Der Dritte Krieg (true)

    • Lol, fünf herunterzeigende Daumen. xD :thumbs_up:


      Egal, zerfetzet mich!


      Lärm weckte Angoe. Dass ihm alles wehtat, war das erste, was er wieder mitbekam. Er lag mit dem Gesicht auf dem Boden im Dreck, bitterlich frierend, seine Finger waren schon blau verfärbt. Schlotternd stützte er sich auf die Arme, tastete nach einer Wand neben ihm und wollte sich auf die Beine ziehen – er verlor das Gleichgewicht und schlug wieder auf den Boden auf. Seine Beine waren eingeschlafen, sein ganzer Unterkörper war taub. Er sah an sich hinab – und ihm stockte der Atem.
      Er hatte keine Beine mehr!
      Er hatte keine Beine mehr, dort, wo seine Beine hätten sein sollen, lang ein langer, schwarzer, mächtiger Schlangenschwanz aufgerollt hinter ihm. Seine ehemals seidenweiße Beinkleidung lag in Fetzen daneben, ebenso seine Schuhe.
      Als die Erkenntnis kam und das lähemende Entsetzen vertrieb, schrie er. Er schrie von ganzem Herzen, Panik und purer Zorn taten sich zusammen und entluden sich in einem furchtbaren Schmerzensschrei. Als hätte er Angst vor dem, was da an ihm dranhing, zog er sich hektisch an der Wand neben sich hoch, brach sich die Nägel im verwitterten Stein ab, ignorierte aber all das und presste sich gegen die Wand, starrte schwer atmend auf das, was er geworden war.
      Ein Krachen lenkte seine Aufmerksamkeit kurz auf etwas anderes. Er sah, dass in der Ferne ein lichterloh brennender Turm in sich zusammenbrach. Erst jetzt hörte er den Tumult um sich herum, die Schreie, Kampfeslärm. Verwundert blickte er sich um, sah in den Hauptstraßen Menschen schreien davon laufen, weiter ins Innere der Festung, einen Verteidigungsring weiter.
      Neugier, was passiert sein mochte, aber auch Angst vor ebenjenem, zwangen Angoe dazu, sich in Bewegung zu setzen. Es war schwierig, oft verlor er das Gleichgewicht, aber mit jedem Meter, den er zurücklegte, schien ihm sein neues Körperteil natürlicher zu werden, bis zu dem Punkt, an dem man glauben konnte, er habe nie Beine gehabt.
      Er hielt sich im Schatten, so gut er konnte, hatte Angst davor, so gesehen zu werden, wie er war. Aber die Menschen, die an ihm vorbeirannten, waren selber zu panisch vor dem Angriff, der über sie gekommen war, als dass irgendjemand auf ihn geachtet hätte, nicht zu reden davon, in dem verwahrlost aussehenden Angoe ihren Prinzen zu erkennen. Als er an einem Heukarren vorbekam, über den eine Plane geworfen war, die dem Feuer noch nicht zum Opfer gefallen war, zog er das große Stück Stoff mit einem Ruck herunter und warf es sich wie einen Umhang über – es verdeckte seinen Schlangenschwanz gerade so. Es reichte aber, um sich endlich aus dem Schatten zu trauen und eine junge Frau, die, einen schreienden Säugling im Arm, gerade an ihm vorbeirannte, am Arm festzuhalten.
      „Was ist geschehen?“, fragte Angoe im Schutz seiner Kapuze.
      „Siehst du das nicht?!“, fuhr sie ihn panisch an und riss sich los. „Wir werden angegriffen! Die Wüstenkinder haben den Vertrag gebrochen!“
      Angoe war einen Moment lang entsetzt davon, wie sie sich herausnehmen konnte, ihn zu duzen, ehe er aber reagieren konnte, war sie schon weitergelaufen. Angoe drehte sich gen Süden, wo, hinter einer der großen Verteidigunsgringe, das Feuer loderte und Kampfeslärm zu hören war. Garmins Armee war schon durch die ersten beiden Ringe gebrochen, und das in so kurzer Zeit.
      „Das darf nicht sein!“, sagte Angoe und schüttelte den Kopf, war vor Unglauben wieder einmal erstarrt. „Das kann nicht sein. Das ist unmöglich, wir sind uneinnehmbar.“ Ein Pfeil, der plötzlich aus dem Nichts im Holz des Heukarrens neben ihm stecken blieb, riss ihn aus seiner Lähmung, und Angoe setzte sich wieder in Bewegung. Mit einer Art grimmigen Zufriedenheit merkte er, dass er viel schneller von der Stelle kam als er es mit Beinen je geschafft hätte, und er war in kurzer Zeit einige Ringe weiter nach Innen gedrungen, nahe zum Schloss. Er musste mit seinem Vater reden. Vor den Schlosstoren war aber eine derartige Menschentraube versammelt, dass er nicht hindurchkam, das Volk drängelte und schubste und schrie und pöbelte. Wütend, weil er behandelt wurde wie ein dahergelaufener Bauer, schlug er schließlich die Kapuze zurück. „Aus dem Weg!“, brüllte er einfach in die Menge. „Lasst mich durch!“
      Die plötzlich aufkommende Stille erschreckte ihn und er wich etwas zurück. Die Menschen starrten ihn an, als sei er ein Monster – und im nächsten Augenblick erst dämmerte Angoe, dass sich etwas in seinem Gesicht verändert haben musste. Innerhab von Sekunden begriff er seinen Fehler. Wie dumm, anzunehmen, nur seine Beine seien ihm genommen worden!
      „Ein Naga!“, kam plötzlich der erste Schrei von irgendwo. „Die Wüstenkinder haben uns eine Schlange geschickt!“
      Dann brach das Chaos aus. Viele Frauen und Männer nahmen sofort Reißaus und sahen zu, dass sie wegkamen, weg von dem, was sie glaubten, was der Feind war. Einige andere, bewafftene Zivilisten vor allem und einige Soldaten vor Ort, zogen ihre Waffen und setzten Angoe, der sofort erschrocken flüchtete, nach. Den Göttern zum Dank war er aber schneller als sie auf ihren zwei Beinen, außerdem kannte er die kleinen Gässchen der Stadt besser, als man meinen sollte. Es gelang ihm schnell, sich Vorsprung zu verschaffen und sich in einem Alkoven zu verstecken. Da sowieso alles durcheinander lief und floh und noch immer die Schlacht tobte, war er sich sicher, dass sie ihn vorerst verloren hatte – aber auf die größeren Straßen würde er sich nicht zurücktrauen.
      Er blieb in dem Alkoven, in dem er war, wickelte sich zu einem großen Knäuel zusammen und versuchte, einen klaren Kopf zu fassen. Er saß in der Falle: Im Süden der Krieg, im Norden zwar die Katakomben und das Schloss, wo man ihn aber genauso umbringen würde. Er hatte keine Waffe bei sich und nichts am Leib bis auf seine Tunika und die Heuplane. Er war verloren – wohin sollte er sich retten?
      Verzweiflung packte ihn, und er vergrub das Gesicht in den Handflächen – nur um von dem, was er fühlte, zurückzuschrecken: Seine Nase war fast vollkommen verschwunden, ebenso seine Lippen. Sein ganzes Gesicht war flach, fühlte sich rau und schuppig an. Von Nasenflügeln keine Spur, er atmete durch zwei vertikale Schlitze. Er befühlte mit zwei Fingern seine Zunge und sah eine böse Vorahnung bestätigt: Sie war in der Mitte gespalten, noch immer fleischig wie die eines Menschen, aber doch unzweifelbar die Zunge einer Schlange. Als er seine Hände betrachtete, waren sie grau und schuppig und trocken, ebenso wie die Arme und der gesamte Körper, den er sofort danach untersuchte. Alles, was daran erinnerte, dass er noch immer er selbst war, war das lange, schwarze Haar.
      Die Zeit schien stillzusehen, als er dort kauerte, in seinem kleinen Versteck, unter einer groben Plane anstelle seines seidenen Balachins, auf der Flucht statt gefeiert, verunsichert und verzweifelt statt selbstbewusst und galant. Sein ganzes Leben schien sich zu drehen und umzukehren. Er wusste nicht, wohin, seine Brust schien sich zu verengen, das Atmen fiel ihm schwer.
      Er wusste nicht, wie lange er so dort verharrte. Und erst, als er aus dem Augenwinkel etwas sah, dass ihn aufmerken ließ, fand er aus seiner Starre heraus.
      Er zog die Plane enger um die Schultern und lugte aus seinem Versteck hervor. Er hatte sich nicht vertan: Da vorne, gut sichtbar auf den mittlerweile leeren Straßen, stand sie: Die Elfe. Sie war unverkennbar in ihren stattlichen Gewändern und dem leuchtenden Haar. Sie wirkte etwas desorientiert, als wisse sie weder, wo sie war, noch, wohin sie wollte – ganz zu schwiegen davon, was um sie geschah. Dass Krieg ausgebrochen war schien sie entweder nicht zu wissen, oder es verängtsige sie nicht. Wie im Traum schritt sie über die verlassene Straße.
      Ohne zu wissen, was er tun sollte, wenn er sie erreicht hatte, setzte er sich in Bewegung und auf sie zu.
      „Hey!“, rief er, als er ihr nahe genug gekommen war. „Elfe!“
      Sie wandte sich um, ihre nun wieder grünen Augen weiteten sich unmerklich, als sie ihn erblickte. „Ein Naga?“, sagte sie, nicht ängstlich, nur überrascht. „Was macht ein Zwischenwesen wie du hier?“
      Er stockte – er hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit etwas wie normaler Konversation. Die Situation überforderte ihn. „Ich weiß nicht“, antwortete er, weil das der einzige Gedanke war, der ihm im Kopf herumspukte. Er verstand wahrlich nichts mehr von dem was ihm geschah.
      „Eigenartig“, kommentierte sie und legte den Kopf etwas schief. Trotz der unpassenden Umstände fiel Angoe wieder auf, wie umwerfend schön sie war, so unmenschlich, unnahbar, als wäre sie hinter einer Glasscheibe, so fern, außer Reichweite. Und doch stand sie hier vor ihm, er konnte sie sogar atmen sehen. „Bist du mit den Wüstenkindern gekommen?“
      „Nein.“ Angoe begann zu begreifen, dass sie nicht sie selbst gewesen war, als sie ihn verzaubert hatte. Etwas anderes musste von ihr Besitz ergriffen haben, auf welche Art und Weise auch immer. Wer wusste schon, zu was Elfen fähig waren? Sie galten nicht umsonst als mysteriös und normalerweise tat man als Mensch gut daran, sich lieber von ihnen fern zu halten.
      Angoe aber fand, dass er kaum etwas zu verlieren hatte. Und hatte ihre andere Seite, wie er sie bei sich nannte, nicht gesagt, sie würde ein Auge auf ihn haben? Er entschloss sich, der Gefahr ins Gesicht zu sehen. Tiefer konnte er nicht fallen. Und wer wusste schon, was die Götter vielleicht mit ihm vorhatten?
      „Ich muss von hier weg“, sagte er wahrheitsgemäß. „Nach Süden kann ich nicht, in die Katakomben genauso wenig. Kannst du mir helfen?“
      „Bist du nicht ein göttliches Wesen? Solltest du dir nicht selbst helfen können?“ Sie bedachte ihn noch immer mit leicht geneigtem Kopf. Es wirkte so unwirklich, wie sie hier standen, während irgendwo unweit von ihnen der Kampf tobte.
      Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, wie.“
      Sie seufzte, verschränkte die Arme. „Nun gut, da ich selber wenig Interesse daran habe, hier zu bleiben – zumal ich auch gar nicht erst hierher wollte –, werde ich dich mit mir nehmen. Vielleicht ist es Schicksal, dass wir uns hier begegnen – vielleicht haben die Götter uns zusammengeführt.“
      „Vielleicht“, sagte er einfach nur. Sie nickte schließlich, bedachte ihm mit einer Handbewegung, ihm zu folgen und er setzt ihr nach, ohne eine Ahnung, was sie vorhaben mochte.



      tbc, irgendwann, hust. ^^"
      Næhmachinery
      Premonitions in the rising wind; tonight the stars will fall.
      The world in a cyclone, pouring out.
      No escape, but hey, who cares? Just go with the flow.