@Zeldagirl
Danke schön
Nya, ich liebe Wochenenden, dann kann man ohne Zeitdruck einfach durchschreiben und Hausaufgaben sorgenlos auf Sonntag verschieben, um sie im letzten Moment noch zu machen
Hier also Kapitel 14 x3
Gelehrter Schüler, geschulter Lehrer
Es war nun schon bestimmt eineinhalb Monate her, seit Kai aus der Krankenstation raus war und wieder in seinem Zimmer mit Mary wohnen durfte. Es war seltsam... An jenem Tag...oder besser jener Nacht, wo wir gemeinsam im Wald gesessen hatten, hatte ich Eifersucht empfunden, wirklich Eifersucht, doch nicht aus Liebe, sondern aus Egoismus, ja fast schon aus Besitzgier. Ich hatte Mary nicht teilen wollen, ich hatte sie wie meine Exclusivfreundin gesehen und mich hatte der Gedanke, sie teilen zu müssen, abgeschreckt. Doch es hatte sich gedreht... Ich musste nicht Mary mit Kai teilen... Ich teilte Kai mit Mary. Entgegen meinen ersten Vermutungen entwickelte er großes Interesse an mir, doch anders als bei Mary wollte er nicht so sehen, hören und fühlen wie ich...Er wollte mich lehren, wie ein Sehender zu sein. Anfangs habe ich ihn abgewiesen, aus Angst, meinen Umgang mit der Blindheit zu verlernen, doch ich verlernte nicht, ich lernte noch dazu. Ich verlernte nicht, den Ursprung eines Liedes, seine Bedeutung und seine Machart zu erkennen, ich lernte dazu, auch einfach zuzuhören, ohne zwanghaft Informationen aus diesem zu erfahren. Ich lernte, dass meine Hände nicht nur meine Augen waren...sondern auch meine Hände... Körperteile, die gerne weiches Fell streicheln ohne das Tier zu kennen, Wärme zu spüren ohne auf den Ursprung zu achten und Schmerz zu spüren, auch wenn man ihn vielleicht hätte vorhersehen können. Im Gegensatz zu Mary, der Schülerin, hatte ich in Kai im Grunde einen Gleichgestellten gefunden, einen, der lernen will und doch lehrt. Es war ein seltsames Empfinden, als ich merkte, wie mein Interesse sich immer weiter von Mary auf Kai zubewegte. Sie war mir nicht unwichtig geworden, um Gottes Willen nein, doch die Gesellschaft Kais zog ich ihrer meistens vor. Ich hatte mich verändert...
Doch auch Mary hatte sich verändert. Sie hatte, ebenso wie auch ich, bemerkt, dass Kai nicht nur verschlossen, sondern auch schüchtern und, ebenso wie sie, auch durchaus für sein Alter etwas zu naiv war. Sie war mittlerweile wirklich seine Lehrerin geworden und übte mit ihm jeden Tag Lesen, schreiben, Rechnen und was ihr grad sonst noch einfiel. Wenn es um Dinge wie Bio, Erdkunde oder Geschichte ging, wurde aber auch ich zum Lehrer ernannt, der banale Dinge erklärte wie die Herkunft des Menschen oder die Gründe der größten Kriege. Ich konnte es sehen...mehr oder weniger... wie sie erwachsen wurde, wie ihre Kindlichkeit durch diese neue Verantwortung begann, zu verschwinden und dem Reifungsprozess einer normalen jungen Frau zu weichen begann. Es machte mir fast ein schlechtes Gewissen, dass etwas so einfaches sie erwachsen werden lassen konnte, wo ich sie schließlich meist nur verhätschelt und bemuttert hatte, sie als kleine unselbstständige Schwester gesehen hatte, obwohl so viel Potential in ihr steckte. Vor allem in einem Punkt bemerkte ich ihre wachsende Reife eindeutig und zeitgleich auch, dass in mir ein wenig das Kind wiederauferstand: Ich wollte Kai. Ich war wie ein bockiges Kind geworden, dass etwas haben wollte, obwohl es nicht möglich war, es zu besitzen. Dennoch stritt ich, wenn auch nur stumm, um jede freie Minute, die ich mit ihm haben konnte. Doch sie zeigte sich mehr als erwachsen:Sie ließ mich. Sie akzeptierte diesen egoistischen Wunsch, verurteilte mich nicht und überließ es Kai, ob mein Wille auch geschah.
Doch auch dieser hatte sich sehr verändert, mehr als Mary und ich zusammen. Er hatte nicht nur mehr Interesse an uns, in welcher Hinsicht auch immer, seit den Wochen in der Krankenstation hatte er sich uns geöffnet und begann, uns in sein Leben einzulassen. Er trug in meinem Zimmer wie auch im eigenen und Marys Zimmer die Maske nie. Wenn ein Fremder den Raum betrat, zog er sie sich meist schnell wie in Panik über, doch uns gestatte er, ihn anzusehen, jederzeit, jedem von uns auf seine Art. Ihm begann zu gefallen, dass Mary ihn oft ansah. Vor allem hatte er Interesse in ihre Zeichnungen bekommen. Mary hatte schon immer leidenschaftlich gern gezeichnet, sie war vielleicht nicht die Beste, aber ihre Bilder zeigten Können und hatten auch fast immer das gewisse Etwas, hatte ich schon oft gehört. Sie hatte sogar mal ein Portrait von mir gemacht, sie hatte es als Kupferstich gemacht, so dass selbst ich es sehen konnte und ich fand es, auch, wenn ich es sicher nicht professionell bewerten kann, sehr gut. Jedenfalls hatte Mary ihn neuerdings wohl als ihr aktuelles Motiv entdeckt, wenn ich mit ihnen zusammen war, ausserhalb meines Zimmers, hörte ich meisten das Kratzen eines Bleistiftes auf Papier, ab und zu auch das Geräusch von einem Kohle- oder Graphitstift. Kai hatte es anfangs nicht gemocht, vermutlich war ihm schon allein unangenehm gewesen, dass ihn jemand ansehen konnte, zumal die verbrannte Haut in seinem Gesicht vermutlich nicht sehr schön aussah. Doch ich selbst hatte ihn nun schon oft angesehen, sie waren winzig, die Stellen, bei denen die Haut nicht samtig und ebenmäßig war. Der Nacken und die Kopfhaut, die Stellen des Vorfalls, waren wesentlich extremer und mit bloßem Auge vermutlich sehr auffallend, vielleicht sogar abstoßend. Aber Mary war diskret, sie war beim Zeichnen immer diskret. Sie hatte ihn anfangs nur gebeten, ihn als Pose zu zeichnen, ohne Details, einfach die Art wie er saß. Langsam schlich sie sich voran, fragte, ob sie seine Augen oder sein Ohr zeichnen durfte, weitete es vom Gesicht weiter aus, bis sie ihn heute jederzeit und überall zeichnen durfte, egal, ob nur das Gesicht oder den ganzen Körper. Er akzeptierte es und blieb immer ruhig sitzen, wenn sie ihn zeichnete, genoss es fast, dass jemand Interesse an seinem Körper hatte, den er über so viele Jahre gehasst, verflucht und gemieden hatte. Doch bei mir war es nicht anders...
Er besuchte mich oft in meinem Zimmer, allein, vor allem nachts, sobald Mary schlief. Er setzte sich dann auf mein Bett und rief mich leise, so lange, bis ich wach wurde. Ich weiß nicht, wie lange er manchmal da saß und einfach nur immer meinen Namen wiederholte, doch er machte es immer sehr geduldig und ruhig. Als er es das erste Mal getan hatte, war ich sehr überrascht gewesen, ihn neben mir zu hören, zu spüren, wie sein Gewicht die Matte an der Stelle, wo er saß, herunterdrückte. „Masa, darf ich dich um etwas bitten?“ hatte er mich damals gefragt und nach kurzem verwirrten Nachdenken hatte ich mit Ja geantwortet. „Kannst du dir vielleicht meinen Kopf ansehen? Ob irgendetwas ungewöhnlich ist?“ Ich verstand am Anfang nicht, worauf er hinaus wollte, doch ich tat es und begann, seinen Kopf abzutasten und ich fuhr, wie beim ersten Mal, die ebenmäßigen Strukturen seines Gesichtes nach, fuhr durch sein weiches Haar und auch über die raue, vernarbte Haut im Nacken. Kai war in der Zeit vollkommen still gewesen, hatte sich kaum gerührt, ja schien fast den Atem angehalten zu haben. Als ich fertig war, ließ ich von ihm ab und ich hatte damals Bedauern gespürt, denn sein Gesicht war wirklich sehr angenehm geformt. „War irgendetwas auffällig? Oder anders?“ hatte er mich gefragt und als ich mit nein geantwortet hatte, bedankte er sich, ehe er ohne ein weiteres Wort den Raum verlassen hatte. Diese Prozedur tat er fast jede Nacht, er kam und ließ mich ihn abtasten, fragte nach einer Veränderung und bei Verneinung ging er dann. Ich traute mich lange nicht, ihn nach dem Grund dieses seltsamen Vorgehens zu fragen, doch es ließ mir keine Ruh und irgendwann verneinte ich seine letzte Frage nicht. Er schwieg eine Weile, ehe er nur trocken sagte:„ Du lügst.“ Ich antwortete ihm genauso trocken:„Und du verschweigst mir deine Absichten.“ Eine Weile kam es mir vor, als wäre er sauer, denn er schwieg und rührte sich nicht, doch irgendwann schien er sich gegen mich zu lehnen, als wäre er plötzlich sehr müde geworden. „Ich traue der Ärztin hier nicht. Sie macht immer nur Hautproben, doch nie schaut sie nach oder sowas... Du merkst es, denke ich, eher, wenn meine Haut sich verändert.“ Jetzt verstand ich auch die Prozedur, doch es war mir schleierhaft, warum ich deshalb seinen gesamten Kopf und nicht nur die Kopfhaut und den Nacken abtasten sollte. Er schwieg kurz, ehe er mir diese unausgesprochene Frage freiwillig beantwortete. „Ausserdem...mag ich das Gefühl, wie du mein Gesicht berührst...Ich weiß nicht, wieso, es fühlt sich schön an.“ Mich juckte es kurz, ihn zu fragen, ob es bei Mary genauso war, doch meines Wissens nach hatte Mary sich bisher mit dem visuellen zufrieden gegeben und ihn nicht abgetastet oder ähnliches. Ich betrachtete es einfach sofort als mein Privileg, ebenso wie es Marys Privileg war, ihn zeichnen zu dürfen, sehen zu dürfen. Ich fuhr ihm vorsichtig über den Kopf, über die zerstörte Haut, über das weiche Haar. Meine Finger kribbelten bei diesem seltsamen Kontrast aus schön und abstoßend und auch er seufzte kurz. Und wieder wurde mir bewusst, wieviel Kai in seinem Leben fehlte neben Bildung. Etwas selbstverständliches wie Liebe und Zärtlichkeit, Vertrauen und Spass...Er war noch so unwissend wie ein Baby, dass nichtmal an der mütterlichen Brust war, um die Liebe der Mutter dort zu spüren. Und wieder wuchs in mir der Drang nach Mitleid und wieder wehrte ich ihn ab. Doch ein schlechtes Gewissen machte sich in mir breit. Denn wenn Mary ihre Distanz von Berührungen aufrecht erhielt und ich diese Klinik bald verlasse...dann würde wieder ein Teil Erfahrung fehlen...und ich wurde das Gefühl von Schuld nicht mehr los...
Danke schön

Nya, ich liebe Wochenenden, dann kann man ohne Zeitdruck einfach durchschreiben und Hausaufgaben sorgenlos auf Sonntag verschieben, um sie im letzten Moment noch zu machen

Hier also Kapitel 14 x3
Gelehrter Schüler, geschulter Lehrer
Es war nun schon bestimmt eineinhalb Monate her, seit Kai aus der Krankenstation raus war und wieder in seinem Zimmer mit Mary wohnen durfte. Es war seltsam... An jenem Tag...oder besser jener Nacht, wo wir gemeinsam im Wald gesessen hatten, hatte ich Eifersucht empfunden, wirklich Eifersucht, doch nicht aus Liebe, sondern aus Egoismus, ja fast schon aus Besitzgier. Ich hatte Mary nicht teilen wollen, ich hatte sie wie meine Exclusivfreundin gesehen und mich hatte der Gedanke, sie teilen zu müssen, abgeschreckt. Doch es hatte sich gedreht... Ich musste nicht Mary mit Kai teilen... Ich teilte Kai mit Mary. Entgegen meinen ersten Vermutungen entwickelte er großes Interesse an mir, doch anders als bei Mary wollte er nicht so sehen, hören und fühlen wie ich...Er wollte mich lehren, wie ein Sehender zu sein. Anfangs habe ich ihn abgewiesen, aus Angst, meinen Umgang mit der Blindheit zu verlernen, doch ich verlernte nicht, ich lernte noch dazu. Ich verlernte nicht, den Ursprung eines Liedes, seine Bedeutung und seine Machart zu erkennen, ich lernte dazu, auch einfach zuzuhören, ohne zwanghaft Informationen aus diesem zu erfahren. Ich lernte, dass meine Hände nicht nur meine Augen waren...sondern auch meine Hände... Körperteile, die gerne weiches Fell streicheln ohne das Tier zu kennen, Wärme zu spüren ohne auf den Ursprung zu achten und Schmerz zu spüren, auch wenn man ihn vielleicht hätte vorhersehen können. Im Gegensatz zu Mary, der Schülerin, hatte ich in Kai im Grunde einen Gleichgestellten gefunden, einen, der lernen will und doch lehrt. Es war ein seltsames Empfinden, als ich merkte, wie mein Interesse sich immer weiter von Mary auf Kai zubewegte. Sie war mir nicht unwichtig geworden, um Gottes Willen nein, doch die Gesellschaft Kais zog ich ihrer meistens vor. Ich hatte mich verändert...
Doch auch Mary hatte sich verändert. Sie hatte, ebenso wie auch ich, bemerkt, dass Kai nicht nur verschlossen, sondern auch schüchtern und, ebenso wie sie, auch durchaus für sein Alter etwas zu naiv war. Sie war mittlerweile wirklich seine Lehrerin geworden und übte mit ihm jeden Tag Lesen, schreiben, Rechnen und was ihr grad sonst noch einfiel. Wenn es um Dinge wie Bio, Erdkunde oder Geschichte ging, wurde aber auch ich zum Lehrer ernannt, der banale Dinge erklärte wie die Herkunft des Menschen oder die Gründe der größten Kriege. Ich konnte es sehen...mehr oder weniger... wie sie erwachsen wurde, wie ihre Kindlichkeit durch diese neue Verantwortung begann, zu verschwinden und dem Reifungsprozess einer normalen jungen Frau zu weichen begann. Es machte mir fast ein schlechtes Gewissen, dass etwas so einfaches sie erwachsen werden lassen konnte, wo ich sie schließlich meist nur verhätschelt und bemuttert hatte, sie als kleine unselbstständige Schwester gesehen hatte, obwohl so viel Potential in ihr steckte. Vor allem in einem Punkt bemerkte ich ihre wachsende Reife eindeutig und zeitgleich auch, dass in mir ein wenig das Kind wiederauferstand: Ich wollte Kai. Ich war wie ein bockiges Kind geworden, dass etwas haben wollte, obwohl es nicht möglich war, es zu besitzen. Dennoch stritt ich, wenn auch nur stumm, um jede freie Minute, die ich mit ihm haben konnte. Doch sie zeigte sich mehr als erwachsen:Sie ließ mich. Sie akzeptierte diesen egoistischen Wunsch, verurteilte mich nicht und überließ es Kai, ob mein Wille auch geschah.
Doch auch dieser hatte sich sehr verändert, mehr als Mary und ich zusammen. Er hatte nicht nur mehr Interesse an uns, in welcher Hinsicht auch immer, seit den Wochen in der Krankenstation hatte er sich uns geöffnet und begann, uns in sein Leben einzulassen. Er trug in meinem Zimmer wie auch im eigenen und Marys Zimmer die Maske nie. Wenn ein Fremder den Raum betrat, zog er sie sich meist schnell wie in Panik über, doch uns gestatte er, ihn anzusehen, jederzeit, jedem von uns auf seine Art. Ihm begann zu gefallen, dass Mary ihn oft ansah. Vor allem hatte er Interesse in ihre Zeichnungen bekommen. Mary hatte schon immer leidenschaftlich gern gezeichnet, sie war vielleicht nicht die Beste, aber ihre Bilder zeigten Können und hatten auch fast immer das gewisse Etwas, hatte ich schon oft gehört. Sie hatte sogar mal ein Portrait von mir gemacht, sie hatte es als Kupferstich gemacht, so dass selbst ich es sehen konnte und ich fand es, auch, wenn ich es sicher nicht professionell bewerten kann, sehr gut. Jedenfalls hatte Mary ihn neuerdings wohl als ihr aktuelles Motiv entdeckt, wenn ich mit ihnen zusammen war, ausserhalb meines Zimmers, hörte ich meisten das Kratzen eines Bleistiftes auf Papier, ab und zu auch das Geräusch von einem Kohle- oder Graphitstift. Kai hatte es anfangs nicht gemocht, vermutlich war ihm schon allein unangenehm gewesen, dass ihn jemand ansehen konnte, zumal die verbrannte Haut in seinem Gesicht vermutlich nicht sehr schön aussah. Doch ich selbst hatte ihn nun schon oft angesehen, sie waren winzig, die Stellen, bei denen die Haut nicht samtig und ebenmäßig war. Der Nacken und die Kopfhaut, die Stellen des Vorfalls, waren wesentlich extremer und mit bloßem Auge vermutlich sehr auffallend, vielleicht sogar abstoßend. Aber Mary war diskret, sie war beim Zeichnen immer diskret. Sie hatte ihn anfangs nur gebeten, ihn als Pose zu zeichnen, ohne Details, einfach die Art wie er saß. Langsam schlich sie sich voran, fragte, ob sie seine Augen oder sein Ohr zeichnen durfte, weitete es vom Gesicht weiter aus, bis sie ihn heute jederzeit und überall zeichnen durfte, egal, ob nur das Gesicht oder den ganzen Körper. Er akzeptierte es und blieb immer ruhig sitzen, wenn sie ihn zeichnete, genoss es fast, dass jemand Interesse an seinem Körper hatte, den er über so viele Jahre gehasst, verflucht und gemieden hatte. Doch bei mir war es nicht anders...
Er besuchte mich oft in meinem Zimmer, allein, vor allem nachts, sobald Mary schlief. Er setzte sich dann auf mein Bett und rief mich leise, so lange, bis ich wach wurde. Ich weiß nicht, wie lange er manchmal da saß und einfach nur immer meinen Namen wiederholte, doch er machte es immer sehr geduldig und ruhig. Als er es das erste Mal getan hatte, war ich sehr überrascht gewesen, ihn neben mir zu hören, zu spüren, wie sein Gewicht die Matte an der Stelle, wo er saß, herunterdrückte. „Masa, darf ich dich um etwas bitten?“ hatte er mich damals gefragt und nach kurzem verwirrten Nachdenken hatte ich mit Ja geantwortet. „Kannst du dir vielleicht meinen Kopf ansehen? Ob irgendetwas ungewöhnlich ist?“ Ich verstand am Anfang nicht, worauf er hinaus wollte, doch ich tat es und begann, seinen Kopf abzutasten und ich fuhr, wie beim ersten Mal, die ebenmäßigen Strukturen seines Gesichtes nach, fuhr durch sein weiches Haar und auch über die raue, vernarbte Haut im Nacken. Kai war in der Zeit vollkommen still gewesen, hatte sich kaum gerührt, ja schien fast den Atem angehalten zu haben. Als ich fertig war, ließ ich von ihm ab und ich hatte damals Bedauern gespürt, denn sein Gesicht war wirklich sehr angenehm geformt. „War irgendetwas auffällig? Oder anders?“ hatte er mich gefragt und als ich mit nein geantwortet hatte, bedankte er sich, ehe er ohne ein weiteres Wort den Raum verlassen hatte. Diese Prozedur tat er fast jede Nacht, er kam und ließ mich ihn abtasten, fragte nach einer Veränderung und bei Verneinung ging er dann. Ich traute mich lange nicht, ihn nach dem Grund dieses seltsamen Vorgehens zu fragen, doch es ließ mir keine Ruh und irgendwann verneinte ich seine letzte Frage nicht. Er schwieg eine Weile, ehe er nur trocken sagte:„ Du lügst.“ Ich antwortete ihm genauso trocken:„Und du verschweigst mir deine Absichten.“ Eine Weile kam es mir vor, als wäre er sauer, denn er schwieg und rührte sich nicht, doch irgendwann schien er sich gegen mich zu lehnen, als wäre er plötzlich sehr müde geworden. „Ich traue der Ärztin hier nicht. Sie macht immer nur Hautproben, doch nie schaut sie nach oder sowas... Du merkst es, denke ich, eher, wenn meine Haut sich verändert.“ Jetzt verstand ich auch die Prozedur, doch es war mir schleierhaft, warum ich deshalb seinen gesamten Kopf und nicht nur die Kopfhaut und den Nacken abtasten sollte. Er schwieg kurz, ehe er mir diese unausgesprochene Frage freiwillig beantwortete. „Ausserdem...mag ich das Gefühl, wie du mein Gesicht berührst...Ich weiß nicht, wieso, es fühlt sich schön an.“ Mich juckte es kurz, ihn zu fragen, ob es bei Mary genauso war, doch meines Wissens nach hatte Mary sich bisher mit dem visuellen zufrieden gegeben und ihn nicht abgetastet oder ähnliches. Ich betrachtete es einfach sofort als mein Privileg, ebenso wie es Marys Privileg war, ihn zeichnen zu dürfen, sehen zu dürfen. Ich fuhr ihm vorsichtig über den Kopf, über die zerstörte Haut, über das weiche Haar. Meine Finger kribbelten bei diesem seltsamen Kontrast aus schön und abstoßend und auch er seufzte kurz. Und wieder wurde mir bewusst, wieviel Kai in seinem Leben fehlte neben Bildung. Etwas selbstverständliches wie Liebe und Zärtlichkeit, Vertrauen und Spass...Er war noch so unwissend wie ein Baby, dass nichtmal an der mütterlichen Brust war, um die Liebe der Mutter dort zu spüren. Und wieder wuchs in mir der Drang nach Mitleid und wieder wehrte ich ihn ab. Doch ein schlechtes Gewissen machte sich in mir breit. Denn wenn Mary ihre Distanz von Berührungen aufrecht erhielt und ich diese Klinik bald verlasse...dann würde wieder ein Teil Erfahrung fehlen...und ich wurde das Gefühl von Schuld nicht mehr los...
[Blockierte Grafik: http://imageshack.us/a/img12/6641/4zbb.jpg]