Nachteule

    • Und noch ne Fortsetzung... die vllt aufgrund der Uhrzeit vor Fehlern strotzt. Ich poste sie dennoch mal... (auch aus schlechtem Gewissen, meine Leser so lange vernachlässigt zu haben...)

      Der Anfall verging genauso schnell, wie er gekommen war, dennoch blieb ein flaues Gefühl in der Magengrube zurück. Ich versuchte mir zwar einzureden, dass ich falsch lag, dass Simon nichts damit zu tun haben konnte, nach allem, was er mit gesagt und für mich getan hatte, aber ganz konnte ich den Gedanken, das „Was wäre wenn“ nicht abschütteln. Ich fuhr mir über die Stirn und atmete einmal tief ein und aus. Ich musste sortierten, was ich erfahren hatte, das Ganze nüchterner angehen, dann würde sich vielleicht auch der Nebel um die ganze Angelegenheit lichten. Ich musste nur zusammentragen, was ich bisher in Erfahrung gebracht hatte, und es ein wenig wissenschaftlicher betrachten. Ich musste...
      Eine fließende Bewegung holte mich aus meinen Gedanken und ich sah, wie jene Krankenschwester, die mich eben „gerettet“ hatte, an mir vorbeirauschte, ohne mich groß zu beachten. Sie hatte mich zwar leicht gestreift, schien aber ansonsten kein großes Interesse an mir zu zeigen.
      Ich sah ihr nach und öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Dann schloss ich ihn wieder. Es war sinnlos, ihr hinterherzurufen, das würde nur unnötig auf mich aufmerksam machen. Für meinen Geschmack hatte ich sowieso schon genug Aufregung gestiftet.
      Stattdessen machte ich mich unverrichteter Dinge wieder auf den Heimweg.
      Es gab nichts mehr, was ich am Krankenhaus noch erledigen konnte, zumindest momentan. Auf lange Sicht war es essentiell, an die Dokumente aus jenem Büro zu gelangen, aber das konnte ich unmöglich noch an diesem Tag erledigen.
      Ein wenig enttäuscht war ich schon. Ich hatte mir mehr von alledem versprochen, oder um es ein wenig gewählter auszudrücken, mehr Information in weniger Zeit. Ich begann zu ahnen, gerade die Spitze eines Eisberges angeschnitten zu haben, konnte aber nicht weiter durchbrechen. Dafür begannen andere Dinge plötzlich Sinn zu ergeben.
      Unter anderem, dass Simon mir kaum wirklich etwas sagen konnte, bis auf einen Ordner, der sich auch nicht besonders hilfreich erwies. Dennoch wehrte sich jede Faser in mir, zu glauben, dass er tiefer mit alledem zu tun hatte. Es war einfach unmöglich… Wenn nur dieser bohrender Zweifel nicht wäre.
      Genauso ärgerte mich das Verhalten der Krankenschwester. Was hatte sie mit dieser Aktion bezweckt, wenn sie mich danach keines Blickes mehr würdigte. Ich hatte zumindest eine Erklärung verdient.
      Mit diesen bitteren Gedanken im Hinterkopf bog ich in die Einfahrt vor meiner Wohnung ein, parkte das Auto bei der nächstbesten Gelegenheit. Verbittert stieg ich aus und schleppte mich in die Wohnung, wo meine erste Amtshandlung war, den Arztkittel auszuziehen und über einen Stuhl zu werfen.
      Der Anrufbeantworter blinkte und ich stöhnte auf. Es war unglaublich, wie gefragt ich trotz allem noch war. Um mich abzulenken, drückte ich auf den Knopf. Es waren zwei Nachrichten und die erste war von Simon.
      „Hallo Artemis, hier ist Simon. Ich weiß, seit ich fortgefahren bin, haben wir kein einziges Mal miteinander gesprochen und ich muss gestehen, dass ich langsam ein schlechtes Gewissen bekomme. Es ist nicht gelogen, wenn ich sage dass du mir fehlst und ich mich auf ein Wiedersehen mit dir freue. Ich bedauere es sehr, dich nicht persönlich angetroffen zu haben und versuche es vielleicht später noch einmal. Auf jeden Fall hoffe ich, es geht dir gut und die Studenten tanzen dir nicht so sehr auf der Nase herum. Alles Liebe.“
      Mir wurde schlecht.
      Warum meldete er sich ausgerechnet jetzt? Jetzt, da ich am allerwenigsten mit ihm konfrontiert werden wollte. Die Uhrzeit zeigte mir ein, dass er angerufen haben musste, als ich auf dem Heimweg war. Durchaus genügend Zeit für Thorwald, ihn zu verständigen und ihm zu sagen, was passiert war.
      Ich atmete erneut ein und aus. Nein, das bildete ich mir alles nur ein. Das würde zu gut passen, um wahr zu sein und ich befürchtete mit alledem furchtbar über das Ziel hinauszuschießen.
      Zur Beruhigung hörte ich mir die zweite Nachricht an. Sie war von Christian.
      „Oh, du bist nicht Zuhause…“ Nervöses Lachen. „Natürlich, ich vergesse immer wieder, was für eine vielbeschäftigte Frau du bist, Artemis. Entschuldige das dumme Wortspiel… Warum ich eigentlich anrufe. Mein Verhalten war unverzeihlich….Ich möchte noch einmal gerne mit dir darüber reden. Nicht am Telefon, das mag ich nicht, sondern unter vier Augen. Melde dich doch einfach, wenn du daran Interesse hast. Wenn nicht, ist das auch in Ordnung. Christian.“
      Ich seufzte und schüttelte den Kopf. Es war klar, dass die Geschichte mit Christian noch nicht ausgestanden war, aber dass es so schnell gehen würde, hätte ich nicht geglaubt.
      Ich überlegte, ihn sofort zurückzurufen, entschied mich aber dagegen, weil ich erst noch ein wenig meiner Arbeit erledigen wollte. Unter anderem den Arztkittel wegräumen.
      Ich ging dorthin, wo ich ihn abgelegt hatte, nahm ihn und griff in die Taschen, um Erics Schlüssel herauszunehmen.
      Erst jetzt fiel mir die kleine, eckige Karte auf, die ebenfalls in der Tasche steckte.
      Ich holte sie heraus und war seltsamerweise wenig überrascht, darauf den Namen Bianca Helbig zu lesen. Irgendwie hatte ich es doch geahnt. So einfach konnte mich die Schwester nicht ignorieren. Sie hatte mir ihre Visitenkarte zugesteckt, was es nun zu meiner Angelegenheit machte, sie zu kontaktieren.
      Der Rückruf von Christian war erst einmal vergessen.
    • ...

      Mein erster Impuls war es, sofort ans Telefon zu rennen und die Nummer einzuhämmern. Geduld war nie meine Stärke gewesen. Es war noch nicht allzu spät am Tag, aber vermutlich würde ich dennoch niemanden erreichen: die Schicht von Schwester Helbig war bestimmt noch nicht zuende, zumindest nicht, wenn ich richtig entsann. So legte ich die Karte neben das Telefon mit der geistigen Notiz, dies morgen mit als erstes zu tun. Am besten wieder von der Uni aus.
      Natürlich widersprach dieses Verhalten jeder Faser meines Seins, aber vorher konnte ich wenig Nützliches tun. So nutzte ich die Zeit, aufzuräumen und dabei meine Gedanken ein wenig zu sortieren. Was wusste ich denn eigentlich alles und was gedachte ich noch herauszufinden?
      Eric war tot – und was inzwischen seit einem halben Jahr.
      Es war Mord, das war aufgrund des seltsamen Obduktionsberichtes und der noch seltsameren Email so gut wie sicher.
      Ich wollte in erster Linie wissen, wer dahintersteckte und so wie es schien, war dieser Dr. Thorwald ein guter Kandidat. Er hatte panische Angst davor, sein Büro offenzulassen und er sammelte viele Ordner.
      Simon teilte mit ihm das Büro, das wusste ich seit heute. Bisher hatte ich ihm bedingungslos vertraut, aber auch nie einen Grund gesehen, dies nicht zu tun. Er war immerhin Erics Freund gewesen und mir gegenüber auch immer sehr einfühlsam und verständnisvoll, wenn nicht sogar ängstlich. Er hatte mir geholfen, die beiden fehlenden Ordner wieder aufzutreiben, auch wenn sie bei weitem nicht so brauchbar waren, wie gehofft, aber immerhin befand sich diese seltsame Rechnung darin, deren Inhalt ich auch noch entschlüsseln musste.
      Was Simon verdächtig machte, war eigentlich nur diese Tatsache, aber wer garantierte mir, dass er nicht Thorwalds Nähe suchte, um einen Verdacht zu erhärten? Womöglich würde ich mit einem übereilten Verhalten alles zerstören... Diese Deutung ergab Sinn, aber ein ungutes Gefühl blieb zurück.
      Ich hoffte, es würde sich langsam wieder auflösen, immerhin hatte ich keinen wirklichen Grund für Misstrauen und war nun in einer Situation, in der es mehr von Vorteil war, seine Nähe zu suchen.
      Bestimmt würde sich das alles mit der Zeit geben, es musste so sein.
      Zufrieden ließ ich mich in den Sessel sinken, wenigstens hatte ich aufgeräumt – sah man von der psychischen Ebene ab.
      Artemis ruiniert ihr Leben – so ein unbekanntes Szenario war das nicht und ich konnte mich dunkel daran erinnern, dass meine Mutter und Judith mir das ständig predigten. Mein Hang zu Chaos, voreiligen Schlüssen und überstürztem Handeln war mir schon mehr als einmal zum Verhängnis geworden. Auch wenn es immer irgendwie einen Ausweg gegeben hatte, hatte es mich immer viel Schweiß und Nerven gekostet, diesen zu finden. Ich fragte mich, ob ich mich gerade schon wieder auf einen solchen Pfad begeben hatte, ob zuvor getroffene Entscheidungen so grundlegend falsch waren, dass es große Mühe kosten würde, sie wieder ins Lot zu bringen. Konkret bezog ich mich hierbei auf meine Schwangerschaft.
      Ich wollte immer ein Kind und ich hatte es in gewisser Weise auch darauf angelegt, jetzt noch schwanger zu werden, aber je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr fragte ich mich, ob dies nicht ein Fehler war.
      Im Prinzip hatte ich Simon hintergangen, aber auch all die anderen Menschen, die ich kannte und liebte.
      Wie würden es meine Eltern aufnehmen, wie Judith?
      Ich schüttelte den Kopf. Das einzige was mir zu Kopf stieg war meine Zukunftsangst und die heute gesammelten Eindrücke. Das alles hatte einen tieferen Sinn, eine tiefere Wahrheit, das musste so sein.

      Die Universität wirkte viel fröhlicher und ansprechender, als ich sie am nächsten Tag betrat. Das lag vermutlich nur an mir selbst, die ich versucht hatte, all die Fragen, die noch auf mir gelastet hatten, irgendwie zu beantworten. Ich hatte das Gefühl, es ganz gut in den Griff bekommen zu haben und so gestaltete sich die Veranstaltung, die ich zu halten hatte, nach langer Zeit wieder einmal sehr positiv. Ich nahm Studenten wahr, die ich vorher übersehen hatte und es gelang mir, seit langer Zeit wieder einmal dieses Gefühl zu spüren, von der Begeisterung für meine Wissenschaft weggerissen zu werden – hatte ich vorher mehr oder weniger gelangweilt alte Sachen neu aufbereitet. Für einen kurzen Moment war ich wieder die alte Artemis, die diese Professur auch wirklich verdient hatte. Ich nahm mir vor, dieses Gefühl nicht ganz zu verlieren und darauf zu achten, es bei der nächsten Gelegenheit wieder einzufangen. Es tat einfach gut.
      Nach der Veranstaltung nahm ich mir wie gewöhnlich Zeit, die Fragen meiner Studierenden zu beantworten und begab mich dann, wie immer, in meinen privaten Rückzugsort.
      Dort angekommen tat ich das, was ich am liebsten schon am vergangenen Abend getan hätte: ich ergriff das Telefon und versuchte Schwester Helbig zu erreichen.
      Sie nahm sofort ab, was mich doch etwas überraschte. Wie als hätte sie auf meinen Anruf gewartet...
      „Hallo?“
      „Guten Tag. Mein Name ist Artemis Henning und ich...“
      „Ich kenne Sie und ich weiß was sie wissen wollen.“
      „Sie haben mir Ihre Visitenkarte zugesteckt und ich dachte mir, das wäre eine Aufforderung, sie anzurufen.“
      „Sie sind nicht dumm, aber etwas anderes erwarte ich auch nicht von jemandem, der Erics Lebenspartnerin war.“
      „Ich muss gestehen, dass ich einige Fragen habe.“
      „Damit habe ich gerechnet. Ich habe vielleicht die Antworten, es kommt ganz darauf an. Wie dem auch sei, ich möchte darüber nicht am Telefon reden. Das Telefon ist eine unsichere Sache.“
      „Was schlagen Sie also vor?“
      „Sind Sie nicht an der Universität beschäftigt?“
      „Doch.“
      „Dann bleiben Sie heute Abend einfach ein wenig länger in Ihrem Büro. Wer weiß was passieren mag?“
      Mit diesen Worten legte sie auf und ich hatte nur noch einen tutenden Hörer in der Hand.
      Sie hatte nicht einmal gefragt, wo mein Büro zu finden ist.
      Ein wenig mulmig wurde mir schon, aber schließlich siegte die neugierige Wissenschaftlerin in mir. Ich blieb bis zum Abend und wartete, was passieren würde.
    • Blah...
      eigentlich wollte ich noch weiterschreiben... aber ich denke ich belasse es so und setze den Rest in die Fortsetzung...
      Naja... ich hoffe es ist wenigstens halbwegs spannend und logisch... Blah...

      Warten ist eine elende Sache. Ich hasste es. Selbst, wenn man versucht, sich mit irgendwelchen Dingen abzulenken, so hat man doch im Hinterkopf, dass man wartet und schaut dementsprechend oft auf die Uhr. Natürlich gab es haufenweise Arbeit zu erledigen, wenn ich sowieso schon länger in meinem Büro bleiben wollte, aber das ließ mich Schwester Helbig nicht vergessen. Vielleicht kannte sie wirklich die Antworten, konnte mir weiterhelfen und auch meinen unterschwelligen Verdacht ausräumen. Ich hasste mich selbst für dieses Misstrauen, aber irgendwie nagte es an mir.
      Ich beschäftigte mich mit Aufräumen, lesen, schreiben und dem Nachholen einer Menge unbeantworteter Korrespondenz, die mir zumindest bisher ein schlechtes Gewissen verursacht hatte. Immer wieder blickte ich aus dem Fenster, sah Kollegen in ihre Autos steigen und gehen, sah Studenten zum Bus eilen oder in späte Vorlesungen kommen, sah wie die Sonne dunstig hinter den Bergen versank und die kurze Dämmerung einsetzte, bevor es gänzlich dunkel wurde und die Straßenlaternen eingeschaltet wurden. Ich war mir nicht sicher, ob ich diese Jahreszeit mochte: den Herbst, der langsam in Winter umschlug. Die kürzer werdenden Tage, die Kälte, die Trostlosigkeit. Als Eric noch lebte, liebte ich diesen Teil des Jahres: er war eine gute Entschuldigung, näher zusammenzurücken, gemeinsam bei einer Tasse warmen Tees auf der Couch zu sitzen und zu kuscheln… einander einfach wahrzunehmen und sich über die Gegenwart des Partners zu freuen. Ohne Eric wartete nur graue Tristesse auf mich und ich wusste jetzt schon, dass Weihnachen eine lausige Sache werden würde.
      Es klopfte und ganz automatisch spürte ich einen Adrenalinschub. Ich stand auf und rief gleichzeitig mit fast zitternder Stimme: „Herein?!“
      Die Tür öffnete sich einen Spalt breit und ich atmete enttäuscht aus. Vor mir stand nur der Hausmeister, Herr Steiner. Er war ein korpulenter, etwas einfacher, aber redlicher Mann um die fünfzig, der seinen Beruf sehr ernst nahm, allerdings ungern in die Privatsphäre anderer Leute eindrang. Ich schätzte ihn dafür ungemein.
      „Guten Abend, Frau Professor Henning, bitte entschuldigen Sie die Störung. Ich war mir nur nicht sicher, ob Sie noch anwesend sind oder nur vergessen das Licht auszuschalten, es ist nämlich schon neun Uhr…“
      Ich nickte.
      „Vielen Dank für Ihre Besorgnis. Ich fürchte jedoch, es wird heute wieder ein wenig später.“
      „Ich verstehe!“ Er lächelte und nickte zu meiner Kaffeemaschine hinüber. Keine Frage, er fühlte sich an die gute alte Zeit erinnert, als es häufiger vorkam, dass ich nach ihm das Gebäude verließ. „Noch viel Arbeit, hm?“
      „Kann man wohl sagen…“
      „Dann will ich nicht weiter stören. Bitte machen Sie ja das Licht aus…“ Er zwinkerte fröhlich.
      Ich lächelte. „Aber natürlich…“
      Damit war er verschwunden und ich wieder alleine. Langsam fragte ich mich, ob es überhaupt noch Sinn ergab, zu warten. Es war tatsächlich schon relativ spät und gerade der nächtliche Campus hatte in meinen Augen etwas Bedrohliches. Ich musste außerdem heute etwas weiter weg parken, als sonst, da als ich ankam schon alle Parkplätze besetzt gewesen waren. Es handelte sich hier um eine rein subjektive Empfindung, aber das war ich inzwischen gewöhnt. Meine wissenschaftliche Sichtweise auf die Dinge ging mir immer mehr verloren, was ich mit einem gewissen Bedauern wahrnahm.
      Ich machte mich daran noch ein paar überquellende Ordner umzuheften, warf dann aber frustriert die Arbeit hin. Es war halb zehn, ich wollte nach Hause. So viel Spaß machte es nicht, nach Ende der letzten Veranstaltung im kalten Universitätsgebäude zu sitzen. Halbherzig machte ich mich an das Packen meiner Sachen und schaltete den Computer aus. Gerade als ich meine Autoschlüssel ergreife wollte, klopfte es erneut. Ich seufzte, legte meine Dinge ab und rief „Herein!“. Anscheinend funktionieren die Gesetze der Dramatik nur so.
      Als sich dieses Mal die Tür öffnete, war es tatsächlich Schwester Helbig. Sie wirkte gehetzt und als erwarte sie, dass jeden Moment, etwas Schreckliches passierte. Sie schloss die Tür schnell hinter sich und ließ sich auf einen Stuhl fallen, wo sie erst einmal verschnaufte. Sie trug noch immer Mantel und Schal und umklammerte fest eine Stofftasche mit beiden Händen. Ihre Wangen waren gerötet. Ich verstand, dass für Höflichkeiten kein Platz war und verzichtete deshalb auf eine Begrüßung. Dennoch…
      „Kaffee oder Tee?“
      „Wasser?“
      „Gerne.“
      Während ich ein Glas holte und mit Wasser füllte, kam sie langsam wieder zu sich.
      „Bitte entschuldigen Sie die Verspätung. Es kostete mich einige Mühe sie abzuhängen, damit kein Verdacht entsteht. Und noch mehr Mühe kostete es mich diese hier zu bekommen. Man ist misstrauischer geworden seit Ihrem etwas ungeschickten Besuch gestern.“
      Ich errötete leicht und räusperte mich.
      „So ungeschickt?“
      „Seien Sie ehrlich, Sie haben doch nicht wirklich geglaubt damit durchzukommen?“
      „Tja… ich fürchte ich habe nicht wirklich etwas geglaubt. Ich hatte es so satt zu warten und vertröstet zu werden, dass ich einfach beschloss irgendetwas zu tun. Ich bin eine Frau, die gelernt hat, dass man die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, wenn sie gelingen sollen. Ich hatte gehofft ein paar überfällige Antworten zu finden und in gewisser Weise ist mir das ja auch gelungen. Sonst wären Sie heute nicht hier.“
      Sie nickte und holte zwei Ordner aus ihrer Stofftasche und legte sie auf den Tisch.
      Ich beobachtete sie fasziniert und stellte ihr dann endlich das Wasserglas hin.
      „Danke.“
      „Keine Ursache.“
      „Nun gut, dann wollen wir gleich zur Sache kommen. Es ist offensichtlich und verständlich, dass Erics Tod Sie beschäftigt und es war nicht allzu schwer herauszufinden, dass es Mord war. Da wurde ausnahmsweise einmal unsauber gearbeitet. Haben wohl Panik bekommen, dass jemand den Plan aufdecken wollte.“
      „Wie meinen Sie das?“
      „Es steht eine Menge auf dem Spiel. Geld, Ruhm, Macht. Das Übliche eben. Jeder der dabei in die Quere kommt, wird entfernt. So war es schon immer. So wird es immer sein.“
      „Ich denke ich verstehe, was Sie meinen. Dennoch stellte ich mir die Frage, wie all diese Dinge so lange unentdeckt bleiben konnten. Wissen Sie etwas darüber?“
      „Leider nicht alles. Ich kenne keinen der Drahtzieher wirklich. Selbst bei Dr. Thorwald bin ich mir nicht sicher, ob er wirklich etwas mit dem Mord zu tun hat. Aber selbst wenn ich nicht genau weiß, wer dafür verantwortlich ist, so weiß ich doch welches Spiel gespielt wird.“
      „Und das wäre?“ Die Aufregung in meiner Stimme war nicht zu überhören, aber das war auch gar nicht notwendig.
      Endlich, endlich kam ich der Sache auf die Schliche, hinter die Gründe, die zu jenem tragischen Ereignis geführt hatten. Das Suchen, das Zurückstecken, all das sollte jetzt mit einer Antwort belohnt werden. Ich konnte es nicht glauben.
      Schwester Helbig beugte sich vor zu mir und begann fast zu flüstern.
      „Organhandel.“
      „Wie bitte?“ Ich konnte das Gehörte nicht glauben.
      „Organhandel. Wir sind führend, was die Transplantationstechnik angeht. Ist es da nicht natürlich, dass man versucht Geld damit zu machen? Es ist ganz einfach: man nutzt die Hilfsbedürftigkeit anderer Menschen aus. Nicht dass das etwas Neues wäre… Im Normalfall werden Organe aus undurchsichtigen Quellen, wie Indien oder Afrika eingekauft. Es ist davon auszugehen dass die dortigen Organhändler Menschen für ihre „Produkte“ töten oder einen lächerlichen Geldbetrag für eine Lebendentnahme zahlen, den die Spender bei den dortigen medizinischen Bedingungen nur selten überleben und wenn, stark geschädigt. Die Organe selbst werden dann über einen tschechischen Zwischenhändler zu „medizinischen Geräten“ umetikettiert damit bei der Einfuhr kein Verdacht entsteht. Röntgengeräte und Ähnliches kann man bedenkenlos importieren und wegen der Europäischen Union gibt es auch keine Zölle mehr zu fürchten. Am Ende dieser Kette schließlich werden sie dem meistzahlenden Patienten verkauft, beziehungsweise eingepflanzt. Man macht unheimlich viel Geld damit und streicht auch noch Forschungsgelder ein für ein so scheinheiliges Projekt wie diese Datenbank. Deswegen wird auch kein Verdacht geschöpft, warum in unserem Klinikum mit die meisten Transplantationen Deutschlands vorgenommen werden.
      „Ich weiß, das ist vermutlich eine sehr persönliche Frage, aber woher wissen Sie davon?“
      „Ich belauschte einmal, als ich Nachtschicht hatte auf dem Gang durch Zufall ein Gespräch durch eine geschlossene Tür, aber das ist schon eine Weile her. Ich traute mich nicht, das Ganze weiter zu verfolgen oder gar an die Polizei abzugeben, erst recht nicht, als ich kurz darauf sah, was mit Eric geschehen ist. Ich wollte einfach nicht, dass irgendjemand erfuhr, dass ich Verdacht geschöpft hatte. Zumal ich nicht in der Lage war, einen Schuldigen auszumachen. Alles was ich hatte, war jenes Gespräch und das ist nicht viel. Man ist sehr geschickt darin, die Spuren zu verwischen. Dennoch, als ich Sie gestern antraf, wusste ich, dass das meine Chance sein konnte, etwas in dieser Hinsicht zu unternehmen.“
      „Woher wussten Sie, wer ich bin?“
      „Sie begleiteten Eric ein paar Mal bei der Arbeit, da habe ich Sie gesehen und Sie gehören nicht zu den Personen die man leicht vergisst.“
      Die Worte hallten in meinem Kopf wider. Und dann stellte ich die Frage, die mir ebenfalls auf dem Gewissen brannte:
      „Eines möchte ich noch wissen: Simon Henrich, hat er mit alledem etwas zu tun?“
      Sie schwieg eine Weile und antwortete schließlich.
      „Ich weiß es nicht, aber ich glaube es eher weniger. Er wirkt ahnungslos. Ich weiß es wirklich nicht, da ich bisher nicht näher nachgeforscht habe, aber er dürfte nicht dazugehören.“
      „Ich verstehe, vielen Dank.“
      „Ich habe zu danken. Sie haben sich in Gefahr begeben nur für die Wahrheit und mir damit gezeigt, wie wichtig es ist, nicht tatenlos zuzusehen.“
      Ich nickte und schwieg. Gefahr… Erstaunlich, wie schnell ein so abstraktes Konzept konkret werden konnte…

      Buahahahaha... Referat zur ung-Derivation anyone? Sorry insider...
    • Blah.

      „Darf ich Ihnen abschließend noch eine Frage stellen?“
      Ich kam mir irgendwie seltsam vor, diese Frau mit Fragen zu löchern, aber nach dem, was ich nun alles gehört hatte, erschien es mir nur recht und billig.
      „Wieso haben Sie sich eigentlich nicht diese Ordner geschnappt und sind damit zur Polizei gegangen? Es scheint ja, dass es recht konkrete Beweise für all das gibt.“
      „Eine berechtigte Frage, die ich Ihnen gerne beantworte. Ich habe Angst. Angst davor, dass sie herausfinden, dass ich dahinterstecke. Man schreckt nicht vor einem Mord zurück, das habe ich gelernt und ich bin so verwurzelt in all diese internen Strukturen, dass es ein leichtes wäre, mich zu entfernen. Immerhin gibt es auch noch einige Verbündete bei der Staatsanwaltschaft.
      Ich wiederhole also, was ich bereits gesagt habe: Sie sind eine außenstehende Person, wenn Sie sich darum kümmern, fällt der Verdacht nicht zwingend auf mich.“
      „Aber was ist mit Ihrer kleinen „Rettungsaktion“? Wird man keinen Verdacht schöpfen, vor allem, wenn jetzt auch noch Ordner fehlen?“
      „Daran habe ich nicht wirklich gedacht. Ich habe möglicherweise ein bisschen überstürzt gehandelt, aber ich war so glücklich, jemanden gefunden zu haben, mit dem ich Reden konnte. Vielleicht wäre es das Beste, wenn wir die Ordner kopieren und ich sie wieder mitnehme.“
      Ich stimmte zu und so machten wir uns ans Werk.
      Nicht, dass es ein allzu großes Problem gewesen wäre, zu kopieren. Für Dozenten stellt die Universität in dieser Hinsicht mehr als genug Mittel zur Verfügung. Dennoch war es ein seltsames Gefühl mit einer fast fremden Frau in diesem Kopiererraum zu stehen, und zuzusehen wie Blatt für Blatt durch den Einzug wanderte um als Faksimile unten herauszukommen, während ansonsten alles still und dunkel war. Ich war schon öfter länger dageblieben, aber das komische Gefühl blieb trotzdem.
      Der Kopierer arbeitete erstaunlicherweise recht zügig, wenn man die Papiermenge, die er zu bearbeiten hatte in Betracht zog und so waren wir nach einer guten halben Stunde fertig.
      Schwester Helbig nahm die Ordner wieder an sich und ich behielt einen Stapel Blätter zurück, einen riesigen Stapel. Wir verließen den Raum und ich schloss hinter mir ab – nachts sollten alle Räume, die wertvolle technische Geräte beherbergten verschlossen werden, da die Universität schon mehrmals Opfer von Diebstählen geworden war.
      Da es sonst nichts mehr zu sagen gab, verabschiedeten wir uns. Ich wünschte ihr alles Gute und dass man nicht auf sie aufmerksam geworden war. Im Gegenzug bat sie mich inständig, sie zu kontaktieren, wenn ich nach dem Durchsehen der Papiere etwas Neues herausgefunden haben sollte, wenn nicht wolle sie mir neues Material zukommen lassen. Ich dankte ihr noch einmal für alles, dann trennten wir uns endgültig. Ich sah ihr nach, wie sie ging und eilte nachdem sie nicht mehr zu sehen war, in mein Büro zurück, wo ich die Papiere hastig lochte, einen beliebigen meiner mit Seminarvorbereitungen gefüllten Ordner entleerte und die neu gewonnen Informationen anstelle meiner Notizen hineinheftete. Dann packte ich eilig alles zusammen.
      Es war inzwischen kurz nach elf und ich hatte einfach das Gefühl, dass dies keine Zeit mehr war, sich noch hier herumzutreiben. Deswegen warf ich mir schnell meinen Mantel über, krallte mir meine Tasche und die Ordner und sah zu, dass ich verschwand.
      Vom Institutsgebäude ins Freie tretend, fiel mir als allererstes, die unglaubliche Kälte auf. Man merkte den Winter wirklich kommen. Bibbernd schlang ich meinen Mantel fester und setzte mich eilends in Bewegung um zu meinem Auto zu gelangen.
      Ich verfluchte den Sachverhalt, dass ich weiter weg hatte parken müssen, sagte mir aber gleichzeitig, dass mir ein kleiner Fußmarsch bestimmt gut tun würde. So setzte ich mich in Bewegung.
      Die asphaltierten Wege waren einigermaßen gut ausgeleuchtet, aber die seitlichen Büsche und Sträucher verwandelten sich in einen Einheitsbrei von schemenhaftem Grau und Schwarz. Bisweilen raschelte es, aber das war wohl mehr auf nachtaktive Tiere zurückzuführen. Ich schüttelte den Kopf und versuchte das ungute Gefühl zu vertreiben, dass mich zunehmend beschlich. Der nächtliche Campus war mir noch nie so unheimlich vorgekommen.
      Ich führte es auf das eben Gehörte zurück und ging schneller. Rennen wollte ich aus irgendeinem Grund nicht.
      Die Augen hatte ich auf den Weg vor mir gerichtet und das einzige was ich hörte, waren meine Schritte auf dem betonierten Untergrund und meine Atmung, sah man von dem Rascheln im Gebüsch und den typischen Straßengeräuschen im Hintergrund ab. Ich getraute mich nicht, nach links und rechts zu sehen, schalt mich aber gleichzeitig für meine Angst. Was sollte es hier schon geben? Höchstens ein paar betrunkene, aber harmlose Obdachlose oder ein paar Kollegen von mir, die sich ebenfalls nicht von der Arbeit loszureißen vermochten.
      So versuchte ich mich zu beruhigen, aber es gelang mir einfach nicht. Es blieb mir wohl nichts anderes übrig, als einfach so schnell wie möglich zu meinem Auto zu gelangen.
      Bisweilen meinte ich, aus dem Augenwinkel Bewegungen wahrzunehmen, ignorierte dies aber. Es war immerhin windig, das konnte schon einige Zweige in Bewegung versetzen.
      Du benimmst dich wie ein kleines Kind! Der Parkplatz war schon fast in Sichtweite und ich getraute mich schon, erleichtert aufzuatmen.
      Ich nahm die Gestalten erst wahr, als es schon zu spät war. Ich weiß bis heute nicht, was sie sagten oder wo sie so plötzlich herkamen. Woran ich mich noch erinnere, ist der plötzliche Schlag in die Magengrube und die entsetzlichen Schmerzen. Dann wurde alles schwarz.
    • Blubb - sorry für Fünffachpost... ~.~

      Licht… Es schmerzte… Alles schmerzte…
      Ich erinnerte mich, langsam zu mir zu kommen, aber als ich die Augen öffnen wollte, war es so hell, dass ich sie sofort wieder schloss. Ich zuckte zusammen und jetzt erst setzte der Schmerz ein. Mein Kopf schmerzte, mein Bauch schmerzte… und ich fühlte mich einfach elend. Der Geschmack von Blut klebte in meinem Mund. Ich stöhnte leise.
      Eine kühle Hand berührte mich an der Stirn und kurz darauf strich etwas Feuchtes ebenfalls darüber, wischte über meine Mundwinkel und verschwand dann.
      Ich startete einen zweiten Versuch, meine Augen zu öffnen und dieses Mal gelang es mir besser. Ich starrte in fahles Neonlicht, das von einer Röhre an der Decke ausgestrahlt wurde. Es schien, dass ich in einem Bett lag und die Geruchskulisse sprach eindeutig für ein Krankenhaus.
      Wo war ich? Warum war ich hier? Panik machte sich in mir breit und ich wollte schreien. Heraus kam ein heiseres Krächzen.
      Ich wollte weg von hier, ganz weit weg, denn wenn ich dort war, wo ich glaubte zu sein, dann stand mir das Schlimmste erst noch bevor und obwohl ich mich sehr anstrengte liefen mir Tränen über die Wangen. Ich hatte solche Angst, dass sie mir die Kehle zuschnürte und ich erst recht nicht schreien konnte.
      Erneut strich mir eine Hand über die Stirn, was mich dazu veranlasste, den Kopf zu drehen und die fürsorglichen Augen einer Krankenschwester zu blicken, die gerade mit einem Lappen über meine Stirn wusch. Instinktiv zuckte ich zurück.
      Eigentlich war es überraschend: die ganze Zeit hatte ich geglaubt, dass es mir egal sei, was mit mir geschehe und nun hatte ich doch Angst. Der menschliche Selbsterhaltungstrieb trat in seiner ureigensten Form zu Tage. Langsam kamen auch die Erinnerungen zurück und die einzige Erklärung die ich für all das hatte, war die Folgende: man schlug mich krankenhausreif, ließ mich einliefern und sah dann zu, wie man mich bequem und ohne Spuren zu hinterlassen aus dem Weg räumte.
      Abrupt richtete ich mich auf und funkelte die Schwester an.
      „Lassen Sie die Finger von mir, es geht mir wirklich gut!“ Im nächsten Moment tat es mir aber auch schon wieder leid, wie der erschrockene Gesichtsausdruck der Frau bewies. Meine Theorie war kompletter Unsinn – man hätte mich bestimmt nicht mehr aufwachen lassen.
      „Es… es tut mir leid…“
      „Es ist nicht Ihre Schuld, ich war verwirrt… Können Sie mir bitte sagen, wo ich bin?“
      „Im Marienstift. Sie wurden vor gut zwei Stunden eingeliefert.“
      „Nicht in den Unikliniken?“
      Überrascht sah mich an. „Nein?“
      „Schon gut. Wissen Sie noch mehr?“
      „Nunja, Sie haben eine gebrochene Rippe und möglicherweise auch ein leichtes Schädeltrauma, wenn Sie die Diagnose hören möchten. Und wir werden Sie zumindest noch diese Nacht auf der Intensivstation behalten.“
      „Mein Kind?“
      „Keine Sorge. Es ist nichts passiert…“
      Erleichtert atmete ich aus.
      „Steht schon fest, wie lange man mich hier behalten wird?“
      „Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Es könnte durchaus ein längerer Aufenthalt werden. Das wird Ihnen aber Morgen früh unser Arzt besser sagen können.“
      Na wunderbar! Das hätte ich besser nicht hinbekommen können.
      „Noch eine letzte Frage: Wissen Sie zufälligerweise, wie ich überhaupt hierher kam? Ich erinnere mich an nichts.“
      „Ein älterer Herr hat sie eingeliefert. Er sitzt übrigens auch auf dem Gang und hat darum gebeten, informiert zu werden, wenn Sie aufwachen, soll ich ihn rufen?“
      „Ich bitte darum.“
      Die Schwester verschwand und ich hatte kurz Gelegenheit mich umzusehen. Es handelte sich um ein gewöhnliches Krankenzimmer mit weißen Wänden und Neonröhren. Neben mir stand ein leeres Bett und mich selbst hatte man an Infusionen angeschlossen. Ich hatte Kopf- und Gliederschmerzen, war aber erleichtert, dass dem Kind nach dem Schlag in die Magengrube nichts geschehen war. Da hatte ich mehr Glück als Verstand gehabt.
      Kurze Zeit später streckte die Schwester wieder den Kopf hinein und kurz darauf betrat Hausmeister Steiner den Raum.
      „Frau Professor Henning, sind Sie wach?“
      Ich lächelte und nickte.
      „Es sieht so aus, nicht wahr?“
      Freudig kam er auf mich zu.
      „Ich bin so erleichtert. Als ich sie fand, hatte ich bereits Angst, es sei zu spät.“
      „Was ist passiert?“ fragte ich und bemerkte, dass ich genau das wirklich nicht wusste. Ich hatte wohl recht schnell das Bewusstsein verloren.
      „Es war furchtbar. Eigentlich wollte ich schnell nach Hause, als wir miteinander gesprochen hatten, aber dann bemerkte ich, dass ich noch einige Reparaturen hatte ausstehen lassen. Daher blieb ich noch länger. Ich habe nicht auf die Uhr gesehen, als ich mich endlich auf den Heimweg machte, aber es war wohl schon sehr spät. Alles war dunkel und leer und ich musste noch ein Stück laufen.
      Ich hatte auf dem hinteren Parkplatz geparkt, weil bei den Instituten alles voll war. Irgendwann hörte ich Stimmen nicht weit entfernt. Ich konnte es nicht genau verstehen, aber es klang wie „Ich hätte nicht gedacht, dass wir sie so einfach erwischen.“ und „Schnell, lass sie uns wegbringen und woanders erledigen, bevor wir entdeckt werden.“ Ich machte langsamer und beschloss sofort dem Ganzen nachzugehen, zumal die Geräusche auch vom Parkplatz kamen. Ich ging weiter, bis ich etwas erkennen konnte, und trotz der Dunkelheit konnte ich kurz darauf drei männliche Gestalten ausmachen die auf einen bereits leblosen Körper einschlugen. Natürlich wusste ich nicht, dass Sie es waren, ich sah nur eine schemenhafte Figur. Kurz darauf lagen Sie auf dem Boden und ich sah, wie man sich über Sie beugte und versuchte Ihnen die Kleidung vom Leib zu reißen. Ich hörte eine Stimme, die sagte: „Bist du verrückt geworden. Wir sollten machen dass wir wegkommen. Wir sollen sie nur töten.“ „Wenn sie tot ist kann sie uns nicht mehr verpfeifen. Schau sie dir an. Das wäre eine Verschwendung.“ Ich war nun nahe genug, um etwas zu unternehmen und so rief ich laut „Wer sind Sie?“. Man ließ von Ihnen ab und starrte mich an, dann ergriffen alle drei die Flucht. Ich bin natürlich sofort zu Ihnen gerannt, um zu sehen, was passiert ist. Offensichtlich hatte man Sie bewusstlos geschlagen. Sie lagen mit teilweise zerrissenen Kleidern auf dem kalten Zement und Blut lief aus Ihrem Mund. Da ich nicht wusste, was ich anderes hätte tun sollen, trug ich Sie zurück ins Universitätsgebäude und verständigte die Polizei und den Krankenwagen.“
      „Die Polizei?“
      „Ja, aber da die Gestalten nicht zu identifizieren waren, dürfte es schwierig werden, jemals herauszufinden wer dahinter steckte.“
      Ich nickte und hoffte dass dem nicht so wäre. Man hatte offensichtlich versucht mich zum Schweigen zu bringen, das bedeutete ich hatte auf mich aufmerksam gemacht. Sollte die Polizei also jemanden finden, dann würde mir das Arbeit ersparen. Aber wahrscheinlich verlief das im Sande und ich musste alleine weitermachen.
      „Ich hatte einige Ordner bei mir. Wurden die noch gefunden?“
      Er nickte.
      „Ja. Ich habe all Ihre Dinge zu mir in den Kofferraum gelegt, ich bringe Sie Ihnen morgen vorbei.“
      „Morgen? Ohje, wie spät ist es denn?“
      „Kurz nach halb zwei …“
      „Ich verstehe.“
      So spät schon… Mein Kopf drehte sich immer noch und ich konnte all das noch gar nicht fassen. Versuchte Vergewaltigung, versuchter Mord. Wie gut, dass ich nichts davon mitbekommen hatte.
      Da ich den armen Hausmeister nicht länger belästigen wollte, bedankte ich mich bei ihm für alles und schickte ihn nach Hause. Ich war ihm dankbar für alles, aber vor allem für das Warten.
    • ...Na sie mal an wer da aus seinem Loch gekrochen kommt...

      Also wenn es stimmt, das Kritik das Brot des Schöpfers ist, dann verdanktst du dein Überleben auf alle Fälle nicht mir... *hust*

      Aber zum Glück lässt du dich von mir nicht entmutigen, die Story schreitet gut voran, ein paar Kleinigkeiten hab ich gefunden aber dazu später, erstmal muss ich sagen das die neunen Kapitel nichts an Qualität eingebüsst haben, im Gegenteil, nun da sich Artemis wieder aufgerichtet hat und sich Aufgaben zuwendet lässt die Story humorvolle Akzente zu, die du ganz treffend plazierst, ich geriet jedenfalls immer mal wieder ins Schmunzeln.
      Und trotz der neuen Wendungen lässt du dir genug Raum um mit dem Leser deine Spielchen zu spielen... Gefällt dir wa?! XD

      Fnd ich aber gut, daran ändern auch die Kleinigkeiten nichts die mir beim Lesen so auffielen, so eckte ich kurz an beim Telefonanruf von Christian, und auch nur daran dass er am Ende der Bandaufsage seinen Namen aufspricht, das fand ich etwas ungewöhnlich, ich meine, er rief ja an, er hätte zum Schluss doch eher Tschüss gesagt, oder so XD
      Was noch? Hm.. nicht mehr viel, der Ausdruck getraute blieb mir auch im Gedächtnis, er ist völlig in Ordnung, nur eben etwas ungewöhnlich weshalb er im Hinterkopf bleibt und man hat dann das Gefühl das Wort würde sich wiederholen, auch wenn ne ganze Seite zwischen den beiden Begriffen liegt *Schulterzuck*

      Und eigentlich wars das auch, das andere muss sich noch zeigen, ich hatte etwas die Sorge dass Schwester Helbig Artemis etwas zu sehr unterstützt, allerdings kann sie sie auch in eine Falle gelockt haben, also noch alles offen...

      Also abwarten...

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      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Irrlicht ()

    • Ein Review *freu* *rumdops*
      Leider muss ich (ganz und gar nicht meine Art...) antworten ohne eine Fortsetzung zu haben.... Erstens weil ich mich grade freue... ^^ und zweitens weil ich was vergaß zu posten:

      Nachteule - Charaktere Ich liebe meine Mitbewohnerin... ^^

      Sodele... dann mal zur Beantwortung:
      @ Irrlicht: So lange du meine schrottige Geschichte nicht ganz aufgibst ist alles gut. Ich freue mich immer wieder über deine Posts. :) Und natürlich freue ich mich über Kritik. Also zuerst zur Kritik:

      Christians Botschaft auf dem AB: Du hast vollkommen recht... Blah... ich sprech nur nie so oft selber auf die Dinger dass ich mir immer etwas unschlüssig bin, was man sagt. Daher kam dann irgendwie so eine Art vokaler Brief raus. *editieren geht*

      Getrauen: Joah - manchmal hüpfen solche Archaismen einfach in mein Gedächtnis. Ich glaube das macht der Umgang mit Real-Life Linguisten... (historische Sprachwissenschaft und so...) Ich schau aber nochmal drüber... hast nämlich recht...

      Schwester Helbig: Noch so eine Sache. Bin selber noch nicht schlüssig auf wessen Seite die steht. ^^ Da ist auch bei mir noch alles offen.

      Aber ein paar Dinge musst du mir noch erklären:
      Humorvolle Akzente? Mich würde interessieren was du damit genau meinst. Weil irgendwie hab ich das wohl so unterbewusst platziert dass ich jetzt nix finde was passen könnte xD" - sieht man von Artemis' Grundsarkasmus ab...

      Spielchen? Beziehst du dich auf den hinterhältigen Überfall? xD Und ähm ja... Cliffhanger krieg ich aus mir einfach nicht raus.. ^^
    • Na ich denke, grade dieser Grundsarkasmus ist mir in den letzten Kapiteln recht aufgefallen, es sind immer nur so kurze Bemerkungen wie der Satz "Ich hatte mir mehr von alledem versprochen, oder um es ein wenig gewählter auszudrücken, mehr Information in weniger Zeit."
      So Kleinigkeiten eben, aber sie hatten nun eben Gelegenheit stärker hervorzutreten, und das mag ich halt ^^

      Und die Spielchen bezog ich darauf, und auf die Tatsache wie du dir die Karten in der Hinterhand lässt um die Story spannend zu halten, und Cliffhanger sind auch nichts schlechtes, etwas zappeln tut ja nicht weh...

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    • Original von Irrlicht
      Na ich denke, grade dieser Grundsarkasmus ist mir in den letzten Kapiteln recht aufgefallen, es sind immer nur so kurze Bemerkungen wie der Satz "Ich hatte mir mehr von alledem versprochen, oder um es ein wenig gewählter auszudrücken, mehr Information in weniger Zeit."
      So Kleinigkeiten eben, aber sie hatten nun eben Gelegenheit stärker hervorzutreten, und das mag ich halt ^^


      Echt? Cool! Ich glaube ich mache das unbewusst. Ich glaube inzwischen weiß ich einfach wie Artemis tickt... und sie ist eben wirklich sarkastisch und hat allen Grund dazu...

      Und die Spielchen bezog ich darauf, und auf die Tatsache wie du dir die Karten in der Hinterhand lässt um die Story spannend zu halten, und Cliffhanger sind auch nichts schlechtes, etwas zappeln tut ja nicht weh...


      Alles klar. Ich versichere dir jedenfalls das Eine: auf ein paar Überraschungen darfst du dich noch gefasst machen... Und weiter geht es. :)

      Ich war überrascht, wie schnell sich mein kleiner Krankenhausaufenthalt herumsprach und wie viel Zuspruch ich bekam. Viele meiner Kollegen besuchten mich und noch mehr riefen mich an. Selbst einige meiner Studenten schrieben Genesungskarten mit ihren besten Wünschen, die ich gerne entgegennahm. Dennoch, bis auf Herrn Steiner, dem ich aufs Schärfste untersagte, darüber zu reden, wusste niemand den wahren Grund. Ein kleiner Sturz die Treppe hinunter hatte durchaus ähnliche Auswirkungen auf einen menschlichen Organismus und ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass diese Version besser für mich und meine Bekannten war.
      Nach einer Nacht auf der Intensivstation wurde ich dann auch auf die Abteilung für Neurologie verlegt, wo man mich noch einige Tage zur Beobachtung behielt. Es stellte sich tatsächlich heraus, dass ich unter einer Gehirnerschütterung litt, weswegen ich noch nicht sofort nach Hause durfte, aber nach ein paar Tagen klangen die Symptome soweit ab, dass sie mich nicht mehr belästigten. Darüber war ich sehr froh, denn sowohl auf Kopfschmerzen als auch auf Übelkeit, von der ich durch meine Schwangerschaft bereits häufiger geplagt wurde, konnte ich durchaus verzichten. Meine gebrochene Rippe hingegen würde mich noch ein wenig länger beschäftigen, aber auf der anderen Seite bekam ich von der nicht allzu viel mit. Ich hatte Glück, dass sie keine meiner Organe verletzt hatte, sondern knapp daran vorbeigeschrammt war.
      Ansonsten kann ich nur noch sagen, dass mir der Krankenhausaufenthalt in gewisser Weise guttat. Ich hatte eine willkommene Ausrede meine Arbeit links liegen zu lassen und mir stattdessen vorzunehmen in aller Ruhe den Ordner von Schwester Helbig zu durchforsten, den mir der Hausmeister glücklicherweise bald vorbeibrachte.
      Aufgrund meiner Verfassung war ich allerdings erst am dritten Tag meines „Kurzurlaubs“ dazu in der Lage damit anzufangen, da dies der Moment war, als, wie bereits erwähnt, die Symptome langsam abklangen.
      Ich hatte es gerade geschafft, den schweren Ordner auf das Bett zu hieven und ihn so hinzulegen, dass er nicht auf meinen Brustkorb drückte aber ich trotzdem in der Lage war, bequem daraus zu lesen und die ersten Seiten zu überfliegen, als es an der Tür klopfte.
      Frustriert schob ich den schweren Papierberg zur Seite.
      „Herein!“
      Die Tür öffnete sich einen Spalt und ich sah, wie Christian den Kopf hereinstreckte. Ich seufzte.
      „Komm rein.“
      Er tat wie geheißen und sah mich dann an.
      „Artemis… Komme ich ungelegen?“
      „Komisch, dass ausgerechnet du das fragst.“
      „Wie bitte?“
      „Nach allem was passiert ist…“
      „Ich wollte dich wirklich nicht kränken…“
      „Das habe ich niemals behauptet. Es ist nur so, dass ich nicht so schnell damit gerechnet hatte, dich zu sehen.“
      Er zuckte zurück und so bereute ich den Satz kaum, dass ich ihn ausgesprochen hatte. Es lag nicht in meiner Absicht, ihn zu verletzen, aber ich fürchtete, dass es momentan einfach besser war, ihn zumindest ein wenig von mir fernzuhalten. Wer konnte sagen was er tun würde, wenn er erfuhr, was geschehen war? Und er wusste vermutlich schon zuviel, um mir die kleine Tarngeschichte abzukaufen…
      „Artemis, wie kannst du so etwas sagen? Es war eine Selbstverständlichkeit, so schnell wie möglich zu dir zu fahren, nachdem ich gehört hatte, dass du im Krankenhaus liegst.“
      „Woher hast du es eigentlich erfahren?“
      „Irgendwie hatte es sich ziemlich schnell herumgesprochen.“
      „Ich verstehe.“ Etwas anderes hatte ich auch nicht erwartet. Um das Thema zu wechseln wies ich auf einen der Hocker, die neben meinem Bett standen. „Aber du musst doch nicht stehen. Setz dich.“
      „Ja, das wäre vielleicht ganz gut.“ Er lächelte und zauberte dann hinter seinem Rücken einen Blumenstrauß hervor, den er schon die ganze Zeit dort verborgen hatte. „Aber vorher stelle ich die hier noch in Wasser, damit dieses kalte Zimmer etwas gemütlicher aussieht.“
      Ich verdrehte die Augen. „Du weißt genau, dass das nicht nötig gewesen wäre.“
      „Ja, das weiß ich.“ Er lächelte. „Aber es gehört sich einfach.“
      Ich sah ihm zu, wie er eine Vase aus einem der Wandschränke holte und mit Wasser füllte, bevor er sie mir, nun mit den Schnittblumen gefüllt auf den Nachttisch stellte und lächelte dann ebenfalls. „Danke.“
      „Gern geschehen…“ Er holte Luft und ich spürte, dass er noch etwas anderes sagen wollte, doch in dem Moment klopfte es erneut an der Tür. Ich erwartete niemanden, Visite war bereits gewesen und Essen gab es erst einige Stunden später.
      „Herein!“
      Die Tür öffnete sich und herein kam die Person, die ich momentan am allerwenigsten sehen konnte und wollte. Simon! Mit einem Mal war ich Christian sehr dankbar für seine Anwesenheit.
      „Artemis! Um Himmels Willen, wie konnte das nur passieren? Ich konnte es erst nicht glauben, als man mir sagte, du wärst im Krankenhaus! Wenn ich das früher gewusst hätte, wäre ich schon eher gekommen.“
      Lügner! Ich kenne niemanden der dich hätte verständigen können. Es gibt nur eine Möglichkeit, wie du davon hast erfahren können…
    • Und weiter im Konzept.

      Ich zwang mich zu einem warmen Lächeln.
      „Es ist schon in Ordnung, Simon. Ich freue mich auch so über deinen Besuch.“
      Soweit ich wusste, war er erst gestern oder heute von seiner Tagung zurückgekehrt. Er hatte also sowieso kaum Gelegenheit gehabt.
      Dann wandte ich mich um.
      „Darf ich vorstellen? Christian Theobald, ein Kollege und lieber Freund von mir – Simon Henrich, Erics ehemaliger bester Freund und ebenfalls ein guter Freund von mir.“
      Die beiden Herren gaben sich höflich die Hand, aber die frostige Haltung, die Christian Simon entgegenbrachte war nicht zu übersehen. Seit er das Zimmer betreten hatte, war die Stimmung irgendwie gedrückter.
      Ich wusste nicht genau, was ich ihm genau vorwerfen sollte oder konnte. Ich konnte es nicht erklären und das machte es umso schlimmer. Ich wusste nur, dass ich mich, nach allem was ich erfahren hatte unwohl in seiner Anwesenheit fühlte. Insgeheim hoffte ich immer noch, dass sich mein Gefühl täuschte, denn objektiv gesehen hatte ich kaum einen Grund ihm zu misstrauen.
      „Angenehm.“
      „Angenehm.“
      Schweigen.
      Ich seufzte und versuchte die Situation zu retten, indem ich das Thema wechselte.
      „Wie war deine Tagung, Simon?“
      „Nichts besonderes, ich hatte mir mehr davon versprochen. Aber wenn ich ehrlich bin, ist es kaum relevant, was ich gemacht habe, sondern wie es dir ergangen ist. Vor allem wie das hier passieren konnte.“
      Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Christian genervt die Augen rollte.
      „Was gibt es schon groß zu sagen. Ich war spät Abends noch an der Uni und in Eile nach Hause zu kommen. Von meinem Weg vom Büro zu meinem Auto war ich einen Moment unachtsam und bin die Treppe hinuntergefallen. Zum Glück hat mich der Hausmeister gefunden und hierher gebracht. Eine gebrochene Rippe und eine Gehirnerschütterung sind zwar freilich nicht angenehm, aber sie vergehen.“ Ich versuchte optimistisch auszusehen.
      Simon kniff die Augen zusammen und sah mich durchdringend an. Er sprach es zwar nicht aus, aber sein Blick sprach Bände.
      Artemis, du verschweigst mir etwas. – Etwas!? Wenn du wüsstest...
      „Ich... verstehe...“ brachte er schließlich langsam hervor und ich ahnte, dass er mir kein Wort glaubte. Aber das beruhte offensichtlich gerade auf Gegenseitigkeit. Ich kam zu keinem anderen Schluss, als dass er ziemlich genau Bescheid wusste, über das war mir widerfahren war. Nur wie und woher er sein Wissen hatte, blieb unklar.
      Wir sahen uns an und schließlich lächelte er, als sein Blick auf den Ordner fiel.
      „Immer am Arbeiten, hm?“
      „Die Arbeit macht sich eben nicht von alleine. Und hier habe ich Zeit und Muße.“ Ich nahm den Ordner an mich, bevor er auf den Gedanken kam, sich seinen Inhalt anzusehen. Ich wollte nicht, dass er etwas davon erfuhr und war deshalb doppelt dankbar, dass er noch mit dem Titel eines meiner Seminare beschriftet war.
      „Natürlich...“
      Mehr gibt es von diesem Besuch nicht mehr zu berichten. Zwischen Simon und Christian herrschte ein so komisches Klima, dass aus keinem der Beiden mehr eine ehrliche Antwort herauszubekommen war. Als sie gegangen waren, beschäftigte ich mich weiter mit dem Ordner, kam aber erst einmal zu wenig brauchbaren Ergebnissen.
      Diese bekam ich erst, als ich wieder zuhause war. Und oh, wie sollten sie das verändern, was ich bisher geglaubt hatte!
    • Dreifachpost - aber ich will es noch dieses Jahr beenden.
      Sollte jemand Logikfehler finden, grade Bescheid sagen...

      VIII

      Ich hatte Glück, was meine Verletzungen anging. Sie heilten schneller als erwartet und so entließ man mich auch bald nach Hause. Es erfolgte zwar noch eine Krankschreibung bis auf Weiteres, aber wenigstens konnte ich die Zeit in meinen eigenen vier Wänden absitzen und war mein eigener Herr. Natürlich verordnete man mir noch strikte Ruhe und wenig Anstrengung und war sehr bestrebt, in Nachuntersuchungen zu kontrollieren, ob alles nach Plan lief, aber im Großen und Ganzen konnte man mich als „entlassen“ bezeichnen, worüber ich sehr froh war.
      Was mich allerdings ängstigte war die noch ausstehende Konfrontation mit Simon. Wir hatten ausgemacht, dass er mich am Tage meiner Entlassung besuchen kam, um noch einmal über alles zu sprechen. Ursprünglich wollte er mich noch mehrmals besuchen, aber ich sagte ihm, er solle zunächst seine liegengebliebene Arbeit erledigen. Dies gab mir Gelegenheit mich auf alles vorzubereiten und das Ganze noch ein wenig länger vor mir herzuschieben.
      Nun war es soweit und ich wusste noch immer nicht, wie ich ihm gegenübertreten sollte. Ich hatte gehofft, die Unterlagen von Schwester Helbig würden mir Erleuchtung schenken, aber beim mehrmaligen Überfliegen hatte ich nichts Greifbares entdeckt. Ich hatte zwar ein ungutes Gefühl im Hinterkopf, konnte aber nicht festmachen, was es war, das mir komisch vorkam.
      In jenem Ordner befanden sich hauptsächlich Datensätze aus der Buchhaltung, Rechnungen, Überweisungen, Transaktionen, aber auf den ersten Blick erschienen sie wenig verdächtig und selbst mit meinem Vorwissen war es schwierig die richtigen Schlüsse zu ziehen. Jedoch hatte ich alles bisher überflogen und war nun dabei, es mir noch einmal genau anzusehen. Eine innere Stimme sagte mir, dass irgendwie in jenen Blättern die Antwort, die ich so lange suchte, verborgen sein musste. Oder zumindest ein weiterer Hinweis darauf. Es musste einfach so sein, immerhin war ich weit genug gekommen und hatte für den Besitz dieser Daten auch bezahlt. Wenn sie sich jetzt als nutzlos herausstellen würden...
      Bisher jedenfalls schien es so, aber noch warf ich die Flinte nicht ins Korn.
      Unruhig wanderte ich in meiner Wohnung hin und her. Meine Reisetasche, die man mir recht bald gebracht hatte, war schon wieder ausgepackt, das Telefon aus Anrufbeantworter gestellt und auch sonst gab es wenig, das ich noch erledigen konnte, bis Simon kommen wollte.
      Sowohl für die Nachforschungen an meinem „Fall“ als auch für meinen Beruf brauchte ich Zeit und Muße und beides hatte ich gerade nicht. So ruhte der Ordner auf anderen Papierstapeln unerledigter Dinger in Erics Arbeitszimmer. Ich schämte mich ja irgendwie, sein Arbeitszimmer dafür zu missbrauchen, musste aber insgeheim zugeben, dass es auch praktische Seiten hatte.
      Das Telefon klingelte und ich seufzte auf. Wie als hätte ich es geahnt! Ich ignorierte es und ließ den Anrufbeantworter wie geplant die Arbeit übernehmen. Jedes Telefonat das ich jetzt annahm würde in einem Desaster enden so angespannt wie ich war. Das Gerät schaltete sich ein und ich sah nur noch, dass es sich bei dem Anrufenden um Judith handelte. Die Ärmste! Sie hatte ich so lange vernachlässigt. Ich gelobte Besserung und wollte sie zurückrufen, sobald es mein Gemütszustand zuließ.
      Ich hatte gerade damit begonnen, in der Küche ein wenig für Ordnung zu sorgen, als es an der Tür klingelte. Nervös brach ich meine Aufräumbemühungen ab und öffnete.
      Wie zu erwarten, war es Simon gewesen, der die Klingel betätigt hatte und nun stand er mit einem riesigen Blumenstrauß vor mir und lächelte.
      „Artemis! Ich bin so froh, dass es dir wieder besser geht.“
      Mit diesen Worten drückte er mir die Blumen in die Hand und gab mir einen flüchtigen Kuss auf den Mund, den ich zaghaft erwiderte.
      „Danke Simon,“ brachte ich hervor und bat ihn dann, einzutreten, während ich die Blumen ins Wasser stellte. Als ich mich wieder zu ihm gesellte, die Vase auf den Couchtisch stellend, saß er bereits auf dem Sofa und sah mich erwartungsvoll und ein wenig traurig an.
      „Artemis, es tut mir so leid, was passiert ist. Es tut mir außerdem leid, dass ich auf der Tagung nicht häufiger Gelegenheit gefunden habe, mich bei dir zu melden. Kannst du dir vorstellen, wie geschockt ich war, als ich davon hörte?“
      Meine Augen formten sich zu Schlitzen.
      Wovon genau?“
      Er seufzte.
      „Ich sehe schon, du vertraust mir nicht mehr. Und ich muss gestehen, ich hätte es mir fast denken können. Reden wir doch nicht lange um den heißen Brei herum: Du bist nicht die Treppe hinuntergestürzt. Man hat versucht dich aus dem Weg zu räumen und du kannst deinem Herrgott danken, dass dieser Versuch misslang.“
      „Nunja Simon, wenn ich ehrlich sein soll, gibst du mir auch keinen Anlass, dir noch weiter zu trauen. Ich weiß nicht was du vor mir verbirgst, aber wie kommt es, dass du erstens von diesem kleinen Überfall weißt und zweitens offensichtlich doch besser darüber informiert bist, was wirklich passiert ist? Und warum hast du mir nichts davon gesagt.“
      Er ließ den Kopf hängen.
      „Ich wollte dir davon erzählen, bitte glaube mir. Aber ich hatte ja keine Ahnung, was passieren würde und schon gar nicht, dass du plötzlich auf die Idee kommen könntest, selbst Nachforschungen anzustellen. Dir hätte klar sein müssen, was passiert, wenn man dich erwischt und dass das passieren würde war vorauszusehen.“
      „Was hätte ich denn tun sollen? Bis zum Sankt Nimmerleinstag warten, bis du dich bequemst mir wieder Informationen zuzuspielen? Was genau weißt du überhaupt?“
      Er verzog das Gesicht schmerzlich.
      „Wieviel hast du durch deine kleine Aktion herausfinden können?“
      „Nichts,“ log ich, den Ordner wohlwissend verschweigend. Ich wollte ihm einfach nicht davon erzählen.
      „Dann fasse ich also zusammen: Du gehst in die Höhle des Löwen, um an Informationen zu kommen, findest nichts, machst stattdessen auf dich aufmerksam und jemanden nervös. Dieser jemand beschließt kurzerhand, dich aus dem Verkehr zu ziehen, was misslingt. Bist du jetzt weiter? Hat dir das irgendetwas gebracht, außer einer sprichwörtlichen blutigen Nase?“
      „Nein...“ gab ich gespielt kleinlaut zu. „Aber ich konnte die Untätigkeit nicht mehr ertragen. Es ist bald ein Jahr her, dass Eric starb. Inzwischen weiß ich definitiv dass es Mord war, weiß aber immer noch nicht wer dahintersteckte und warum. Und du bist auch nicht sehr hilfreich.“
      „Was erwartest du von mir? Ich kann und will es mir nicht leisten, auf mich aufmerksam zu machen. Du siehst ja jetzt wozu das führt.“
      „So, du willst sie also nicht auf dich aufmerksam machen. Und woher zum Henker weißt du dann überhaupt, dass ich nicht die Treppe herunterfiel?“
      „Hältst du mich für komplett bescheuert, Artemis? Ich bin Arzt und keiner deiner Laienfreunde. Erstens kannst du mir nicht ernsthaft erzählen, dass diese Verletzungen von einem Sturz herrühren, zweitens hat eine Schwester mir erzählt, dass du auf der Station warst und drittens kann ich eins und eins zusammenzählen. Du besuchst die fragliche Krankenstation und liegst kurz darauf im Krankenhaus? Das kann kein Zufall sein.“
      „Das erklärt immer noch nicht woher du weißt, dass ich überhaupt im Krankenhaus lag.“
      Er hob die Hand und versuchte mir über die Haare zu streichen, ich zuckte weg. Dann schüttelte er traurig den Kopf.
      „Ich habe mehrmals versucht dich anzurufen. Nie bist du ans Telefon und hast auch nicht zurückgerufen, daher habe ich irgendwann an deinem Arbeitsplatz angerufen und dort sagte man mir wo du bist.“
      Es stimmte dass noch einige Anrufe von ihm von meinem Telefon angezeigt wurden, nur auf den Anrufbeantworter gesprochen hatte er nicht mehr. Sollte ich mir all das nur eingebildet haben?
      „Es tut mir leid,“ flüsterte ich, die Tränen zurückhaltend und schmiegte mich an ihn. „Es tut mir so leid.“
      Er küsste mich zärtlich und legte den Arm um mich.
      „Es ist schon in Ordnung, Artemis. Mir tut es leid. Ich hätte dir sagen sollen, was ich weiß, bevor es dazu gekommen ist. Es ist kein Wunder, dass dein Vertrauen in mich angeknackst war. Du hast in den vergangenen Tagen und Wochen so viel zu verarbeiten gehabt, dass es ein Wunder ist, wie ruhig du all das immer noch hinnehmen kannst. Du bist eine so unglaublich willensstarke Frau. Es tut mir leid, dass ich eben so ungehalten wurde.“
      Ich schüttelte den Kopf.
      „Deine Reaktion ist verständlich. Immerhin habe ich mich dir gegenüber ziemlich verletzend verhalten.“
      Er strich mir erneut über das Haar und dieses Mal blieb ich ruhig sitzen. Meine Ratio fühlte sich beruhigt und fand keinen Fehler in seinen Erklärungen. Ein geringes Restmisstrauen blieb zwar noch bestehen, was dazu führte, ihm nicht von Schwester Helbig zu erzählen, aber ich führte es dennoch eher auf meine Paranoia zurück.
      So hörte ich ihm dann auch geduldig zu, wie er mir all das erzählte, was ich bereits wusste: Organhandel, Geld, Ruhm, Macht... Aber wer dahinter steckte, wer dafür bezahlen sollte, das sagte er mir nicht. Er sagte er wisse es nicht, und ich beschloss ihm zu glauben. Wer auch immer es war, er schien es zu verstehen, seine Identität zu verschleiern um dann andere an den Galgen zu liefern, aber das war nicht weiter verwunderlich.
      So nahm ich ihm also das Versprechen ab, mich von nun an auf dem Laufenden zu halten, wenn ich im Gegenzug dazu brav verhielt und er stimmte zu.
      Ich war nun – mit einer Ausnahme – also wieder genau da, wo ich war, als er abreiste: nämlich auf ihn angewiesen. Wie dem auch war, ich musste das durchstehen...

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    • Vierfachpost... xD"
      Und.... PARDAUZ!!! macht euch bereit für die Wahrheit Teil eins... *muahahaha*

      ... ich hatte ja das Wissen, dass es noch mehr gab. Ganz tief in mir drin.
      Trotz unserer Einigung und meinem geschwundenen Misstrauen verschwieg ich ihm vorerst zwei Dinge: das Kind und die noch nicht ausgewerteten Informationen. Beides würde er noch früh genug erfahren, aber ich hielt den Zeitpunkt noch nicht reif dafür.
      An jenem Abend geschah nicht mehr allzu viel zwischen uns. Ich sah wohl, dass er mich noch immer begehrte und dass ihm die vierzehn Tage, in denen er fort war, ziemlich lange vorgekommen sein müssen, aber er weigerte sich, mich anzufassen aus Rücksicht auf meine Verletzungen. Wenn ich ehrlich bin, war ich darüber nicht besonders unglücklich.
      Mir nämlich war überhaupt nicht danach, wobei ich nicht wusste, ob dies mit der Gehirnerschütterung, meiner Schwangerschaft oder meiner Paranoia zusammenhing, dass ich ihn nicht allzu nah an mich heranlassen wollte. Allerdings wollte ich mir an jenem Abend darüber keine Gedanken mehr machen und war einfach zufrieden dass er da war und sich um mich sorgte. Egal wie...
      In den nächsten Wochen hingegen sah das schon anders aus. Selbst als ich fast wieder gesund war, blieb meine Zögerlichkeit bestehen und das, ohne dass ich erklären könnte, woher sie letztendlich kam. So kam es, dass ich ihn irgendwann wieder näher an mich heranließ ohne es selbst zu wollen. Es war die Hölle, aber ich schluckte es.
      Schließlich wollte ich nicht, dass er etwas merkte.
      Das war die erste Hölle, die ich in diesen Wochen durchschritt. Die zweite war anderer Natur: sie zerstörte alles, woran ich jemals geglaubt hatte. Sosehr ich mich dagegen wehrte, ich hatte keine andere Wahl, als sie als gegeben zu akzeptieren, alle Indizien sprachen dafür.
      Als es mir gelungen war, den Ordner durchzuarbeiten, hatte ich tatsächlich etwas gefunden.
      Ich hatte nun die Wahrheit, sie lachte mir ins Gesicht – und sie lachte mich aus.
      Was mir schwarz auf weiß entgegenprangte war der größte Hohn, den ich mir schlimmer nicht hätte ausmalen können.
      Ich suchte so lange nach dem Mörder von Eric um dann festzustellen, dass dieser bereits unter der Erde lag: es handelte sich um Eric selbst, der der Drahtzieher hinter der ganzen Geschichte war. Seine Unterschrift und seine Kontonummer auf den verschiedenen Transaktionen bewiesen es wieder und wieder.
      Ich hatte gewusst, dass mir etwas an diesen Daten seltsam vorkam und nun wusste ich, was es war:
      Jener Mann, den ich aus vollem Herzen geliebt hatte, der mir so viel bedeutet hatte, hatte mich die gesamte Zeit aufs Schlimmste hintergangen! Belogen und betrogen... Ich kam mir so schäbig und benutzt vor und die Wut auf ihn stieg ins Unermessliche. Ich hatte mir so große Mühe gegeben, hinter das Geheimnis um seinem Tod zu kommen, um dann festzustellen, dass er selbst das Schwein hinter alledem gewesen war. Vermutlich war er seinen Mitwissern zu gierig und fordernd geworden, sodass sie ihn aus dem Weg schaffen wollten und nicht, wie er so scheinheilig noch versuchte Simon Glauben zu machen, hinter eine große Verschwörung gekommen. Vermutlich hatte er wirklich gewusst, dass etwas in dieser Art passieren könnte und hatte versucht, Simon auf seine Mitwisser aufmerksam zu machen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass ich niemals dahinterkommen würde.
      Jetzt ergab alles einen Sinn, auch Simons Zögerlichkeit. Er hatte schon länger davon gewusst, aber es verständlicherweise nicht übers Herz gebracht mir davon zu erzählen. Kein Wunder, dass er mir gegenüber nicht aufrichtig war, er wusste, was er mir damit antun würde.
      Aber nun war es zu spät: Nach so langer Zeit und so viel Mühe hatte ich endlich die Wahrheit. Nur was ich damit machen würde, wusste ich noch nicht so genau...

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    • ... Blubb...

      Die ersten Tage war ich wie betäubt. Es stellte sich ein ähnliches Gefühl ein, wie das, das ich direkt nach Erics Tod verspürt hatte, nur mit einer zusätzlichen Komponente: Ich fühlte mich benutzt, elend und leer. Diese Leere grenzte schon fast an Teilnahmslosigkeit und fiel sogar den Menschen auf, die mich nicht näher kannten. Ich versuchte mich zumindest bei der Arbeit zusammenzureißen, aber es fiel mir schwer. Was ich tat war das gezielte Verdrängen des Wissens, um zumindest noch einige Zeit davon verschont zu bleiben. Natürlich konnte das nicht funktionieren und so begann ich mich damit auseinanderzusetzen.
      Es war die Wahrheit und ich musste sie akzeptieren, egal wie unerwartet sie auch kam. Ich konnte nichts finden, was dem was mir vorlag in irgendeiner Weise widersprach, also kam ich nicht umhin, es zu akzeptieren, egal wie sehr es mich auch schmerzen mochte. Ich wollte die Wahrheit – ich bekam die Wahrheit. Und nun war es Zeit, einen Schritt weiterzugehen: Was am Uniklinikum geschehen war, war noch immer illegal. Ich würde also all die Beweise, die ich hatte, nehmen, mit Simons Hilfe noch einmal durchforsten und das Ganze an die Staatsanwaltschaft geben, damit diesem Treiben ein für allemal ein Ende bereitet würde.
      Das würde mich Kraft kosten, sehr viel Kraft, aber letztendlich würde ich es durchstehen. Ich hatte ja genug Menschen, die mir dabei halfen.
      Der nächste Schritt war weniger einfach und eher privater Natur: Es stand noch aus meine Eltern und Simon über meine Schwangerschaft aufzuklären. Ich wollte mich nicht rechtfertigen dafür, aber eine Erklärung war ich ihnen schuldig, auch auf die Gefahr hin, auch sie zu enttäuschen. Zudem hatte ich noch eine andere Idee gefasst, die mir, je länger ich darüber nachdachte, am allerbesten erschien: Ich dachte an eine Heirat mit Simon.
      Das Kind brauchte immerhin einen Vater und ich jemanden, an den ich mich anlehnen konnte. Er hatte sich als jemand herausgestellt, der diese Aufgabe gut und gerne erfüllte und mir im Nachhinein sehr behilflich gewesen war, auch wenn ich es falsch interpretiert hatte. Es war immer wieder erschreckend, wozu Missverständnisse führen konnten...
      Ich hatte bald nach meiner Entdeckung von Erics Schuld mit ihm darüber gesprochen und er war sofort gekommen, um mir zur Seite zu stehen. Zudem bestätigte er alle meine Vermutungen und war auch bereit, mir zu helfen, wenn ich den Fall an die Staatsanwaltschaft abgab.
      Nur eben jene eine Sache war noch zu klären, etwas das ich gerne vor Weihnachten noch hinter mich gebracht hätte. So rief ich ihn an und bat ihn zu kommen.
      Als er unter der Tür stand, fielen alle Schuld- und Ekelgefühle, die ich ihm gegenüber jemals hatte von mir ab. Ich sah nur Aufrichtigkeit in seinen Augen und war überzeugt das Richtige zu tun...
      „Simon, bitte komm herein, wir müssen reden...“
      „Um Himmels Willen, Artemis, es ist doch nichts passiert.“
      „Wie man es nimmt. Bitte komm herein und setz dich...“
      Er tat wie geheißen und als wir uns zum ungezählten Mal auf meinem Sofa wiederfanden, sah er mich neugierig und besorgt an. Ich senkte den Blick.
      „Ich habe nachgedacht und muss zugeben, es war nicht leicht für mich.“
      Behutsam strich er über meinen Rücken.
      „Natürlich war es nicht leicht für dich, Artemis. Das war ein herber Schlag für dich und es tut mir leid, dich nicht besser darauf vorbereitet zu haben. Ich konnte ja nicht ahnen, dass Schwester Helbig dir diese Daten zukommen ließ. Aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, glaube ich, es war ohnehin das Beste. Du bist eine mündige Frau und verdienst es, dir deine Urteile selbst zu bilden.“
      Tränen rannen meine Wangen herunter und ich nickte. Sanft wischte er sie fort und küsste mich auf die Wange.
      „Wir haben zwar bereits darüber gesprochen, aber ich möchte dich dennoch noch einmal um Verzeihung bitten, dass ich es dir nicht gesagt habe.“
      „Ich verstehe deine Motive jetzt. Mir tut es leid, dir misstraut zu haben und zwar bis zum Schluss. Es muss auch für dich ein schwerer Schlag gewesen sein.“
      „Glaub mir, das war es.“
      „Wer hätte ahnen können, dass Eric tatsächlich hinter allem steckte... aber wer ihn zur Strecke brachte weiß man bis heute nicht, oder?“
      „Ich denke, das wird man beim Prozess herausfinden. Aber spielt es noch immer eine so große Rolle für dich?“
      „Ich weiß nicht. Irgendwie schon, auch wenn ein kleiner Teil von mir inzwischen denkt, es sei egal. Irgendwie hat er seine gerechte Strafe erhalten. Ach Simon ich weiß nicht mehr, was ich denken soll.“
      „Ich glaube das ist normal... Artemis, ich kenne Leute die bereits unter geringerem psychischen Druck zusammenbrachen. Aber nicht du. Du stehst noch immer aufrecht.“
      „Tue ich das wirklich? Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts mehr, außer, dass es vermutlich besser ist, die Vergangenheit ruhen zu lassen...“
      „Das ist vermutlich erst einmal das Beste...“
      „Wie dem auch sei...“ Ich versuchte mich zu fassen. „Das wollte ich nicht mir dir besprechen. Hör zu, bevor ich sage, was ich zu sagen habe, möchte ich dich wissen lassen, dass du keine Verantwortung für irgendetwas übernehmen musst, wenn es nicht deinem Wunsch entspricht. Du bist frei zu gehen, denn ich hatte niemals vor, etwas gegen deinen Willen zu unternehmen.“
      Er nickte und blickte mich aufmerksam an, was mich ermunterte fortzufahren.
      „Simon, ich bin schwanger. Von wem brauche ich wohl kaum zu sagen.“
      Er verzog das Gesicht zu einem äußerst seltsamen, fast selbstzufriedenen Lächeln und sah mich an.
      „Ich weiß.“
      Bevor ich weiterreden konnte, meine Überraschung zum Ausdruck bringen, legte er behutsam eine Hand auf meinen Mund.
      „Woher ich das weiß? Als du im Krankenhaus warst, sah ich mir deine Akte durch. Dort war es vermerkt. Ich wartete nur noch darauf, wann du es mir selbst sagen würdest, wollte dich aber nicht drängen, da ich wusste, in welcher Situation du dich befandest.“
      „Und es stört dich nicht?“
      Er umarmte mich.
      „Sollte es das? Nein Artemis, ganz gewiss stört mich das nicht. Und im Stich lassen werde ich dich erst recht nicht. Im Gegenteil, seit ich wusste, dass du mein Kind trägst, habe ich gewartet, wann du es mir sagen wirst, damit ich dich fragen kann, was mir schon so lange auf der Zunge brennt: Willst du meine Frau werden?“

      Nunja. An dieser Geschichte könnte meine Geschichte eigentlich aufhören. Das Rätsel um Erics Tod gelöst, das Happy End mit Simon sicher und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage... leider ist meine Geschichte kein Märchen, sondern die harte Realität.
      Es wäre zu schön gewesen endlich zur Ruhe zu kommen, nachdem es uns gemeinsam gelungen war, die beteiligten Mediziner hinter Gitter zu bringen. Immerhin hatte es uns beide viel Kraft gekostet, diesen Schritt endlich zu gehen.
      Ich war fest davon überzeugt, mein Leben wieder in den Griff zu bekommen, immerhin war ich gerade dabei eine neue Familie zu gründen, mit einem neuen Mann, der sich um mich und um das heranwachsende Kind kümmerte und auch von meinen Eltern erstaunlich gut aufgenommen wurde, so dass ich mir die hässlichen Details weitestgehend hatte sparen können.
      Aber wie bereits gesagt: Ich war niemals dafür bestimmt, in einem Märchen zu leben...
    • Tja... wie soll ich es sagen... ich bin fertig. Das hier ist der letzte Post.

      IX – Christian

      Wir erinnern uns: Simon hatte mich gefragt, ob ich seine Frau werden wollte und ich sagte ja. Nicht weil ich ihn liebte – ich hatte den Glauben an die Liebe schon lange verloren – sondern weil ich ihn schätzte, weil ich glaubte, ihm damit entgegenzukommen und weil ich glaubte, es wäre besser für mein Kind, wenn es einen Vater hatte.
      Wir standen den Prozess durch und brachten die Übeltäter gemeinsam hinter Gitter, auch wenn es eine weniger befriedigende Erfahrung war, als ich mir gewünscht hatte. Dennoch war ich wenig überrascht, Thorwald darunter zu finden. Es passte alles zusammen, aber außer ihm wurden noch fünf andere verurteilt.
      Wir heirateten. Wir zogen zusammen.
      Wie gesagt: Hier könnte die Geschichte zu Ende sein. Aber hier begann sie erst.
      Es war ein Abend Ende Juni und trotz der Tatsache, dass es eigentlich Sommer sein sollte, war es erstaunlich kalt und regnerisch. Ich war inzwischen hochschwanger und seit drei Wochen im Mutterschaftsurlaub, den man mir zwangsweise auferlegt hatte. In den letzten Monaten hatte ich fast wieder meine alte Begeisterung für meinen Beruf wiedergefunden und empfand es fast als Strafe, ihn für eine Weile nicht ausüben zu dürfen – so ändern sich die Zeiten. Irgendwie hatte fast zeitgleich mit dem Enden des Prozesses eine innere Ausgeglichenheit eingesetzt, wie als hätte ich mich tatsächlich mit alledem abgefunden, so unglaublich es auch war. Ich hatte jetzt einen neuen Partner und bald auch eine Familie, um die ich mich zu kümmern hatte, Grund genug nach vorne zu blicken und all das Hässliche hinter mir zu lassen.
      Simon war nicht zuhause, weil es offensichtlich noch einiges zu besprechen gab und so verbrachte ich den Abend alleine mit mir, meinem immer ungeduldiger um sich boxenden Kind und einem Buch. Wenn die Ultraschallaufnahmen nicht täuschten, so würde ich bald die Mutter eines kleinen Jungen sein, für den ich bislang jedoch noch keinen Namen gefunden hatte. Jegliche Debatte mit Simon endete in wilden Auseinandersetzungen, mochte er meine Vorschläge nicht und umgekehrt. So hatten wir das Thema immer weiter verschoben...
      Ich strich darüber und flüsterte: „Schon in Ordnung. Bald kommst du hier raus.“ Das Boxen hörte auf und ich lächelte. Dann setzte ich mich hin und wollte anfangen zu lesen.
      Erstaunt stellte ich fest, das falsche Buch gegriffen zu haben und stand seufzend auf um es auszutauschen. Auf dem Weg zu meinem Schreibtisch, wo ich das eigentliche Buch vermutete kam ich an Erics ehemaligem Arbeitszimmer vorbei, das jetzt von Simon okkupiert wurde. Die Tür war leicht angelehnt und so hörte ich das Rauschen, das ein eingeschalteter Computer von sich gibt.
      Hatte er etwas vergessen seinen Computer auszuschalten?
      Langsam betrat ich den Raum und tatsächlich, er wurde durch das bläuliche Licht des Monitors erhellt. Was ich dann tat, war und das gebe ich unumwunden zu, nicht richtig von mir. Ich weiß nicht, aus welchem Impuls heraus ich es dennoch tat. Misstrauen? Neugierde? Nichts davon? Beides?
      Jedenfalls setzte ich mich vor den Rechner und durchsuchte ihn.
      Ich war mit dem Vorsatz hingegangen, das Gerät auszuschalten, aber nachdem ich die einmalige Gelegenheit hatte, Simons Rechner zu bedienen, ohne dass er anwesend war, konnte ich nicht widerstehen. Das war nicht rechtens, aber das interessierte mich nicht.
      Den größten Teil der Daten machten irgendwelche Briefe aus, sowie Tabellen und Präsentationen. Er hatte auch einige Fotos und andere Programme, aber die waren eher nebensächlich.
      Aus reinem Interesse gab ich in die Suchmaske den Begriff Eric ein. Simon hatte wenig darüber gesprochen, inwieweit ihn diese ganze Geschichte bewegt hatte und es interessierte mich nun doch, ob er sich irgendwie anderweitig damit auseinandergesetzt hatte.
      Es dauerte ein wenig, bis die ersten Treffer angezeigt wurden und als ich auf das erste Dokument klickte um es zu öffnen, dämmerte mir langsam was auf mich zukam.
      In meinem Kopf zerplatzte etwas, um es poetisch auszudrücken: die Illusion einer heilen Welt.
      Aus irgendeinem Grund hatte Simon genau über Erics Bewegungen buchgeführt, angefangen mit dem Kongress, auf dem wir alle waren. Das Ganze endete mit seinem Tod.
      Hektisch suchte ich weiter, durchklickte Dokument nach Dokument und war am Ende verwirrter als zuvor.
      Laut meinen Unterlagen war Eric der Drahtzieher gewesen, aber Simon war bei weitem nicht so unschuldig wie er mir hatte glauben machen wollen. Auch er steckte ganz tief mit in diesem Sumpf, das wurde mir immer deutlicher...
      Wie Trance klickte und las ich immer weiter. Nein, es gab keinen Zweifel mehr daran: Simon war keineswegs unschuldig.
      Apathisch schaltete ich den Computer aus und setzte mich ins Wohnzimmer um auf ihn zu warten.
      Mein Kopf schwamm und ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Eigentlich hätte ich etwas spüren müssen... Enttäuschung... Wut... Bestürzung... irgendetwas.
      Ich spürte nichts, gar nichts. Mein Kopf kam mir vor, wie in Watte gepackt, wie als wäre ich betäubt. So saß ich da, bis ich Simons Schlüssel im Schloss gehen hörte.
      Er kam ins Wohnzimmer und sah mich bestürzt an.
      „Artemis! Wie siehst du denn aus. Hast du einen Geist gesehen?“ Er wollte sich neben mich setzen, aber mit einer abweisenden Geste hielt ich davon ab.
      „Mehrere,“ entgegnete ich tonlos und sah ihn an. „Einer davon heißt Eric. Ich habe ihn sehr geliebt.“
      „Artemis? Geht es dir gut?“
      „Mir geht es wunderbar. Die Frage ist, wie geht es dir? Wie fühlst du dich in der Rolle, mich nach Strich und Faden hintergangen zu haben?“
      Ich stand auf und sah ihn durchdringend an.
      „Warum, Simon, warum?“ Seltsamerweise wurde ich nicht laut.
      Etwas in seinem Gesichtsausdruck änderte sich von jetzt auf nachher. Sein fürsorglicher Blick wich reiner Kälte.
      „Du bist also dahintergekommen. Tja, ich schätze ich habe dich unterschätzt.“
      „Dein Computer war noch eingeschaltet...“
      „Dumme, dumme Artemis...“ Er lachte verächtlich. „Du hast überhaupt keine Ahnung oder? Nun gut, jetzt spielt es auch keine Rolle mehr.“ Unsanft stieß er mich auf die Couch zurück. Ich ließ es geschehen. „Dass ich ausgerechnet darüber stolpern sollte, nachdem alles so perfekt geklappt hat. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass du so neugierig bist. Wie dem auch sei: Du fragst warum. Das werde ich dir gerne verraten:
      Ich hatte es geschafft mir mein hübsches Organhandelimperium aufzubauen, ohne dass Eric etwas davon merkte. Der gutgläubige Idiot hat mir so vertraut, genau wie du. Das war kein Problem. Ich konnte ihn wunderbar benutzen für alle möglichen Transaktionen und andere Dinge. Und ich muss sagen, ich und meine werten Kollegen, die jetzt im Gefängnis sitzen haben gut daran verdient.
      Das ging gut, bis er merkte, dass mehr dahintersteckte. Du hast die Mail ja gelesen. Ich wusste nicht, woher er so plötzlich Bescheid wusste, vielleicht war er ja endlich aufgewacht, aber ich musste handeln und zwar schnell. Und zwar möglichst so, dass es ihm nicht gelang zu bemerkten, wer der Drahtzieher hinter alledem ist. Also wurde er auf diese Konferenz hübsch aus dem Weg geräumt. Ich muss sagen sie haben sauber gearbeitet auch ohne meine Anwesenheit. Aber leider nicht sauber genug, sonst wärst du ja nicht misstrauisch geworden. Und damit war alles gefährdet. Ich musste unter allen Umständen verhindern, dass du zur Polizei gingst und so nahm ich das alles in meine eigene Hand. Die Krönung war immer noch, Schwester Helbig mit den gefälschten Papieren zu dir zu schicken und du hast es wirklich geschluckt. Aber leider ist Thorwald der Dilettant in Panik geraten als du auftauchtest und schickte das Überfallkommando. Zum Glück ist nicht mehr passiert, denn dein Verschwinden hätte uns in größere Schwierigkeiten gebracht, als es dein kleiner Besuch jemals hätte bringen können. Trotzdem, es war für mich langsam an der Zeit, all das zu beenden, bevor es ernsthafte Schwierigkeiten geben könnte und darum habe ich dir auch dabei geholfen sie alle hinter Gitter zu bringen. Alle bis auf mich. Warum sie mich nicht verpetzt haben? Sagen wir einfach ich habe Mittel und Wege...“ Er lachte und mir gefror das Blut in den Adern. Das war nicht wahr.... das konnte nicht wahr sein.
      „Du... du hast Eric sterben lassen nur für deinen Profit? Er war dein Freund, Simon!“
      „Freund ist ein so dehnbarer Begriff... aber nicht nur für meinen Profit. Es gab etwas anderes, wofür ich ihn auch getötet hätte und das warst du.
      Oh Artemis, glaubst du nicht, dass ich Bescheid wusste, über das kleine Spiel das du mit mir zu spielen versuchtest? Ich hatte zu keinem Zeitpunkt ein schlechtes Gewissen. Du wolltest dich ja geradezu von mir benutzen und demütigen lassen. Ich weiß sehr wohl, dass es dir öfter wehtat als du sagen wolltest, na und? Du wolltest es ja offensichtlich nicht anders. Und immer warst du bemüht es mich nicht wissen zu lassen... Du bist eine so schlechte Lügnerin und hast dich mir dabei sosehr untergeordnet. Ich wäre ja dumm gewesen, das nicht anzunehmen. Du bist begehrenswert und es tut mir fast leid, dass du den Morgen nicht mehr erleben wirst...“
      Jedes Wort war wie eine Ohrfeige, die mich immer tiefer in die Couch zurückpresste. Ich sackte regelrecht zusammen, spürte wie die Kraft aus mir mich. Ich hatte keine Kraft mehr, mich zu wehren, zu kämpfen. Er wollte mir das Leben nehmen? Ich würde ihn nicht aufhalten... dazu war ich zu schwach, geschlagen, am Boden... Die Grenze dessen, was ich ertragen konnte war überschritten...
      „Dein.... dein Kind?“ brachte ich gerade noch hervor.
      Er zuckte mit den Achseln.
      „Es ist dein Kind, Artemis. Dass ich der Vater bin, ist nicht mein Problem. Das Schicksal ist nie gerecht.“
      Ich blieb gelähmt sitzen, als er in die Küche ging, kurz hantierte und mit einem Wasserglas zurückkehrte, das er mir in die Hand gab.
      „Trink!“
      Ich gehorchte. Nicht weil ich nicht wusste, dass in diesem Glas etwas war, das mich töten würde, sondern weil ich keinen Sinn mehr darin sah, weiterzumachen. Ich war schlussendlich hinter sein Geheimnis gekommen, damit hatte sich mein Lebenszweck mehr oder weniger erfüllt... Alte Wunden brachen auf, aber ich hatte keine Tränen mehr. Die Flüssigkeit rann meine Kehle hinunter...
      Fast behutsam nahm er mir das Glas aus der Hand.
      „Es wird nicht wehtun, versprochen. Ich werde allen sagen, es war Selbstmord. Dass du psychisch labil warst, wissen die meisten und ist auch kein Wunder. Es tut mir wirklich leid, aber mein Geheimnis möchte ich gerne wahren. Es gibt hübschere Plätze als im Gefängnis... Auf Wiedersehen Artemis....“
      Seine Stimme vernahm ich nur noch aus der Ferne und dann wurde alles schwarz...

      Ich bin nicht gestorben. Aber ich lebe auch nicht mehr.
      Ich weiß nicht, wie es ist tot zu sein, aber wie es ist zu leben, weiß ich auch nicht mehr.
      Es entzieht sich meiner Kenntnis, wie lange ich bewusstlos war, aber erneut wachte ich in einem Krankenhaus auf. Die grellen Lichter, der Geruch... es wurde zur Gewohnheit.
      Das erste, was ich spürte, war eine Leere, nicht nur eine psychische, sondern auch eine physische.
      Ich setzte mich auf.
      „Mein Kind!“
      Ein Ruf:
      „Artemis! Oh Gott, du lebst..... Ich hatte schon solche Angst, dass du nicht mehr aufwachen wirst...“
      Christians Stimme... Ich sank zurück in die Kissen. Dann spürte er, wie er meine Hand ergriff und drückte.
      „Du lebst... ich bin so dankbar...“
      Ich drehte den Kopf zu ihm um.
      „Mein Kind?“
      „Es ist gesund und lebt. Sie haben es per Kaiserschnitt auf die Welt gebracht, weil sie nicht wussten, wie es um dich steht.“
      „Ich wünschte ich wäre tot.“ Tränen rannen mir die Wangen hinunter.
      „Wie kannst du so etwas sagen? Es gibt so viele Menschen die dich brauchen, ich, deine Freunde, dein Kind...“
      „Niemand braucht mich. Ich bin nutzlos und dumm...“ Ich vergrub den Kopf in den Kissen in der Hoffnung, dass es vergehen würde. Vielleicht würde ich sogar aufwachen und war nur ein böser Traum?
      Er strich mir über die Haare.
      „Ich brauche ich wirklich...“
      Dann ging er und benachrichtigte die Schwester, dass ich endlich aufgewacht war, offensichtlich war ich mehrere Tage weggetreten gewesen. Ich lernte, dass er mir noch ein paar Bücher zurückbringen wollte und die Polizei verständigt hatte, als ich nicht reagiert hatte, immerhin hatte er es ja mit mir ausgemacht. Dunkel erinnerte ich mich daran, dass dem wohl so war.
      Was sollte ich sagen? Er hatte mich zurückgeholt in dieses erbärmliche Leben. Ich würde wieder gesund werden und dann das Kind des Mörders von Eric großziehen...
      Es wäre besser gewesen, ich wäre niemals wieder erwacht. Ich hatte keinen Willen mehr, weiterzuleben. Alles schien mir vergänglich und nutzlos und ob ich dieses Kind jetzt noch einmal lieben konnte, wusste ich nicht.
      Ich hatte die Wahrheit gefunden, aber um welchen Preis?
      Eine der grundlegenden Fragen des Lebens wird wohl immer die Folgende sein: Hättest du gewusst, was kommt, hättest du dann anders gehandelt? Ich kann über so etwas nur lachen. Hätte der Mensch die Möglichkeit, in die Zukunft zu sehen, würde uns einer der interessantesten Aspekte unseres Lebens fehlen. Viele Dinge, die in dem Moment, in dem sie geschehen, richtig erscheinen, stellen sich hinterher als Fehler heraus und umgekehrt... warum sich also damit belasten?
      Es ist recht erstaunlich, wie schnell sich das gesamte bisherige Leben als eine Lüge herausstellen kann und man sich fragt, wie man es jemals ausgehalten hat, so sein Dasein zu fristen. Was liegt also näher, als nicht darüber nachzudenken? Der Mensch verfügt über ein unglaubliches Talent in dieser Hinsicht und das dient nur seinem eigenen Schutze.
      Wenn ich jetzt auf mein Leben blicke, sehe ich nur noch Vernichtung, wo ich früher Erfolg und Glück erspäht hatte, doch diese Zeiten sind endgültig vorbei. Ich habe meine Lektion gelernt, meine Erkenntnis gehabt. Die Vergangenheit lässt sich nicht ändern und kein Mensch verzichtet freiwillig darauf, glücklich zu sein, nur weil dies möglicherweise in der Zukunft sein gesamtes Leben zerstören könnte. Auf der anderen Seite, ich habe nichts mehr zu verlieren und wenn sie kommen, dann will ich vorbereitet sein.
      „Sie“, damit meine ich die Polizeibeamten, die sicher kommen werden, um den Fall zu untersuchen. Ich werde ihnen helfen, Simon zu fassen. Vielleicht gelingt es ihnen, vielleicht nicht... Für mich spielt das keine Rolle mehr.

      Die Tür öffnet sich und Christian tritt zärtlich lächelnd mit einem Baby im Arm an mein Bett. Es ist ein kleiner Junge, ein Sohn und in dem Moment, in dem ich ihn sehe, weiß ich, dass ich ihn lieben kann. Ich nehme ihn entgegen und lege ihn an meine Brust.
      Dann sehe ich in Christians Augen.
      „Wie soll er denn heißen?“
      „Eric,“ sage ich.

      Ende


      Nun hätte ich doch noch einige Fragen an meine (manchmal stummen) Leser:

      1) Wie hat euch die Geschichte im Großen und Ganzen gefallen? Ehrliche Kritik fände ich toll. :)
      2) Bestünde unter Umständen Interesse an einer Fortsetzung?
      3) Sonstige Anmerkungen sind auch immer willkommen... (beispielsweise Vorhersehbarkeit... Kürze... Verständlichkeit... Logikfehler... etc.)

      Danke fürs Lesen und an die Kommischreiber... :knuddel:

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    • So, ich versuchs mal~ xD

      Schreibstil find ich wie gesagt an sich gut, hab nur beim nochmaligen Drüberlesen ein oder zwei Kleinigkeiten gefunden, die man vielleicht schöner hätte ausdrücken können.
      Um mal ein aktuelles Beispiel zu nennen: "Wir erinnern uns" - das erinnert mich etwas sehr an die "Was bisher geschah"-Sätze aus 80er-Jahre-Zeichentrickserien. xD; Da wär vielleicht eine etwas weniger direkte Einführung besser gewesen...

      Von solchen Kleinigkeiten abgesehen aber sehr gut.
      Charas an sich sympathisch, ich mochte Artemis jedenfalls. ^^


      Inhaltlich auch, allerdings ist mir der Schluss doch irgendwie sehr aprupt. Zwar is die Idee, dass Simon schlussendlich der größte aller Mistkerle ist, ist zwar soweit gut, aber es geht so... schnell. Vor allem ist man als Organhändler eigentlich sicher nicht so blöd, all seine Aufzeichnungen so offensichtlich auf einem offen zugänglichen Computer zu speichern. Schon gar nicht in Zeiten der Vorratsdatenspeicherung. :D Das lässt ihn leicht unprofessionell wirken. ^^"

      Das offene Ende mag ich soweit eigentlich so, wie es ist, nur halt ist die Story an sich nicht sehr lang. Bin mir jetzt selbst nicht sicher: Lange Kurzgeschichte oder kurzer Roman? xD


      (Ja, man kann draufklicken)
    • @ Ulyaoth: *rumfreu* Danke für das ehrliche Review. :)

      Schreibstil: Ich weiß, manchmal bin ich zu direkt und wiederhole mich. Ich gedenke das beim Korrekturlesen nochmals zu überarbeiten...

      Charas: Ich mochte Artemis auch... xD"


      Inhaltlich auch, allerdings ist mir der Schluss doch irgendwie sehr aprupt. Zwar is die Idee, dass Simon schlussendlich der größte aller Mistkerle ist, ist zwar soweit gut, aber es geht so... schnell. Vor allem ist man als Organhändler eigentlich sicher nicht so blöd, all seine Aufzeichnungen so offensichtlich auf einem offen zugänglichen Computer zu speichern. Schon gar nicht in Zeiten der Vorratsdatenspeicherung. :D Das lässt ihn leicht unprofessionell wirken. ^^"


      *hust* *husthust* Ich dachte mir selbst auch, dass es etwas zu schnell geht, aber irgendwie gab es nichts mehr was ich dazwischen hätte schreiben sollen... Außer künstlichen in-die Länge-Ziehern..

      Und das mit dem Computer... X( Du hast so recht... ich glaube Simon wollte irgendwie, dass sie dahinterkommt... Nein ernsthaft. Dieser Teil sitzt mir auch am wenigsten glatt, aber mir ist einfach keine geeignete Alternative eingefallen. *schäm* :rolleyes:

      Das offene Ende mag ich soweit eigentlich so, wie es ist, nur halt ist die Story an sich nicht sehr lang. Bin mir jetzt selbst nicht sicher: Lange Kurzgeschichte oder kurzer Roman? xD


      Der Einwand ist berechtigt... Ich war mir da auch nicht so sicher, plädiere aber bei 85 Seiten in Word eher für einen kurzen Roman. :3