf. „Jahrhundertealte Streitigkeiten, deren Grund droht, in Vergessenheit zu geraten. Und sie sind eben so alt wie lächerlich. Der Ordus Aira hat sich geschworen, nicht in eure Politik einzugreifen, aber wenn es diesen Schwur nicht gäbe hätten wir den Zwist längst beendet.“
      „König Silgrain wird nicht mit uns reden. Und meine Männer werden damit auch nicht einverstanden sein.“
      „Zu beidem kann ich sagen, dass ich an die Vernunft glaube. Und sollte ich mich irren werden wir Methoden finden, beiden Parteien Vernunft einzubläuen.“ Er verengte die Augen zu Schlitzen. „Auch wenn man meinen könnte, die drohende Verwüstung eures Königreiches sei Grund genug, vernünftig zu sein.“
      „Ich weiß nicht“, sagte Andreos schwach. „Ich glaube...“
      „Wägt ab, General Darvik. Was habt ihr zu gewinnen? Was habt ihr zu verlieren? Wenn ihr vorhabt, euch hier in den Dreck zu hocken und darauf zu warten, dass die Orks auch den Rest eures Königreiches in Brand stecken, bin ich der letzte, der Euch davon abhalten wird. Der Orden wird sich dann der Sache annehmen, auch wenn ich finde dass es einen besseren Eindruck macht, wenn ihr selbst eure Sache vortragt.“
      Andreos hatte mittlerweile vor Dominicus' Erscheinung kapituliert.
      „Na schön“, nuschelte er. „Vielleicht habt ihr Recht.“
      „Geht nach Stalvard“, sagte Dominicus noch einmal mit noch deutlicherer Nachdrücklichkeit. „Eine Abordnung des Ordens wird dort zu Euch stoßen.“
      Dominicus erhob sich.
      „Aurean mit euch“, sagte er. Andreos bezweifelte das.

      Uthruk wusste nichts davon, dass sein Kriegshäuptling hunderte Kilometer weiter südlich näher am Tod war als am Leben. Endlich hatten sie Nordwall hinter sich gelassen und das Land der Norsen betreten, das größtenteils aus unwirtlicher Steppe bestand. Die wenigen Siedlungen, die nicht an der Küste lagen, wo warme Meeresströme den Ackerbau ermöglichten, waren an den Ufern kleiner heißer Seen entstanden, die sich in geringer Zahl über das Land verteilt fanden.
      Angeblich waren die Norsen gefürchtete und ehrenvolle Krieger. Jetzt würde sich herausstellen, ob das stimmte. Es war Zeit ein Zeichen zu setzen, ein Zeichen, dass die Horde in ihren Ländern angekommen war. Uthruk schickte die Wargreiter los.
      Karkaday hatte jeden der zerstörten Wagen abgesucht, aber kaum etwas brauchbares gefunden. Die Orks hatten sehr gründlich geplündert. Als es dunkel wurde hatte er sich in einem noch einigermaßen intakten Planwagen mit ein paar schäbigen Wolldecken, die er gefunden hatte, ein Nachtlager zurecht gemacht, konnte allerdings nicht schlafen. Er hatte eine Pfeife und Tabak gefunden und saß nun vor sich hin rauchend auf der Wagenkante.
      Mit der Dunkelheit kamen die Barghest. In kleinen Gruppen von drei bis vier Tieren durchstreiften sie das Feld und machten sich über die Toten her. Karkaday sah sie nicht als Bedrohung an, denn Barghest verhielten sich ruhig, solange man ihnen ihr Futter nicht streitig machte. Und Karkaday machte sich nichts aus Aas.
      Da er am nächsten Morgen auf seinem Lager erwachte musste er doch noch eingeschlafen sein, auch wenn er sich nicht mehr daran erinnern konnte. Es schien noch recht früh zu sein, die Sonne war noch nicht aufgegangen, alles war feucht von Tau. Karkaday beschloss, rasch aufzubrechen, schulterte sein Bündel und kletterte aus dem Wagen. Die Barghest waren verschwunden, aber die Krähen waren wieder da. Karkaday kletterte einen der Hügel hinauf und ließ das Schlachtfeld hinter sich. Er wusste nicht, wie nah er an Falkentor war, aber allzu weit konnte er nicht entfernt sein, da er den letzten Tag ziemlich viel gelaufen war.
      Nach einer Weile kam er an eine Wegbiegung, an der eine kleine Bauernkate stand. Rauch kam aus dem Schornstein, also war jemand zuhause. Karkaday beschloss, hin zu gehen, vielleicht würde ihm dort jemand helfen.
      Doch schon als er den weitläufigen Hof betrat war ihm klar, dass daraus nichts werden würde. Ein Mann, etwa in seinem Alter lag inmitten einer großen Blutlache auf dem Boden. Er war noch nicht lange tot, der Körper war noch warm. Karkaday zog sein Schwert. Vielleicht waren es Orks. Neben der Türe befand sich ein Hackklotz, in dem ein Beil steckte. Karkaday zog es heraus, dann öffnete er vorsichtig die Türe. Von drinnen hörte er Stimmen.
      „Ja, vorwärts! Zeig ihr, dass du ein Mann bist!“
      Er hörte das Geräusch zerreißenden Stoffes und die unterdrückten Schreie einer Frau. Es waren keine Orks. Karkaday glaubte zu wissen, was drinnen gerade vor sich ging. Das Haus hatte nur einen Raum. In der linken Ecke stand ein großer Steinofen, auf der rechten Seite ein breites Bett. Ungefähr in der Mitte des Raumes stand ein Tisch mit Bänken. Drei Männer in den scharlachroten Wappenröcken der falkentorer Armee standen dort, mit dem Rücken zur Türe. Einer von ihnen drückte eine junge Frau auf den Tisch.
      „Warum so widerspenstig?“, fragte er. „Wir sind die Beschützer des Volkes. Und wenn wir euch beschützen sollen müssen wir doch auch wissen, ob ihr es wert seid.“
      Karkaday zögerte keine Sekunde. Er hab seine Hand und schleuderte die Axt.
      Sie traf den Mann in den Rücken. Er gab ein überraschtes Röcheln von sich und sank dann zusammen. Die Frau stieß ihn vor sich.
      Die anderen beiden drehten sich um. Einer zog sein Schwert, doch es war zu spät. Karkaday hatte, nachdem er die Axt geworfen hatte, sofort zwei Schritte vor gemacht. Noch bevor der Deserteur sein Schwert hatte heben können hatte ihm Karkaday sein eigenes bereits tief in die Rippen getrieben. Der Mann brach zusammen. Der dritte machte keine Anstalten, sich zu wehren, er drückte sich nur an die Wand, wie in der irrigen Hoffnung, er könnte durch sie entkommen. Karkaday hob sein Schwert und setzte die Spitze an seine Kehle.
      „Wie ist dein Name?“, fragte Karkaday.
      „G-Gerolt Lehmstollen.“
      „Sehr erfreut. Ich bin Cornelius Karkaday. Nun, Gerolt, ist dir eigentlich klar, was ihr hier gerade tut?“
      „E-es war nicht meine Idee“, stotterte Gerolt. „U-unsere Einheit wurde aufgerieben. Nur w-wir drei waren noch übrig. Auf einmal kam Wagner mit der Idee, e-eine...“
      Er brachte den Satz nicht zuende. Karkaday hatte ganz ruhig gesprochen, was ihn noch mehr zu schockieren schien.
      „Eure Einheit wurde aufgerieben soso.“
      „G-gut, ich habe gelogen. Wir sind desertiert! B-bitte, tötet mich nicht!“
      „Genug!“ Gerolt zuckte zusammen.
      Karkaday kämpfte einen Moment mit sich. Er wusste nicht, ob Gerolt log. Das einfachste wäre wahrscheinlich, ihn ebenfalls zu töten, zumal er ein Deserteur war – ein Verräter.
      Schließlich nahm er sein Schwert herunter.
      „Verschwinde.“
      Gerolt ließ sich das nicht zweimal sagen, stürzte aus dem Haus, stolperte an der Türkante, fiel in den matschigen Hof, rappelte sich wieder auf und rannte davon. Karkaday sah ihm kurz nach, steckte sein Schwert wieder ein und wandte sich der Frau zu.
      „Geht es euch gut?“
      Sie antwortete nicht, sondern wich vor Karkaday zurück. Sie war jung und hübsch, hatte blasse Haut und leicht gelockte rote Haare. Der Deserteur hatte ihr Kleid am Ausschnitt zerrissen und sie versuchte, ihre entblößten Brüste mit den Händen zu verdecken.
      „Wie ist euer Name?“, fragte Karkaday.
      „Sara“, flüsterte sie. „Sara Mühlstein.“
      „Und geht es Euch gut, Sara?“, wiederholte er.
      Sie nickte. „Ich glaube schon.“
      „Wenn Ihr es verlangt werde ich gehen“, sagte Karkaday freundlich, „aber ich will Euch helfen, wenn Ihr es erlaubt.“

      Der Spätsommer hatte sich noch einmal einen wirklich heißen Tag abgerungen und die Sonne brannte auf Karkadays nackten Rücken, während er hinter dem Haus das Grab für Heinrich Mühlstein schaufelte, der, wie sich herausgestellt hatte, Saras Bruder gewesen war. Sara hatte ihn eine Weile vom Fenster aus beobachtet, es aber nicht über sich gebracht, herauszukommen um sich von ihrem Bruder zu verabschieden.
      Der Boden war hart und Karkaday kam nur schwer voran, was ihm Zeit verschaffte, nachzudenken. Erst hatte er verzweifelt nach einem Grund gesucht, den Orks die Schuld für Heinrichs Tod zu geben, da es ihm nicht in den Kopf wollte, dass sich Menschen gegen ihresgleichen wandten wenn es wichtiger war denn je, zusammen zu stehen. Letztendlich kam er zu dem Schluss, dass es nicht die Orks waren, die Heinrich Mühlstein getötet hatten, und auch nicht die Deserteure, sondern der Krieg. Der Krieg, der alles zerstörte, was er berührte. Und während er Heinrich Mühlstein in das Grab wuchtete und es wieder zu schaufelte fragte sich Cornelius Karkaday, ob ihn der Krieg auch schon getötet hatte.

      Immer mehr Menschen flohen aus der Stadt, und wer nicht floh plünderte. Es brauchte die Horde nicht, um diese Stadt zu zerstören, sie zerstörte sich selbst. Noch etwas, was Groth an den Menschen nicht verstand. Man gab ihnen den geringsten Anlass und sie begannen, sich selbst zu zerfleischen. Indes wurden die Stimmen lauter, die nach einer Intervention seitens der Horde schrien. Ein schneller Schlag, der dieser Stadt endgültig den Garaus gemacht hätte, wie es hätte geschehen sollen, wäre der Kriegshäuptling nicht lebensgefährlich verwundet worden, doch Groths Befehle waren klar gewesen und er hatte seinen Führungsanspruch sehr deutlich gemacht.
      Die Schamanen hatten Gor'Bashuk in einen künstlichen Schlaf versetzt, damit seine Wunden besser heilen konnten und versicherten Groth, er sei auf dem Weg der Besserung, auch wenn sie nicht sagen konnten, wie lange es dauern würde. Bis dahin mühte er sich, die Horde zusammen zu halten, denn Gerüchte von Gor'Bashuks Tod hatten sich breit gemacht und die ersten Häuptlinge hatten Anspruch auf dessen Position erhoben. Und wenn die Machtkämpfe wieder beginnen würden wäre das zweifellos das Ende der Horde.


      9.) Diplomatie
      Diplomatie

      Einen Wargreiter zu töten war auch nicht viel schwerer als einen wilden Warg zu töten, von denen es im Umland von Tulheim einige gab, man musste das Schwert lediglich ein bisschen höher halten. Drei hatte Thoric bereits getötet, doch es waren zu viele, um sie aufzuhalten. Eine Stunde später zogen sie sich endlich zurück und hinterließen Tulheim zerstört. Leichen langen in den Straßen, viele der strohgedeckten Hütten brannten und die Krieger waren beinahe aufgerieben worden.
      Am Dorfplatz, wo die Stammeiche stand, fand er Orof, einen seiner Offiziere. Er war blutüberströmt und hielt seine Frau in den Armen offenbar war sie tot.
      „Warum?“, fragte er. Er zeigte keinerlei Trauer. „Warum tun sie das?“
      „Sie wollen uns provozieren“, sagte Thoric. „Sie suchen die Schlacht mit uns.“
      Orof schaute auf seine Frau hinab. „Würde es nicht reichen, mit einer Armee vor Skal's Fjord aufzumarschieren?“
      „Wahrscheinlich, aber das ist nicht ihre Denkweise.“
      Orof ließ seine Frau sanft zur Erde sinken, dann legte er ihre Hände auf die Brust. Sie sah nun, abgesehen von der blutigen Wunde an ihrer Seite, ganz friedlich aus.
      „Wie soll ich einen Gegner respektieren, der sich an Unschuldigen vergreift?“, fragte Orof, nun mit einem deutlichen Anflug von Zorn in der Stimme. Thoric legte ihm eine Hand auf die Schulter.
      „Die Zeit der Rache wird kommen, Orof, aber sie ist nicht jetzt. Ruf alle zusammen, die noch am Leben sind, sie sollen packen. Wir verlassen Tulheim und gehen nach Skal's Fjord. Der Thane muss unbedingt gewarnt werden, sonst haben die Orks leichtes Spiel mit uns.“
      Orof nickte, warf einen letzten Blick auf seine Frau und entfernte sich dann. Thoric lehnte sich an eine Hauswand und schloss die Augen.

      Karkaday sprang vom Kutschbock des Einachsers, auf dem sie vom Hof der Mühlsteins nach Felsheim gereist waren.
      „Wartet hier“, sagte er zu Sara. „Es wird nicht lange dauern.“
      Er hatte vor dem trutzigen Garnisonsgebäude angehalten, das mit dem Rücken zur Mauer in der Mitte der Festung stand. Rechts vom Eingang befand sich ein Hof, in dem mehrere Übungspuppen standen, doch Rekruten waren nirgendwo zu sehen. Die Garnison wirkte bis auf zwei Wachen generell verlassen. Einige Soldaten hielten sich in der Garnison auf, würfelten, tranken, rauchten oder saßen einfach nur herum und starrten ins Leere. Niemand schien Notiz von Karkaday zu nehmen, und wer es tat ignorierte ihn.
      Es hielt ihn auch niemand auf als er ohne anzuklopfen das Büro des Kommandanten betrat, eines Mannes namens Adolphus Grisswold, den Karkaday oberflächlich kannte. Grisswold saß zusamengesunken in einem Lehnstuhl hinter einem chaotischen Schreibtisch. Der Geruch von Alkohol ging von ihm aus und alles in Allem machte er eher den Eindruck eines Lumpenhaufens als eines Kommandanten der Armee von Falkentor. Karkaday räusperte sich.
      „Kommandant Grisswold, wir müssen reden.“
      Grisswold öffnete ein Auge. „Wer seid ihr?“
      „Cornelius Karkaday, falls Ihr euch erinnert.“
      „Sagt mir nichts.“ Karkaday machte einen Schritt vorwärts, damit Grisswold seine Kommandantenbrosche sah. „Oh, jetzt erinnere ich mich“, sagte Grisswold und öffnete auch das andere Auge. „Der Kommandant von Vargstein.“
      „Greifental.“
      „Oder so.“
      Grisswold richtete sich auf und versuchte, seine Haare zu ordnen.
      „Ich würde Euch ja gerne einen Stuhl anbieten, aber den hat wohl jemand...“ Er brach mitten im Satz ab und lächelte dann ziemlich schräg. „Was kann ich für Euch tun?“
      „Ich habe heute Vormittag drei eurer Leute davon abgehalten, eine Frau zu vergewaltigen. Es scheint mir fast so als hättet ihr Probleme, die Garnison unter Kontrolle zu halten und hätte gerne eine Erklärung.“
      Grisswold lachte auf. „Probleme? Die verdammte Hälfte meiner Leute ist desertiert und die andere Hälfte schafft es nicht, die Ordnung aufrecht zu erhalten. Die Räuber in der Umgebung haben Morgenluft gewittert und sich mit den Deserteuren verbündet. Felsheim ist ein Chaos, Cornelius.“
      Karkaday war schockiert. „Die Hälfte? Wie habt ihr das bitte geschafft?“
      „Die Leute haben die Hoffnung verloren, seit der König tot ist, und...“
      „Der König ist tot?!“
      „Ja.“ Grisswold schaute Karkaday misstrauisch an. „Was habt ihr eigentlich die ganze Zeit gemacht?“
      „Ich war die letzten Tage unterwegs.“
      „Und was ist mit Greifental?“
      „Es gab eine... Meinungsverschiedenheit, die Euch nichts angeht. Der König ist also tot. Was ist mit der Generalität?“
      „General Darvik scheint noch am Leben zu sein, ich habe hier Anweisungen von ihm...“
      „Was für Anweisungen?“
      „Anscheinend hat's auch den Anführer der Horde erwischt und der Vormarsch ist zum Stillstand gekommen. Alle verfügbaren Truppen werden bei Steinbach zusammengezogen.“
      „Und warum seid Ihr dann noch hier?“
      Grisswold lachte. „Was bringt das denn? Unsere gesamte Armee ist nicht stark genug, um die Horde zu bezwingen. Der König ist tot. Falkentor ist verloren.“
      Karkaday platzte der Kragen. Er machte einen Schritt nach vorne, griff über den Tisch, packte Grisswold am Kragen und zerrte ihn hoch.
      „Ich bin weiß Tyrran kein Optimist oder Idealist“, zischte Karkaday, dessen Gesicht nur noch wenige Zentimeter von dem Grisswolds entfernt war. „Aber ich glaube, dass wir durchaus eine Chance gegen die Horde hätten, wenn es Leute wie Euch nicht geben würde. Ich werde Euch sagen, was Ihr tun werdet, wenn Euch irgendwas an diesem Land liegt. Ihr werdet die Hälfte Eurer Männer nehmen, die noch loyal zu Falkentor steht, und mit ihr nach Steinbach gehen. Ihr werdet eure verdammten Befehle befolgen!“
      „Aber dann ist Felsheim schutzlos“, stammelte Grisswold. „Was ist mit den Bauern, die von den Banditen bedroht werden?“
      „Um die habt ihr euch doch bis jetzt auch nicht groß gekümmert. Ich glaube kaum, dass sie Euch vermissen werden.“
      Karkaday ließ Grisswold los, der wieder in seinem Stuhl zusammen sank.

      Die Wargreiter kehrten zurück. Uthruk persönlich hatte sie angeführt, Mor'gosh sah, dass drei frisch abgeschlagene Köpfe an seinem Sattel hingen.
      „Ich glaube, sie haben die Botschaft verstanden“, sagte Uthruk gut gelaunt, während er von seinem Warg herunter kletterte. „Ich frage mich, wie lange sie brauchen werden, um gegen uns ins Feld zu ziehen.“
      „Was ist mit den Kriegern?“, fragte Mor'gosh.
      „Geduld“, meinte Uthruk, indem er seinen Warg hinter den Ohren kraulte. „Bewegt die Horde einfach weiter nach Norden, wie abgemacht. Diese Phase der Kriegsführung ist Sache der Wargreiter. So wie ich die Norsen einschätze sollte die Schlacht nicht allzu lange auf sich warten lassen.“
      Mor'gosh verschränkte die Arme. Seine Krieger murrten schon, dass es seit dem Kampf um die Schluchten von Nordwall, der ebenfalls größtenteils von den Reitern ausgefochten worden war, nicht allzu viel für sie zu tun gegeben hatte. Uthruk hatte gut reden, er musste sich ja nicht mit zweitausend Orks herumschlagen, die von Tag zu Tag immer unruhiger wurden.
      Allerdings würde er Uthruk vorerst nicht damit konfrontieren, da er, trotz seiner Neigung, das Wohl seines Clans über das der Horde zu stellen, höher in Gor'Bashuks Gunst stand als Mor'gosh. Und Mor'gosh würde es unter keinen Umständen wagen, den Kriegshäuptling auch nur in irgendeiner Form in Frage zu stellen.

      Karkaday hatte Sara unter dem Vorwand, noch etwas mit Grisswold besprechen zu müssen, im Gasthof zurück gelassen, in dem sie sich eingemietet hatten, und saß nun allein auf einem leeren Teil der Stadtmauer, während er auf das in der Dunkelheit versunkene Land um Felsheim herum schaute.
      Ein Stückweit konnte er Grisswold verstehen. Ein Stückweit konnte er jeden verstehen, der nun, da der König tot war, die Hoffnung verloren hatte. Allerdings würde er, nicht so wie Grisswold, auch ohne Hoffnung noch weiterkämpfen, dessen war er sich sicher. Wie er jetzt aber in der Dunkelheit saß musste er sich fragen, ob er sich wirklich anders verhalten würde wie Grisswold, immerhin war er in einer vollkommen anderen Situation. Und gab es überhaupt noch Hoffnung für die Welt der Menschen?
      Karkaday gab sich einen Ruck, stand auf und machte sich auf den Weg zurück zum Gasthaus.

      Es war sehr schwer gewesen, in Felsheim ein Zimmer zu bekommen, da Grisswold die meisten Gasthöfe angewiesen hatte, Flüchtlinge einzuquartieren. Durch seinen Standt in der falkentorer Armee hatte Karkaday aber erwirken können, dass man ihnen ein Zimmer zur Verfügung stellte, dass eigentlich ein Kaufmann aus Vargstein gebucht hatte, der nun unter heftigen Protesten in den Schankraum verbannt wurde.
      Vorsichtig öffnete Karkaday die Türe, da er erwartete, dass Sara bereits schlafen würde, doch ein leises Schluchzen verriet ihm, dass sie noch wach sein musste. Einen Moment zögerte er, dann betrat er das Zimmer und schloss leise die Türe hinter sich. Sara saß mit angewinkelten Knien auf dem Bett und weinte leise vor sich hin.
      „Tut mir Leid“, sagte sie leise, offenbar hatte sie gemerkt, dass Karkaday herein gekommen war. „Aber es ist doch etwas viel auf einmal.“
      „Schon in Ordnung“, antwortete Karkaday, der nicht genau wusste, was er jetzt tun sollte. Er würde Sara gerne trösten, hatte aber keine Ahnung, wie. Schließlich setzte er sich neben sie an die Bettkante und legte ihr behutsam die Hand auf die Schulter.
      „Es ist schwer“, flüsterte er. „Aber Ihr müsst jetzt stark sein.“
      Ohne ihn anzusehen drehte sich Sara zu ihm um und vergrub ihr tränenüberströmtes Gesicht in Karkadays Wappenrock. Er legte seine Hand auf ihren Kopf, wobei er sich allerdings ziemlich unwohl fühlte. Sara hob nun langsam den Kopf und schaute zu Karkaday in die Augen.
      „Ihr habt mich gerettet“, flüsterte sie. Sie hob eine Hand und strich damit sanft über seinen Bart und sein Gesicht. Er schloss die Augen.

      Am nächsten Morgen gab Kommandant Grisswold überraschend den Marschbefehl für alle Soldaten, die sich in Felsheim und der Umgebung aufhielten. Der Herold verkündigte, dass sich alle Soldaten so schnell wie möglich für den Abmarsch Richtung Steinbach bereit machen sollten. Grisswold hatte den Wunsch geäußert, an der Seite von Karkaday zu reiten, Karkaday hatte es ihm nicht abgeschlagen.
      Er hatte sich von der Garnisonsrüstkammer neu einkleiden lassen und sich in den Stallungen ein hübsches braunes Pferd ausgesucht. Die Soldaten hatten sich auf dem Marktplatz versammelt Es waren etwa Einhundertfünzig. Sie alle wirkten verängstigt, aber auch entschlossen. Ein Horn wurde geblasen und die Truppen setzten sich schweigend in Bewegung. Bevor Karkaday zum Tor hinaus ritt warf er einen letzten Blick zurück. Er konnte Sara erkennen, die am geöffneten Fenster ihres Zimmers stand und zum Abschied eine Hand erhoben hatte. Karkaday wendete sein Pferd und gallopierte zur Spitze des Zugs, wo Grisswold auf ihn wartete.

      „Er hat das Schlimmste hinter sich“, verkündete Trübauge. „Er sollte bald wieder aufwachen.“ Das war die beste Nachricht, die Groth seit einer Woche hörte. Es war zu einer offenen Auseinandersetzung innerhalb der Horde gekommen. Drei Clans hatten ihm den Rücken gekehrt und sich auf den Rückweg nach Norden gemacht, zwei weitere hatten es ihm in Aussicht gestellt. Doch nun, da der Kriegshäuptling bald wieder genesen sein würde, würde gewiss alles wieder ins Lot kommen.

      „Erste Berichte liegen vor. Wir haben es mit etwa Viertausend Orks zu tun, die sich in unseren Ländern herumtreiben.“
      Halgarr der Brecher stieß ein leises Pfeifen aus. „Das wird nicht einfach.“
      „Nicht einfach, aber auch nicht unmöglich. Wir haben die Orks schon früher besiegt. Es sind nur mehr.“
      „Nicht ganz. Offenbar haben sie sich zu einer Horde zusammen geschlossen, was sie sehr viel gefährlicher macht.“
      Halgarr lehnte sich in seinem Thron zurück. Der Thane der Norsen zu sein war eine ehrenvolle Aufgabe, sie konnte aber auch ziemlich undankbar sein, besonders, wenn es darum ging, sich die Meinungen der Ältesten anzuhören.
      „Sie haben schon drei Dörfer nieder gebrannt, nur um uns zu provozieren. Sie erwarten, dass wir gegen sie kämpfen. Und wenn wir nicht gegen sie kämpfen werden sie eben alles zerstören.“
      Die Halle von Skal's Fjord war ein langes Holzhaus mit hohem Giebel. Am Ende stand auf einer leichten Erhöhung der Thron des Thanes, davor standen in einem Halbkreis die Stühle der sechs Ältesten. Auf halbem Weg zwischen Tür und Stühlen prasselte ein Feuer in einer offenen Feuerstelle. Die Wände waren mit Darstellungen legendärer Helden der Norsen bemalt. Da war Fjorv, wie er dem Avatar des Krahlt den Kopf abschlug, und Gronof, wie er mit bloßen Händen die Jormundschlange tötete. Eines Tages würde man dort vielleicht auch Halgarr sehen, wie er an der Seite seiner Krieger die Orks zurück warf. Der Gedanke gefiel ihm, aber er war zu klug, um eine derartige Entscheidung an närrischen Vorstellungen von Heldentum fest zu machen.
      Die Ältesten sahen ihn an. Offenbar erwarteten sie eine Entscheidung.
      „Wir werden kämpfen“, sagte Halgarr mit seiner donnernden Stimme. „Bei Tyrran, das werden wir. Schickt dem Anführer der Orks eine Botschaft. Sagt ihm, er soll uns drei Tage geben, um unsere Truppen zu sammeln. Dann werden wir sie aus diesem Land fegen.“
      Die Ältesten sahen sich vielsagend an, doch niemand wagte es, Halgarr zu widersprechen. Einer nach dem anderen stand auf und entfernte sich. Halgarr setzte sich wieder in seinen Thron.

      Im Nachhinein war Andreos Darvik überrascht, dass der eigentlich verfeindete König von Stalvard sein Gesuch einer Audienz angenommen hatte. Zehn Mann hatte er mitgebracht, Offiziere, Diplomaten, Würdenträger, alle Prominenz, die er aus Falkentor hatte retten können. Und nun würde sie Silgrain empfangen, ein Treffen, von dem das Schicksal Falkentors abhing.
      Der Thronsaal von Stalvard war wesentlich höher als der von Falkentor. Zwischen den Fenstern hingen Banner an den Wänden, die das Wappen von Stalvard zeigten, ein weißer Turm auf blauem Grund. Bis auf zehn hohe Säulen und den Thron des Königs war der Raum komplett leer. König Silgrain III. Schien sich für diesen Anlass besonders heraus geputzt zu haben, er trug ein prächtiges blaues Gewand, das kunstvoll mit Goldfaden bestickt war. Darunter konnte man eine verzierte silberne Brustplatte erkennen. Silbern war auch seine Krone, deren Zacken eher wie Stacheln aussahen.
      Andreos' Schritte hallten im Saal wider, als er langsam auf den Thron zuging.
      „Das ist nahe genug“, sagte Silgrain und hob die Hand. Andreos blieb stehen. Obwohl er gut zehn Meter von Silgrain entfernt war, konnte er ihn außerordentlich gut verstehen.
      „Ich bin Andreos Darvik“, sagte Andreos und verbeugte sich. „Ich bin General zu Falkentor und bin stellvertretend für König Vincent III von Falkentor hier, um Hilfe zu ersuchen.“
      „Soso“, sagte Silgrain und strich sich über den Schnurrbart. „Hilfe.“
      „Ja, Hilfe. Eine gewaltige Horde Orks ist in unser Land eingefallen und hat einen großen Teil davon erobert. Diese Orks stellen auch eine Gefahr für Stalvard dar, also wäre es nur klug...“
      „Was klug für mein Land ist, General Darvik“, schnitt Silgrain ihm das Wort ab. „Entscheide immer noch ich, habt vielen Dank.“
      Andreos verbeugte sich höflich.
      „Ich will Euch eine Frage stellen, Andreos... Seit dem Ende des Imperiums hält Falkentor nun schon Ländereien besetzt, die rechtmäßig meinem Königreich zustehen. Um dieses offensichtliche Unrecht zu verteidigen führen unsere beiden Nationen schon seit fünfhundert Jahren Krieg gegeneinander. Ich will gar nicht wissen, wieviele Stalvarder schon in diesem Krieg gestorben sind.“ Silgrain machte eine Kunstpause. „Nun, verratet mir eins, Andreos: Warum sollte ich euch helfen?“
      „Weil wir die Orks nur gemeinsam aufhalten können“, sagte Andreos, der nun ziemlich unruhig wurde. „Und wenn wir sie nicht aufhalten werden sie auch Stalvard überrennen.“
      „Nun, ich bin durchaus gewillt, Euch zu helfen, aber das hat seinen Preis.“ Silgrain lächelte bösartig und legte die Kuppen seiner Finger aneinander. „Ich will folgendes: Die gesamte Falkentorer Westmark wird an Stalvard abgetreten, inklusive einer Erklärung, dass Falkentor für immer auf jegliche Ansprüche darauf verzichtet. Dann bekommt ihr so viele Truppen, wie ihr wollt.“
      „Ich bin nicht befugt, über derartige Forderungen zu entscheiden, Majestät“, sagte Andreos, den nun Wut und Hoffnungslosigkeit gleichermaßen gepackt hatten.
      „Wie schade“, sagte Silgrain süffisant und erhob sich. „Ich schätze damit wären die Verhandlungen auch schon beendet. Ich denke...“
      Ein Diener war hereingekommen und rannte durch den Saal auf den König zu.
      „Milord, draußen ist jemand, der Euch zu sehen verlangt.“
      „Hat das nicht Zeit? Ich bin gerade...“
      „Bedaure, Milord, aber er hat gesagt er habe nicht die Absicht, zu warten.“
      „Wer...“
      Doch schon im nächsten Moment wurde Silgrains Frage beantwortet, als die Türen aufgestoßen wurden und drei Männer eintraten. Einen erkannte Andreos sofort. Es war Vitrus Dominicus. Der andere musste ebenfalls ein Ritter des Ordus Aira sein, denn er trug dieselbe Kleidung und wirkte auch sonst genau so wie Dominicus. Doch in ihrer Mitte ging ein alter Mann, der sogar sie weit in den Schatten stellte.
      Er trug eine schlichte Plattenrüstung, genau wie seine Ritter. Der einzige Unterschied waren einige eingravierte Runen sowie ein goldenes Aureanskreuz auf der rechten Schulterplatte. Seine Haare waren schulterlang und schneeweiß, sein ebenfalls weißer Bart war außerordentlich dicht und verdeckte beinahe das schwarze Aureanskreuz auf seinem Wappenrock. Kein Zweifel, dies musste der Ordensmeister des Ordus Aira sein, das Oberhaupt der Gläubigen aller Reiche. Tiberius Caldar.
      Er strahlte eine solche Autorität aus, dass sogar der stolze Silgrain in seinem Thron geschrumpft zu sein schien.
      „Ich hatte eigentlich nicht vor, Stalvard so bald wieder zu besuchen“, sagte Caldar und verschränkte die Arme. „Doch Bruder Vitrus hier war der Ansicht, General Darvik bräuchte ein wenig moralische Unterstützung bei seinem Anliegen.“
      „Nun, General Darvik hat mir seinen Standpunkt dargelegt“, sagte Silgrain vorsichtig. „Und ich bin der Meinung, dass...“
      „... dass es eine gute Gelegenheit ist, aus dem Leid eures Nachbarkönigreichs ein bisschen Kapital zu schlagen“, schloss Caldar. Silgrain lief rot an. „Ich werde euch sagen, was ihr tun werdet. Da diese Orks sowohl Falkentor als auch Stalvard und Tardun bedrohen, werdet ihr einsehen, dass es in der gegenwärtigen Lage das Klügste ist, Falkentor uneingeschränkte Unterstützung zuzusichern. Falls nicht...“ Caldars Augen verengten sich zu Schlitzen. „Sehe ich mich gezwungen, eine Empfehlung auszusprechen.“
      Silgrain sah aus als hätte ihm Caldar gerade den Kriegshammer, den er auf seinem Rücken trug, über den Schädel gezogen. Andreos wusste warum. Tiberius Caldar war das Oberhaupt aller Anhänger Aureans. Würde er sich offen gegen König Silgrain stellen würde das einen beispiellosen Aufruhr in Stalvard bedeuten.
      „Na schön“, brummte Silgrain. „General Darvik, wir werden das nachher besprechen... geht jetzt bitte. Ich... danke Euch, Tiberius.“
      Caldar nickte ihm knapp zu, drehte sich dann um und stolzierte flankiert von seinen Rittern aus dem Saal. Andreos und seine Begleiter folgten ihnen.
      „Ich glaube, ein Dank ist angebracht“, sagte Andreos an Caldar gewandt.
      „Bemüht Euch nicht“, fuhr Caldar ihn an, ohne ihn jedoch anzusehen. „Ich habe das nicht für euer Land getan sondern für die Menschen, die dort leben. Und tut bitte nicht so, als hätte sich euer König auch nur ein kleines bisschen kooperativer verhalten.“
      Kopfschüttelnd ging Caldar weiter. Dominicus drehte sich um und warf Andreos einen aufmunternden Blick zu.


      10.) Bündnisse
      Bündnisse

      Achttausend Mann standen sich gegenüber. Norsen auf der einen Seite, Orks auf der anderen. Eine Woche war vergangen seit Halgarr der Brecher den Entschluss zum Kampf gefasst hatte. Eine Woche, in der er seine Armee zusammen gezogen hatte, um der Horde entgegen zu treten.
      Das Schlachtfeld war eine leicht schräge Ebene zehn Kilometer südlich von Skal's Fjord, die im Osten von einem Wäldchen begrenzt wurde, im Westen von einem Fluss.
      „Die Schlacht wartet“, rief Halgarr, der die Reihen seiner Männer abschritt. Viertausend Mann hatte er zusammen ziehen können, sogar Krieger aus verfeindeten Stämmen, die sich zeitweise unter seinen Befehl gestellt hatten. „Ich erwarte von euch, dass ihr den Grünhäuten zeigt was es heißt, sich mit den Norsen anzulegen. Macht unserem Volk Ehre!“
      Die Menge jubelte.

      „Die Reiter sind in Stellung“, sagte Uthruk, der zu Mor'gosh herangeritten war. „Gibt es noch etwas, was wir besprechen sollten?“
      „Nein“, sagte er. „Unser Plan sollte aufgehen. Erledigt ihr nur euren Teil.“
      „Dann viel Glück.“
      Uthruk wendete seinen Warg und verschwand hinter der Kante des Hügels, auf dem sich Mor'gosh befand. In der Ferne wurde ein Horn geblasen und die Norsen stürmten los.

      Thoric rannte in der ersten Reihe, seinen Zweihänder über die Schulter erhoben, auf den Schildwall der Orks zu. Jeden anderen Gegner hätten sowohl die Erscheinung eines orkischen Schildwalls, der eher wie eine Festungsmauer wirkte, als auch viertausend anstürmende Nordmänner verschreckt, aber beide Armeen zeigten sich unbeeindruckt von ihrem Gegner.
      Die reihen prallten aufeinander. Thoric suchte sich eine schwache Stelle, sprang vor und schlug zwei Orks auf einmal die Köpfe ab, wich dem Hieb einer Axt aus, trat ein Schild beiseite und bahnte sich seinen Weg durch die Horde.

      An anderen Stellen hatten die Norsen nicht so viel Glück, der Schildwall hielt. Dennoch würden die Reihen der Horde sehr bald auffasern. Soweit lief alles nach Plan.

      Halgarr befand sich in der Mitte seiner Armee. Er konnte erkennen, dass seine Krieger weiter vorne die Orks auseinander trieben, doch irgendetwas sagte ihm, dass die Orks es ihnen nicht so leicht machen würden. Ein Hornsigna aus dem Wald im Osten gab ihm wenige Augenblicke später Recht.

      Die Warge preschten los. Uthruk hängte sein Horn wieder an seinen Sattel und folgte ihnen dann mit gezückten Äxten. Zwischen den Bäumen konnte er die Norsen bereits erkennen.

      Primitiv. So unglaublich primitiv. Und Halgarr war darauf herein gefallen. Doch nun war keine Zeit, seine Dummheit zu verfluchen, denn grob zweihundert Wargreiter waren in ihre linke Flanke gefallen und pflügten geradezu durch Halgarrs Armee.
      Halgarr war immer schleierhaft gewesen, wie es die Orks geschafft hatten, die Warge zu zähmen, er hatte das aufgrund ihrer natürlichen Wildheit immer für ein Ding der Unmöglichkeit gehalten. Wahrscheinlich hing es damit zusammen dass die Orks ebenfalls ausgesprochen wild waren, auch wenn jetzt der falsche Moment war, darüber nachzudenken. Alles, was Halgarr im Moment wissen musste war, dass Wargreiter außerordentlich tödlich waren. Links und rechts von ihm wurden seine Krieger umgeritten oder von den Schwertern der Reiter erschlagen. Er hob seine Äxte, sah aber keine Möglichkeit, effektiv anzugreifen.
      Ein Warg mit einem besonders gefährlich aussehendem Ork hielt direkt auf ihn zu. Halgarr, der es rechtzeitig bemerkt hatte, sprang zur Seite, als der Warg an ihm vorbeipreschte. Im selben Moment streckte er die Hand aus, griff an irgend ein loses Teil der Rüstung des Reiters, und zog ihn herunter. Scheppernd landete der Ork auf dem Boden, während der Warg unkontrolliert weiter rannte.

      Uthruk lag auf dem Rücken und atmete flach, während er den Lärm der Schlacht um sich herum nur gedämpft wahr nahm. Wäre es ihm nicht gerade selbst passiert hätte er niemals geglaubt, dass es einem Menschen gelungen war, einen Reiter von seinem Warg herunter zu reißen. Aber diese Menschen waren anders, dachte er, während er sich langsam aufrichtete. Es waren würdige Gegner.

      „Uthruk? Wo ist euer Warg?“, fragte Mor'gosh verdutzt.
      „Später“, raunzte Uthruk zurück. „Wie sieht die Lage von hier oben aus?“
      „Nicht ganz so wie geplant. Wir verlieren zuviele Leute.“
      Die Reihen der Orks waren unter den Angriffen der Norsen die nun, da ihre Nachhut von den Wargreitern aufgerieben wurde, umso verbissener erfolgten, zusammengebrochen und die Horde wurde langsam nach Süden zurück gedrängt.
      Uthruk kam auf Mor'gosh zugehumpelt, riss ihm das Fernglas aus der Hand und begutachtete damit die Schlacht.
      „Ja“, knurrte er. „Wir haben sie unterschätzt. Gebt den Befehl zum Rückzug. Wir formieren uns hinter dieser Hügelkette neu und greifen dann wieder an.“

      So schnell die Wargreiter gekommen waren, so schnell waren sie auch wieder verschwunden als ein Hornsignal von Süden her ertönte. Halgarr blieb keine Zeit, sich darüber zu wundern. Er gab dem Ork, dem er gerade die Beine abgeschlagen hatte, den Gnadenstoß und machte sich dann auf die Suche nach Thoric.

      „Haben wir sie in die Flucht geschlagen?“, fragte Orof, der sein Schwert durch eine massive Ork-Axt getauscht hatte, an der frisches Blut klebte. Tatsächlich hatten sich die Orks zurück fallen lassen, den Norsen dann den Rücken gekehrt und waren über die Hügelkette im Süden verschwunden.
      „Würde mich wundern. Wahrscheinlich formieren sie sich neu.“
      „Sollen wir sie nicht verfolgen?“
      „Vielleicht.“ Thoric sah sich unsicher um. In der ersten Reihe hatten sie sich gut gehalten. Soweit Thoric sehen konnte lagen mehr tote Orks um ihn herum als tote Menschen. Weiter hinten waren sie jedoch von den Wargreitern regelrecht abgeschlachtet und beinahe aufgerieben worden. „Halgarr!“
      Der Thane drängte sich durch die Menge nach vorne.
      „Was ist los? Wo sind sie?“
      „Sind abgehauen, wahrscheinlich formieren sie sich neu.“
      „Dann sollten wir dasselbe tun. Lasst die Männer zusammenrücken, bildet Reihen. Und behaltet den Wald im Auge.“

      Uthruk hatte das Kommando der Wargreiter an Durgosh übergeben. Es war der Kampf Mann gegen Mann, den er suchte, sie von einem Warg aus zu töten war auch nicht schwerer als einen Wolf mit einem Bogen zu erschießen. Trotz Allem war er immer noch ein Krieger.
      Es war schon Nachmittag, als die Horde wieder angriff. Dreitausend Orks waren noch übrig und Uthurk führte sie persönlich an, als sie den Hügel hinunter stürmten. Wieder prallten die Armeen aufeinander, wieder leisteten die Norsen erbitterten Widerstand und wieder zogen sich die Orks zurück.
      Mor'gosh verlegte sich jetzt auf Flankenmanöver, die von den Norsen allerdings vorausgesehen und abgewehrt wurden. Die Verluste wurden auf beiden Seiten immer höher, doch es zeichnete sich ab, dass die Orks die Oberhand behalten würden. Uthruk hatte sich auf die Anhöhe zurückgezogen und beobachtete die Schlacht. Sie würden siegen. Nicht einmal die Norsen konnten die Horde stoppen.

      Musik?

      Einen Moment dachte Uthruk, der Wind hätte ihm einen Streich gespielt, doch da das Geräusch immer lauter wurde bestand kein Zweifel. Und Uthruk erkannte den Klang der Instrumente. Dudelsäcke und Trommeln, die Marschmusik spielten. Er hatte so etwas schon einmal gehört, vor Jahren, als sein Clan am Rande des Orklandes gegen eine zwergische Einheit gekämpft hatte. Aber es konnten keine Zwerge hier sein.
      War es wohl der Schlag auf den Kopf gewesen?
      Doch nun gab es keinen Zweifel, denn er hörte nun das Scheppern einer marschierenden Armee. Uthruk wirbelte herum und seine Augen weiteten sich. Gut Eintausend Zwerge, angeordnet in vier Quadraten, marschierten auf die Hügel zu. Uthruk erkannte mindestens zwanzig Streitwägen, die von Widdern gezogen wurden. Die Armee war nur noch wenige hundert Meter entfernt. Jetzt hatten sie ein Problem.

      Die immer lauter wertende Musik weckte neue Zuversicht in den Nordmännern und sie kämpften umso verbissener. Die Orks wichen nach Osten aus, wahrscheinlich um durch den Wald zu fliehen, aus dem ihre Reiter gekommen waren. Der Thane hatte seine Männer angewiesen, ihnen den Weg abzuschneiden, allerdings brachen die Orks durch und verschwanden schließlich zwischen den Bäumen.

      Zwerge erschienen auf dem Hügelkamm, machten aber keine Anstalten, die Orks zu verfolgen. Halgarr steckte seine Äxte weg und kletterte gemeinsam mit Thoric und Orof den Hügel empor.
      „Grüße“, sagte ein Zwerg in einer wuchtigen grauen Rüstung, in die kunstvoll Runen eingraviert waren. „Darvan Krummhaken, Kommandant erstes Regiment von Isenwerk und Befehlshaber für diesen Einsatz. Wir dachten uns, ihr könntet ein wenig Hilfe gebrauchen.“
      „Eure Ankunft hätte nicht besser sein können, Herr Krummhaken“, sagte Halgarr sichtlich erleichtert. „Ich bin Halgarr, Thane der Skalgrim und Oberhaupt der Norsen. Wenn ihr wollt könnt Ihr mich den „Brecher“ nennen.“
      Darval nickte ihm zu. „Habt Ihr einen Plan?“
      „Nun, wir müssen verhindern, dass sich die Horde zurückzieht“, sagte Halgarr. „Aber wir dürfen nicht zuviele töten. Ich will sie zur Aufgabe zwingen und hätte gerne so viel wie möglich lebendig.“
      „Ihr meint sie werden sich ergeben?“
      „Ich weiß nicht. Finden wir's raus.“
      Darval nickte erneut. „Sollte möglich sein. Wir haben das Gelände bereits ausgespäht. Weiter im Osten ist ein Fluss, den sie nicht überqueren können. Meine Leute können ihnen nach Süden hin den Weg abschneiden.“

      „Sie haben uns.“
      Die Sonne war bereits untergegangen. Durgosh hatte versucht, mit den Reitern nach Süden auszubrechen, war allerdings von den Zwergen gestoppt worden. Die Horde war weiter nach Osten ausgewichen und befand sich jetzt am Ufer eines breiten Flusses. Im Süden und Westen standen die Zwerge, im Norden die Normänner. Uthruks Armee war auf Eintausend Mann zusammen geschrumpft und würde im Falle eines Angriffs nicht lange standhalten.
      Uthruk hatte ungefähr zwanzig Clans nach Norden geführt, einige waren fast vollständig ausgelöscht worden. Jetzt hatte er sich mit den Häuptlings der drei Größten auf einen kleinen Hügel zurück gezogen, um über das Schicksal der Horde zu beraten.
      „Wir befinden uns in einer höchst prekären Lage“, sagte er und schaute dabei Mor'gosh an. „Eingesperrt zwischen Norsen und Zwergen. Da kommen wir mit Gewalt nicht raus. Ich für meinen Teil will so viele Krieger wie möglich retten, aber der einzige Weg ist, ihren Sieg anzuerkennen und uns ihrer Gnade auszuliefern.“
      Mor'gosh schnaubte vernehmlich. Die beiden anderen schauten sich an.
      „Ich wusste gleich dass Gor'Bashuk einen Fehler gemacht hat, als er Euch an die Spitze dieses Heeres stellte“, knurrte Mor'gosh. „Ihr stellt das Wohl eurer Krieger über das Wohl der Horde – das war ja zu erwarten.“
      „Wir sind die Horde“, sagte Uthruk scharf. „Jedenfalls hier oben. Ihr alle dürft gerne verfahren, wie ihr wollt, aber ich werde meinen Clan retten.“
      „Retten?“ Mor'gosh lachte auf. „Und woher wisst ihr, dass Euch die Norsen nicht abschlachten werden?“
      „Weil „Ehre“ für sie nicht nur ein Wort ist, so wie den Menschen des Südens.“
      „Ihr scheint Euch da ja sehr sicher zu sein.“
      „Wenn Ihr eine bessere Option habt, raus damit.“
      Mor'gosh öffnete den Mund, schloss ihn aber kurz darauf wieder, da ihm offenbar keine Erwiderung einfiel.

      „Warum greifen wir sie nicht an?“, fragte Thoric.
      „Ich will ihnen eine Gelegenheit geben, sich zu Ergeben“, antwortete Halgarr, der den Horizont beobachtete, wo sich die Horde befand.
      „Und Ihr glaubt, das werden sie tun?“
      „Wenn ich sie richtig einschätze, dann ja.“ Halgarr lächelte. „Was habe ich gesagt?“
      Thoric sah, was Halgarr meinen musste. Ein einzelner Ork kam auf einem Warg über das Feld in ihre Richtung geritten.

      „Setzt Euch“, sagte Halgarr und wies auf ein paar große Steine. „Ich kann Euch leider nichts besseres anbieten, immerhin sind wir hier auf einem Schlachtfeld.“
      Der Ork setzte sich. Es war klar, dass er ihr Anführer sein musste, denn er war ein Stück größer als die gewöhnlichen Krieger. Seine Haare waren lang und schwarz und ungewöhlich glatt für einen Ork. Er trug gewaltige Koteletten, sein Kinn war jedoch vollkommen kahl.
      „Ich bin Uthruk“, sagte er. „Ich bin der Anführer dieses Teils der Horde.“
      „Das dachte ich mir. Mich nennt man Halgarr den Brecher, Thane der Skalgrim.“ Halgarr deutete eine Art Verbeugung an. „Nun, Uthruk, was habt Ihr mir zu sagen?“
      „Wir haben uns beraten“, sagte Uthruk. „Und uns darauf geeinigt dass jedes weitere Blutvergießen sinnlos ist und verhindert werden muss. Ihr habt zwar nicht ehrenhaft gesiegt, aber uns einen ehrenhaften Kampf geliefert, und das reicht mir, um euren Sieg anzuerkennen.“
      Nichts anderes hatte Halgarr erwartet. Zufrieden strich er sich über den geflochtenen Bart.
      „Ich werde keine Ansprüche stellen, aber ich bitte Euch um freien Abzug für meine Leute. Wir werden in unser Land zurück kehren und Euch nicht wieder behelligen.“
      „Dem würde ich gerne stattgeben, Uthruk, aber ich fürchte, ich kann euch noch nicht so bald aus der Verantwortung entlassen.“ Halgarr warf einen Blick zu dem Zwergen, der ihn höchst skeptisch ansah. „Wir brauchen Euch noch.“


      11.) Untergang
      Untergang

      Gor'Bashuk blinzelte gegen die Sonne, als er das erste Mal seit drei Wochen sein Zelt verließ. Die Schamanen hatten ihn in eine Art Schlaf versetzt, während seine Wunden verheilt waren, doch das hatte stark an seinen Kräften gezehrt. Er war deutlich abgemagert und das Grün seiner Haut war bleich geworden.
      Die Horde hatte ihr Lager in die nun komplett verlassene Stadt verlegt und Gor'Bashuk im Vorhof der Burg ein Krankenlager eingerichtet. Groth hatte die anderen Clans aus dem Hof aussperren lassen, und so wurde der Kriegshäuptling nur von den Kriegern seines eigenen Clans begrüßt.
      „Herr“, sagte Groth, der vor Gor'Bashuk auf die Knie gesunken war mit zittriger Stimme. „Ihr wisst ja gar nicht, wie erleichtert wir alle sind, dass es Euch wieder besser geht.“
      „Wie lange war ich weg?“
      „Mehrere Wochen“, sagte Groth. „Eure Abwesenheit... die, die Horde, sie ist...“ Die Stimme versagte ihm. „Ich habe versagt.“
      „Wie viele Krieger bleiben uns noch?“ fragte Gor'Bashuk ruhig.
      „Vielleicht Sechstausend. Ich weiß nicht genau.“
      Der Kriegshäuptling nickte. „Ich erwarte einen möglichst vollständigen Bericht über alles, was während meiner Abwesenheit passiert ist. Und bringt mir meine Rüstung“, fügte er hinzu, da er bis auf die Decke, die über seinen Schultern hing komplett nackt war.

      Die Horde hatte sich zur letzten Schlacht gerüstet und war ausgerückt. Nach Süden, Richtung Steinbach, wo sie General Andreos Darvik von Falkentor und General Aidan Grayle von Stalvard erwarteten. König Silgrain hatte sich standhaft geweigert, mehr als zweitausend Mann zu entsenden, und so war die Armee, die sich der Horde entgegen stellen sollte, etwa fünftausend Mann stark. Es würde nicht reichen um die Horde zu stoppen. Karkaday wusste es.
      Man hatte ihm einen Orden verliehen, ihn befördert, ihm einen Teil der Armee unterstellt, doch all dies kümmerte ihn nicht. Im Kampf gegen Stalvard wäre er auf eine derartige Auszeichnung unglaublich stolz gewesen, aber die Orks hatten ihm gezeigt was es hieß, einen richtigen Krieg zu führen, und Karkaday war sich nicht sehr sicher, wie lange er das noch tun wollte.

      Der Herbst war jetzt endgültig in den Mittellanden angekommen. Ein kalter Wind blies von Norden her, ein Wind, der den Hauch des Todes mitbrachte, denn von Norden kamen die Orks. Karkaday übernahm mit seinen Männern die rechte Flanke, Dilloy, ein Offizier General Grayles, die Linke. Die Hauptarmee wurde von den Generälen Darvik und Grayle persönlich befehligt.
      Sie hatten sich aufgestellt. Jetzt galt es, auf die Horde zu warten.
      Ein letztes Mal hatten sich die Offiziere auf einem Hügel hinter den Schlachtreihen versammelt, um über die Strategie zu beraten, doch Karkaday schenkte der Beratung keine Aufmerksamkeit, stattdessen ließ er seinen Blick über die Truppen schweifen, die sie gegen die Orks ins Feld führen würden.
      Zu erkennen, wer zu wem gehörte war einfach. Rote Wappenröcke zu Falkentor, blaue zu Stalvard, doch immer mal wieder erkannte Karkaday auch jemanden, der einen weißen Wappenrock trug. Der Ordus Aira hatte gut hundert seiner Halbgötter geschickt, oder auch Aureansgeweihten, wie sie sie nannten, Karkaday fand nicht, dass ihnen diese Bezeichnung gerecht wurde. Sie hatten sich über die gesamte Armee verteilt, wahrscheinlich um einen psychologischen Effekt zu erzielen, denn ihr bloßer Anblick schien den Männern neuen Mut zu verschaffen, etwas, das sie im Moment mehr als nur brauchen konnten.
      Nachdenklich sah Karkaday nach Norden, wo sich dunkle Wolken zusammen zogen. Ein Gewitter lag in der Luft.

      Die Späher waren zurückgekehrt und hatten den Häuptlings einen Überblick verschaffen können. Etwa fünftausend Mann standen im Süden und schienen die Horde zu erwarten. Gor'Bashuk hatte eigentlich auf Nachrichten von Uthruk und Mor'gosh warten wollen, aber mehrere Häuptlings drängten ihn zum Angriff, drohten sogar damit, mit ihren Clans die Horde zu verlassen.
      Vielleicht hatte Gor'Bashuks Verwundung die Horde nicht zerstört, aber sie hatte seine Position sehr angreifbar gemacht, und so würde er ihnen stattgeben. Vorerst jedenfalls.
      Vokrash war zwar verärgert und bestürzt darüber, wie der Kriegshäuptling von niederen Häuptlingen herumgescheucht wurde, allerdings hatte auch er dafür gestimmt, schnell anzugreifen und den Menschen einen letzten vernichtenden Schlag zu versetzen. So setzte sich die Horde erneut in Bewegung, um das Schicksal von Falkentor ein für alle Mal zu entscheiden.

      Es war schon fast dunkel als die Horde auf dem Feld, das die Menschen für ihre letzte Schlacht ausgesucht hatten, eintraf. Die Orks hatten sich oberhalb eines flachen Hanges postiert, von wo aus sie ein gutes Blickfeld auf das Feld vor ihnen hatten. Es war eine weitläufige grüne Wiese. Im Osten befand sich ein bewaldeter Hang, der zu einem kleinen Fluss hinab führte. Im Westen befand sich ein Dorf, im Süden ragte eine gewaltige Festung hinter den Reihen der Menschen auf.
      „Hätten wir jetzt Wargreiter könnten wir ihnen in die Flanke fallen“, knurrte Gor'Bashuk, während er die feindliche Armee beobachtete. „Irgendwelche Neuigkeiten von Uthruk?“
      Groth schüttelte den Kopf. „Nichts.“
      Gor'Bashuk nickte und kratzte sich am Kinn. „Keilformation“, sagte er. „Wir müssen nur ihre Reihen aufbrechen, dann sind sie so gut wie erledigt. Teilt die Horde auf. Ich führe den Angriff in der Mitte. Groth wird die rechte Flanke übernehmen und Vokrash die linke.“
      Vokrash, der hinter Gor'Bashuk stand nickte verstehend.
      „Ich will keine Nachtschlacht“, sagte Gor'Bashuk. „Sagt den Kriegern, sie sollen sich ausruhen. Wir greifen im Morgengrauen an.“
      „Was ist, wenn sie sich über Nacht verziehen?“, fragte Groth, doch Gor'Bashuk schüttelte den Kopf.
      „Sie werden nicht fliehen. Sie sind hier, weil sie es zuende bringen wollen. Jetzt geht und führt meine Befehle aus!“
      Vokrash deutete eine Verbeugung an und ging davon.

      Vitrus Dominicus, hatte in der vorigen Nacht kein Auge zugetan, konnte sich allerdings trotzdem nicht daran erinnern, jemals wacher gewesen zu sein, als er, bereit zum Kampf in der ersten Reihe stand, während sich die Horde auf der anderen Seite des Feldes formierte. Er konnte den Gestank von Blut und Ketzerei, der ihnen anhafte, förmlich riechen.
      „Aurean ist mit uns“, sagte er laut zu den umstehenden Soldaten, als sich die Orks in Bewegung setzten. „Er wacht über uns und wird uns zum Sieg führen. Und wenn wir sterben wird er uns den Weg in seine Hallen erhellen. Habt Vertrauen.“ Die Orks näherten sich immer schneller. „Ihr seid Werkzeuge Aureans. Euer Glaube ist euer Schild! Für Aurean“, schrie er, als er einen Satz nach vorne machte und sich der Horde entgegen warf.

      Andreos lief unruhig auf dem nördlichen Wehrgang auf und ab, während General Grayle ganz entspannt an den Zinnen lehnte, um die Schlacht zu beobachten.
      „Die Männer halten ganz gut durch“, sagte Grayle, der an einem Stück Kautabak kaute. „Ich kann nicht verstehen, warum Ihr so nervös seid.“
      „Wir haben uns in Falkentor sicher gefühlt“, gab Andreos zurück. „Und Falkentor ist gefallen. Und wenn ich mich nicht schwer irre sind sogar Stalvards unbesiegbare Armeen an Falkentor gescheitert.“
      Grayle drehte den Kopf und spuckte einen Strahl Tabaksaft vor Andreos' Füße.

      Der Plan ging auf, wenn auch langsamer als erwartet, denn die Menschen leisteten heftigen Widerstand. Als besonders zähe Widersacher erwiesen sich Krieger in weißen Wappenröcken, die unglaublich gut ausgebildete Kämpfer und sehr schwer zu töten waren. Außerdem schienen sie die Soldaten in ihrer Umgebung irgendwie zu inspirieren. Vokrash wusste nicht, welche Position sie in der menschlichen Gesellschaft inne hatten, aber sie musste sehr hoch sein, denn das menschliche Fußvolk sah förmlich zu ihnen auf.
      „Wir kommen nicht durch, Häuptling“, rief Skûrz, der sich blutverschmiert durch die vorstürmenden Krieger auf Vokrash zu wühlte. „Sie kämpfen als wäre der Krieger auf ihrer Seite.“
      „Mehr Druck“, antwortete Vokrash. „Wir müssen ihre Flanke so schnell wie möglich von ihrer Hauptarmee trennen.“
      „Ja, Häuptling“, rief Skûrz und tauchte wieder in der Menge unter.
      Verletzt.

      Karkaday war voll mit Blut, aber bis auf einige Schrammen unverletzt. Eben noch hatte er in der ersten Reihe gekämpft, zog sich jetzt aber ein Stück nach hinten zurück, um sich einen Überblick zu verschaffen.
      „So geht’s nicht mehr lange weiter“, sagte ein junger Offizier namens Frederic. „Ich vermute dass sie uns von der Hauptarmee isolieren wollen, wenn ihnen das gelingt sind wir erledigt.“
      Karkaday musste zugeben, dass Frederic Recht hatte. Er musste sich entscheiden, und zwar schnell.
      „Sagt den Männern, sie sollen sich in diesen Wald zurück ziehen.“
      „Wir sollen aufgeben?“, fragte Frederic bestürzt.
      „Nein. Nicht aufgeben. Nur zurück ziehen.“

      „Wir haben sie in die Flucht geschlagen“, rief Skûrz, der ein weiteres Mal den Hang erklommen hatte, um Vokrash Bericht zu erstatten.
      „Ich sehe es. Gute Arbeit, Skûrz.“
      „Sollen wir sie verfolgen?“
      „Nein. Die kommen nicht wieder. Konzentriert euch jetzt auf den Hauptteil ihrer Armee, damit wir...“
      Er stutzte.
      „Damit wir was?“
      „Hörst du das?“
      „Was?“
      „Orkhörner.“
      Skûrz ging ein paar Schritte weiter den Hang hinauf, bis er sich auf einer Höhe mit Vokrash befand. Wieder ertönte ein Hornstoß, doch diesmal hörte Skûrz ihn. Er wandte seinen Blick nach Norden, von wo das Geräusch gekommen war.
      „Erkennst du was?“
      „Orks“, sagte Skûrz, nicht weniger überrascht als sein Häuptling. „Banner der Schädelreißer... das ist Uthruk!“
      „Uthruk? Aber wie kann er so schnell... es sei denn...“

      Halgarr der Brecher lehnte sich im Sattel seines Rappen zurück und lockerte seine Arme.
      „Kopf hoch“, sagte er zu Uthruk, der neben ihm auf seinem Warg ritt und unglaublich verdrießlich drein blickte. „Ganz einfach. Ihr gewinnt diese Schlacht mit uns und ich sorge dafür, dass eure Leute in die Freiheit entlassen werden.“
      „Ich bin mir nicht mehr so sicher ob ich das wegen meinem Volk tue oder wegen der Ehrenschuld, die ich bei Euch und euren Leuten habe, Halgarr.“
      Halgarr zuckte mit den Schultern. „So oder so werdet Ihr euch an unseren Handel halten. Und jetzt sorgt dafür, dass Eure krieger schnell angreifen können.“

      „Menschen“, brüllte Vokrash, rasend vor Zorn. „Uthruk kommt mit Menschen! Er hat uns tatsächlich verraten.“ Vor Wut trieb er seine Axt mit einem heftigen Schlag tief in die Erde, was ihm zumindest einige Beruhigung verschaffte. „Der Kriegshäuptling muss es wissen“, sagte er mit deutlich ruhigerer Stimme. „Schnell, bevor sie angreifen.“

      Gor'Bashuk war erstaunlich ruhig geblieben, als ihm Vokrash die neueste Wendung mitteilte.
      „Das habe ich befürchtet“, sagte er. „Aber ich hätte nicht geglaubt dass dieser Hurensohn tatsächlich die Eier hat, von den Nordlangen bis hierher zurück zu marschieren, nur um irgendeine Schuld zu begleichen, die er seiner Meinung nach auf sich geladen hat.“
      „Und was sollen wir jetzt tun? Sie haben uns umzingelt.“
      „Vielleicht, aber ihre Reihen sind einigermaßen schwach. Wir werden nach Norden ausbrechen. Greif dir ein paar Warge und warte auf mein Zeichen. Ich will Uthruk lebend.“
      „Wieso?“
      „Wenn ich ihn töte erinnern sich seine Krieger vielleicht daran, wer hier der Kriegshäuptling ist und warum. Wahrscheinlich wird er hinter ihrer Linie stehen und von dort aus kommandieren. Greif dir ein paar Warge und hol ihn dir.“
      „Und wohin sollen wir uns zurück ziehen?“
      „Wir formieren uns auf diesem flachen Hügel etwa zwei Meilen nördlich von hier. Lass es die anderen Häuptlinge wissen und warte auf mein Zeichen.“
      Vokrash salutierte, bestieg seinen Warg und ritt davon.

      Uthruk hatte die ihm unterstehenden Häuptlinge angewiesen, sich so schnell wie möglich zu formieren, was allerdings an ihrem Widerstand scheiterte. Es war schwer genug gewesen, sie dazu zu bewegen, gegen ihr eigenes Volk zu ziehen, aber nun, da es so weit war begannen die ersten, sich offen zu weigern, doch nachdem die Krieger der Schädelreißer ein paar Schädel gespalten hatte kehrte wieder Ruhe ein.
      Uthruks Orks, die als Erkennungsmerkmal ein rotes Tuch um den rechten Arm trugen, hatten sich gemeinsam mit den Norsen auf dem Hügelkamm postiert und die Horde eingeschlossen. Uthruk wartete nur noch auf Halgarrs Befehl.

      „Die Botschaft ist überbracht, Häuptling“, sagte Vokrash, der auf seinem Warg angeritten kam. „Die Krieger werden auf euren Befehl hin umdrehen und ausbrechen.“
      „Gut. Gib das Signal.“
      Vokrash nahm ein Horn vom Sattel seines Wargs und stieß kräftig hinein. Das Signal wurde überall in der Horde weitergegeben, und innerhalb weniger Sekunden drehte sich die gesamte Armee nach Norden und stürmte los.
      Im selben Moment gab Halgarr den Befehl zum Angriff.

      Die Armeen trafen aufeinander und versanken für einige Minuten im Chaos. Halgarr, der in der Mitte des Gemetzels stand, konnte Freund und Feind nicht mehr voneinander unterscheiden und schlug einfach nur noch auf alles ein, was grün war. Er erschlug zwei Orks auf einmal, die ihn bedrängten, und verschaffte sich so etwas Spielraum. Vier berittene Warge brachen durch die Kämpfer zu seiner linken. Er wich dem ersten aus und tötete den Warg des zweiten. Als er den Kopf hob sah er, wie der dritte Reiter mit einem wütenden Schrei sein Schwert hob und zuschlug.

      Gekonnt fing Skûrz den Kopf des Norsen auf, den Vokrash abgeschlagen hatte und befestigte ihn an seinem Sattel.

      Wenige Minuten später schälten sich die ersten Krieger der Horde wieder aus dem Pulk heraus, dann folgte der Rest, angeführt von Gor'Bashuk selbst. Das Manöver war geglückt, die Horde war – unter großen Verlusten – ausgebrochen.

      Es wurde Mittag und dichte graue Wolken verdeckten die Sonne, als Andreos und Grayle über das Feld gingen, um mit den Norsen zu reden, deren unverhofftes Auftauchen ihre Armee gerettet hatte. Andreos fiel auf, dass Orks bei ihnen waren, aber er hatte nicht vor, dies zu hinterfragen.
      „Seid Ihr die Generäle?“, fragte auf einmal eine Stimme links von Andreos. Er drehte sich um.
      „Ja“, sagte er. „Das sind wir.“
      Der Mann, der gesprochen hatte, verbeugte sich. Er hatte langes, braunes Haar, dass bereits ergraut war und einen gewaltigen Bart. Er trug eine Lederrüstung und ein Zweihandschwert auf dem Rücken und war voller Blut.
      „Seid Ihr der Thane“, fragte Grayle.
      „Der Thane ist gefallen“, sagte der Norse. „Mein Name ist Thoric, ich habe das Kommando übernommen.“
      „Mein Name ist Andreos Darvik von Falkentor“, sagte Andreos, während er sich verbeugte. „Dies hier ist Aidan Grayle von Stalvard. Wir sind Euch zu Dank verpflichtet.“
      „Danken könnt Ihr mir, wenn wir die Horde besiegt haben“, sagte Thoric. „Aber beenden wir die Förmlichkeiten und wenden uns ernsteren Dingen zu. Ich werde euch ein paar Dinge erklären, dann sollten wir aber dafür sorgen, dass wir diese Schlacht gewinnen.“
      Uthruk richtete sich unter großen Schmerzen auf. Wahrscheinlich waren einige seiner Rippen gebrochen, als Vokrash ihn hinter seinem Warg her geschleift hatte. Krieger von Gor'Bashuks Clan hatten einen Kreis um ihn gebildet, den sie nun öffneten, um Gor'Bashuk selbst durch zu lassen.
      „Uthruk“, sagte der Kriegshäuptling mit einer tödlichen Ruhe in der Stimme. „Es ist eine Weile her. Das letzte Mal hatte ich dich glaube ich als Befehlshaber eingesetzt, um die Länder der Norsen zu unterwerfen und nicht, damit du an ihrer Seite zurück kehrst, um dich gegen dein eigenes Volk zu wenden.“
      „Die Norsen haben uns besiegt“, würgte Uthruk hervor, wobei er Blut auf den Boden spuckte. „Ich tat was ich tun musste, um mein Volk zu retten.“
      „Dein Volk?“
      Gor'Bashuk kniete nieder und packte Uthruks Haarschopf.
      „Die Horde ist dein Volk. Und wir sind die Horde. Dein Clan, den du retten wolltest, ist bedeutungslos.“ Er stieß Uthruk von sich, der auf den Boden fiel. „Und wenn dich die Norsen besiegt haben bist du es nicht wert.“ Der Kriegshäuptling zog ein Schwert hervor und warf es Uthruk hin. „Du kennst die Strafe, die dich erwartet. Verteidige dich.“

      „Sie formieren sich neu, vermute ich“, sagte Grayle. „Sie werden wieder angreifen. Aber unsere Armee dürfte mittlerweile stärker sein. Wir sollten die Positionen wieder einnehmen und auf sie warten.“
      „Wieso sollten wir warten“, rief Thoric. „Tragen wir den Kampf zu ihnen.“
      „Wir können es uns nicht leisten, gegen Orks in die Offensive zu gehen“, erwiderte Grayle. „Jedenfalls noch nicht.“
      „Ich muss General Grayle zustimmen“, sagte Andreos. „In der Defensive sind unsere Männer besser aufgehoben.“ Thoric schnaubte. „Ich weiß, dass Euch das nicht gefällt, aber das ist genau das, was wir tun werden. Ihr müsst die rechte Flanke übernehmen, seit Karkaday... verschwunden ist.“
      „Verschwunden?“ Grayle lachte auf. „Geflohen ist der Feigling. Ihr wollt nur nicht zugeben, dass Ihr auf's falsche Pferd gesetzt habt.“
      „Ich stehe nach wie vor zu meiner Entscheidung“, fauchte Andreos. „Karkaday ist ein guter Mann.“
      „Mag sein, aber er scheint nicht gut genug gewesen zu sein, um seine Stellung zu halten.“
      Der Blick, den Andreos Grayle zuwarf sprühte förmlich vor Hass.

      Gor'Bashuk hatte Uthruk den linken Arm abgeschlagen und sein rechtes Schulterblatt zertrümmert, trotzdem stand er immer noch aufrecht, bereit, seinem ehemaligen Kriegshäuptling bis zum letzten Atemzug Widerstand zu leisten.
      „Ich bedauere, dass es dazu kommen musste, Uthruk“, sagte Gor'Bashuk. „Du warst einer meiner besten Krieger. Dass ich dir das Kommando über den Feldzug gegen die Zwerge gegeben habe hatte seinen Grund.“ Uthruk sagte nichts, sondern startete einen weiteren verzweifelten Angriff, den Gor'Bashuk mit Leichtigkeit abwehrte. „Und es tut mir Leid.“
      Mit diesen Worten stieß er Uthruk so heftig vor die Brust, dass dieser umfiel. Gor'Bashuk machte einen Satz nach vorne, hob seinen Hammer und ließ ihn auf Uthruks Kopf niedersausen.

      Blut rann in Strömen aus Uthruks zertrümmertem Schädel. Die gefangenen Schädelreißer, die gezwungen worden waren, sich den Kampf anzusehen, senkten den Kopf.
      „So“, sagte Gor'Bashuk schwer atmend. „Ich hoffe, das erinnert euch daran, wer hier der Kriegshäuptling ist. Wem hier euer Gehorsam dient.“ Er sah sich um. Seine Krieger sahen zu ihm auf, bereit, jeden Befehl auszuführen. „Jetzt geht und bringt sie um. Bringt sie alle um!“
      Er stieß einen Kriegsschrei aus, in den seine Krieger einstimmten.

      Der Nachmittag brach an und es begann zu tröpfeln, als sich die wieder erstarkte Horde ein weiteres Mal auf dem Hügelkamm zeigte und, diesmal gänzlich ohne Signal, angriff. Andreos hatte die Festung verlassen und sich in die erste Reihe gestellt, um die Moral seiner Truppen zu heben, und jetzt begriff er, warum Grindelfels, Vargstein, Greifental und selbst Falkentor so leicht gefallen waren, denn der Anblick von tausenden wütend anstürmenden Orks ließ selbst den mutigsten Krieger verzagen. Ein letztes Mal krachten die Armeen ineinander. Die Horde griff diesmal mit einer so unglaublichen Wut an, dass die den Schildwall der Menschen innerhalb weniger Minuten komplett aufgebrochen hatte.
      Es dauerte nicht länger als zehn Minuten, bis Andreos die Niederlage bereits kommen sah. Er kämpfte immer noch, stand immer noch aufrecht, doch die Horde schien die menschlichen Reihen bereits völlig durchdrungen zu haben. Doch dann geschah etwas, mit dem Andreos nicht mehr gerechnet hatte.

      „Vorwärts“, schrie Cornelius Karkaday, der seine Männer durch den Wald im Osten um die orkischen Linien herumgeführt hatte, um der Horde in den Rücken zu fallen. Unter lautem Geschrei und ohne jegliche Formation stürmte die rechte Flanke von Andreos Darviks Armee los. Karkaday mit erhobenem Schwert in der ersten Reihe.
      Es dauerte einige Sekunden, bis die Orks realisieren, dass die Menschen im Begriff waren, ihnen in den Rücken zu fallen und noch etwas länger, bis sie reagierten. Menschen und Orks prallten aufeinander, und wo Karkaday hinschaute wurden die überraschten Orks überwältigt.
      Und dann, auf dem Höhepunkt des Angriffs, wurde Karkaday von einem Pfeil getroffen.
      Das Geschoss traf ihn an der Hüfte, durchbohrte Wappenrock und Kettenhemd und trat auf der anderen Seite wieder aus. Karkaday ließ sein Schwert fallen und sank auf die Knie.

      Jahrelang hatte er gegen die Menschen von Stalvard gekämpft, aber er war nie wirklich bereit gewesen, für Falkentor zu sterben. Doch mittlerweile wusste er, dass die Kämpfe gegen Stalvard und Tardun niemals Kriege gewesen waren. Dies hier war ein Krieg, denn endlich kämpfte er gegen etwas, für das es wert war, zu kämpfen, für das es sogar wert war, zu sterben. Er kämpfte für Falkentor. Nicht für den Staat, nicht für den König, sondern für die Menschen.

      Mit diesen Gedanken verlor Cornelius Karkaday das Bewusstsein.

      Gor'Bashuk konnte es nicht fassen. Seine Nachhut wurde aufgerieben, die linke Flanke geriet unter den heftigen Angriffen der Norsen immer mehr in Bedrängnis. Mittlerweile hatte er sogar die Möglichkeit einer Niederlage ins Auge gefasst und er wusste, dass Niederlage Vernichtung bedeutete. Aber einfach würde er es ihnen nicht machen.
      Blind vor Wut wühlte er sich durch die Kämpfer, erschlug links und Rechts Menschen. Schwach waren sie, armselig, nicht wert, gegen seine Horde zu kämpfen, nicht einmal wert, zu leben.
      „Du!“
      Er erkannte ihn. Den Menschen, der dabei gewesen war, als er den König dieses armseligen Landes erschlagen hatte. Er war also hier, um seine Leute gegen die Orks ins Feld zu führen.

      Andreos wusste, dass er nicht entkommen konnte, als der Kriegshäuptling der Orks ihn angriff, aber die Zeit des Weglaufens war ohnehin vorbei. Aber er hatte nicht vor, es diesem Ork einfach zu machen, und so legte er alles, was er an Kraft, Geschick und Erfahrung aufbringen konnte, in den Kampf, ihn den ihn der Kriegshäuptling verwickelte.
      Andreos wusste, dass es unmöglich war, die Schläge des Orks zu parieren, und so wich er aus, so gut er konnte, während er Schläge plazierte, die allerdings wieder und wieder an der Rüstung des Orks abprallten.

      Das Menschlein war für einen so alten Mann sehr geschickt mit der Klinge. Es schien unmöglich, einen Treffer zu landen, obwohl dieser eine wahrscheinlich schon genügen würde. Allerdings erfolgten die Bewegungen seines Widersachers immer nach demselben Muster, das Gor'Bashuk schon durchschaut hatte. Und so setzte er nach wenigen Minuten des Kampfes – oder vielleicht auch einem Jahr – den entscheidenden Schlag.

      Die Axt des Orks durchstieß Andreos' Brustpanzer und hinterließ eine schwere Wunde. Der alte Mann sank auf die Knie. Jetzt war es also vorbei. Er hatte sein Leben für Falkentor gegeben, wie sein Schwur von ihm verlangt hatte, doch was hatte er erreicht? Sicher, ein paar Siege gegen Stalvard und Tardun hatte er vorzuweisen, doch würde das genug sein wenn er Aurean gegenüber trat? Hatte er wirklich etwas getan für Falkentor, das Land, der zu beschützen er sich geschworen hatte?
      Er richtete seinen Blick nach oben, auf das Gesicht des Orks, dessen überhebliches Lachen er nicht ertragen konnte. In einer letzten Aufbäumung von Allem, was er noch in sich spürte, stürzte er nach vorne und schlug zu.

      Es war ein Glückstreffer. Ein verdammter Glückstreffer, dachte Gor'Bashuk, während er mit seinen Händen die Wunde bedeckte, die der Mensch an seinem ungerüsteten Hals geschlagen hatte, obwohl er wusste, dass sie ihn töten würde. Ein Glückstreffer. Ein einziger Moment, in dem er seinen Triumph genießen wollte, ein Moment der Unachtsamkeit würde ihn alles kosten.
      Blut schoss in einer Fontäne aus seinem Hals, als Gor'Bashuk auf die Knie sank. Das konnte nicht wahr sein. Ein Mensch hatte vollbracht, woran so viele Orks gescheitert waren. Das konnte einfach nicht wahr sein. Menschen waren schwach, so schwach.
      Ein letztes Mal bäumte sich Gor'Bashuk auf und stieß einen schrecklichen Schrei aus, der allerdings zu einem fürchterlichen Gurgeln wurde, dann kippte er vornüber und blieb reglos liegen.
      So schwach...

      Der Kriegshäuptling war gefallen. Vokrash hatte es gesehen, hatte es aber erst nicht glauben wollen. Nun sah er sich um. Um ihn herum kämpfte und starb sein Volk immer noch für Gor'Bashuk, der selbst gefallen war. Er mochte dem Kriegshäuptling zwar geschworen haben, bis in den Tod zu folgen, aber nun war es an ihm, sein Volk zu retten.
      Er nahm sein Horn und gab das Signal zum Rückzug.
      Auch, wenn sie überleben würden, er wusste, was auf sie zukam. Der Kriegshäuptling war tot. Die Einheit der Clans würde wieder zerbrechen, die alten Machtkämpfe würden die Orks wieder einholen.
      Die Horde war besiegt.

      „Ich will ihn sehen.“
      Der Wächter verbeugte sich tief, ging beiseite und machte die Tür zu dem Zimmer frei, in das sie Cornelius Karkaday gelegt hatten.
      „Ich kann es immer noch nicht glauben, Cornelius“, sagte Serpius Valentin, der die Tür hinter seinem König schloss. „Ein weiteres Mal habt ihr bewiesen, dass Ihr mehr Glück als Verstand habt.“
      Karkaday öffnete ein Auge.
      „Ich freue mich auch, Euch zu sehen, Serpius. Und...“
      „Genau“, sagte Vincent. „Vincent Emerid Stanzov von Falkentor IV. Serpius hat mir alles erzählt.“
      Karkaday schloss die Augen wieder. Trotz der lindernden Umschläge der Apotheker tat sein linker Hüftbereich schrecklich weh.
      „Die Schlacht ist vorbei, Cornelius“, sagte Valentin. „Der Häuptling der Orks ist tot. Wir haben die Horde in die Flucht geschlagen. Alles dank Euch. Prinz Vincent ist gekommen, um sich zu bedanken.“
      Vincent nickte. „Ganz Falkentor steht tief in Eurer Schuld, Cornelius“, sagte er. „Im Namen des Königreich und seines Volkes möchte ich Euch meinen tiefsten Dank aussprechen.“
      „Danke, Eure Majestät. Seid Ihr nur deswegen hergekommen?“
      „Nun, eigentlich nicht. Ihr habt es sicher noch nicht erfahren, aber General Darvik ist gefallen. Wir vermuten, dass er es war, der den Häuptling der Orks besiegt hat. Ich bin gekommen, weil ich Euch gerne als seinen Nachfolger hätte. General Cornelius Karkaday“, fügte er hinzu. „Wie klingt das?“
      Karkaday lachte auf, bereute es aber sofort wieder, denn Lachen tat weh.
      „Ich fühle mich zutiefst geehrt, Eure Majestät, aber ich kann das Angebot leider nicht annehmen.“
      Vincents Mundwinkel zuckten. „Ich kann verstehen, wie Euer Gemütszustand sein muss, nach all dem, aber...“
      Karkaday lachte erneut. „Nein, Eure Majestät. Nichts für ungut, aber Ihr habt keine Ahnung von meinem Gemüt. Es tut mir Leid, aber ich habe absolut kein Interesse daran, noch weiter in der Armee zu bleiben.“
      Vincent seufzte. „Ich kann Euch leider nicht zwingen. Vielleicht überlegt Ihr es ja noch einmal.“ Er wandte sich Serpius zu. „General Valentin, Ihr wolltet noch etwas mit Cornelius bereden. Ich warte solange draußen, aber lasst Euch nicht zulange Zeit. Thoric, General Grayle und ich müssen besprechen, wie wir mit den Orks verfahren.“
      Serpius verbeugte sich und der König ging hinaus.
      „General Valentin“, sagte Karkaday amüsiert.
      „Ja“, antwortete Serpius, „Anscheinend war ich nicht so weise.“ Er setzte sich zu Karkaday an die Bettkante. „Der König hat mir gesagt, ich soll versuchen, dich zu überreden, falls du ablehnst, aber ich werde das gar nicht erst versuchen. Du hast eine Entscheidung getroffen, in die ich dir nicht hinein reden will.“
      „Danke.“
      „Was wirst du jetzt tun?“
      „Ich werde nicht nach Greifental zurück gehen. Die Leute werden nach diesem Vorfall mit Luther Octavius nicht mehr sonderlich gut auf mich zu sprechen sein.“
      „Wohin dann?“
      „Felsheim“, sagte Karkaday. „Es gibt da jemanden, der auf mich wartet.“

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