So, manche kennen die Story vielleicht noch von früher (Gott is das lang her); ich habe mich jedenfalls entschieden, eine Art "Reboot" der Story vorzunehmen um alle Logikfehler, Plotschwächen und gar zu ausgelutschten Klischees zu vermeiden. Da es sich im Grunde um eine Superhelden-Story handelt (nur halt nicht in Comicform) wird man nicht völlig um diverse Klischees rum kommen, aber ich will mich bemühen, diese zumindest etwas zu kippen und/oder unterhaltsam zu präsentieren.
Wichtig ist mir hier, dass ein paar Leute kommentieren, die die Ursprungsfassung und die vorkommenden Charaktere nicht kennen, damit ich weiß, wie es auf "Neulinge" wirkt.
Ich werde ein paar Abschnitte posten (nicht auf einmal) und dann den Thread nach einiger Zeit wieder löschen lassen - soll ja mal ein zusammenhängendes Buch werden. :x
Vlads schwarze Schuhe knirschten auf dem geborstenen Glas. Scherben schwammen in einer farblosen Flüssigkeit, durch die sich rote Schlieren zogen. Kabel und Schläuche hingen aus dem zersplitterten Glaskolben und baumelten träge hin und her. Vlad seufzte, beugte sich vor, griff mit spitzen Fingern nach einem der Schläuche und beäugte ihn, als sei er ein besonders interessantes Fundstück.
„Ich weiß nicht, was mich mehr schockiert: Die Tatsache, dass er es geschafft hat, aus seiner Röhre auszubrechen, oder die Tatsache, dass er es weiters irgendwie hingebogen hat, aus der Anlage zu fliehen. Wissen wir schon, was er mit Dr. Clément angestellt hat?“
„N-Nein, tut mir leid, keinerlei Spur.“ Ein rundlicher Mann im Laborkittel rieb nervös seine Handflächen aneinander. „Ich – ich kann mir nicht erklären, wie das passiert ist. Ich meine, dieser Ausbruch ist eigentlich völlig unmöglich. Mit so etwas rechnet doch niemand…“
„Ist mir klar“, erwiderte Vlad ungerührt, ließ den Schlauch fallen und richtete sich auf. „Im Grunde ist es auch irrelevant. Wichtiger ist es, dass wir uns an die vorhandene Situation anpassen.“ Mit hochgezogener Augenbraue musterte er seine Fingerspitzen und rieb diese aneinander, entschied dann, dass keine Spuren darauf zurückgeblieben waren und machte sich stattdessen daran, den Kragen seines schwarzen Anzugs zurechtzurücken. „Und darum ist es jetzt besonders wichtig, dass wir keine Zeit verlieren, Dr. LeRoue, auch um Ihretwillen.“
„Was soll ich tun?“
Vlad seufzte und schritt achtlos über das knirschende Glas zu seinem Untergebenen zurück, der unwillkürlich einen halben Schritt zurückwich. „Ich brauche Sie jetzt im Labor. Sie, Dr. Dechéroux und Dr. Schneider. Wir haben Zell- und Blutproben von ihm, ich will alle Analysen, die möglich sind, jedes noch so unwichtig scheinende Detail. Gehen Sie das Archiv durch, vergleichen Sie Berichte, irgendwas, mir egal, aber ich will alle möglichen und unmöglichen Prognosen haben, die Sie über ihn erstellen können.“
„Wird erledigt, wird erledigt!“, beeilte LeRoue sich zu versichern. „Was ist mit Ihnen?“
„Ich werde persönlich losgehen und versuchen, ihn wieder sicherzustellen“, lautete Vlads trockene Antwort. Er warf einen letzten Blick auf die zersplitterte Glasröhre, deutete dem soeben eintreffenden Personal, sich um darum zu kümmern und verließ den Raum dann. LeRoue folgte ihm. „Chaos kommt mit mir und solange wir nicht hier sind, haben Sie das Kommando.“
LeRoue wirkte gleichzeitig schockiert und erfreut. „Was? Ich meine, es ist mir eine Ehre, aber was ist mit Ihrem…?“
„Er ist in letzter Zeit sehr unzuverlässig“, unterbrach Vlad, ohne eine Miene zu verziehen. „Mir ist bei dem Gedanken, dass Sie in meiner Abwesenheit alles leiten, deutlich wohler. Nun, noch Fragen?“
„Eines noch.“ Le Roue warf einen beinahe verstohlenen Blick über die Schulter zurück zu dem Raum, aus dem sie gekommen waren. „Was sollen wir mit den… nun, den anderen machen?“
Vlad blieb stehen und warf dem Wissenschaftler einen Blick zu, als wüsste er nicht, ob dieser einen Scherz gemacht hatte. „Wir können nicht riskieren, dass ein weiterer Vorfall wie dieser hier stattfindet – so gering die Wahrscheinlichkeit auch sein mag“, meinte er dann.
„Das heißt, wir…?“
„Genau das, LeRoue. Töten Sie sie. Alle.“
001: Trepidatio
1)
Der Raum war schummrig, obwohl vor dem Fenster bereits strahlend die Sonne schien, denn wie immer waren die Jalousien nach unten gezogen. Das Bett war leer, aber die Bettwäsche war zerknüllt und beiseite geschlagen, Krümel von Chips oder ähnlichen Knabbersachen waren auf dem Leintuch zu sehen, was darauf schließen ließ, dass das Bett in letzter Zeit bloß benutzt worden war, um darin zu lungern, während man fernsah oder Videospiele spielte. Der Boden war ebenfalls kein Musterbeispiel an Ordentlichkeit – ein Pullover lag auf dem Teppich, Comichefte und Magazine waren verstreut und ein paar Kabel zogen sich unpraktisch quer durch den halben Raum. Dass das Zimmer dennoch einem Mädchen gehörte, ließ sich bloß an ein paar Details feststellen – der rosa Pyjama, der unter dem Kopfkissen des großen Bettes hervorlugte, ein zerknautscht wirkender Teddybär einige Zentimeter davon entfernt; vielleicht noch das Poster von zwei spielenden Kätzchen an der Wand, zwischen den großen Porträts von einem Piraten und dem eines Comic-Superhelden.
Das einzige Geräusch, das zu hören war, war das leise Surren und Knarren eines eingeschalteten PCs. Der Schreibtisch, auf dem der dazugehörige Bildschirm stand, war so ziemlich der einzige Fleck des Zimmers, der fein säuberlich aufgeräumt war: Computerspiele waren penibel aufgereiht, Disketten und DVD-ROMs in beschrifteten Halterungen und die Lautsprecherboxen waren schön symmetrisch aufgestellt, um die vor dem Gerät sitzende Person möglichst effektiv beschallen zu können. Bloß Tastatur und Maus waren etwas gedankenlos beiseite geschoben worden, um einer zierlichen Gestalt Platz zu machen, die vornüber gebeugt auf ihren verschränkten Armen lag, schlief und dabei leise schnarchte.
„Sam, bist du schon wach?“ Es klopfte an die Zimmertür und die etwas raue Stimme eines älteren Mannes klang dumpf durch das dicke Holz. „Frühstück steht am Tisch.“
Die Gestalt schreckte hoch, blinzelte schlaftrunken und setzte sich auf, offenbar noch nicht ganz im Klaren darüber, wo genau sie war. Dann rückte sie die schief auf ihrer Nase hängende eckige Brille zurecht und gähnte erst einmal laut und undamenhaft, bevor sie ein „Bin wach, bin wach“ in Richtung der Tür nuschelte.
„Okay, beeil dich, sonst wird der Kakao kalt.“
Sam lehnte sich ächzend zurück und strich sich müde über das Gesicht, während sich Schritte vor ihrer Zimmertür entfernten. Ein Blick auf die Uhr an der Wand sagten ihr, dass es halb zehn Uhr vormittags war. Offenbar war sie wieder einmal vor dem Computer eingeschlafen und hatte die halbe Nacht so verbracht – und den halben Morgen gleich dazu. Missmutig rückte sie Tastatur und Maus zurecht und sah den Bildschirm flackernd anspringen, nur um zu sehen, dass der Download, auf den sie wartete, nach wie vor bei 97,5% fest hing.
„Dann halt nicht“, seufzte das Mädchen leise dem Gerät zu und rutschte von seinem Bürostuhl, immer noch in Jeans und T-Shirt vom Vortag. Noch einmal gähnend schlüpfte es in die Pantoffeln, die daneben herumlagen und schickte sich an, das Zimmer zu verlassen, als sein Blick auf das Spiegelbild fiel, das ihm von der verspiegelten Kleiderschranktür entgegensah. Sam musste widerwillig zugeben, dass sie aussah, als hätte sie die letzten drei Tage außerhalb jeglicher Zivilisation verbracht und bemühte sich eine halbe Minute lang vergeblich darum, ihr wirres, flammend rotes Haar in halbwegs ansehnliche Bahnen zu bürsten. Irgendwann entschied sie, dass es ohnehin egal war und schlurfte aus ihrem Zimmer in die kleine Essküche, in der Patrick stand und irgendetwas in einer kleinen Pfanne anbriet.
„’n Morgen“, machte Sam eintönig und ließ sich auf einen Küchenstuhl sinken. Die Tasse mit dem dampfenden Kakao zog sich zu sich her.
Ihr Onkel wandte sich zu ihr um. „Guten Morgen, Kleines. Vorsicht, der Kakao ist noch sehr…“ heiß, wollte er noch hinzufügen, aber Sam hatte bereits zwei große Schlucke genommen. „Okay, offenbar doch nicht.“
„Hm. Warm.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Haben wir noch Müsli da?“
„Steht direkt neben dir.“
„Oh. Tatsache.“
Patrick schüttelte schief lächelnd den Kopf und widmete sich seinen Spiegeleiern, während Sam sich über ihr Frühstück hermachte. „Lass mich raten, du hast mal wieder bis vier Uhr früh Online-Spiele gespielt und bist vor dem Computer eingepennt?“
„Hey, es war Freitagabend, da kann ich eigentlich so lang aufbleiben, wie ich will. Außerdem hatten wir ein großes Turnier“, kam es von dem dünnen Mädchen, das wie mechanisch sein Müsli in sich hinein löffelte. „Ich musste meine Ehre als Headshot-Queen verteidigen. Ja ich weiß wie das klingt, sag jetzt nichts“, fügte sie mit abwehrender Geste und einem schiefen Grinsen hinzu, als sie Patricks fragend hochgezogene Augenbraue bemerkte. „Sagen wir einfach, ich habe einen Ruf zu verlieren.“
„In deinem Alter kannst du dir so etwas noch erlauben“, erwiderte Patrick mit gespieltem Tadel und ließ sein Spiegelei und den Speck aus der Pfanne in einen kitschig geblümten Teller rutschen. „Da steckst du solche nächtlichen Computerexzesse noch weg, während meine alte Wenigkeit in diesem Fall jetzt halbtot herumkriechen würde.“
Er setzte sich gegenüber seiner Nichte mit seinem Teller und einem Stück Brot an den Küchentisch, während Sam über ihrer Kakaotasse hing, beide ihrer schmalen Hände darumgelegt. Sie saß da, mit ihren zerzausten Haaren und dem labbrigen alten T-Shirt, etwas Kakao am Mundwinkel; wie ein unschuldiges Kind und nicht wie jemand, der schon zwei Jahre studierte. Unwillkürlich schlich sich ein leichtes Lächeln auf sein Gesicht, als sie noch einmal gähnte, laut und völlig ungeniert.
„Ach was, es verschiebt sich der Schlafrhythmus bloß ein wenig“, meinte sie dann und rührte etwas geistesabwesend in ihrem Müsli herum. „Es ist ja auch nicht so, als würde ich das jeden Tag so machen, man hat schließlich wochentags genug Arbeit auf der Uni.“
Patrick spießte resolut ein Stück Speck auf und rührte damit quer durch den Eigelb seines Spiegeleis, bevor er es sich in den Mund schob. „Ja, und ich kann trotzdem samstags aufs Revier. Man sollte meinen, dass ich so etwas wie freie Wochenenden verdient hätte, nicht?“
Sam horchte auf. „Du musst heute zur Arbeit?“
„Ja, nachher dann. Es dürfte gerade ein ziemliches Chaos herrschen, irgendein Irrer ist unterwegs und schlachtet offenbar wahllos Leute ab.“
Eine von Sams Augenbrauen wanderte nach oben. „Hm, na das klingt ja nett. Hier in der Umgebung?“
Patrick kratzte sich an der Wange. „Soweit ich weiß, ja, aber ich weiß es auch nicht genau, ich habe vorhin erst den Anruf von Michael bekommen, dass sie mich für irgendwas brauchen. Keine Sorge“, fügte er dann noch hinzu, als er den skeptischen Blick seiner Nichte auffing. „Ich nehme an, es handelt sich um einen der üblichen Junkies, die kriegen wir in der Regel recht schnell.“
„Die Polizei, dein Freund und Helfer“, erwiderte sie und prostete ihrem Onkel zu. „Aber sag das mal denen, die er bereits umgelegt hat.“
„Lässt sich auch nicht mehr ändern. Im Voraus erwischt man die Kerle ja leider nicht.“
„Auch wieder wahr.“ Sam leerte ihre Tasse schwungvoll, erhob sich und stellte das gebrauchte Geschirr in die Spüle. „Na ja, sollte ein sabbernder Psychopath hier einbrechen, ruf ich dich sofort an, versprochen.“
Patrick lehnte sich seufzend zurück und wischte beinahe systematisch mit einem Stück Brot die letzten Reste Eigelb von seinem Teller, während er das Mädchen beobachtete, wie es die Tasse mit Wasser füllte, dann mitten im Vorgang die Lust verlor und sie einfach stehen ließ, wo sie war. „Solche Leute brechen nicht in Wohnungen ein und schon gar nicht am helllichten Tag“, meinte er dann. „Ich glaube, es reicht, wenn du dich in nächster Zeit von dunklen Seitenstraßen, Dealerbezirken und verlassenen Gassen fernhältst.“
„Versprochen“, meinte Sam leichtfertig. „Vielleicht schleppt Alice mich heute noch auf irgendeine ihrer Shoppingtouren, aber sonst bleibe ich ohnehin hier drin. Und jetzt gehe ich erst mal duschen und mich umziehen, ich fühle mich nämlich echt gerade wie der letzte Penner.“
„Danke für die Information“, antwortete Patrick trocken und erhob sich nun selbst ächzend von seinem Stuhl. „Wir sehen uns dann also am Abend wieder. Falls du Hunger hast: du weißt wo die Mikrowelle steht.“
Sam schlurfte aus der Küche und winkte lässig zurück, gerade mal ein angedeutetes Zucken mit dem Handgelenk. „Ist okay. Viel Spaß beim Psychopathen-Jagen.“
Patrick überlegte für einen Moment, ob er anmerken sollte, dass Polizeiarbeit selten daraus bestand, sich wilde Schusswechsel mit kriminellen Genies zu liefern und Geiseln vor der großen Bombe im Keller zu retten, aber erstens war es Sam im Grunde ohnehin klar, zweitens hätte sie ohnehin nur wieder einen sarkastischen Kommentar fallen gelassen. So weit kannte er seine Nichte nach all der Zeit auf jeden Fall. Daher beschränkte er sich auf ein zerstreutes „Danke, du auch“ und machte sich auf den Weg zur Arbeit, während hinter ihm irgendwo Sam ins Badezimmer schlurfte und Patricks Mörderfall wahrscheinlich schon wieder vergessen hatte.
Manchmal lebte sie wirklich vollständig in ihrer eigenen Welt.
Als Sam einige Minuten später wieder aus dem Badezimmer trat, folgte ihr eine gewaltige Dampfwolke hinaus; ein Resultat ihrer Neigung, stets so heiß wie möglich zu duschen. Pat sah es nicht gern, dass sie soviel Energie verschwendete, aber sie mochte das heiße Wasser nun einmal – und er war sowieso nicht da. Die Brille in ihrer Hand war völlig beschlagen, das rote Haar klebte nass an ihrem Kopf (und biss sich fürchterlich mit dem rosa Handtuch, in das sie sich gewickelt hatte) und reichte in diesem Zustand tatsächlich bis zu den Schultern. Allerdings wusste Sam genau, dass die Haare nach dem Trocknen früher oder später wieder kreuz und quer in alle Richtungen stehen würden. Das taten sie immer.
Barfuss schlich das Mädchen wieder in sein Zimmer zurück, stolperte beinahe über die Hausschuhe, die dort herumstanden und fluchte leise, bevor es die beschlagene Brille an seinem Handtuch klar wischte und zurück auf die Nase schob. Ein prüfender Blick auf den Computerbildschirm sagte Sam, dass der Download noch immer an derselben Stelle hing, was sie nur noch mit einem Zucken des Mundwinkels quittierte. Mit einem Fuß zog sie die Schublade ihrer Kommode auf, griff dann blind hinein und warf die erstbeste Unterwäsche, die sie zu fassen bekam, aufs Bett. Aus dem Kleiderschrank folgten dann eine neue Jeans und ein T-Shirt – als sich ihr Mobiltelefon unter piepsigem Gedüdel zu Wort meldete. Sam seufzte auf, folgte dem Geräusch und schob ein paar Bücher und leere Getränkedosen beiseite, bevor sie das kleine Gerät hinter all dem Kram auf ihrem Nachtkästchen fand, wild unter dem Vibrationsalarm surrend wie eine wütende Wespe.
„Hey Süße, wo bist du denn?“, meldete sich Alices Stimme zu Wort, als Sam nach dem Telefon griff und auf „Annahme“ drückte. „Ich hab dich heute schon zweimal angerufen, aber du hast nicht abgehoben!“
Sam seufzte. „Ich war bloß gerade frühstücken und duschen, keine Panik.“
„Um diese Uhrzeit? Du stehst doch sonst immer so früh auf. Oh-hooo, warte!“ Alices Grinsen war nun beinahe zu hören. „Du hattest nicht zufällig jemanden da?“
„Jemanden…?“ Es dauerte eine Sekunde, bis der Groschen fiel, dann verdrehte Sam die Augen und legte den Kopf zurück – was ihre beste Freundin natürlich nicht sehen konnte. „Nein, Alice. Ich bin heute bloß spät aufgestanden, sonst nichts.“ Sie setzte sich auf die Bettkante und begutachtete prüfend die Kleidung, die sie aus dem Schrank gesucht hatte. „Keine überraschenden, spontan vom Himmel fallenden Traumprinzen hier. Im Übrigen wollte ich mich gerade anziehen.“
Alice klang beinahe enttäuscht. „Och. Na ja, ich wollte dich bloß daran erinnern, dass wir uns heute Mittag treffen wollten. Du weißt schon, da wo wir immer sind, in unserem Stammcafé. Ich muss dir dringend was erzählen!“
„Ich hab’s nicht vergessen“, versicherte Sam, obwohl genau das der Fall gewesen war. „Ist’s in Ordnung, wenn wir uns in zwei Stunden dort treffen? Ich wollte noch ein paar Kleinigkeiten am Computer erledigen.“
„Eine ganze Filmtrilogie und ein neues Spiel illegal herunterladen?“
Manchmal war Sam verblüfft, wie gut Alice sie kannte. „Äh… so ähnlich, ja.“
„Fein fein, also dann bis nachher“, kam die fröhliche Stimme der jungen Frau aus dem Hörer. „Hast du übrigens daran gedacht, mir den Film zu brennen?“
Das wiederum hatte Sam getan. Ihr Blick wanderte zu der DVD, die in der durchsichtigen Plastikhülle auf dem Bildschirm lag. Ein Film, den sich Sam nie im Leben freiwillig angesehen hatte – Filme über Frauen mittleren Alters und ihre sexuellen Erfahrungen in einer Großstadt waren nun wirklich nicht ihr Ding. „Ja ja, hab ich. Ich bring ihn dann mit“, meinte sie dann. „Und jetzt zieh ich mich erst mal an, bis nachher dann, Alice!“
Sam legte schnell auf, denn sie wusste, dass Telefonate mit ihrer besten Freundin sich im schlimmsten Fall über Stunden ziehen konnten. Eigentlich ein mittelgroßes Wunder, dass sie sich so gut verstanden, denn im Grunde hatten sie so gut wie nichts gemeinsam. Vielleicht war aber auch genau das der Grund dafür, Gegensätze zogen sich bekanntlich an. Trotzdem hatte Sam keine Lust auf stundenlanges Telefonieren – sie legte das Handy zurück auf das Nachtkästchen, zog sich an und setzte sich dann wieder an ihren Schreibtisch. Der Download hing immer noch fest, daher löschte ihn Sam mit ein paar Klicks und machte sich daran, einen neuen zu suchen.
„Verdammte Leecher“, maulte sie in sich hinein, fand dann aber recht schnell, was sie suchte. Mit zufriedenem Nicken beobachtete sie für einen Moment, wie die Prozentzahlen langsam in die Höhe wanderten, bevor sie das Fenster minimierte und ihren Weblog („You can’t spell Spam without Sam“) nach neuen Kommentaren überprüfte. Aber es gab offensichtlich nichts Neues in der Online-Welt. Etwas gelangweilt zog das Mädchen eine Schnute und fing schon beinahe an, sich zu wünschen, es hätte einen früheren Termin für das Treffen mit Alice vereinbart, da fiel sein Blick auf das Joypad, das noch immer auf seinem Bett lag.
Für ein paar Runden Zombiejagd war noch genug Zeit.
So, um ehrliche Meinung wird gebeten. :3
Wichtig ist mir hier, dass ein paar Leute kommentieren, die die Ursprungsfassung und die vorkommenden Charaktere nicht kennen, damit ich weiß, wie es auf "Neulinge" wirkt.
Ich werde ein paar Abschnitte posten (nicht auf einmal) und dann den Thread nach einiger Zeit wieder löschen lassen - soll ja mal ein zusammenhängendes Buch werden. :x
They are immune to heat and cold, untouched by the elements, and can fly, mounting upward with a fluttering motion. They dwell apart from the chaotic world of man, subsist on air and dew, are not anxious like ordinary people, and have the smooth skin and innocent faces of children.
(Victor H. Mair, “Xian”)
Als Zarathustra in die nächste Stadt kam, die an den Wäldern liegt, fand er daselbst viel Volk versammelt auf dem Markte; denn es war verheißen worden, dass man einen Seiltänzer sehen solle. Und Zarathustra sprach also zum Volke.
Ich lehre euch den Übermenschen.
Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll.
Was habt ihr getan, ihn zu überwinden? Alle Wesen bisher schufen etwas über sich hinaus: und ihr wollt die Ebbe dieser Flut sein und lieber zum Tiere zurückgehen, als den Menschen überwinden?
Was ist ein Affe für den Menschen? Ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham. Und eben das soll der Mensch für den Übermenschen sein: ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham.
(Friedrich Nietzsche, „Also sprach Zarathustra“)
„Bitte sage mir, welchen Weg ich gehen soll.“
„Das hängt davon ab, wohin Du willst.“
(Lewis Carroll, „Alice im Wunderland“)
(Victor H. Mair, “Xian”)
Als Zarathustra in die nächste Stadt kam, die an den Wäldern liegt, fand er daselbst viel Volk versammelt auf dem Markte; denn es war verheißen worden, dass man einen Seiltänzer sehen solle. Und Zarathustra sprach also zum Volke.
Ich lehre euch den Übermenschen.
Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll.
Was habt ihr getan, ihn zu überwinden? Alle Wesen bisher schufen etwas über sich hinaus: und ihr wollt die Ebbe dieser Flut sein und lieber zum Tiere zurückgehen, als den Menschen überwinden?
Was ist ein Affe für den Menschen? Ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham. Und eben das soll der Mensch für den Übermenschen sein: ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham.
(Friedrich Nietzsche, „Also sprach Zarathustra“)
„Bitte sage mir, welchen Weg ich gehen soll.“
„Das hängt davon ab, wohin Du willst.“
(Lewis Carroll, „Alice im Wunderland“)
Vlads schwarze Schuhe knirschten auf dem geborstenen Glas. Scherben schwammen in einer farblosen Flüssigkeit, durch die sich rote Schlieren zogen. Kabel und Schläuche hingen aus dem zersplitterten Glaskolben und baumelten träge hin und her. Vlad seufzte, beugte sich vor, griff mit spitzen Fingern nach einem der Schläuche und beäugte ihn, als sei er ein besonders interessantes Fundstück.
„Ich weiß nicht, was mich mehr schockiert: Die Tatsache, dass er es geschafft hat, aus seiner Röhre auszubrechen, oder die Tatsache, dass er es weiters irgendwie hingebogen hat, aus der Anlage zu fliehen. Wissen wir schon, was er mit Dr. Clément angestellt hat?“
„N-Nein, tut mir leid, keinerlei Spur.“ Ein rundlicher Mann im Laborkittel rieb nervös seine Handflächen aneinander. „Ich – ich kann mir nicht erklären, wie das passiert ist. Ich meine, dieser Ausbruch ist eigentlich völlig unmöglich. Mit so etwas rechnet doch niemand…“
„Ist mir klar“, erwiderte Vlad ungerührt, ließ den Schlauch fallen und richtete sich auf. „Im Grunde ist es auch irrelevant. Wichtiger ist es, dass wir uns an die vorhandene Situation anpassen.“ Mit hochgezogener Augenbraue musterte er seine Fingerspitzen und rieb diese aneinander, entschied dann, dass keine Spuren darauf zurückgeblieben waren und machte sich stattdessen daran, den Kragen seines schwarzen Anzugs zurechtzurücken. „Und darum ist es jetzt besonders wichtig, dass wir keine Zeit verlieren, Dr. LeRoue, auch um Ihretwillen.“
„Was soll ich tun?“
Vlad seufzte und schritt achtlos über das knirschende Glas zu seinem Untergebenen zurück, der unwillkürlich einen halben Schritt zurückwich. „Ich brauche Sie jetzt im Labor. Sie, Dr. Dechéroux und Dr. Schneider. Wir haben Zell- und Blutproben von ihm, ich will alle Analysen, die möglich sind, jedes noch so unwichtig scheinende Detail. Gehen Sie das Archiv durch, vergleichen Sie Berichte, irgendwas, mir egal, aber ich will alle möglichen und unmöglichen Prognosen haben, die Sie über ihn erstellen können.“
„Wird erledigt, wird erledigt!“, beeilte LeRoue sich zu versichern. „Was ist mit Ihnen?“
„Ich werde persönlich losgehen und versuchen, ihn wieder sicherzustellen“, lautete Vlads trockene Antwort. Er warf einen letzten Blick auf die zersplitterte Glasröhre, deutete dem soeben eintreffenden Personal, sich um darum zu kümmern und verließ den Raum dann. LeRoue folgte ihm. „Chaos kommt mit mir und solange wir nicht hier sind, haben Sie das Kommando.“
LeRoue wirkte gleichzeitig schockiert und erfreut. „Was? Ich meine, es ist mir eine Ehre, aber was ist mit Ihrem…?“
„Er ist in letzter Zeit sehr unzuverlässig“, unterbrach Vlad, ohne eine Miene zu verziehen. „Mir ist bei dem Gedanken, dass Sie in meiner Abwesenheit alles leiten, deutlich wohler. Nun, noch Fragen?“
„Eines noch.“ Le Roue warf einen beinahe verstohlenen Blick über die Schulter zurück zu dem Raum, aus dem sie gekommen waren. „Was sollen wir mit den… nun, den anderen machen?“
Vlad blieb stehen und warf dem Wissenschaftler einen Blick zu, als wüsste er nicht, ob dieser einen Scherz gemacht hatte. „Wir können nicht riskieren, dass ein weiterer Vorfall wie dieser hier stattfindet – so gering die Wahrscheinlichkeit auch sein mag“, meinte er dann.
„Das heißt, wir…?“
„Genau das, LeRoue. Töten Sie sie. Alle.“
Projekt: 42
001: Trepidatio
1)
Der Raum war schummrig, obwohl vor dem Fenster bereits strahlend die Sonne schien, denn wie immer waren die Jalousien nach unten gezogen. Das Bett war leer, aber die Bettwäsche war zerknüllt und beiseite geschlagen, Krümel von Chips oder ähnlichen Knabbersachen waren auf dem Leintuch zu sehen, was darauf schließen ließ, dass das Bett in letzter Zeit bloß benutzt worden war, um darin zu lungern, während man fernsah oder Videospiele spielte. Der Boden war ebenfalls kein Musterbeispiel an Ordentlichkeit – ein Pullover lag auf dem Teppich, Comichefte und Magazine waren verstreut und ein paar Kabel zogen sich unpraktisch quer durch den halben Raum. Dass das Zimmer dennoch einem Mädchen gehörte, ließ sich bloß an ein paar Details feststellen – der rosa Pyjama, der unter dem Kopfkissen des großen Bettes hervorlugte, ein zerknautscht wirkender Teddybär einige Zentimeter davon entfernt; vielleicht noch das Poster von zwei spielenden Kätzchen an der Wand, zwischen den großen Porträts von einem Piraten und dem eines Comic-Superhelden.
Das einzige Geräusch, das zu hören war, war das leise Surren und Knarren eines eingeschalteten PCs. Der Schreibtisch, auf dem der dazugehörige Bildschirm stand, war so ziemlich der einzige Fleck des Zimmers, der fein säuberlich aufgeräumt war: Computerspiele waren penibel aufgereiht, Disketten und DVD-ROMs in beschrifteten Halterungen und die Lautsprecherboxen waren schön symmetrisch aufgestellt, um die vor dem Gerät sitzende Person möglichst effektiv beschallen zu können. Bloß Tastatur und Maus waren etwas gedankenlos beiseite geschoben worden, um einer zierlichen Gestalt Platz zu machen, die vornüber gebeugt auf ihren verschränkten Armen lag, schlief und dabei leise schnarchte.
„Sam, bist du schon wach?“ Es klopfte an die Zimmertür und die etwas raue Stimme eines älteren Mannes klang dumpf durch das dicke Holz. „Frühstück steht am Tisch.“
Die Gestalt schreckte hoch, blinzelte schlaftrunken und setzte sich auf, offenbar noch nicht ganz im Klaren darüber, wo genau sie war. Dann rückte sie die schief auf ihrer Nase hängende eckige Brille zurecht und gähnte erst einmal laut und undamenhaft, bevor sie ein „Bin wach, bin wach“ in Richtung der Tür nuschelte.
„Okay, beeil dich, sonst wird der Kakao kalt.“
Sam lehnte sich ächzend zurück und strich sich müde über das Gesicht, während sich Schritte vor ihrer Zimmertür entfernten. Ein Blick auf die Uhr an der Wand sagten ihr, dass es halb zehn Uhr vormittags war. Offenbar war sie wieder einmal vor dem Computer eingeschlafen und hatte die halbe Nacht so verbracht – und den halben Morgen gleich dazu. Missmutig rückte sie Tastatur und Maus zurecht und sah den Bildschirm flackernd anspringen, nur um zu sehen, dass der Download, auf den sie wartete, nach wie vor bei 97,5% fest hing.
„Dann halt nicht“, seufzte das Mädchen leise dem Gerät zu und rutschte von seinem Bürostuhl, immer noch in Jeans und T-Shirt vom Vortag. Noch einmal gähnend schlüpfte es in die Pantoffeln, die daneben herumlagen und schickte sich an, das Zimmer zu verlassen, als sein Blick auf das Spiegelbild fiel, das ihm von der verspiegelten Kleiderschranktür entgegensah. Sam musste widerwillig zugeben, dass sie aussah, als hätte sie die letzten drei Tage außerhalb jeglicher Zivilisation verbracht und bemühte sich eine halbe Minute lang vergeblich darum, ihr wirres, flammend rotes Haar in halbwegs ansehnliche Bahnen zu bürsten. Irgendwann entschied sie, dass es ohnehin egal war und schlurfte aus ihrem Zimmer in die kleine Essküche, in der Patrick stand und irgendetwas in einer kleinen Pfanne anbriet.
„’n Morgen“, machte Sam eintönig und ließ sich auf einen Küchenstuhl sinken. Die Tasse mit dem dampfenden Kakao zog sich zu sich her.
Ihr Onkel wandte sich zu ihr um. „Guten Morgen, Kleines. Vorsicht, der Kakao ist noch sehr…“ heiß, wollte er noch hinzufügen, aber Sam hatte bereits zwei große Schlucke genommen. „Okay, offenbar doch nicht.“
„Hm. Warm.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Haben wir noch Müsli da?“
„Steht direkt neben dir.“
„Oh. Tatsache.“
Patrick schüttelte schief lächelnd den Kopf und widmete sich seinen Spiegeleiern, während Sam sich über ihr Frühstück hermachte. „Lass mich raten, du hast mal wieder bis vier Uhr früh Online-Spiele gespielt und bist vor dem Computer eingepennt?“
„Hey, es war Freitagabend, da kann ich eigentlich so lang aufbleiben, wie ich will. Außerdem hatten wir ein großes Turnier“, kam es von dem dünnen Mädchen, das wie mechanisch sein Müsli in sich hinein löffelte. „Ich musste meine Ehre als Headshot-Queen verteidigen. Ja ich weiß wie das klingt, sag jetzt nichts“, fügte sie mit abwehrender Geste und einem schiefen Grinsen hinzu, als sie Patricks fragend hochgezogene Augenbraue bemerkte. „Sagen wir einfach, ich habe einen Ruf zu verlieren.“
„In deinem Alter kannst du dir so etwas noch erlauben“, erwiderte Patrick mit gespieltem Tadel und ließ sein Spiegelei und den Speck aus der Pfanne in einen kitschig geblümten Teller rutschen. „Da steckst du solche nächtlichen Computerexzesse noch weg, während meine alte Wenigkeit in diesem Fall jetzt halbtot herumkriechen würde.“
Er setzte sich gegenüber seiner Nichte mit seinem Teller und einem Stück Brot an den Küchentisch, während Sam über ihrer Kakaotasse hing, beide ihrer schmalen Hände darumgelegt. Sie saß da, mit ihren zerzausten Haaren und dem labbrigen alten T-Shirt, etwas Kakao am Mundwinkel; wie ein unschuldiges Kind und nicht wie jemand, der schon zwei Jahre studierte. Unwillkürlich schlich sich ein leichtes Lächeln auf sein Gesicht, als sie noch einmal gähnte, laut und völlig ungeniert.
„Ach was, es verschiebt sich der Schlafrhythmus bloß ein wenig“, meinte sie dann und rührte etwas geistesabwesend in ihrem Müsli herum. „Es ist ja auch nicht so, als würde ich das jeden Tag so machen, man hat schließlich wochentags genug Arbeit auf der Uni.“
Patrick spießte resolut ein Stück Speck auf und rührte damit quer durch den Eigelb seines Spiegeleis, bevor er es sich in den Mund schob. „Ja, und ich kann trotzdem samstags aufs Revier. Man sollte meinen, dass ich so etwas wie freie Wochenenden verdient hätte, nicht?“
Sam horchte auf. „Du musst heute zur Arbeit?“
„Ja, nachher dann. Es dürfte gerade ein ziemliches Chaos herrschen, irgendein Irrer ist unterwegs und schlachtet offenbar wahllos Leute ab.“
Eine von Sams Augenbrauen wanderte nach oben. „Hm, na das klingt ja nett. Hier in der Umgebung?“
Patrick kratzte sich an der Wange. „Soweit ich weiß, ja, aber ich weiß es auch nicht genau, ich habe vorhin erst den Anruf von Michael bekommen, dass sie mich für irgendwas brauchen. Keine Sorge“, fügte er dann noch hinzu, als er den skeptischen Blick seiner Nichte auffing. „Ich nehme an, es handelt sich um einen der üblichen Junkies, die kriegen wir in der Regel recht schnell.“
„Die Polizei, dein Freund und Helfer“, erwiderte sie und prostete ihrem Onkel zu. „Aber sag das mal denen, die er bereits umgelegt hat.“
„Lässt sich auch nicht mehr ändern. Im Voraus erwischt man die Kerle ja leider nicht.“
„Auch wieder wahr.“ Sam leerte ihre Tasse schwungvoll, erhob sich und stellte das gebrauchte Geschirr in die Spüle. „Na ja, sollte ein sabbernder Psychopath hier einbrechen, ruf ich dich sofort an, versprochen.“
Patrick lehnte sich seufzend zurück und wischte beinahe systematisch mit einem Stück Brot die letzten Reste Eigelb von seinem Teller, während er das Mädchen beobachtete, wie es die Tasse mit Wasser füllte, dann mitten im Vorgang die Lust verlor und sie einfach stehen ließ, wo sie war. „Solche Leute brechen nicht in Wohnungen ein und schon gar nicht am helllichten Tag“, meinte er dann. „Ich glaube, es reicht, wenn du dich in nächster Zeit von dunklen Seitenstraßen, Dealerbezirken und verlassenen Gassen fernhältst.“
„Versprochen“, meinte Sam leichtfertig. „Vielleicht schleppt Alice mich heute noch auf irgendeine ihrer Shoppingtouren, aber sonst bleibe ich ohnehin hier drin. Und jetzt gehe ich erst mal duschen und mich umziehen, ich fühle mich nämlich echt gerade wie der letzte Penner.“
„Danke für die Information“, antwortete Patrick trocken und erhob sich nun selbst ächzend von seinem Stuhl. „Wir sehen uns dann also am Abend wieder. Falls du Hunger hast: du weißt wo die Mikrowelle steht.“
Sam schlurfte aus der Küche und winkte lässig zurück, gerade mal ein angedeutetes Zucken mit dem Handgelenk. „Ist okay. Viel Spaß beim Psychopathen-Jagen.“
Patrick überlegte für einen Moment, ob er anmerken sollte, dass Polizeiarbeit selten daraus bestand, sich wilde Schusswechsel mit kriminellen Genies zu liefern und Geiseln vor der großen Bombe im Keller zu retten, aber erstens war es Sam im Grunde ohnehin klar, zweitens hätte sie ohnehin nur wieder einen sarkastischen Kommentar fallen gelassen. So weit kannte er seine Nichte nach all der Zeit auf jeden Fall. Daher beschränkte er sich auf ein zerstreutes „Danke, du auch“ und machte sich auf den Weg zur Arbeit, während hinter ihm irgendwo Sam ins Badezimmer schlurfte und Patricks Mörderfall wahrscheinlich schon wieder vergessen hatte.
Manchmal lebte sie wirklich vollständig in ihrer eigenen Welt.
Als Sam einige Minuten später wieder aus dem Badezimmer trat, folgte ihr eine gewaltige Dampfwolke hinaus; ein Resultat ihrer Neigung, stets so heiß wie möglich zu duschen. Pat sah es nicht gern, dass sie soviel Energie verschwendete, aber sie mochte das heiße Wasser nun einmal – und er war sowieso nicht da. Die Brille in ihrer Hand war völlig beschlagen, das rote Haar klebte nass an ihrem Kopf (und biss sich fürchterlich mit dem rosa Handtuch, in das sie sich gewickelt hatte) und reichte in diesem Zustand tatsächlich bis zu den Schultern. Allerdings wusste Sam genau, dass die Haare nach dem Trocknen früher oder später wieder kreuz und quer in alle Richtungen stehen würden. Das taten sie immer.
Barfuss schlich das Mädchen wieder in sein Zimmer zurück, stolperte beinahe über die Hausschuhe, die dort herumstanden und fluchte leise, bevor es die beschlagene Brille an seinem Handtuch klar wischte und zurück auf die Nase schob. Ein prüfender Blick auf den Computerbildschirm sagte Sam, dass der Download noch immer an derselben Stelle hing, was sie nur noch mit einem Zucken des Mundwinkels quittierte. Mit einem Fuß zog sie die Schublade ihrer Kommode auf, griff dann blind hinein und warf die erstbeste Unterwäsche, die sie zu fassen bekam, aufs Bett. Aus dem Kleiderschrank folgten dann eine neue Jeans und ein T-Shirt – als sich ihr Mobiltelefon unter piepsigem Gedüdel zu Wort meldete. Sam seufzte auf, folgte dem Geräusch und schob ein paar Bücher und leere Getränkedosen beiseite, bevor sie das kleine Gerät hinter all dem Kram auf ihrem Nachtkästchen fand, wild unter dem Vibrationsalarm surrend wie eine wütende Wespe.
„Hey Süße, wo bist du denn?“, meldete sich Alices Stimme zu Wort, als Sam nach dem Telefon griff und auf „Annahme“ drückte. „Ich hab dich heute schon zweimal angerufen, aber du hast nicht abgehoben!“
Sam seufzte. „Ich war bloß gerade frühstücken und duschen, keine Panik.“
„Um diese Uhrzeit? Du stehst doch sonst immer so früh auf. Oh-hooo, warte!“ Alices Grinsen war nun beinahe zu hören. „Du hattest nicht zufällig jemanden da?“
„Jemanden…?“ Es dauerte eine Sekunde, bis der Groschen fiel, dann verdrehte Sam die Augen und legte den Kopf zurück – was ihre beste Freundin natürlich nicht sehen konnte. „Nein, Alice. Ich bin heute bloß spät aufgestanden, sonst nichts.“ Sie setzte sich auf die Bettkante und begutachtete prüfend die Kleidung, die sie aus dem Schrank gesucht hatte. „Keine überraschenden, spontan vom Himmel fallenden Traumprinzen hier. Im Übrigen wollte ich mich gerade anziehen.“
Alice klang beinahe enttäuscht. „Och. Na ja, ich wollte dich bloß daran erinnern, dass wir uns heute Mittag treffen wollten. Du weißt schon, da wo wir immer sind, in unserem Stammcafé. Ich muss dir dringend was erzählen!“
„Ich hab’s nicht vergessen“, versicherte Sam, obwohl genau das der Fall gewesen war. „Ist’s in Ordnung, wenn wir uns in zwei Stunden dort treffen? Ich wollte noch ein paar Kleinigkeiten am Computer erledigen.“
„Eine ganze Filmtrilogie und ein neues Spiel illegal herunterladen?“
Manchmal war Sam verblüfft, wie gut Alice sie kannte. „Äh… so ähnlich, ja.“
„Fein fein, also dann bis nachher“, kam die fröhliche Stimme der jungen Frau aus dem Hörer. „Hast du übrigens daran gedacht, mir den Film zu brennen?“
Das wiederum hatte Sam getan. Ihr Blick wanderte zu der DVD, die in der durchsichtigen Plastikhülle auf dem Bildschirm lag. Ein Film, den sich Sam nie im Leben freiwillig angesehen hatte – Filme über Frauen mittleren Alters und ihre sexuellen Erfahrungen in einer Großstadt waren nun wirklich nicht ihr Ding. „Ja ja, hab ich. Ich bring ihn dann mit“, meinte sie dann. „Und jetzt zieh ich mich erst mal an, bis nachher dann, Alice!“
Sam legte schnell auf, denn sie wusste, dass Telefonate mit ihrer besten Freundin sich im schlimmsten Fall über Stunden ziehen konnten. Eigentlich ein mittelgroßes Wunder, dass sie sich so gut verstanden, denn im Grunde hatten sie so gut wie nichts gemeinsam. Vielleicht war aber auch genau das der Grund dafür, Gegensätze zogen sich bekanntlich an. Trotzdem hatte Sam keine Lust auf stundenlanges Telefonieren – sie legte das Handy zurück auf das Nachtkästchen, zog sich an und setzte sich dann wieder an ihren Schreibtisch. Der Download hing immer noch fest, daher löschte ihn Sam mit ein paar Klicks und machte sich daran, einen neuen zu suchen.
„Verdammte Leecher“, maulte sie in sich hinein, fand dann aber recht schnell, was sie suchte. Mit zufriedenem Nicken beobachtete sie für einen Moment, wie die Prozentzahlen langsam in die Höhe wanderten, bevor sie das Fenster minimierte und ihren Weblog („You can’t spell Spam without Sam“) nach neuen Kommentaren überprüfte. Aber es gab offensichtlich nichts Neues in der Online-Welt. Etwas gelangweilt zog das Mädchen eine Schnute und fing schon beinahe an, sich zu wünschen, es hätte einen früheren Termin für das Treffen mit Alice vereinbart, da fiel sein Blick auf das Joypad, das noch immer auf seinem Bett lag.
Für ein paar Runden Zombiejagd war noch genug Zeit.
So, um ehrliche Meinung wird gebeten. :3