Hier ist eine kleine Fanfic zu einem von mir heißgeliebten Rollenspiel namens Grandia - vielleicht kennen es einige von euch ja.
Es orientiert sich im Großen und Ganzen sehr grob an der Originalhandlung (aber nur im Entferntesten ^^), der Autor (moi xD) behielt sich jedoch vor, durch etwas SEHR^^ abweichende Dialoge und Story-Entwicklungen dem ganzen eine gewisse "Würze" zu verleihen.
Ich hoffe sehr, dass einige sich die Mühe machen und sich den 'Apparat' durchlesen, um - worum es mir eigentlich geht - anschließend Kritik zu üben. Besonders bitte ich um 'negative' Kritik in Form von Tips bezüglich Stil, Logik (sind die Charaktere an sich nachvollziehbar? Haben sie überhaupt 'Charakter'?). Und keine Sorge - ich kann entsprechend damit umgehend^^
Grandia
Prolog
Es war später Nachmittag, als Ryudo aufblickte. Endlich hatte er den Berg erklommen. Der Wind streifte durch sein schulterlanges schwarzes Haar, als er den Blick senkte.
Das Land war riesig. Er blickte auf im Sonnenlicht glitzernde, kristallklare Flüsse, die sich in unzähligen Windungen dahinschlängelten, auf gigantische Wälder und auf weite Graslandschaften, die sich in der Ferne verliefen, hinab. Sein Blick schweifte gen Westen, wo ein düsteres Bergmassiv sich in den Himmel erstreckte.
Es war ein merkwürdiger Anblick für Ryudo, da sich auf seiner Augenhöhe bereits die ersten Wolken befanden, aus denen sich die Berge wie düstere, spitze Pfähle erhoben. Sie waren pechschwarz, was in dem angrenzenden Land ausreichend Stoff für die eine oder andere Legende bot.
Ryudo sah nach Osten. Ein tiefblauer Ozean erstreckte sich bis an den Horizont. In der Ferne meinte er das Geschrei der Möwen zu hören, das vom Wind herangetragen wurde.
An der Küste befanden sich kleine Fischerstädtchen und einige Kutter waren auf dem Meer zu erkennen.
‚Silesia, dachte Ryudo. ‚Das ist also Silesia’.
Er machte sich an den Abstieg, nachdem er den Pass mit der Grenze überwunden hatte.
Das Seil, das er um den Bauch gebunden hatte, sicherte ihn.
Er hörte Stimmen. ‚Das müssen die Goblins sein. Endlich habe ich sie gefunden’, dachte Ryudo.
Nach fünf Meter mühseligem Klettern befand er sich genau über den grünhäutigen Hominiden. Es waren sieben Stück, viel zu viele, um sie offen zu bekämpfen, aber Ryudo musste an die beiden Truhen herankommen, die die Goblins erbeutet hatten.
‚Aber es kann auch anders gehen’. Ryudo zog einen kleinen Lederbeutel aus seiner Tasche. Der Beutel war mit Schwarzpulver gefüllt. Ryudo steckte eine Lunte herein.
Er nahm sein Feuerzeug zur Hand und wollte die Bombe gerade entzünden, dann jedoch zögerte er. Wenn sie hier auf dem Berg annihilieren würde, könnte die Detonation einen Erdrutsch hervorrufen.
Also zündete Ryudo die Bombe an und warf sie in ein kleines Wäldchen am Fuße des Berges, ungefähr zwanzig Meter von den Goblins entfernt.
Die Explosion war ohrenbetäubend.
Die Goblins schreckten auf. Sechs von ihnen stürmten in den Wald um herauszufinden, was passiert ist, einer blieb als Wache für die Truhen da. ‚Den schaff ich im Handumdrehen!’ dachte Ryudo und sprang die letzten Meter hinunter.
Die Wache erschrak, sie hatte mit dem überraschenden Angriff nicht gerechnet. Ryodo nutzte die Gelegenheit und zog sein Schwert. Schweißperlen rannen seine Stirn hinunter. Er hatte schon lange nicht mehr getötet.
Der Goblin besann sich und hob seine Keule. Er stürmte auf Ryudo zu, welcher ebenfalls seine Klinge erhob.
Mit einem wütenden Grunzen stürzte sich der Goblin auf Ryudo.
In Höhe Ryudos Kopf durchschnitt die Waffe die Luft, Ryudo sprang zur Seite und rollte akrobatisch ab. Dadurch gelang er in einen großen Vorteil, denn der überhastete Feind war blindlings ins Leere gesprungen. Ryudo sprang auf und hieb mit seinem Schwert in den Rücken der Kreatur. Er hatte voll getroffen, der Goblin sank zu Boden. Sein Blut sickerte auf den Boden und gab dem welken Gras einen satten rötlichen Ton.
„Puh!“ sagte Ryudo heftig atmend. „Ich bin ganz schön aus der Übung“.
Gedankenverloren sah er auf das tote Wesen. Dann wandte er sich den Truhen zu. Sie waren aus massivem Holz, die Kanten waren mit verrostetem Metall verstärkt. Das Schloss war ebenfalls verrostet. Ryudo setzte sein Schwert an, um es aufzuhebeln. „Da ist sie ja!“, sagte Ryudo und nahm eine kleine blaue Kugel aus dem Innern einer Kiste heraus. Auf einmal hörte er ein Zischen in der Luft. Er sah auf und sah gerade noch rechtzeitig fünf Speere auf sich zuschießen.
Er sprang gerade im rechten Augenblick zurück, denn die Speere schlugen einen halben Meter vor seinen Füßen auf.
‚Verdammt!’ dachte Ryudo. ‚ Skye müsste längst hier sein!’
Worum es hier überhaupt ging? Nun, um einen ganz normalen Job - denn Ryudo war Söldner. Er nahm jeden Auftrag an, egal von wem.
‚Business is Business’ war Ryodos Devise. Geschäft ist Geschäft. Dass es in diesem Job auch mal etwas härter zur Sache gehen konnte, störte ihn nicht.
Skye war Ryudos Partner, ein sprechender Adler. Normalerweise gingen sie immer gemeinsam auf Streifzug und erledigten jeden Auftrag gemeinsam.
Diesmal war geplant, dass sich Ryudo die Truhen schnappt und zusammen mit Skye flüchtet.
Doch er kam nicht.
Währenddessen kamen die Goblins gefährlich nahe an Ryudo heran.
‚Verdammt, das wird arschknapp!’ dachte dieser, als er plötzlich einen gellenden Schrei hörte.
„Skye! Endlich!“ rief Ryudo, steckte die Kugel in eine Tasche seines Mantels, drehte sich um und sprang die Steilklippe hinter sich hinab. Die Goblins schauten ziemlich blöd aus der Wäsche. Feind und Beute weg? Weder Geld noch ein leckeres Abendessen?
Unvorstellbar! Sie traten an den Rand und sahen herunter. Da flog der Feind, sich an den Klauen eines mächtigen Raubvogels festhaltend .
„Aah, das müssen wir mal öfters machen!“, meinte Ryudo, als ihm der Wind ins Gesicht blies. Er sah direkt in den Sonnenuntergang hinein. „Granas ist fantastisch!,“meinte er. „Oder, Skye?“
„Jaja, Ryudo, wenn du meinst…nur: Ich kann dich nicht mehr länger halten!“, antwortete der Vogel, als er tiefer flog und eine Schneise im Wald durchsegelte. Nun, im Spätsommer, färbten sich die Blätter der Bäume langsam und nahmen eine orange bis purpurne Farbe an.
„Stell dich nicht so an, du komischer Vogel!“, rief Ryudo. „Du hockst den ganzen Tag über faul auf meiner auf meiner Schulter herum, und fängst jetzt nach zwei Minuten schon an zu jammern! Altes Weicheiaaaaah!!!“
„Sorry, Ryudo. Du hättest heute Morgen nicht so viel essen dürfen.“, rief Skye von einem Ast der Buche hinunter, auf der er gelandet war. „Verdammt! Hättest du nicht etwas tiefer fliegen können, du blödes Vieh?“, rief Ryudo vom Waldboden herauf, während er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Hintern rieb, auf dem er unsanft gelandet war.
„Die Kugel hätte zerbrechen können und wir hätten den Vorschuss gerade wieder zurückzahlen können.“
"Stell dich nicht so an, unsere Auftraggeber dürften jeden Moment kommen. Du weißt ja, wie pingelig der Alte ist…“
Kurz darauf hörten sie Schritte, die durch den Waldboden gedämpft wurden. Ein Ast knackte, und Ryudo zog vorsichtshalber sein Schwert. Aber es war nur ein alter Mann in Begleitung einer hübschen Frau. Ryudo schätzte sie auf Anfang zwanzig.
„Ah, Ryudo! Hast du die Kugel?“ fragte sie aufgeregt.
„Ja, wie abgemacht. Die Goblins hatten sie schon in einer ihrer Truhen versteckt, als ich sie ihnen durch eine List entwenden konnte.“
„Wie mutig von dir, das war bestimmt nicht einfach, aber für so einen starken und tapferen jungen Mann…“
„Still“, knurrte der Alte. Ich verbiete dir, mit so etwas zu kommunizieren!“
„So etwas?“ fragte Ryudo mit einem scharfen Unterton in der Stimme“
„Vater, sei nicht so unfreundlich!“ rief das Mädchen.“
„Ihr Söldner seid doch alle gleich!“, rief der Mann entzürnt. „Tötet wahllos, nur weil man euch dafür bezahlt.“
Er drehte sich um und wollte gerade gehen als Ryudo ihm sein Schwert in den Rücken hielt. „Was willst du noch von mir?", rief der Alte mit einem verachtendem Unterton in der Stimme.
„Nur meinen Lohn, dann ist alles in Ordnung. Außerdem hast DU meine Dienste angenommen, das heißt, DU hast dich auf den Deal eingelassen. Und zweitens waren es eh keine Menschen, sondern nur ein stinkender Goblin.“
„Jaja, schon in Ordnung“, krächzte der Alte, welcher eigentlich nur so blad als möglich gehen wollte. Er griff in seine Tasche und nahm eine kleine Geldbörse heraus. „Hier ist dein Geld, 500 Groschen, wie abgemacht.“
„Okay, das wars, was ich wollte. Wir verziehen uns. Komm, Skye!“ rief Ryudo.
Der Vogel landete auf seiner Schulter. Ryudo drehte sich um und ging den Waldweg entlang in Richtung Carbo, einer kleinen Stadt in der Nähe des Waldrandes.
„War das nötig, Ryudo? Das ist einer der Gründe, warum die Leute Söldner wie dich verachten“ sagte Skye mit einem tadelnden Blick welcher sich in nahezu fließendem Übergang zu einem süffisanten und neckigen Nicken wandelte. „Sie war hübsch, oder? Schade dass sie so einen bescheuerten Vater hat. Was meinst du, Ryudo?“
„Wie oft soll ich es dir noch sagen? Ich habe an dieser Art von Vergnügen nichts. Ich lebe für meinen Job. Im Real-life hätte ich mit Typen wie denen nichts am Hut!“
„Oho Ryudo, so ernsthaft heute! Alle Achtung!“
„Schnabel, Skye!“
Langsam dunkelte es. Der Wind hat von einer warmen, sommerlichen Brise in kühle Böen gewechselt.
‚Oh Mann, es wird richtig ungemütlich hier!’ dachte Ryodo. ‚In der Stadt gibt es sicher ein Gasthaus, in dem ich übernachten kann.'
Die Bäume raschelten, die welken Blätter gaben ein eigenartiges Knistern von sich. Ryodo gelangte an eine Lichtung. Sie war kreisförmig, als wäre sie das Resultat eines Kettensägenmasskers in Form einer Kollektiv-Rodung. Nur in der Mitte standen drei morsche, schwarze Bäume.
„Wer hat denn hier gewütet?“, ließ Skye sich von Ryodos Schulter vernehmen.
„Schau mal, ich glaube, da hängt ein Zettel am Baum“ sagte Ryodo.
Er lief hin und nahm das Papier vom Ast.
Es war ein Stellenangebot:
‚Sie sind Söldner? Kommen sie nach Carbo! Die Kirche von Granas sucht einen fähigen Bodyguard. Weitere Informationen vor Ort!’
„Das sieht nach einem neuem Job aus, oder, Ryodo?“ fragte Skye mit einem Augenzwinkern.
„Arbeiten für die Kirche? Nie im Leben!“
„Spinnst du, Ryodo? Das ist ein Job! Und ein Job ist ein Job, das sagst du selbst immer."
„Stimmt, da hast du auch wieder Recht.“ Ryodo seufzte. „Also dann, Packen wir's!"
Kapitel 1: Elena
Ryudo überquerte die Lichtung. Er sah nach oben, in den Himmel. Dunkle Wolken zogen in hohem Tempo über das Land. Die untergehende Sonne strahlte sie hellrosa und orange an. Sie stand nur noch wenige Zentimeter über dem Gebirge, bald begann es zu dunkeln. ‚Wird Zeit, dass ich nach Carbo komme’ dachte Ryudo. Er betrat den finsteren Wald erneut.
Ein Schrei ließ ihn zusammen zucken.
„Nur ein Uhu, keine Panik!“ ließ sich Skye von Ryudos Schulter aus vernehmen. „Bald sind wir in Carbo!“
Er hatte recht. Nach etwa zweihundertfünfzig Metern durchschritt Ryudo das Dickicht. Das kleine Dorf lag direkt vor ihnen.
Carbo war ein hübsches Örtchen, bestehend aus ein paar Wohnhäusern, einer Kirche, einem Gasthaus und einem kleinen Lebensmittelladen. Der beauftragte Architekt hatte wohl etwas viel ‚Schwarzwaldklinik’ gesehen, denn die Häuser waren in dem typischen schwarz-weißen Baustil gestalten. Grüne Fensterläden klapperten im Wind.
Die Straße war mit Kopfsteinpflaster belegt. Motorradfahrer hatten hier ihren Spaß.
Ryudo hörte Stimmen. Er schritt durch die Straßen, bis er ein paar Mädchen sah. Circa 16 Jahre, schätzte er, plus minus ein Jahr vielleicht.
Sie trugen lange weiße Roben, als wären sie keltsiche Druiden und besprächen gerade die neuesten Trank-Innovationen. Ryodo schnappte ein paar Gesprächsfetzen auf.
Ein Mädchen mit langen, roten Haaren hob die Hand.
„Also dann, Elena, bis nachher!“ Die Angesprochene, Elena, war ein Mädchen mit blonden Haaren, die sie in zwei Schleifen gebunden hatte und die von einer weiteren Schleife auf dem Kopf festgehalten waren. Sie hatte wunderschöne, braune Augen.
„Ich weiß, Tessa“ sprach sie nun. „Ich würde ja mitkommen, aber ihr kennt ja die Regeln der Zeremonie. Es tut mir leid.“
„Mach dir keine Sorgen, heute stehst du im Mittelpunkt. Wir bereiten deine Weihe vor. Es ist ein großer Tag!“
Ein anderes Mädchen unterbrach sie und flötete: „Tessa! Wir müssen lo-hos!“
„All right. Bis später, Elena!“ Sie wandte sich ihrer Gruppe zu: „Los gehen wir. Elena, du solltest auch zurück zur Kirche. Es ist schon spät.“
Elena nickte. „Ja, ihr habt recht.“
„Ach ja, wir haben einen Bodyguard für dich angeheuert, der dich auf dem Weg zum Garmia-Turm begleiten wird.“
Elena streckte ihnen die Zunge heraus. „Kümmert euch um eure Angelegenheiten. Tschüss!“
Die anderen drehten sich um und gingen an Ryudo vorbei, zurück in den Wald.
Eine alte Frau nahte. „Los, Elena, wir müssen zurück!“
Die beiden entfernten sich in Richtung Kirche. Ryudo folgte ihnen. Die Kirche war ebenfalls in diesem kitschigen Schwarzwald-Stil gehalten. ‚Grüne Fenster müssen hier in Carbo etwa dasselbe sein wie für Kids eine Playstation, für Omis Karl Moik und für Vollidioten Heino – absoluter Kult!’ dachte Ryudo.
Elena verschwand in der Kirche. „Hey, Ryudo!“ rief Skye. „Worauf wartest du? Denk an deinen Job!“
„Jaja… Sei mal kurz still. Hörst du diesen Gesang?“
Eine wunderschöne, melodische Stimme wurde vom Wind zu ihnen getragen. In unbekannter, doch wohlklingender Sprache vorgetragen, verzauberte das Lied Ryudo gänzlich:
"Nascer do sol, palavras, milagre
Água pura, uma lágrima
Paz, luz, amor...
Fruto, agreste, respiração, liberdade
Harmonia, vento da benção
Agradecimento...
Tempestade, inquietação, escuridão
Luz do sol alegria graças a Deus..."
„Ich glaube, das kommt aus der Kirche. Soll'n wir?“
"Logo, beweg deinen Hintern!"
Auch von innen sah die Kirche ziemlich gemütlich aus. Die allgemein üblichen Bänke, in denen man sich ab Schuhgröße 43 die Füße einklemmt, die bunten Fenster und purpurnen Kissen auf den Bänkchen waren absolute Standartausführung.
Der Altar stand im Schiff, davor stand Elena und sang.
Sie hielt inne. „Ich muss noch viel üben, um eine ‚Schwester von Granas’ zu werden. Die Zeremonie heute um Mitternacht ist der Anfang, sagte sie kopfschüttelnd zu sich selbst
„Warum hast du aufgehört? Das klang sehr schön.“
Ryudo hatte sich auf eine der hinteren Bänke gesetzt und artig zugehört.
Elena schreckte auf. „We – wer bist du?“, fragte sie. „Wo kommst du her?“ Sie musterte ihn abschätzig. „Deinen Klamotten zufolge kommst du nicht von hier.“
„Stimmt, ich bin auf Durchreise. Aber da du mich ‚gemietet’ hast, ist das hier für den Moment mein Zuhause.“
Elena sah ihn mit einem überraschten Blick an.
„Dich gemietet?! Ich kann mich nicht erinnern, in den letzten Tagen meine Stamm-Agentur verständigt zu haben... Wie lange bist du denn schon Call-Boy, siehst ja eher schmächtig aus...“
„Hey Schätzchen, komm mal runter!“ Ryudo stand auf und kam lachend auf Elena zu. "Nee, ich bin aus einem anderen 'Gewerbe'. Ich wurd' von der Kirche als Bodyguard engagiert!"
Schlagartig änderte sich Elenas Mimik. Ihr leerer Gesichtsausdruck wich einem nervös zuckendem Blick. Als Ryudo die Hand ausstreckte um sie zu begrüßen wich Elena einen Schritt zurück.
„Ich bin nicht dein Schätzchen!", rief sie seltsam entrüstet. "Komm’ näher und ich fange an zu schreien!“
Auf einmal knarzte eine Tür. Ryudo drehte sich um und sah einen Priester in grüner Robe durch die Tür kommen.
„Was ist denn los, Elena? Warum schreist du so?“ sprach der gutmütig aussehende, bärtige alte Mann, der anscheinend Elenas Vater war, mit warmer Stimme.
„Dieser Rüpel belästigt mich! Er ist hier einfach reingeplatzt und hat mich angemacht!“
„Sei nicht so unfreundlich, ich glaube der junge Herr hat eine sehr gute Erklärung für sein Stören.“
‚Mann, hat der Nerven! Bei dieser Zicke würd ich glatt...’ dachte Ryudo. Laut sagte er: „Nun, ich bin der Söldner, den sie angeheuert haben.“
„Ein Söldner?! Das ist doch DIE Höhe!“ Elena blickte zuerst ihren Vater wütend an, dann warf sie Ryudo einen verächtlichen Blick zu. „Warum, Vater, habt ihr einen Söldner für mich angeheuert?“
„Um dich heute Nacht zu begleiten. Schließlich sollst du ohne jemanden aus dem Dorf zur Seite zu haben, den Weg zum Garmia-Turm durch den dunklen Wald machen. Er beschützt dich. Du weißt, was nachts für Gestalten unterwegs sind…“
Elenas Blick hellte sich auf. „Nun, das ist natürlich was anderes.“ Sie kam auf Ryudo zu und gab ihm die Hand. Sie fühlte sich warm an und löste seltsamerweise bei Ryudo, der sich normalerweise nicht sehr um Mädchen scherte, einen merkwürdig starken Beschützerinstinkt aus.
„Die Feier beginnt heute um Mitternacht. Wir gehen gegen halb elf los“, sagte Elena.
„Du hast also noch ein paar Stunden Zeit.“
„Wie wäre es“, schlug ihr Vater Ryudo vor, „wenn du in den hiesigen Pub gehen würdest? Wir würden dich dann abholen kommen.“
„Meinetwegen“, antwortete Ryudo, „mittlerweile hab’ ich auch 'nen Bärenhunger bekommen! Wo finde ich denn die Kneipe?“
Der Alte wies mit dem Arm in Richung Eingang. „Einfach die Tür raus und die nächste rechts, du kannst es gar nicht verfehlen!“
Der Pub war nach der Kirche das größte Gebäude des Dorfes. Typischer Weise mit grünen Fensterläden geschmückt, zierte ein am Hals vom Steak getrennter Rinderkopf den Balken über der Tür.
‚Lecker’, dachte Ryudo.
Er trat ein. Die Kneipe war überraschend sauber. Rosafarbene Häkeldeckchen säumten die Bar und die einzelnen Tische. Kitschige Ölschinken an den holzgetäfelten Wänden und frische Sommerblumen in weißen Vasen zierten die Gastwirtschaft. Der Kneipier war ein untersetzter übellauniger Herr mittleren Alters.
Er musterte Ryudo abschätzig.
„Hi!“, meinte dieser. „Könnt’ ich vielleicht ein Bierchen haben?“ Die Gesichtszüge des Wirts erhellten sich. Kundschaft von außerhalb war anscheinend eine echte Rarität. „Moment, ich muss es noch zapfen. Bei uns ist alles frisch!“
„Wunderbar, dann schmeckt’s am besten!“
Ryudo trank einen Schluck. Das Bier tat Ryudo gut. Er betrachtete die Bläschen, die zügig den Weg nach oben in den herrlichen weißen Schaum fanden. Der goldene Gerstensaft war von bester Qualität.
„Heute Nacht“, begann der Wirt mit dem obligatorischen Small-Talk, „beginnt die Sommerweihe. Ein weiteres junges Mädchen wird zu einer ‚Schwester von Granas’ geweiht.“
„Elena, oder?“ fragte Ryudo, der die Antwort bereits kannte.
„Ja, woher weißt du das? Nur die Dorfbewohner sind informiert worden.“, fragte der überraschte Wirt. Er unterbrach das Abwischen der Theke.
„Ich bin Elenas Geleitschutz, wenn man so will.“
„Hä?!“ gab der Wirt erstaunt von sich.
„Verdammt, ich bin ein Söldner, der zu ihrer Verteidigung angeheuert wurde.“
„Ein Söldner?“ Der dicke Wirt hob die Augenbrauen. Seine Miene veränderte sich. Er beugte sich zu Ryudo hinunter und flüsterte: „OK, ich weiß, dass die Leute eine natürliche Abneigung gegen eure, ich will mal sagen ‚Zunft’ haben, aber hier sind dir nicht alle feindlich gesinnt. Der Herr Pastor und ich sind da etwas toleranter…“
Ryudo schaute an ihm vorbei. „Kann ich mich bei Ihnen etwas ausruhen? Ich hab heute Nacht noch ’nen Job zu erledigen.“
„Ja, natürlich. Geh einfach die Treppe hinauf und dann links.“
„OK, danke!“
Ryudo ging nach oben, ließ sich aufs Bett fallen und war binnen weniger Sekunden eingeschlafen.
„Ryudo! Ryudo, wach endlich auf!“ Der Wirt raufte sich die Haare. „Unfassbar, diese Schlafmütze soll ein Söldner sein?“
Einige Stunden waren vergangen, als der Wirt Ryudo weckte. „Junge, du musst los! Die Zeremonie beginnt in einer Stunde!“
Ryudo war sofort wach. „Boah, es kommt mir vor, als hätte ich ’nen halben Tag oder so gepennt.“ Ryudo setzte sich auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Er gähnte herzhaft.
„Elena und ihr Vater erwarten dich bereits vor der Kirche. Beeil’ dich!“
„OK, danke für das Bier und die Unterkunft.“
"Geht auf's Haus...", doch Ryudo war schon im Gang und rannte die Treppe hinunter.
Draußen war es ziemlich hell. Der Vollmond warf bleiche Schatten durch die Straßen, in der Ferne war das Geheul von Wölfen zu hören. Ein stürmischer Wind wehte und die Wolken jagten über den dunklen Nachthimmel. Auf der gegenüberliegenden Seite des Dorfplatzes war die Kirche im Licht des Mondes zu erkennen. Elena und ihr Vater standen davor.
„Hallo, Pater! Sie wollten, dass ich Ihr Schätzchen begleite?“ Er warf einen Blick auf Elena, die eine beleidigte Schnute zog. Ryudo grinste. „OK. Dann komm mit, 'Prinzessin'.“
Elena warf einen letzten, flehenden Blick auf ihren Vater „Daddy, muss ich wirklich allein mit diesem Söldner in den Wald gehen?“
Der Priester rollte mit den Augen. „Elena, meinst du nicht, dass wir das daheim schon lange genug diskutiert haben? Du kennst deine Aufgabe, deine Sicherheit ist für die diesjährige Zeremonie unerlässlich.“ „Bitte, Daddy, ich kann schon alleine auf mich aufpassen!“
Nun mischte sich auch Ryudo, der des Gequängels langsam überdrüssig wurde, in das Gespräch ein: „Hey, hey! Was ist dein Problem, 'Prinzessin'? Dein Vater hat mich schon im Vorraus bezahlt! Ich hätte kein Problem damit, in der Kneipe noch ein paar Bierchen zischen zu gehen und mich anschließend aufs Ohr zu hauen…“
Der Priester ignorierte Ryudos Fluchtversuch und wandte sich mit einem überraschend energischen Tonfall an seine Tochter. „Elena, wie gesagt: du bist der Mittelpunkt der Weihe. Es darf nicht schiefgehen. Deswegen der Bodyguard. Basta!“
Elena sah zu Boden. „Was hab ich getan, dass ich als einzige mit einem Söldner zu tun haben muss…“
Ryudo wurde die Sache langsam zu blöd. Er seufzte. „Wie gesagt, mir ist es scheißegal. Ich hab mein Geld, ich kann auch gehen. Entweder du kommst jetzt, 'Prinzessin', oder nicht.“ Elena sah zu Ryudo auf. Ihre Augen strahlten die seinen an. Resigniert seufzte sie: „Ich vertraue dir. Ich komme mit dir.“ Ryudo lächelte sie an. „Danke für die Blumen, 'Prinzessin'.“
„Lass uns gehen…“
Kapital 2: Die Zeremonie
Seit Ryudo Carbo betreten hatte, war der Wald noch düsterer und, daraus folgend, unheimlicher geworden. Die Nacht war vorangeschritten, und das Wetter hatte sich etwas verbessert, Ryudo trug seinen deshalb seinen dünnen, braunen Kapuzenmantel.
„Kennst du den Weg zu diesem verfluchten Turm?“ konnte Elena Ryudos Stimme unter der Kapuze vernehmen. Der Wind pfiff ihnen um die Ohren, sodass eine Kommunikation ziemlich schwierig zu bewerkstelligen war.
„Natürlich, ich war ja auch schon oft genug dort. Es ist nicht weit, vielleicht drei Kilometer. Außerdem solltest du etwas mehr Respekt vor unseren Bräuchen zeigen! 'Verfluchter Turm will ich nicht mehr hören, sonst geh' ich allein weiter.“
„Jaja, Prinzessin… reg dich nicht auf! Auch wenn du süß aussiehstt, wenn du wütend bist...“
„Also, das ist ja wohl…“
„Reg dich ab, wir sind doch gleich da.“
Ein Jaulen wurde vom Wind herbei getragen.
„Wa- was war das?“ Elena zuckte zusammen. Ryudo blieb stehen. „Keine Ahnung. Der Wind?“ Das Geräusch ertönte erneut, nur etwa fünfzig Meter weit entfernt ganz nahe. „Nein", meinte Ryudo, der auf einmal wie angewurzelt stehen blieb. "Es ist ein Tier. Das Vieh ist hier und beobachtet uns.“
Er zog die Kapuze vom Kopf.
„Aah!“ schrie Elena und klammerte sich an Ryudo, der aber recht ruhig blieb.
. „Hast du das gesehen?“ Kalter Schweiß stand ihr auf der Stirn, nacktes Entsetzen hatte von ihr Besitz genommen.
„Oh ja…“ Ryudo biss die Zähne zusammen.
Wie konnte man im hellen Licht des Mondes dieses Tier übersehen? Denn es war ein Tier. Und was für eines!
Ein gewaltiger Hund stand etwa zwanzig Meter vor ihnen, von wo aus er absolut lautlos auf sie zu schritt. Er war etwa so groß wie ein Kalb und hatte untertellergroße Augen. Sein Rücken glänzte grünlich im Mondschein, als hätte ihm jemand eine phosphoreszierende Substanz darüber gekippt.
„Keine Sorge“, flüsterte Ryudo Elena zu. „Das ist ein Gyrtrasch. Er tut dir nichts.“
„Er tut mir nichts?! Da sieht er aber etwas anders aus…“, stammelte Elena.
„Diese Viecher tauchen meist völlig lautlos aus dem Nebel auf und begleiten verirrte Wanderer. Normalerweise haben diese Tiere zwei Aufgaben: Die eine ist, einsame Reisende zu schützen, die andere, wesentlich beängstigendere und seltsamere ist, einen Todesfall im persönlichen Umfeld, Familie, gute Freunde - du weißt schon, anzukündigen - meist stirbt jedoch derjenige, der den Hund sieht.“
„Naja, hoffen wir mal, dass ersteres auf uns zutrifft.“, meinte Elena besorgt. ‚Oh ja’, dachte Ryudo, ‚hoffen wir das mal.’
„Komm, lass uns weitergehen, Elena. Jetzt Angst zu haben und unser Vorhaben zu canceln, hilft auch nicht weiter. Es ist eh nicht mehr weit!“, sagte er laut.
Das Rascheln kleiner Tiere und das Wispern der Blätter im Wind hing in der Luft. Als Elena und Ryudo an einen Kreuzweg kamen, an dem ein altes, verwittertes Steinkreuz aus vorgeschichtlichen Zeiten stand, stutzte Ryudo. War da wieder ein Tier?
„Da lang!“, meinte Elena. Nervös gingen sie rechts ab, den Berg weiter hinauf. Nach ein paar Schritten überkam sie wieder dieses eigenartige Gefühl, sie drehten sich um – und sahen einen ernormen schwarzen Schatten, der ihnen folgte. Es war der riesige, zottelige schwarze Hund. Merkwürdigerweise verspürte Elena keine Angst mehr – sie war ganz ruhig. Der schwarze Hund trottete fast eine halbe Stunde lang lautlos neben ihnen her und verschwand urplötzlich, als sich wenige Meter vor ihnen der große Garmia-Turm erhob. ‚Bedeutet das ein finsteres Schicksal für jemanden in unserem Bekanntenkreis oder uns selbst?’, dachte Elena.
Sie glaubte es nicht – sie hatte eher das Gefühl, gut beschützt und sicher zu sein.
„Dieser Hund“, Elena hatte wieder die Fassung gefunden. „Bist du ihm schon einmal begegnet? Meinst du – meinst du wir werden… sterben?“
„Nein, ich habe noch nie vorher einen Gyrtrasch gesehen. Allerdings habe ich in diversen Kneipen einen Haufen Schauermärchen über ihn gehört. Ich habe sie nie geglaubt, aber man lernt eben nie aus…“
Elena sah Ryudo an. Sie bewunderte ihn, dass er so ruhig blieb.
Doch seine Augen flackerten. Hatte er ihr etwas vorenthalten?
„Warte hier, Ryudo.“, sagte Elena. Sie sah zu dem schwarzen Turm hinauf. Im obersten Stockwerk brannte Licht. „Die Zeremonie beginnt gleich. Sie dauert etwa zwei Stunden. Dann bin ich zurück.“
„Okay, wie du willst, Prinzessin.“Ryudo setzte sich auf einen Baumstumpf. „Dann warten wir eben ein bisschen, oder, Skye?!“
Der Vogel saß auf einem Baum, ganz in der Nähe. Ryudo erkannte ihn an seinen leuchtenden, gelben Augen.
Er schichtete etwas Reisig und ein paar Holzklötze auf einen Haufen, nahm sein Feuerzeug und zündete ihn an.
“Wir können ja was grillen! Was meinst du?“
„Ja, super Idee, wenn du was dabei hättest…“, meinte der Vogel belustigt.
„Mist, daran hab ich echt nicht gedacht. Dann penne ich eben ’ne Runde. Weck mich, wenn Elena zurückkommt.“
Sekunden später war Ryudo eingeschlafen.
Das Lagerfeuer flackerte und warf Schatten auf Ryudos Gesicht. Skye saß schweigend auf dem Ast einer mächtigen Buche. ‚Wenn die Sache mit dem Gyrtrasch bloß kein böses Ende nimmt’, dachte er, kurz bevor auch er ins Reich der Träume entschwand.
Ein gellender Schrei durchriss die Stille der Nacht. Er kam aus den oberen Stockwerken des schwarzen Turmes und riss sowohl Ryudo als auch Skye aus dem Schlaf.
„Da ist was passiert!“, rief Ryudo und griff nach seinem Schwert. „Ich muss zu Elena!“ „Überstürze nichts!“, konnte Skye gerade noch rufen, doch Ryudo war schon durch das große, finstere Tor gerannt.
„Puh!“, Ryudo rümpfte die Nase. Der Modergeruch stieg ihm in die Nase. Es war sehr stickig da drinnen, und Ryudo bemühte sich nach allen Kräften, keine klaustrophobischen Anwandlungen aufkeimen zu lassen. Von der Versammlung oben war nichts mehr zu hören.
Da es im Raum absolut dunkel war, zückte Ryudo sein Feuerzeug und arbeitete sich im schwachen Schein des Gasflämmchens voran. Diese Tortur dauerte ganz schön lange, und von dem Schmutz, der sich all die jahre hier abgelagert hatte, nahm er das Aussehen eines Schornsteinfegers an, allerdings eines solchen, der aufgrund des Moders bestialisch stank.
Endlich erreichte Ryudo die Treppe zu den oberen Stockwerken. Er stieg die feuchten und unregelmäßigen Stufen hinauf und frug sich, was ihn hier wohl noch erwarten könnte.
Finsternis beherrschte diesen Ort, aber durch ein Fenster rechts oben fiel etwas Mondlicht hinein und gewährte eine notdürftige Orientierung.
Erneut ziemlich desorientiert, blieb Ryudo keine andere Möglichkeit, als sich auf die Fortsetzung seiner Exkursion einzulassen. Sicherlich würde er in Kürze auf die Ursache des Schreis stoßen. Am Ende des Raumes zeichnete sich eine weitere Treppe nach oben ab. Ryudo rannte darauf zu und kletterte sie schnell hinauf.
Was sich dann abspielte, hätte er sich nie träumen lassen…
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Es orientiert sich im Großen und Ganzen sehr grob an der Originalhandlung (aber nur im Entferntesten ^^), der Autor (moi xD) behielt sich jedoch vor, durch etwas SEHR^^ abweichende Dialoge und Story-Entwicklungen dem ganzen eine gewisse "Würze" zu verleihen.
Ich hoffe sehr, dass einige sich die Mühe machen und sich den 'Apparat' durchlesen, um - worum es mir eigentlich geht - anschließend Kritik zu üben. Besonders bitte ich um 'negative' Kritik in Form von Tips bezüglich Stil, Logik (sind die Charaktere an sich nachvollziehbar? Haben sie überhaupt 'Charakter'?). Und keine Sorge - ich kann entsprechend damit umgehend^^
Grandia
Prolog
Es war später Nachmittag, als Ryudo aufblickte. Endlich hatte er den Berg erklommen. Der Wind streifte durch sein schulterlanges schwarzes Haar, als er den Blick senkte.
Das Land war riesig. Er blickte auf im Sonnenlicht glitzernde, kristallklare Flüsse, die sich in unzähligen Windungen dahinschlängelten, auf gigantische Wälder und auf weite Graslandschaften, die sich in der Ferne verliefen, hinab. Sein Blick schweifte gen Westen, wo ein düsteres Bergmassiv sich in den Himmel erstreckte.
Es war ein merkwürdiger Anblick für Ryudo, da sich auf seiner Augenhöhe bereits die ersten Wolken befanden, aus denen sich die Berge wie düstere, spitze Pfähle erhoben. Sie waren pechschwarz, was in dem angrenzenden Land ausreichend Stoff für die eine oder andere Legende bot.
Ryudo sah nach Osten. Ein tiefblauer Ozean erstreckte sich bis an den Horizont. In der Ferne meinte er das Geschrei der Möwen zu hören, das vom Wind herangetragen wurde.
An der Küste befanden sich kleine Fischerstädtchen und einige Kutter waren auf dem Meer zu erkennen.
‚Silesia, dachte Ryudo. ‚Das ist also Silesia’.
Er machte sich an den Abstieg, nachdem er den Pass mit der Grenze überwunden hatte.
Das Seil, das er um den Bauch gebunden hatte, sicherte ihn.
Er hörte Stimmen. ‚Das müssen die Goblins sein. Endlich habe ich sie gefunden’, dachte Ryudo.
Nach fünf Meter mühseligem Klettern befand er sich genau über den grünhäutigen Hominiden. Es waren sieben Stück, viel zu viele, um sie offen zu bekämpfen, aber Ryudo musste an die beiden Truhen herankommen, die die Goblins erbeutet hatten.
‚Aber es kann auch anders gehen’. Ryudo zog einen kleinen Lederbeutel aus seiner Tasche. Der Beutel war mit Schwarzpulver gefüllt. Ryudo steckte eine Lunte herein.
Er nahm sein Feuerzeug zur Hand und wollte die Bombe gerade entzünden, dann jedoch zögerte er. Wenn sie hier auf dem Berg annihilieren würde, könnte die Detonation einen Erdrutsch hervorrufen.
Also zündete Ryudo die Bombe an und warf sie in ein kleines Wäldchen am Fuße des Berges, ungefähr zwanzig Meter von den Goblins entfernt.
Die Explosion war ohrenbetäubend.
Die Goblins schreckten auf. Sechs von ihnen stürmten in den Wald um herauszufinden, was passiert ist, einer blieb als Wache für die Truhen da. ‚Den schaff ich im Handumdrehen!’ dachte Ryudo und sprang die letzten Meter hinunter.
Die Wache erschrak, sie hatte mit dem überraschenden Angriff nicht gerechnet. Ryodo nutzte die Gelegenheit und zog sein Schwert. Schweißperlen rannen seine Stirn hinunter. Er hatte schon lange nicht mehr getötet.
Der Goblin besann sich und hob seine Keule. Er stürmte auf Ryudo zu, welcher ebenfalls seine Klinge erhob.
Mit einem wütenden Grunzen stürzte sich der Goblin auf Ryudo.
In Höhe Ryudos Kopf durchschnitt die Waffe die Luft, Ryudo sprang zur Seite und rollte akrobatisch ab. Dadurch gelang er in einen großen Vorteil, denn der überhastete Feind war blindlings ins Leere gesprungen. Ryudo sprang auf und hieb mit seinem Schwert in den Rücken der Kreatur. Er hatte voll getroffen, der Goblin sank zu Boden. Sein Blut sickerte auf den Boden und gab dem welken Gras einen satten rötlichen Ton.
„Puh!“ sagte Ryudo heftig atmend. „Ich bin ganz schön aus der Übung“.
Gedankenverloren sah er auf das tote Wesen. Dann wandte er sich den Truhen zu. Sie waren aus massivem Holz, die Kanten waren mit verrostetem Metall verstärkt. Das Schloss war ebenfalls verrostet. Ryudo setzte sein Schwert an, um es aufzuhebeln. „Da ist sie ja!“, sagte Ryudo und nahm eine kleine blaue Kugel aus dem Innern einer Kiste heraus. Auf einmal hörte er ein Zischen in der Luft. Er sah auf und sah gerade noch rechtzeitig fünf Speere auf sich zuschießen.
Er sprang gerade im rechten Augenblick zurück, denn die Speere schlugen einen halben Meter vor seinen Füßen auf.
‚Verdammt!’ dachte Ryudo. ‚ Skye müsste längst hier sein!’
Worum es hier überhaupt ging? Nun, um einen ganz normalen Job - denn Ryudo war Söldner. Er nahm jeden Auftrag an, egal von wem.
‚Business is Business’ war Ryodos Devise. Geschäft ist Geschäft. Dass es in diesem Job auch mal etwas härter zur Sache gehen konnte, störte ihn nicht.
Skye war Ryudos Partner, ein sprechender Adler. Normalerweise gingen sie immer gemeinsam auf Streifzug und erledigten jeden Auftrag gemeinsam.
Diesmal war geplant, dass sich Ryudo die Truhen schnappt und zusammen mit Skye flüchtet.
Doch er kam nicht.
Währenddessen kamen die Goblins gefährlich nahe an Ryudo heran.
‚Verdammt, das wird arschknapp!’ dachte dieser, als er plötzlich einen gellenden Schrei hörte.
„Skye! Endlich!“ rief Ryudo, steckte die Kugel in eine Tasche seines Mantels, drehte sich um und sprang die Steilklippe hinter sich hinab. Die Goblins schauten ziemlich blöd aus der Wäsche. Feind und Beute weg? Weder Geld noch ein leckeres Abendessen?
Unvorstellbar! Sie traten an den Rand und sahen herunter. Da flog der Feind, sich an den Klauen eines mächtigen Raubvogels festhaltend .
„Aah, das müssen wir mal öfters machen!“, meinte Ryudo, als ihm der Wind ins Gesicht blies. Er sah direkt in den Sonnenuntergang hinein. „Granas ist fantastisch!,“meinte er. „Oder, Skye?“
„Jaja, Ryudo, wenn du meinst…nur: Ich kann dich nicht mehr länger halten!“, antwortete der Vogel, als er tiefer flog und eine Schneise im Wald durchsegelte. Nun, im Spätsommer, färbten sich die Blätter der Bäume langsam und nahmen eine orange bis purpurne Farbe an.
„Stell dich nicht so an, du komischer Vogel!“, rief Ryudo. „Du hockst den ganzen Tag über faul auf meiner auf meiner Schulter herum, und fängst jetzt nach zwei Minuten schon an zu jammern! Altes Weicheiaaaaah!!!“
„Sorry, Ryudo. Du hättest heute Morgen nicht so viel essen dürfen.“, rief Skye von einem Ast der Buche hinunter, auf der er gelandet war. „Verdammt! Hättest du nicht etwas tiefer fliegen können, du blödes Vieh?“, rief Ryudo vom Waldboden herauf, während er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Hintern rieb, auf dem er unsanft gelandet war.
„Die Kugel hätte zerbrechen können und wir hätten den Vorschuss gerade wieder zurückzahlen können.“
"Stell dich nicht so an, unsere Auftraggeber dürften jeden Moment kommen. Du weißt ja, wie pingelig der Alte ist…“
Kurz darauf hörten sie Schritte, die durch den Waldboden gedämpft wurden. Ein Ast knackte, und Ryudo zog vorsichtshalber sein Schwert. Aber es war nur ein alter Mann in Begleitung einer hübschen Frau. Ryudo schätzte sie auf Anfang zwanzig.
„Ah, Ryudo! Hast du die Kugel?“ fragte sie aufgeregt.
„Ja, wie abgemacht. Die Goblins hatten sie schon in einer ihrer Truhen versteckt, als ich sie ihnen durch eine List entwenden konnte.“
„Wie mutig von dir, das war bestimmt nicht einfach, aber für so einen starken und tapferen jungen Mann…“
„Still“, knurrte der Alte. Ich verbiete dir, mit so etwas zu kommunizieren!“
„So etwas?“ fragte Ryudo mit einem scharfen Unterton in der Stimme“
„Vater, sei nicht so unfreundlich!“ rief das Mädchen.“
„Ihr Söldner seid doch alle gleich!“, rief der Mann entzürnt. „Tötet wahllos, nur weil man euch dafür bezahlt.“
Er drehte sich um und wollte gerade gehen als Ryudo ihm sein Schwert in den Rücken hielt. „Was willst du noch von mir?", rief der Alte mit einem verachtendem Unterton in der Stimme.
„Nur meinen Lohn, dann ist alles in Ordnung. Außerdem hast DU meine Dienste angenommen, das heißt, DU hast dich auf den Deal eingelassen. Und zweitens waren es eh keine Menschen, sondern nur ein stinkender Goblin.“
„Jaja, schon in Ordnung“, krächzte der Alte, welcher eigentlich nur so blad als möglich gehen wollte. Er griff in seine Tasche und nahm eine kleine Geldbörse heraus. „Hier ist dein Geld, 500 Groschen, wie abgemacht.“
„Okay, das wars, was ich wollte. Wir verziehen uns. Komm, Skye!“ rief Ryudo.
Der Vogel landete auf seiner Schulter. Ryudo drehte sich um und ging den Waldweg entlang in Richtung Carbo, einer kleinen Stadt in der Nähe des Waldrandes.
„War das nötig, Ryudo? Das ist einer der Gründe, warum die Leute Söldner wie dich verachten“ sagte Skye mit einem tadelnden Blick welcher sich in nahezu fließendem Übergang zu einem süffisanten und neckigen Nicken wandelte. „Sie war hübsch, oder? Schade dass sie so einen bescheuerten Vater hat. Was meinst du, Ryudo?“
„Wie oft soll ich es dir noch sagen? Ich habe an dieser Art von Vergnügen nichts. Ich lebe für meinen Job. Im Real-life hätte ich mit Typen wie denen nichts am Hut!“
„Oho Ryudo, so ernsthaft heute! Alle Achtung!“
„Schnabel, Skye!“
Langsam dunkelte es. Der Wind hat von einer warmen, sommerlichen Brise in kühle Böen gewechselt.
‚Oh Mann, es wird richtig ungemütlich hier!’ dachte Ryodo. ‚In der Stadt gibt es sicher ein Gasthaus, in dem ich übernachten kann.'
Die Bäume raschelten, die welken Blätter gaben ein eigenartiges Knistern von sich. Ryodo gelangte an eine Lichtung. Sie war kreisförmig, als wäre sie das Resultat eines Kettensägenmasskers in Form einer Kollektiv-Rodung. Nur in der Mitte standen drei morsche, schwarze Bäume.
„Wer hat denn hier gewütet?“, ließ Skye sich von Ryodos Schulter vernehmen.
„Schau mal, ich glaube, da hängt ein Zettel am Baum“ sagte Ryodo.
Er lief hin und nahm das Papier vom Ast.
Es war ein Stellenangebot:
‚Sie sind Söldner? Kommen sie nach Carbo! Die Kirche von Granas sucht einen fähigen Bodyguard. Weitere Informationen vor Ort!’
„Das sieht nach einem neuem Job aus, oder, Ryodo?“ fragte Skye mit einem Augenzwinkern.
„Arbeiten für die Kirche? Nie im Leben!“
„Spinnst du, Ryodo? Das ist ein Job! Und ein Job ist ein Job, das sagst du selbst immer."
„Stimmt, da hast du auch wieder Recht.“ Ryodo seufzte. „Also dann, Packen wir's!"
Kapitel 1: Elena
Ryudo überquerte die Lichtung. Er sah nach oben, in den Himmel. Dunkle Wolken zogen in hohem Tempo über das Land. Die untergehende Sonne strahlte sie hellrosa und orange an. Sie stand nur noch wenige Zentimeter über dem Gebirge, bald begann es zu dunkeln. ‚Wird Zeit, dass ich nach Carbo komme’ dachte Ryudo. Er betrat den finsteren Wald erneut.
Ein Schrei ließ ihn zusammen zucken.
„Nur ein Uhu, keine Panik!“ ließ sich Skye von Ryudos Schulter aus vernehmen. „Bald sind wir in Carbo!“
Er hatte recht. Nach etwa zweihundertfünfzig Metern durchschritt Ryudo das Dickicht. Das kleine Dorf lag direkt vor ihnen.
Carbo war ein hübsches Örtchen, bestehend aus ein paar Wohnhäusern, einer Kirche, einem Gasthaus und einem kleinen Lebensmittelladen. Der beauftragte Architekt hatte wohl etwas viel ‚Schwarzwaldklinik’ gesehen, denn die Häuser waren in dem typischen schwarz-weißen Baustil gestalten. Grüne Fensterläden klapperten im Wind.
Die Straße war mit Kopfsteinpflaster belegt. Motorradfahrer hatten hier ihren Spaß.
Ryudo hörte Stimmen. Er schritt durch die Straßen, bis er ein paar Mädchen sah. Circa 16 Jahre, schätzte er, plus minus ein Jahr vielleicht.
Sie trugen lange weiße Roben, als wären sie keltsiche Druiden und besprächen gerade die neuesten Trank-Innovationen. Ryodo schnappte ein paar Gesprächsfetzen auf.
Ein Mädchen mit langen, roten Haaren hob die Hand.
„Also dann, Elena, bis nachher!“ Die Angesprochene, Elena, war ein Mädchen mit blonden Haaren, die sie in zwei Schleifen gebunden hatte und die von einer weiteren Schleife auf dem Kopf festgehalten waren. Sie hatte wunderschöne, braune Augen.
„Ich weiß, Tessa“ sprach sie nun. „Ich würde ja mitkommen, aber ihr kennt ja die Regeln der Zeremonie. Es tut mir leid.“
„Mach dir keine Sorgen, heute stehst du im Mittelpunkt. Wir bereiten deine Weihe vor. Es ist ein großer Tag!“
Ein anderes Mädchen unterbrach sie und flötete: „Tessa! Wir müssen lo-hos!“
„All right. Bis später, Elena!“ Sie wandte sich ihrer Gruppe zu: „Los gehen wir. Elena, du solltest auch zurück zur Kirche. Es ist schon spät.“
Elena nickte. „Ja, ihr habt recht.“
„Ach ja, wir haben einen Bodyguard für dich angeheuert, der dich auf dem Weg zum Garmia-Turm begleiten wird.“
Elena streckte ihnen die Zunge heraus. „Kümmert euch um eure Angelegenheiten. Tschüss!“
Die anderen drehten sich um und gingen an Ryudo vorbei, zurück in den Wald.
Eine alte Frau nahte. „Los, Elena, wir müssen zurück!“
Die beiden entfernten sich in Richtung Kirche. Ryudo folgte ihnen. Die Kirche war ebenfalls in diesem kitschigen Schwarzwald-Stil gehalten. ‚Grüne Fenster müssen hier in Carbo etwa dasselbe sein wie für Kids eine Playstation, für Omis Karl Moik und für Vollidioten Heino – absoluter Kult!’ dachte Ryudo.
Elena verschwand in der Kirche. „Hey, Ryudo!“ rief Skye. „Worauf wartest du? Denk an deinen Job!“
„Jaja… Sei mal kurz still. Hörst du diesen Gesang?“
Eine wunderschöne, melodische Stimme wurde vom Wind zu ihnen getragen. In unbekannter, doch wohlklingender Sprache vorgetragen, verzauberte das Lied Ryudo gänzlich:
"Nascer do sol, palavras, milagre
Água pura, uma lágrima
Paz, luz, amor...
Fruto, agreste, respiração, liberdade
Harmonia, vento da benção
Agradecimento...
Tempestade, inquietação, escuridão
Luz do sol alegria graças a Deus..."
„Ich glaube, das kommt aus der Kirche. Soll'n wir?“
"Logo, beweg deinen Hintern!"
Auch von innen sah die Kirche ziemlich gemütlich aus. Die allgemein üblichen Bänke, in denen man sich ab Schuhgröße 43 die Füße einklemmt, die bunten Fenster und purpurnen Kissen auf den Bänkchen waren absolute Standartausführung.
Der Altar stand im Schiff, davor stand Elena und sang.
Sie hielt inne. „Ich muss noch viel üben, um eine ‚Schwester von Granas’ zu werden. Die Zeremonie heute um Mitternacht ist der Anfang, sagte sie kopfschüttelnd zu sich selbst
„Warum hast du aufgehört? Das klang sehr schön.“
Ryudo hatte sich auf eine der hinteren Bänke gesetzt und artig zugehört.
Elena schreckte auf. „We – wer bist du?“, fragte sie. „Wo kommst du her?“ Sie musterte ihn abschätzig. „Deinen Klamotten zufolge kommst du nicht von hier.“
„Stimmt, ich bin auf Durchreise. Aber da du mich ‚gemietet’ hast, ist das hier für den Moment mein Zuhause.“
Elena sah ihn mit einem überraschten Blick an.
„Dich gemietet?! Ich kann mich nicht erinnern, in den letzten Tagen meine Stamm-Agentur verständigt zu haben... Wie lange bist du denn schon Call-Boy, siehst ja eher schmächtig aus...“
„Hey Schätzchen, komm mal runter!“ Ryudo stand auf und kam lachend auf Elena zu. "Nee, ich bin aus einem anderen 'Gewerbe'. Ich wurd' von der Kirche als Bodyguard engagiert!"
Schlagartig änderte sich Elenas Mimik. Ihr leerer Gesichtsausdruck wich einem nervös zuckendem Blick. Als Ryudo die Hand ausstreckte um sie zu begrüßen wich Elena einen Schritt zurück.
„Ich bin nicht dein Schätzchen!", rief sie seltsam entrüstet. "Komm’ näher und ich fange an zu schreien!“
Auf einmal knarzte eine Tür. Ryudo drehte sich um und sah einen Priester in grüner Robe durch die Tür kommen.
„Was ist denn los, Elena? Warum schreist du so?“ sprach der gutmütig aussehende, bärtige alte Mann, der anscheinend Elenas Vater war, mit warmer Stimme.
„Dieser Rüpel belästigt mich! Er ist hier einfach reingeplatzt und hat mich angemacht!“
„Sei nicht so unfreundlich, ich glaube der junge Herr hat eine sehr gute Erklärung für sein Stören.“
‚Mann, hat der Nerven! Bei dieser Zicke würd ich glatt...’ dachte Ryudo. Laut sagte er: „Nun, ich bin der Söldner, den sie angeheuert haben.“
„Ein Söldner?! Das ist doch DIE Höhe!“ Elena blickte zuerst ihren Vater wütend an, dann warf sie Ryudo einen verächtlichen Blick zu. „Warum, Vater, habt ihr einen Söldner für mich angeheuert?“
„Um dich heute Nacht zu begleiten. Schließlich sollst du ohne jemanden aus dem Dorf zur Seite zu haben, den Weg zum Garmia-Turm durch den dunklen Wald machen. Er beschützt dich. Du weißt, was nachts für Gestalten unterwegs sind…“
Elenas Blick hellte sich auf. „Nun, das ist natürlich was anderes.“ Sie kam auf Ryudo zu und gab ihm die Hand. Sie fühlte sich warm an und löste seltsamerweise bei Ryudo, der sich normalerweise nicht sehr um Mädchen scherte, einen merkwürdig starken Beschützerinstinkt aus.
„Die Feier beginnt heute um Mitternacht. Wir gehen gegen halb elf los“, sagte Elena.
„Du hast also noch ein paar Stunden Zeit.“
„Wie wäre es“, schlug ihr Vater Ryudo vor, „wenn du in den hiesigen Pub gehen würdest? Wir würden dich dann abholen kommen.“
„Meinetwegen“, antwortete Ryudo, „mittlerweile hab’ ich auch 'nen Bärenhunger bekommen! Wo finde ich denn die Kneipe?“
Der Alte wies mit dem Arm in Richung Eingang. „Einfach die Tür raus und die nächste rechts, du kannst es gar nicht verfehlen!“
Der Pub war nach der Kirche das größte Gebäude des Dorfes. Typischer Weise mit grünen Fensterläden geschmückt, zierte ein am Hals vom Steak getrennter Rinderkopf den Balken über der Tür.
‚Lecker’, dachte Ryudo.
Er trat ein. Die Kneipe war überraschend sauber. Rosafarbene Häkeldeckchen säumten die Bar und die einzelnen Tische. Kitschige Ölschinken an den holzgetäfelten Wänden und frische Sommerblumen in weißen Vasen zierten die Gastwirtschaft. Der Kneipier war ein untersetzter übellauniger Herr mittleren Alters.
Er musterte Ryudo abschätzig.
„Hi!“, meinte dieser. „Könnt’ ich vielleicht ein Bierchen haben?“ Die Gesichtszüge des Wirts erhellten sich. Kundschaft von außerhalb war anscheinend eine echte Rarität. „Moment, ich muss es noch zapfen. Bei uns ist alles frisch!“
„Wunderbar, dann schmeckt’s am besten!“
Ryudo trank einen Schluck. Das Bier tat Ryudo gut. Er betrachtete die Bläschen, die zügig den Weg nach oben in den herrlichen weißen Schaum fanden. Der goldene Gerstensaft war von bester Qualität.
„Heute Nacht“, begann der Wirt mit dem obligatorischen Small-Talk, „beginnt die Sommerweihe. Ein weiteres junges Mädchen wird zu einer ‚Schwester von Granas’ geweiht.“
„Elena, oder?“ fragte Ryudo, der die Antwort bereits kannte.
„Ja, woher weißt du das? Nur die Dorfbewohner sind informiert worden.“, fragte der überraschte Wirt. Er unterbrach das Abwischen der Theke.
„Ich bin Elenas Geleitschutz, wenn man so will.“
„Hä?!“ gab der Wirt erstaunt von sich.
„Verdammt, ich bin ein Söldner, der zu ihrer Verteidigung angeheuert wurde.“
„Ein Söldner?“ Der dicke Wirt hob die Augenbrauen. Seine Miene veränderte sich. Er beugte sich zu Ryudo hinunter und flüsterte: „OK, ich weiß, dass die Leute eine natürliche Abneigung gegen eure, ich will mal sagen ‚Zunft’ haben, aber hier sind dir nicht alle feindlich gesinnt. Der Herr Pastor und ich sind da etwas toleranter…“
Ryudo schaute an ihm vorbei. „Kann ich mich bei Ihnen etwas ausruhen? Ich hab heute Nacht noch ’nen Job zu erledigen.“
„Ja, natürlich. Geh einfach die Treppe hinauf und dann links.“
„OK, danke!“
Ryudo ging nach oben, ließ sich aufs Bett fallen und war binnen weniger Sekunden eingeschlafen.
„Ryudo! Ryudo, wach endlich auf!“ Der Wirt raufte sich die Haare. „Unfassbar, diese Schlafmütze soll ein Söldner sein?“
Einige Stunden waren vergangen, als der Wirt Ryudo weckte. „Junge, du musst los! Die Zeremonie beginnt in einer Stunde!“
Ryudo war sofort wach. „Boah, es kommt mir vor, als hätte ich ’nen halben Tag oder so gepennt.“ Ryudo setzte sich auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Er gähnte herzhaft.
„Elena und ihr Vater erwarten dich bereits vor der Kirche. Beeil’ dich!“
„OK, danke für das Bier und die Unterkunft.“
"Geht auf's Haus...", doch Ryudo war schon im Gang und rannte die Treppe hinunter.
Draußen war es ziemlich hell. Der Vollmond warf bleiche Schatten durch die Straßen, in der Ferne war das Geheul von Wölfen zu hören. Ein stürmischer Wind wehte und die Wolken jagten über den dunklen Nachthimmel. Auf der gegenüberliegenden Seite des Dorfplatzes war die Kirche im Licht des Mondes zu erkennen. Elena und ihr Vater standen davor.
„Hallo, Pater! Sie wollten, dass ich Ihr Schätzchen begleite?“ Er warf einen Blick auf Elena, die eine beleidigte Schnute zog. Ryudo grinste. „OK. Dann komm mit, 'Prinzessin'.“
Elena warf einen letzten, flehenden Blick auf ihren Vater „Daddy, muss ich wirklich allein mit diesem Söldner in den Wald gehen?“
Der Priester rollte mit den Augen. „Elena, meinst du nicht, dass wir das daheim schon lange genug diskutiert haben? Du kennst deine Aufgabe, deine Sicherheit ist für die diesjährige Zeremonie unerlässlich.“ „Bitte, Daddy, ich kann schon alleine auf mich aufpassen!“
Nun mischte sich auch Ryudo, der des Gequängels langsam überdrüssig wurde, in das Gespräch ein: „Hey, hey! Was ist dein Problem, 'Prinzessin'? Dein Vater hat mich schon im Vorraus bezahlt! Ich hätte kein Problem damit, in der Kneipe noch ein paar Bierchen zischen zu gehen und mich anschließend aufs Ohr zu hauen…“
Der Priester ignorierte Ryudos Fluchtversuch und wandte sich mit einem überraschend energischen Tonfall an seine Tochter. „Elena, wie gesagt: du bist der Mittelpunkt der Weihe. Es darf nicht schiefgehen. Deswegen der Bodyguard. Basta!“
Elena sah zu Boden. „Was hab ich getan, dass ich als einzige mit einem Söldner zu tun haben muss…“
Ryudo wurde die Sache langsam zu blöd. Er seufzte. „Wie gesagt, mir ist es scheißegal. Ich hab mein Geld, ich kann auch gehen. Entweder du kommst jetzt, 'Prinzessin', oder nicht.“ Elena sah zu Ryudo auf. Ihre Augen strahlten die seinen an. Resigniert seufzte sie: „Ich vertraue dir. Ich komme mit dir.“ Ryudo lächelte sie an. „Danke für die Blumen, 'Prinzessin'.“
„Lass uns gehen…“
Kapital 2: Die Zeremonie
Seit Ryudo Carbo betreten hatte, war der Wald noch düsterer und, daraus folgend, unheimlicher geworden. Die Nacht war vorangeschritten, und das Wetter hatte sich etwas verbessert, Ryudo trug seinen deshalb seinen dünnen, braunen Kapuzenmantel.
„Kennst du den Weg zu diesem verfluchten Turm?“ konnte Elena Ryudos Stimme unter der Kapuze vernehmen. Der Wind pfiff ihnen um die Ohren, sodass eine Kommunikation ziemlich schwierig zu bewerkstelligen war.
„Natürlich, ich war ja auch schon oft genug dort. Es ist nicht weit, vielleicht drei Kilometer. Außerdem solltest du etwas mehr Respekt vor unseren Bräuchen zeigen! 'Verfluchter Turm will ich nicht mehr hören, sonst geh' ich allein weiter.“
„Jaja, Prinzessin… reg dich nicht auf! Auch wenn du süß aussiehstt, wenn du wütend bist...“
„Also, das ist ja wohl…“
„Reg dich ab, wir sind doch gleich da.“
Ein Jaulen wurde vom Wind herbei getragen.
„Wa- was war das?“ Elena zuckte zusammen. Ryudo blieb stehen. „Keine Ahnung. Der Wind?“ Das Geräusch ertönte erneut, nur etwa fünfzig Meter weit entfernt ganz nahe. „Nein", meinte Ryudo, der auf einmal wie angewurzelt stehen blieb. "Es ist ein Tier. Das Vieh ist hier und beobachtet uns.“
Er zog die Kapuze vom Kopf.
„Aah!“ schrie Elena und klammerte sich an Ryudo, der aber recht ruhig blieb.
. „Hast du das gesehen?“ Kalter Schweiß stand ihr auf der Stirn, nacktes Entsetzen hatte von ihr Besitz genommen.
„Oh ja…“ Ryudo biss die Zähne zusammen.
Wie konnte man im hellen Licht des Mondes dieses Tier übersehen? Denn es war ein Tier. Und was für eines!
Ein gewaltiger Hund stand etwa zwanzig Meter vor ihnen, von wo aus er absolut lautlos auf sie zu schritt. Er war etwa so groß wie ein Kalb und hatte untertellergroße Augen. Sein Rücken glänzte grünlich im Mondschein, als hätte ihm jemand eine phosphoreszierende Substanz darüber gekippt.
„Keine Sorge“, flüsterte Ryudo Elena zu. „Das ist ein Gyrtrasch. Er tut dir nichts.“
„Er tut mir nichts?! Da sieht er aber etwas anders aus…“, stammelte Elena.
„Diese Viecher tauchen meist völlig lautlos aus dem Nebel auf und begleiten verirrte Wanderer. Normalerweise haben diese Tiere zwei Aufgaben: Die eine ist, einsame Reisende zu schützen, die andere, wesentlich beängstigendere und seltsamere ist, einen Todesfall im persönlichen Umfeld, Familie, gute Freunde - du weißt schon, anzukündigen - meist stirbt jedoch derjenige, der den Hund sieht.“
„Naja, hoffen wir mal, dass ersteres auf uns zutrifft.“, meinte Elena besorgt. ‚Oh ja’, dachte Ryudo, ‚hoffen wir das mal.’
„Komm, lass uns weitergehen, Elena. Jetzt Angst zu haben und unser Vorhaben zu canceln, hilft auch nicht weiter. Es ist eh nicht mehr weit!“, sagte er laut.
Das Rascheln kleiner Tiere und das Wispern der Blätter im Wind hing in der Luft. Als Elena und Ryudo an einen Kreuzweg kamen, an dem ein altes, verwittertes Steinkreuz aus vorgeschichtlichen Zeiten stand, stutzte Ryudo. War da wieder ein Tier?
„Da lang!“, meinte Elena. Nervös gingen sie rechts ab, den Berg weiter hinauf. Nach ein paar Schritten überkam sie wieder dieses eigenartige Gefühl, sie drehten sich um – und sahen einen ernormen schwarzen Schatten, der ihnen folgte. Es war der riesige, zottelige schwarze Hund. Merkwürdigerweise verspürte Elena keine Angst mehr – sie war ganz ruhig. Der schwarze Hund trottete fast eine halbe Stunde lang lautlos neben ihnen her und verschwand urplötzlich, als sich wenige Meter vor ihnen der große Garmia-Turm erhob. ‚Bedeutet das ein finsteres Schicksal für jemanden in unserem Bekanntenkreis oder uns selbst?’, dachte Elena.
Sie glaubte es nicht – sie hatte eher das Gefühl, gut beschützt und sicher zu sein.
„Dieser Hund“, Elena hatte wieder die Fassung gefunden. „Bist du ihm schon einmal begegnet? Meinst du – meinst du wir werden… sterben?“
„Nein, ich habe noch nie vorher einen Gyrtrasch gesehen. Allerdings habe ich in diversen Kneipen einen Haufen Schauermärchen über ihn gehört. Ich habe sie nie geglaubt, aber man lernt eben nie aus…“
Elena sah Ryudo an. Sie bewunderte ihn, dass er so ruhig blieb.
Doch seine Augen flackerten. Hatte er ihr etwas vorenthalten?
„Warte hier, Ryudo.“, sagte Elena. Sie sah zu dem schwarzen Turm hinauf. Im obersten Stockwerk brannte Licht. „Die Zeremonie beginnt gleich. Sie dauert etwa zwei Stunden. Dann bin ich zurück.“
„Okay, wie du willst, Prinzessin.“Ryudo setzte sich auf einen Baumstumpf. „Dann warten wir eben ein bisschen, oder, Skye?!“
Der Vogel saß auf einem Baum, ganz in der Nähe. Ryudo erkannte ihn an seinen leuchtenden, gelben Augen.
Er schichtete etwas Reisig und ein paar Holzklötze auf einen Haufen, nahm sein Feuerzeug und zündete ihn an.
“Wir können ja was grillen! Was meinst du?“
„Ja, super Idee, wenn du was dabei hättest…“, meinte der Vogel belustigt.
„Mist, daran hab ich echt nicht gedacht. Dann penne ich eben ’ne Runde. Weck mich, wenn Elena zurückkommt.“
Sekunden später war Ryudo eingeschlafen.
Das Lagerfeuer flackerte und warf Schatten auf Ryudos Gesicht. Skye saß schweigend auf dem Ast einer mächtigen Buche. ‚Wenn die Sache mit dem Gyrtrasch bloß kein böses Ende nimmt’, dachte er, kurz bevor auch er ins Reich der Träume entschwand.
Ein gellender Schrei durchriss die Stille der Nacht. Er kam aus den oberen Stockwerken des schwarzen Turmes und riss sowohl Ryudo als auch Skye aus dem Schlaf.
„Da ist was passiert!“, rief Ryudo und griff nach seinem Schwert. „Ich muss zu Elena!“ „Überstürze nichts!“, konnte Skye gerade noch rufen, doch Ryudo war schon durch das große, finstere Tor gerannt.
„Puh!“, Ryudo rümpfte die Nase. Der Modergeruch stieg ihm in die Nase. Es war sehr stickig da drinnen, und Ryudo bemühte sich nach allen Kräften, keine klaustrophobischen Anwandlungen aufkeimen zu lassen. Von der Versammlung oben war nichts mehr zu hören.
Da es im Raum absolut dunkel war, zückte Ryudo sein Feuerzeug und arbeitete sich im schwachen Schein des Gasflämmchens voran. Diese Tortur dauerte ganz schön lange, und von dem Schmutz, der sich all die jahre hier abgelagert hatte, nahm er das Aussehen eines Schornsteinfegers an, allerdings eines solchen, der aufgrund des Moders bestialisch stank.
Endlich erreichte Ryudo die Treppe zu den oberen Stockwerken. Er stieg die feuchten und unregelmäßigen Stufen hinauf und frug sich, was ihn hier wohl noch erwarten könnte.
Finsternis beherrschte diesen Ort, aber durch ein Fenster rechts oben fiel etwas Mondlicht hinein und gewährte eine notdürftige Orientierung.
Erneut ziemlich desorientiert, blieb Ryudo keine andere Möglichkeit, als sich auf die Fortsetzung seiner Exkursion einzulassen. Sicherlich würde er in Kürze auf die Ursache des Schreis stoßen. Am Ende des Raumes zeichnete sich eine weitere Treppe nach oben ab. Ryudo rannte darauf zu und kletterte sie schnell hinauf.
Was sich dann abspielte, hätte er sich nie träumen lassen…
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