Nachteule

    • Es hat mich einfach so überkommen... und nun habe ich eine meiner wenigen Kurzgeschichten fabriziert...
      Bitte fragt mich nicht nach meiner Inspiration, es würde recht lange dauern, das zu erklären.
      Naja, have fun anyway... und ich bin für jede Kritik dankbar...

      Nachteule

      Die Straßenbahn ist wie immer überfüllt, aber daran habe ich mich bereits gewöhnt. Ich fahre diese Strecke inzwischen jeden Tag, genau wie viele Leute mit mir - der berühmte Berufsverkehr eben. Manchmal kommt mir das Gedränge anheimelnd vor und ich fühle mich geborgen, meistens jedoch ist es genau anders herum. Dann habe ich das Gefühl zu ersticken und laut zu schreien, schrecke im letzten Moment jedoch noch einmal zurück.
      Heute ist wieder so ein Tag und das, obwohl ich noch einen Sitzplatz ergattern konnte - einen der letzten.
      Es ist ein regnerischer Tag und trotz der Kälte durchdringt die Feuchtigkeit Mark und Bein und ist durch die Kleider und Schirme meiner Mitpassagiere auch bis in den Waggon gedrungen. Ich schlinge die Arme um meinen durchnässten Körper und bibbere.
      So erschöpft war ich selten nach einem Arbeitstag und ich wundere mich über mich selbst. Energisch schiebe ich eine durchweichte Haarsträhne zurück an ihren Platz und versuche mich ein wenig aus meiner verkrampften Sitzhaltung zu lösen.
      Die Woche hatte so ausnehmend gut angefangen und nun habe ich das Gefühl, mein gesamtes Leben liegt in Trümmern vor mir.
      Oh, ja... ich war so erfolgreich! Eine richtige "Karrierefrau", wie es heute so gerne heißt. Von vielen belächelt und von genauso vielen bewundert.
      Aber war das alles wirklich genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte? Ich bin nicht mehr ganz jung und rückblickend muss ich feststellen, öfter verletzt worden zu sein, als ich es mir jemals träumen ließ.
      Ja, ich habe meine Examina bestanden und sogar mit einem guten Abschluss promoviert. Aber es kommt noch besser: es gelang mir, mich an der Universität zu etablieren und eine feste Anstellung als Professorin zu ergattern. Ich war fortan in der Forschung und der Lehre tätig und das wohl nicht zu knapp. Grund genug, sich zu freuen, nicht wahr?
      Ich hatte nie viel Geld, das meiste was ich erreicht hatte, verdanke ich großzügigen Menschen und jeder Menge Stipendien.
      Kaum hatte ich mit der Arbeit begonnen, verstarb meine Mutter und kurz darauf, wohl aus Kummer mein Vater. Das meiste, was sie mir allerdings hinterließen, waren Schulden - Schulden an denen ich heute noch zu zahlen habe und das acht Jahre später.
      Auch wenn es mich einiges an Kraft kostete, mich um die ganze Angelegenheit zu kümmern, fand ich immer noch Halt in meiner Arbeit, die mir je mehr Probleme ich hatte, doch immer als eine geeignete Flucht vor der Realität schien.
      Ich ertappte mich dabei, in meinem Büro über einem Stapel dicker Wälzer einzuschlafen, anstatt nach Hause in meine Zweizimmerwohnung zu gehen und am nächsten Tag gespenstisch und übernächtigt durch die Flure der Institute zu geistern und sowohl Studenten als auch Kollegen mit meinen Augenringen und zerzausten Haaren in Angst und Schrecken zu versetzen. Nicht lange darauf hatte ich den Spitznamen "Nachteule" inne, was ich teils mit Wut und teils mit Belustigung zur Kenntnis nahm.
      Mit diesem Spitznamen kam auch mein Ruf als wunderliche Frau, die zwar jede Menge Ahnung auf ihrem Wissensgebiet hatte, jedoch von den Dingen der Welt nicht viel verstand.
      Ich scherte mich nicht darum und bis auf gelegentliche Auswüchse von Nostalgie störte mich meine Lebensweise auch nicht.
      Ich hatte das Gefühl es gäbe so viel Neues zu entdecken, dass mir ein potentieller Partner niemals, oder zumindest kaum in den Sinn kam.
      Bis auf einige, jedoch in den letzten Jahren immer seltenere Barbekanntschaften, blieb ich alleine, zahlte meine Schulden und forschte.
      Dann trat er in mein Leben. Er war Gastdozent einer anderen Uni und verstand noch mehr von meinem Fach, als ich mir das jemals hätte träumen lassen, was vielleicht auch daran gelegen haben mag, dass er zwanzig Jahre älter war als.
      Natürlich ging er genauso schnell wieder, wie er gekommen war, zurück zu seiner Frau und seinen zwei Kindern.
      Er ließ mich gleichermaßen alleine zurück, wie ich vor seiner Ankunft gewesen war, nur mit dem Unterschied, dass ich nun eine Leere spürte, die vorher nicht da gewesen war.
      Ein Wort hatte das andere gegeben und ich wusste, ich hatte nie die Chance gehabt, ihn zu halten. Wir hatten uns leidenschaftlich geliebt und erst dann hatte ich bemerkt, wie sehr ich doch all die Jahre nach Liebe gehungert hatte. Liebe die er nie bereit gewesen war, mir zu geben.
      Das war vor eineinhalb Monaten gewesen.
      Die Woche hatte so gut angefangen - ich war gerade dabei ihn zu vergessen, doch ich fürchte nun wird es mir nie wieder gelingen.
      Ich trage sein Kind und tief in mir drinnen weiß ich, ich muss es behalten.
      Die kauzige Nachteule wird wohl in den nächsten Monaten für einige Überraschungen sorgen, aber wohl ist mir bei dem Gedanken noch immer nicht. Ich seufze und lehne mich zurück...
      Die Straßenbahn rattert weiter ihrem Ziel entgegen und ich betrachte die Regentropfen, die an den Fenstern ihre Spuren ziehen...
      Ich werde es ihm nicht sagen.

      FINIS

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    • Hmm... Sehr hübsch, lässt sich gut lesen. Die Pointe (der Liebhaber, das Kind) kommt aber fast etwas zu spät für einen so kurzen Text, ich hätte fast wieder vorher aufgehört, weil ich dachte, da passiert eh nichts mehr. ^^;

      Irgendwie find ich das ziemlich traurig. .__.
      Næhmachinery
      Premonitions in the rising wind; tonight the stars will fall.
      The world in a cyclone, pouring out.
      No escape, but hey, who cares? Just go with the flow.
    • Original von FoWo
      Hmm... Sehr hübsch, lässt sich gut lesen. Die Pointe (der Liebhaber, das Kind) kommt aber fast etwas zu spät für einen so kurzen Text, ich hätte fast wieder vorher aufgehört, weil ich dachte, da passiert eh nichts mehr. ^^;

      Irgendwie find ich das ziemlich traurig. .__.


      Ein Review, ein Review... *hops*
      Ich habe es mir gerade nochmals durchgelesen und ich glaube, du hast recht, es kommt einen Tick zu spät..
      Hab den Text aber selber etwas nachteulig geschrieben (zwischen 2.00 und 3.00 Uhr...) - da leidet trotz allem die Urteilsgabe.. ;)
      Bin am Überlegen, wie man das ändern könnte, weil ich halt anfangs die Hauptfigur ein bißchen einführen wollte, bevor die Pointe kommt.
      Und es sollte auch traurig sein.. wenigstens ist das rübergekommen... ^^;
    • Ich weiß, ich weiß, de facto sollte ich dafür einen neuen Thread aufmachen, weil es sich de facto um eine (fast) komplett andere Story handelt.
      Da sie sich aber aus der oben geposteten Kurzgeschichte entwickelt hat (dank der tatkräftigen Mithilfe meiner Freunde), und auch den selben Titel trägt, wollte ich keinen neuen Thread eröffnen.
      Wie gesagt, komplett anders, ich hab das Konzept komplett überarbeitet und heraus kam: ein Thriller im Universitätsmilieu...

      [SIZE=7]Meine Emeranea Story ist deswegen noch lange nicht vergessen, sie hat grade neuen Auftrieb erhalten... [/SIZE]


      Disclaimer: Meiiiiins, meins, meins.... Alles meine Ideen, ich bin niemandem mehr Rechenschaft schuldig. Tee hee hee… (Der Disclaimer bleibt nur aus meiner alten Zeit des Fanfictionschreibens übrig... Nostalgie *schnüff*...)
      Author’s Note: Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist und bleibt ein Zufall... Selbst wenn ich durch selbige in irgendeiner Weise inspiriert worden sein sollte, was natürlich nicht der Fall ist, wo denkt ihr hin? Auch wenn dieser Satz anders gemünzt war, muss ich ihn leider stehen lassen... *träller*
      Was ich zudem immer nochmal sagen wollte: Uni rulz!!!
      „My wishes are paramount, aren’t they?“ *muahaha* (Ist ein Insider....) I wish, they were, I really do...
      Gewidmet ist sie: Meinen Eltern und dem Dorschmann Jan auch wenn es sie überhaupt nicht interessiert, dem sich pummelnden und unglaublich hilfreichen Alex (danke für deine vernichtenden Kritiken, das meine ich ernst... PATHETISCH??? Pah... *mümmel*), Dennis (danke für die Idee mit der extended Version), dem Kathi (Was täte ich nur ohne deine kreativen Phasen... besonders in diversen Lehrveranstaltungen…), Stefan (Wie war das mit dem ZK diverser Fans?) und Nicole (und ja, du kriegst die Fortsetzung), sowie sämtlichen anderen Leuten, mit denen ich mich angeregt über den Plot unterhielt und die mir noch den ein oder anderen guten Tipp geben konnten.
      Und nach wie vor meiner niemals endenden und unglaublich inspirierenden Winamp Playlist... (Ich sage nur: I am I said – Neil Diamond *schmacht*… oder noch besser: River Deep Mountain High von Ike und Tina Turner… *__* und – womit wir wieder beim Anfang wären: Barry Ryan - Eloise!!!)
      Außerdem und vor allem gewidmet: Einer meiner Professorinnen, welche sich die Zeit nahm, mich über die Feinheiten ihrer Berufs aufzuklären und mir damit unglaublich weiterhalf. (Es ist nicht immer leicht, sich meinen Fragen zu stellen…) Auch wenn meine Hauptperson rein theoretisch „überhaupt keine Zeit haben dürfte, einen Mord zu begehen.“ Wie dem auch sei, ich hoffe, sie findet sich in den folgenden Zeilen nicht wieder (und das meine ich durchaus ehrlich!).

      Nachteule

      I - Eric


      Eine der grundlegenden Fragen des Lebens wird wohl immer die Folgende sein: Hättest du gewusst, was kommt, hättest du dann anders gehandelt? Ich kann über so etwas nur lachen. Hätte der Mensch die Möglichkeit, in die Zukunft zu sehen, würde uns einer der interessantesten Aspekte unseres Lebens fehlen. Viele Dinge, die in dem Moment, in dem sie geschehen, richtig erscheinen, stellen sich hinterher als Fehler heraus und umgekehrt... warum sich also damit belasten?
      Es ist recht erstaunlich, wie schnell sich das gesamte bisherige Leben als eine Lüge herausstellen kann und man sich fragt, wie man es jemals ausgehalten hat, so sein Dasein zu fristen. Was liegt also näher, als nicht darüber nachzudenken? Der Mensch verfügt über ein unglaubliches Talent in dieser Hinsicht und das dient nur seinem eigenen Schutze.
      Wenn ich jetzt auf mein Leben blicke, sehe ich nur noch Vernichtung, wo ich früher Erfolg und Glück erspäht hatte, doch diese Zeiten sind endgültig vorbei. Ich habe meine Lektion gelernt, meine Erkenntnis gehabt. Die Vergangenheit lässt sich nicht ändern und kein Mensch verzichtet freiwillig darauf, glücklich zu sein, nur weil dies möglicherweise in der Zukunft sein gesamtes Leben zerstören könnte. Auf der anderen Seite, ich habe nichts mehr zu verlieren und wenn sie kommen, dann will ich vorbereitet sein.

      Das Sommersemester hatte gerade begonnen und ich war voller Tatendrang. Am ersten Morgen wachte ich sogar von alleine auf, anstatt mich von meinem gnadenlosen Wecker aus dem Schlaf reißen zu lassen und noch halb benommen ins Badezimmer zu torkeln.
      Mein Name ist Artemis Henning und zu diesem Zeitpunkt verfügte ich genau drei Jahre über eine gemütliche Professur für Germanistik in einer bekannten deutschen Universitätsstadt. Ich weiß, dass mein Vorname ein wenig ungewöhnlich anmuten mag, aber ich verdanke ihn der Affinität zu Griechenland, die meinen Eltern zu Eigen ist. Ich wurde sogar in Athen geboren, aber das nur nebenbei. Die meisten Leute reagieren erst einmal überrascht, wenn sie ihn hören und mit den dummen Kommentaren die bereits darüber gemacht wurden, könnte ich ganze Bücher füllen, legte ich es darauf ab, sie zu schreiben. Inzwischen habe ich gelernt, aus der Not eine Tugend zu machen und damit zu leben. Soviel dazu.
      Ich konnte mich über meinen Beruf nicht beschweren, im Gegenteil – auch wenn mich meine Kollegen bisweilen als Nachteule belächelten, nur weil ich des Öfteren nachts durcharbeitete, so genoss ich doch ihren Respekt und ihre Freundschaft. Es überraschte mich manchmal selbst, mit welcher Motivation ich meine Arbeit verrichtete, doch ich hatte immer das Gefühl es gäbe noch so viel zu entdecken. Ich wollte alles begreifen und wurde immer wieder in meine Grenzen verwiesen. Genau das machte es für mich so spannend. Ich war wohl sehr zufrieden.
      Zumeist konnte ich mit Fug und Recht behaupten, meinen Job zu lieben, der mich immerhin sosehr in Anspruch nahm, dass ich kaum Zeit für irgendwelchen anderen Dinge hatte – „zumeist“, das bedeutet ohne die obligatorischen Durchhänger, die jeden von uns hin und wieder befallen, denn eigentlich gab es kaum andere Dinge nebenher, die mich noch groß interessiert hätten.
      Von dem kommenden Semester versprach ich mir recht viel, schon alleine wegen den Dingen, die sich in der vorlesungsfreien Zeit – meine Studenten sprechen auch gerne von Semesterferien – angekündigt hatten.
      Im Gegensatz zu meinen bereits angesprochenen Studenten konnte ich es nämlich auch während der eigentlich arbeitsfreien Tage kaum lassen, mich auf dem neusten Stand der Wissenschaft zu halten – es gab noch so viele Aufsätze zu lesen und Thesen zu überprüfen, wenn ich mich nicht gerade wieder mit irgendwelchen langweiligen Gremien herumärgern musste oder irgendwelche Gutachten zu schreiben hatte und gerade war ein neues Buch erschienen, das möglicherweise den gesamten Fachbereich revolutionieren konnte.
      Wunderbare Aussichten also, auch wenn dies durchaus wieder ein paar schlaflose Nächte bedeuten würde, schlaflose Nächte, die zu meinem bereits erwähnten Spitznamen geführt hatten.
      Soweit also zu meiner Situation zu Beginn dieses Semesters.

      Wie gesagt, ich wachte von alleine auf, die Sonne war bereits aufgegangen und Helligkeit drang durch die Vorhänge in meinem Schlafzimmer. Ich warf einen Blick auf den Wecker und stellte fest, genau zur rechten Zeit erwacht zu sein, schaltete ihn aus, schlug meine Bettdecke zurück und machte mich auf ins Bad.
      Überrascht stellte ich nach einem Blick in den Spiegel fest, dass ich ausnahmsweise recht passabel aussah und nicht, wie sonst nach dem Aufstehen üblich, einem gerade aus dem Grabe entstiegenen Untoten glich.
      Ich muss dazu sagen, dass ich im eigentlichen Sinne keinen besonders großen Wert auf mein Aussehen lege. Es genügt mir, eine gepflegte Erscheinung mit sauberen Kleidern zu sein, darüber hinaus verschwende ich wenig Zeit vor dem Spiegel. Schminke benutze ich deshalb aus Gründen der Faulheit nur bei sehr seltenen Gelegenheiten.
      Ich glaube nicht, dass ich besonders schön oder auch nur hübsch bin, aber und ich bin wahrscheinlich die letzte Person, die beurteilen kann.
      Ich bin relativ groß und schlank, aber nicht zierlich und auch nicht besonders feingliedrig, finde ich jedenfalls. Selbstbeschreibungen sind nicht meine Stärke.
      Nur noch eines: meine dunkelbraunen Haare tragen ganz sicher nicht zu meiner Schönheit bei. Die meiste Zeit machen sie, was sie wollen, ohne, dass ich Kontrolle darüber hätte. Eine Tatsache, die mich zu dem Entschluss bewog, sie abzuschneiden, damit es nicht ganz so auffällt, wenn sie sich wellen und abstehen. Auch wenn mich mein neuer Haarschnitt etwas maskuliner aussehen lässt, glaube ich nicht, dass es das Schlechteste ist.
      Ich denke, diese Schilderungen sollen für das Erste ausreichen, denn wie bereits erwähnt, bin ich nicht besonders gut darin. Kehren wir also dorthin zurück, wo ich aufgehört habe...
      Ich wusch mich also recht gründlich und zog mich an, bevor ich mir in der Küche das Frühstück zurecht machte.
      Ein Blick auf die Uhr bestätigte mir, noch genügend Zeit dafür zu haben. Etwas, das an den meisten meiner Morgen nicht selbstverständlich war, und daher genoss ich es, mir ein paar Marmeladenbrote zu schmieren und sie langsam zu essen. Daneben standen auf dem Tisch eine duftende Tasse Kaffee und eine Packung Milch für die Haferflocken.
      Nicht, dass ich besonders auf meine Ernährung achten würde, nur beim Frühstück versuche ich es zumindest halbwegs.
      Für die Tageszeitung, die ich wieder einmal erst im Gehen aus dem Briefkasten angelte, blieb dann doch keine Zeit mehr und so griff ich mir meine am Vorabend sorgfältig gepackte Tasche und meinen Schlüsselbund und machte mich daran, zur Arbeit zu fahren.
      Zum Glück ist es von meiner Wohnung nicht allzu weit bis zur Universität und so konnte ich trotz starkem Verkehr in einer halben Stunde dort sein - immerhin wohnte ich in einem kleinen und ruhigen Vorort. Ich denke, das ist trotz allem eine recht günstige Wohnlage.
      Hinter dem Steuer stellte ich mich bereits mental auf das ein, was mich erwarten würde, sobald ich an meinem Arbeitsplatz angekommen sein würde. Zunächst einmal gab es natürlich die freudigen Begrüßungen von Kollegen, die ich über die vorlesungsfreie Zeit nicht gesehen hatte – was nicht allzu viele waren, dann folgte das obligatorische Sichten des Papierhaufens, der sich auf dem Schreibtisch in meinem Büro angesammelt hatte. Es mag sich zwar banal anhören, aber in der Zeit, in der ich keine Veranstaltungen geben muss, neige ich dazu, alles auf diesen Tisch zu werfen. Jedes Semester nahm ich mir aufs Neue vor, diese Untugend zu beenden und jedes Semester scheiterte ich kläglich. Dieses Mal jedoch hatte ich vorgesorgt und einige funkelnagelneue Ordner gekauft, die mir sicherlich behilflich sein würden, das Chaos dieses Mal geordneter anzugehen.
      Zumindest war dies mein Vorsatz...
      Des weiteren war damit zu rechnen, dass ich Besuch von einigen meiner Studenten bekam, die nicht, wie gewünscht, einen Platz in meinen Veranstaltungen bekommen hatten und darauf hofften, ich könnte sie doch noch aufnehmen. In den meisten Fällen war ich gnädig und gewährte es ihnen, nur um mich am Ende des Semester über zusätzliche Korrekturen zu freuen.
      Worauf ich mich aber am Allermeisten freute war das Erscheinen eines Buches das mit seinen Thesen vielleicht der gesamten Forschung eine neue Richtung geben konnte.
      Ich hatte es vorbestellt und wenn mich nicht alles täuschte, so lag es abholbereit für mich im Sekretariat.

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    • Hatte über die Woche viel Zeit weiterzuschribbeln und ja, auch wenn es sich noch nicht so anlässt, es wird tatsächlich ein Krimi...
      Würde mich über Feedback jeder Art freuen.. ^^
      Und weiter geht es.

      Ich gebe zu, ungeduldig in solchen Dingen zu sein und so sah mein Plan vor, es noch bevor ich mein Büro betreten würde, einzusammeln. Abgesehen von der Tatsache, dass mich die darin enthaltenen Thesen persönlich interessierten, waren sie mir wohl auch bei der Abfassung des wissenschaftlichen Aufsatzes, an dessen Veröffentlichung ich gerade arbeitete, eine große Hilfe.
      In Kombination mit einigen anderen Büchern – es durften wohl gerade so um die zehn Stück sein – die ich schon viel zu lange von der Zentralbibliothek entliehen hatte und die gerade ein sehr achtloses Dasein in meinem Büro führten, war ich zuversichtlich, etwas recht Vernünftiges auf die Beine zu stellen. Hauptsache ich war beschäftigt!
      Als ich mit meinem Auto auf den für die Angestellten der geisteswissenschaftlichen Institute vorgesehenen Parkplatz einbog, stellte ich fest, dass bereits ein reger Betrieb herrschte und einige meiner Kollegen sogar schon vor mir eingetroffen waren – von einer Motivation beseelt, die gerade zum Ende eines Semesters hin sukzessive abnahm.
      Ich verkniff mir ob dieser Tatsache ein Schmunzeln und suchte für mein Auto einen geeigneten Abstellplatz. In dieser Hinsicht ausnahmsweise Glück habend, fuhr ich in die nächstbeste Parklücke, stellte den Motor aus, stieg aus und machte mich daran, den Kofferraum auszuladen – besagte Ordner konnten mir nur dann beim Ordnen helfen, wenn ich sie auch mitnahm.
      Ich versuchte sie in eine mitgebrachte Stofftasche zu stopfen, was mir jedoch nur zum Teil gelang und grunzte entnervt auf. Wieso scheiterte ich immer an den Kleinigkeiten des Alltagslebens?
      Ich als promovierte und habilitierte Akademikerin, mit dem sicheren Gefühl lebend, ihr Dasein im Griff zu haben?
      Eine freundliche Stimme riss mich aus diesen weltbewegenden Gedanken und ich drehte mich, die Tasche in der einen und den Ordner in der anderen Hand haltend, um.
      „Guten Morgen, Frau Professor Henning.“
      Ich war versucht zu sagen: Ein guter Morgen sieht anders aus!, hielt mich jedoch zurück, teils auch wegen der Tatsache, dass dies eine etwas zu grobe Übertreibung gewesen wäre.
      Stattdessen verzog ich den Mund zu einem Lächeln.
      „Guten Morgen, Herr Theobald.“
      Christian Theobald, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Germanistischen Institut und das seit zwei Semestern. Er war mit seinen neunundzwanzig Jahren acht Jahre jünger als ich und arbeitete zurzeit fieberhaft an seiner Promotion, jedoch nicht bei mir. In gewisser Hinsicht erinnerte er mich an mich selbst zu jener Zeit. Ich war genauso motiviert und genauso zielstrebig gewesen in seinem Alter und ich wünschte ihm, dass auch er so viel Glück haben würde, wie ich, dass alles klappen würde…
      In letzter Zeit arbeitete ich enger mit ihm zusammen als sonst und ich konnte schwören, dass er mich intensiv ansah, wenn er das Gefühl hatte, ich würde es nicht bemerken.
      Sonst jedoch war er eher scheu und zurückhaltend und ich war mir daher nicht sicher, woran ich bei ihm war.
      An diesem Morgen allerdings war er freundlich und aufgeschlossen und so sah ich keinen Grund, nicht genauso zu reagieren. Wir hatten uns zwar in den Ferien gesehen, dennoch hatte ich das Gefühl, er hätte sich ein klein wenig verändert, auch wenn ich nicht genau sagen konnte, was es war. Hatte er vielleicht abgenommen?
      Er war zwar nicht im eigentlichen Sinne dick, aber nicht besonders groß und wirkte daher etwas gedrungen. Seine blonden Haare waren recht kurz geschnitten und er trug eine Brille. Meistens bevorzugte er ohnedies legere Kleidung im Stil von Kapuzenpullovern und Jeans, was ihn eher wie einen Informatiker, als wie einen Germanisten aussehen ließ, aber vielleicht spielten mir auch nur meine eigenen Vorurteile einen Streich, mir die außerhalb der üblichen Textverarbeitungs- und Emailprogrammen nur recht wenig mit Computern am Hut hatte.
      Er kam auf mich zu und blieb neben mir stehen, einen Blick in den Kofferraum werfend.
      „Wie ich sehe, haben Sie für dieses Semester bereits vorgesorgt.“
      Sosehr ich mich auch anstrengte, ich konnte keinen Spott in seiner Stimme vernehmen und so kam ich zu dem Schluss, dass er es durchaus ernst gemeint hatte.
      „In der Tat. Es handelt sich hierbei um einen Versuch meinerseits, etwas Ordnung in das Chaos meiner Akten zu bringen, bevor ich wieder daran verzweifele…“
      „Ein sehr löblicher Vorsatz. Das würde mir unter Umständen auch das Leben erleichtern…“
      „Bitte erzählen Sie mir nicht, dass Sie in der vorlesungsfreien Zeit ebenfalls dazu neigen, auf Ihrem Schreibtisch wahre Papierberge anzusammeln!“
      „Nicht nur in der vorlesungsfreien Zeit…“
      „Um ehrlich zu sein, beruhigt mich das gerade.“
      „So, tut es das?“ Er lächelte irgendwie zufrieden und ich fragte mich ernsthaft, wieso.
      „Ja, in der Tat. Sagen Sie… würde es Ihnen viel ausmachen, mir beim Tragen all dieser Ordner behilflich zu sein? Ich alleine bin daran gescheitert…“
      „Aber natürlich…“ Freude schwang in seiner Stimme mit. „Endlich kann auch ich Ihnen bei etwas behilflich sein, nachdem Sie mir schon so oft, bei so vielen Dingen ausgeholfen haben.“
      „Aber das war doch selbstverständlich. Dafür bin ich doch da!“
      „Sagen Sie!“
      Beherzt griff er in den Kofferraum und nahm sich so viele Ordner, wie möglich. Für mich selbst blieben dadurch nur noch drei Stück zurück, die ich, gemeinsam mit meiner Tasche, locker tragen konnte. Nachdem alles ausgeladen war, verschloss ich mein Auto und folgte ihm unauffällig.
      Glücklicherweise war das Institutsgebäude direkt am Parkplatz und von dort aus war es nur ein Katzensprung zu meinem Büro, welches sich im ersten Stock, gleich am ersten Aufgang hinter der Tür befand.
      Christian ging beschwingt voraus und ich lief hinter ihm her, bereits versuchend, meinen Schlüssel aus meiner Tasche zu nesteln, damit ich die Tür gleich öffnen konnte. Es gelang mir sogar fast auf Anhieb, was mich mit Stolz und gleichzeitig dem Wissen erfüllte, dass mir die letzten Semester an der Universität gewisse Fähigkeiten verliehen hatten, die in den Bereich der Feinmotorik einzuordnen waren – früher hätte ich höchstwahrscheinlich meinen gesamten Tascheninhalt verschüttet.
      Vor meiner Bürotür angelangt, wartete er geduldig auf mich und folgte mir genauso stoisch, als es mir gelang, sie zu öffnen.
      Er blickte sich um und sah mir dann in die Augen.
      „Wo soll ich sie hinlegen?“
      Ich grinste etwas verlegen und zeigte dann mit dem Arm um mich herum. Es war mir fast peinlich, wie viel sich auf den Tischen stapelte.
      „Wo immer Sie möchten!“ erwiderte ich schließlich. „Ich glaube nicht, dass es einen großen Unterschied machte. Aufräumen muss ich so oder so.“
      „Wie Sie meinen!“ Er lächelte mich freundlich an und legte die Ordner schließlich auf meinen Schreibtisch, neben meinen Computer. Es gelang ihm, die angehäuften Bücher so zur Seite zu schieben, dass nichts davon Gefahr lief, hinunterzufallen.
      „Vielen Dank! Sie haben mir sehr geholfen.“
      „Keine Ursache, dass habe ich doch gerne gemacht, Frau Professor Henning.“
      Ich winkte ab. „Wie oft muss ich Ihnen eigentlich noch sagen, dass sie meinen Titel nicht ständig nennen müssen?“
      „Entschuldigung, es steckt einfach noch zu sehr in mir drin. Ich habe einige Verwandte mit akademischem Titel und die bestanden immer auf die korrekte Anrede.“
      „Ich tue es nicht. Aber wissen Sie was?“ Ich beschloss, Nägel mit Köpfen zu machen. „Nennen Sie mich doch einfach Artemis, wenn Ihnen das recht ist.“
      Er begann über das gesamte Gesicht zu strahlen und streckte mir die Hand entgegen. „Artemis… gerne. Ich bin Christian.“
      Ich ergriff seine Hand und drückte sie. „Ich weiß.“
      „Natürlich…“ Verlegenheit schlich sich in seine Gesichtszüge und er errötete leicht, was er in meiner Anwesenheit generell recht häufig tat. Ich verkniff mir einen Kommentar, der ihn möglicherweise noch mehr irritieren würde und legte ihm stattdessen ermunternd eine Hand auf die Schulter.
      „Ich wollte dich nicht verspotten oder so…“
      „Schon in Ordnung.“ Er schlug die Augen nieder. „Das weiß ich doch.“ Dann blickte er mich wieder an. „Hast du nachher schon etwas vor, Artemis?“ Ich spürte, wie er jede Silbe meines Namens genoss und unterdrückte ein Grinsen. Christian gehörte zu den wenigen Menschen, die sich einen dummen Kommentar darüber bisher verkniffen hatten. Das ließ ihn natürlich ungemein in meiner Achtung steigen.
      „Nein“, hörte ich mich sagen. „Bis auf das Aufräumen meines Büros nicht… aber das hat wohl noch ein wenig Zeit. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich hiermit erneut einen Vorwand suche, um mich zu drücken und dabei haben meine guten Vorsätze doch so gut angefangen.“ Ich seufzte.
      „Hättest du Lust, später noch mit mir einen Kaffee trinken zu gehen? Sozusagen zur Semestereinweihung?“
      „Warum nicht?“
      „Prima…“ Es gelang ihm kaum, die Freude in seiner Stimme zu unterdrücken. „Ich hole dich dann um 16.00 hier ab, in Ordnung?“
      „In Ordnung… Ich werde hier sein.“
      Grinsend und beschwingten Schrittes verließ er mein Büro und als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, ließ ich mich seufzend auf einen der Stühle sinken. Die Unordnung um mich herum tat nichts um meine Laune zu verbessern.
      Ich warf einen Blick auf die mitgebrachten Ordner und dann auf das Chaos und seufzte erneut.
      Sollte ich mich ans Aufräumen machen, oder mein vorbestelltes Buch aufsammeln?
      Es dauerte nur einen Bruchteil einer Sekunde, um mich zu entscheiden – alles, nur nicht Aufräumen.
      Ich stand auf und verließ ebenfalls mein Büro.
    • Mich hat zwar keiner gefragt, aber hätte ich je drauf gewartet, naja, lassen wir das :ugly:

      Der Text liest sich gut und mich interessierts wie es weitergeht, was mir höchstens aufgefallen ist wären so Passagen wie diese:


      ...Ich muss dazu sagen, dass ich im eigentlichen Sinne keinen besonders großen Wert auf mein Aussehen lege. Es genügt mir, eine gepflegte Erscheinung mit sauberen Kleidern zu sein, darüber hinaus verschwende ich wenig Zeit vor dem Spiegel. Schminke ist ein Fremdwort für mich und bis heute kann ich nicht verstehen, worin der Reiz für Frauen besteht, sich Farbe ins Gesicht zu schmieren. Seltsamerweise bezeichnen mich einige Menschen durchaus als schön, also scheint der Farbeimer gar nicht einmal das Wichtigste zu sein. Ich enthalte mich jedenfalls einer Meinung, da ich der Auffassung bin, Schönheit liegt im Auge des Betrachters und ich bin wahrscheinlich die letzte Person, die beurteilen kann, ob sie nun schön ist oder nicht...

      vielleicht kommts auch nur mir so vor, aber das wirkt auf mich wie eine persönliche Meinung, dagegen ist nichts zu sagen aber irgendwie hatte ich das Gefühl es würde die Story ausbremsen...

      Aber das wars dann auch schon...

      [Blockierte Grafik: http://i40.tinypic.com/2hdtmhc.jpg]

    • Ein Review... :dance:! Ich *liebe* Reviews... Vielen Dank... :knuddel:

      Original von Irrlicht
      Mich hat zwar keiner gefragt, aber hätte ich je drauf gewartet, naja, lassen wir das :ugly:


      Ich muss leider gestehen, dass ich gerade etwas auf dem Schlauch stehe, was du mit diesem Satz meinst... :)

      Der Text liest sich gut und mich interessierts wie es weitergeht, was mir höchstens aufgefallen ist wären so Passagen wie diese:


      Erstmal vielen Dank, das hört man doch immer wieder gerne... ^^. Ich habe momentan nur Angst der Anfang ist zu humoristisch...

      [...] vielleicht kommts auch nur mir so vor, aber das wirkt auf mich wie eine persönliche Meinung, dagegen ist nichts zu sagen aber irgendwie hatte ich das Gefühl es würde die Story ausbremsen...

      Aber das wars dann auch schon...


      Damit hast du vollkommen recht.
      In der Narratologie nennt man das einen Erzählerkommentar und auch eine Pause. Das heißt, der Erzähler gibt seine eigene Meinung zum Besten und Pause eben deshalb, weil die erzählte Handlung kurz angehalten wird.
      Ich dachte nur, es würde die Leser vielleicht interessieren, wie die Hauptfigur ungefähr aussieht und dachte weiterhin, dass man sich schlecht objektiv selbst bewerten kann, deshalb habe ich es ein wenig subjektiver eingefärbt, auch um ein wenig den Charakter besser darzustellen. Weitere solcher Passagen werden jedoch nicht folgen. :)
    • @ Irrlicht: *lol* Okay. ^^

      Nuja, hier ist erstmal die Fortsetzung, aber grad ist mein Monitor unscharf geworden, weil er zu lange an war. :mpf: Passiert manchmal...
      Naja, ist jetzt nicht so arg viel und hört abrupt auf, aber ich hatte wegen der Klausuren nicht so arg viel Zeit und grad als ich weiterschreiben wollte, verabschiedet sich der Monitor... Nevermind...
      Kritik erwünscht - meine Freundin z.B. Kritisiert meine Schachtelsätze...
      BTW: Hab den ersten Teil nochmal geändert... (Nichts was die Handlung beträfe, nur sprachliche Sachen und die Aussehensbeschreibung...)

      Auf den Fluren, die ich entlanggehen musste, um zum Sekretariat zu gelangen, begegnete ich noch dem ein oder anderen Kollegen, tauschte die üblichen Floskeln aus und wünschte einen guten Semesteranfang. Zeitschinden war, ich gebe es ungern zu, schon immer eine große Stärke von mir gewesen.
      Das Sekretariat war natürlich schon besetzt und die Sekretärin, eine mollige, warme Frau in ihren Mittvierzigern mit dem Namen Beate Schneider strahlte mich regelrecht an, als ich ihren Raum betrat.
      „Guten Morgen, Frau Henning!“
      „Guten Morgen!“
      „Es ist etwas für Sie gekommen.“
      „Ja, ein Buch, nicht wahr? Ich warte schon einige Zeit darauf!“
      Sie nickte, stand dann auf, um in ihrem Schrank zu wühlen, fand es nach einem kurzen Moment, drehte sich um und drückte mir das Päckchen in die Hand.
      „Hier, bitte sehr. Aber erlauben Sie mir eine Frage: Wenn Sie so sehr darauf gewartet haben, wieso haben Sie es sich dann nicht nach Hause bestellt?“
      „Äääh… ich muss einräumen, das ist eine berechtigte Frage… Die ich mir auch gestellt habe. Die Antwort darauf ist jedoch genauso simpel wie peinlich.“ Ich grinste. „Wissen Sie, ich bin inzwischen die Adresse der Universität so sehr gewöhnt, dass ich sie wohl unbewusst auf den Bestellschein geschrieben habe.“
      Frau Schneider lächelte freundlich und ich glaubte fast, ein unterschwelliges Kopfschütteln aus ihrer Mimik zu entnehmen, ging jedoch nicht näher darauf ein. Eigentlich war sie eine ganz umgängliche Dame und in gewisser Weise war ihr Amüsement auch angebracht.
      „Ich verstehe...“ sagte sie schließlich. „Das erklärt es natürlich...“
      „In der Tat…“
      Da es außer dem Buch wohl momentan keine weitere Post für mich zu geben schien, verabschiedete ich mich und kehrte zu meinem Büro zurück. Laut meiner Armbanduhr hatte ich noch genügend Zeit, bevor ich in meine erste Lehrveranstaltung für dieses Semester musste – glücklicherweise keine Vorlesung. Und so fügte ich mich zähneknirschend dem Unvermeidlichen und begann endlich mit dem Aufräumen…
      Wider Erwarten kam ich doch recht zügig voran und so dauerte es nicht allzu lange, bis sich mein Büro wieder in ein annehmbares Arbeitsfeld verwandelt hatte.
      #Mein Blick fiel auf die entliehenen Bücher und ich stieß einen Seufzer aus. Dunkel konnte ich mich erinnern, sie kurz vor den Ferien in der Bibliothek mitgenommen zu haben. Ich hatte sie eigentlich als Grundlage für meinen Aufsatz eingeplant, zu dem ich dann aber aufgrund Unmengen anderer Verpflichtungen irgendwie doch nicht gekommen war. Meine neuste Errungenschaft gab mir zwar neuen Aufwind, dennoch packte mich das schlechte Gewissen, auch wenn ich als Professorin keine Strafgebühr zahlen musste, so wie meine Studenten.
      Ich ergriff sie, was sich zwar ob ihrer Anzahl etwas schwieriger gestaltete und beschloss sie zurückzubringen.

      Manchmal frage ich mich, was sich die Architekten unseres Campus nur gedacht haben, als sie den Grundstein für unsere Universität gelegt hatten. Außer kleinerer Bibliotheken der Institute in denen zumeist nur recht ungewöhnliche und wenig gebrauchte Publikationen archiviert wurden, wurden so ziemlich alle anderen Bücher aller Fachbereiche in einem riesigen Gebäude verwaltet, das sich am anderen Endes des Campus befand. Und genau das war nun auch mein Ziel.
      Ich kam mir reichlich blöde vor, wie ich mit einem riesigen Bücherstapel auf dem Arm über das Hochschulgelände rannte und beneidete die Studenten, die mit ihren Fahrrädern an mir vorüberzogen.
      Ich machte mir eine geistige Notiz, schrittweise Ausgeliehenes auch schrittweise wieder zurückzubringen, um eine solche Situation in Zukunft zu vermeiden und setzte meinen Weg fort.
      Gegen das Bibliotheksgebäude selbst kann ich nur wenig Negatives sagen, auch wenn ich seine Lage wenig schätze. Dennoch, es ist handelt sich hierbei um eine sehr moderne Stahl- und Glaskonstruktion, die sehr viel Tageslicht einfängt, selbst wenn es im Sommer etwas heißer wird. Man betritt das Gebäude durch eine Drehtür und gelangt erst einmal in eine große Halle, in der es Unmengen von Computerarbeitsplätzen und einige Ausleihschalter gibt. Von dort aus gelangt man in die Unterbibliotheken der einzelnen Fachbereiche, die nochmals Computerarbeitsplätze und eigens ausgebildetes Personal enthielten. Im Prinzip handelte es sich also um ein gut durchdachtes System, das ich nur wegen dem weiten Weg bisweilen verachtete, auch wenn ich das natürlich niemals offen zugeben würde.
      Als das Gebäude endlich vor mir aufragte war ich mehr als erleichtert. Ich hatte es geschafft, die Bücher sicher von meinem Büro bis hierher zu befördern, ohne dass mir eines heruntergefallen war, was aufgrund der Anzahl der Wälzer durchaus eine Leistung war.
      Was dann passierte, daran erinnere ich mich noch in allen Einzelheiten. Immerhin war dies der Tag, der mein Leben für immer veränderte.
      Heute frage ich mich, ob ich dankbar für all das sein soll, oder ob es besser gewesen wäre, ich wäre an jenem Tag nicht an diesem Ort gewesen. Die Zeit wird mir vielleicht die Antworten geben, aber bevor dies geschieht, sollte ich aufhören mit mir selbst zu hadern.
      „Entschuldigung!“ Eine tiefe Stimme riss mich aus meinen Gedanken, als ich gerade daran war, den Bau zu betreten und beendete meinen eben noch gefühlten Stolz abrupt.
      Es gab einen Knall und im nächsten Augenblick lagen all meine Bücher auf dem Boden.
      Es dauerte einen kurzen Moment, bis ich wieder voll aufnahmefähig war. Ich schüttelte kurz den Kopf und gab ein genervtes Grunzen von mir. Die schönen Bücher!
      An mir vorbei rannte ein recht großer Mann mittleren Alters, der mich wohl um einige Zentimeter überragen durfte. Ich schätzte ihn ungefähr zwei oder drei Jahre älter als mich selbst ein.
      „Sehen Sie sich wenigstens an, was Sie angerichtet haben!“ rief ich ihm leicht verärgert hinterher.
      Tatsächlich blieb er stehen und drehte sich um.
      Er hatte volles, dunkles Haar mit einigen grauen Strähnen und trug eine Brille, unter der ein intelligentes Paar Augen hervorlugte.
      Er sah mich zerknirscht an und starrte auf die Bescherung.
      „Das… entschuldigen Sie bitte. Ich war sehr in Eile.“
      „Das habe ich gemerkt.“ Es gelang mir nicht, den gereizten Unterton aus der Stimme zu verbergen.
      „Rempeln Sie dann grundsätzlich die Leute an?“
      „Nunja...“ Er wirkte verlegen.
      Da ich keinen großen Wert auf eine längere Konversation hatte, bückte ich mich notgedrungen und begann, die verstreuten Wälzer aufzusammeln.
      Kurz darauf ging er neben mir in die Hocke und half mir dabei.
      „Es tut mir wirklich sehr leid. Erlauben Sie?“

      „Ich will Ihre Entschuldigung mal akzeptieren. Aber passen Sie auf, dass Ihnen das nicht so schnell wieder passiert,“ rang ich mich schließlich durch zu sagen.
      „Versprochen. Ich werde darauf achten.“ Lächelnd gab er mir die Bücher, die er aufgesammelt hatte und wir standen gemeinsam auf.
      „Brauchen Sie sonst noch irgendwelche Hilfe?“
      „Ich dachte, Sie wären in Eile?“
      „Das bin ich eigentlich auch, aber das darf mich nicht daran hindern, den angerichteten Schaden wiedergutzumachen.“
      Ich unterdrückte es, laut aufzulachen und dachte einen kurzen Augenblick nach.
      Schließlich entgegnete ich ihm: „Na schön…, wenn Sie mir das schon anbieten, könnten Sie mir beim Tragen helfen, damit so etwas wie eben nicht noch einmal passiert.“
      Mit diesen Worten drückte ich ihm die Bücher wieder in die Hand, die er mir gerade eben zurückgegeben hatte.
      Er lächelte kurz und sah mir dann in die Augen.
      „Da haben Sie aber eine Menge vorgehabt.“
      „Ich wollte nicht zweimal gehen und wie es der Zufall will, hatte ich keine passende Tasche zum Transportieren. Aber gehen wir doch endlich...“

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    • Es nimmt Gestalt an... Shalalala...
      Bin nach wie vor um Kritik dankbar. Nehmt mich auseinander...
      Gerade die Tätigkeitsbereiche meiner Protagonisten nehmen viel Zeit in Anspruch... Ich fürchte, bis ich hiermit fertig bin, hasst mich die gesamte Mainzer Professorenschaft... aber die kann ich grad nicht fragen. Es sind Ferien.
      Also wer Tipps und so hat, immer her damit. Ansonsten passiert mir noch Folgendes:
      Ich: "Ich hätte da mal ne Frage an Sie..." :rolleyes:
      Prof. X.: "ARGL! Rauuuuuus!" :angry:
      Egal...

      Er folgte mir ohne ein weiteres Wort in das Gebäude und einige Minuten später hatten wir die Wälzer einem fähigen Bibliotheksangestellten übergeben, der mich zwar mit einem etwas konsternierten Blick bedachte, jedoch unsere Lieferung kommentarlos annahm. Ich empfand die Angestellten hier regelmäßig als einen Segen, die die Arbeit übernahmen, zurückgegebene Werke an ihren angestammten Platz zu bringen.
      Nach getaner Arbeit verließen mein neuer Begleiter und ich den Bibliothekskomplex so schnell wie möglich. Draußen vor den Stufen hielten wir an. Er lächelte erneut und gab mir die Hand.
      „Es war mir eine Freude, Ihnen behilflich sein zu dürfen, Frau...?“
      Ich ergriff sie und nickte ihm zu.
      „Artemis Henning...“
      Er zog die Augenbrauen hoch, doch an seinem Gesichtsausdruck änderte sich wenig.
      „Das ist ein recht ungewöhnlicher Name. Ich fürchte, meiner ist ein wenig schlichter. Ich heiße Eric Theissen.“
      „Angenehm...“
      „Ebenfalls... Sagen Sie, irgendwoher meine ich Ihren Namen zu kennen. Dürfte ich erfahren, was Sie so an der Universität machen?“
      „Ich bin am Fachbereich Germanistik tätig, genauer gesagt in der Unterabteilung für Linguistik,“ entgegnete ich ausweichend. Ich hasste es, Leuten sofort beim ersten Gespräch meine akademischen Titel um die Ohren zu hauen.
      „Am Fachbereich Germanistik? Irgendwie hätte ich mir das denken können. Nur Geisteswissenschaftler horten solche Mengen an Büchern.“ Er lachte auf.
      „Ach ja? Dürfte ich dann vielleicht erfahren, was Sie machen, wenn Sie nicht gerade andere Leute umrennen?“
      „Die meiste Zeit verbringe ich am Uniklinikum, ich bin nämlich Professor für Innere Medizin. Daher ist es ein echter Zufall, dass wir uns heute begegnet sind. Normalerweise sieht mich der Campus nicht allzu oft.“
      „Dann muss ich ja direkt froh sein.“ Es gelang mir nicht ganz, den Sarkasmus aus meiner Stimme zu verbannen. Teilweise lag dies an der Art, die mein Gegenüber an den Tag legte, teilweise aber auch daran, dass ich in einer halben Stunde mein Seminar zu halten hatte und daher keine Zeit für lange Gespräche hatte.
      „Vermutlich...“ Er grinste und schien meinen Tonfall komplett zu ignorieren, dann jedoch wurde er nachdenklicher.
      Ich warf einen kurzen Blick auf meine Armbanduhr und sah ihn dann an.
      „Es war wirklich sehr nett, Sie zu treffen. Aber ich fürchte, ich muss jetzt los. Ich habe bald eine Lehrveranstaltung.“
      „Oh, wie schade. Ich hätte mich gerne noch ein wenig mit Ihnen unterhalten, aber da kann man wohl nichts machen. Haben Sie heute Nachmittag schon etwas vor?“
      Ich dankte Christian innerlich von Herzen und nickte.
      „Das habe ich in der Tat.“
      „Ich verstehe. Naja, dann wünsche ich Ihnen eine schöne Zeit und viel Erfolg weiterhin.“
      „Danke ebenso.“
      So verabschiedeten wir uns also und jeder von uns ging wieder getrennte Wege, zumindest vorerst.

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    • Hmm. Von den Schachtelsätzen hab ich eigentlich gar nicht viel gemerkt, generell denke ich das ich dir was Kritik angeht kaum was sagen kann, was du nicht selber erkennen kannst.
      Ein Punkt der mir aufgefallen ist wäre höchstens dass du gleich zweimal erwähnst wie Eric das Leben von Artemis verändern wird, ich fände es auch okay zu Anfang etwas weniger von Eric zu wissen.
      Aber egal. Ich bin gespannt wie es weitergeht...

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      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Irrlicht ()

    • @ Irrlicht: Du hast vollkommen recht. Das ist mir auch gerade aufgefallen. Hab den letzten Absatz daher entfernt. Er ist unwichtig - zu Eric kommen wir in der Tat noch früh genug.
      Hab mich auch gerade mit den Schachtelsätzen zurückgehalten, vllt fällt es deshalb nicht mehr so auf ;).
      Trotzdem danke für das Review... Da macht das Schreiben gleich mehr Spaß. :)

      Punkt 16.00 Uhr klopfte es an der Tür zu meinem Büro. Eins musste man Christian lassen, er war sehr zuverlässig, auch wenn er auf den ersten Blick gar nicht so wirkte.
      „Herein!“
      Er trat ein, sah sich überrascht um und lächelte mich dann an.
      „Wie ich sehe, hast du wirklich gearbeitet.“
      In gespieltem Ärger stemmte ich die Hände in die Hüften.
      „Natürlich, was denkst du denn, was ich den ganzen Tag mache?“
      Er wurde rot und rang nach Worten.
      „Nun... also... ich wollte dir damit wirklich nicht unterstellen... ich meine...“
      „Schon in Ordnung, ich weiß, wie du es gemeint hast. Aber wenn wir gerade beim Thema sind, allzu viel Zeit habe ich leider nicht. Ich muss nachher noch einmal hierher zurück, alles habe ich leider nicht abarbeiten können.“
      „Oh... Dann sollten wir am besten gleich losgehen, oder?“
      Ich nickte, griff nach meiner Handtasche und stand auf.
      „Du hast recht. Gehen wir!“
      Christian führte mich zu einem der Cafés, die auf dem Campus von Privatleuten betrieben wurden, die sich hiervon regelmäßige Kundschaft versprachen. In den meisten Fällen gingen die Geschäfte auch relativ gut, da es für jede Interessengruppe ein eigenes Café gab.
      Dieses hier war relativ nahe bei den Geisteswissenschaftlichen Instituten gelegen und daher auch am meisten von den dort Arbeitenden und Studierenden frequentiert. Der Besitzer hatte versucht, die Einrichtung im Jugendstil zu halten, was einem das Flair eines Wiener Kaffeehauses um die Jahrhundertwende hätte vermitteln können, hätte es nicht die elektronische Registrierkasse, den Zigarettenautomaten, die Musikbox und Studenten mit ihren Laptops gegeben.
      Obwohl es gerade am Nachtmittag immer recht gut besucht war, konnten wir uns einen Tisch in einem der hinteren Ecken ergattern, der sogar mit einer weichen Bank ausgestattet war. Ich ließ mich auf das weiche Polster sinken und stellte meine Tasche neben mich. Christian nahm mir gegenüber auf einem Metallstuhl Platz.
      Eine Weile schwiegen wir uns an, bis er nervös auf seinem Stuhl herumzurutschen begann. Glücklicherweise befreite uns die Kellnerin in diesem Moment aus der Situation.
      Christian bestellte für uns beide einen Latte Macchiato, den ich mir von ihm gewünscht hatte. Mir stand der Sinn nicht nach einem stärkeren Kaffee. Er selbst schloss sich wohl einfach mir an.
      Als wir unsere warmen, duftenden Tassen vor uns stehen hatten und den ersten Schluck getan hatten, fasste ich mir ein Herz und versuchte das peinliche Schweigen zu beenden.
      „Wie war dein Tag?“
      „Nicht besonders spannend. Ich habe meine erste Vorlesung gehalten. Einige der Gesichter habe ich wiedererkannt, andere waren mir fremd. Es waren erstaunliche viele weibliche Studentinnen anwesend.“
      „Vielleicht schwärmen sie ja für dich?“
      „Für mich? Aber warum sollten sie das tun? Ich meine...“
      „Du glaubst gar nicht, wie verbreitet das ist. Selbst mir erging das damals so. In meinem ersten Studiensemester verliebte ich mich Hals über Kopf in einen Dozenten. Ich bekam Herzrasen wenn er mich nur ansah, schrieb ihm in meiner Freizeit Briefe die ich nie abschickte und war schrecklich unglücklich...“
      „Wirklich?“ Er schien überrascht zu sein. „Irgendwie kann ich mir das gar nicht vorstellen, Artemis. Du wirkst so erwachsen und selbstsicher. Und auch in einem gewissen Grade stolz... Irgendwie hätte ich dir das gar nicht zugetraut.“
      Ich zuckte mit den Achseln. „Tja, das alles ist auch schon eine Weile her. Ein gutes halbes Jahr später hatte ich dann auch mein ersten Freund, der mich all das vergessen ließ. Ich glaube ich war damals einfach einsam. Naja, Steffen – ich nannte ihn heimlich immer beim Vornamen – hat es nie erfahren, so wie du es nie erfahren wirst. Trotzdem passiert es. Ich schließe auch nicht aus, dass in meinen Veranstaltungen Studenten sitzen, die für mich schwärmen...“
      „Bei dir haben sie auch allen Grund. Du bist... du bist...“ Er brach ab und senkte den Blick. Leise fügte er hinzu: „Wunderschön...“
      „Vielen Dank. Das bedeutet mir sehr viel.“ Ich lächelte. Es dauerte eine Weile, bis er diese Geste erwidern konnte, aber dann war auch die Betretenheit aus seiner Mimik gewichen. Der Moment war vorüber.
      Stattdessen sah er mich fragend an. „Und wie war dein Tag?“
      „Was soll ich groß sagen? Ich habe aufgeräumt, mein bestelltes Buch abgeholt, noch den ein oder anderen Papierkram bearbeitet, mein Seminar gehalten, Bücher in die Bibliothek zurückgebracht und einen seltsamen Menschen getroffen.“
      „Einen seltsamen Menschen?!“ Er zog eine Braue hoch. „Wie habe ich das zu verstehen?“
      Ich erzählte ihm von meiner Begegnung mit Eric und als ich geendet hatte, fing er laut und herzlich an zu lachen.
      „Und da sagt noch einer, wir hätten nicht recht, wenn wir über sie spotten. Irgendwie sind die Mediziner schon ein seltsames Volk.“
      Ich gab ihm recht. „Ich finde sie allesamt ein wenig elitär. Und dieser Mensch, auch wenn er meinte, mir helfen zu müssen, hat nichts getan um meine Vorurteile zu entkräften. Er strahlte auch diese unterschwellige Arroganz aus...“
      „Die und Geisteswissenschaftler – das passt einfach nicht zusammen.“
      „Nein,“ entgegnete ich, „und das wird wahrscheinlich immer so sein...“
      Bisweilen hatte auch ich meinen Spaß an politischer Unkorrektheit. Dieser Nachmittag war einer dieser seltenen Anlässe.
      Und nachdem die etwas verfänglicheren Stellen am Anfang unseres Gesprächs irgendwie elegant umschifft worden waren, hatte ich noch eine sehr amüsante Zeit mit Christian, der immer mehr aufblühte. Letzten Endes blieb ich dann doch länger als erwartet mit ihm im Café sitzen, was dazu führte, dass die Universität erst gegen acht Uhr abends verließ, schließlich erledigte sich die aufgeschobene Arbeit nicht von allein.
      Umso glücklicher war ich also, als ich also kurz vor neun meine Wohnung betrat und mich erschöpft auf die Couch sinken ließ.
      Doch in diesem Moment klingelte bereits das Telefon.

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    • Nya hier geht es erstmal weiter und zwar... tja mit einem typischen Frauengespräch... Ich konnte einfach nicht anders, aber irgendwie erschien mir, das gehört dazu... Naja...
      Kritisiert mich, macht mich fertig... Ich kann es vertragen... :D

      Entnervt stand ich nochmals auf und hob den Hörer ab.
      „Henning!“ grunzte ich unfreundlich, während ich mich auf den Weg zurück zur Couch machte – ein Hoch auf schnurlose Telefongeräte!
      „Artemis, bist du’s? Ich hab schon mehrmals versucht dich anzurufen, aber immer nur deinen Anrufbeantworter erwischt.“
      „Hallo Judith,“ seufzte ich ein wenig versöhnlicher. „Du konntest mich gar nicht vorher erreichen – ich bin eben erst von der Arbeit gekommen.
      Judith Emmerich ist meine beste Freundin und ein Überbleibsel aus meiner Studienzeit. Wir studierten beide Germanistik, auch wenn ich damals eher zum Lehramt, sie hingegen eher zur Berichterstattung tendierte. Sie wurde dann schließlich Journalistin beim dortigen Tagesblatt und ich zog weg, als ich meinen jetzigen Job annahm. Trotzdem haben wir uns nie aus den Augen verloren. Es ist beispielsweise zum Ritual geworden, dass sie mich zu jedem Semesteranfang anruft, ich hatte es heute nur vor lauter Arbeit komplett verschwitzt.
      Charakterlich ist sie das komplette Gegenteil von mir. Sie sieht aus wie eine typische Intellektuelle mit ihren langen, stets zusammengebunden und inzwischen leicht angegrauten Haaren und ihrer großen Brille, die sie seit Jahr und Tag trägt. Sie ist sehr vorsichtig und ängstlich, etwas, das man ihr bei dem Beruf eigentlich nicht zutrauen würde. In ihrer ruhigen Art hat sie mich schon das ein oder andere Mal vor Dummheiten bewahrt, oder es zumindest versucht. Sie ist schon einige Jahre verheiratet, aber bisher kinderlos geblieben, auch wenn sie sich noch immer welche wünscht.
      „Ich hätte es mir ja eigentlich denken können,“ entgegnete sie mir. „Von Semester zu Semester kommst du später nach Hause. Wann kann man dich denn gewöhnlich in Zukunft erreichen? Um zehn Uhr abends?“
      „Oder in meinem Büro,“ spottete ich. „Du hast die Nummer.“
      „Du weißt, dass ich es hasse, dich auf der Arbeit anzurufen, wenn es nicht wichtig ist. Ich habe dann immer das Gefühl, ich halte dich von irgendetwas ab.“
      „Das würde ich dir dann schon sagen.“
      „Trotzdem. Privatgespräche führt man nicht während er Arbeit, Artemis. Du wirst schließlich auch nicht fürs Nichtstun bezahlt.“
      Ich lachte auf.
      „Du hast ja recht. Ich sitze sowieso den ganzen Tag in meinem Büro und faulenze, zumindest seit ich entdeckt habe, wie sich der Papierkram von alleine macht. Ich habe ein angenehmes Leben.
      Aber jetzt Spaß beiseite, es ist eigentlich eine Ausnahme, dass ich heute so spät heimgekommen bin.“
      „So eine große Ausnahme ist das nicht. Es wird öfters schon mal acht oder neun Uhr... Bist du sicher, dass das auf Dauer gut für dich ist, Artemis? Ich mache mir Sorgen.“
      „Brauchst du aber nicht, mir geht es gut. Wirklich. Ich hatte nur einen höchst interessanten Tag. Ich wurde von Christian zum Kaffee eingeladen und hatte einen Zusammenprall mit einem arroganten Mediziner.“
      Ich bemerkte, wie Judith versuchte, die Neugierde aus ihrer Stimme zu verbannen, es gelang ihr jedoch nicht ganz.
      „Das will ich jetzt aber ganz genau wissen. Wer ist dieser Christian überhaupt? Wäre der nicht was für dich?“
      „Um Himmels willen, Judith, nein! Er ist immerhin neun Jahre jünger als ich und schreibt gerade an seiner Doktorarbeit.“
      „Bei dir?“
      „Nein, das nicht. Aber er arbeitet gelegentlich mit mir zusammen als Wissenschaftlicher Mitarbeiter. Komm schon, wie würde das aussehen?“
      „Er ist also kein Student von dir und nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis? Ich sehe das Problem nicht.“
      „Judith!“ Ich stöhnte auf. „Du bist unverbesserlich! Er würde einfach nicht zu mir passen, außerdem habe ich keine Lust auf irgendwelches Gerede. Du wirst es nicht glauben, aber Wissenschaftler, besonders Geisteswissenschaftler können schlimmer als Waschweiber sein.“
      Das wiederum glaube ich aufs Wort! Ist er wenigstens süß?“
      „Er sieht nicht schlecht aus. Zufrieden?“
      „Nein! Artemis, du wirst dieses Jahr achtunddreißig und hast noch immer keinen festen Partner. Wie lange ist es her, dass du deinen letzten festen Freund hattest? Mindestens acht Jahre!“
      „Judith, hör auf damit! Ich bin glücklich, meine Arbeit macht mir Spaß und ich habe kein Bedürfnis nach einem Partner. Dass ihr Verheirateten das immer so schwer begreifen könnt.“
      „Ich glaube nicht, dass du glücklich bist. Ich denke eher, du machst dir nur etwas vor. Fühlst du nicht manchmal einsam?“
      „Wie denn? Wenn ich abends heimkomme, habe ich meistens gerade noch Zeit, etwas zu essen und dann lasse ich mich ins Bett fallen oder schreibe noch das ein oder andere.“
      „Genau das meine ich! Du hast kein Leben mehr außer deinem Job!“
      „Ist das so schlimm? Ich liebe meinen Beruf, ehrlich! Können wir jetzt bitte über etwas anderes reden? Ich bin schließlich kein kleines Kind mehr.“
      „Klein nicht, das ist wahr. Aber stur! Na schön, worüber willst du denn reden?“
      „Über dich zum Beispiel... Wie läuft es bei dir so?“
      Wir redeten noch mindestens eine Stunde miteinander, wenn nicht noch länger, aber mein Liebesleben schnitten wir nicht mehr an, worüber ich sehr dankbar war. Ich hasse es, darüber zu reden, selbst mit Judith, die ich inzwischen so lange kennt.
      Nachdem wir uns verabschiedet hatten, saß ich noch lange auf der Couch und dachte dennoch über ihre Worte nach. Als kleines Mädchen hatte ich immer den Wunsch verspürt, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Im Laufe der Zeit verblasste dieser Wunsch jedoch immer mehr, ersetzt den Ehrgeiz etwas aus mir zu machen und ich muss sagen, das ist mir gelungen.
      Als eine der wenigen Frauen in meiner Position konnte ich wirklich stolz auf das Geleistete sein und beklagen konnte ich mich schon gar nicht. Mir wurde es nie langweilig... Wo also lag das Problem?
      Fehlte mir wirklich etwas? „Nein!“ rief ich laut aus und lehnte mich zurück. Ich würde niemals, niemals meinen Beruf für irgendjemanden aufgeben. Dazu mochte ich ihn zu sehr.
      Also hatte ich wohl überhaupt keine Zeit, mich um einen potentiellen Partner zu kümmern. Wozu auch?
      Wer sollte dafür schon in Frage kommen? Christian ganz bestimmt nicht. Er erschien mir einfach zu jung und unerfahren und ich muss zugeben, in gewissem Grad hatte ich Angst, ich könnte ihm all seine Träume und Ideale nehmen. Immerhin hatte ich bei weitem mehr gesehen und erlebt.
      Nein, es ist schon gut so, wie es ist, sagte ich mir...
      Irgendwann schlief ich wohl auf der Couch ein...

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    • Und weiter geht es... Sorry für den Triplepost...
      Wenn ihr das Gefühl habt, es wird kitschig, oder klischeehaft, so lasst es mich bitte wissen.
      Sich in Profs reinzuversetzen ist nicht immer leicht... Ich tue mein bestes, ehrlich... ich möchte mich außerdem entschuldigen, wenn die Dialoge hölzern wirken.
      Würde mich über Kritik wirklich freuen. Ob ich auf dem richtigen Weg bin, oder nicht?

      II


      Dinge können sich ändern. Manchmal sogar schneller als man es glauben mag und selbst unsere Eigenarten, also die Dinge, die wir am meisten hüten, sind veränderbar. Der Mensch ist in der Tat ein Gewohnheitstier, der sein Leben am liebsten soweit ordnet, dass so wenig Wandel wie möglich stattfindet. Zwar versuchen wir Wissenschaftler dies immer wieder außer Kraft zu setzen, zumindest für unser eigenes Leben, doch gelingt es uns nur bedingt. Auch wenn wir von dem Willen und Neugier angetrieben werden, Neues zu finden und zu erforschen, so verfallen auch wir irgendwann in eine Routine, die zwar nicht ganz so offensichtlich ist, aber dennoch vorhanden. Von dieser Routine wegzukommen ist, wie bei all den anderen Gewohnheiten ebenso, schwer, aber trotzdem nicht unmöglich.
      An die nächsten Wochen erinnere ich mich nicht mehr so deutlich, da sie, wie bereits angedeutet, hauptsächlich von Routine geprägt waren. Ich arbeitete, ich lehrte, ich forschte und verbrachte, wie üblich viel Zeit an der Universität und in damit zusammenhängenden Institutionen. Das Übliche eben...
      An einem Montag Morgen jedoch holte mich mein Schicksal, das sich bereits am ersten Tag des Semesters bemerkbar gemacht hatte, endgültig ein.
      Als ich den Gang, der zu meinem Büro führte, entlangging, sah ich eine Gestalt, die geduldig vor der Tür zu warten schien. Ich wusste, dass mir diese Statur bekannt vorkommen sollte und beim näheren Hinsehen entpuppte sie sich als Eric Theissen.
      O Gott! Ich stöhnte auf und verdrehte die Augen. Aus irgendeinem Grund schwante mir, dass ich der einzige Grund für seine Anwesenheit war.
      Als er mich erblickte, nickte er mir zu, wartete aber weiter, bis ich beim ihm angelangt war.
      „Guten Morgen, Frau Professor!“ Er warf einen bedeutungsvollen Blick auf das Schild, das neben meiner Bürotür angebracht war, und meinen Namen, Titel, Aufgabenbereich, Raumnummer, Sprechzeiten und Ähnliches enthielt.
      Ich musterte ihn misstrauisch.
      „Kann ich etwas für Sie tun?“
      „Haben Sie einen Augenblick Zeit?“
      „Kommt darauf an. Was wollen Sie denn?“
      „Um ehrlich zu sein – mit Ihnen reden...“
      Ich zog eine Augenbraue hoch, denn seine Antwort überraschte mich dann doch. Ich hätte nicht gedacht, dass er so direkt sein würde.
      „Worüber denn? Ich darf annehmen, dass es sich nicht um etwas Dienstliches handelt?“
      Er streckte mir entwaffnend seine Handflächen entgegen.
      „Nicht direkt, nein. Ich möchte einfach mit Ihnen reden, wenn das nicht zuviel Umstände macht.“
      „Sollten Sie nicht in der Klinik sein?“
      „Ich habe heute nicht so viel dort zu tun. Nachher muss ich aber auf alle Fälle noch einmal dorthin gehen. Wieso? Wollen Sie mich so dringend loswerden?“
      „Was ist, wenn ich ja sage?“
      Er lächelte.
      „Dann hätte ich zwei Möglichkeiten. Entweder ich würde mich Ihren Wünschen fügen oder hartnäckig warten, bis Sie sich Zeit für mich nehmen. Eine schwere Entscheidung.“
      „Ich bin eine vielbeschäftigte Frau.“
      „Daran zweifle ich nicht. Aber ich könnte in Ihren Sprechstunden wiederkommen, deren Zeitpunkt ja dankenswerterweise auf diesem Schild steht.“
      Ich zuckte mit den Schultern.
      „Dann bleibt wir wohl keine Wahl, oder? Ich bin jedoch der Auffassung, meine Sprechzeit sollte Studenten zur Verfügung stehen und keine Privatgespräche beinhalten.“
      „Sehr lobenswert.“
      „Allerdings habe ich auch jetzt wenig Zeit. Ich erwarte noch einen Anruf und in einer halben Stunde habe ich mich mit einem Kollegen verabredet. Zudem ist hier kein geeigneter Rahmen für ein Gespräch...“
      „Was schlagen Sie also vor?“
      „Haben Sie heute Nachmittag etwas vor?“
      „Nichts, was ich nicht verschieben könnte. Ich habe das Meiste für diese Woche schon vorgearbeitet.“
      „Gut. Dann treffen wir uns so gegen 14.00 Uhr vor dem Boheme, das hier in der Nähe ist.“
      „Das Jugendstilcafé? Ich habe schon einiges davon gehört, es jedoch noch nie besucht.“
      „Dann wird es aber Zeit. Wir sehen uns also dann..“
      Ich machte mich daran, meine Tür aufzuschließen und er nickte mir erneut zu.
      „Bis dann...“ Er ging ein paar Schritte, dann drehte er sich noch einmal um und sah mich an.
      „Ich muss sagen, ich bin überrascht.“
      „Darüber, dass Sie es geschafft haben, ein Treffen mit mir auszumachen?““
      „Nein, über das Schild hier. Als Sie mir sagten, Sie arbeiteten in der Unterabteilung für Linguistik, hätte ich nicht gedacht, dass Sie gleich den Lehrstuhl innehaben.“
      „Wie soll ich es ausdrücken? Ich mag es nicht, mit meinem Titel anzugeben, zufrieden?“
      „Durchaus, es überrascht mich wie gesagt nur. In der Medizin ist das selten üblich...“
      Ich zuckte die Schultern.
      „Wir Geisteswissenschaftler sehen das wohl etwas lockerer.“
      „Vermutlich. Nunja, wir sehen uns ja nachher. Ich will Sie nicht länger aufhalten.“
      „Das ist sehr nett von Ihnen, vielen Dank.“
      Er lächelte nur und ging den Gang hinunter.
      Ich betrat nun endlich mein Büro und schloss die Tür hinter mir. Dann lehnte ich mich an sie und legte den Kopf zurück.
      Ein Treffen mit Eric Theissen! Der Tag fing ausgesprochen gut an!

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    • Tja, die neuen Kaptiel lesen sich einwandfrei, sie haben vielleicht einen etwas handwerklichen Touch, ich meine damit dass sie eben nichts wirklich Neues, Überraschendes bieten sondern irgendwie gedacht erscheinen die Kulisse auszubauen oder "Voreinstellungen" setzten(...wow, hoffentlich verstehst du überhaupt was ich sagen will...) aber mir wäre kein bestimmter Punkt aufgefallen den ich als recht störend oder so empfunden hätte.

      Also, ich bleib dran xD

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    • @ Irrlicht: Erneut vielen Dank für das Review. *Keks reich* Irgendwie bist du der Einzige... :D
      Ich weiß genau, was du damit meinst, aber es ist halt notwendig, die Charaktere soweit einzuführen, dass dann alles steht, wenn der große "Knall" kommt. Gerade Eric ist dabei ungemein wichtig (auch wenn ich ja schon gespoilt habe...), deshalb bekommt der jetzt noch ein wenig Screentime.
      Ich hoffe trotz dem Wissen, was mit den beiden passieren wird, kann man den Dialog genießen. Ich versuchte ihn so Schnulzen- und Blöde-Anmachen- frei zu halten, wie es mir nur möglich war.
      Und dieser kurze Exkurs in die Linguistik soll nur nochmal Artemis' Job verdeutlichen, weil ich zumindest ein bisschen darauf eingehen wollte - das ist auch der Grund warum sie Linguistin ist. Davon verstehe ich halbwegs etwas. (Obwohl meine Professorin möglicherweise für diesen Absatz killen würde - ich hoffe ich habe es sachlich richtig geschrieben...)
      Egal... Langsam aber sicher komme ich voran - die Vorgeschichte ist bald abgeschlossen. ^^ Enjoy!

      Edit: Das habe ich ganz vergessen. Ich habe die Szene des Zusammenpralls der beiden etwas abgeändert. (Ist oben in fett gedruckt!) Also nicht wundern, dass Eric plötzlich von Dingen spricht die "eigentlich nicht passiert sind"...

      Einige Stunden später saß ich also fast genau am selben Tisch im selben Café, wie einige Wochen zuvor mit Christian. Früher war ich nur höchst selten dort, aber dieses Semester schien mich direkt zur Stammkundin werden zu lassen. Nur dieses Mal war die Begleitung nicht ganz so angenehm.
      Ich hatte mich nur aufgrund Erics Hartnäckigkeit zu diesem Treffen hinreißen lassen, weil er es wahrscheinlich tatsächlich fertiggebracht hätte, in meine Sprechstunde zu kommen. Eine Peinlichkeit, die ich mir ersparen wollte.
      Sobald wir unsere Plätze eingenommen hatten, beschloss ich, sofort zur Sache zu kommen. Auch wenn ich mich selbst als spontanen Menschen bezeichnen würde, so konnte ich gerade in der Vorlesungszeit wenig Außerplanmäßiges gebrauchen, wenn ich mit meinem grob erstellten Zeitplan einigermaßen hinkommen wollte.
      „Darf ich nun erfahren, was Sie von mir wollen?“
      Er legte die Getränkekarte, die er gerade angefangen hatte zu studieren, zur Seite und sah mich an. Ich konnte keine Gefühlsregung in seinem Gesicht erkennen.
      „In erster Linie wollte ich mich nochmals bei Ihnen entschuldigen. Ich habe mich bei unserer Begegnung wirklich sehr unfein benommen.“
      Ich beschloss, versöhnlich zu sein und verzog die Lippen zu einem leichten Lächeln.
      „So unfein war Ihr Benehmen doch gar nicht. Immerhin haben Sie mir beim Aufsammeln und Wegbringen der Bücher geholfen.“
      „Ja, aber erst nachdem Sie mir hinterhergerufen hatten. Ich wäre ansonsten einfach weitergelaufen.“
      „Das wäre in der Tat nicht sehr nett gewesen. Aber so haben Sie ja dann doch nicht gehandelt.“
      „Nein. Das habe ich nicht. Um ehrlich zu sein, hatte ich gar nicht gesehen, dass ich Ihnen die Bücher aus der Hand geschlagen hatte...“
      „Nunja...“ Ich strich mir eine Haarsträhne hinter das Ohr. „Das kann jedem passieren.“
      „Sie sind mir also nicht böse?“
      „Nein, eigentlich nicht. Wieso, habe ich den Eindruck erweckt?“
      „Um ehrlich zu sein, erschienen Sie mir ein wenig abweisend.“
      „Das war ich in dem Moment auch. Ich muss zugeben, im ersten Moment ziemlich wütend gewesen zu sein. Danach war ich wohl einfach leicht gereizt. Außerdem stand ich an diesem Tag auch etwas unter Zeitdruck...“ Ich entschied mich, die Wahrheit ein wenig zu dehnen, denn aus irgendeinem Grund wollte ihn nicht kränken.
      Einen Moment musterte er mich prüfend, dann lächelte er mich an.
      „Dann sehe ich das hiermit als eine offizielle Versöhnung. Einverstanden?“
      Ich nickte kurz.
      „Einverstanden.“
      „Dürfte ich Sie dann zur Feier des Tages auf ein Getränk einladen?“
      Betont langsam ergriff nun ich die Getränkekarte und schlug sie auf, bevor ich sie wieder vor mich hinlegte.
      „Dürfen Sie, wenn Sie mir eine Frage beantworten.“
      „Aber natürlich. Worum handelt es sich?“
      Ich strich mir erneut eine lästige Strähne hinter das Ohr, dann sah ich ihm fest in die Augen.
      „Wieso legen Sie eigentlich so viel Wert auf meine Meinung? Ich meine, es hätte Ihnen ja egal sein können, was ich über Sie denke, oder?“
      Sein Gesicht verriet erneut keine Regung und ich fragte mich einen kurzen Moment, ob ich diese Frage überhaupt hätte stellen dürfen – bis er antwortete.
      „Ich versuche das, was ich jetzt sage, so frei von irgendwelchen nichtssagenden Floskeln zu halten, wie es mir möglich ist – was Ihnen als Germanistin vielleicht etwas leichter fallen würde.
      Nun gut... Seit diesem unrühmlichen Vorfall sind jetzt schon einige Wochen vergangen, dennoch fielen meine Gedanken früher oder später immer wieder darauf zurück. Ich musste an Sie denken, energisch und bestimmt und daran, wie unmöglich ich mich verhalten hatte und aus irgendeinem Grund wurde mir das immer unerträglicher. Ich hatte schon länger überlegt, Sie aufzusuchen, aber leider bisher so viel Arbeit gehabt, dass ich erst heute geschafft habe. Aber sagen wir einfach – Sie sind mir nicht aus dem Kopf gegangen.“
      Ich war für einen kurzen Moment sprachlos, doch als er endlich wieder lächelte, fand ich auch meine Worte zurück.
      „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, das war gerade eine Liebeserklärung...“
      „Ist das etwas, was Sie fürchten müssten, sind Sie liiert?“
      „Momentan nicht, nein... Was das Fürchten angeht – darüber bin ich mir noch etwas im Unklaren.“
      „So? Dann will ich Sie beruhigen. Es liegt nicht in meiner Absicht, Sie zu bedrängen und ich bin kein Narr. Wenn man jemanden nur zweimal gesehen hat, kann man ihm nur schwerlich ein Liebesgeständnis machen, also nehmen Sie es auch nicht als ein solches. Nehmen Sie es als Kompliment.“
      „Dann bedanke ich mich recht herzlich. Und nehme mir jetzt die Freiheit, ein Getränk zu bestellen.“
      Er nickte und winkte die Bedienung an unseren Tisch, die seiner Geste sofort nachkam.
      Mit der Hand wies er auf mich.
      „Eine Tasse Latte Macchiato bitte...“, bestellte ich.
      „Für mich einen normalen schwarzen Kaffee.“
      Das Mädchen nahm die Bestellung auf und brachte auch nach kurzer Zeit das Gewünschte.
      Ich nahm das warme Getränk dankend an und ertappte mich dabei, mit meinem Teelöffel darin zu rühren.
      Momentan hatte ich einfach keinen Appetit mehr auf reinen Kaffee, ich wusste nicht warum. Vielleicht deshalb, weil ich ihn Unmengen konsumierte, wenn es abends in meinem Büro einmal später werden würde.
      „Darf ich Sie noch etwas fragen, Frau Professor?“ riss mich Eric aus meinen Gedanken.
      „Bitte hören Sie mit diesem Titel auf...“ entgegnete ich ihm sofort.
      „Wieso denn? Sie haben ihn sich ehrlich verdient, Sie müssen sich doch nicht dafür schämen.“
      „Ich schäme mich auch nicht dafür.“
      „Sondern?“
      „Ich finde ihn nur in der Anrede störend. Drei, nein sogar vier Silben mehr, die man aussprechen muss, das widerspricht vollkommen unserem Prinzip der Sprachökonomie! Ganz abgesehen davon, dass mir die alten Prinzipienreiter noch aus meiner eigenen Studienzeit sauer aufstoßen. Wir sind doch auch nur Menschen.“
      „Auch wenn ich das mit der Sprachökonomie nicht ganz verstehe, so handelt es sich bei Ihrem zweiten Argument immerhin um Menschen, die etwas geleistet haben...“
      „Das ist etwas, was ich manchmal bezweifle, wenn ich mir ansehe, was hier zum Teil herumläuft. Aber soll ich Ihnen erklären, was es mit Sprachökonomie auf sich hat?“
      „Wenn Sie möchten...“
      „Normalerweise werde ich dafür bezahlt. Und auch wenn ich eine ganze Vorlesung über dieses Thema halten könnte, so versuche ich mich kurz zu fassen.“
      „Ich bitte darum.“ Er grinste.
      „Na schön. Eigentlich ist es relativ einfach. Den Begriff ‚Ökonomie’ kennen Sie ja, wenn etwas ökonomisch ist, so ist es besonders effizient. Sprachökonomie ist da keine Ausnahme und letztlich ein Antriebsmotor für Sprachwandel. Wir sind nun einmal faul und versuchen ständig beim Sprechen Kalorien einzusparen, ohne dabei unverstanden zu bleiben. Dennoch neigen wir gerne zu Abkürzung von Wörtern oder dem Verschlucken oder gar Verschmelzen der Silben. Die berühmte Nebensilbenabschwächung ist ein gutes Beispiel dafür...“
      Er hob die Hand.
      „Ich denke ich weiß nun, was Sie meinen. Wie ich sehe, nehmen Sie Ihren Beruf wirklich ernst.“
      „Natürlich. Sie etwa nicht?“
      „Meistens schon, doch.“
      „Sehen Sie?“
      „Darf ich noch mal zu meiner Frage zurückkommen?“
      „Von mir aus...“
      „Womit beschäftigen Sie sich, wenn Sie nicht den Fragen des Sprachwandels und Ähnlichem nachgehen?“
      „Wie habe ich diese Frage zu verstehen?“
      „Dürfte ich Sie diese Woche ins Kino oder Theater einladen?“

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    • Original von CAMIR
      @ Irrlicht: Erneut vielen Dank für das Review. *Keks reich* Irgendwie bist du der Einzige... :D


      Da muss ich dich leider enttäuschjen, ich scheib auch mal was.

      Ich finde die Story ziehmlich gut, hab mich imme gefreut, wenn ich bemerkte, dass gerade ein neuer Teil fertig war und du ihn gepostet hast.
      Irrlicht hat recht, es ist wirklich infach noch die Vorgeschichte, aber im Gegensatz zu vielen andern Storys empfinde ich sie nicht ls langweilig, sondern sie macht schon richtiig Spaß zu lesen.
      Was mir wirklich auffällt ist, dass ich die Geschchte einfach so lesen kann, ohne das mich irgendein Teil dabei langweilt oder stört, bis jetzt hab ich noch kein einziges Mal gedacht: "Mann, das hätte die sich jetzt aber sparen können"
      Die Geschichte ist toll geschrieben, ich freu mich auf weitere Kapitel, also enttäusch mich nicht ;)
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    • Waaaahahahaaaaaa. Reviews! Reviews! *freu* *sing* *tanz*

      @ Twilight Link: Es freut mich, dass auch du dich als "Leser" geoutet hast. Vielen Dank für die positive Kritik... Ich enttäusche dich (und auch die anderen) nicht - ich schreibe weiter. Was die Vorgeschichte angeht: Mit dem Absatz heute ist sie beendet.

      @ Irrlicht: *Wuahahahaha* Hab mich sehr über das Review gefreut. Sie gehen auch ins Kino - und noch viel mehr... ^^

      Sooo, bevor ihr jetzt weiterlest. Das hier ist ein Holzhammerabsatz mit extremer Zeitraffung. Seid gewarnt und nicht gleich enttäuscht. Es gibt noch mehr über die Beziehung von Artemis und Eric zu erfahren, das verspreche ich. Aber heute bin ich da angelangt, wo die Geschichte eigentlich wirklich losgeht. Auch wenn ein zentraler Charakter noch nicht vorgestellt wurde...

      Und zum Abschluss noch ein kleines Schmankerl von meiner Freundin zum Geburtstag: Artemis Henning... Die Szene dürft ihr ja kennen. Und ja ein wenig zu jung ist sie, aber ich mag das Bild anyway... ^^

      Es braucht nicht besonders viel Fantasie, meine Antwort auf diese Frage zu erraten. Trotz seiner anfangs unerträglichen Art, musste ich mir eingestehen, dass Eric um einiges charismatischer war, als ich geglaubt hatte. Der Nachmittag im Café und das Gespräch hatten mich versöhnlicher gestimmt und so sagte ich zu.
      Aus einem Abend im Kino, Theater oder sonst wo wurden bald mehrere, bis es sich zu einem wöchentlichen Ritual entwickelte, auf das ich mich mehr und mehr freute.
      Er war sehr kreativ im Aussuchen seiner Ziele und bald brauchten wir gar keine Abendunterhaltung von außerhalb. Theaterbesuche wichen Restaurantbesuchen, bei denen wir uns abwechselnd einluden und die meist mit stundenlangen Gesprächen ausgefüllt wurden, in denen wir uns schon nach recht kurzer Zeit das Du anboten.
      Nach gut einem Monat hatte ich das Gefühl, als würde ich ihn schon mein ganzes Leben kennen. Er war zwei Jahre älter als ich und als einziger Sohn einer Ärztin und eines Lehrers schon akademisch vorbelastet, sodass für ihn nie etwas anderes als ein Studium in Frage gekommen wäre. Trotzdem war Medizin zunächst seine zweite Wahl – er hatte zuvor zwei Semester Philosophie studiert, bevor er das Fach wechselte und dabei blieb. Seine philosophische Ader jedoch war ihm, wie ich fand, erhalten geblieben in der Art wie er sich ausdrückte und mit Menschen umging. Er hatte etwa zur selben Zeit wie ich an unserer Universität zu arbeiten angefangen, erklärte mir dennoch erneut, höchst selten auf dem Campus zu finden zu sein, weil er sein Büro in den Kliniken hatte.
      An jenem Tag hatte er ebenfalls Bücher in die Bibliothek zurückgebracht, deren Lage er ebenso schätzte wie ich es tat. Er nahm mir damit zwar das Klischee, Mediziner bräuchten weniger Bücher als wir, aber Vorteile waren ja meistens dazu da, überwunden zu werden.
      Überhaupt erzählte er mir sehr viel von seiner Tätigkeit und ich begann zu verstehen, dass er sich Arroganz gar nicht leisten konnte. Seine Studenten und Patienten bedeuteten ihm viel zu viel dafür. Ich lernte schnell, dass er wohl anders war, als es auf den ersten Blick den Anschein gehabt hatte.
      Er war verständnisvoll und bedächtig und fand immer die richtigen Worte in der richtigen Situation. Er hörte mir geduldig zu, wenn ich ihm von mir und meinen kleineren Problemen bei dem ein oder anderen Projekt erzählte und machte sich ernsthaft Gedanken, wie mir zu helfen sei.
      Und nach zwei Monaten hatte er mich dort, wo ich mir niemals hätte träumen lassen noch einmal sein zu können.
      Er brachte mich nach einem dieser Abende nach Hause zurück und begleitete mich noch bis an die Haustür. Eigentlich wollte ich ihm, wie sonst auch die Hand geben, aber irgend etwas war an diesem Abend anders. Vielleicht lag es am Rotwein, an der Uhrzeit, an seinem Blick oder an etwas komplett anderem. Auf jeden Fall küsste ich ihn stattdessen sehr vorsichtig auf den Mund. Er schien nicht im geringsten überrascht oder verstört durch mein Verhalten zu sein und erwiderte den Kuss ohne zu Zögern.
      Es fühlte sich gut an, nach längerer Zeit wieder einmal die Nähe und Wärme eines anderen Menschen zu spüren, der nicht vor mir zurückwich, der mich als gleichwertig betrachtete und nicht zu mir aufsah...
      Als wir uns voneinander gelöst hatten, sah er mich sehr ernst an.
      „Artemis...“ Vorsichtig strich er mir über die Haare. Ich legte meine Hand auf seine und lächelte.
      „Ja?“
      „Du hörst nicht auf mich zu überraschen... Ich hätte niemals geglaubt...“ Er brach ab und sah zu Boden.
      Ich trat einen Schritt auf ihn zu und legte ihm behutsam die Arme um den Hals, bevor ich ihn zärtlich auf die Stirn küsste.
      „Ich bin selbst von mir überrascht...“ brachte ich schließlich hervor.
      Er nickte und sah mich erneut an.
      „Kann ich noch einen Moment mit dir hochkommen?“
      „Selbstverständlich...“ Ich löste meine Arme von ihm und öffnete die Tür.
      Tatsächlich kam er noch mit mir in meine Wohnung und wir führten ein sehr langes Gespräch. Etwas in unserer Beziehung zueinander hatte sich verändert und wir waren nicht mehr in dem Alter, wo man das so nonchalant hinnahm. Die Frage lautete nun, ob wir dies auch weiterhin zulassen sollten...
      Ich werde diesen Abend niemals vergessen, denn noch nie hatte ich Eric so aufgewühlt erlebt. Er machte mir deutlich, dass es für ihn furchtbar wäre, wenn wir den heutigen Abend in Zukunft übergingen, als wäre nie etwas passiert. Ich konnte ihn beruhigen, indem ich ihm versprach, dass dies auch nicht meinem Sinn wäre. Es gab für mich zu diesem Zeitpunkt keinen besonderen Grund, das, was sich zwischen uns entwickelte nicht laufen zu lassen und zu sehen, was passierte.
      Und genau das geschah dann auch.
      Es dauerte zwar noch gut vier Wochen, bis wir uns eingestanden, dass wir bereits eine Beziehung miteinander hatten und einen Schritt weiter gingen, aber danach ging alles sehr, sehr schnell.
      Gegen Ende des Semesters waren wir ein festes Paar, sehr zur Freude unserer Eltern und Judith und weniger zur Freude von Christian.
      Und nachdem wir länger als ein Jahr zusammenblieben zogen wir auch zusammen.
      Wir hatten wieder eine Zukunft, sprachen sogar von Heirat und Kindern, auch wenn wir nichts überstürzen wollten.
      Es gibt ein Sprichwort das besagt: „Das Glück ist eine Hure, man weiß nie mit wem sie ins Bett steigt...“
      Wie es aussah, wollte diese Hure uns im vierten Jahr unserer Beziehung nicht mehr beistehen.
      Ich zittere jetzt noch, wenn ich an diesen vermaledeiten Tag denke, als sie bei mir klingelten und mir die Nachricht überbrachten, dass Eric tot ist, gestorben bei einem Autounfall auf dem Heimweg von einem Ärztekongress.

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    • Och nee... wie Schade, dass du das Glück der Beiden in Stücke schlägst wie man es bei einem Sparschwein macht...*seufz*
      Aber ich wäre versönlich, wenn Artemis wenigstens ein paar schöne Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit hätte, sie waren doch bestimmt mal einfach so im Park ein Eis essen oder irgendwo spazieren im Herbst, oder tanzen vielleicht xD
      Das man eben vielleicht doch etwas mehr Tiefe in ihrer kurzen Beziehung zueinander herauslesen könnte, das fehlt mir fast etwas.
      Wie dem auch sei, ich bleib dran, das Bild find ich übrigens sehr gelungen, es passt auch gut zu der Figur Artemis Henning!

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