BFS7 - the buttfucking stories

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    • BFS7 - the buttfucking stories

      Welche der Storys dieser famosen Saison konnte euch am meisten überzeugen? (bis zu 3 Antworten möglich) 14
      1.  
        Aussies "Der eine Wunsch" (2) 14%
      2.  
        Bereths "Geister" (2) 14%
      3.  
        CAMIRs "Das Spiel mit dem Feuer" (3) 21%
      4.  
        Crèx' "Kopflose Weihnachtsgeschichte" (4) 29%
      5.  
        HeyDays "Kommunalwahlen" (2) 14%
      6.  
        Hyrule Historias "Der Jahresbrief" (4) 29%
      7.  
        kuronans "Vom Reden und Präsentieren" (1) 7%
      8.  
        pondos "Gelüste" (7) 50%
      9.  
        Shadow mirrors "Echsil" (2) 14%
      10.  
        Sirius' "FAKE IT TILL YOU BREAK IT" (4) 29%
      11.  
        Terminas "Morgen ist ein neuer Tag" (2) 14%
      12.  
        TheMadZockers "Libras Geburtsstunde" (1) 7%
      13.  
        Vaylins "Die Jagd" (3) 21%
      14.  
        Wons' "The Twelve Days of Christmas" (3) 21%
      Liebe Freunde!


      Es wurde geschwitzt, geschrieben, geschunden, es wurde sich gewundert und getuschelt - doch hier sind sie nun, die heiß ersehnten und hart erwarteten 14 Storys der siebten Runde der BFS !!

      Zunächst einmal - Applaus allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern! Das meine ich ganz ernst; dass nach so vielen Jahren so viele - 14 an der Zahl! - mitgemacht und eingereicht haben, ist keine Selbstverständlichkeit! Damit haben wir eine saubere Abgabequote von 100%! Saugut!

      Doch erstmal genug der Ausrufezeichen und genug der langen Rede und des noch längeren Wartens - die 14 Storys of buttfucken Lebkuchen™ findet ihr nun genau hier:


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      --> Als PDF-Dateien fürs Tablet oder Selbstausdrucken:
      Din A5-Download: klicke hier
      Din A4-Download: klicke hier


      --> Als eBook für den Reader oder das Readerprogramm auf dem Smartphone:
      Download der epub-Datei: klicke hier


      -----> Alle diese Dateien finden sich zusammen in diesem Dropbox-Ordner: klick mich!


      --> oooder selbstverständlich zum Lesen im Browser:
      lesen hier im ZFB? Klicke unten auf die Spoilertags!
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      ... doch selbstverständlich findet dieses Jahr ebenso die traditionsreiche Abstimmung statt! Abstimmung? Hierbei gilt, dass die Umfrage nicht im Sinne eines Gut/Schlecht- // Schwarz/Weiß-Denkens verstanden werden soll - sie ist lediglich der Gradmesser dessen, wer es in dieser Runde am ehesten schaffte, das Blut der User in Wallung zu bringen, wer die Gemüter erregte und die Sehnsüchte zu befriedigen. Aber Geschmäcker sind verschieden, es gibt also keinen Grund, einander zu grämen. :)
      Wird jemand es schaffen, die Buttfucking Queen Wons von ihrem Thron zu stoßen und den Ehrentitel des Buttfucking Lebkuchen zu erringen? Weihnachten ist vielleicht vorbei, doch Ehrentitel strahlen heller als eine kurze Jahreszeit!



      Zu den Regeln der Abstimmung:
      -> Jede/r darf abstimmen! Jegliche Schreiberlinge, Nichtschreiberlinge, Forennutzer, Zoobesucher, Kettenraucher, jede/r!
      -> pro Person hat man bis zu 3 Stimmen - die Wahl ist traditionell hart und so muss man seine Stimme zumindest nicht auf eine einzelne Story setzen
      -> die Umfrage läuft, ich schlage vor, bis zum 3.2.2019, also knapp zweieinhalb Wochen. Sollte sich das alsbald als zu kurz herausstellen, wird ggf. nachkorrigiert.
      -> und das wars schon!



      Eins sei aber nicht vergessen: Ob ihr teilgenommen habt oder nicht, auch jede/r Leser/in sei herzlich dazu eingeladen, Feedback zu geben, die Schreiberlinge ja sowieso. Jede/r Teilnehmende freut sich von Herzen darüber!



      Genug geredet?
      Ja.


      Los geht's -


      HAPPY READING / POSTING / FEEDING!






      BUTTFUCKING STORY 7
      ~ Cobwebs In A Christmas Tree ~




      Der eine Wunsch (Aussie)

      Der eine Wunsch


      Ihr Zimmer war passend zur Adventszeit mit weihnachtlichem Charme ausgestattet. Naja, der Plastik-Weihnachtsbaum wirkte nicht nur so, als sei er grade unfreiwillig aus der Abstellkammer gezerrt worden, aber sei´s drum. Glühwein, sogar drei selbstgebackene Plätzchen hatten ihren Weg in ihr schick dekoriertes Zimmer geschafft. Der immer schon anwesende Kamin wirkte zusätzlich wie der perfekte Spießertraum aus der Kleinstadt. Warum ausgerechnet Sie in der Weihnachtszeit als erfolgreichste Kollegin im Haus galt war nicht dem Kamin zu verdanken – Sie war schlicht und ergreifend alt. Auf diese Erkenntnis stieß sie ein leicht verzweifeltes Seufzen aus. Hm, immerhin ließ sich dadurch, dass Sie für die Bekämpfung von Mutterkomplexen für die Jungs zuständig war eine Menge Kohle scheffeln. „Deine Zeit ist jetzt leider vorbei, mein Hübscher.“ Mit einem entschuldigenden und gleichzeitig fordernden Lächeln signalisierte Josi, deren Name eigentlich Annika war, Ihrem viel zu jungem Kunden, dass die gemeinsame Zeit nun wirklich abgelaufen war. Fix verschwand er aus dem Zimmer und stürmte verlegen die Treppe hinunter. Kerle wie er sollten um diese Zeit eigentlich bei Ihren Eltern sein und dicke Gans mit viel Sauce und Knoblauch essen und nicht auf St. Paulis Straßen umherirren, aber man wurde dann doch immer wieder erstaunt, was selbst an Heiligabend für heimatlose Gestalten durch die Gassen streiften – Und Sie selbst war Teil dieser Gesellschaft. Hätte Sie wetten müssen, hätte Sie dieses Kaninchenfutter auf 15 geschätzt, aber letztere Minuten hatten dann doch gegenteiliges bewiesen. Die Männer waren auch nicht mehr so ganz das, was Sie mal waren und mit genau diesem schrecklichen Gedanken bestätigte Sie sich abermals Ihr Alter. Verträumt blickte Sie bei diesem Gedankengang aus dem kleinen Fenster, hinaus auf den Platz mit allen seinen Fußgängern. Mit ein wenig Verrenkungen konnte man bis zum Fischmarkt schauen und die vorbeifahrenden Containerschiffe beim Ein- und Ausfahren betrachten, wie Sie dieses und jenes aus der Welt nach Hamburg brachten und von dort wieder zurück. Ein kalter Wind fand seinen Weg durch die das nicht ganz verdichtete Fenster an Ihr warmes Gesicht und lies Sie ruhig ein- und ausatmen. Auch die ganzen Leute ließen sich ganz wunderbar von Ihrem Standpunkt aus betrachten, die Mondsüchtigen, die auf der Suche nach Abenteuer und Adrenalin waren und dieses auch fanden. Warum bloß empfand Sie sich nicht mehr wirklich als Teil dieses Abenteuers? Nur weil es heute Heiligabend war? Sie seufzte – schon wieder. Ja, vielleicht war es wirklich dieser „hochheilige“ Tag, den Sie weniger mit der Geburt eines Zimmermanns, sondern eher mit Streit und Zwist mit der Mutter verband. Wie viele Jahre waren es mittlerweile? Acht? Oder sogar schon mehr, seitdem Sie kein Wort mehr miteinander gewechselt hatten?
      In der Ferne trieben die Schiffe leise über das Elbwasser und schienen wie eine willkommene Einladung aufzusteigen und sich in die nächstbeste Stadt treiben zu lassen. Weit weg. Ein Gedanke, der Sie neuerdings nicht mehr losließ. Was schien da am Himmel? Es wirkte ein wenig wie eine Sternenschnuppe, nur viel langsamer. Sachen gab´s. Sie drehte sich um und machte kehrt. All dieses Philosophieren brachte Sie ja irgendwie auch nicht weiter. Der Mantel war schnell angezogen und fix stapfte Sie die Treppen herunter. Sarah grüßte Sie überschwänglich, die böse Hexe, Judith ging grade in Ihr Zimmer und Jackie, das Küken, lachte ausgiebig mit einem älteren Herrn. Der Gedanke, dass der Schuppen auch ohne Sie weiterlaufen würde, schmerzte doch ein wenig. Auf der anderen Seite: Gab es da etwas zu verlieren? Wodka würde Ihren inneren Konflikt lösen, ganz bestimmt.
      In der Sputnik Bar war die Welt noch in Ordnung. Wenigstens hier würde sich wahrscheinlich nie etwas ändern. Auch wenn Stillstand nie eine Option für Sie war, war es doch ab und an schön, sich keine Gedanken über Morgen zu machen und die Bar gab Ihr immer das schwummrige Gefühl, in der wohlig irrführenden Konstante zu schweben, bis am nächsten Tag immer wieder aufs Neue das böse Erwachen folgen sollte. Und so setzte Sie sich an die Bar und fand direkt zwei drei bekannte Gesichter mit denen Sie sich in die erstbeste Konversation stürzte. Wie schnell man doch von Gespött über Weihnachten zur nächsten Thematik und Verschwörungstheorie kam. Bald schon folgten die nächsten Träumer, die sich eine Affäre oder vielleicht auch doch nur ein nettes Gespräch erhofften, und das sogar mit einer alten Schachtel wie Sie es eine war. Die Rock Musik wurde aufgedreht, die Bilder verwischten mit jedem Bier und erst recht jeden Kurzen vor Ihrem Gesicht. Gelächter füllte diese Leere, völlig loslösen von der Erde, keine Sorge vor den Tag danach. Das Tanzbein wurde geschwungen, ein Drink mehr, abgelenkt auf einer Insel wo es keinen Zwiespalt gab, ja, noch ein Drink – dann ist aber genug! Ach was soll der Geiz! Heiligabend ist ja nur einmal im Jahr.
      Völlig mit allem möglichen Zeug zugedröhnt verschlug es Sie zurück an ihren ach so geliebten Arbeitsplatz. Gottverdammt, warum hatte Sie es bloß innerhalb so weniger Stunden so übertrieben? „Du bist schuld“, schrie sie laut durch den Flur und fiel unbeholfen die Treppe hoch. Autsch, das Zeug vom Schwarzmarkt sollte Sie wirklich echt besser weglassen. Und überhaupt, wen hatte Sie da grade bitte angeschrien? Bei genauerem Nachdenken, sofern man noch davon sprechen konnte, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Ihre Mutter, diese Verdammte. Diese Schlampe, diese… Sie nahm Platz auf den Treppen und bekam schon bei den Gedanken an den Streit, den Sie vor acht Jahren hatten eine Gänsehaut. Warum konnte ihre eigene Mutter Sie nicht so akzeptieren, wie Sie nun einmal war? Warum mussten Sie erst im Streit auseinander gehen, um endlich verdammt noch mal frei zu sein? Sie hatte Ihre Mutter geliebt, also warum musste es so enden? Mit einem lauten Ächzen zog Sie sich die Treppe weiter hoch, schwerfällig wie eine alte Frau eben eine Treppe hochkam. Sie könnte einfach zurück nach Berlin, zurück zu Ihrer Mutter, versuchen noch einmal über alles zu reden. Aber nein, was würde es schon bringen, nichts, das war doch klar. Es wurden alle Wörter ausgesprochen. Schluss, Aus, Ende. Und doch… allein bei der Vorstellung wieder durch die Straßen Berlins zu streifen, bekam Sie den Bären-Blues und träumte sich so weiter die Treppe hoch. Sie könnte immer noch neu starten, ein eigenes Café eröffnen, oder nein, besser noch: eine Konditorei! Ja, das wollte Sie doch schon immer eigentlich, oder? Sie wusste eigentlich nicht mehr was Sie wirklich wollte. Josi oder Annika? Hamburg oder Berlin? Oder etwas komplett anderes?
      Im Zimmer angekommen schien der Gedankengang wie verflogen, was allerdings nur der Tatsache geschuldet war, dass Sie irgendetwas seltsames auf dem Dach hörte. Was war das? Mit einem lauten Rumms endete die skurrile Geräuschkulisse und hinterließ Sie sprachlos zurück, während ihr Staub ins Gesicht fiel. War es denn schon wieder soweit für den nächsten Weltuntergang? Seltsam. Irgendein Tier lief wohl übers Dach? Vorsichtshalber schnappte Sie sich den Besen aus der kleinen Abstellkammer und wartete. Wo war das Biest? Noch ehe Sie weiter mit schwummrigen Blick umherschaute fiel etwas mit einem lauten Rumms durch den Kamin, plummste mit viel Schwung auf den Boden und wirbelte so viel Staub auf, dass Sie die Hände vors Gesicht schlagen musste und laut losprustete. Doch noch ehe Sie viel Zeit verlor, umklammerte Sie den Besen und holte kräftig aus, ehe Sie dem Untier eins mit dem Besen überhaute. Zu Ihrem Erstaunen packte… das Tier den Besenstiel mit der Hand? Einen Moment, was passierte denn jetzt bitte? Das Tier unterbrach Ihre Verwunderung mit einem langsamen „Ho Ho Ho“. Und noch bevor Sie irgendwas darauf antworten konnte, legte sich der Staub und vor Ihr stand ein Mann mit langem Bart und in einem knallroten Weihnachtsmann Kostüm. Sah ja zum schießen aus! Tatsächlich sah das sogar sowas von bescheuert aus, dass Sie nicht anders konnte als laut loszulachen. Eigentlich sollte Sie ja Angst haben, um Hilfe schreien, oder was man halt in so einer skurrilen Situation machte, aber es war als wären alle Ihre Sinne und Birnen durchgebrannt. Nach einigem Gelächter beruhigte Sie sich wieder ein wenig und betrachtete den etwas gealterten Mann mit einem schmunzelnden Lächeln. Alt war er vielleicht, aber das sollte kein Hindernis für Sie sein, immerhin spielte Sie ja mittlerweile, gefühlt zu mindestens, fast auch in seiner Altersklasse. Passend zum Anzug trug er einen alten Sack, der über die Schultern gehängt war. Sympathisch sah dieser Weihnachtsmann aus, das musste man ihm lassen. „Soso, was verschafft mir denn die Ehre? Ich dachte ja eigentlich immer du wärst schwul, hehe.“, redete Sie mit einem immer noch stark angetrunkenen Wirrwarr. Er antwortete nicht, aber das wunderte Sie auch nicht, denn dann würde er ja seine wahre Identität verraten. „Wer bist du, hm?“ Sie überlegte nicht lange. Es musste der Barkeeper der Sputnik Bar sein Georg sein, er erlaubte sich ja ständig solche dummen Scherze. Aber dafür soviel Aufwand? „Na gut, du willst wohl spielen, nicht wahr?“ Den würde Sie niemals an sich ranlassen, aber bevor Sie ihren Gast hier einfach mir nichts dir nichts rausschmiss, würde Sie in schön aufs Glatteis führen. Und naja, der Hauch von Anziehung war schließlich auch da, irgendwie hatte der Weihnachtsmann ja etwas an sich, dass man ihn nur mögen konnte. Doch noch ehe Sie wirklich etwas machen konnte, griff der Weihnachtsmann in seine Jackentasche und verstreute eine Art Staub mit derartiger Geschwindigkeit auf Sie, dass Sie nicht schnell genug reagieren konnte und blindlings im freien Fall nach hinten aufs Bett fiel. Kurz bevor ihre Augen sich schlossen hörte Sie es erneut: Das tiefe, grummelige „Ho Ho Ho“.
      Hupen. Dröhnen. Gestöhne. Langsam, ganz langsam öffneten sich ihre Augen. Für einen langen Moment musste Sie überlegen wo Sie sich überhaupt befand. Der Kamin schloss die klaffende Lücke in Ihrem brüchigen Gedächtnis. Was war passiert? Puzzleteil für Puzzleteil versuchte Sie den vergangenen Abend Revue passieren zu lassen, aber irgendwann verlor Sie immer den Faden. Da waren viele Eindrücke und irgendwo sah Sie ständig einen roten Anzug vor ihrem inneren Auge. Mit einem Zucken realisierte Sie die Masse an Alkohol und diversem anderen Zeug, das Sie sich reingepfiffen hatte. Was ein Scheiß! Das war schon lange nicht mehr passiert. Kaum fähig aufzustehen robbte Sie sich den Weg hoch aus dem Bett. Irgendwie wirkte ihr Zimmer etwas staubig, aber sonst war alles wie Sie es in Erinnerung hatte… Bis Sie das kleine Nachtschränkchen neben Ihrem Bett genauer betrachtete. Ein kleiner weißer Umschlag lag dort – scheinbar unberührt. Zitternd nahm Sie den Brief an sich und öffnete den schneeweißen Umschlag. Dort drin: Ein Zugticket – für den 25. Dezember um 14:39 Uhr von Hamburg Hauptbahnhof nach Berlin Spandau – auf Ihren Namen. Berlin Spandau – genau da, wo Sie herkam. Alles drehte sich erneut und Sie musste sich festhalten. Was passierte hier bitte schön? Leicht gekrümmt ging Sie zu dem Fenster, um dieses zu öffnen und den kalten, klaren Wind in Ihr Zimmer zu lassen. Ein Gedanke durchfuhr Sie, den Sie so schnell nicht loswerden würde. Sie könnte Ihre Sachen packen und zwei Stunden später im Zug nach Berlin sitzen, einfach so, bedingungslos. Ihr blick schweifte gedankenverloren nach draußen, wo alles beim Alten blieb: Die Elbe im Hintergrund, der frühmorgendlich- beißende Duft von Hinterlassenschaften der Nacht. Nur ihr Zimmer wirkte wegen des Briefes wie ausgetauscht, obwohl doch soweit alles so war, wie Sie es kannte. Der staubige Kamin, auf dem Tisch stand eine Flasche Glühwein sowie eine Schale mit zwei selbstgebackenen Keksen. Würde sollte Sie bloß tun?

      I wasn't playing baseball, no!
      I wasn't playing football, no!
      I wasn't playing basketball, noo!
      I was playing Class War!

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    • Geister (Bereth)

      Geister


      Oma Nneka hatte immer gesagt: Das Wort ist mächtig. Wenn man etwas oft genug erzählte, spielte es keine Rolle, ob es der Wahrheit entsprach – solange die Menschen es glaubten. Sie machten es wahr.
      Und so waren es die absurdesten Großstadtmythen, die sich am längsten hielten. Spontane Selbstentzündungen, Chemtrails, Jesus-Toasts: Janice hatte sie alle gehört. Selbst die Geschichte von den Kids, die bei einer Pyjamaparty nur Avatar – The Last Airbender bingen wollten und dann angeblich von einer blau wabernden Gestalt heimgesucht wurden. Dabei wusste jeder, dass die Jungs regelmäßig gepanschtes Gras beim Wickel hatten. Klar, dachte sie, da würd ich auch Avatar Roku sehen.
      Janice seufzte. Sie war zu alt für den Scheiß.
      Das „Beste“: Sie durfte den neuesten Geniestreich für ihre Lokalzeitung untersuchen. Das Spukhaus auf dem Berg im Reichenviertel hätte sich wieder bemerkbar gemacht. Man hörte einen Leierkasten, wenn man nur die Ohren spitzte. Der sollte einem alten Geizkragen gehört haben, der seit letztem Jahr unter der Erde lag. Ach und überhaupt, ein Freund von Boris aus der Weinstraße kannte einen Jungen, der jemanden kannte, der beim Gläserrücken fremde Stimmen gehört hatte!
      Tja. Klassische urban legend.


      Jetzt stand eine vom Dezemberwetter durchnässte Janice auf der Veranda dieses Gruselhauses und das einzige, was ihr eine Gänsehaut über den Rücken jagte, war der Wind. Tolle Legende hatten sie sich da aus den Fingern gesaugt.
      Oma Nneka hätte ihre wahre Freude an der Geschichte. Selbst wenn sie nicht einmal halb so gruselig war wie ihre Lieblingsstory von Madam Koi Koi, einer rachsüchtigen Internatslehrerin in Nigerien, die auch nach ihrem Tod noch die Kinder heimsuchte und sich durch das koi koi ihrer blutroten Absätze ankündigte…
      Janice schüttelte sich und konzentrierte sich wieder auf das Haus. Es stammte aus dem vorigen Jahrhundert, um 1920 gebaut. Die damaligen Grundbesitzer hatten den Stil von US-Landhäusern geliebt und deshalb auf eine Holzfassade bestanden. Rustikal. Nach knapp 100 Jahren mittlerweile eher kurz vor dem Zusammensturz, doch seine seine zwei Stockwerke hoben sich noch in beeindruckender Größe gegen den schwarzen Nachthimmel ab. Janice zog ihren Kopf unter dem Vordach ein, das sich wie ein hungriges Maul um sie schloss.
      Sie drückte gegen die Tür, um dem Sturm und Nieselregen zu entkommen. Und das kurz vor Weihnachten, da kam richtig Stimmung auf. Rein in das knarzende Holzloch, schon schüttelte sie sich vor Kälte. Jetzt ein Glühwein. Nicht einmal Zeit für den Wintermarkt hatte sie dieses Jahr gehabt.
      Bewaffnet mit der Taschenlampe auf ihrem iPhone in der einen und einem EMF-Messer in der anderen Hand tastete Janice sich die ersten Meter durch das schwarze Nichts der Eingangshalle. Sie glaubte keine Sekunde daran, dass das elektronische Knattern aus dem Geisterdetektor auf irgendetwas anderes als die Strommasten in der Umgebung reagieren würde.
      Manchmal zweifelte Janice an ihrer Entscheidung, nach dem Attentat in der Bar ihren Studiengang zu wechseln. Man sollte meinen, sie hätte damals genug Tod gesehen, aber hier stand sie nun und suchte nach Geistern. Immerhin war es spannender ein verlassenes Herrenhaus zu untersuchen, als eine Reportage über Kakadus im Herborner Vogelpark anzufertigen – und sicherer als jeder Urlaub in den Staaten. Staub aus der Vergangenheit konnte ihr zumindest nicht die Augen auspicken oder ihr das Hirn wegpusten.
      Und Staub flog hier massenhaft durch das Haus.
      Tausende Partikel brachen den Schein der Handytaschenlampe auf dem Weg zur Treppe und legten sich bei jedem Atemzug auf Janice' Lunge. Sie zog ihr Tuch über die Nase und blinzelte sich den Staub aus den tränenden Augen, während sie weiter ins Innere des Erdgeschosses vordrang. Die erste Tür gegenüber dem Eingang führte sie in einen weitläufigen Raum, in dessen Mitte ein langer Ebenholztisch stand.
      Janice runzelte die Stirn. Der Tisch war, anders als die Stühle oder der Kamin im Rücken des Raumes, nicht mit Bettlaken bedeckt. Zudem spiegelten sich auf seiner Oberfläche im Licht der Taschenlampe Wasserflecken, Glasränder – frisch.
      Sie entdeckte eine Flasche unter dem Tisch: Wein. Château Pétrus, prangte es in roter Schrift auf dem Etikett. Janice zog die Brauen hoch. Eine Flasche davon kostete mindestens 2.000, gerne auch bis zu 14.000 Euro, je nach Jahrgang.
      Okay.
      Janice fröstelte, als ihr der pfeifende Wind in den Kragen kroch und ein Flüstern an ihre Ohren trug. Das bildest du dir ein. Sie nahm einen tiefen Atemzug und verließ das Zimmer über die Seitentür.
      Ihre Flucht führte sie auf leisen Turnschuhen über mehrere Zimmer mit bedeckten Möbeln zurück zur Treppe – und hinauf. Ihr krochen zwar erste Anzeichen von Angst in die Glieder, aber das hieß noch lange nicht, dass sie jetzt kniff. Weiter knatterte der Geisterjäger, bis Janice die Lautstärke nicht mehr aushielt und das Gerät abschaltete.
      Wind. Knackendes Holz. Sie biss die Zähne zusammen und schlich um den Treppenabsatz herum durch den Flur. Ein blutroter Teppich führte sie bis zu einer Tür, die einen Spalt weit offen stand, und ihr Handy erleuchtete weiße Badezimmerkacheln mit Goldrändern. Fancy. Passte zu der Weinflasche.
      Dann hörte sie es: Im Erdgeschoss spielte ein Lied. Man hörte einen Leierkasten, wenn man nur die Ohren spitzte. Das Heulen des Windes mischte sich in das Lied und ging mit ihm in eine Kakophonie über, die Janice als Eissäule auf den Badezimmerboden festfror. Fehlten nur noch…
      Rasselnde Ketten.
      Und Schritte, Schritte von der Treppe.
      Fuck.
      Sie schaffte es gerade noch, sich zwischen Badewanne und Tür zu verstecken und mit zitternden Fingern die Taschenlampe ihres iPhones auszuschalten. Ihr Blick fiel auf das Wallpaper: Claire mit pinker Mähne und sie selbst mit dem kurzen Afro, den sie noch heute trug, in einer engen Umarmung.
      Ich könnte mitkommen, hatte sie noch gesagt. Aber Janice hatte sie nicht um den Mädelsabend mit ihrer Schwester bringen wollen.
      Bescheuerte Idee.
      Die Schritte und das Rasseln näherten sich. Da hatte sie schon einen Anschlag erlebt, weil irgendein homophobes Arschloch nicht mit seiner eigenen Identität klargekommen war – hatte ihn vor allem überlebt – und jetzt sollte sie in irgendeinem alten Haus mitten im Nirgendwo krepieren?
      Ruhig Blut. Atmen. Die Schritte hielten vor der Tür inne.
      Sie hörte rasselnden Atem auf der anderen Seite. Janice' Herz schlug ihr bis zu den Ohren und ihr Speichel schmeckte nach Blut. Fünf Sekunden, zehn. Ein Keuchen. Dann zog die Person weiter und mit ihr die Ketten, die über den Boden klapperten. Der Leierkasten unten hatte sich derweil in einer Dauerschleife der immer gleichen sieben Töne verfangen – und jetzt erkannte Janice das Lied auch. Mary had a little lamb… Mary had a little lamb… Mary had a little
      Sie musste hier raus.
      Noch ein Blick auf Claire. Ein Kuss auf den Sticker von Rose aus Steven Universe, den sie ihr geschenkt hatte und der den Apfel auf der Rückseite vom iPhone überdeckte. Statt des Glühweins könnte Janice jetzt tatsächlich etwas Härteres gebrauchen. Frauengold, gegen die Hysterie. Genau.
      Noch einmal schnappte sie nach Luft, um nicht auf dem Weg atmen zu müssen und sich damit zu verraten. Durch die geöffnete Tür war niemand auf dem Flur zu sehen. Perfekt. Sie schob sich am Türrahmen vorbei und eilte, flog, an der Wand entlang zur Treppe. Von da aus überlegte sie nicht mehr: Sie polterte die Stufen hinab, sah die Eingangshalle vor sich, die Haustür in Sicht, sie hing in den Angeln, Wind und Regen peitschten hinein und wirbelten die Laken auf, gleich, nur noch ein paar Schritte –
      Ein weißes Gesicht blitzte vor ihr auf.
      Fuck!
      Janice' Schrei hallte durch den Vorraum, als sie rückwärts auf die untersten Treppenstufen stürzte. Sie riss die Hände vors Gesicht, Smartphone und EMF vergessen auf dem Boden neben ihr.
      Doch nichts passierte.
      Sie blinzelte durch ihre Finger hinauf. Vor ihr stand ein Mann, offensichtlich alt wie Asbach, passend mit weißem Rauschebart. Er sah mit verständnislosem Blick zu ihr herab und die Flasche Château Pétrus glänzte in seiner linken Hand. Neben ihm auf dem Boden lag ein Stapel Bücher, mit Ketten umwickelt, die zu seinem Handgelenk führten. Was zum Teufel, dachte Janice nur und fuhr sich mit fahriger Hand durch ihren Afro.
      „Ich kenne dein Gesicht“, krächzte er mit schiefgelegtem Kopf.
      Den Spruch kannte sie gut; Clair war ein riesiger Fan von Lord of the Rings. Hielt der Knacker sich für König Théoden oder was? Wäre ein typischer Weißbrot-Move – wenn die ganze Situation nicht derart absurd wäre.
      „Glaub ich kaum“, schnappte Janice und sammelte ihre Elektronik ein.
      Ein dumpfer Schmerz pochte in ihrem Steißbein, als sie sich von der Treppe erhob. Doch sie ließ sich nichts anmerken, sondern baute sich vor dem Alten zu ihrer vollen Größe auf. Er schrumpfte vor ihr geradezu zusammen.
      Sie fand die Weinflasche vor ihrem Gesicht wieder.
      „Bleib doch einen Moment“, sagte der Alte.
      In deinen Träumen. Das Ganze roch nach einer Falle.
      „Danke, hab's eilig.“
      Janice hob eine Hand, um den Mann beiseite zu schieben – und griff durch ihn hindurch. Ihre Augen weiteten sich.
      „Ah.“
      Der Alte zog sich einen Schritt zurück. In seinem Blick erkannte Janice eine tiefe Wehmut. Jetzt klangen das Rasseln der Ketten und die Dauerschleife aus dem Esszimmer nur noch traurig.
      „Du bist nicht sie. Entschuldige. Das muss wohl ein Schock für dich gewesen sein.“
      Schon war er auf dem Weg zurück ins Esszimmer. Janice warf einen Blick auf die Bücher, die er hinter sich her zog. Diverse schwarze Feministinnen. Kimberlé Crenshaw, Klassiker natürlich, aber auch Patricia Hill Collins… und eine Menge andere. Wer hatte ihm die ganzen großen Frauen ans Gelenk gebunden?
      „Äh.“ Geistreich, Janice. „Wen hast du denn erwartet?“, warf sie ihm doch endlich nach.
      Der Alte blieb stehen. Er drehte seinen Kopf, um sie über die Schultern hinweg ansehen zu können.
      „Du bist ihr sehr ähnlich.“ Seine grauen Augen fixierten ihr Gesicht; verloren sich dann in einem verträumten Ausdruck. „Nneka.“
      „Oma?!“
      „Sie hat den Wein geliebt. Aber nicht mich.“
      Das überraschte Janice nicht. Oma Nneka hatte sich nach Mamas Geburt weit, weit, von Männern entfernt. Hatte gemerkt, dass sie lesbisch war. Aber –
      „Ich hab's verdient; ich wollte nicht aufhören“, sagte der Greis wie nebenher und zeigte auf seinen Kopf – er war hinter der Schläfe eingedellt. Wie von einer Flasche.
      Oh.
      „Notwehr?“, fragte Janice.
      „Notwehr. Du bist auch…?“
      „Lesbisch? Ja.“
      Sein Blick lag auf ihrem iPhone und Janice bemerkte, dass sie den Bildschirm entsperrt hatte. Clair und sie lachten dem Mann entgegen.
      „Ihr seht glücklich aus. Geht den Weg weiter. Egal, was alte Kauze wie ich sagen.“ Eine Pause entstand, in der er den Kopf senkte. „… es tut mir leid. Alles. Richte das Nneka bitte aus.“
      Janice zögerte. Sollte sie dem Alten sagen, dass seine Flamme längst verstorben war? Wenn es nach ihr ginge, könnten alle, die Oma Nneka auf die Pelle gerückt waren, in der Hölle schmoren.
      Allerdings hatte er offensichtlich dazugelernt.
      Sie nahm einen tiefen Atemzug, schaffte sogar ein Lächeln. „In Ordnung. Und – danke, schätze ich.“
      Der vernebelte Blick des Alten klarte mit seinem eigenen Lächeln auf. Er hob die Flasche zum Gruß, nahm mit festem Griff die Bücher in seine papierne Hand und verschwand im Esszimmer. Janice konnte sich nicht helfen, sie folgte ihm, wollte noch mehr erfahren – aber als sie den Raum betrat, hatte sich Stille auf ihn gelegt.
      Auf dem Tisch ruhte ein Tuch gegen den Staub.


      Janice rang noch lange mit sich, ob das, was sie gesehen hatte, wirklich passiert war. Dem Lokalblatt teilte sie mit, dass es sich bei dem Trubel um falschen Alarm gehandelt hatte.
      Sie schaffte es erst eine Woche später zusammen mit Claire ans Grab von Oma Nneka. Mit einer guten Flasche Wein – wenn es auch nicht für den Edelwein reichte, natürlich. Weihnachten stand vor der Tür. Das erste Mal ohne Oma. Und doch hatte sie aus dem Himmel heraus noch für eine Art generationenübergreifende Traumabewältigung gesorgt. Wahnsinn. Da war es ganz egal, ob der Alte real gewesen war.
      Geht den Weg weiter. Das würden sie. Janice zog Claire enger an sich.
      Das Wort war wirklich mächtig.
      I wasn't playing baseball, no!
      I wasn't playing football, no!
      I wasn't playing basketball, noo!
      I was playing Class War!
    • Das Spiel mit dem Feuer (CAMIR)

      Das Spiel mit dem Feuer
      (Basierend auf wahren Begebenheiten)


      Versonnen tauchte Erna den Wischmopp in den Wassereimer, beobachtete, wie er sich mit Wasser vollsog, tropfte ihn dann ab und begann, sorgfältig den Fußboden damit zu wischen. Sie genoss die Stille und die Einsamkeit um sich herum, denn so konnte sie gefahrlos ihren Gedanken nachhängen. Das Reinigen des Schulgebäudes hatte beinahe etwas Meditatives und sie war sehr froh, diese Arbeit bekommen zu haben. Sie ermöglichte ihr, sich ganz langsam der Welt der Menschen anzupassen, ohne dabei ihr eigenes Wachstum aus den Augen zu verlieren. Noch immer fiel es der ehemaligen Walküre schwer, manche Eigenheiten der Menschen zu verstehen, aber es funktionierte schon viel besser als kurz nach ihrer eigenen Menschwerdung. Als man ihr auf einem seltsamen Haus namens „Arbeitsagentur“ eine Stelle als Putzkraft in einer Grundschule angeboten hatte, hatte sie dankbar, ja, beinahe enthusiastisch zugesagt. Die Frau ihr gegenüber hatte Erna besorgt angesehen, wie als wäre etwas mit ihr nicht in Ordnung, und das Gespräch dann sehr schnell beendet. Noch im Hinausgehen hatte Erna über den Sinn der von ihr besuchten Einrichtung gegrübelt – wozu brauchte es „Agenturen“, damit die Menschen arbeiteten? Aber das gehörte jetzt der Vergangenheit an. Mit jedem Tag richtete sie sich besser in ihrem neuen Leben ein und hatte sogar Freunde gefunden. Ihr erster und treuester war jener Geschäftsmann Alexander, den sie vor knapp einem Jahr, am Abend ihrer Menschwerdung, aufgeheitert hatte. Hin und wieder gingen sie gemeinsam aus und gerade am gestrigen Tag hatten sie das einjährige Jubiläum ihres „Kennenlernens“ gefeiert, indem sie auf einen dieser „Weihnachtsmärkte“ gegangen waren, die jetzt wieder in fast jedem Ort zu finden waren. Erna mochte die Weihnachtszeit, weil sie die Menschen daran erinnerte, dass ein Gott seinen Sohn in die Welt geschickt hatte, weil er die Menschen liebte. Das war so ganz anders als Odin, der nur diejenigen um sich wissen wollte, die ehrenhaft im Kampf gestorben waren. Je mehr sie unter den Menschen lebte, umso gewisser war sie, wieso bei Odin gerade Konjunkturschwäche herrschte, trotz einiger stümperhafter Versuche, dies zu ändern.
      „Möchte die Dame einen Glühwein?“ fragte der Standverkäufer auf dem Weihnachtsmarkt, als Erna mit Alexander eingehakt durch die Buden streifte. Erna blieb stehen, unschlüssig, ob sie das überall angepriesene Getränk versuchen sollte. Es roch würzig und süßlich, aber sie hatte schon den in Überfluss getrunkenen Met nie gut verstanden (vertragen?). „Glühwein ist gut für den Teint! Sie sind ja so blass!“ versuchte es der Mann weiter und Alexander lachte. „Sie sind ja ein richtiger Tresenphilosoph. Wer kann einer solchen Ansage widerstehen?“ Er legte dem Mann einige Münzen hin und reichte Erna das Getränk, die es still und dankbar annahm. Noch immer wusste Alexander nichts von ihrer wahren Herkunft und so beschloss sie, eine weitere Erfahrung zu machen. Vorsichtig nippte sie an der heißen Tasse und war auf die sinnliche Explosion in ihrem Mund nicht vorbereitet. Sie hustete kurz und rieb sich die Tränen aus den Augen.
      „Das ist… gut“, keuchte sie. Der Mann hinter dem Tresen lachte jetzt auch.
      „Das will ich meinen! Das ist schließlich mein eigenes Rezept.“
      Erna wagte einen erneuten Schluck und war dieses Mal auf die Explosion in ihrem Mund vorbereitet. Ihr wurde warm.
      „Was ist denn in Ihrem Glühwein drin?“ fragte Alexander, den die Reaktion seiner Begleiterin etwas überraschte.
      „Nur die üblichen Zutaten,“ beruhigte der Mann. „Das Geheimnis ist, vom Schubladendenken beim Glühweinbrauen wegzukommen. Nicht der Mensch macht den Wein, sondern der Wein den Menschen. Vergessen Sie das niemals!“
      Erna nickte über ihrer Tasse, trank sie in kleinen Schlucken aus und stellte sie dem Mann auf den Tresen. Dann klappte sie zusammen.


      Gedanklich sezierte Erna den vergangenen Abend weiter, während sie eine liegengebliebene Butterbreze in den Mülleimer beförderte. Sie konnte nicht länger ignorieren, auf Alkohol nicht übermäßig gut zu reagieren. Sie verstand nicht, wieso die Menschen so etwas freiwillig tranken und dann so bereitwillig Lebensmittel wegwarfen wie die Kinder, die vormittags in diesen Räumen lernten. Ein melodischer Gong holte sie aus ihren Gedanken und erst, als der Gong ein zweites Mal ertönte, begriff sie, dass das die Türglocke der Eingangstür war und sie wohl öffnen sollte. Sie legte ihre Putzutensilien zur Seite und machte zwei seriös aussehenden Männern auf.
      „Guten Tag, was kann ich für Sie tun?“ fragte sie so höflich es ging.
      „Gestatten Heinzelmann von der Berufsfeuerwehr. Das ist mein Kollege Weißbrod. Wir sind hier wegen einer Routinekontrolle des Brandschutzes Ihrer Schule.“
      „Aha?“ Erna wusste darauf wenig zu sagen, auch weil sie noch immer Kopfschmerzen vom Glühwein hatte, was Heinzelmann zum Anlass nahm, weiterzusprechen.
      „Wir überprüfen, ob Sie die Brandschutzbestimmung, also genauer gesagt die ISO123485 zur Brandbekämpfung, regelkonform einhalten.“
      „Ahja“, erwiderte Erna, die nun noch verwirrter als sowieso schon war. Sie war die Putzfrau. War das nicht Aufgabe des Schulleiters? Der Mann ihr gegenüber schien das aber nicht zu verstehen. Vielleicht hielt er sie gar für die Schulleiterin – zumal der echte Schulleiter, ein Mann namens Nikolaus mit einem rauschenden weißen Bart, an diesem 6. Dezember nirgends zu sehen war. Erna wunderte es, war er doch sonst immer noch im Hause, wenn sie kam. Und ausgerechnet an diesem Tag mussten diese Leute erscheinen.
      „Wir möchten überprüfen, ob Ihre Feuerlöscher ordnungsgemäß installiert sind, ob die Rauchmelder vorschriftsmäßig angebracht sind…“ redete Heinzelmann weiter bevor ihn Weißbrod unterbrach: „Das heißt seit neustem nicht mehr Rauchmelder, sondern Feuermelder. Leben Sie denn hinterm Mond?“ Dann piekte er mit seinem Zeigefinger auf Ernas Schlüsselbein. „Und wenn wir schon dabei sind, werden wir gleich mal den Asbestanteil Ihrer Schule überprüfen. Ich habe da Geschichten gehört.“
      „Was für Trottel!“ hörte Erna eine Stimme hinter sich. Und dann loderte eine Flamme auf.
      „Logi!“ entfuhr es Erna und sie erbleichte, als sie den Feuergeist sah.
      „Was ist logisch?“ fragte Heinzelmann in vollkommener Unkenntnis des übernatürlichen Wesens.
      „Äh, dass Sie all diese Dinge überprüfen möchten. Es handelt sich ja um die Sicherheit unserer Kinder“, versuchte Erna die Situation zu retten, während Logi bösartig kicherte. „Aber ich glaube, hier liegt eine Fehlinformation vor…“
      Weiter kam sie nicht, weil Heinzelmann sie zur Seite schob. Logi hatte begonnen, die Isolierung aus den Wänden zu reißen, wovon Heinzelmann nur das Ergebnis sah.
      „WAS IST DENN DAS?!“ rief er aufgebracht. „Weißbrod, notieren Sie das!“
      Sie liefen geradewegs durch den amüsierten Logi durch und begutachteten die Unordnung.
      „Ich habe gerade erst angefangen“, rief der Feuergeist und entschwand in Richtung Lehrerzimmer. Erna schwante Übles und sie holte rasch ihren Putzeimer, bevor sie dem Unruhestifter nachlief. Die beiden Männer ließ sie links liegen.
      Sie wurde im Lehrerzimmer gerade noch Zeuge, wie Logi eine Menge Metallgegenstände in die Mikrowelle lud und diese einschaltete.
      „HÖR AUF!“, schrie sie und schüttete im Affekt den Eimer über dem Geist und dem Gerät aus. Mit einem Schrei löste sich Logi auf, doch für die Mikrowelle war es leider zu spät. Sie explodierte. Durch die Druckwelle wurde Erna auf den Boden geschleudert und als sie wieder zu sich kam, packte sie das dumpfe Entsetzen. Die Vernichtung des Lehrerzimmers war gründlich und nicht zu leugnen. Aus welcher Fessel sich Logi auch immer befreit hatte, sie musste ihm schnellstens das Handwerk legen, wenn sie nicht Zeugin einer vollständigen Entkernung des Gebäudes werden wollte. Sie schnappte sich eine herumliegende Lichterkette, um ihn notfalls damit wieder in Ketten zu legen, und stürmte auf den Flur, wo sie mit den Herren von der Feuerwehr zusammenstieß. Diese waren von der Explosion aufgeschreckt worden und während Heinzelmann das Ausmaß der Zerstörung mit lautem Geschrei kommentierte, machte Weißbrod sich unentwegt Notizen. Erna wusste nicht, was all das bedeuten sollte, aber sie hatte andere Sorgen. Sie wusste, dass Logi noch immer dort draußen war und Unheil stiften konnte. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn er den Weihnachtsbaum im ersten Stockwerk anzündete. Ein solcher Christbaumbrand würde sich sehr schnell auf die umhängenden Jacken und Bilder der Kinder ausbreiten.
      „Sie wissen, dass Sie die Gänge stolperfrei halten sollen?“, rief Heinzelmann ihr hinterher, als sie in den ersten Stock stürmte. In der Tat saß Logi triumphierend auf der Christbaumspitze und ließ Flämmlein aus seinen Händen züngeln.
      „Jetzt bräuchtet ihr wohl Pyro-Bubbles?“, rief er spöttisch. „Die würden vielleicht noch verhindern, was ich jetzt gleich tun werde!“
      „Logi tu es bitte nicht!“, flehte Erna. „Lass den Menschen doch ihren Weihnachtsfrieden!“
      „Weihnachten? Pah! Nur Gelegenheit für mich, Dinge anzuzünden!“ Der Geist war unerbittlich.
      „DER BAUM BRENNT JA!“, rief eine Stimme hinter Erna und sie erkannte, dass die Feuerwehrleute ihr gefolgt waren.
      „Bitte tun Sie nichts Unüberlegtes“, warnte sie, aber da war es schon zu spät. Weißbrod hatte den Baum ergriffen und wollte ihn aus dem Fenster werfen. Das aber endete damit, dass der verschreckte Logi wirklich alles im Umkreis anzündete, bevor er aus dem Fenster flog.
      „FEUER! FEUER!“, schrie Heinzelmann und klopfte die Flammen von seinen Kleidern. „Und nirgends Feuerlöscher! Der Brandschutz Ihrer Schule ist mangelhaft!“
      „Das ist. Nicht. Meine. Schule!“, sagte Erna energisch, packte die beiden Männer in einem Anfall von wiedergekehrter Walkürenstärke und brachte sie aus dem Gebäude, das weiterhin fröhlich brannte. Draußen angekommen klopfte Weißbrod sich den Ruß aus dem Gesicht, während Heinzelmann in die Flammen starrte.
      „Da.. da…“, stammelte er. „Da hat was gegrinst…“
      „Unmöglich“, murmelte Weißbrod. „Sie sind ein Fall für die Psychiatrie.“
      So zogen die Feuerwehrleute von dannen, während Erna dabei zusah, wie ihr Arbeitsplatz abbrannte. Wie sehr wünschte sie sich zu dem freundlichen Glühweinhändler auf den Weihnachtsmarkt zurück und wie sehr, dass sie aufwachte und alles wäre nur ein Traum gewesen. Aber dem war nicht so.
      Als sie zur erneuten Stellensuche auf der Arbeitsagentur erschien, empfahl ihr die merkwürdige Frau ein „Etablissement mit Darkroom“. Erna nahm dankbar an, auch wenn sie nicht wusste, was ein Darkroom war. Aber vielleicht war dort kein Feuer.
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    • Kopflose Weihnachtsgeschichte (Crèx)

      Kopflose Weihnachtsgeschichte


      Angekommen, trat er sich die grünen, nach vorne spitz zulaufenden und nach oben gekrümmten Stiefelchen ab, wischte sich den Schnee von seiner ebenfalls grünen Zipfelmütze und lockerte etwas seinen dünnen roten Schal. Er befand sich in der kleinen, schon recht belebten Vorhalle, in der vorwiegend offene Büros ansässig waren. Die vielen grünen, roten und gelben Zipfelmützen und ihre Träger, die bereits eingetroffen waren aber auch noch nach und nach eintrudelten, stellten sich ordentlich in einer Reihe vor der digitalen Stempeluhr auf und stempelten einer nach dem anderen ein. Am Ende der kleinen Halle führten zwei bis zur Decke reichende Rolltore in die große Lagerhalle, seinem Arbeitsplatz.


      Durch die Tore schreitend übermannte ihn direkt die gewohnte Endzeitstimmung, malerisch untermauert durch die Arbeiterkampflieder der Elfen, die zwischen den Regalen umherwuselten.


      Und weil der Elf ein Elf ist,
      drum braucht er was zum Schaffen, danke sehr!
      Es macht ihn ein Geschwätz nicht froh,
      das schafft keine Arbeit her.


      Drum pack mit an! Hilf dem Weihnachtsmann!
      Wo dein Platz, Genosse ist!
      Reih dich ein, in die Weihnachtsfront,
      weil du auch ein Arbeiter bist.


      Links und rechts von ihm erstreckten sich bis zum Horizont lange Regalreihen die bis zu 100 Meter in die Höhe ragten. In der Mitte bildeten sie einen langen, breiten Gang bis zum anderen Ende der Lagerhalle, an dem sich der Abfertigungsbereich befand. Dort musste er, wie jedes Jahr am Tag vor Weihnachten, die Abfertigung der Geschenke leiten.


      Er wurde schon von Grumpel erwartet. „Da bist du ja endlich, Pixel“, quietschte er mit einer sehr nervigen Stimme. Grumpel war auch wie er, jedes Jahr am Tag vor Weihnachten in der Abfertigung eingesetzt. Er war bereits die ganze Nacht hier und sie würden nur noch ein paar Stunden miteinander arbeiten.


      „Herrje“, fing Pixel an, während er sich durch die Elfenmenge an der letzten Regalreihe drückte. „Ich dachte es rieselt nur leise der Schnee, aber da draußen tobte ein wahrer Sturm.“


      Seine langen, spitzen Ohren waren noch rot gefroren, ebenso wie seine kleine Stupsnase. Seine kurzen Beine klapperten noch etwas als er auf Grumpel zuging und ihn mit einer elfenhaften Umarmung empfing.


      „Tut mir, ich hoffe nur der Oberwichtel hat nicht mitgekriegt, dass ich fehle.“
      „Banane! Der alte Troll hat sich selbst noch nicht blicken lassen“, grunzte Grumpel verächtlich. „Und von mir aus kann das auch so bleiben.“
      „Umso besser.“, Pixel atmete erleichtert auf. „Hey, wie war deine Nacht?“
      „Ach hör mir auf“, Grumpel fuhr sich mit der rechten Hand durch die roten, wuscheligen Haare, während er sich mit dem Zeigefinger seiner anderen Hand das eine Nasenloch zuhielt und aus dem offenen ein Gummibärchen ummantelt von einer Ladung Elfenrotze in Richtung Boden schoss. „Die Elfen aus der Geschenkeverpackungsabteilung haben heute Nacht einen Protest angefangen.“
      „Was?“
      „Ja, keine Ahnung. Wollen irgendwas oder so. Die laufen jetzt noch da draußen im Schnee herum und streiken“, er zeigte dabei auf die Wand hinter der sich der Rangierplatz befand. „Spinner. Die Hälfte der Geschenke musste ich hier selbst verpacken.“
      „Hast du dem Weihnachtsmann schon Bescheid gegeben?“
      „Ja, er wird bald hier sein.“
      „Gut. Er kümmert sich schon darum, du wirst sehen.“
      „Unglaublich, das sind Saisonarbeiter. Das ganze Jahr vor sich hinwichteln und dann die Zipfelmütze einziehen wenn es auf Weihnachten zugeht.“
      „Komm, lass uns lieber an die Arbeit gehen.“


      Grumpel an die Schulter fassend schob er ihn neben sich her. Es waren zwar schon einige Geschenke für den Versand bereit, aber immer noch unzählige weitere mussten aus den Regalen des Lagers gesucht werden. Die gebräuchlichsten Geschenke, etwa Socken oder Bücher waren auf Elfenhöhe gelagert, sodass jeder Elf mitanpacken konnte. Geschenke, die sich jedoch nicht so oft gewünscht wurden mussten von Elfen mit einem Stapler aus den oberen Regalreihen geholt werden. Die Geschenke wurden dann normalerweise in die Geschenkeverpackungsabteilung gebracht. Dort verpackte man sie mit dem unterschiedlichsten Geschenkpapier und ließ sie über ein Förderband bis zum Abfertigungsbereich bringen.


      „Ich habe die Elfen angewiesen die Geschenke direkt hier her zu bringen.“ Grumpel deutete auf die, mit unverpackten Geschenken vollgestellte Ecke zwischen der Geschenkeverpackungsabteilung und dem Abfertigungsbereich.
      „O du fröhliche“, stöhnte Pixel. „Wir sind ganz schön hinterher, wenn wir die alle selbst einpacken müssen.“
      Unaufhörlich kamen Elfen mit Geschenken angelaufen und stellten einen weiteren Teddybären dazu, einen weiteren selbstgestrickten Pullover, eine weitere Weihnachts-CD von Mariah Carey. Ab und zu kam ein Stapler vorbei und lud direkt eine ganze Ladung von Geschenken ab.


      „Wir werden zwar nicht alle schaffen“, Grumpel reichte Pixel eine Rolle Geschenkpapier. „Aber wir müssen schauen, dass wir klotzen ehe der Weihnachtsmann ankommt.“
      Er nahm die Rolle entgegen und setzte sich im Schneidersitz an den Fuß des Geschenkeberges. Glücklicherweise hatte jeder Elf in seiner Ausbildung einen Geschenkeeinpackkurs genossen. So war auch Pixel und Grumpel das professionelle Einpacken von Geschenken nicht fremd.


      Im restlichen Jahr arbeiteten Pixel, wie etliche andere Elfen auch, in der hauseigenen Werkstatt, in der viele Geschenke hergestellt wurden. Und so erkannte er auch direkt ein paar seiner eigenen Kreationen wieder. Wie das hölzerne Schaukelpferd mit dem verzierten Ledersattel, welches er gerade verpackte. Die meisten Geschenke wurden aber von Herstellern auf dem ganzen Globus importiert.
      Mit einem Tesastreifen klebte Link noch ein Schleifchen auf das verpackte Schaukelpferd.


      „Das sieht scheiße aus! Lass das weg.“, brummte Grumpel, aber Pixel ignorierte ihn einfach, er war es nicht anders gewohnt.


      Er schaute auf die digitale Wunschliste, die er auf seinem Tablet aufrief. Dort war hinterlegt, welches Kind sich welches Geschenk wünschte. Das war nicht nur wichtig um den Empfänger auf einem kleinen anhängenden Kärtchen persönlich zu beglückwünschen, sondern auch um die Proformarechnung zu erstellen. Seit der Weihnachtsmann einmal Probleme am Zoll bekommen hatte, ist es Standard geworden eine an jedes Geschenk anzuhängen.


      Link stellte das Geschenk zu den anderen verpackten Geschenken im Abfertigungsbereich. Von draußen vernahm er leise ein Piepen. Keine Frage, es muss ein rückwärtsfahrender Lastwagen sein. Er öffnete die Rolltore am Abfertigungsbereich, welche langsam gleisendes und vom Schnee reflektiertes Sonnenlicht in die Halle strömen ließen. Und tatschlich!
      „Grumpel, schau! Der Weihnachtsmann ist da!“


      Da draußen fuhr der Weihnachtsmann einen 750 PS starken Volvo FH16, der gerade versuchte einen extrem großen, für einen Schwertransport geeigneten Flachbettauflieger rückwärts einzuparken. Als er ihn geschickt eingelenkt hatte zischte der Lastwagen einmal laut auf und er schaltete den Motor aus. Just in diesem Moment vernahmen Pixel und Grumpel von links die Protestrufe der Elfen aus der Geschenkeverpackungsabteilung: „Nieder mit dem Weihnachtsmann, wir wollen an die Kohle ran!“.
      Der Weihnachtsmann öffnete die Tür des Lastwagens und trat mit seinen schwarzen Stiefeln in den Schnee. Die rote Jacke, die er sich gerade über das weiße Unterhemd zog, ließ er trotz der Kälte offen. Seine Weihnachtsmütze im Lastwagen zurücklassend, entblößte er sein kahles Oberhaupt welches von kurzen, weißen Haaren umgeben war. Aus seinem langen weißen Bart holte er einen Flachmann hervor aus welchem er Glühwein schlürfte, bevor er sich der, ihm bis zum Gürtel reichenden, wütenden Meute stellte.


      „Hallo meine lieben netten Elfen…“


      „Halts Maul du Penner!“, wurde der Weihnachtsmann unsanft vom aufmüpfigsten Protest-Elf unterbrochen.


      Mit einem zackigen und kräftigen Tritt enthauptete der Weihnachtsmann den Elf kurzerhand, dessen Kopf weit hinter den nächsten Schneeberg flog. Wie verloren stand der kleine kopflose Körper noch eine Weile auf der Stelle, ehe er umflog und den Schnee um sich in ein warmes Rot tauchte.


      Jedenfalls mussten Pixel und Grumpel für den restlichen Tag keine Geschenke mehr einpacken, worüber sie recht froh waren.
      Der Weihnachtsmann zog sich in sein Büro zurück und Pixel und Grumpel machten sich wieder an ihre eigentliche Arbeit.


      Wäre da nicht der Oberwichtel Tunc McElfenhack, der geradewegs auf die zwei Elfen zu stapfte, mit lauten, erschütternden Schritten. Wichtel waren geringfügig größer als Elfen, hatten grün-schwarze Haut mit ekelhaften Blasen und meistens leuchtend gelbe Augen. Sie waren körperlich viel massiver gebaut, hatten längere, dafür flachere Ohren, breite Knollennasen und einen gewaltigen Unterbiss mit hervorstehenden Zähnen, dass einem schlecht wurde.


      „Hey ihr zwei!“, krächzte er heftig und zeigte mit der Linken auf Pixel und Grumpel. Weiter auf sie zukommend und in der rechten Hand einen großen, gewaltigen Schuhlöffel schwingend, setzte er fort: „Ihr seid nicht zum Rumstehen hier! Seht zu, dass ihr die Geschenke auf den Lastwagen ladet oder ich schlag euch eure Beine ab und fresse sie in der Mittagspause!“


      Aus einem Fluchtreflex heraus, griff sich Pixel das nächstbeste Geschenk und schleppte es in Richtung Lastwagen. Grumpel tat es ihm gleich.


      „Mieser alter Wichtel“, flüsterte Grumpel Pixel zu.
      „Behandelt uns wie Sklaven, dabei kann er froh sein, dass der Weihnachtsmann ihn hier arbeiten lässt.“


      Pixel stellte das Geschenk ganz vorne auf dem Auflieger, unter einem Schnaufen, ab.
      „Wieso ist es eigentlich so verdammt unlogisch“, meinte Grumpel und stellte das andere Geschenk dazu. „Dass die Ladung nicht gesichert werden muss? Ich meine, einmal um die Welt und wieder quer zurück und trotzdem geht niemals ein Geschenk verloren.“
      „Das liegt wohl daran“, Pixel schielte in die Halle, als wollte er sichergehen, dass ihn niemand beobachtet. „Dass der Weihnachtsmann zaubern kann.“
      „Was?“ Grumpel schaute unglaubwürdig drein. „Der kann zaubern? Niemals, der kann ja nicht mal geradeaus gehen!“
      „Naja weißt du“, Pixels Stimme wurde leiser „Ich habe ihn einmal dabei beobachtet, wie er zwei sich paarende Rentiere beobachtete.“
      „Na und? Dann hat er eben Feldforschung betrieben.“
      „Aber er hatte einen großen mächtigen Zauberstab in der Hand, eigentlich glich er eher einem Turm. Und als er in dreimal wedelte entfesselte er einen Zauber, so stark, dass er das eine Rentier glatt durchbohrte.“
      Grumpel schaute Pixel tief in die Augen „Ich glaub dir kein Wort.“
      „Ich sag dir, der Mann ist ein Zauberer!“


      Pixel und Grumpel waren wieder in der Halle, um die nächsten Geschenke aufzuladen. Neben ihnen ging Tunc McElfenhack fluchend im Kreis, rutschte prompt auf Grumpels Gummibärchen aus und brach sich das Genick. Da lag er nun… stand aber sofort wieder auf, reckte seinen Hals und tat so als wäre nichts gewesen.


      „Tja Pixel, meine Schicht ist um.“
      Grumpel klopfte Pixel auf die Schulter. „Du schaukelst das schon!“
      „Klar“, sagte Pixel beinahe überzeugt. „Bis nächstes Jahr du faule Socke!“


      Grumpel arbeitete eigentlich in einem der Büros vorne in der kleineren Halle. Er ist dort der IT-Projektmanager und gestaltet die meiste Zeit eigentlich die Werbung für den Weihnachtsmann. Er sorgte unter anderem dafür, dass sie von Coca-Cola gesponsert wurden und er hält den Deal noch immer aufrecht. Ansonsten erstellt er Werbeclips fürs Fernsehen. Pixels liebster Clip war der, in dem der Weihnachtsmann durch einen Schornstein in eine Wohnung kletterte und Geschenke unter den Tannenbaum der Familie legte. Als er sich umdrehte um wieder aus dem Schornstein zu klettern blickte er auf einmal in das Gesicht eines mörderischen Serientäters. Er reagierte schnell und griff in seinen Sack, zog eine Schrotflinte hervor und erlegte den Verbrecher. Danach folgte ein Schriftzug „Der Weihnachtsmann kommt Ho Ho Ha Ha“.


      Er hatte den Clip nie ganz verstanden.


      Es war endlich Abend und der Lastwagen war bereit für die Frachtzustellung. Alle Elfen, außer Grumpel versammelten sich an der Laderampe. Und stimmten traditionell ein schreckliches Lied an, das niemand hören wollte. Deswegen kam der Weihnachtsmann auch erst aus seinem Büro, als sie ausgesungen hatten. Mit einer qualmenden Zigarre im Mund stellte er sich neben den Lastwagen und vor alle Elfen.


      „Meine lieben Elfen!“
      Er nahm noch einen Zug und schnippte die Zigarre in den Schnee, holte seinen Flachmann hervor und schlürfte noch einen Schluck Glühwein.
      „Ich halte jetzt keine Rede, ich bin spät dran. Ich danke euch für eure weihnachtliche Hilfe. Tschüss!“
      Noch nicht richtig ausgesprochen saß er schon in der Kabine des Lasters, ließ den Motor an und sauste vom Hof.


      Die Elfen feierten bis tief in die Nacht. Nur Pixel lauschte dem lauten, Nerv tötenden Geräusch von einem Motor, während er versteckt auf dem Auflieger die finnische Grenze passierte.


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    • Kommunalwahlen (HeyDay)

      Kommunalwahlen


      »Ivanna, du sollst heut’ Nachmittag mal beim Chefarzt vorbeischauen.« teilte mir eine Kollegin mit, als wir uns im Treppenhaus begegneten. Ich schluckte. Zum Chef zu müssen war nie etwas gutes, doch diesmal ahnte ich schon was mich erwarten würde. Mit einem unguten Gefühl im Magen setzte ich erst einmal meine tägliche Arbeit fort. Ich warf einen Blick auf das Klemmbrett und seufzte. Der alte Schmitt brauchte noch seine Visite. Hoffentlich war seine Frau nicht da. Angehörige waren immer eine Qual, insbesondere wenn es sich dabei um Senioren handelte. Ich öffnete die Tür zum Zimmer 3.113. Ich hatte Pech. Frau Schmitt war leider auch da.
      »Frau Doktor Yehenina! Endlich sind Sie da! Schauen Sie sich mal Joachims Zehennagel an! Das kann doch nicht sein!!« »Yevhenivna, Frau Schmitt. Es heißt Yevhenivna...« sagte ich im gleichen monotonen Ton wie beinahe zehn mal täglich. »Guten Tag Herr Schmitt, wie geht es Ihnen heute?« »Gut Frau Doktor! Danke der Nachfrage. Haben Sie schon gehört? Die Kommunisten sind in der Ukraine an die Macht gekommen! Da kommen Sie doch auch her, oder Frau Doktor?« Auch das hörte ich aktuell mindestens zehn mal am Tag. So war das nunmal auf einer Gerontostation. Die alten Leute hatten immer die gleichen Geschichten zu erzählen. Ich ignorierte das geflissentlich und machte mich daran die Werte des Patienten zu überprüfen. »Ach Joachim! Das sind nicht die Kommunisten! Da ist doch die Anarchie ausgebrochen. Ich sags dir, es wird nicht mehr lange dauern, dann haben wir hier das selbe Problem. In der Lokalzeitung stand letztens auch...« »Frau Schmitt, die Ukraine ist aktuell regierungslos. Das ist etwas anderes...« versuchte ich mutlos einzuwenden. Zum einen, damit es nachher nicht hieß, ich hätte nichts gesagt, zum anderen auch, weil ich immer noch hoffte, irgendwann würde etwas hängen bleiben. Meine Erfahrung sagte mir allerdings, dass ich mich vergebens bemühte. Schon unterbrach mich die alte Frau Schmitt: »Das ist doch das gleiche wie Anarchie! Damals nach dem Krieg war das doch hier genauso. Alles im Chaos. Ich weiß noch als ich ein kleines Mädchen war, da war ich mit meinen Schwestern und meiner Mutter im Dorfgemeinschaftshaus als es hieß, dass.« Die Dame war in ihrem Redeschwall ausgebrochen. Ich hatte nichts mehr zu befürchten und beendete die Visite. »Und was ich mit Joachims Zehennagel, Frau Dokotor?« rief Frau Schmitt mir nach, als ich das Zimmer verließ. »Da schaut später ein Pfleger drauf!« entgegnete ich, ohne mich umzudrehen.


      Nachmittag. Beim Mittagessen hatte ich keinen so rechten Appetit gehabt. Es war gut, dass ich kaum etwas gegessen hatte, denn ich fühlte mich ziemlich elendig. Hätte ich mal lieber dem Medikamentenschrank eine Beruhigungstablette entnommen. Später war ja auch noch Zeit dafür. Jetzt musste ich erst einmal das Büro meines Chefs betreten. Ich klopfte und wurde gleich herein gebeten. »Setzen Sie sich doch bitte Frau Yevhenivna.« Wortlos setzte ich mich. »Sie wissen bescheid, oder?« fragte er mich. »Ja...« »Nun... dann lassen Sie mich noch einmal die Konsequenzen erklären. Wir kommen da leider nicht drumrum. Achenbacher der alte Kampagnentreter... ähm... uh. ich meine natürlich Spindoktor, hat ein Auge auf unsere Klinik geworfen und wir müssen jetzt langsam handeln. Sie wissen ja, das neue Gesetz der AfD ist mittlerweile schon ein dreiviertel Jahr in Kraft getreten und uns drohen hohe Strafen, wenn wir uns nicht langsam daran anpassen. Von dem Prestigeverlust unseres Krankenhauses ganz zu schweigen. Es wird sowieso schon gemunkelt. Sie wollen ja auch nicht ins Gefängnis wandern, oder?« »Nein, will ich nicht...« Ich wartete auf den Rausschmiss.
      »Frau Yevhenivna, Sie sind mittlerweile sieben Jahre hier an der Klinik und es wäre sehr schade, wenn Sie uns verlassen müssten. Das Problem ist einfach, dass ihr ukrainischer Abschluss rückwirkend nicht mehr anerkannt wird und Sie deshalb keine Approbation mehr haben. Das macht es uns sehr schwierig Sie in ihrer aktuellen Position zu halten.« »Ich weiß... Kann ich den Monat noch zuende machen oder werde ich jetzt gleich entlassen?« »Frau Yevhenivna! Nicht gleich so drastisch! Wir wollen doch guten Willen zeigen und haben uns in der Leitung eine Alternative für Sie überlegt.« Ich atmete auf. Was wohl jetzt kommen würde? »Also ihre Approbation und den Facharzt müssen Sie natürlich jetzt hier in Deutschland nachholen, da kommen wir nicht drumrum. Wir wollen Sie natürlich gerne hier in der Klinik halten, das bedarf aber einer Umstrukturierung.« »Aha. Was stellen Sie sich denn darunter vor?« »Nun, zunächst werden Sie noch das Medizinstudium nachholen müssen. Ich denke mal, dass Sie sich auch noch einiges anrechnen lassen können, dann sind das vielleicht ein paar Seminare und die Abschlussprüfungen.« »Okay... das klingt doch machbar.« »Und das praktische Jahr müssen Sie auch noch machen.«
      »Das unbezahlte praktische Jahr? Sie wollen mich doch verarschen?« Ich war entsetzt. Prüfungen nachholen war ja irgendwie in meinen Alltag integrierbar, aber ein Jahr ohne Bezahlung in der Klinik arbeiten? Das konnte ich mir absolut nicht leisten. Der Chefarzt schaute ein wenig bedröppelt drein. Ihm schien das ganze auch ein wenig unangenehm zu sein. »Dann kündige ich lieber. Finanziell kann ich mir diesen Verdienstausfall nicht leisten.« Ich stand auf und drehte mich um. »Frau Yevhenivna! Warten Sie doch. Wir finden schon eine Lösung.« Ich drehte mich wieder um. »Die wäre?« »Äh... also wir könnten Sie zusätzlich als Honorarkraft einstellen, dann könnten Sie Vertretung machen und ...« Ich unterbrach ihn. »Mit meinem aktuellen Gehalt?« »Nein nein! Das geht selbstverständlich nicht! Ohne gültigen Abschluss können wir ihnen auch kein Facharztgehalt mehr zahlen.« »Super! Das sind ja tolle aussichten.« Ich drehte mich wieder in Richtung Türe. Es brodelte in mir. Eine bodenlose Frechheit das Ganze. Wie konnte nur jemals so ein dummes Gesetzt verabschiedet werden?
      »Frau Yevhenivna! Jetzt stellen Sie sich nicht so an. Die Klinik kommt Ihnen damit extrem entgegen. Und überhaupt. Ohne die Quote. äh also die Frauenquote, könnten wir Ihnen nichtmal das anbieten. Überlegen Sie es sich.« »Danke, das tue ich!« Wütend verließ ich das Büro und schloss die Türe mit etwas nachdruck.


      »Mensch Ivanna, das ist echt ne miese Nummer. Was wirst du denn jetzt machen?« Ich hatte mich dazu überwinden können, am Abend mit zu unserem Stammtisch zu gehen. Ich hatte tatsächlich absolut keine Lust gehabt, mich aber dazu durchringen können, doch noch mit auf den Weihnachtsmarkt zu kommen. Ich wusste ja, dass Ablenkung bei sowas hilft. Auch wenn die Menschenmengen mir zum Hals raushingen und ich absolut keine Lust dazu hatte, meinen Kollegen noch einmal die ganze Geschichte zu erzählen. Ich hatte es trotzdem gemacht und nach dem ersten Glühwein fiel es mir auch ein wenig leichter. »Keine Ahnung. Ich kann es mir eigentlich nicht leisten unter diesen Bedingungen zu arbeiten. Andererseits werde ich wahrscheinlich anderswo keine neue Stelle finden. Schließlich gilt dieses blöde Gesetz ja für das ganze Land.« Ein anderer Kollege meldete sich zu Wort. »Jetzt macht es auch total Sinn, warum der Komolka aus der Neuro letztens unter Fanfaren angekündigt hat, dass er jetzt zu uns auf die Geronto kommt. Wir haben doch garkeine Stellen frei.« »Dieser Schmutzkübel!« Fluchte ich. »Der bekommt doch jetzt 100-pro meine Stelle!« »Das ist so eine Intrigenwirtschaft bei uns!« stimmte mir mein Kollege zu. »Pah! Das grenzt ja schon an Betrug!« schimpfte eine andere. Wir schwiegen alle ein weile. »Komm, ich geb dir einen Kaiserschmarrn aus« bot meine Kollegin an. »Danke, den nehm ich gern an. Bald kann ich mir das eh nicht mehr leisten...« Ich fragte mich, wann sich diese dunkle Wolke über meinem Leben wieder lichten würde.
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    • Der Jahresbrief (Hyrule Historia)

      Der Jahresbrief


      Lieber Elliot,
      entschuldige, dass es dieses Mal etwas später wurde. Ich hatte vor den Feiertagen keine Zeit mehr, diesen Brief aufzusetzen. Jetzt ist Weihnachten überstanden, die Familie schläft bereits, es hängt noch der romantisch-herbe Geruch ausgedämpfter Kerzen in der Luft. Es ist stickig und viel zu warm eingeheizt. 01:47 Uhr laut Handy, die perfekte Uhrzeit um mich an den Schreibtisch im Arbeitszimmer zu setzen, das Bütten Briefpapier hervorzukamen und den Jahresbrief zu verfassen. Deiner kam natürlich pünktlich am 23. an. Wie immer bist du, was das einhalten von diesem Ritual betrifft vorbildhaft. Deine Worte haben mich tief berührt. Ich mag es sehr, wie du deine innersten Gedanken so leichtfüßig mit Erzählungen aus dem Arbeitsleben und lustigen Anekdoten vermengst. Beim Lesen der Passage mit dem Mützenklau musste ich herzhaft lachen. Einem hongkonger Polizisten seine Kopfbedeckung zu entwenden und dann nur mit einer groben Schelte davon zu kommen kriegst auch nur du hin, mich hätten sie bestimmt auf ewig eingelocht. Wobei ich mir gut vorstellen kann, dass Rita das wohl weniger lustig fand.


      Wenn ich das Jahr 2018 so vor meinem geistigen Auge Revue passieren lasse, muss ich mir eingestehen, dass es in vielen Bereichen sehr unscheinbar war. Ich arbeite nach Wie vor am neuen Duden. „Nach wie vor“, weil ich vorher noch die Neuauflage vom ‚Briefe gut und richtig schreiben!‘ Duden überarbeiten musste. Meine Vorgesetzt hat mal wieder die Arbeitsmenge falsch eingeschätzt. Manchmal glaube ich echt, dass ich noch in drei Jahren an diesem verflixten Wörterbuch arbeite.


      Emotional gesehen bin ich zur Zeit etwas lädiert und instabil. Am meisten plagt mich die Frage, ob es wohl ein Fehler war nach Berlin zurückzukehren? Jedes Mal, wenn ich Freunde vom Flughafen abhole und ungeduldig in der Ankunftshalle stehe, ertappe ich mich dabei, wie ich in Gedanken an Board irgendeines Flugzeugs steige und wegfliege. Wohin? Einfach nur weg. Weg von Berlin, weg von meinem gegenwärtigen Leben. Weg von allem, was mit Erwachsensein zu tun hat.
      Selbstverständlich gebe ich dieser Sehnsucht nicht nach. Sobald dann eingetroffen ist, wen auch immer ich erwartet habe, spüle ich mit einem herzlichen Lächeln alle Reste an Hinweisen auf meine echten Gedanken vom Gesicht und heiße mein Gegenüber mit einer innigen Umarmung willkommen. „Wie schön, dass du da bist! Endlich sehen wir uns wieder. Es tut so gut dich in meine Arme schließen zu können!“, höre ich mich sprechen während, ich mich in Gedanken ans andere Ende der Welt wünsche – auf eine einsame Insel im Meer, oder eine abgelegene Blockhütte, tief im Wald von Kanada. Dann zerstreue ich für ein paar Tage alle Sorgen meiner Gäste. Zeige ihnen die großen und kleinen Wunder dieser Stadt, im Winter den Ort mit dem Besten Glühwein. Falls du dich gefragt hast: es handelt sich um den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche, dort verwenden sie nämlich nur getrocknete Früchte und kein Tiefkühlobst, wodurch das Getränk nicht zusätzlich verwässert wird. Im Sommer tröstet ein Eis von Fräulein Frost über beinahe jeden oberflächlichen Kummer hinweg. Kein Herzschmerz der bei etwas Malaga, oder Rum-Rosinen-Eis wie es die ungebildeten Möchtegernhipster dort nennen, nicht gelindert werden könnte. Wenn dann alle Tränen geweint und alles Lachen verklungen ist, bringe ich meine Freunde wieder zum Flughafen zurück. Jedes Mal wird mir dann ganz schwer ums Herz. Es ist weniger der Abschied an sich der quält, sondern jedes Mal, wenn sie sich ein letztes Mal umdrehen und heiter zum Wiedersehen winken, da spüre ich, wie sie einen Teil von mir mitnehmen. Ich jedoch, ich muss zurück bleiben. Was passiert mit mir, wenn ich keine Teile mehr zum mitschicken habe? Wenn jemand wie selbstverständlich in die Schublade meines Herzens greift wo ich sie aufbewahre um dann festzustellen, dass sie leer ist? Werden sie enttäuscht sein? Gekränkt? Entsetzt? Werden Sie verstehen? Oder in ihrer Hilflosigkeit dem Zorn anheim fallen? Diese Gedanken betrüben und verwirren mich. Es gibt da einen Song, der mich dann wieder in eine gesellschaftlich akzeptable Stimmung zurück versetzt. Er dauert fast 12 Minuten und hat eine fantastische Bassline, ich spiele ihn dir gerne bei unserem nächsten Treffen vor.


      Was sich sonst so tut?
      Gestern war unangekündigt Rosa da; du erinnerst dich, die alte mit den Sabberlippen. Die, bei der du noch Jahre später meintest, ich musste dauerhigh und zugesoffen gewesen sein um sie geil zu finden. Gott, hast du sie gehasst. Es war die einzige Person, die du jemals als Bedrohung für unsere Freundschaft in Erwägung gezogen hast. Dabei hat sie mir mal gestanden, wie verliebt sie in dich gewesen ist. Ich glaube ja noch bis heute, dass sie nur über mich an dich ran wollte. Well, wir wissen ja beide, wie gut das geklappt hat–. Vergiss was ich oben geschrieben habe, nie mehr wieder möchte ich in das dramatische und schier unüberwindbar scheinende Gefühlschaos eines Teenagers zurück. Da bleibe ich dann doch lieber Erwachsen – Verpflichtungen und Verantwortung hin oder her.


      Jedenfalls wollte Rosa „ihre“ Tochter sehen. Es waren schreckliche 20 Minuten. Zu Weihnachten entdeckt sie dann plötzlich immer ihren Familiensinn. Lieber wäre mir zwar, sie würde sich gar nicht mehr melden, aber einmal im Jahr ist für uns alle erträglich. Was sind wir froh, dass sie sich inzwischen nicht mehr an Patricias Geburtstag meldet (vermutlich hat sie ihn inzwischen vergessen. ...). Ich hab dir bestimmt in aller Ausführlichkeit im vorletzten Jahresbrief davon berichtet, als sie unangekündigt in die Geburtstagsfeier der Siebenjährigen geplatzt ist. Torkelnd, nach billigem Brandy riechend und mit einem potthässlichen Walross aus Stoff in der Hand, das sie vermutlich einem Obdachlosen entwendet und sich auf dem Weg hierher darüber übergeben hatte. Wir sind uns bis heute uneins darüber, wer übler roch.
      Patricia zuliebe habe ich das furchtbare Stoffuntier gewaschen und dabei zwei Flaschen Sagrotan verbraucht. Es sieht zwar immer noch furchtbar aus, und ich habe ihr strengstens Verboten das Ding mit ins Bett zu nehmen, aber immerhin hat sie jetzt ein Erinnerungsstück an ihre Gebärerin. Markus ist ja immer noch der Meinung, dass sich Rosa eher früher als später ins Grab saufen wird. Dann sei es auf jeden Fall gut für ihre Tochter, ein persönliches Erinnerungsstück zu haben. Als Bewältigungsstrategie und so. Ja, er hat wieder angefangen seine alten Psychologiezeitschriften auszugraben. Es war ganz, ganz unerträgich, als er nach Rosas Weihnachtsbesuch versucht hat mir ihr Verhalten anhand seines Wissens über die sozialen Brennpunkte in ihrer Familie herzuleiten. Dass ihr Vater bei einem Messerkampf in den Straßen Berlins als Unbeteiligter eines Bandenkrieges schwer verletzt worden ist, soll bei Rosa ein schweres Traumata ausgelöst haben. Aus ärmlichen Verhältnissen stammend, hatte sie ja nie eine wirkliche Chance und müsste sich nun in den Alkohol flüchten . ...
      Ich habe Markus nicht darauf hingewiesen, dass Rosa ihre Lebensgeschichte immer und immer wieder neu erfunden hat, solange, bis sie sich selbst darin verlor und nun nicht mehr imstande ist die Lüge von der Wahrheit zu unterscheiden. Es war mir so gleichgültig, was er über sie zu sagen hatte, dass ich als Stockfisch einfach alles still über mich ergehen ließ, anstatt ihn über Rosas tatsächliche Familiengeschichte aufzuklären. Dass sie eine echte von Hahnenkampf in erster Blutline ist und ihr Vater noch nie auch nur einen Fuß in die Nähe der Straßen gesetzt hat, in denen es in Berlin zu Bandenkriegen kommen kann. Der Wohlstand und das Geld wurden ihr mit dem Schnulli eingeflöst und meiner Meinung nach dient der Alkohol der Verdrängung all der Psychosen, die 200 Jahre Inzest wohl so mit sich bringen.


      Es erstaunt mich immer wieder, wie offensichtlich für mich ihre Lügen sind, während andere die Unwahrheiten nicht erkennen können. Meine Vermutung dahingehen ist, dass es sich um ein ähnliches Phänomen wie bei psychischen Erkrankungen handelt: wir notorischen Lügner erkennen einander. Wer einmal depressiv war, durchdringt die perfekten, über Jahre geschnitzten hohlen Masken seines an Depressionen leidende Gegenübers sofort. So geht es mir bei ihren Lügen. Ich frage mich nur, ob ich für sie ebenso durchsichtig bin? Da ich sie seit Jahren nicht mehr nüchtern angetroffen habe, bezweifle ich das. Und selbst wenn, es ist mir ehrlichgesagt egal. All jene, die mir wichtig sind – davon bin ich überzeugt – glauben mein Theater.
      Alle meine Freunde beneiden mich um mein Leben – ich habe es mir in meinem Unglück wahnsinnig wohlig eingerichtet. Wobei, nicht alle. Du, lieber Elliot, du beneidest mich nicht; weil ich zu dir als einziges ehrlich bin. Ist es nicht absurd, dass ich die Menschen, die mir am nächsten stehe am meisten belüge? Dabei steht dahinter keine böse Absicht. Es geht mir einfach schon viel zu leicht von den Lippen. Es ist so, als könnte ich anders keine Gespräche mehr führen. Aus Angst, jedes nicht sorgfältig ausgewählte und geprüfte Wort könnte sie verletzten. Könnte einen Teil ihres Wesens in Trümmer schlagen. Manchmal, wenn ich Abends wach im Bett liege und mich neben der Liebe meines Lebens wie der einsamste Mensch der Welt fühle, dann. … es fällt mir schwer den Satz korrekt zu beenden. Langsam merke ich, wie ich auch anfange dich belügen zu wollen. Meine Hand weigert sich zu schreiben, was ich wirklich denke. Auch dich möchte sie nun mit harmlosen und abgenutzten Worthülsen in Sicherheit wiegen. Nun verstehst du meine Situation etwas besser, nicht wahr?
      Um den Satz korrekt fortzuführen: … dann bereue ich es zutiefst, mich jemals mit Literatur und Sprache beschäftigt zu haben. Als ich meine Studien begonnen habe, war ich naiv und wollte die Welt heilen. Sie mit Sprache zu einem besseren Ort machen. Mir mein verbales Medizinköfferchen zusammenstellen und hinausziehen um den Schmerz der Menschen zu lindern. Doch was ich vorgefunden habe war ein Waffenarsenal. Wer ein Wörterbuch besitzt, benötigt keine Folterwerkzeuge mehr und mein Sprachwortschatz gleicht heute mehr einer Waffenkammer als einem Ersthilfekasten.
      Ich habe dich damals zurückgelassen um das zu studieren, wofür mein Herz entbrannte. Wie sehr ich dich mit meinem Fortgang verletzt habe, brauchtest du mir nie zu sagen. Es war mir bewusst und dennoch habe ich es dir angetan, weil es sich für mich wie der einzig richtige Weg angefühlt hat. Ich wollte mich verwirklichen, meinen Traum Leben, die Welt retten. Ein persönlicher Herzenswunsch und ein altruistisches Lebensziel – was zählt dagegen schon eine tief verwurzelte Freundschaft? Ich schuldete dir nichts, redete ich mir ein. Immerhin waren wir „nur“ Freunde. Keine Liebhaber oder Familie. Und jetzt, jetzt nachdem ich dich diesem Schmerz ausgesetzt habe und du mir immer noch ein treuer Freund geblieben bist und mich die Zweifel plagen, ob es die richtige Entscheidung war; jetzt in diesem Augenblick verspüre ich auch das dringende Verlangen dich anzulügen. Dir nichts von meinen Zweifeln mitzuteilen um zu verhindern, dich mit der Absurdität dieser Reue und späten Einsicht zu quälen. Ich. … – Du weißt, wie ich empfinde!


      Das Papier geht rasch zu Ende, ich hätte mehr kaufen sollen, denn es gäbe noch so vieles zu erzählen. Patricia hat heute ihr erstes Karpador gefangen. Sie hat sich enorm über das von dir gesendete Pokémon Spiel für die Switch gefreut und möchte dich zum Kampf herausfordern. Mit einem Karpador (das kann doch nur Platscher, oder? Wieso merkt man sich solche Sachen überhaupt?) hätte sie wohl keine Chance gegen dich. Lass uns beim nächsten Treffen doch mal wieder Pokémon Stadium ausgraben, der guten alten Zeiten willen. Wer 9 Minispiele verliert, muss dem anderen einen Blasen. … Okay, vielleicht NICHT GANZ wie in den alten Zeiten, aber du weißt was ich meine. Grüß mir Rita lieb und bleibt bitte nicht mehr zu lange in Asien. Europa kann zur Zeit mehr Optimisten vertragen; und ich jemanden, der meine Herzlade wieder auffüllt.
      Ti saluto calorosamente e ti bacio gli occhi
      David



      PS: Wie immer werde ich, sobald ich das Kuvert versiegelt habe, mit entsprechenden Mengen an Alkohol die Erinnerung an alle dir anvertrauten Wahrheiten vergessen und mich mit zufriedenem Lächln ins Bett zu meinem Mann legen, mit dem tröstlichen Gedanken, wieder ein Jahr überstanden zu haben.


      PPS: Nochmals aufrichtige Entschuldigung für die Verspätung.
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    • Vom Reden und Präsentieren (kuronan)

      Vom Reden und Präsentieren


      „Du darfst mir einen Gefallen tun!“, mit diesem Satz hatte der Ärger angefangen. In der Support Abteilung der Mittelmann Holding, bemühte sich der fleißige Tobias beschäftigt zu wirken und war auch ziemlich erfolgreich darin. Jedoch während einer Kaffeepause kam der Abteilungsleiter auf ihn zu und sagte genau das. Der gut ausgebildete Tobias antwortete natürlich, „Aber gerne, Chef. Worum geht’s?“. Sein Chef nahm ihn also an die Schulter und erklärte die Situation, „Die Sache ist die, ich muss nächste Woche eine Rede halten. Aber jetzt bin ich überflutet mit Problemen, eine Baustelle vor meiner Garage, ein Rohrbruch im Keller und die Weihnachtsaufführung meines Schätzchens. Da noch Zeit finden um eine Rede zu schreiben, das kann ich nicht!“, er starrte gedankenverloren auf den Boden, es war offensichtlich, dass er schon bis zur Verzweiflung getrieben wurde, gleichzeitig aber auch, als würde er etwas verheimlichen. Der Moment wurde mit jeder stillen Sekunde nur unangenehmer. „Geht es Ihnen gut, Chef?“, sagte Tobias um die Stille zu brechen, woraufhin sein Chef zuckte als wenn er kurz eingenickt war. Dieser klopfte Tobias auf die Schulter und entfernte sich rückwärts mit langsamen Schritten, „Vielen Dank nochmal, ich schicke dir eine Mail mit allem was du wissen musst, ich verlasse mich auf dich!“, sagte Tobias' Chef grinsend und war nun weg.
      Zwei Tage später kam sie auch an, die versprochene E-Mail. Sie enthielt einfach alles was Tobias brauchte und so viel mehr Sachen, an die Tobias sicherlich nicht gedacht hätte. Die Informationen sind auf das Essentielle beschränkt und zusammengeschnitten, alles ist wichtig und baut auf die ein oder andere Weise aufeinander auf. „Das ist viel zu viel!“, Tobias würde nicht genug Zeit haben um auf alles einzugehen, was ihm zugeschickt wurde. Er brauchte Hilfe. Er drehte sich zur Seite und starrte überlegend seinen Kollegen Sebastian an. Wie ein Kampfkünstler, keine unnötigen Bewegungen, eine Konzentration war in den Augen von Sebastian, die gleichzeitig auch eine unnatürliche Leere ausstrahlten. Der Anblick ließ Tobias auf sich reflektieren und er schaute neugierig seine eigenen Schultern an, ob da nicht sogar eine Staubschicht auf seinen Firmenhemd war. Da fiel ihm die Reinigungsfachkraft auf, die gerade das Zimmer verließ, Tobias hatte gar nicht bemerkt, wie sie ins Zimmer kam, geschweige den die Papierkörbe leerte. Auf der Arbeit brauchte Tobias wohl nicht nach Hilfe zu suchen, diese Gespenster würden wohl nicht mehr von belebenden Reden verstehen als er selbst.
      Nach der Arbeit hatte sich Tobias ohnehin mit seinen Freund Ivan zum Glühwein trinken verabredet gehabt, der wird ihm sicher etwas darüber erzählen können, wie man Lebensfreude vermittelt, so dachte Tobias hoffnungsvoll. Ivan hatte die Angewohnheit zu spät zu kommen, Tobias nutzte die Gelegenheit sich im Christkindlmarkt nach einen Geschenk für seine Freundin umzusehen. Er sah sich gerade die kleinen Pfeifen an, welche aussahen wie ein Ast, mit süßen Vögelchen auf der Flöte, einige der Pfeifen waren sogar mit einen Papagei oder einen Tukan geschmückt. „Gleiches gesellt sich gerne, so sagt man.“, unterbrach Ivan aus dem nichts die Überlegungen von Tobias. Ivan hatte sich diesmal wohl kurz vor dem Aufbrechen entschieden gehabt sich nochmal kurz zu rasieren, er hatte noch Reste von Schaum am Hals, „Zumindest versucht er pünktlich zu kommen“, dachte sich Tobias. „Du bist wesentlich weniger unpünktlich als sonst.“, antwortete Tobias und reichte seinen Freund zunächst die Hand zum Gruß. Ivan kannte Tobias gut genug um zu wissen, dass er wohl wieder ein liebes Geschenk für seine Freundin suchte. Ivan bemitleidete Tobias fast, weil seine bessere Hälfte, wie sie sich nannte, sogar schon seine Gedanken dominierte. „Wenn du ein lustiges Geschenk für sie willst, da hinten gibt es lustige Lebkuchen! Auch mal mit Glasur die nicht nur weiß oder pink ist. Holen wir uns Glühwein und schauen mal nach.“, schlug Ivan vor. Tobias erwiderte, „Für mich heute nur Kinderpunsch, ich muss einen klaren Kopf behalten.“. Ivan legte einen fünf Euro Schein auf den Tresen der Glühweinverkäuferin und bestellte dennoch zwei Glühweine und kommentierte dabei, „Du triffst dich zum Glühweintrinken und willst einen klaren Kopf behalten? Tut mir Leid, aber das ist doch Quatsch. Hat deine Freundin nun doch angefangen dir ein Tabu nach den anderen um die Ohren zu werfen? Wenn man trinken geht, müssen andere verstehen, dass man dann auch trinkt!“. Tobias nahm eine der hingestellten Glühweinbecher, doch Ivan war in seiner Ansprache versunken, „Wenn du nicht vor hattest zu trinken, hättest du auch zuhause Waldmeisterlimonade schlürfen können.“. Tobias unterbrach ihn endlich, „Ich trinke ja! Also ruhe jetzt! Meine Freundin hat damit nichts zu tun, okay?“. Ivan war etwas perplex, er nahm auch seine Tasse und sie gingen langsam zu dem Stand mit den besonderen Lebkuchen, „Also nicht wegen ihr, wieso willst du dann nicht trinken?“.
      Tobias erklärte ihm das Problem, „Ich muss eine Präsentation halten und ich habe keine Ahnung wie man begeistert. Ich habe nur noch drei Tage und üben wollte ich vorher auch noch.“. Ivan war in sich gekehrt und überlegte, „Diese zwei Striche mit dem gewellten Dach drauf, das ist doch etwas mit Mathe oder?“, beim fragen deutete Ivan auf einen runden Lebkuchen der sich „You make Pi world round“ lies. Tobias war enttäuscht von sich selbst, dass er dachte, er würde eine ernste Antwort von Ivan erhalten und beantwortete einfach seine Frage, „Ja, damit berechnet man Kreise und Winkel“. Ivan verstand nun den Witz und musste grinsen und wandte sich wieder den entrüsteten Tobias zu, „So leicht kann man begeistern. Du musst nur wissen mit wen du es zu tun hast. Der Wort...“, Ivan stockte und überlegte nun ob es ein regulärer oder ein Wortwitz war, „Der Witz ging jetzt an mir vorbei, aber jemand wie du konnte ihn verstehen. Im Prinzip musst du nur wissen mit wem du es zu tun hast. Wie viel sie wissen und wie viel sie wissen müssen um zufrieden zu sein.“. Tobias war erstaunt über diese Weisheit, die Ivan ihm gerade mitteilte. Tobias wurde stutzig, „Ich dachte du trägst nur Kies in einen Bagger umher, woher weißt du das?“, fragte Tobias verblüfft. „Ich mache seit einigen Monaten eine Umschulung zum Rollladenmechatroniker. In der Berufsschule muss ich wieder einiges im Deutschunterricht über mich ergehen lassen.“, sagte Ivan mehr niedergeschlagen als Stolz, er sehnte sich offensichtlich nach der einfachen Zeit, in der er nur zum Schlafen zur Schule ging, zumindest war das Tobias' Eindruck von ihm. Tobias war erleichtert nun einen Anhaltspunkt zu haben und sah sich nun die Beschriftungen der anderen Lebkuchen an, die ohnehin schon merkwürdige Formen hatten.
      Tobias nahm einen roten trapezförmigen Lebkuchen in die Hand, „Dieser ist lustig.“. Ivan schielte drauf, „Für meine Magmahöhle“ stand darauf geschrieben, wie durch Reflex verdrehte Ivan seine Augen und den Kopf auch gleich mit. „Ich glaube ich werde diesen Stand nächstes Jahr nicht wieder sehen.“, murmelte Ivan vor sich hin. „Ich nehme sie.“, entschied Tobias und bezahlte. Selbst der Verkäufer war erstaunt, dass jemand es tatsächlich kaufte. Während er Glühwein trank, bemerkte Tobias den schiefen Blick von Ivan der auf ihm lastete, „Was ist?“. Ivan wollte sich wegdrehen, aber wo Tobias schon fragte, konnte er ihn ja darauf ansprechen, „Kannst du mir erklären, was an Lava romantisch ist?“, fragte Ivan mit einen vorwerfenden Unterton. Tobias war sich unsicher ob er es ihm erklären sollte, aber er versuchte es mal, „Nun, sie ist mein kleiner Hitzkopf und sie ist eine sehr tiefgehende Person und... äh, den Rest will ich nicht aussprechen.“, Tobias trank mehr von seinem Glühwein um nicht aus versehen doch mehr zu sagen. Ivan schmunzelte nur. „Das erinnert mich...“, fing Ivan an, Tobias dachte sich bei der Überleitung „Woran könnte dich irgendwas davon erinnern?!“, Ivan setzte seinen Satz fort, „Die Weihnachtsparties haben schon angefangen und ich würde langsam mal auf ein paar davon hingehen. Die hübschen Damen können ihre weihnachtlichen Kleider nur so oft anziehen, ehe es ihnen selbst langweilig wird, wenn du verstehst was ich meine.“. Tobias setzte seinen Glühwein ab, „Nein, ich verstehe nicht was du meinst.“. Ivan sah ihn ungläubig an, „Natürlich weißt du wovon ich rede!“, versuchte er es nochmal mit einen leichten grinsen im Gesicht. „Du warst buchstäblich dabei, wie ich ein Geschenk für meine Freundin kaufte“, Tobias deutete auf den Lebkuchen in seiner Hand, „Das Ding da.“. Ivan verdrehte die Augen, „Du musst sie ja nicht nageln, nur mitkommen, Gesellschaft leisten. Wann waren wir denn das letzte mal wieder unterwegs?“. Tobias nahm einen weiteren Schluck von seinen Glühwein, „Zählt das nicht?“. Ivan wurde etwas ernster, „Also gut, so wie ich das sehe, schuldest du mir drei Gefallen und ich bitte dich hier nur um eine Sache. Eigentlich ist das doch der perfekte Deal für dich, oder nicht?“. „Wieso denn jetzt drei?“, Tobias war derart überrascht, dass ihm sogar sein bayerischer Dialekt kurz raus rutschte. Ivan fing an, an seiner Hand aufzuzählen, „Ich habe dich abgehalten eine von den hässlichen und nervtötenden Pfeifen zu kaufen, habe dich auf diesen Laden mit den Lebkuchen gebracht, von dem du ein Geschenk für deine Freundin gekauft hast. U...“, Ivan betonte das „und“ sehr stark, „...nd ich habe dir bei deinen Problem mit der Rede geholfen!“. Tobias schwieg. Ivan merkte, dass er Tobias noch nicht ganz überzeugt hatte, also ging er noch weiter, er zählte zum vierten Finger weiter, „Und wenn du mitkommst, dann helfe ich dir noch weiter bei deiner Rede!“. Ivan starrte Tobias entschlossen an. Tobias musste zugeben, alles was er sagte war wahr und würde er seine Gesellschaft nicht genießen, wären sie wohl kaum so lange Freunde gewesen. Tobias' Gesichtsausdruck wurde weicher und er gestand sich seine Niederlage, in dieser Verhandlung, ein, „Also gut, ich komme mit, aber meine Rede muss dann gut werden!“, erklärte Tobias und hielt seinen Becher zum anstoßen vor. „Es wird geil!“, stimmte Ivan zu und stieß an. „Trink aus, wir müssen noch vorglühen ehe es losgehen kann!“. „Heute Nacht vertraue ich mal in Ivans Urteilsvermögen.“, dachte sich Tobias, „Was kann da schon schiefgehen?“.
      „Gleis 4, Verspätung um 15 Minuten. Wir bitten Sie um Ihre Geduld“, ertönte eine Durchsage am Bahnhof. Tobias kam zu seinen Sinnen, alles schmerzend und stark verkatert, zumindest eine Frage erübrigte sich, er war am Bahnhof. Aber wieso? Tobias wohnte in der Stadt, er musste nicht Zugfahren um Heim zu kommen. Er durchforstete seine Taschen, sein Handy hatte keinen Saft mehr, aber er hatte noch Geld für den Bus nach Hause. Als Tobias vom Bahnhof wegtrat blendete ihn die Sonne direkt in die Augen, ein Blick auf die Bahnhofsuhr verriet, dass es schon später Nachmittag war, „Zum Teufel?! Wie war ich fast 24 Stunden unterwegs?!“, dachte sich Tobias verärgert, aber das machte seine Kopfschmerzen nicht angenehmer und er bemühte sich wieder Richtung Bus. Zum Glück musste er nicht lange warten und die Fahrt verging auch recht schnell. Vor seiner Tür stehend bemerkte er, dass er keine Schlüssel hatte. Tobias würde anfangen zu weinen, wenn noch etwas schiefgehen würde, so war er sich sicher und klingelte, in der Hoffnung, dass seine Freundin zuhause war. Die Tür sprang auf und ihm sprang seine Freundin entgegen und verpasste ihm eine herzhafte und feste Umarmung, „Aaaaarrgh!!!“, schrie Tobias vor schmerzen, es fühlte sich an als hätte er überall am Körper blaue Flecken. Seine Freundin erschreckte und sprang zurück, „Wo warst du die ganze Zeit?! Und was schreist du mich an?!“, brüllte sie zurück. Tobias wusste nicht was er antworten sollte, „Ich war Glühwein trinken... Ivan!“, Tobias kam die Antwort auf alles, deswegen war er am Bahnhof, er hat Ivan zu seinem Zug begleitet, Ivan musste wissen was passiert war. Tobias schloss sein Handy zum Laden an und wandte sich zu seiner Freundin, „Wieso hast du mich gerade überhaupt umarmt? Bist du nicht schrecklich wütend auf mich?“, fragte Tobias seine Freundin. „Ich habe wie seit einiger Zeit in dein Geschenkversteck geschaut und es war ein lustiger Lebkuchen darin! Weißt du wie lange ich schon darauf warte dich dafür zu umarmen? Und dann schreist du plötzlich so...“, sie schien sich wirklich sehr über diesen Lebkuchen zu freuen, Tobias war etwas gerührt über ihre Freude. „Ivan!“, Tobias konnte ihn erreichen, „Wo sind meine Schlüssel?!“, nach etwas Stille antwortete Ivan, „Äh... wir wollten Eislaufen gehen, du hattest Angst, dein Lebkuchen geht kaputt, also habe ich es für dich in dein Geschenkversteck gebracht... ich habe sie noch, ups... Aber deine Sorge war berechtigt, du bist gegen das Eis geschmettert, als wolltest du im See schwimmen. Dass du danach nicht bei jeder Bewegung geschrien hast ist ein Wunder, Respekt.“. Tobias legte auf, er hatte genug für den Moment, er musste sich, seine Gedanken und seine Knochenfragmente sammeln.



      <==To Be Continued==|\|/
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    • Gelüste (pondo)

      Gelüste


      Nichts prägt die Bilder im Kopf wie Gerüche. Idris schlug die Augen auf und fand diese Binse bestätigt. Blut und Fäkalien hatte man in der feuchtnassen Wärme im Gang bereits sehr deutlich gerochen, als er die Tür zur Alten Bibliothek noch gar nicht aufgesperrt hatte. Jetzt stand er davor, die Hand auf der Türklinke, die tanzenden Schatten auf den modrigen Mauern im Nacken, und abstrakte Gebilde tobten vor seinem inneren Auge. Wandelnde Tote mit heraushängenden Gedärmen lauerten im Dunkeln und streckten ihre Hände nach ihm, Walküren, die Schwächlichen in Kriegsgefangenschaft verschmähend, suchten ihn heim und versuchten, ihn zu erdolchen, Maden und Spinnen krochen in seine Ohren und ...
      Er spürte, wie das Kribbeln ihm über den Rücken und unter die Ohren schlich, und stieß die Tür auf. Die Türangeln ächzten und quietschten, modrig-süßliche Wärme schlug ihm entgegen und drohte ihn zu überwältigen. Er kramte ein Stofftaschentuch hervor, hielt es sich unter die Nase und sah sich um, eine einzige Fackel brannte an der Wand. Und da sah er sie.
      Oder was von ihr übrig war.
      Auf dem Steinfußboden vor ihm lag ihr Körper inmitten einer Lache, und hinter dieser ragte im Halbdunkel ihr Kopf empor, aufgespießt auf einer Lanze. Blut rann aus ihren Mundwinkeln herab und tropfte zu Boden, als hätte sie sich an zu heißem Glühwein verschluckt. Sie lachte, fast. Idris trat näher heran und betrachtete das Häuflein Elend auf dem Boden. Die wenigsten wussten, dass alle Körperöffnungen schlagartig ihre Spannung verloren, wenn einem Körper der Kopf abgeschlagen wurde. Hinrichtungen waren eine ekelerregende, übelriechende Angelegenheit. Seine Frau Kassandra bildete da offensichtlich keine Ausnahme, auch wenn sie als Schönheit gegolten hatte.
      Nun, das konnte man jetzt nicht mehr sagen.
      Nachdenklich starrte Idris hinab und ließ seine Gedanken kreisen. Dann drehte er sich abrupt um und verließ mit flatterndem Umhang die Bibliothek. Er musste den Kreis des Vertrauens zusammenrufen.


      Die Burg von Cahnengoht wurde im Volksmund Camelot genannt, das närrische Volk glaubte allen Ernstes, dass Geister hier umhergingen. Sie war von einer Vielzahl an Personen bevölkert, von Edlen und Angestellten, Loyalen und Schleimern, von Schlaumeiern und Hasenfüßen, die alle die eine oder andere Verbindung zur Präsidentin Kassandra Oppendorf zu Cahnengoht gehabt hatten. Es wurde brisant.
      »Nehmt zur Kenntnis, dass ich die Burg und das Umland zur Kriegszone erkläre.« Idris stützte sich auf die große, runde Tischplatte, beugte sich leicht nach vorn und sah jedem seiner Vertrauten ins Gesicht, seiner Mutter Hildegard, seinem Staatssekretär Hubert, Kassandras Mutter Hedwig, seiner ersten Zofe, schwarzen Hand und gelegentlichen Mätresse Fhili sowie seinem eifersüchtigen Cousin Dago.
      »Was ist passiert, Sohn?«, fragte seine Mutter, die vor Ungeduld die Hände knetete. »Das klingt ernst.«
      »Es ist ernst, Mutter. Jemand hat einen Anschlag auf meine Person verübt.«
      »Einen Anschlag auf den Reichspräsidenten?!«, rief Hedwig aus.
      Idris richtete seinen Blick auf sie und erwiderte zunächst nichts. Seine Augen waren schwarz. »Ja, Hedwig. Jemand hat deiner Tochter mit einer riesigen Klinge den Hals durchgeschnitten und sie aufgeschlitzt, sie liegt ausgeweidet wie ein junges Reh in der Alten Bibliothek.«
      Hedwig keuchte. »Und das sagst du so ungerührt!« Sie stand da und zitterte, mit dem Finger auf ihn deutend.
      »Du weißt sehr wohl, dass sie ein fremdgeschwängertes Miststück war«, erwiderte Idris, seine schwarzen Augen verengten sich. »Der ganze schöne Rosenkrieg - vorbei!«
      »Jetzt untersteh dich -«, setzte Hedwig an, doch Idris schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab.
      »Sie hat unsere Beziehung verraten, sie hat mich verraten! Und das Volk erkennt unsere Beziehung, wie sie war, nämlich als eine einzige Strohpuppenscheiße, eine arrangierte, politische Hochzeit! Als einzige Peinlichkeit für uns beide, auch eine Abtreibung hätte nichts verhindert! Als Flop! Das ganze Reich weiß doch inzwischen -«, seine Hände krampften sich um die Lehne des Stuhls, hinter dem er stand, »dass die Präsidentengattin ein Flittchen ohnegleichen war! Kommt, o Herren, und fickt die erste Frau im Staat! Das dachten sich doch alle! Und ich hab versucht, es gut sein zu lassen«, presste er heraus, »ich hab ihr sogar noch einmal Blumen gepflückt!« Er schmiss den Stuhl auf den Boden, und nach dem Aufprall breitete sich eine tödliche Stille im Raum aus.
      Nach ein paar Minuten wagte sich Idris’ Mutter Hildegard aus dem Schützengraben. »Junge, hast du etwa - ?«
      »Meine Güte Mutter, natürlich nicht, hätte ich dann nicht bereits einen Plan? Nein, es sieht folgendermaßen aus: Jemand möchte mich entweder schwach dastehen lassen oder als Mörder brandmarken. Oder dieser Jemand wusste nicht, dass Kassandra eines anderen Kind in sich trug und wollte mir schaden, oder aber er hatte eigene Motive. Gekränktes Ehrgefühl, Eifersucht, die Liste der möglichen Gründe ist lang. Es ist nun an mir, den Täter zu finden und eine Begründung zu liefern, wieso die Präsidentengattin tot ist. Und das bis morgen früh.« Er sah die Anwesenden reihum scharf an. Seine Mutter. Kassandras Mutter. Hubert, seinen Staatssekretär, und seinen eifersüchtigen Cousin.
      Erneute Stille breitete sich aus.
      »Und wie willst du das machen?«, fragte schließlich Hubert.
      Idris’ Augen wurden fahl. »Das weiß ich noch nicht. Ideen?«


      Als die kleine Versammlung die Tatsachen hin- und hergewendet hatte und zu keinen fruchtbaren Ideen gekommen war, war Idris in Rage geraten, hatte getobt und Sachen an die Wände geworfen, bis seine Mutter die Versammlung um vier Stunden vertagt hatte. Die Anwesenden hatten sich daraufhin in ihre Räume zurückgezogen, um nachzudenken.
      Idris lief im Kaminzimmer seiner persönlichen Gemächer auf und ab. Das Feuer im Kamin knackte und tanzte. Wie hatte diese Schlampe ihn nur hintergehen können. Ja, die Hochzeit war arrangiert gewesen, aber er hatte Kassandra gemocht. Ihre Wangen waren weich, ihr Hintern war hinreißend gewesen. Zu nicht viel mehr nütze, aber dennoch. Idris nahm sich ein Glas und schenkte sich Brandy ein, es war kurz vor Mitternacht, fünf vor zwölf. Und wie hatte sie es überhaupt geschafft, ihre Untat geheimzuhalten! Er trank. Ja, er war auf Reisen gewesen, lange und häufig, das brachte das Reichspräsidentenamt so mit sich. Und er hatte selbstredend Hubert darauf angesetzt, Kassandra im Auge zu behalten. Kassandra hatte ihm oft Vorwürfe gemacht, er vertraue ihr zu wenig. Er trank sein Glas aus. Zu Recht! Ihr Fremdgehen war erst aufgefallen, als ihre Monatsblutung ausgeblieben war. Von ihm hatte sie nicht schwanger sein können, er war zu lange fort gewesen. Sie hatte es also immer geschafft, ihn im Dunkeln tappen zu lassen. Er blieb stehen und schenkte sich nach. Also hatte sie ihn ganz offenbar ziemlich gut gekannt. Und dabei hatte er doch Hubert ...
      Hubert. Idris trank sein zweites Glas in einem Zug aus.


      »Hubert!« Idris’ Stimme donnerte, als er die Tür zu Huberts Räumlichkeiten eintrat. Er durchquerte den Eingangsbereich und riss einen Vorhang beiseite. »Hubert, du widerwärtiger Nichtsnutz!«, rief er diesem entgegen, der mit heruntergelassener Hose vor einer jungen Konkubine stand. Idris war bei ihm, ehe Hubert etwas entgegnen konnte, packte ihn, warf ihn zu Boden und setzte seine großen Hände an dessen Hals.
      »Hubert, du kleine, falsche Schlange, du hässlicher Aal«, flüsterte er, »jetzt erzähl mir ganz genau, was du mit Kassandra so angestellt hast, während ich fort war.«
      Hubert röchelte, seine Augen quollen aus seinem roten Gesicht. »Ich ... hab nicht ... bitte, Idrrrr..ichh...! äächhhchch ...«
      Idris’ Augen wurden zu Schlitzen, dann drückte er zu. Als er sich sicher war, dass Hubert tot war, ließ er ihn los, stand auf und sah sich nach seiner kleinen Konkubine um. Sie war verschwunden, geflohen vor der Gewalt. Na, das machte nichts. Würde sie plaudern, würde sie das gleiche Schicksal ereilen. Aber etwas stimmte nicht. Idris blickte hinab zu Hubert, der blau angelaufen dalag. Sich mühsam beherrschend ging er zur Minibar und goss sich Cognac in ein Glas. Hubert hatte so verständnislos dreingesehen, als ob er ... Idris trank ein Glas, dann noch eins und goss sich darauf erneut nach. Als ob er keine Ahnung gehabt hätte, was das solle. Aber konnte das sein? Konnte Hubert ahnungslos gewesen, konnte Kassandra ihn und Hubert getäuscht haben? Idris sah noch einmal zu Hubert. Der konnte ihm nicht mehr helfen. Da brüllte er auf, trank aus, schmiss sein Glas gegen die Wand und stürmte hinaus.


      Vögel, Geister und Götter, die sich zu dieser Stunde im Nachthimmel die Zeit vertrieben und aufs Schloss hinabsahen, konnten in den beleuchteten Fluren, Wendeltreppen und Gängen vor allem eines erblicken: eine Bestie, die sich schreiend ihren Weg durch die Burg bahnte, einen Berserker im Kamikazeeinsatz, einen Hund mit Schaum vorm Maul.


      »Hedwig!« Idris hämmerte an ihre Tür. »Hedwig, mach sofort auf! Als dein Präsident -« Die Tür öffnete sich einen Spalt. Idris drängte sich hinein, stieß die Dienerin beiseite und riss die eisenverschlagene Holztür zu ihrem Schlafzimmer auf. Hedwig saß vor ihrer Schminkkommode, die Augen verquollen und die Schminke verlaufen.
      »Hedwig, du Mutter einer Mistgeburt«, Idris kam ihr ganz nahe, sodass sie seine Ausdünstungen riechen konnte, »Hedwig, hör auf um deine verdorbene Tochter zu heulen.« Sein Gesicht war nur Zentimeter von ihrem entfernt. »Hedwig, deine Tochter hat sich dir doch immer anvertraut.« Er grinste. »Wer hat sie geschwängert, he, wer war es? Ich hab versucht, es mir gleichgültig sein zu lassen, wirklich«, er langte nach dem Sherry von Hedwig, der auf der Kommode stand, trank einen Schluck und fuhr fort: »Aber das Miststück hat es übertrieben. Nun, sag es mir doch, ja?«
      Hedwig wich zurück. Sie zitterte und rutschte so weit nach hinten, wie es ihr möglich war. »Nein, das weiß ich nicht; ich hatte angenommen, dass du überreagierst, Idris, kann es nicht doch dein ... ?«
      Idris gab ihr eine schallende Ohrfeige. »Hedwig, Hedwig«, seufzte er, »du kannst sie doch gar nicht mehr retten.«
      Hedwig war aufgestanden und hatte aufgehört zu weinen. Heiße Wut sprühte aus ihren Augen. Die alte Frau griff in ihr Unterkleid und zog ein Messer hervor, doch Idris lachte nur, sprang zu ihr und schlug ihr das Messer aus der Hand. Er seufzte noch einmal: »Hedwig«, und schlug zu.
      Als er das Zimmer verließ, lag Hedwig mit gebrochenen Jochbeinen bewusstlos auf dem Boden. In einer Ecke kauerte, die Hände vors Gesicht geschlagen, die Kammerdienerin. »Auf einen Krankenbesuch soll sie nicht warten«, sagte er mit Blick auf sie und ging davon.


      Nachdem er eine Weile durch die Burg getigert war, saß er im Konferenzzimmer, starrte den Kerzenständer an und brütete vor sich hin. Eine andere Dienerin hatte er zu seiner Mutter und Fhili geschickt, dass sie nicht zur Besprechung kommen sollten. Vier Stunden waren fast vergangen. Je länger er über die ganze Angelegenheit nachgrübelte, desto verworrener wurde es. Kassandra war fremdgegangen. Sie hatte einen Verehrer. Sie wurde schwanger. Sie hatte geschafft, alles geheim zu halten. Hubert war ein alter Drecksack gewesen, aber Kassandra hätte sich nie zu dem alten Bock hingezogen gefühlt. Die Untertanen hatten kein unmittelbares Motiv, Kassandra zu töten, so loyal oder illoyal waren sie nicht. Wer war also der Mörder? Und wer der Liebhaber? Eigentlich ergab nur eine Alternative Sinn ... Den Schneid dazu hätte er wahrscheinlich, aber ... Der Mord ...


      Dago kam herein. Idris blickte auf und über den Tisch hinweg zu ihm. »Dago! Schön dich zu sehen! Komm’ rein, setz dich doch.«
      »Die anderen noch nicht da? Ich bin wohl der erste.«
      »Ja, du bist pünktlich. Immer pünktlich zur Stelle, auf dich ist immer Verlass ... nicht wahr?«, sagte Idris und beobachtete im flackernden Licht Dagos Gesicht. »Ein eifriger Bursche, der nur zu gern auf dem Thron sitzen würde, wie ich es tue ... nicht wahr?«
      »Nun, na ja, nein, -«, Dago hob abwehrend die Hände.
      »Rechtfertige dich nicht, ich habe das verstanden. Ehrlich gesagt, das habe ich immer an dir geschätzt, denn wer will schon in zweiter Reihe stehen? Niemand, Dago. Dein Ansinnen konnte ich respektieren. Aber ... da wusste ich auch noch nicht, dass du mit meiner Frau schläfst.« Idris’ Blick brannte sich auf Dagos fest.
      Dagos Gesicht blieb ausdruckslos. »Was soll das, Idris. Hat sie dir wirklich etwas bedeutet?«
      »Das spielt keine Rolle.«
      »Keine Rolle? Monatelang bist du wie ein Wanderkönig im Land unterwegs und würdigst, wenn du mal auf Burg Cahnengoht bist, deine Frau mit keinem Blick. Und dann packst du wieder deinen Hofstaat zusammen, weist den alten Trottel Hubert an, seinen lüsternen Blick auf Kassy zu richten, vergewaltigst sie noch ein letztes Mal und besteigst wieder die Deutsche Reichsbahn? Ich spucke auf dich, Idris!«
      Idris war aufgestanden. »›Kassy‹ nennst du sie, ja?«, fragte er und ging langsam auf Dago zu. Der zog blitzschnell seinen Degen und war im Begriff, ihn in Idris’ Brust zu stoßen, als ein Pfeil seine Schulter durchschlug und ein zweiter seinen Kopf durchstieß. Leblos kippte er nach vorne um.
      »Ich hatte nicht gewollt, dass gerade du sie findest«, ertönte nun eine Stimme aus dem Dunkeln. Hildegard trat aus dem Schatten heraus. »Aber es war notwendig, Junge. Sie hat dich beschmutzt, sie hat uns beschmutzt, und die Leute haben das allmählich begriffen.«
      »Hallo, Mutter«, sagte Idris ruhig.
      »Und glaub nicht, ich wüsste nicht, was du mit Fhili treibst. Sie ist dir treu ergeben und hochintelligent. Ich glaube, eine Verbindung mit ihr würde deiner Regentschaft nicht schaden.«
      Idris sah noch einmal auf Dago herab und nickte.


      Monate waren ins Land gezogen, als das Reich eine dergestalt nie gesehene, einzigartig prunkvolle Hochzeit feierte. Es war getuschelt worden ob des Todes der früheren Präsidentin, natürlich, doch wieso sollte es dem Präsidenten verwehrt sein, erneut zu heiraten, wenn seine Frau heimtückisch von Reichsfeinden ermordert worden war? So galant, wie sich die neue Präsidentin bewegte, und so charmant, wie sie auf jeden Fremden wirkte, wurde sie vom Volk nur allzu bereitwillig akzeptiert. Die Regentschaft von Idris von Cahnengoht wurde mit dieser neuen Präsidentin an seiner Seite stärker denn je, sie gebar ihm zwölf stramme Stammeshalter und das Reich und die Natur erblühten in die dagewesener Pracht, und alles war gut.


      Es schlug drei Uhr, als er aufwachte und sie leise neben sich atmen hörte. Eine Weile lag er wach und hörte ihr zu; Katharina schnarchte im Schlaf, zumindest ein bisschen. Dann stand Ingo auf, ging in die Küche, öffnete die Besteckschublade und nahm ein großes Schlachtemesser heraus. Mit diesem in der Hand ging er zurück ins Schlafzimmer und sah auf sie herab. Das Mondlicht fiel in sein Gesicht und entblößte den Grimm in seinen Augen.
      Sie hatten doch beide an eine so strahlende Zukunft geglaubt.
      Er hob die Hand.
      I wasn't playing baseball, no!
      I wasn't playing football, no!
      I wasn't playing basketball, noo!
      I was playing Class War!
    • Echsil (Shadow mirror)

      Echsil


      Es war ein Samstagmorgen vor dem dritten Advent, ganz normal eigentlich, wenn man davon absieht, dass die Bevölkerung von Kroatien und an sich der Rest der Welt eher tierisch waren.
      Es war fast 30 Jahre her, dass ein Nebel über die Welt zog und den Menschen tierische Aspekte verpasste. Quasi über Nacht herrschte eine neue Weltordnung, wo Schwänze, Fell, Schnauzen, oder im Fall von Norberts Eltern, Schuppen. Sie sagten ihm, dass es sehr schmerzlich war und er, da Er so geboren wurde, sich glücklich schätzen sollte.
      Mittlerweile sagten Sie ihm Nichts mehr, nein, nicht weil Sie tot waren, so sehr sich Norbert das auch wünschte; Er war von zu Hause weggelaufen. Er hatte sich zum Ziel gesetzt eine Verschwörung aufzudecken und das tat auch seine Kumpanin. Milana war ein Rattenmädchen. Die zwei Verschwörungstheoretiker hatten sich in einem Netcafe kennengelernt, wo beide nach Verbindungen suchten zwischen Echsen, der Regierung und geheimen Kontrollmechanismen. Norbert versuchte Sie zu widerlegen: „Unser Kanzler ist eine Schlange, keine Echse!“ Sie versuchte das zu beweisen, verschwieg aber wieso.
      Aktuell lag Milana halb zusammengerollt auf ihm und schlief. Die Couch die als Bett diente stand in einer Wohnung, die nicht Ihnen gehörte. Milana sprach nicht von Einbruch von 'Service', da Sie sich schließlich um die Wohnung kümmern, solange der Besitzer nicht da war.
      Norbert war von Schlaflosigkeit getrieben, heute war schließlich der große Tag. Er rückte sich mit einer Hand seine Brille, ein Kontrukt, das es ihm erlaubte, trotz seitanliegender Augen nach vorne zu schauen, während die andere Milanas Nackenfell kraulte. Der Plan zum Einbruch hing direkt neben der Korkwand voller Fäden und Zettel.
      Sie hatten diesen Tag zusammen geplant, von mentaler Vorbereitung über Tarnung und Passwörter zum Finden des geheimen Raumes in diesem geheimen Regierungsgebäude. Nur was Sie mit der Information tun würden, hatten Sie nie bedacht.
      Norbert glaubte eh, dass Sie scheitern würden. „Na und?“ antwortete Milana „Dann machen Wir uns den Tag davor schön, so als wäre es der Letzte.“
      Obst, für Norbert, hatten Sie hinter einem Geschäft gefunden, für Milina zwei Zimtschnecken aussortiert, zu alt für den Verkauf, und Glühwein, eine Fertigmischung geklaut im Vorbeigehen.
      Letzterer köchelte über einem Feuer und war eigentlich trinkfertig.
      Norbert stupste ihre Schnauze mit seiner Nase an, langsam wachte Miliana auf, streckte und drehte sich. Als Norbert erst ihren langen schuppigen Schwanz, dann ihren Fuß im Gesicht hatte, rächte er sich mit seiner Zunge an einer schlüpfrigen Stelle. Aufgeschreckt sprang Sie auf: „Hey! Erst nach dem Frühstück!“ und funkelte ihn mit halblachenden Augen an.
      Besagtes Frühstück dauerte länger als geplant. Zwischen dem Kauen hatten Sie wieder angefangen über Echsen zu diskutieren. Norbert nuschelte mit Banane im Maul: „Du hältst meine Motivation also für egoistisch? Wir tun hier was für die Welt, Hallo?“ - „Ja, ja. Du kannst mich nicht mehr anlügen, Norbert. Ich hab dich mittlerweile genug kennengelernt, um zu wissen was in dir vorgeht. Und um mich zu wiederholen: Echsen regieren die Welt, und deine Ex regiert dich.“
      Norbert seufzte. Sie hatte recht. Es tat trotzdem weh, wenn sie in der Wunde bohrte.
      „Sie war teils Gottesanbeterin, richtig?“ fragte Miliana: „Den Rest hast du mir nie erzählt. Komm, wir haben nicht mehr viel Gelegenheit. Könnte schließlich der letzte Tag unseres Lebens sein.“
      Sie schmiegte sich an ihn und blickte ihn aus vertrauenswürdigen Augen an.
      So setzte Norbert an: „Eine Geschichte als Glücksbringer? Wie du meinst. Lina und ich waren da so zwei Monate zusammen. Sie wurde nachdem Sie meine Familie kennengelernt hatte irgendwie komisch. Hat sich mir quasi entfremdet. Nicht, dass mir das zu dem Zeitpunkt aufgefallen wäre. Eines Abends hat Sie mich angeschrien. Ich wäre genauso wie meine Eltern, würde die Insekten unterdrücken und Ich hätte Sie nur für einen guten Anschein als Freundin. Unsereins würde die Welt regieren, sagte Sie, aber nicht Sie. Da bin Ich ihr nachgelaufen und“ Norbert pausierte kurz, überlegte nochmal wie es genau abgelaufen war. Mit einer Grimasse führte er fort: „bin in eine Falle getappt. Eine Gruppe von Insekten hatten schwere Gegenstände über einer Gasse gesammelt und ließen es auf mich fallen, als ich Lina nachlief. 'Jetzt haben wir dich, Lurchi' hörte Ich, gefolgt von lautem Scheppern. Mein Fluchtreflex rettete mich vor der tödlichen Quetschungsgefahr.
      Das ist auch der Grund warum ich schwanzlos bin. Der blieb nämlich unter dem Metallhaufen.“
      Anscheinend hatte Miliana schon gemerkt, dass Er jetzt Sie ausfragen sollte. Aber Sie war eine geschickte Diplomatin. Sie initiierte die nächste Phase des Plans, das was zwei junge Leute eben miteinander tun, wenn sie allein und intim sind. Seid nicht so neugierig.
      Es war Zeit für den Einbruch. Norbert und Miliana hatten sich große Kapuzenmäntel besorgt und sich Schnäbel gebaut, die ihre Schnauzen versteckten. Die Sicherheitsdienstler waren ausschließlich Vögel. Zusammen mit dem Passwort sollten Sie reinkommen.
      So gingen Sie von der warmen sicheren Trockenheit in das feucht nasse Winterwetter hinein.Eine gute halbe Stunde später waren die Zwei an dem fraglichen Gebäude angekommen.
      „Heh, was wollt Ihr hier“ fragte Sie ein großer Spatz. „Wir sind für die Stellenausschreibung gekommen. Sie wissen schon, für den freien Klempnerposten.“ sagte Miliana. Der Sicherheitsspatz guckte sie schief an: „Und das Passwort?“ - „Federvieh“ - „Gut, ihr könnt rein. Am besten legt Ihr die nasse Kleidung im Raum direkt rechts ab.“
      Anstelle dem Rat zu folgen, hielt Miliana Ausschau, während Norbert nach Schlüsseln im Raum für die Sicherheitsleute suchte. „Mensch, beeil dich Norbert“ - „Ich bin doch dabei! Das sind verdammt viele!“ „Nimm den, der keinem Raum zugeordnet ist. Das muss der für den Geheimraum sein!“- „Hier ist aber keiner.“ Frustriert sprang Miliana an seine Seite, griff den Schlüssel für die Besenkammer und Norbert. „Die Anlage wird von Maschinen gereinigt, niemand braucht hier einen Besen.“
      Sie schien die Anlage sowieso besser zu kennen. Vielleicht war sie schon hier eingebrochen, wunderte sich Norbert.
      Als Sie die fragliche Besenkammer fanden, öffnete sich dahinter kein kleiner Raum, sondern eine riesige Aula mit Säulen an den Seiten. Auf den Säulen standen Vögel mit glitzernden Augen. Sie machten den Eindruck als würden Sie auf Eindringlinge nieder springen wollen, wenn sie wen sehen. „Wie in dem alten Videospiel, kurz vom Endboss springen dir Dynalfos vor die Füße.“ scherzte Miliana. Norbert schnaubte: „Nur, dass wir nicht bewaffnet sind“
      Nichts dergleichen geschah. Der Raum war wirklich nur eine Verbindung zum tatsächlich geheimen Raum der Anlage.
      Miliana und Norbert traten in eine Dunkelheit hinein. Feuchte Luft strömte ihnen entgegen.
      Das war der Moment auf den Sie gewartet hatten. Was würde Sie hier erwarten würde endlich die Antwort geben.
      Nachdem sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sahen Sie einen leichten Schimmer über sich. Etwas Riesiges hatte die zwei neugierig betrachtet. Dieser Riese drückte einen Schalter und ein schummriges Licht erleuchtete den Riesen: Ein großer Feuersalamander saß im Raum, leckte sich die Augen.
      „Das ist eindeutig keine Echse, Miliana“
      „Was macht ihr hier?“ wummerte eine tiefe Stimme in ihren Schädeln.
      Norbert stellte sich mutig vor Miliana: „Wir suchen nach Antworten. Wer kontrolliert die Welt?“
      Der Salamander guckte verdutzt: „Ich hab die Welt davor bewahrt, sich zu zerstören“ wummerte es wieder in den Köpfen. „Und wie?“ - „Bevor ihr euch vernichten konntet, hab ich euch in Tiere gewandelt. Dann hab ich die Vögel in meinen Bann gezogen, um meinen Willen auszuführen. Ich habe Sicherheit geboten, wo sonst nur Verderben war.“
      Miliana schubste Norbert beiseite und sagte mit fester Stimme: „Du hast uns damit einiges an Freiheit geraubt. Ist Gefangenschaft nicht auch Verderben?“
      Der Lurch leckte sich über sein rechtes Auge. „Du hast recht. Ich werde deinen Hinweis zu Herzen nehmen. Aber jetzt geht. Ich möchte alleine nachdenken, die Welt regiert sich nicht von allein.“
      Es war wieder dunkel und kaum, dass Norbert und Miliana wieder Licht sahen, waren Sie außerhalb des Gebäudes, ohne so recht zu wissen, wie Sie dort hingekommen waren.
      Miliana sagte: „Das glaubt uns keiner“ - „Na und? Wir leben noch und kennen die Wahrheit. Ein Grund zu feiern!“
      Und genau das taten Sie dann auch.





      FAKE IT TILL YOU BREAK IT (Sirius)

      FAKE IT TILL YOU BREAK IT:

      Eine todsichere Anleitung zum sozialen und wirtschaftlichen Abstieg


      von Gregory B. Feinstein
      Übersetzung ins Deutsche von Amelie Moos



      --- Leseprobe aus dem Vorwort – nicht für den Einzelverkauf bestimmt! ---



      Wenn Du, lieber Leser, dir diese Zeilen zu Gemüte führst, dann bist Du vermutlich auf der Suche nach einem Einstieg in die Arbeitswelt. Vielleicht hast Du gerade Deine Ausbildung oder Dein Studium beendet und möchtest irgendwo einen Fuß in die Tür bekommen. Vielleicht stellst Du dir vor, wie Du eine steile Karriere bei der Bank machst oder in wohliger Start-Up-Atmosphäre die digitale Welt veränderst. Oder vielleicht bist Du bereits in Lohn und Brot - eine Redewendung, die hier so viel heißt wie »Du hast einen Job« - und sehnst Dich nach einem Aufstieg in höhere wirtschaftliche oder behördliche Sphären. Egal welche dieser Situationen auf Dich zutrifft, ich bin hier, um Dir davon abzuraten.

      Mein Name ist Gregory B. Feinstein und ich möchte Dir, sofern es noch nicht zu spät ist, dringend empfehlen, entweder Deine laufende Suche aufzugeben oder Deine Arbeitstätigkeit auf der Stelle und dauerhaft zu beenden. Beschäftige Dich nicht eine Sekunde länger mit der imposanten Traurigkeit des Berufslebens, jener Bastion des Erwachsenenseins, die uns Autonomie verspricht, jedoch selten mehr hervorbringt als eine Reihe unglückseliger Entscheidungen, die dazu führt, dass uns, etwas Glück und guter Wille vorausgesetzt, am Ende eines willkürlich definierten Zeitfensters eine Fristverlängerung in Form von Geld gewährt wird, die es uns erlaubt, weiterhin unglückselige Entscheidungen zu treffen, und so weiter.

      Wie Du war auch ich einst ein junger, hoffnungsvoller, aufstrebender Mensch. Ich sah Potential in mir selbst und in meiner Umgebung. Heute sehe ich in diesem früheren Selbst einen Opportunisten, dem kaum etwas zu hinterhältig und zu verschlagen war, um sein ehrgeizig gestecktes Ziel zu erreichen. Ich möchte Dir, hochverehrter Leser, die Erfahrungen, die ich gemacht haben, ersparen. Wenn meine Worte nur einen Menschen davon abhalten, so wie ich ruiniert und glücklos der Welt den Rücken zu kehren, dann war meine Mühe nicht umsonst.

      Wie trockene Socken, bezahlbare Mieten oder fürsorgliche Mütter weiß man auch Freizeit - das heißt hier Zeit, die man nicht mit Arbeit oder arbeitsverwandten Dingen wie Behördenschreiben, Rechnungen oder dem Zusammenlegen von Wäsche verbringt - erst dann zu schätzen, wenn sie für immer verschwunden ist. Ich möchte Dir nicht schmeicheln, wenn ich Dir sage, dass ich Dich für einen aufgeweckten Zeitgenossen halte, der nur die besten Absichten hat. Dennoch muss ich Dich warnen: Dieses Buch wird die Art und Weise, wie Du deine Umgebung betrachtest und wahrnimmst, nachhaltig und zum Schlechteren verändern. Gleichzeitig möchte ich Dich jedoch auch wissen lassen, dass Du mir zu einem späteren Zeitpunkt höchstwahrscheinlich die Ehre dankbarer Anerkennung erweist im Hinblick auf meine Geschichte.

      Vielleicht denkst Du nach diesen Worten jetzt, dass ich mich in eine Opferrolle begeben habe, die ich an Dich weitergeben möchte. Ich kann Dir jedoch versichern, dass das vollkommene Gegenteil der Fall ist: Mein Interesse gilt allein der Verbesserung Deines Lebens und Deiner Position und ich kann Dir dabei helfen, eine Entscheidung zu Deinen Gunsten zu treffen, sofern Du bereit bist, dein Hiersein auf dieser Welt aktiv miserabler zu gestalten.

      Lass mich Dir deine Situation anhand eines einfachen Beispiels erklären. Ein ehemals guter Freund von mir, der nebenberuflich ausgesetzten Kleintieren wieder auf die Beine half und hauptberuflich einer Tätigkeit nachging, die so geheim ist, dass sogar ihre vage Umschreibung ihn und mich in Lebensgefahr bringen könnte, sagte einst zu mir: Der einzige Weg aus dem fremdbestimmten Elend ist das selbstgewählte Elend. Ich, stürmend und drängend, wie ich zu dieser Zeit eben war, hielt diesen Satz für einen üblen Scherz und nannte ihn in einem ungewohnten Anflug flapsiger Jovialität eine Sattelnase. Infolge des hieraus entstehenden, durchaus nicht unargen Wortwechsels, in dem unter anderem der unschöne Begriff Schleimspacken fiel, einer der am darauf folgenden Faustkampf Beteiligten sich einen Bänderriss zuzog und bis dato ungeklärte Familienverhältnisse ans Tageslicht gelangten, wurde ein guter Freund zu einem ehemals guten Freund und ich war zu dieser Zeit um eine wertvolle Verbindung in meinem Leben ärmer, jedoch mir gänzlich unbekannt um ein Wissen von nicht zu unterschätzender Größe reicher.

      Selbstverständlich kannst Du anhand meiner bisherigen Ausführungen bereits schlussfolgern, dass ich über die Aussage dieses Mannes erst einige Zeit nachdenken musste, bevor sie sich in meinem Kopf zu einem Gesamtbild zusammenfügten. Ich erinnere mich noch gut an den Moment, als sich mir seine Worte endlich erschlossen: Ich war zu diesem Zeitpunkt im Ausland unterwegs, auf einem pittoresken kleinen Schwarzmarkt, wo es die Möglichkeit gab, sich unter dem nicht von der Hand zu weisenden Einfluss glühweinähnlicher Getränke von fraglicher Unfallsicherheit preiswert mit allerhand abenteuerlichen Utensilien einzudecken, ohne dass wie zuhause Umstehende sich laut fragten, wofür man das denn alles brauche.

      Die sprichwörtliche Karriereleiter hat ihren Ursprung nicht im Sinnbild einer Trittleiter, könnte es jedoch genauso gut haben, da auch hier vor allem getreten wird, und zwar bevorzugt nach unten. Einen Fuß in der Tür zu haben, eine Redewendung, die für gewöhnlich positiv verwendet wird, kann ebenso gut dazu führen, dass man mit besagtem Fuß in der Tür stecken bleibt und dadurch nicht mehr vom Fleck kommt. Ein Schicksal, das man niemandem wünscht, jedoch so manchen ereilt.

      Ein anderer Freund von mir, der nach meinem Kenntnisstand bis zum heutigen Tage als Doktorand an einem altehrwürdigen Lehrinstitut beschäftigt ist, konnte ein Lied davon singen. Er war ein alleinstehender Mann, der sich liebevoll um seine zwei Kinder kümmerte. Er wusste sehr viel über Zyklon-B und verfügte sogar über noch viel mehr Vitamin B. Die Tragik seiner Geschichte liegt darin begründet, dass sein Leben sich trotz dieser günstigen Umstände auf die statische Ausübung immergleicher Tätigkeiten beschränkte, was dazu führte, dass er konstant auf der Stelle trat und jedem scheinbaren Fortschritt in seinem Leben zum Trotz in der Summe doch stets auf oder in einer konstanten, gerade so nicht ausreichenden Höhe oder Tiefe verblieb.

      Ich will Dir auf den folgenden Seiten eröffnen, dass es andere und wesentliche bessere Perspektiven als diese gibt, und damit meine ich schlechtere. Hierzu möchte ich wiederum auf einen weiteren Freund von mir verweisen, dessen dezidiert antagonistischer Lebenswandel sich unter anderem darin niederschlug, dass er eines Tages beschloss, nicht mehr an das Wetter zu glauben und mit dieser in seinen Grundfesten stabilen Einstellung in den Urlaub fuhr. Wie Du vermutlich bereits korrekt angenommen hast, kehrte er vollkommen schwarzgebrannt wieder zurück und seine weniger sensiblen Arbeitskollegen bedachten ihn mit Bezeichnungen, die ich an dieser Stelle mir und auch nicht zuletzt Dir der guten Ordnung halber ersparen möchte. Ich denke, es ist hier kaum noch notwendig zu erwähnen, dass seine Versetzung in eine weniger beachtenswerte Abteilung nur eine Frage der Zeit war.

      Wenn Du mir bis hierhin zugehört hast, und ich kann Dir versichern, dass die ersten Minuten mit diesem Gedanken immer die schlimmsten und unnachgiebigsten sind, befindest du dich eventuell in einer Situation, in der Du von meiner Geschichte profitieren kannst. Während Elend zunächst in keiner Weise begehrenswert erscheint, ist bei näherem Betrachten nicht von der Hand weisen, dass mit Verlust auch stets ein gewisser Grad an Befreiung einher geht. Eine Kraft, die wir uns zunutze machen können, um gemeinsam und verantwortungsvoll in einer schlechteren Welt für uns alle besser zu leben. Diese Vorstellung möchte ich an Dich weiterreichen, um Dir etwas zu ermöglichen, was ich erst viel zu spät konnte: Die Abkehr vom Aufstieg, die Hinwendung zum Niedergang; die Wand nicht einzureißen, sondern vor ihr reglos zu verharren, das Ende des Wartens auf einen Chef zum Verlieben oder auf das Projekt, das dich zum Star machen wird; kurzum: Ich rate Dir und allen anderen Lesern zur totalen und bedingungslosen Kapitulation.

      Ich möchte Dich außerdem darauf hinweisen, dass der bekannte Soul- und Bluessänger Bob »Psycho« Billy Greyson eine Audiobook-Version dieses Werkes eingesprochen hat. Ich hatte einmal die Möglichkeit, Bob persönlich kennenzulernen und kann mit Gewissheit sagen, dass es niemanden gibt, außer selbstverständlich Dir, geehrter Leser, dem ich meinen Text und meine Erkenntnisse mit größerer Ruhe und Zuversicht anvertraut hätte.

      Nun möchte ich jedoch nicht länger Deine Zeit stehlen, denn das haben andere bereits seit deinem ersten Atemzug auf dieser Welt zur Genüge getan. Gemäß meiner Maxime »Werde zum Opfer, bevor Du zum Täter wirst« werde ich Dir in 20 einfachen Lektionen bis ins Detail erklären, wie Du aufhörst, ein Teil des Problems zu sein und endlich zu einem Teil der Lösung werden kannst.

      Wenn alle aufstehen, lassen wir uns fallen.

      Gregory B. Feinstein
      Seattle, im September 2015
      I wasn't playing baseball, no!
      I wasn't playing football, no!
      I wasn't playing basketball, noo!
      I was playing Class War!

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    • Morgen ist ein neuer Tag (Termina)

      Morgen ist ein neuer Tag von Termina


      Die folgenden Zeilen werden eine etwas ungewöhnliche Geschichte erzählen. Ich warne schon einmal vor: ich stehe nicht so auf Happy Endings und dergleichen und neige zu einem abgedrehten Humor. Aber vielleicht findet sich ja der eine oder andere, der sie und mich versteht. Wir beide teilen uns diese Geschichte und ich finde, dass ich sie wohl am besten erzählen kann.


      Für sie fühlte es sich wie ein Déjà-vu an, als sie sich am Morgen mit üblen Kopfschmerzen und trockenen Augen aufsetzte. Bevor sie überhaupt ins Badezimmer gehen konnte, um den Druck in ihrer Blase loszuwerden, schmiss sie zwei Schmerztabletten in ihren halb ausgetrockneten Mund hinein und spülte diese mit Mineralwasser hinunter, in der Hoffnung, wieder einen klaren Kopf fassen zu können. Hinten im Gaumen setzte sich unglücklicherweise eine Tablette fest, welche einen bitteren Geschmack verursachte. Ein unangenehmer Würgereiz ließ sie ins Badezimmer rennen, damit sie die halb zersetzte Tablette ins Klo spucken konnte. Am liebsten wollte sie auch gleich den restlichen Mageninhalt hinterher auskotzen. Diese fünf Minuten waren für sie der Beginn eines jeden Tages. Für andere war es ein gewöhnlicher Tag in der Weihnachtszeit, wenn sich die Menschenmassen durch die Einkaufszentren schleppten, um noch vor Ladenschluss ein passendes Geschenk zu finden. Andere drängelten sich durch die Weihnachtsmärkte oder kauften, um dem Stress der Massen zu entgehen, lieber halbherzig überteuerte Waren in einem beliebten Onlineshop ein. Die Freude, Zeit mit den Liebsten zu verbringen, konnte sie in keinen Augen erkennen. Es reichte nicht mehr aus, gemeinsam an einem Tisch zu sitzen, einen leckeren Festtagsbraten zu verspeisen und Hass und Egoismus für den Moment zu vergessen. Für viele zählten nur materielle Gegenstände, eingepackt in umweltfreundlichen Verpackungsmaterialien und mit bunt verzierten Brokatschleifen bestückt. Sie wollte sich nicht von einem unterbezahlten Angestellten ein gekauftes Accessoire aus einem billigen Schmuckladen einpacken lassen, wenn sie sich von ihrer besten Seite zeigen konnte und ihren Liebsten das für sie wichtigste Geschenk machen konnte - ein einfaches Lächeln. Nur leider war das Beste nicht immer das Einfachste für sie.


      Erzählt man einem Fremden die folgenden kurzen Erinnerungen, dann würde man höchstwahrscheinlich als Lügner bezeichnet werden. Aber mal sehen, wie das mit euch ist. Bekanntlich kann man sich die eigene Familie nicht aussuchen und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass sie bereits in die vorprogrammierte, sich über Jahre erstreckende Familienfehde hineingeboren wurde. Sie war ein fremdes Kind in einem fremden Land und musste ständig um Liebe, Geborgenheit und Anerkennung kämpfen. Ihre Eltern konnten schlecht ihre Liebe zu ihr zeigen, weil sie immer beschäftigt waren. Vor allem dann, als ihre Schwester zur Welt kam. Stattdessen schenkten sie ihrer älteren Tochter immer eine kleine Aufmerksamkeit in Form eines neuen Spiels, eines neuen Computers, eines neuen Schreibtisches, eines neuen Fernsehers oder eines neuen Buches. Emotionale Entbehrung nennen es die Experten, aber für sie fühlt es sich bis heute nicht so an, als hätten ihre Eltern in der Erziehung etwas falsch gemacht. Sie fand Freunde und diese wurden zum größten Geschenk ihres Lebens. So auch ihr bester Freund, mit dem sie gemeinsam acht Jahre lang in dieselbe Schulklasse ging. Sie wohnten nicht einmal fünf Minuten voneinander entfernt und die Straße, in der sie aufwuchs, wurde zum Schauplatz eines wunderbaren Kinderspiels - Verstecken. Durch ihren Freund lernte sie unglaublich nette Menschen kennen, die ihr auch das Gefühl gaben, etwas Besonderes zu sein. Sie freute sich immer, wenn er an ihrer Glastür klopfte und etwas mit ihr unternehmen wollte. Sie mochten sich beide sehr, aber mehr als eine Freundschaft mit Vorteilen schien es nicht zu werden. Sie konnte ihm vor ihrem Umzug lediglich einen Brief zum Abschied schreiben, denn am letzten Tag war er nicht da. Dass er ihr bei ihrer letzten Begegnung nach dem Umzug nicht einmal in die Augen sehen konnte, war einer der schrecklichsten Momente ihres Lebens. Was machte diesen Umzug denn so schlimm, dass so eine wunderbare Freundschaft und viele andere darunter leiden mussten? Der Bruder ihrer Großmutter zwang ihre Eltern dazu, innerhalb von drei Monaten eine neue Wohnung zu suchen, da er es Leid war, dass seine eigene Tochter ihm vorwarf, ihre Wohnung wäre für ihren Mann und Hund nicht groß genug. So als hätte er eine jahrelang geplante Furzbombe gezündet und somit die Familie durch den ekelhaften Gestank seines Hasses dazu gezwungen, alles aufzugeben, die Sachen zu packen und für immer zu verschwinden. Zwischen der alten Heimat und der neuen Wohnung lag nur eine Bergkette, aber leider gab es keinen Tunnel hindurch oder eine Seilbahn darüber. Sie wohnten nun im Haus ihres Großvaters, fast zwei Stunden weit weg von ihrer alten Heimat.


      Nach und nach nahm der Kontakt zu all ihren Freunden ab. Sie verlor also die Liebe ihrer Freunde der alten Heimat und der Schmerz saß so tief, dass sie einen Teil ihrer freundlichen Seele verlor. Sie versuchte, ihr zerstörtes Kartenhaus der Freude mit neuen Freunden wieder aufzubauen. Sie lernte gut, schnitt in den Prüfungen hervorragend ab und hatte eine noch strahlende Zukunft vor sich. Es dauerte zwar ein Jahr, aber danach hatte sie ein halbwegs stehendes Kartenhaus in ihrer Seele. Später erfuhr sie, dass ihr Vater aus dem schlechten Gewissen heraus entschieden hatte, zu ihrem Großvater zu ziehen, weil er seinen eigenen Vater zehn Jahre lang nicht gesehen hatte. Nicht einmal er konnte ahnen, dass er von seinem eigenen Vater hintergangen werden würde. Da eine vierköpfige Familie schlecht in einer 3-Zimmer-Wohnung leben konnte, entschied man sich, eine Wohnung zum bereits vorhandenen Haus zu bauen. Aber anstatt wirklich beim Wohnungsbau mitzuhelfen, wurde sie beispielsweise dazu beordert, große Steine, welche als Dekoration an der Hauswand lagen, zu waschen, nur um sie dann wieder in den Dreck zu werfen. Es war ein Wunder, dass sie diese nicht auch noch mit Blattgold verzieren musste. Schnell stellte sich heraus, dass ihr Großvater der schlimmste Mensch ihrer ganzen Familie war. Für ihn war das Geld wichtiger als seine Liebsten. Als sie ihre Schwester vor ihm beschützte, bekam sie ihn richtig zu spüren. Leider war das einer ihrer größten Fehler, denn sie wurde fortan von ihrer Familie dafür verachtet, ihrem Großvater nicht genug Respekt gezeigt zu haben. Man war bereit, sie auf ein Internat zu schicken, aber stattdessen schickte man sie im Sommer zur ihrer entfernten Verwandtschaft, um dort Wochen auszuharren und das endgültige Urteil ihres Großvaters abzuwarten. Sie durfte wieder zurück und ihren Abschluss machen, dafür zahlte sie einen fürchterlichen Preis - die Liebe ihrer Eltern.


      Selbst nach dem Schulabschluss, als sie frei war und einen guten Karriereweg einschlagen wollte, war das Elend noch nicht vorbei. Bevor sie gehen konnte, schlug er noch einmal psychisch auf sie ein, in dem er ihr einen Fehler vorwarf, der von anderen Mietern verursacht wurde. Sie wurde wie damals wieder als Fremde abgestempelt und für Dinge verantwortlich gemacht, die sie nicht zu verschulden hatte. Dass er sie hasste, das war allen schon lange klar, aber dass er sie dazu zwang, ihren Karriereweg, den sie sich ausgesucht hatte, zu vergessen, das war eine vollkommen andere Sache. Da wurde ihren Eltern klar, dass sie einen riesigen Fehler gemacht hatten. Sie verrieten ihre eigene Tochter, in dem sie auf einen alten Mann hörten, der sie ebenfalls nicht leiden konnte. Denn nachdem er seinen Frust an ihr ausließ, kündigte er an, dass ihre Eltern einen hohen Preis für den Fehler der anderen zahlen müssten. Ich spreche von einer hohen Summe. Doch für sie war es bereits entschieden. Sie floh aus dem Chaos der Familie und wollte fortan bei der Verwandtschaft der mütterlichen Seite leben. Ihr Vater wurde traurig und verkroch sich in seinen eigenen Gefühlen. Er vergaß Dinge und wurde unvorsichtig, weil ihm sein eigenes Leben nichts mehr wert wurde. Beispielsweise vergaß er seinen Reisepass in der Hosentasche. Die Hose wurde gewaschen und der Pass sah nach dem Trocknen wie die reinste Knitterkatastrophe aus. Immer wieder passierten ihm solche Fehler, aber den Größten sollte er nie vergessen. Ihre Mutter wurde wütend auf die Situation und wollte nicht verstehen, dass ihr eigener Mann sich so zurückzog. Alles nur wegen ihrer Tochter. Sie war mehr damit beschäftigt, in dem Fotoalbum für ihre Tochter Figuren aus Sand darzustellen, als Fotos von ihr. Somit verlor sie auch endgültig den letzten Funken der Liebe ihrer Eltern.


      Es fing alles von vorne an. Neue Welt, neues Leben, neue Freunde. Doch leider war sie so gebrochen, dass sie keine wirkliche Liebe ausstrahlen konnte. Gebrochen durch den Umzug und gedemütigt durch die eigene Familie war sie auch blind für die Liebe anderer. Doch sie wollte nicht aufgeben. Sie suchte nach einer Möglichkeit, diese wieder zu empfangen, so als suchte sie nach jemanden für eine Organspende. Nach einiger Zeit lernte sie dann ihren heutigen besten Freund kennen. Eine ruhige Seele mit einem ausgesprochen komischen Sarkasmus und einer Vorliebe dafür, an feierlichen Anlässen Dickpics in der Wohnung zu verstecken. Ganz anders als sein Schulkollege, der mehr auf gemütliche Abende mit einem kühlen Glas Johnny Walker stand. Sie fragt mich bis heute, wie sie auf so einen Typen stehen konnte. Jedenfalls verstand er ihre dramatische Geschichte und war einer der ersten, der ihr wirklich glauben konnte. Anstatt sie wie die anderen im Stich zu lassen, war er immer für sie da. Sie diskutierten über so viele ungewöhnliche Themen, welche ihnen durch ungewöhnliche Vorfälle in der Universität passierten. Beispielsweise eine ungewöhnliche Aktion eines Internetanbieters, in der es plötzlich leckeres Essen in der Mensa gab, oder die Gerüchte über Bugchasing, weil die Krankenhäuser auf HIV aufmerksam machen wollten. Gemeinsam traten sie einer ehrenamtlichen Gruppe in der Universität bei und verbrachten zusammen mit den anderen Freunden wundervolle Spielabende oder zu Weihnachten gemütliche Runden mit Glühwein. Schnell folgten dann auch die ersten Geschenke ihrerseits. Nicht nur zu Weihnachten. Eingepackte Kekse und Schokolade mit schönen Bändchen oder einfach nur liebevolle Worte als Dankeschön. Doch ein Freundschaftsgeschenk verband die beiden umso mehr. Für sie musste es selbstgemacht sein und von Herzen kommen, also schenkte sie ihm ihr eigenes Spiel und die Freundschaft war damit für immer gefestigt. Es sollte bereits für alle klar geworden sein, dass sie etwas mehr als nur Freundschaft in Aussicht hatte, den Korb bekam sie aber nicht von ihm, sondern von einer anderen Freundin, die keine Rücksicht auf ihre Gefühle nahm. Sie wurde erneut so dermaßen enttäuscht, dass ich sie nicht beschützen konnte. Es folgte eine Explosion der negativen Gedanken, weil sie sich gegen die Ungerechtigkeit ihres Lebens wehrte und sich wertlos fühlte. Dabei hätte sie den Jungen einfach nur ziehen lassen und ihn für immer vergessen können. Genauso wie sie es auch mit ihrer Vergangenheit tat. Doch sie wollte nicht noch einmal etwas verlieren, was ihr so unglaublich wichtig wurde. Sie nahm die Schmerzen und Strapazen auf sich, obwohl es sie am Ende zerstörte.


      Jetzt fragt ihr euch natürlich, wer ich überhaupt bin. Ich werde von anderen immer nur als Dämon bezeichnet, dabei war es meine einzige Aufgabe, sie vor allem Leid der Welt zu beschützen. In einer so zerstörten Welt konnte sie nicht einfach sagen, dass sie Liebe und Geborgenheit von den anderen brauchte. Also brachte ich sie dazu, nicht danach zu verlangen und sich lieber vor den Enttäuschungen zu verstecken. Doch er durchschaute mein Vorhaben schnell und wusste, was ich geplant hatte. Statt auf mich zu hören, ließ sie sich auf seine Worte und Gedanken ein und zettelte somit einen Krieg mit mir an, in dem sie am allermeisten leiden musste. Die ständigen Situationen, sich nachts heulend die Seele aus dem Leid zu schreien, wenn sie die Ungerechtigkeit der Welt zu spüren bekam, nur um am nächsten Morgen aufzuwachen und das Spiel von vorne zu beginnen. So auch gestern, aber ich werde nicht aufgeben, ihr Leid zu beenden, so wie sie nicht aufgeben wird, für ihn zu kämpfen. Morgen ist ein neuer Tag.
      I wasn't playing baseball, no!
      I wasn't playing football, no!
      I wasn't playing basketball, noo!
      I was playing Class War!
    • Libras Geburtsstunde (TheMadZocker)

      Libras Geburtsstunde


      »Arnoldo! Komm mal runter!«
      »Was denn, Rheum!?«
      Das Echo innerhalb der Mine war nur kaum zu überhören, und so auch die sich nähernden Schritte Arnoldos. Jener gut gebaute Mann eilte den improvisierten Weg hinunter, dessen Rest er mit den Füßen rutschend beenden musste.
      »Was is’n?« fragte er, Rheums Schulter packend. Dieser wiederum deutete mit seiner hell in Blau leuchtenden Lampe in die Dunkelheit. In weiter Ferne, mit bloßen Augen kaum zu erkennen, ruhte ein Licht. Blau schimmernd, und doch fast unsichtbar, wie ein einsamer Stern am Nachthimmel.
      Arnoldo starrte in Ehrfurcht. »Kommst du?« meldete sich plötzlich sein Freund zu Wort, welcher schon einige Schritte vorausgegangen war. »Äh, ja. Das... ja.«
      Kaum sehend, worauf sie traten, gingen sie weiter. Rheum schien ganz in Gedanken versunken, während Arnoldo seinen Blick kaum von der Schönheit im glimmernden Gewand lenken konnte.
      Auf einmal spürte Rheus keine kratzenden Steinchen mehr unter seiner Sohle, sondern ein neues Gefühl enthüllte sich ihm, wo er seine Füße nicht mehr unnatürlich krümmen müsse. Er bückte sich, und tatsächlich, schwarz glänzendes Gestein ebnete nun ihren Weg.
      »Scheint ein eingestürzter Schrein zu sein...« flüsterte Rheum, dessen Echo auch die Ohren seines Partners erreicht haben sollte. Sein Herz klopfte schneller, kniff seine Augen ob des breiten Lächelns auf seinen Lippen zusammen und verkündete: »Das muss es sein!«
      Arnoldo rannte mit wohl gleicher Laune und gleichem Ausdruck voraus, Rheus langsam hinterher. Durch das Nähertreten beider illuminierte plötzlich ein Licht leicht die Höhle, dessen Quelle sich, nun sichtlich, in einem zylinderartigen Raum befand. Auf einem Podest in der Mitte jenes Raumes schwebte, was aussah wie ein zerbrochenes Schwert, in dessen Fassung über dem Griff das eingefasst war, was sie suchten: Einen Diamanten!
      Beide knieten sie nun davor und starrten in den blauen Schein des Minerals, reflektiert vom Licht über ihnen. Ihre Blicke klebten förmlich daran!
      »Ich glaub’s nicht... na endlich!«
      »Oooh, das is’ ja soo viel besser als meine Mastdarmspiegelung damals!« Arnoldo erntete einen flüchtigen Blick von Rheus, aber glaubwürdig war es allemal. Wenn er bedachte, was für Schmerzen sein Freund damals hatte...


      »Ein Hoch auf unsere Befreier! Arnoldo und Rheus! Nachdem wir etliche Präzedenzfälle in Form von kleinen Splittern und dummen Äffchen hinter uns haben...« Die Menge kicherte. »ist es ihnen endlich gelungen, einen VOLLEN und UNVERSEHRTEN Energiediamanten zu finden!!«
      Großes Jubeln und aufeinander treffende Krüge folgten nach der Ansprache von Ziegler, dem Anführer dieser Bande - den ›Klabusterbeeren‹. ›Befreier‹... Viel zu hochgestochen, wie Rheus fand. Hier, auf dem kleinen Hügel zu stehen, von dem man das meiste des Lagers überblicken konnte, war nicht gerade das schönste Gefühl. Viel lieber wäre er in seinem Quartier, still in Gedanken versunken, arbeitend. Er stand nur noch eine Armlänge von seinem Ziel entfernt, und das wollte er nicht alkoholisiert erreichen. Aber als Rheus so in die Menge sah, konnte er einem allerdings zustimmen: Es war wahrlich ein Freudentag.
      Plötzlich schlug Arnoldos fette Bärenpranke quer über seine Schultern und ein raues »Nu auf zur Afterparty!« klingelte in seinen Ohren. »(Aua...)«
      Erst jetzt viel ihm die gelbe Dämmersonne auf, die ihm direkt in die Augen schien. Die Lagerfeuer wurden bereits entfacht, an denen Gruppen von nie mehr als 10, aber immer mindestens 7 Menschen saßen. »Hier lang.« sagte Ziegler, Arnoldo und Rheus gehorchten.
      Eine angenehme Wärme schloss sich auf einmal um Rheus. Eine Wärme, die er lange nicht mehr spürte und sich sehnlichst wieder herbei gewünscht hatte. Es war das Wohlgefühl eines der Lagerfeuer, um die die engsten Anhänger Zieglers saßen.
      »Hey, super Ansprache!«
      »Zunge wieder locker?«
      »Ganz schön energetisch! Wunderbar!«
      Dies waren nur wenige der vielen Sätze, die Rheus ausmachen konnte, bevor er sich mit seinen sieben Buchstaben auf die weiche Decke setzte. Rechts von ihm saß Arnoldo, und ein Platz weiter schließlich Ziegler. Sein neuer, linker Sitznachbar war einer jener engen Freunde ihres Anführers, die mit ihnen in diesem Kreis saßen: Rabus.
      »Hey, glückwunsch, Rheus.« sagte er, hob ebenfalls sein Gefäß und trank. »Glühwein schmeckt einfach geil!« fügte er hinzu. »Eine wahre Freude nach so langen Zeiten untertage!«
      Rheus schmunzelte. »Das sieht man dir an.« erwiderte er. »Ich selber bevorzuge ja lieber einen Saft.«
      »Hat es dir der Saft unser Klabusterbeeren soo angetan?«
      »Sonst hättet ihr euch ja nicht nach ihnen benannt, oder?« Rabus kicherte.
      So wie Rheus auf seinen Krug schaute, wurde ihm ein wenig melancholisch zumute. Wenn er sich daran erinnerte, wie es damals war, konnte er nur froh über das Kichern eines Freundes sein.
      Rabus schien seine Abwesenheit zu bemerken: »Hey, gib mir noch was von diesem Wodka-Oh.« brach er plötzlich ab. »Der Diamant...« kam noch flüsternd aus ihm raus. Rheus konnte dabei nur die Stirn runzeln, bis er dem Blick seines Kameraden folgte und seine blau leuchtende Tasche erblickte. Und sofort holte er ihn auch hervor. Der Diamant war abermals eingefasst, allerdings in einem dafür vorgesehenen würfelförmigen Gefäß aus Metall und Glas.
      »Wunderschön...« kommentierte Rabus. »Darf ich mal halten?«
      Rheus konnte aber nur mit erhobener Augenbraue seine Aussage erwidern. »Das ist der wichtigste Fund seit... überhaupt! Du wirst ihn nicht einfach so begrabschen!«
      Rabus sank seinen Kopf. »Außerdem kannste es mit deinem Armstumpf nicht einmal greifen.«
      »Nun... einen gesunden Arm hab ich immerhin noch.«
      »...Tut mir Leid.«
      ›Super.‹ dachte sich Rheus nur. Mit einem Seufzer stellte er das Gefäß neben sich ab. »Das Ding bedeutet dir echt ›ne ganze Menge, nicht wahr, Rheus?« fragte Rabus mit einem angedeuteten und sichtlich erzwungenen Lächeln.
      »War ja auch ›ne verdammte Fummelei, es zu finden!« erwiderte Rheus sofort. »Dieser Diamant ist meine Fahrkarte in die Zukunft!«
      Wenn er nur daran dachte, welche Strapazen er hinter sich gelassen hatte, nur um diesen Diamanten zu finden! Dessen Wert konnte man nicht aufwiegen, weder in Gold, noch in irgendeiner Moral. Doch unter all dem Frust in seinen Augen konnte man ein Schmunzeln erkennen. Ja, alles sah gut aus... jetzt.
      ...Wäre da nicht Arnoldo!! Kaum drehte sich Rheus um, musste er seinen Freund dabei erwischen, wie er mit dem Diamanten demonstrativ herum hampelte und angab!
      »Unser größtes Druckmittel! Damit werden wir- h-hey!«
      »Her mit dem Diamanten!« Neben dem Befehl griff Rheus nach dem Behälter, brauchte aber mehrere Anläufe, während er hysterisch vor sich hin schrie: »Kumpel, willst ›ne Klatsche!? Gleich gibt’s ›nen Frontalangriff in dein Gesicht! Das ist kein verdammtes Spielzeug! Großkot! Anusfistel! Prügelstrafe!«
      »J-ja, is’ ja richtig.«
      Rheus umklammerte den Behälter, sein Herz fuhr wieder runter. Die komischen Blicke der anderen konnte er allerdings nicht ignorieren.
      »...Wir müssen den Diamanten mit größter Vorsicht behandeln, verdammt. Sonst klappt unser Plan nie!«


      Wenige Momente später und der steigend dicken Luft in der Runde, trotz seiner Erklärung, hatte Rheus schon genug. Er warf die Eingangsplane zu seinem Zelt auf, sichtlich angepisst. »Was war das denn gerade?« wunderte sich Rabus beim Eintreten, der seinem Kameraden gefolgt war, »Hast du da nicht etwas übertrieben?«
      Rheus stellte das Gefäß langsam ab und seufzte, seine Hand ruhte auf dem Deckel. »Ja... das war... es ist mit mir durchgegangen.« gab er zu.
      Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes lagen Gummihandschuhe auf einem kleinen Tisch, welche er direkt anzog.
      »Ich verstehe dich... glaube ich...« sagte Rabus.
      »Kann ich dir nicht sagen. Ich weiß nur, dass mein gesamtes Leben nun hiervon abhängt.«
      »Ist bei uns allen kaum anders. Wir leben immerhin seit viel zu vielen Jahren hier draußen, und das ist der krasseste Scheiß überhaupt, das weißt du wohl.«
      Rheus nickte. »War ja auch schon länger bei euch. Kann’s also in etwa nachvollziehen. Haben nur Glück, dass sich diese Biester und Primaten nicht an größere Menschenmengen herantrauen... zumindest nicht gegen Abend.«
      Rabus nickte seinerseits ebenfalls zustimmend. Dabei fiel ihm aber auch etwas ins Auge: Eine Schiefertafel, thronend auf einer Staffelei. Neugierig ging er näher heran, und sah die Zeichnung... eines Schwertes?
      »Was ist das?« fragte er Rheus unverfroren. Dieser wiederum ließ von dem ab, was er tat, drehte sich aber nicht um. »Das ist der wahre Grund, warum wir frei sein werden.« antwortete Rheus und zog an einem Strick, welches eine Plane fallen ließ und somit den hinteren Teil des Zeltes freilegte. Er bewegte sich langsam dahin.
      »Ein Diamant dieser Art reicht nicht, er muss auch etwas antreiben. Ganz unten in der Mine, fanden wir so etwas bereits. Der Diamant hatte es seinerzeit angetrieben, und nun wird es hiermit weitergehen!«
      Über einem Podest wurde eine beige Decke gelegt, welche er nun mit voller Kraft wegzog. Rabus Augen weiteten sich. »Ein Schwert?«
      »Ja. Ein Elektroschwert.« erwiderte Rheus. »Die Geschichte enthüllte uns viele Geheimnisse, die eine stabile Zukunft garantierten. Und diese Waffe gehörte mitunter zu den besten ihrer Art.«
      Rheus dachte, den stärkeren Herzschlag seines Kameraden spüren zu können; dieser tat einen Schritt zurück. »...Was hast du vor?«
      »Rheus schaute ihn eindringlich an. »Arnoldo ist ein Menschenfreund, möchte die Zukunft auf ihren Schultern aufbauen. Im Klartext: Die Stadt, die wir wiederaufbauen wollen, soll vom Volk regiert werden. Doch haben sich diese Lausigkeiten als großer Fehler entpuppt. Es braucht nur eine handvoll starker Arme, um eine Zukunft aufbauen zu können! Und ich weiß, wie es geht. Ich kann diese Stadt in die Zukunft führen und retten! Und alle, die darin leben.« Seine Stimme wurde kräftiger, lauter, je weiter er kam. Sein Blick vermittelte die Augen eines Gottes, das Selbstvertrauen, alles in die richtigen Bahnen lenken zu können, als könnte er ganze Berge verschieben.
      Stille. Einen Moment lang wusste Rabus nicht, wie er antworten sollten. Rheus wartete geduldig. »Du verrätst also deinen Freund? Und was meinste mit ›wiederaufbauen‹? Möchtest also nicht mit nur einem Druckmittel auftreten? Ich bewundere deine Selbstsicherheit, so viel steht fest!«
      Rheus atmete noch einmal tief durch. »So erhöhen sich aber unsere Chancen. Und wir werden es schaffen! Auch wenn wir den Dickdarm des Stadtherrschers aus seinem fetten Bauch reißen müssen. ...Bist du dabei?«
      Rabus setzte seinen Fuß wieder neben den anderen: »Ja!«
      I wasn't playing baseball, no!
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      I wasn't playing basketball, noo!
      I was playing Class War!
    • Die Jagd (Vaylin)

      Die Jagd


      Wie ein Zombie schlendere ich durch die Straßen meiner Stadt. Was sind wir eigentlich? Also die Stadt, nicht die Menschen. Menschen interessieren mich nicht, aber die Stadt. Kleinstadt ist das hier nicht mehr, Großstadt auch noch nicht. Mittelstadt, wir sind eine Mittelstadt. Gibt es Mittelstädte? Jetzt schon. Das hab’ ich beschlossen. Ich bin super.


      Hier muss ich rechts. Also... »muss« nicht, aber will. Ich will Eis. Zwei Duzend Becher mit Vanille, Stracciatella, Himbeer und Cookies. Warum sagt man eigentlich Cookies und nicht Kekse? Die Amerikanisierung der Welt ist wirklich verblüffend und oh, ein Auto. Ich musswill hier über die Straße. Wo war ich? Also in meinen Gedanken, wo meine Füße entlang laufen weiß ich.


      Oder? Moment mal. Bin ich hier richtig? Wo sind die »Da geht’s zum nächsten Supermarkt«-Schilder, wenn man sie mal braucht? Unerhört. Vielleicht der Weg? Oder der da? Ich dreh mich mal um mich selbst, das hilft oft.
      Huuuiii! Und jetzt nicht hinfallen oder übergeben, das wäre blöd. Ich muss mich an einem Gartenzaun festhalten, sonst umarme ich gleich den Boden. Kurz umschauen und Luft holen. Hat mich irgendwer gesehen? Ja, ein alter Mann starrt aus seinem Fenster und sieht aus als hätte er ein Alien. Vermutlich hält er mich für bekloppt. Ob ich mal winken soll? Hallo!


      Er zieht den Vorhang zu. Schade, sonst hätte ich unsere Beziehung auf die nächste Ebene gehoben und bei ihm geklingelt. Ob er einen Glühwein für mich hätte? Bestimmt. Jetzt ein schöner, heißer Glühwein und dann ein arschkaltes Eis.
      Mit dieser Obsession im Kopf ziehe ich meinen Körper wieder weiter. Geht es hier zu einem Supermarkt? Bestimmt, ich muss dem Weg nur lang genug folgen.


      Die Zeit vergeht so langi langsam wie nur irgendwie möglich. Die Kopfschmerzen lenken zwar ab, aber nur bedingt im guten Sinne. Soll ich singen? Vielleicht hilft das. Ich werde jetzt Straßenopernsinger! Von meiner ersten Millionen kauf ich mir dann das Eis. Das geht ganz flo- oh, wieder ein Auto. Wenn hier Autos entlangfahren, dann geht es hier bestimmt auch zu einem Supermarkt.


      Ich wechsel wieder die Straßenseite. Meine Füße heben sich kaum vom Boden. Ich bin zu erschöpft für mehr Bewegung und es würde sowohl Körper als auch Geist überfordern. Ich sehe vermutlich so aus, als würde ich von einer Beerdigung kommen. Von meiner eigenen. So ein Sarg ist vermutlich ungeheuer gemütlich, so gepolstert wie die Teile sind. Da würde ich mich jetzt gerne reinlegen, jedoch! Erst das Eis, dann das Vergnügen.


      Warum habe ich mich überhaupt zu dieser Aktion überreden lassen? Mit einer Dreiviertelmehrheit wurde Zuhause beschlossen, dass ich Eis holen muss. Ich lebe allein, aber die zwei Stimmen in meinem Kopf wollten mich los werden, also haben sie mich auf diese Mission... Sekunde mal 2 + 1 = 3, aber es war doch eine Dreiviertelmehrheit! Ich hatten sogar durchgezählt, wo kam die vierte Stimme her? Na toll, anscheinend werde ich jetzt verrückt. Das musste ja so kommen!


      Wie lange laufe ich jetzt schon? Ich weiß es nicht und ein Blick auf mein Handgelenk verrät mir, dass ich meine Uhr vergessen habe. Ein Blick nach oben wird es mir vielleicht verraten. Der Himmel verfärbt sich. Geht die Sonne auf oder unter? War es überhaupt hell, als ich los gegangen bin? Ja? Nein? Mein Kopf gibt im Gegensatz zur 11880 keine Auskunft. Oh Gott, was wenn bereits alle Läden geschlossen haben?! Wenn es bereits das Abendrot ist, dann könnte ich bereits viel zu spät sein. Das würde das Ende meiner Welt bedeuten!


      Ich renne. Ich muss los, das darf nicht passieren! Jede Sekunde zählt von nun an. Ich darf keine Verschnaufpause machen oder mich ablenken lassen. Wenn ich jetzt zögere, war alles umsonst und mein Herz würde von meiner Seele zerschmettert werden, wie eine Sektflasche an einem Luxuskreuzer.
      Wird das eigentlich noch gemacht oder wurde das je gemacht? Könnte ja so ein Hollywood-Ding sein und in Wahrheit werden Glasmanufakturen mit Fischerbooten getauft und die Filmindustrie hat einfach die Plätze getauscht. Ich bin da einer ganz großen Sache auf der Spur, das hab’ ich im Urin!
      Nein, doch nicht. Wie sollte denn das Boot gegen die Fabrik geschleudert werden? Mit einem Kran wäre das bestimmt möglich, aber viel zu aufwendig und unwahrscheinlich.


      Verdammt, ich laufe! Ich habe mir zu viele Gedanken gemacht und nicht bemerkt, dass ich langsamer geworden bin. Jetzt ist bestimmt schon alles zu spät und die Läden haben ihre Türen für heute geschlossen. Wenn es so weit kommt, dann muss ich mich mit einem Hörnchen von der Tanke zufriedengeben und bekomme nie meinen Becher. Sad Life.


      Ring ring, ring ring. Da kommt die Familienfahrradtour und klingelt mich zur Seite. Wie gerne würde ich ein Kind vom Sattel schubsen und mit seinem windschnittigen Rädchen weiterfahren, um es vielleicht noch pünktlich zu den letzten Minuten bevor alles abgeschlossen wird zu schaffen, aber ich halte mich zurück, wie meine Augen die Tränen zurückhalten. Warum bin ich nur so nett?


      Ich kann die Überforderung meines Körpers plötzlich bis in die Knochen fühlen. Ich muss mich setzen. Mein Rücken ist an die Hauswand gepresst und ich sacke langsam zusammen. Richtige Algengrütze ist das hier. Ich kauere mich zusammen und kämpfe gegen den Drang an zu weinen. Warum ist die Welt nur so ungerecht? Warum passiert das ausgerechnet mir? Ich will nicht mehr und ich kann nicht mehr. Schmeißt mich einfach auf den nächsten Komposthaufen und lasst mich da verrotten. Ich bin zu 100% ökologisch abbaubar, denke ich.


      Ein Mann stoppt vor mir. Er wirft mir 20 Cent hin und murmelt etwas wie »mehr habe ich nicht« bevor er weitergeht. Ich sage nichts als Reaktion, ich starre nur die Münze in meiner Hand an und frage mich etwas Entscheidendes:
      Hab’ ich Geld mit?


      Sprung - Zack - Aufgestanden. Ich wühle wie wild in meinen Taschen. Ich muss doch was haben, ich bin nicht ohne Geld aus dem Haus gegangen, oder? Irgendwo ist was.
      Jackentaschen? Fehlanzeige.
      Hosentaschen? Vorne nichts, aber hinten vielleicht?
      Erst wieder in die Vordertaschen greifen, der Sack juckt. Jetzt hinten überprüfen.


      Ich habe noch jede Menge Chips von der Diskonacht gestern, aber scheinbar kein Kleingeld. Ich hätte nie feiern gehen sollen, dann hätte ich später keine Lust auf Eis verspürt und wäre nie losgelaufen. Es war alles von Anfang an zum Scheitern verurteilt...


      Die Tränen fließen, ich kann sie nicht länger zurückhalten. Wäre ich doch einfach liegen geblieben und ich hätte mir all das sparen können. Gott, wenn es dich gibt, warum tust du mir das an? Ich wische mir das Salzwasser aus dem Gesicht. Mein Taschentuch fühlt sich merkwürdig an, wie dieser ganze Tag auch.
      »So viel Geld habe’ wa, dass ma’ es sogar zum Nase schnäuze’ nimmt. Die Jugend von Heut’ is’ wirklich unerhört.« Ich reiße meine Augen auf. Vor mir steht eine alte grimmige Oma mit einer Ratte an der Leine und schaut mich böse. Mein Taschentuch ist ein 10€ Schein.
      Ich möchte nackt durch ein Blumenfeld tollen, so gut fühle ich mich gerade! Noch nie habe ich mich so wohl, so befreit, so unbeschreiblich scheißemäßig gut gefühlt wie jetzt!
      Ich möchte tanzen, springen und jeden hier inniger auf den Mund küssen, als ich letzte Nacht mit dem Boden gemacht habe. Komm her Omi und lass dich knutschen!


      Blöde Idee. Ich packe die alte Scharbracke erst an den Schultern, bevor ich ihr meine Lippen auf’s Gesicht drücken möchte, aber komme gar nicht weiter. Die Dame scheint Profiboxerin vor 200 Jahren gewesen zu sein, denn mit einem unvergleichlichen Haken schmettert sie mich zurück an die Hauswand. »Unerhört!«, kommentiert sie ihren K.O. Sieg gegen mich.


      Ich komme wieder zu Sinnen. Das Eis, es ist vielleicht noch nicht zu spät. Ich frage nach wie spät es ist, die Läden könnten ja noch geöffnet haben. »Neu’zehn drahzisch« bekomme ich als Antwort. Nachdem mein Kopf den Dialekt verarbeitet hat, realisiere ich, dass es zu dieser Jahreszeit immer früh dunkel wird. Mit anderen Worten: Ich habe noch Zeit!


      Ich bedanke mich und flitze los. Ich kann es schaffen, ich spüre mein Himbeereis mit einer Überdosis an Schokostreuseln und Schlagsahne quasi schon auf der Zunge zerlaufen, während mir die Hand gefriert und Schmelzwasser vom Becher drüber läuft...
      Halt, ich habe immer noch ein Problem. Wie komme ich zu einem Supermarkt? Umdrehen, Oma ist noch da. Bei ihrem hilfsbereiten Gemüt sagt sie mir bestimmt auch wie ich einen Laden finden kann.


      Wenn ich von ihrer Antwort den Dialekt abziehe, müsste sie ungefähr »gehen Sie rechts und sie sehen einen« gesagt haben. Hoffe ich, andernfalls sitze ich ganz schön in der Tinte. Also hier entlang und siehe da, ein Schild! Da geht’s zum Parkplatz und somit auch zur Verwirklichung meines Traums! Kurz zu einem Sprint ansetzen und schon bin ich da. Ich freu mich so! Was ich mir wohl alles gönnen werde? Himbeere, Vanille, Stracciatella und irgendwelchen Toppings, heute will ich was zimtiges und danach etwas schokoBÄÄÄM!


      Meine Nase rammt die Tür, ich versteife mich und falle wie ein Brett rückwärts zu Boden. Was, es ist zu? Das darf doch nicht sein, ich bin noch im Rahmen der Öffnungszeiten, die dürfen mich nicht aussperren! Warum, warum nur haben sie diese Tür verschlossen? Das Licht ist sogar aus, sie wollen mir wirklich weiß machen, dass sie geschlossen haben. Was habe ich verbrochen, damit mir eine solche Strafe auferlegt wird?


      »Heut’ is Sonntach, da hamse geschlossen.« Die Omi ist plötzlich auf dem Parkplatz gespawnt und ihre Ratte beschnuppert mich prüfend. Sonntag, natürlich. Gestern war Samstag, heute ist Sonntag. Als wir dafür gestimmt haben, dass ich Eis holen muss, haben wir das ganz vergessen. Abermals muss ich feststellen, dass alle Bemühungen vergeblich waren. Ich richte meinen Blick ins Geschäft. Alles dunkel, nur die die Metzgertheke hat ein schwaches LED-licht und wirft dadurch einen beängstigenden Schatten auf das Fleischregal. Eiscreme mit Speckgeschmack, das bräuchte ich. Dringend.
      Die Ratte pinkelt mich an, während die uralte Boxmeisterin sich vor mich kniet.
      »Was wollense denn habe’?« - »ein Eis«
      Ich habe noch nie ein so ratloses Gesicht gesehen. Bestimmt fragt sie sich, ob ich in irgendeiner Weise geistig beeinträchtigt bin oder ob ich mich nur wie eine ganz besondere Schneeflocke fühlen möchte. Oder sie riecht meinen Atem, bemerkt meinen Kater und ist nun selbst angetrunken.


      »Wennse hier den hang runner mache’, dann sindse bei ahner Tanke. Die ham Eis.« Meine Retterin! Erneut. Ich bedanke mich um die 20-mal, bevor ich wie eine Schlammprinzessin den Hügel runter rolle und aus dem Gebüsch plumpse. Sollte sie mich angelogen haben, so ist das ein größerer Verrat als ein Ehebruch.


      Ich grüße kurz den verwirrten Tankwart, der seinen Blick nicht von mir abwenden kann und das Auto nun voller tankt, als er es wohl sollte.
      Drinnen, hier ist es schön warm. Ich gehe gemütlich zur Eistruhe, die groß damit wirbt nun Becher im Sortiment zu haben. Was haben wir denn Schönes da? Vanille ist leer, Stracciatella ist leer, Himbeere war noch nie da und nur eine Sorte bleibt: Pistazie, der feuchte Traum eines jeden Ökos. Also nichts für mich, weil der Veganismus und all der Scheiß auf ewig der letzte Ausweg für mich bleiben wird.


      Und dennoch habe ich keine Wahl. Ich greife den Becher, kämpfe erneut gegen meine Tränen an und laufe zur Kasse. Nachdem ich dem Kassierer glaubhaft gemacht habe, dass mein eigentümlicher Geruch mein Parfüm »eau de Hundepissé à la verkatert« ist und deswegen gar nicht bezahlen muss (unter der Voraussetzung, dass ich sofort gehe), betrete ich erneut die Außenwelt und winke dem verstörten Tankwart erneut zu, während ich meinen Becher auslecke und nicht gerade wenig auf den Boden verkleckert wird. Nicht weiter schlimm, ist nur Pistazie.
      Nach einem tiefen Atemzug, um meinen Erfolg zu feiern, frage ich, was von Anfang an klar war:


      Wie komme ich nach Hause?
      I wasn't playing baseball, no!
      I wasn't playing football, no!
      I wasn't playing basketball, noo!
      I was playing Class War!
    • The Twelve Days of Christmas (Wons)

      The Twelve Days of Christmas
      Oder: Eine kleine Weihnachtsträumerei


      Die Stadt ist noch fast menschenleer, als ich über das regennasse Pflaster in Richtung Weihnachtsmarkt schlendere. Nur ein paar Straßenfeger sind unterwegs und die Leute, die die riesigen Betonpfeiler aufstellen, die verhindern sollen, dass jemand mit dem Lastwagen in die später aufkreuzenden Menschenmassen donnert. Timm ist schon da, als ich an meiner Holzbude auftauche, und hebt grüßend eine Hand, die andere ist wie immer fest mit seinem Gameboy verwachsen.
      „Hey, meinst du, ich soll meinem Vulnona Ränkeschmied beibringen?“, fragt er, während ich meine Holzbude aufschließe und anschließend das Fenster öffne.
      „Ja ja“, murmele ich abwesend vor mich hin. „Was? Nein! Natürlich nicht!“, korrigiere ich mich dann. „Auf keinen Fall beibringen.“ Ich sollte mich besser konzentrieren. Sagt sich aber meist leichter, als es ist. Während ich den Stand bereit für den später zu erwartenden Ansturm mache und kleine Päckchen sortiere, bin ich eigentlich mit den Gedanken schon ganz woanders, da habe ich den Kopf nicht auch noch frei für Timms Pokemonspiel.
      Ich verkaufe Apfelstrudel auf dem Weihnachtsmarkt, an und für sich ein recht dankbarer Nebenjob, wenn die Anordnung der Buden nicht dieses Jahr so wäre, wie sie ist. Zu meiner Linken verkauft Timm Christstollen der Firma DeLiKat, was an und für sich nicht übel wäre; Timm ist eine coole Socke, wir plaudern ab und zu ganz nett, und der Christstollen stinkt immerhin nicht, genau genommen riecht er so, wie er schmeckt, nämlich nach gar nichts. Allerdings hat Timms Chefin eine ziemlich eingeschränkte Playlist in ihrer Bude und so läuft den halben Tag lang Last Christmas, dieser Super-GAU von einem Charthit, der einfach nicht sterben will. Wenn der wenigstens nicht so schrecklich repetitiv wäre… Allerdings ist das zugegebenermaßen immer noch besser als der Stand rechts von mir, an dem ein grantiger Opi Wild und Geflügel in allen Variationen verkauft. Will gar nicht wissen, wie viele arme Viecher jeden Tag per Güterwagen frisch aus der Geflügelmast zum nahen Bahnhof transportiert und dort von ihm abgeholt werden, um später an die hungrige Meute der Weihnachtsmarktgänger verteilt zu werden. Ich hab mal angefangen, das grob zu überschlagen, hab aber irgendwann damit aufgehört, weil es mich zu sehr deprimiert hat.
      Ich sollte zur Abwechslung dringend an was Schönes denken. An Kristina. Mit der treffe ich mich nämlich nachher, was wohl auch der Hauptgrund für meine geistige Abwesenheit heute ist. Ich habe sie auf der Weihnachtsfeier unseres Chors kennengelernt; obwohl ich seit vielen Semestern mitsinge, habe ich sie vorher nie wahrgenommen, aber das ist bei mir nicht weiter verwunderlich. Ich kann mir absolut keine Gesichter merken, es ist wirklich schon nicht mehr feierlich. Die anderen Chormitglieder sind für mich größtenteils auch nur Statisten. Ehrlich, du könntest die jede Woche austauschen, ich würde das wahrscheinlich nicht merken. Aber auf der Feier habe ich dann erfahren, dass Kristina gar nicht im Chor ist, sondern im Orchester, das hat mich dann wieder ein bisschen beruhigt. Jedenfalls werde ich ihr Gesicht so schnell nicht vergessen, so viel steht schon einmal fest. Sie hat ein herzförmiges Gesicht mit braunen Mandelaugen, umrahmt von seidigen schwarzen Haaren, die sie ihren chinesischen Wurzeln zu verdanken hat. Ihre Mutter, hat sie mir erzählt, hat nach ihrer Scheidung einen Deutschen geheiratet und bei dieser zweiten Ehe kam Kristina heraus. Ihr chinesischer Name bedeutet übersetzt „Traumeskälte“, was ich zuerst ziemlich komisch fand, aber wie sie mir erzählt hat, heißt ihr großer Bruder übersetzt „lila Mensch“ und daher schätze ich, dass Kristina es eigentlich noch ganz gut getroffen hat. Laut ihrer Aussage ist es nicht ungewöhnlich, dass Chinesen, die im Ausland leben, sich westliche Namen aussuchen, um es ihren Gesprächspartnern leichter zu machen. Sehr sympathisch, finde ich. Neben Gesichtern kann ich mir auch Namen unglaublich schlecht merken, ein chinesischer Name hätte es da wohl nicht gerade leichter gemacht. Kristinas großer Bruder, der aus der ersten Ehe ihrer Mutter stammt, hat sich als deutschen Namen erst einmal „Bach“ ausgesucht. Ja, Bach. Wie der Komponist. Als man ihm erklärte, dass das eigentlich kein Vorname sei, entschied er sich zähneknirschend für Kevin. Kann man so machen.
      Das alles hat sie mir so nebenbei erzählt, am Crêpestand auf der Weihnachtsfeier. Ein paar Leute haben Crêpeteig für die Feier mitgebracht und irgendwer hat ein Crêpeeisen – in den Räumlichkeiten der Uni eigentlich strengstens verboten – gestiftet. Als die Einzige im ganzen Chor, die Crêpes machen konnte, keine Lust mehr hatte, bot sich Kristina als Nachfolgerin an. Dass ihre Crêpes alle ziemlich zerfleddert aussahen, störte sie gar nicht, sie war unverändert guter Laune und lachte über jeden misslungenen Versuch. Für sie aß ich an jenem Abend sieben (oder acht? Weiß ich jetzt gar nicht mehr so genau…) Crêpes, obwohl ich die gar nicht so sehr mag. So hatten wir wenigstens Zeit zum Reden, und anscheinend habe ich mich gar nicht mal so blöd angestellt, immerhin will sie mich ja heute wieder treffen.
      Ursprünglich habe ich daran gedacht, ihr ein Treffen auf dem Weihnachtsmarkt vorzuschlagen, aber das habe ich recht schnell wieder verworfen; wenn man täglich fast den ganzen Tag hier ist, hat man irgendwann auch keine Lust mehr, die Freizeit noch hier zu verbringen. Also treffen wir uns jetzt eben bei mir. Ich werde was Schönes kochen – Zutaten habe ich alle schon besorgt, es lebe die Liste – und wir schauen uns Indiana Jones an, den Teil mit dem Nazigold, das ist sowieso der beste. Jetzt, wo ich so drüber nachdenke, wäre ein Treffen auf dem Weihnachtsmarkt aber vielleicht doch gar nicht so schlecht gewesen. Dates zu Hause haben immer so was… Einschüchterndes. Ich weiß ja eigentlich nicht mal, ob das überhaupt ein Date ist. So was fragt man ja nicht eben mal. „Hey, ist das eigentlich ein Date, das mit uns? Oder so?“, kommt irgendwie ziemlich banane. Nein, das muss sich irgendwie ohne große Worte ergeben. Deshalb ja: Weihnachtsmarkt. Glühwein würde da bestimmt helfen. Damit ist man weniger nervös und wenn man irgendwann den Schnabel nicht mehr halten kann und nur noch Grütze von sich gibt, kann man es wenigstens auf den Glühwein schieben. Oder Feuerzangenbowle, das wäre auch nicht schlecht. Den Film hätte man eigentlich auch schauen können; zeitloser Klassiker, muss man eigentlich gesehen haben. Na ja, jetzt ist’s auch zu spät. Noch bevor ich weiter darüber nachdenken kann, was ich vielleicht besser geplant oder gesagt oder getan hätte und was nicht, lenkt mich der Ansturm der Menschen, die auf der Jagd nach den besten Weihnachtsgeschenken sind, glücklicherweise ab und ich stürze mich ganz in die schöne Arbeit des Apfelstrudelanpreisens.
      Nach meiner Schicht verabschiede ich mich von Timm und mache mich auf den Nachhauseweg. Ich hab noch jede Menge Zeit, da kann ich genauso gut zu Fuß gehen, anstatt noch eine Ewigkeit in der Kälte auf den Bus zu warten. Ist sowieso nicht weit bis zu mir. Allerdings muss ich wenige Meter später feststellen, dass sich mein Nachhauseweg, sonst eher eine Steppe aus vertrockneten Ästen und raschelnden Blättern, über Nacht in eine Art Moor verwandelt hat, in dem ich ständig im Schlamm stecken bleibe. Hätte wohl doch den Bus nehmen sollen. Egal! Ich kämpfe mich durchs Unterholz und komme wesentlich später als geplant in meiner Wohnung an, wo ich von meinem Kater Nugget begrüßt werde, der laut maunzend um Essen bettelt. Und natürlich hat er wieder mal mit den weißen flauschigen Eulen am Weihnachtsbaum gekämpft; jedes Jahr dasselbe Spiel. Immerhin steht ihm der Federschmuck gar nicht mal übel. Nachdem ich ihn davon befreit habe, leiste ich seiner Bitte um Essen folge, um mich dann meinen eigenen Essensvorbereitungen zu widmen. Es ist vielleicht nicht die klügste Idee, aber ich will was Chinesisches kochen. Kristina hat mir von einem Gericht erzählt, das sie gern mag, aber wohl schon ewig nicht mehr gegessen hat. Wenn’s mies wird, krieg ich vielleicht wenigstens Fleißsternchen, mal sehen. Ich hab sogar extra im Asialaden Wachteleier besorgt; die sind zwar optional, aber machen bestimmt einen guten Eindruck. Ich hab noch nie Wachteleier gegessen. Wie die wohl schmecken? Muss ich jetzt mal ausprobieren, Qualitätskontrolle und so. Ich nehme mir ein winziges Wachtelei und schiebe es mir in den Mund, nur um kurz darauf festzustellen, dass das Ding schweineheiß ist und jetzt dabei ist, meine gesamte Mundschleimhaut in Luft aufzulösen. Hastig schlucke ich das Ei runter und fluche vor mich hin: „Mann, diese verdammten Kackeier!“ Nugget sieht mich ob meines Ausbruchs strafend an. Recht hat er ja.
      Als mein Essen fertig ist, lasse ich mich erst mal neben den Kater auf das Sofa sinken. Ein bisschen Zeit hab ich noch, bis Kristina kommt. Mein Blick fällt auf das Weihnachtsgeschenk, das ich für sie besorgt hab. Als ich es gekauft hab, kam mir die Idee noch ziemlich lustig und originell vor, jetzt bin ich mir schon wieder nicht mehr so sicher. Es ist ein kleiner Birnbaumsetzling, weil wir dieses Jahr am Weihnachtskonzert von Chor und Orchester Twelve Days of Christmas vorgetragen haben und ich das Lied irgendwie cool finde. Aber ob sie das auch so sieht? Egal, ich kann mich ja immer noch spontan entscheiden, ob ich es ihr überhaupt gebe oder nicht.
      Es klingelt. Ich springe auf, schlendere dann aber betont langsam zur Tür. Kristina steht vor mir, dick eingepackt in Mantel und Schal, beides rabenschwarz, trotzdem strahlt sie wie ein verdammter Weihnachtsbaum. Ein Mensch gewordener Tannenbaum! Die Welt hat so viele verrückte Sachen zu bieten, wenn man nur bereit ist, sie anzunehmen.
      „Hey, komm doch rein.“
      Sie betritt meine Wohnung und sieht sich neugierig um, als auch schon Nugget auf sie zugeschossen kommt und sie in Beschlag nimmt. Ich glaube, der dicke Kater hat sich gerade verliebt; kann man ihm wirklich nicht übel nehmen. Als ich kurz in der Küche verschwinde und wenig später mit Tee zurück ins Wohnzimmer komme, hat Kristina es sich bereits mit Nugget auf dem Schoß auf dem Sofa bequem gemacht.
      „Riecht total gut hier“, stellt sie fest und strahlt mich wieder an.
      „Ich dachte, ich mach diese Suppe, von der du erzählt hast“, erwidere ich und füge in Gedanken hinzu: …und deren Namen ich mir leider nicht merken kann. Sorry!
      „Echt?!“, fragt sie begeistert nach, schon wieder voll im Weihnachtsbaummodus. Ha. Sollte ich jemals als potenzielles Date infrage gekommen sein, dürfte die Suppe meine Chancen wohl drastisch steigern. Jetzt muss sie nur noch schmecken. Aber ich hab das Gefühl, dass Kristina sich auch so schon übernatürlich darüber freut. Sehr ansteckend, diese Begeisterungsfähigkeit. Ich werde langsam etwas lockerer. Vielleicht… wahrscheinlich gefällt ihr mein Geschenk dann auch. Einen Versuch ist es wert. Wenn nicht, bügel ich das mit der Suppe wieder aus. Guter Plan.
      „Ich hab übrigens noch ein kleines Geschenk für dich“, traue ich mich also zu verkünden. Als sie mich neugierig anschaut, hole ich den Setzling und halte ihn ihr präsentierend hin. „Ein Birnbaum“, füge ich noch hinzu. Weiß ja nicht, ob sie das erkannt hätte. Ich hätte es jedenfalls nicht erkannt, so viel steht fest.
      Kristina starrt eine Weile lang auf den Setzling, dann auf mich, dann bricht sie in schallendes Lachen aus. Okay, das gehört jetzt definitiv nicht zu meinem Plan. „Echt?!“, fragt sie schließlich. „Wegen Twelve Days of Christmas! Wie witzig! Ich hatte fast dieselbe Idee.“ Aus ihrer Umhängetasche kramt sie ein kleines, nicht besonders ordentlich eingepacktes Päckchen mit einer roten Schleife hervor. Kann man ihr nicht übel nehmen; ich kann auch keine Geschenke einpacken, daher ist der Setzling eine nette Abwechslung gewesen. Als ich das Papier zur Seite schlage, kommt ein längliches Stiftemäppchen hervor, das an einem Ende den Kopf eines Vogels hat.
      „Ein Rebhuhn! Hab ich selbst gemacht“, strahlt Kristina mich an und fängt gleich zu singen an: „And a partridge in a pear treeeeeee. Unsere Geschenke passen perfekt zusammen.“
      Ich starre immer noch auf das Rebhuhn, das jetzt auch Nuggets Aufmerksamkeit erregt hat. Sie findet mein Geschenk nicht bescheuert, sage ich mir immer wieder. Sie hatte dieselbe Idee! Cool, aber jetzt sag was. Biete ihr eine Suppe an oder noch einen Tee. Oder leg endlich die DVD ein, aber Schweigen ist uncool.
      „Frohe Weihnachten, Kristina“, sage ich stattdessen und überlege kurz, ob ich sie jetzt zur Feier des Tages umarmen kann, darf oder soll, aber da nimmt sie mir auch schon die Entscheidung ab und zieht mich in eine feste Umarmung, durch die ich, obwohl ich ihr Gesicht nicht sehen kann, ihr Tannenbaumstrahlen spüre.
      „Frohe Weihnachten, Maya!“
      I wasn't playing baseball, no!
      I wasn't playing football, no!
      I wasn't playing basketball, noo!
      I was playing Class War!
    • So. Hatte heute Morgen ein bisschen Muße. Doppelpost, da jetzt erstes Feedback folgt!
      Und zwar für @Termina, @shadow mirror, @HeyDay, @pondo und @Sirius. <3


      Vorab aber noch ein paar Worte für alle zum Verständnis meiner Herangehensweise beim Feedback und der Stimmabgabe später. Ich bewerte nach mehreren Kriterien, um für mich eine Basis zu haben, auf der ich auch fair entscheiden kann, welche eurer buttfucking stories am Ende ihr Stimmchen erhalten wird – oder werden. Ob ich mehr als eine Stimme vergebe, das weiß ich erst, wenn ich alles gelesen habe. :3

      Also, ich schaue auf:
      1. Schreibstil – flüssig, lebendig, vereinnahmend? "Show don't tell" (und die Balance daraus)?
      2. Thema – folgt die Story einem roten Faden, hat sie ein Ziel, wird es erfüllt?
      3. Ton – sehr ähnlich zum Stil, aber geht noch etwas weiter und bezieht sich v.a. auf den Erzähler: schlüssige Figur? Merkt man, woher sie kommt, wohin sie will?
      4. Assoziationen – selbsterklärend wahrscheinlich, aber: wie gut sind die Assos verbraten? Fallen sie aus dem Text heraus?
      5. Spaß/Engagement – super subjektiv! Der Punkt wirkt daher auch etwas ausgleichend auf die anderen ein, die eher objektiv sind; wie sehr gefiel mir der Ton also persönlich? Wie sehr das Thema? etc.


      Jetzt aber. Los geht's!


      Terminas Morgen ist ein neuer Tag
      Spoiler anzeigen
      Dein Stil ist erst einmal sehr flüssig und damit wunderbar zu lesen. Man wird von den Worten also einfach immer weitergetragen, von Satz zu Satz, zur nächsten Seite. Leider driftest du etwas sehr ins Erzählen ab, in die reine Vergangenheit und Gedankenwelt, sodass der super knackige Anfang untergeht und damit auch das Thema als solches erst einmal eine ganze Weile nicht klar wird. Da schwadroniert dein Erzähler ein bisschen viel. :D

      Was mir hier auffiel, war der Gegensatz zwischen dem Erzähler, den ich als eine Art inneren Dämon gelesen habe (die wir ja alle haben und er selbst nennt sich ja auch so) – und der eigentlichen Protagonistin, VON der hier erzählt wird. Sie ist sehr passiv, der "Dämon" aktiv dabei, ihr eins auszuwischen, was er ja als "Schutz" darstellt. Habe das als Allegorie einer psychischen Krankheit gelesen, der Stimme, die immer wieder auf einen einhackt und alles Negative aus der Vergangenheit immer und immer wieder hervorholt. Das hat also durchaus funktioniert, fand ich.

      Schade war dabei nur, dass nie so wirklich klar wurde: WAS hat der Großvater denn nun getan? Wie genau waren die familiären Zusammenhänge? Du hast hier viel erzählt, wenig gezeigt. War körperliche Gewalt im Spiel, dass die Protagonistin ihre Schwester schützen musste? Die Gefühle, die du der Frau auf den Leib geschrieben hast, wollen so richtig nicht beim Leser ankommen und auch die Abneigung, der Liebesverlust seitens ihrer Familie kam im Text eher plötzlich, da es an direkt gezeigten Zusammenhängen mangelte. Da hättest du episodischer arbeiten können, um Leser auch fühlen zu lassen, was in der Protagonistin vor sich geht. Schade!

      Insgesamt aber ein Text mit fließend eingebauten Assos, der bedrückt und nachdenklich stimmt, wie wir mit uns selbst umgehen. Das hast du gut umgesetzt. :)



      shads Echsil:
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      Erster Gedanke war: "Er hat jetzt nicht ernsthaft die urban legend von der Verschwörung der Echsenmenschen verbraten?" Oh doch, er hat. Den Lacher hattest du sicher. xD

      Stilistisch war das eine hübsche Mischung aus dem Zeigen der Beziehung zwischen deinen Protagonisten und knapper Kontextuierung der beiden in einer Welt, die ja doch, äh. Eher fremdartig ist. Eine Zeit lang war ich mir außerdem nicht sicher, ob es eine bewusste Entscheidung war, dass du Pronomen wie "Sie" und "Wir" groß geschrieben hast, später im Text schien das abzunehmen und damit dann wohl doch einfach ein Schnitzer zu sein? Sicher bin ich mir da aber noch immer nicht, bitte um Aufklärung. :D

      Die Story selbst war kurz und knackig erzählt; es wurde mit der Zeit klar, was der Erzähler will – und erreicht hat er es anscheinend ja auch. Das Ergebnis selbst war dann aber doch etwas sehr random und kam zu knapp. Es hatte was von der berühmt-berüchtigten "42", das du aber noch vorher etwas mehr hättest foreshadowen und damit zelebrieren können. So wäre die Wirkung am Ende noch stärker gewesen als ein "uh, und nu?" – wobei auch hier für mich die Frage im Raum steht, ob du das nicht genau so wolltest. Insgesamt also ein paar Fragen zu viel, auch wenn das dem generellen Humor deiner Story keinen Abbruch tut. ^^

      Von den Assos habe ich so bewusst nichts mitbekommen, also ist dir deren Einbau offensichtlich gut gelungen. :thumbs_up: Ansonsten hätte deiner Story etwas mehr Erzählen gut getan, um die jeweilige Situation immer noch etwas klarer vor Augen zu haben. Aber die Absurdität hatte schon was. ;)




      HeyDays Kommunalwahlen:
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      Ja, uff. Was soll ich sagen, du hast von Anfang an sehr gut gezeigt (!), wie wenig die Leute, mit denen deine Protagonistin zu tun hat, ihren Namen, noch ihre Identität, noch irgendwas an ihr wertschätzen, sodass die Erwähnung der AfD vom Chefarzt eigentlich keine Überraschung hätte sein dürfen. Trotzdem hat sich dann sehr schnell ein Knoten in meinem Bauch gebildet, weil es in der aktuellen politischen Lage nichts gibt, das ich gefährlicher finde als diesen Haufen Neunazis (und Leute, die sie relativieren). Die potenziellen Auswirkungen einer möglichen Machtübernahme (Gott bewahre) hast du hier sehr anschaulich skizziert, sodass ich als Leserin gerne in die Geschichte steigen und irgendjemandem die Nase platthauen würde. >:(

      Stil, Ton, Thema, Assos, alles auf den Punkt gebracht. Mir war es nur – zu kurz angebunden? Man merkt deutlich, dass das so gewollt ist, überhaupt keine Frage, dieses Loch an Hoffnungslosigkeit willst du hier ja ganz offensichtlich vermitteln. Als Ende einer Story empfand ich es nur als entweder nicht hoffnungslos GENUG (also noch nicht bildhaft genug auf die schlimmen Auswirkungen einer solchen Politik eingegangen) oder mir mangelte es an einem Ausblick, Kampfeswillen vielleicht, oder einfach Hilfsangebote aus ihrem persönlichen Umfeld. So wirklich festlegen kann ich mich da aber nicht, was hier für mich funktioniert hätte.

      Trotzdem, wirklich negative Kritik kann ich hier nicht anbringen. Außer vielleicht: Eine Story mit wörtlicher Rede zu beginnen, sollte immer gute Gründe haben. Situativ wäre hier vielleicht besser gewesen, erst zu erwähnen, dass sich die beiden Kolleginnen im Treppenhaus begegnen und dann fällt der Satz. So fliegt der leer im Raum herum, ist ein definitiver pet peeve von mir. xD




      pondos Gelüste:
      Spoiler anzeigen
      Stil: top! Ton: top! Assoziationen genauso, konnte nichts Negatives erkennen. Ich war sofort in deiner Story drin und habe am Anfang sogar mit dem Arsch von Protagonisten mitgefiebert – bis, ja bis er sich entpuppte. Ab da hab ich einfach nur darauf gewartet, dass ihn jemand auseinandernimmt, aber wurde leider enttäuscht. >:(

      Das Ende war dann ein bisschen wtf, muss ich sagen. War alles davor nur ein Tagtraum von Ingo? Warum geht er jetzt mit dem Messer auf Katharina los? Was genau soll das innerhalb der Story aussagen? Ist es eine satirische Kritik an der Gewalt gegen Frauen, die nach wie vor systemisch gestützt wird? Wenn das das Ziel der Story war, muss ich sagen, dass es leider verfehlt wurde. xD Die Frauen sind hier reine Randfiguren, unterstützen den misogynen Herren (Mutter) oder kauern unter ihm oder werden sehr bildhaft auseinandergenommen, also... puh. Mir war es in der Fülle zu viel Frauenfeindlichkeit im Text, die keinem rechten Zweck dienlich zu sein scheint. Schade. o:

      Muss noch mit mir darüber einig werden, wie meine endgültige Einschätzung der Story ausfallen wird, da hier vor allem inhaltliche Punkte am schwersten für mich wiegen und man stilistisch bei dir halt nichts ankreiden kann – du schreibst einfach gut, Punkt. :ugly:




      Sirius' FAKE IT TILL YOU BREAK IT:
      Spoiler anzeigen
      Ich würde mich hier am liebsten einfach kurzfassen und nur sagen, wie großartig ich das ganze Ding fand, aber ich fände es dann doch unfair, dir nur einen Satz zu geben. :D

      Also weder stilistisch noch bzgl. der Erzählerstimme kann ich hier auch nur irgendwas ankreiden. Ich fand besonders großartig, wie dir die Anekdote mit der Bar gelungen ist. Gregory erzählt zwar aus der Retrospektive, aber du fasst das Geschehen so bildhaft und doch knapp zusammen, dass ich selbst dabei gewesen sein könnte. Insbesondere die Sache mit den Familienverhältnissen, also – chapeau.

      Und auch inhaltlich hattest du mich sofort. Ein einziger Seitenhieb auf den Kapitalismus? Nichts gewinnt mich schneller als das. Meine einzige Kritik hier ist die: Ich möchte bitte dann auch das ganze Buch haben jetzt. Geht das? xD

      Einzig der Glühwein fiel mir auf, aber das lag an dem cleveren Wechsel der Wortart. Lieblingssatz: „Mein Interesse gilt allein der Verbesserung Deines Lebens und Deiner Position und ich kann Dir dabei helfen, eine Entscheidung zu Deinen Gunsten zu treffen, sofern Du bereit bist, dein Hiersein auf dieser Welt aktiv miserabler zu gestalten.“ Köstlich. <3

      Kann ja schon mal sagen, dass du unter den fünfen aktuell eine Favoritenrolle einnimmst. :thumbs_up:



      "Heirs of Miraika"
      Fantasy, Steampunk, LGBT+

      "Dreaming of Dawn"
      Fantasy, Psychological, Depression
    • Habe das Buch erst heute Abend gekriegt und lesen von 14 Geschichten kann man nicht auf die leichte Schulter nehmen^^'
      Ich habe noch nicht alle Geschichten gelesen, aber hier schonmal der Feedback von den Geschichten, die ich gelesen habe^^
      "Feedback" bedeutet kommentare und Sachen, die ich gerne anmerken wollte. Nehmt es nicht streng, ich bin auch nur ein Mensch.

      Vorab, mir haben die Geschichten alle sehr gefallen^^

      Aussies Der eine Wunsch

      Ich mag diese Geschichte, es zeigt, dass auch diejenigen, die von manchen noch nicht mal mehr als Menschen anerkannten Leute tatsächlich noch Menschen sind, mit ihren eigenen Problemen, mit ihren eigenen Gedanken, Wünschen und Träumen.
      Die Kombination mit einigen Klischees von Weihnachtsfilmen/-geschichten fand ich ziemlich gelungen und ich musste irgendwie grinsen, als es nur zwei Kekse auf dem Teller waren^^
      Ich fand auch den Alltag vom Hauptcharakter gut erzählt und mochte die subtile Untermalung, dass sie dort eigentlich nichts hält, außer ihr selbst^^ (zumindest hatte ich das jetzt so interpretiert^^')
      Es war auch mal angenehm, von der Perspektive einer Person diesen Berufs zu lesen, ohne dass der Beruf selbst der Schwerpunkt wurde, oder dass es sie wirklich psychologisch oder emotional belastete was sie machte, wie es sonst oft dargestellt wird (meiner Erfahrung nach). Sie hatte definitiv andere Sorgen, die sie weit mehr kümmerten^^
      Falls ich mich irre bezüglich ihren Berufs, tut es mir Leid, dass mir wohl ein Aspekt der Geschichte an mir vorbeiging^^'
      Es war sehr weihnachtlich, und obwohl es offen ist, wie sie sich entscheidet, werte ich das schon als ein schönes Ende^^


      Bereths Geister

      Eine faszinierende Geschichte, es war interessant die Geschichte aus Janices Kopf raus zu erleben^^
      Erst dachte ich, es geht darum, wie es Geister nicht gibt, man aber dennoch Angst davor kriegen kann. Aber dann kam eine Wendung nach der Anderen und die eigentliche Botschaft sickerte durch, schön gemacht^^
      (Habe mich selber fast erschreckt als die Hand hindurch ging^^')
      Könnte mir vorstellen, das als X-Faktor Folge zu sehen XD
      Es war auch interessant eine Geschichte mit modernem Denglisch zu lesen, interessanter Stil^^
      Und auch nochmal Yay, für Steven Universe^^


      CAMIRs Erna in der Grundschule

      Zu anderen Erna Geschichten, die ich in Erinnerung habe, ist schon mal kein Vergleich für mich zu machen, man merkt, wie du neues ausprobierst^^ (Oder dein Stil sich seit dem letzten BFS stark geändert hat^^')
      Einige plötzliche Szenenwechsel, wenn sich die letzte Hälfte als Traum herausgestellt hätte, hätte es mich nicht zu sehr überrascht gehabt^^'
      Die arme Erna muss mit übermenschlichen Problemen klarkommen, nach dem sie doch eigentlich zum Mensch gemacht wurde, und das verkatert^^'
      Diese Geschichte tut ihr scheinbar keine gefallen, am Schlimmsten fand ich fast den Schluss, der neue Job den sie vermittelt bekam, lässt schlimmes vermuten^^'
      Die zwei Hanswürste hast du ziemlich gut zwischen überprofessionel und lachhaft balanciert, so zumindest mein Eindruck von denen^^


      Crèx' Kopflose Weihnachtsgeschichte

      Eine Mischung bunter Eigenschaften^^
      Einerseits empfand ich deine Geschichte als lustig, allein die Idee und die Umsetzung sind sehr gut^^
      Andererseits ist es stellenweise auch ziemlich beängstigend, was für eine Arbeitsatmosphäre herrscht, ausbeutende Arbeit, wer nicht mitmacht wird eiskalt ohne Bedenken ums Eck gebracht und nahezu unsterbliche, schlechtgelaunte Wesen spielen den Chef. So richtig dankbar für deren Arbeit schien auch niemand zu sein. Ein Szenario das ich leider als realistisch bezeichnen würde, von daher finde ich es sehr gut umgesetzt^^ Ziemlich schwer kein Mitleid zu kriegen, bzw. stellenweise sogar böse zu denken ;X
      Ich frage mich fast, ob der letzte Satz schon als Happy End durchgeht, oder der Beginn einer ganz anderen Geschichte werden könnte, ich bin gespannt^^


      HeyDays Kommunalwahlen

      Bei deinen Oberbegriff und deinen Assos habe ich tatsächlich nicht mit dieser Geschichte gerechnet, aber nach dem Durchlesen schien es sich selbst zu erklären^^
      Anstelle von Politikprozesse oder dergleichen, die möglichen Auswirkungen von Politik auf einen einzelnen Menschen veranschaulichen, super Idee^^
      Guter Anfang, mit dem Arbeitsalltag zum Ereignis und dann in einer neuen Umgebung einpendeln lassen, gute Arbeit meiner Meinung nach^^
      Es ist ein Problem, von dem ich mir gut vorstellen könnte, dass es real ist. Hoffentlich ist es das nicht^^'
      Es hat zwar ein scheinbar offenes Ende, aber die zwei bisher gestellten Optionen (umsonst Arbeiten oder womöglich keine neue Arbeit finden) lassen nicht auf ein Happy End vermuten, eine ziemlich aussichtslos wirkende Situation^^' Gut dargestellt^^
      Und ihr Name, „Yevhenivna“, tut mir Leid, falls jemand so heißt, aber ich habe ein paar Mal versucht es auszusprechen und mir zweimal die Zunge verknotet und es einfach nicht geschafft^^'
      Tut mir Leid, falls der Name echt ist, und falls nicht, gut ausgewählt^^


      Hyrule Historias Der Jahresbrief

      Eine Geschichte in Briefform, sehr interessant^^ So, wie wenn man einen alten vergessenen Brief einer fremden, aber bekannten Person findet^^
      Die Umsetzung ist auch gut gelungen, und persönlich, konnte ich zu gut eintauchen, es ist sehr melancholisch gehalten, was eigentlich nicht mein Geschmack ist, aber du hast es so gut hingekriegt, dass ich es dennoch genießen konnte, es hat stellenweise sogar Nostalgie ausgelöst^^
      (Nicht im positiven Sinne, aber Hut ab, dass die Geschichte den Effekt hatte^^)
      Die Geschichte hat mich traurig gemacht, saubere Leistung^^


      pondos Gelüste

      Eine spannende und auch ziemlich aggressive Geschichte, es wurde sich definitiv nicht zurückgehalten^^
      Wie wenn man nach einen Filmriss aufwacht und sich erst mal orientieren muss, taucht man in diese Geschichte mitten im Geschehen ein, soll auf keinen Fall heißen, dass es schlecht ist, im Gegenteil, es hatte seinen Charme und früh genug lernte man, was man wissen musste/wollte ohne, dass man etwas verpasst hat, weil man etwas Rückblickend nachvollziehen kann. Im Gegenteil, gerade das hast du zu deinem Vorteil genutzt. Anfangs dachte ich, es ist eine Detektivgeschichte und tatsächlich, ist das gar nicht mal so weit weg von der Wahrheit. Ein sehr schönes Beispiel dafür, dass man den Hauptcharakter nicht immer idealisieren oder vertrauen sollte. Die Kaltblütigkeit, die sich durch die Geschichte erstreckte, war nicht mein Geschmack, aber definitiv gut in Szene gesetzt^^
      Der letzte Absatz war nach einen ohnehin schon verblüffenden Abschluss eine schöne „Post-Credits-Szene“^^


      Shadow mirrors Echsil

      Ein faszinierendes Szenario, dass die Menschen verwandelt wurden Oô
      Gute Arbeit, so viel World Building in deine Geschichte zu binden, die Dynamiken zwischen den Arten von Tiermenschen und auch, wie das Leben anders wurde, aber dennoch weiterging fand ich sehr interessant^^
      Bis zur Hälfte erinnerte mich Norberts Geschichte ein wenig an den Anfang von „Oben“, das hob meiner Meinung nach den Druck hervor, der auf den beiden latete, dass das womöglich der letzte Tag für beide sein könnte...
      Boah, war ich erleichtert, dass die Antwort auf ihre Frage ein derart schönes Ende hatte. Der Salamander war auch sehr ruhig und objektiv, nicht üblich für jemanden in seiner Position, eine schöne Abwechslung. Alles in allem, ein sehr schönes Happy End, dass nach der ganzen Spannung einen erleichtert aufatmen ließ^^


      Sirius' FAKE IT TILL YOU BREAK IT

      Wäre das Buch ein Fernseher, hätte ich mich gefragt ob ich mich auf die Fernbedienung gesetzt habe XD
      Ein sehr ungewöhnlicher Stil, den ich so weder erwartet noch gesehen habe, eine meiner Meinung nach sehr originelle Idee, deine Geschichte als Vorwort eines komplett anderen (und ich gehe daovn aus, fiktiven) Buches zu schreiben^^
      Ich fand es sehr unterhaltsam, und es war diese Art von traurig, die Underflow-mäßig wieder lustig wurde^^ Er bemüht sich es einen schmackhaft zu reden, bedingungslos zu kapitulieren und hat Beispiele parat, die für sich schon unglaublich sind XD
      Ich bin sehr froh, dass auf diese Geschichte noch gewartet wurde, ich hätte jetzt sehr ungern auf sie verzichten müssen^^
      Also, gute Idee, meiner Meinung nach gute Umsetzung, mein Geschmack, finde ich absolut super^^


      Terminas Morgen ist ein neuer Tag

      Ich bin mir unsicher, was ich zu deiner Geschichte kommentieren kann^^'
      Zunächst mal, ich glaube sie^^' Was es jedoch viel finsterer macht, als wenn die Geschichte nur reine Fiktion wäre. Es ist faszinierend, wie du deine BFS auf dieser Geschichte aufgebaut hast und geschickt deine Assos geschmeidig einfließen lassen hast, ohne dass sie Fehl am Platz wirkten oder die Geschichte verwässerten^^
      Ich bin nicht ganz sicher, wer wen darstellen soll, am Ende hat die Geschichte scheinbar angedeutet, dass die Erzählerin und das Mädchen, um das die Geschichte handelt, nicht ein und die selbe Person ist^^'
      Er will des Mädchens Leid beenden, wird aber als Dämon bezeichnet. Was meiner Meinung nach auf diese Beschreibung passt, macht alles diese Geschichte nochmal eine bis drei Stufen finsterer. Alles in allem eine schmerzende Geschichte, aber es wurde ja angekündigt, dass es kein Happy End haben wird, es wurde nicht zu viel Versprochen^^'


      TheMadZockers Libras Geburtstunde

      Eine schöne Geschichte, wenn ich raten müsste, im Fantasysetting^^ Wie du subtil die Welt gebaut hast, ohne dass etwas direkt erklärt werden musste, finde ich sehr toll. Schreine mit Artefakten und energieliefernden Objekten, eine Bande, die von einem besseren Leben träumt und eine Herrschafft, die Leute geschaffen hat, die glauben, nichts ändern zu können, außer wenn sie selber an der Macht sind. Eine sehr spannende Geschichte, die Lust auf mehr macht, mir zumindest^^
      Die Charaktere, zumindest die wenigen benannten, gewannen in der kurzen Zeit an Persönlichkeit und man konnte sie schnell ins Herz schließen, mit ihnen mitfeiern und sich über sie Sorgen machen, wenn sie eine kleinen Streit haben^^
      Es scheint auch womöglich die letzte Feier für die nächste Zeit, für diese Bande zu sein, was geschehen wird, kann ich mir nicht ausmalen^^


      Vaylins Die Jagd

      Junge, das war wieder eine Achterbahnfahrt^^
      Es ist immer sehr begeisternd und unterhaltsam den willkürlichen Gedanken (und Handlungen) zu folgen. Aus etwas banal wirkenden, wie Eis holen, eine derart spannende Geschichte zu machen ist eine ziemliche Leistung, finde ich^^
      Ich war anfangs nicht sicher, ob der Hauptcharakter nüchtern war, ich verlor im Laufe der Geschichte auch den Glauben, dass der Hauptcharakter das Eis je bekommen würde^^'
      Aber der Hauptcharakter bekam, was er wollte, auch wenn der letzte Satz nicht auf ein Happy End deutet, so war das Ziel der Geschichte erreicht^^
      Auf subtile Weise hast du unterm Wahnsinn auch die Hintergründe erzählt, das finde ich ziemlich toll^^ Und die Realität, alles außer dem Hauptcharakter, hast du ziemlich gut getroffen, auch wenn der Fokus eindeutig in den Gedanken lag^^
      Ein interessanter Stil, der den Leser eher durch Kontext verstehen lässt, was vor sich geht, anstelle die Handlung auf einer Servierplatte zu präsentieren^^


      Wons' The Twelve Days of Christmas

      Schöne weihnachtliche Geschichte^^
      Interessante Perspektive aus den Gedanken des Hauptcharakters. Interessant den Charakter dadurch kennenzulernen, wie sie ihre Umgebung auffasst und mit wem sie sich versteht und mit wem nicht^^
      Dass es zu einer entspannten Art von Mini-Weihnachtsfeier wurde, verbreitete entsprechend weihnachtliche Stimmung in die man beim Lesen nur zu gern eintauchte^^ Wenn am Ende nicht der Name des Hauptcharakters gefallen wäre, wüsste ich nicht, welches Geschlecht sie hätte, also auch das hilft dem Leser sicherlich in die Geschichte eintauchen zu können^^
      Schöne Pokemon Referenz XD



      Edit: Feedback vervollständigt

      Dieser Beitrag wurde bereits 3 mal editiert, zuletzt von kuronan ()

    • Ich möchte alle drei Stimmen vergeben, zwei stehen schon fest. Bei der dritten schwanke ich noch. Das Abstimmen fällt mir dieses Mal besonders schwer.

      Spoiler anzeigen
      Gedankenblitzlichter zu den Geschichten


      Der eine Wunsch
      Die Geschichte hat mir recht gut gefallen. Stellenweise war ich beim Lesen genauso verwirrt wie die Protagonistin (bewusstes Stilelement? xD) und am Ende hätte ich mir gewunschen, dass eine Entscheidung gefällt wird: Ticket zerreißen oder in den Zug steigen. So fand ich es etwas unbefriedigend. Dennoch hat es mir gut genug gefallen um eine der Stimmen zu erhalten. :)

      Geister
      Ein Pluspunkt für Steven Universe. Ansonsten ein toller Themenmix. Das ganze tatsächlich als Geistergeschichte aufzuziehen hat mir beim Lesen viel Freude bereitet. Es wird auch sehr gut vermittelt, dass das Thema der Identitätsfindung und die Auseinandersetzung mit der eigenen Familie/Familiengeschichte die Protagonistin stark beschäftigt. Gefühlt schneidest du etwas zuviele Themenkreise an, die Geschichte könnte gerne fünfmal so lange sein und würde sich immer noch gut lesen, da sie so viele spannende Aspekte hat, bei denen ich als Leser gerne mehr erfahren hätte. Edit: die Entscheidung war hart und ich hätte noch mindestens 2 weitere Stimmen benötigt, aber nach erneuter Lektüre aller Stories ging meine dritte Stimme dann an "Geister".

      Das Spiel mit dem Feuer
      „Basierend auf wahren Begebenheiten“ – na bumm, muss ich Angst haben? xD Die Geschichte hat einen guten Lesefluss, einzig das Erscheinen der Feuerwehrmänner empfand ich als etwas unelegant und störend. Die Geschichte macht hier auch eine abrupte Wende und ich bin mir gar nicht so sicher, ob nicht nur Erna versus Logi spannender gewesen wäre. Ich freue mich aber auf die Fortsetzung, die Assoziation hast du großartig als Teaser eingebaut.

      Kopflose Weihnachtsgeschichte
      Eine Erzählung in klassischer buttfucking Tradition. Etwas derb, schrägt und eine der unerwarteten Handlungen hat ja bereits leider der Titel vorweggenommen. Ich glaube, ich möchte nie wieder Geschenke vom Weihnachtsmann erhalten. Irgendwo wird Pixel dann ein paar Mal Link genannt, da war ich mir nicht sicher, ob Fehler oder Anspielung auf irgendwas.

      Kommunalwahlen
      Definitiv eine der Storys die mir unter die Haut gegangen sind. Zu nahe an der vergangenen und gegenwärtigen Realität um al als Überzeichnung wahrgenommen zu werden. Wer schon mal arg unterbezahlt arbeiten musste und diese Art von Gespräche mit seinen Vorgesetzten geführt hat kann sich in Yevhenivna sehr gut hineinversetzen. Die Geschichte hat mich wirklich berührt, daher erhält sie eine Stimme.

      Vom Reden und Präsentieren
      Ebenfalls sehr buttfuckingesk da etwas verwirrend – für mich waren die Sprünge inhaltlich teilweise doch sehr plötzlich. Gefühlt hangelt sich der Text mehr von Assoziation zu Assoziation als eine organische Geschichte zu ergeben. Auch habe ich nicht ganz verstanden, wieso die Leute so handeln wie sie handeln. ... aber das ist ja bei buttfucking nichts schlechtes. Nehme ich mal an.

      Glüste
      Die Geschichte gibt sich ziemlich 'down and dirty' und ist dabei doch sehr achtsam geschrieben. Hier wurde gefühlt nichts dem Zufall überlassen. Anspielungen, Metaphern, Aberglaube, Tropen, das Streifen von 1-2 Sagenkreisen (griechische Antike & westeuropäisches Mittelalter?). Handwerklich eine der besten Stories. Inhaltlich spricht sie mich wenig an, ich bin persönlich einfach kein großer Fan von Gewalt als Stilmittel.

      Echsil
      Bonuspunkt für den kreativen Titel. xD Der Text ist wieder perfekt buttfucking. Es wird gleich im ersten Absatz eine absurde Vorstellung etabliert und als klassische Weltordnung ausgerufen. Ganz im Sinne von „So ist es, deal with it!“. Ich muss gestehen beim Lesen zuerst besorgt gewesen zu sein, ob sich der Text nicht in lauter Furry-Tropes verrennt, diese Sorge wurde dann aber zerstreut und es hat sich flott gelesen und war eine sehr charmante Geschichte.

      FAKE IT TILL YOU BREAK IT:
      Kudos für die gewählte Textform als Leseprobe aus einem fiktiven Vorwort. :) Der Text hat mir sehr gut gefallen, weil er so gekonnt mit vielen Plattitüden spielt und dabei eine Leichtigkeit an den Tag legt, die ihresgleichen sucht. Ich musste an ein paar Stellen tatsächlich lachen. Das Warten auf den Text hat sich auf jeden Fall gelohnt. Keine Ahnung, ob du privat viel Schreibst, aber man merkt zumindest eine sehr große Affinität zu Texten und Literatur.

      Morgen ist ein neuer Tag
      Die Gedankenwelt der Adoleszenten mit ihren Emotionalen Höhen und Tiefen, der gesamten Aussichtslosigkeit und dem Gefühl nicht Herr im eigenen Körper zu sein und dem Geschehen hilflos ausgeliefert zu sein, bildest du gut ab. Dass die inneren Dämonen zu tatsächlich agierenden Figuren werden finde ich eine spannende Wahl – umso mehr hätte ich mir gewunschen, als dass es zu einer Konfrontation mit der Protagonistin kommt, einem Aufbegehren, einer Bewusstwerdung oder einem Aufbegehren.

      Libras Geburtsstunde
      Gute, solide Geschichte. Nur bei „Hat es dir der Saft unser Klabusterbeeren soo angetan?“ hat es mich vor Ekel erschaudern lassen. xD Das wars dann mit der Immersion. Ansonsten etwas sprunghaft in der Erzählung, aber das Setting ist sehr gut gewählt. Ich hatte Lust darauf mehr von der Welt und der (wieder) Gründung Libras zu erfahren.

      Die Jagd
      Gut ausgeführter innerer Monolog – schön, dass wir diese Runde verschiedene Textsorten dabei haben. ^^ Ein wenig gestresst hat mich beim Lesen der Wechsel zwischen Angetriebenheit und absoluter Dringlichkeit hin zu vollkommener Gleichgültigkeit und Sorglosigkeit. Alles ist immer irgendwie total dramatisch und dann doch wieder völlig egal. Ich kann das gut nachvollziehen, aber es macht mich ziemlich fertig. xD Auf jeden Fall vom Stil her eine nicht zu leugnende buttfucking Story. =)

      The Twelve Days of Christmas
      Ja, ja der gute lila Mensch. Ich musste Schmunzeln. Eine kompakte Geschichte, sehr flüssig und gut erzählt. Großen Respekt für das sich beim lesen sehr organisch anfühlende Verwenden von der Asso Ränkeschmied, ich konnte mir die Situation direkt vor dem geistigen Auge vorstellen – herrlich. Etwas absurd, aber so wie sie im Alltag stattfinden könnte. Eine sehr herzerwärmende Geschichte über die „kleinen“ Sorgen im Alltag mit gelungener Überraschung am Schluss. Ich mag den Kater Nugget sehr. xD


      "Time passes, people move... Like a river's flow,it never ends... A childish mind will turn to noble ambition... Young love will become deep affection... The clear water's surfacereflects growth...
      Now listen to the Serenade of Water to reflect uponyourself...."


      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Hyrule Historia ()

    • Hab jetzt endlich meine Ringbuch Ausgabe erhalten, heißt ich setz mich nachher vorm Einschlafen noch ran und lese so viele Storys wie ich kann. Musste schon in ein paar reinschnuppern. Das Ringbuch hat eine super Aufmachung, sehr professionell! Freu mich schon riesig :)



      Hyrule Historia schrieb:

      Irgendwo wird Pixel dann ein paar Mal Link genannt, da war ich mir nicht sicher, ob Fehler oder Anspielung auf irgendwas.
      Ist mir vorhin leider auch aufgefallen. Zweimal passiert das. Ärgert mich sehr, vor allem weil der Fehler es auch ins Ringbuch geschafft hat. Link war der Platzhalter, weil mir nicht direkt ein Name eingefallen war. (Für Grumpel war es übrigens Zelda. Die hat es aber glücklicherweise nicht in die Endfassung geschafft)
      Wollte noch rechtzeitig zur Abgabefrist abgeben un dann ist es doch 1 Uhr morgens geworden, dementsprechend war auch kein geistiges Korrekturlesen mehr drin, ans Filtern hab ich leider auch nicht mehr gedacht. Und nach der Abgabe war mein Kopf schon wieder in der Ausbildung.
      / Captain Rex // is back
    • Rückmeldung zum Feedback
      @Hyrule Historia & @kuronan Vielen Dank schon mal für euer liebes Feedback! Es freut mich, dass die Überraschung am Ende gelungen ist. Da war ich mir sehr unsicher. Also, als ich's schrieb, fand ich's noch super, beim erneuten Durchlesen schon nicht mehr so.


      So, nachdem ich heut endlich meine Ausgabe erhalten habe (die auch heil ankam) und in der Mittagspause die ersten paar Storys verschlingen konnte, gibt's jetzt entsprechend von mir erstes Feedback, in der Reihenfolge, in der ich's gelesen habe. Seid bereit!

      CAMIR
      Erster Eindruck beim ersten Lesen: What - the - fluff

      Beim zweiten/dritten/vierten/... Lesen:

      Stil

      An deinem Stil kann ich einfach nichts aussetzen. Mir gefällt einfach, wie klar und akzentuiert du schreibst und dein Gefühl fürs Pacing ist ebenfalls top. Du findest genau die richtige Balance zwischen Rückblicken (Weihnachtsmarkt), Duschgedanken (Odins Konjunkturschwäche, der Nikolaus-Schulleiter) und Action (Ja, Logi, du bist gemeint). Sehr sehr gut.


      Inhalt

      Erst einmal hab ich mich sehr gefreut, eine Fortsetzung von Erna lesen zu können. Das macht die BFS irgendwie total heimelig, find ich.

      Inhaltlich ist die Geschichte definitiv sehr "buttfucking", von der eher ruhigen Einleitung über den schon sehr amüsanten Rückblick zum Weihnachtsmarkt bis hin zum fulminanten Finale, das dann fast melancholisch ausklingt, ist echt alles dabei. Was für eine Achterbahnfahrt der Literatur! Wie schon gesagt, der Aufbau: Großartig. Kann man meiner Meinung nach nicht besser machen. Dann die beiden Feuerwehrleute, die sind einfach so sehr aus dem Leben gegriffen, dass es fast wehtut - was gut ist, denn genau das soll eine BFS mit mir machen. Mich verschiedenste Emotionen durchleben lassen. So abstrus die zwei wirken mögen, die sind absolut authentisch. Auch beim 100. Lesen lache ich einfach immer noch, wenn Heinzelmann Erna anschnauzt, dass die Gänge stolperfrei gehalten werden müssen. Oder wenn Logi die Metallgegenstände in die Mikrowelle steckt.

      Das Ende macht definitiv Lust auf mehr. Ich geiere auf die Fortsetzung "Erna im Darkroom", habe gleichzeitig aber auch Angst davor. Aber das muss so, oder?

      Was ich mich gefragt habe: Woher und wie konnte Logi eigentlich entkommen und wieso wollte er Erna eins auswischen? Für mich persönlich hab ich die Frage so beantwortet, dass er einfach nur trollen wollte und wo er Erna eh schon kannte, hat er sich ihre Schule ausgesucht. Bin aber für Antworten der Autorin natürlich umso dankbarer.


      Assos

      Einzig zwei sind mir aufgefallen: Tresenphilosoph und Pyro-Bubbles. Aber erstere war auch fies. Letztere eigentlich auch; irgendwie fühlt es sich für mich komisch an, wenn ein Feuergeist solch moderne Wörter benutzt.

      Ansonsten aber absolut souverän gearbeitet.


      Beste Stelle: "Nicht der Mensch macht den Wein, sondern der Wein den Menschen."

      (Aber das war schwer auszusuchen, Logi und die Mikrowelle waren auch heftige Anwärter, ebenso wie die Sache mit der Stolperfalle.)


      tl;dr: Hat mich wiederholt bestens unterhalten und es gibt kaum was auszusetzen, daher auf jeden Fall ein Anwärter auf eine meiner Stimmen.



      shad
      Erster Eindruck beim ersten Lesen: Was? xD


      Beim zweiten/dritten/vierten/... Lesen:

      Stil

      Dein Stil ist an und für sich sehr gut, will heißen: gefällt. Ist ziemlich locker flockig, angenehm zu lesen, trägt einen gut durch die Geschichte.

      ABER: Grundgütiger, sind da viele Schnitzer drin! Tippfehler hier, großgeschriebene Wörter da, die Protagonistin heißt gefühlt in jedem Abschnitt leicht anders. Das hat mich immer etwas rausgeworfen. Aber Asche auf mein Haupt, hätte ich halt Korrekturleser gespielt, ne? Also alles halb so wild, so gesehen.


      Inhalt

      Auch inhaltlich gefiel mir die Geschichte durchaus. Waren ein paar sehr liebenswerte Details drin, beispielsweise die Zimtschnecke und der geklaute Glühwein, auch Norberts Brille, mit der er dann geradeaus gucken kann, sehr liebe Ideen, die man sich richtig gut vorstellen konnte. Großartig auch die Verbindung zwischen "Echsen" und "Ex", schöne kleine Geschichte zwischendurch. Der Titel gefällt natürlich auch, obwohl mir nicht ganz klar ist, wer hier inwiefern im Exil ist. Was mir außerdem gefiel, war die eine Stelle, als der Erzähler die Geschichte unterbrach, um sich an den Leser zu wenden: "Seid nicht so neugierig." Das kam unerwartet, hat für mich aber sehr gut gepasst und fand's schön, dass es nicht inflationär verwendet wurde.

      Auf der anderen Seite warf die Geschichte zumindest bei mir aber auch unglaublich viele Fragen auf und anstatt welche zu beantworten, kamen immer mehr und mehr dazu, sodass ich nach dem zweiten Lesen da saß und dachte: "Ok, aber hä?"

      -Erst mal, wieso die Erwähnung von Kroatien ganz am Anfang? Die Erwähnung am Anfang lässt ja darauf schließen, dass Kroatien irgendwie wichtig ist. Aber die ganze Welt ist ja verwandelt worden. Also spielt die Geschichte in Kroatien? Aber der Protagonist heißt Norbert. Passt irgendwie nicht so recht.

      -Warum wünscht sich Norbert, seine Eltern wären tot? Das ist ja doch ein schwerwiegender Wunsch und der wurde irgendwie nicht wirklich ausgeführt.

      -Warum haben die beiden überhaupt Interesse an Verschwörungstheorien und an der Aufdeckung?

      -Wie kamen die an die Infos über die Verschwörung? So was ist ja sicher streng geheim, wenn es schon einen eigenen Geheimdienst gibt (mit Vögeln, wtf).

      Das Ende ließ mich dann wiederum mit den größten Fragezeichen zurück. Wie konnten die, wenn sie jahrelang versucht hatten, da was aufzudecken, plötzlich so unglaublich einfach in das geheime Geheimversteck eindringen? Woher kannten sie das Passwort überhaupt? Wieso gibt der Salamander, der ja eigentlich der Oberbösewicht ist, aber mehr wirkt, als sei er auf Drogen, so bereitwillig Auskunft? Wieso spricht Milana von Gefangenschaft? Eigentlich geht es den Tierwesen ja nicht unbedingt schlechter in der Welt, zumal Norbert und Milana ja so geboren wurden und gar keinen Vergleich kennen. Und wieso feiern sie am Ende, obwohl die Auskunft vom Salamander so unglaublich unbefriedigend ist? Er speist sie ja quasi mit einem Satz ab und schickt sie dann raus, sie haben absolut nichts bei der Sache gewonnen, sind aber irgendwie plötzlich froh. Das hab ich nicht so wirklich verstanden, weshalb die Geschichte mich immer noch mit einem "Hä?" zurücklässt. Ich glaube, wenn du da etwas mehr ausgeführt hättest, wäre das ein richtig cooles Teil geworden.

      Assos

      Eigentlich fiel mir aus oben genannten Gründen nur "Kroatien" auf, ansonsten sehr gut gearbeitet.

      Beste Stelle: "Milana sprach nicht von Einbruch, [sondern] von 'Service', da sie sich schließlich um die Wohnung kümmern, solange der Besitzer nicht da war."


      tl;dr: Coole Geschichte, die aber für mich mehr Fragen aufwirft als beantwortet, was ich als etwas unbefriedigend empfinde.



      Bereth
      Erster Eindruck beim ersten Lesen: Okay, das nahm eine unerwartete Wendung.


      Beim zweiten/dritten/vierten/... Lesen:

      Stil

      Stilistisch gibt es für mich, wie du weißt, bei dir einfach nichts auszusetzen. Wenn du über Kartoffelsäcke schreiben würdest, würde ich's sicher immer noch lesen und feiern. Nur einmal war ein Wort doppelt vorhanden und Claire wurde manchmal mit und manchmal ohne e geschrieben, aber das sind halt so die Kleinigkeiten.


      Inhalt

      Zunächst sei auch hier gesagt: Schön, dass es eine Fortsetzung zur letzten BFS gab. Irgendwie freut mich das sehr.

      Ja, meine Meinung zum Inhalt kann ziemlich in drei Teilen zusammengefasst werden.

      Erst einmal: Die Rahmenform ist dir meiner Meinung nach sehr gut gelungen. Dass die Menschen sich die Worte, die sie glauben wollen, zur Wahrheit machen. Zumindest, wenn ich die Geschichte richtig verstanden habe (und da bin ich mir nicht sicher, dazu aber später mehr), ist das echt cool gemacht.

      Dann: Den ersten Teil fand ich absolut grandios, der hat mich richtig reingezogen und ich konnte es mir richtig gut ausmalen, dieses olle Geisterhaus, über das Janice nervigerweise einen Artikel schreiben soll. Richtig gute Atmosphäre geschaffen, alles super. Was ich auch toll fand: Dank des Leierkastens hat mich die ganze Geschichte sehr an Majora's Mask erinnert, und als dann ausgerechnet noch jemand namens Boris erwähnt wurde, musste ich natürlich gleich an den liebenswerten Totengräber denken. War das beabsichtigt? So oder so: Schön! (Auch die ganze Sache mit "kennt jemand, der einen kennt,...", großartig.)

      Was mich dann etwas rausgerissen hat, war diese ganze Geschichte mit Madam Koi Koi, das fand ich irgendwie total random und hat für mich nicht wirklich reingepasst, oder hab ich irgendwas überlesen oder nicht verstanden? Ich weiß nicht so genau.

      Der zweite Teil, also die gesamte Interaktion mit dem Geister(?)-Opi, warf bei mir dann auch wieder so viele Fragen auf, dass ich verwirrt zurückblieb. Zum Beispiel Oma Nneka. Janice reflektiert, dass sie "schon längst" tot ist, später wird aber erwähnt, dass dies das erste Weihnachten ohne Oma ist, also kann sie ja maximal seit einem Jahr tot sein, was ich jetzt nicht unbedingt als "schon längst" sehen würde. Dann die ganze Sache mit dem Opi. Der ist ja eigentlich lieb, bzw. lieb geworden. Er bereut ja, was er getan hat, und hat seine Lektion gelernt. Warum macht er dann überhaupt so einen auf Gruselatmosphäre mit rasselnden Ketten und "Mary had a little lamb" als Hintergrundmusik? Was bezweckt er? Oder hat Janice, was mein nächster Gedankengang war, ihn sich eingebildet? Einiges spräche ja dafür, zum Beispiel, dass er mit Feminisinnenbüchern festgekettet ist; da sie sich für das Thema zu interessieren scheint, würde es ja passen, dass sie ihm die quasi als Strafe aufs Auge drückt. Aber dann frage ich mich: Warum? Er sagt am Ende "Geh deinen Weg so weiter", was für mich irgendwie nicht so wirklich da reingepasst hat. Wenn sie sich ihn einbildet, warum braucht sie denn Validierung durch einen Geisteropi, den ihre Oma mal an der Backe hatte? Sie ist doch eigentlich eine starke Frau, die ihr Ding durchzieht und trotz der Tatsache, dass man sie dafür fast umgebracht hätte, weiter an Claire festhält, wozu dann der Geisteropi? Aber wenn er doch "real" war, warum kam er dann ausgerechnet jetzt? Wenn er der verstorbene Leierkastenmann, der eingangs erwähnt wurde, ist, dann ist er ja schon seit einem Jahr tot, warum also kommt er dann ausgerechnet jetzt zum Vorschein? Etwa, weil Janice jetzt als Geisterfotografin arbeitet und er sich so Hoffnung gemacht hat, sie zu erwischen, um ihr diese Botschaft mitzuteilen? Aber nein, das ergibt auch keinen Sinn, dann hätte er sie ja nicht mit Oma Nneka verwechselt.

      Das alles hat mich insgesamt sehr zum Grübeln gebracht, was an und für sich ja gut ist, aber ich bin zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen, es hat mich einfach mehr verwirrt als alles Andere.


      Assos

      Durch den gut durchdachten und genau an den richtigen Stellen modernen Stil konntest du die Assos wirklich sehr sehr gut und unauffällig platzieren.

      Einzig das Weißbrot fiel mir auf, und das Frauengold, denn das stach in dem sonst modernen Stil doch irgendwie hervor und es passte für mich irgendwie nicht zu Janice, sich so was zur Beruhigung reinzuziehen. :ugly:


      Beste Stelle: "Man sollte meinen, sie hätte damals genug Tod gesehen, aber hier stand sie nun und suchte nach Geistern."


      tl;dr: Stilistisch wundervoll, ein großartiger Anfang, der mich direkt in seinen Bann gezogen hat, aber leider ein Hauptteil + Schluss, die mich sehr verwirrt zurückgelassen haben.
      Edit: Was ich noch anmerken wollte: Was könnte es denn Spannenderes geben als eine Reportage über Kakadus?!... Aber die Asso war echt gut eingebracht! :)



      Das war's mit meiner Mittagspause. Rest wird asap nachgeliefert! <3

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Wons ()

    • Hui, bilde ich mir das ein oder sind wir diese Runde feedbackfreudiger als bei so manch anderer? Das ist gut belebt hier, freut mich!

      Danke schon für das bisherige Feedback und auch für die kritischeren Stimmen von euch! Ich geh mal auf ein paar Einzelheiten ein. :)



      kuronan schrieb:

      (Habe mich selber fast erschreckt als die Hand hindurch ging^^')
      Nice. xD Das sagt mir, dass meine Art, plötzliche Wendungen zu schreiben, sie auch durchaus plötzlich erscheinen lässt. Und btw: Selbst geguckt hab ich SU nie, ich bekomme nur viel von meinem Partner mit, weil er die Serie LIEBT. Ich liebe die Tatsache, wieviel bunte Figuren (sowohl im Wortsinne als auch charakterlich) die Serie hat, kann sie aber leider nicht selbst schauen, weil irgendwas am Artstyle oder den Animationen mir auf die Augen geht und mir dann schlecht wird. :/

      (Aber hey, ich kenn das Finale der Serie. xD)


      Hyrule Historia schrieb:

      Gefühlt schneidest du etwas zuviele Themenkreise an
      Aye. Du hast mein Hauptproblem beim Schreiben sehr gut zusammengefasst. Ich hab immer gefühlt 100 Themen, die ich in meine Geschichten einbauen möchte; da spielt es keine Rolle, ob es sich um eine Short Story oder einen Roman handelt – ich drifte ab. Fokus who? Kann man das essen? :D

      Hyrule Historia schrieb:

      nach erneuter Lektüre aller Stories ging meine dritte Stimme dann an "Geister"
      Danke. <3



      Wons schrieb:

      Was mich dann etwas rausgerissen hat, war diese ganze Geschichte mit Madam Koi Koi, das fand ich irgendwie total random und hat für mich nicht wirklich reingepasst, oder hab ich irgendwas überlesen oder nicht verstanden? Ich weiß nicht so genau.
      Das war im Grunde nur nochmal Betonung des Themas "Wort = Macht" und wo dieser Gedanke überhaupt herkommt – denn diese Story, auch wenn die Kids an besagtem Internat wissen, dass es nur ne Gruselgeschichte ist, verbreitet sich, ähnlich wie andere urban legends, ja einfach weiter. Und es war zusätzlicher familiärer Hintergrund: Nneka ist in Nigerien groß geworden. Janice schon nicht mehr, aber sie ist dank ihrer Oma halt auch nicht völlig von Black culture entwurzelt (wo vieles mündlich überliefert wird und deshalb aber nicht weniger Wert hat, wenn nicht gar im Gegenteil - wir haben unser "Wort = Zauberwort = Macht" in Europa nur vergessen).

      Ist tatsächlich eher eine meiner Lieblingspassagen in der Story, unter anderem weil sowas halt auch einfach Recherche erfordert. xD Charakterisierung NUR immer einem Zweck zuzuführen, finde ich zudem oft statisch (Stichwort Balance). Aber da gehen die Wahrnehmungen natürlich auseinander und bzgl. einer kurzen Geschichte wie dieser hier hätte das natürlich klarer/zweckdienlicher sein können. ^^

      Wons schrieb:

      warum braucht sie denn Validierung durch einen Geisteropi, den ihre Oma mal an der Backe hatte?
      Guter Punkt; es ging weniger um den Geisteropi (xD) als mehr um den Einfluss ihrer Oma auf denselben und darüber indirekt auch auf Janice, die nicht mehr so die Gelegenheit hatte, sich neben ihrem Studium und anderem Stress mit Nneka viel über ihre Probleme zu unterhalten. Das war innerhalb der Story natürlich, ähnlich wie das "längst tot", nicht klar definiert, stimmt leider. :whistling:

      Wons schrieb:

      Was ich noch anmerken wollte: Was könnte es denn Spannenderes geben als eine Reportage über Kakadus?!
      Ähm, äh. Guck mal, ein Stein! *drunterschlüpf*

      "Heirs of Miraika"
      Fantasy, Steampunk, LGBT+

      "Dreaming of Dawn"
      Fantasy, Psychological, Depression