Von Zuckerstangen und Zwiebelringen

    • Von Zuckerstangen und Zwiebelringen

      Von Zuckerstangen und Zwiebelringen

      Frühling war's, die Wiesen grün und ganz für sich, ihre Bienchen stäubten und schnurrdiburrten, als ich zwischen den Pilzen saß. Der Plan war klar: ich wollte nicht heim, ich musste heim, keine Ahnung warum, ich fühlte es und konnte es nicht deuten. Deshalb sputete ich mich, hetzte über das Land, durch die Straßen, übers Grundstück nebenan, über fiktive Grenzen hin zur eigenen Wohnstatt – und war erst einmal verblüfft: denn da war der Rummel - ein Rudel Nachbarn rauschte an mir vorbei. Man tanzte zu Schifferklavieren, sie spielten und verklangen leis in Wind und Getümmel, ein Rauch zog auf über Bierzelten, Karussells und Sitzgarnituren, das Gras verwelkte, denn man grillte und machte viele Schritte.
      Blick ins Bierzelt, da saßen zwölf nebst einer Anzahl völlig Unbekannter – daneben surrte ein buntes Karussell, drauf krähte der rote Hahn und kleine Kinder rotierten an Zuckerstangen, auf und nieder, immer wieder. Löwen balgten, Pferde brausten, ein Eselchen folgte, im Auto saßen vier und winkten. Und die Kinderchen im lieben Reigen kicherten und tuschelten und sangen:

      Auf und nieder, auf und nieder!
      Kindchen, Kindchen, liege still...
      Auf und nieder, immer wieder!
      Weil ich dir was sagen will.
      Auf und nieder, auf und nieder!
      Kindchen, alle deiner Sippe...
      Auf und nieder, immer wieder!
      Lagen vor dir auf der Wippe.

      Am Grill ein Großer mit Spieß. Er drehte die Würste, es triefte das Fett: manche waren schon angebrannt. Ein paar Menschen scharten sich um ihn und faselten irgendein Zeug, zeigten auf Würste und selektierten qualitativ. Und siehe da: die Gekokelten verschwanden urplötzlich. Oft senfte man seine Wurst und quetschte sie in ein daumengelochtes Brötchen.
      Ich kämpfte mich durch bis zur Front: zur Terrassentür unseres Hauses, dorthin, wo's heimelig ist, denn draußen - Mein Griff an die Aluminiumklinke. Ich öffnete die Tür.
      Statt im Wohnzimmer – wie ich's mir erhofft hatte – düsterten mir die fahlen Kacheln eines Badezimmers entgegen, vielmehr: einer Waschküche, einer äußerst verdreckten obendrein. Doch auch hier entdeckte ich Vertrautes: die Waschmaschine, überfallen von Nachthemden und Wäsche meiner Mutter; eine Waschmuschel schimmelte an der Betonwand gegenüber. Tropfen für Tropfen perlte von undichten Rohren hinab auf kalte, modrige Fliesen.

      Ein Teil von mir himmelhochjauchzte: die ganze Familie (Cousins, Cousinen, Onkel, Tanten, Großeltern, Sonstige) war anwesend; sie belagerte eine Festtafel, saß auf Biergarnituren und wirkte außerordentlich heiter. Aber was taten sie da? Fraßen sie etwa Insekten? Drei leere Plätze zeugten von Unvollständigkeit.

      Mein Körper rauschte durch den Raum und nahm an einem Bartresen Platz. Kitschig-kultiges Ambiente: Plakate mit allerhand Whiskeyflaschen, ein paar Blechschilder an den Wänden dahinter: ein kleiner Junge mit Sechserträger in der Hand, drunter stand „Schultheiß“; zwei süße Blondinen mit Bierkrügen in der Hand, drüber stand „Pilsner Urquell“; zweimal war von einem ominösen Jack Daniels die Rede.
      Hinter der Bar stand der Vater, lächelte, ich gesellte mich zu ihm, wir tranken Tee und sprachen über die Freakshow draußen – peinliche Details sind mir nicht mehr bekannt – doch nach wie vor herrschte Ratlosigkeit. Bald darauf trennte ich mich vom Vater und wagte die Flucht nach vorn, an den Tisch der Familie, der Grinser und Biertrinker, die plötzlich innehielten und mich unverwandt ansahen.
      „Ich hab Hunger. Geh mir ne Wurst holen!“, raunzte der Cousin, „Darfst dir auch eine mitbringen.“ Nun troff zwar die Soße aus allen Mäulern, auch stöhnte man und hielt sich die dicken Bäuche – all dies wollte ich anmerken, meinen Eindruck der Sinnlosigkeit des Befehles fundieren, öffnete den Mund – und schwieg. Man registrierte es vielleicht. Dann wandte man sich wieder ab und erging sich in Plaudereien. Außerdem hatte man Bier. Wenn welches da ist, soll man's auch trinken, hörte ich den Onkel sagen – schon griff er nach einer Flasche, schüttelte sie, hebelte sie auf: es sprotzte ziemlich – das Bier stürzte hinaus und weißer Schaum überflutete seine Hände. Große Augen schwiegen stumm. „Das konnte ich schon mal besser.“, lachte er. Ich drehte den Kopf weg, denn sie lachten alle mit.
      Zwei Würste, protokollierte ich in Gedanken, entfernte mich von der Familie, kuschte und wankte über Dreck und Unterhemden zur Tür - ich musste kräftig zerren, um sie öffnen zu können!

      Draußen reichten sich Karneval und Kirchweihfest die Hand wie eh und je: Zauberer und Wahrsagerinnen fröhnten der Scharlatanerie, Kuriositätenkabinette präsentierten Zwerge, stärkste Männer der Welt, Zyklopenjungen mit nur einem Auge, Entstellte und Monster, Frauen mit Bärten, Menschen ohne Unterleib, im Spiegelsaal irrte man umher, fand sich tausendfach und konnte sich nur durch Glück oder Zufall entkommen – nun findet's schon direkt hinter meinem Haus statt, schauderte ich und versuchte, mich zu tarnen. Doch grüßte man mich und war charmant, man duldete mich in meinem eigenen Garten - Hände legten sich auf meine Schultern, streichelten mich, kurz, verschwanden, bevor ich an Flucht denken konnte. Aber hier, vor mir, da war die Welt, die anderen Kinder sausten weiter im Zuckerstangenreigen – sahen mich an, dann weg, hinüber...

      Was macht sie denn, was rennt sie denn, und lauscht: sie hat gestohlen!
      Was weint sie denn, was brennt sie denn, der Teufel soll sie holen!
      Was schläft er denn, was pennt er denn, der rote Hahn hat schon gekräht!
      Was schreit er denn, was flennt er denn, daheim im Bett von früh bis spät?

      Der Chor der Hähne krähte von den Dächern.
      Angekommen am Grill: mit einem Dreizack spießte ich zwei schlaffe Würstchen auf und wollte sie dem Rost aufdrängen – doch er war voll, komplett belegt, ließ niemanden mehr brutscheln. Der Große Griller verordnete mir eine Wartezeit, bald sollte der Grill geleert werden, bald, versprochen, beschäftige dich solange anders. Okay – Schulterzucken – dann will ich eben karussellfahren – aber wie?
      Es hielt nicht an. Die Löwen, Autos, Drachen, Pferde, Spaceshuttles, Kinder – herum und herum.
      Einige Zeit stand ich davor, schließlich hatte ich sonst kaum Besseres zu tun und mein abseitiges Warten ist allemal besser als ein solches am Grill. Dort, wo's heiß und laut ist und nach Fett und Schweiß stinkt, dachte ich mir und ließ die Minuten verstreichen.
      Aber nun zurück zum Grill, denn dem Auftrag war nach wie vor Folge zu leisten. Waren die Würstchen fertig? Schien so – alle mampften dickbackig. Doch der Rost war wieder voll – Entschuldigung, meinte der Große Griller, aber deine Würstchen grill' ich nicht, du Pimpf.
      Stattdessen packte ich mir rasch zwei Handvoll Zwiebelringe und ging wieder zur Terrassentür, krampfte das Gemüse zusammen, der Saft rann meine Hände hinab - ich öffnete die Tür:
      Nichts als Leere. Niemand war da, keiner, der die Wurst mehr wollte...
      Zudem war sogar der Tisch abgebaut worden – er lag zusammengestaucht in der Ecke, die Bar fehlte, jemand hatte gar die Waschmuschel aus der Wand gerissen! – alleine die Waschmaschine stand noch an ihrem Platz. Ich warf die Zwiebelringe hinein und ärgerte mich, weil ich noch nichts gegessen hatte.
    • Also -- ich muss sagen, ich mag den Text sehr. Zuerst einmal finde ich die Länge passend gewählt, wäre er noch nennenswert länger gewesen, hätte die nicht zu unterschätzende Gefahr bestanden, dass er inhaltlich vor sich hindümpelt. Aber so ist er super, sehr phantasievoll, bunt und verstörend.
      Ich muss allerdings zugeben, dass mir das Ende doch ein ziemliches Rätsel ist. Wobei, nein, nicht das Ende als solches, da gibt es viele Deutungsmöglichkeiten. Eher der letzte Satz. Aus dem werde und werde ich nicht schlau. Fucking Zwiebelringe. xD Ich begreife ihren Kontext und den Wurf in die Waschmaschine nicht.

      Und ja, der Freud-Faktor ist nicht zu unterschätzen, das stimmt. Ich weiß nicht, wie viel davon mir aufgefallen wäre, wenn ich es ohne einen vorherigen Schubs in diese Richtung gelesen hätte, manches stach hervor, manches weniger -- aber ich finde, das unterstützt diese unangenhem bedrängende und schwitzig-triefende Wurst-Grill-Bier-Männlichkeits-Stimmung (die oberflächliche Erwähnung von Frauen bleibt ja auf eine Minimum beschränkt)

      dead girls dry each others eyes
      and pretend for a while
      that we're still alive.


      ________

      Twitter | DIE BASIS
    • Vielleicht hilft es, wenn man sich vorstellt, wie schön eine Zuckerstange durch einen Zwiebelring hindurchpasst. ;)
      Auch der Titel ist kein Zufall, beschreibt er doch die Problematik. Wenn man nun sowohl die Assoziationen mit einer Waschmaschine sowohl im Text als auch im eigenen Weltwissen miteinander verknüpft, beachtet, wie der Protagonist rüberkommt, dürfte man drauf kommen. Zwiebelringe reingeworfen - und gleichzeitiger Frust darüber, da sie den Hunger nicht mehr stillen können. :)
    • Schön geschrieben ist's ja. Vielleicht bin ich einfach dumm, aber für mich hat die STory keinen Sinn. Und welchen Sinn hat eine Story, die der leser nicht versteht?
      Ich hab ja nichts gegen tiefphilosophische Texte, die man mehrmals lesen muss, um sie zu verstehen, aber hier ist die Symbolik (ich nehme ja mal an, dass hier nichts dem Zufall überlassen wurde) einfach so speziell, dass sie dem geneigten Leser doch zu leicht entwischt -- was sich auch in der Anzahl der Kritiken zu dem Stück Prosa widerspiegelt.

      Ich möchte aber noch mal betonen, dass es mir stilistisch gut gefällt -- auch wenn es teilweise an Kafka erinnert, und Kafka verabscheue ich aus dem tiefsten Innersten meiner Seele.
      Næhmachinery
      Premonitions in the rising wind; tonight the stars will fall.
      The world in a cyclone, pouring out.
      No escape, but hey, who cares? Just go with the flow.
    • Original von FoWo
      Ich möchte aber noch mal betonen, dass es mir stilistisch gut gefällt -- auch wenn es teilweise an Kafka erinnert, und Kafka verabscheue ich aus dem tiefsten Innersten meiner Seele.


      Obwohl der Text darauf nicht konzipiert ist (denn er hat sehr wohl einen Sinn: wenn man psychoanalytisch vorgeht, isses easy), ist das das schönste Kompliment, das man einem Text machen kann. Find ich. :)

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Acrobat reader ()

    • Was davon -- dass es stilistisch gut war, oder mich unangenehmerweise an Kafka erinnerte?
      (Das ist nämlich in meinen Augen eher eine Beleidigung. xD)
      Næhmachinery
      Premonitions in the rising wind; tonight the stars will fall.
      The world in a cyclone, pouring out.
      No escape, but hey, who cares? Just go with the flow.
    • Na ja, solange es dich glücklich macht, bitte. xD

      Wie gesagt, nur an der massiven Symbolik tu ich mich schwer. Aber andererseits ahnte ich ja, was mich erwarten würde, als ich sah, dass du was gepostet hast. Man kann ja auch nicht aus seiner Haut.
      Næhmachinery
      Premonitions in the rising wind; tonight the stars will fall.
      The world in a cyclone, pouring out.
      No escape, but hey, who cares? Just go with the flow.