BFS5 Stories und Abstimmung

    • Wettbewerb

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    • BFS5 Stories und Abstimmung

      Welche Story verdient den Sieg? 9
      1.  
        Licht und Schatten von Aussie (2) 22%
      2.  
        Leichen im Keller von pondo (2) 22%
      3.  
        Bitte, bitte: Oder: Manchmal ist die Realität auch nur ein Albtraum von Wons (2) 22%
      4.  
        Bushaltestelle von Viatori (2) 22%
      5.  
        Was sich gegen Mitternacht zutrug: Nach einer wahren Geschichte von Heyday (1) 11%
      6.  
        Puls von Bereth (0) 0%
      7.  
        Erna von CAMIR (0) 0%
      8.  
        Story von kuronan (0) 0%
      9.  
        Story von TheMadZocker (0) 0%
      Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer... (CAMIR speaking here!), ich habe eine Möglichkeit gefunden, den Thread zu kopieren, sodass der Anfangspost immer noch von Shad ist, sodass dieser auch nach Herzenslust editieren kann.

      Hier kommen schon einmal die Stories, die ich bisher erhalten habe. (Alphabetisch geordnet!) Leider lässt eine Zeichenbegrenzung der Beiträge nicht zu, dass ich alle in diesen Beitrag kopiere, also habe ich pro Beitrag einen Post. Das ist ein wenig ärgerlich, speziell, wenn jetzt noch Leute dazukommen und das Alphabet durcheinandergerät, aber es lässt sich wohl nicht ändern.
      Es kommen auf jeden Fall noch Stories, deswegen gibt es noch keine Abstimmung.

      CAMIR Ende!

      Edit 20.09.: Jetzt gibt es von den bisher bei mir eingegangen Stories das PDF. Einmal in einheitlichem Layout ("BFS 2016") und einmal im Originallayout der Einsendung, stellenweise auch mit Markierung der Assos ("BFS 2016 Originalformatierungen"). Da könnt ihr wählen, was euch mehr entgegenkommt. Happy Reading!


      Aussie

      Licht und Schatten



      „Wir leben in einer Welt, in der Traum und Wirklichkeit nah bei einander liegen, in der Tatsachen oft wie Fantasiegebilde erscheinen, die wir uns nicht erklären können. Konnten Sie heute Wahrheit und Lüge unterscheiden? Öffnen Sie Ihren Geist dem Unglaublichen und schauen sie auch nächstes mal wieder hinter die Fassade von Licht und Schatten. Ihr Jonathan Flakes.“

      Jonathan Flakes wirkte sichtlich zufrieden mit sich und der Welt. Auch heute hatte er es wieder einmal geschafft das hinterwäldlerische Sonntagvormittagspublikum nach Strich und Faden zu verarschen. Wie irgendjemand wirklich auch nur im Entferntesten daran glauben konnte, dass irgendeine dieser schlecht geschriebenen Geschichten wahr sein konnte erstaunte ihn tagtäglich auf Neuste. Man nehme irgendeine Crackhure die dem goldenen Schuss nahe war, höre sich eine ihrer paranoiden Geistergeschichten aus ihrem letzten (oder war es der vorletzte?) Trip an und packe es unter die Fraktion „wahr“ von Geschichten, die so, oder so ähnlich einmal auf dem heiligen Boden der USA geschehen sein sollen. Schlussendlich verkörperten untalentierte Schauspieler die Visionen der kein-Penny-an-der-Produktion-beteiligten Crackhure und fertig war ein durchaus schreckliches Vormittagsprogramm für gelangweilte Kiddies und Südstaatler, die einen weiteren Grund hatten der Waffenlobby tatkräftig unter die Arme zu greifen.
      Jonathan Flakes schüttelte den Kopf. Das Alles in Kombination mit dem melancholisch wirkenden Licht des eigentlich in Dunkelheit gehüllten Studios verursachte bei ihm eine stark anmutende Migräne. So glaubte es Jonathan Flakes jedenfalls. Was Jonathan Flakes brauchte war eine Erholung von all der Torheit seines Umfeldes. Es war als ob eine fremde Macht es so wollte! Ein Urlaub würde seine gekränkten Sinne wieder neues Leben einhauchen und ihn vor dem drohenden Existenzverlust bewahren, so Jonathan Flakes fabulöser Gedanke. Jonathan Flakes wirkte wieder sichtlich zufrieden mit sich und der Welt.

      Eine lange Woche später war es schlussendlich soweit. Mit Frau und Tochter im Gepäck befand sich Jonathan Flakes über dem Atlantik, das Ziel fest im Blick. Seine Tochter Jordan redete den ganzen Flug über nicht ein Wort mit ihm, was ihm durchaus zu Gute kam. So hatte er einen Vorgeschmack auf die Ruhe die ihn in den Bergen der Schweiz erwartete. Viel zu sehr war sie in ihre Bücher vertieft die mit tiefsinnigen Titeln wie „Leap of Faith“ oder „Under the surface“ daherkamen. Gewiss ein Liebes-Vampir-Roman, wie es siebzehnjährige Teenager nun einmal lesen (und somit dem Kulturgenre endgültig den letzten Funken Ehre nehmen), aber weit gefehlt! Bei genaueren hinschauen handelte es sich um eine Zombieapokalypse in der modernen Neuzeit. Welch passende Lektüre für ein Mädchen, dass es bevorzugte laute Schreimusik zu hören und sich alle 25 Tage die Haare lila zu färben. Solange sie ihn in der Öffentlichkeit nicht blamierte sollte es Jonathan Flakes recht sein.

      Vom Flughafen Bern war es kein weiter Weg mehr bis zum sogenannten Schrattenfluh, ein Name der den Zuschauern seiner hirnrissigen Sendung wahrscheinlich einen Schauer über den Rücken kehren lassen würde. Jonathan Flakes war nicht so. Er erkannte die Schönheit hinter diesen ganz und gar einzigartigen Felsformationen, Schluchten und Abgründen und ja, er war sichtlich zufrieden mit sich und der Welt. Wie er die majestätische Klippe in der Nähe so betrachtete fühlte er sich auf seltsame Art und Weise sehr willkommen, denn auch er fühlte sich manchmal wie eine Klippe – wachend, wissend, jemand zu dem die Leute aufschauten. Es versprach ein guter Urlaub zu werden!

      Das Hotel war für seine Bedürfnisse zwar angemessen, wirkte jedoch ein wenig, nun, einfach für ein Fünf-Sterne-Hotel. Es wurde ihm von einen Freund empfohlen: „Das Hotel und die Umgebung werden dir gut tun! Du wirst zu dir selbst kommen und niemals wieder derselbe sein wie zuvor.“ Ein wenig hochtrabend, aber überzeugend. „Willkommen im Hotel Johannisberg. Sie müssen Jonathan Flakes sein, wir haben sie bereits erwartet.“ Ach ja? Jonathan Flakes schaute sichtlich überrascht. Anscheinend war die Sendung die er moderierte über die Grenzen der USA beliebt, wie sonst konnte diese Vorhersage erklärt werden? „Sie sind unser letzter Gast für heute. Ihr warmes Zimmer wartet schon auf sie.“ „Dankeschön.“ Er nahm den nicht-elektronischen Schlüssel nur ungern entgegen. Das Englisch der Empfangsdame, sofern man sie noch Dame nennen konnte, war untragbar. Was auch immer das für eine Variante des Deutschen war, es war eine Zumutung. Und dieses Anlitz – von Weiblichkeit und schlankem Schönheitsideal konnte da kaum die Rede sein. Er würde sich später darüber beschweren.
      Tochter und Ehefrau verschwanden plötzlich, sie stritten wohl über – nun, er wusste nicht worüber sie stritten, aber das war auch egal. Jonathan Flakes seufzte. Diese Frauen störten seinen verdienten Urlaub bereits bei der Ankunft. Genervt drehte er sich zur Empfangsdame um: „Gibt es hier einen Sauna- und Pool Bereich? Ich brauche jetzt dringend Entspannung, am liebsten ohne viel Licht, sie wissen schon, meine Migräne.“
      Das Licht dämmte sich von der einen auf die andere Sekunde, die Musik verstummte und eine frostiger Wind wehte durch den Empfangssaal. Die Empfangsdame schaute ihn plötzlich mit einem wölfischen Grinsen an. „Licht und Schatten liegen oft nahe beieinander, nicht wahr, Jonathan Flakes? Ich bin gespannt, ob sie ihren Geist für das Kommende öffnen werden, um Wahrheit von Fiktion unterscheiden zu können. Was wird das Schicksal für sie bereithalten?“ Mit einem hinterhältigen Grinsen drehte sie sich um und lies ihn verdutzt zurück. Was sollte das bitte? Das war doch unerhört? Er rückte seinen Kragen zurecht und schaute sich hilfesuchend nach seinen Liebsten um, doch bis auf den an der Wand hängenden Wolfsschädel war nichts und niemand zu sehen. Er schnappte sich seinen Koffer und eilte im Schnellschritt den Gang entlang. So eine Unverschämtheit! Das würde der fetten Schabracke schon noch teuer zu stehen kommen, so wahr er Jonathan Flakes hieß! Welches Zimmer hatte er überhaupt? 223! Aufzug kaputt? Dann halt das Treppenhaus. Die Treppen knackten lauter als seine Hüfte, aber er wollte einfach nur so schnell wie möglich in sein warmes Bettchen. Stürmisch eilte er durch den kaum beleuchtenden Gang. Licht und Schatten liegen oft nahe beieinander, nicht wahr, Jonathan Flakes? Er musste diese Frau aus seinen Gedanken bekommen. 223, da war es ja. Mit einem erlösenden Knacken öffnete sich die Tür zum wohligen Zimmer, in dem auch schon Tochter und Frau warteten. „Da bist du ja, wir haben schon ewig auf dich gewartet.“ Na das erstaunte ihn nun aber doch. War er nicht nur eine Sekunde später als sie losgegangen? Oder war es nur Einbildung gewesen? „Ist doch egal, ich bin ja jetzt hier.“ Mit einem lauten Rumms knallte sein Koffer auf den Boden und er ließ sich auf das himmlische Bett fallen. Er wurde langsam zu alt für so einen Scheiß!

      Nach wirschen Träumen wirkte das himmlisch duftende Frühstück nahezu göttlich. Anmessend für ihn, Jonathan Flakes, aber ein wenig zu dick aufgetragen, wenn man ihn fragte. Wie auch immer, es machte den gestrigen Aussetzer schnell zunichte.
      Wo waren seine Stammbaumfüller denn schon wieder? Ah ja, am anderen Ende natürlich, die lila Haare hätte er doch gleich erkennen sollen. „Guten Morgen meine Lieben. Hast du gut geschlafen, mein Schatz?“ Seine Tochter schaute für den Moment einer Sekunde in seine Augen, verfiel jedoch schnell wieder ihrem postapokalyptischen Roman. Wofür bezahlte er ihr noch gleich diesen Riesenbatzen Taschengeld? „Gut. Mir kam der Traum nur irgendwie… so real vor.“ Seine Tochter wirkte so nachdenklich, das kannte er gar nicht von ihr. Jonathan Flakes musste schmunzeln. Bei einer derartigen Steilvorlage konnte er einfach nicht anders. „Kann der Traum – etwas so Unfassbares – tatsächlich in der dieser Form passiert sein? …Ja, so, oder so ähnlich, soll er sich gestern Nacht zugetragen haben!“ Der Todesblick seiner Tochter gab ihm ein gewisses Gefühl von Zufriedenheit. „Halt einfach die Fresse Dad. Das kann echt nicht wahr sein.“ Mit einem süffisanten Grinsen brachte er seinen Oberkörper weiter in ihre Richtung. „Wahrheit und Realität sind nicht immer im Einklang mit unserem Verstand. Ist es ihnen heute gelungen das Licht im Schatten zu erkennen… Oder hat unser Praktikant sie mit unserer Geschichte hinters Licht geführt?“
      Mit einer kontrollierten Handbewegung brachte seine Tochter ihre Kaffeetasse zu Fall, sodass der wohltuende Inhalt sich erst auf den Tisch verteilte und die Tasse anschließend wie die Zukunft Afrikas in tausende Scherben zerbrach. Seit wann trank Jordan denn überhaupt Kaffee?
      Schnell war sie verschwunden. Hinter ihrer Sonnenbrille konnte er sehen wie seine Frau die Augen verdrehte und wenig später genervt aufstöhnte. Er erbarmte sich. „Na gut, ich rede mit ihr.“ Jonathan Flakes war nicht begeistert. Möglicherweise hatte er es auf die Spitze getrieben, aber eine derartige Reaktion war übertrieben gewesen. Wie hatte Nietsche noch gesagt? „Wer seine Gedanken nicht aufs Eis zu legen versteht, soll sich nicht in die Hitze des Streits begeben.“ Ja! So, oder so ähnlich muss es gewesen sein.

      Außerhalb des angenehm warmen Hotels wehte ein unerwartet starker Wind. Ein Mann mit Spaten buddelte ein Loch, warum auch immer. Das tat man wohl so in der Schweiz? Sein widerwärtiges Grinsen konnte er sich jedenfalls sparen.
      Wo war also jetzt seine Tochter? Ah ja, das da hinten müsste sie sein, auch wenn er ihr Gesicht nicht erkennen konnte. Wer sonst hatte so dämliche lila Haare? Langsam drehte sie sich um und verschwand, ausgerechnet ins Gebirge, dieses Biest. Dieses Gebiet war kein offizielles Wandergebiet, wenn er sich nicht ganz irrte. Bei diesem Wetter musste sie ja wirklich schlimme Suizidgedanken haben, ach herrje. Er schüttelte den Kopf. „Erst wollen sie ein Puppenhaus, plötzlich ein Cabrio und dann deinen Verstand.“ Er hätte auf seinen Vater hören sollen…
      Schon kurze Zeit später konnte er das Hotel nicht mehr erblicken und er, Jonathan Flakes, befand sich im Niemandsland. Er überlegte für den Hauch einer Sekunde umzudrehen, aber seine Frau würde wütend, sehr wütend werden. Da spielte er doch lieber ein wenig Heldentum und suchte weiter nach Jordan. Das Wetter indes verschlimmerte sich offensichtlich von Sekunde zu Sekunde. Wie war das möglich? Eigentlich wäre diese Gegend perfekt um endlich einmal Base-Jumping auszuprobieren, oder den nächsten Jodel-Champion zu ermitteln. So machten das die Schweizer wahrscheinlich. So allerdings war er froh, wenn er es lebend ins Hotel zurückschaffte.
      Der Wind wehte plötzlich wie verrückt und tobte nur so über und durch die Klippen des Schrattenfluh. Am Ende seines Sichtfeldes erkannte er Jordan, endlich! „Komm her Jordan, es tut mir leid. Ich kaufe dir auch etwas Schönes wenn wir wieder zu Hause sind.“ Und sie drehte sich nicht zu ihm um. Natürlich nicht.
      Er erkämpfte sich einen Weg durch das unbeständige Gelände. Erst jetzt erkannte er, dass er nur einen Vorwärtsschritt weiter hätte machen müssen, um einen nicht ganz untiefen Abgrund abzustürzen. Plötzlich bekam er es mit der Angst zu tun. „Jordan, du kommst jetzt sofort hierhin!“ Doch sie kam nicht. Der nächste Moment erschien ihm schlicht endlos, bevor sich Jordan schlussendlich doch ganz langsam umdrehte… Doch das was ihn anschaute war nicht seine Tochter.
      Vor Schreck schrie er auf und machte einen Schritt zur Seite, sodass er ohne Schutz in die Spalte fiel. Alles war ihm im Moment lieber als zurückstarren.
      Er schrie auf. Ein Fall aus vier Metern war dies mindestens gewesen und nun… Er konnte seine Beine nicht mehr spüren! Panik mischte sich in den horrenden Schmerz. Nein, nein, nein! Das konnte und durfte ihm nicht passieren!
      Aber... Wo war dieses Monster das sich als seine Tochter ausgab? Er, Jonathan Flakes, würde der Gefahr ins Auge sehen, so wahr er Jona-
      „Ich bin hier Jonathan Flakes.“ Da war sie. Hinter der Ecke musste das Vieh stehen. Wie sie für das was sie ihm angetan hatte büßen würde! Er robbte sich nach vorne. Jede Bewegung ein stechender Schmerz, wenn auch nicht in seinen Beinen. „Wo steckst du Arschloch?“ Er konnte seine Wut kaum verbergen. Dieses Untier würde er umbringen, oh ja! „Schau ins Wasser.“ Die einzige Antwort, die er von irgendwoher bekam. Vor ihm: Ein kleiner Tümpel. Hatte er eine andere Wahl. Wohl kaum er konnte ja nicht weg. Noch nicht einmal ein Seil hatte er um wenigstens den Versuch einer Flucht zu versuchen. „Also gut, was soll der Scheiß!“, schrie er und schaute sein trübes Spiegelbild in der Pfütze an. Nichts. Nur ein wütender Mann dem der Kaffee umgeschüttet wurde und deswegen in eine Schlucht gefallen war. Doch dann plötzlich wieder diese Stimme. Erst jetzt erkannte er, dass es die Stimme der fetten Rezeptionistin war. Dieses Miststück!
      „Jonathan Flakes.“, hallte es durch den Felsspalt in dem er sich befand. „Habgier, Arroganz, Übermut… Die Liste deiner Fehler ist immens. Deine Liebsten ignorierst du, deine Umwelt missachtest du.“ „Jaja, komm aufn Punkt!“ Ein Moment der Stille, ehe die Stimme weitersprach. „Dies ist die Quelle der Wahrheit. Bist du fähig Illusion und Realität zu definieren? Schau in dein Spiegelbild und entscheide dich. Du hast großes Potenzial, doch verschwendest es an dein endloses Ego. Schau in dein Spiegelbild und entscheide dich. Wir waschen dich rein und geben dir eine zweite Chance. Schau in dein Spiegelbild und entscheide dich.“
      Stille.
      Er schnaufte vor Wut ehe eine Weile verging und er sich beruhigte. Langsam starrte er auf sein Spiegelbild. Klein und winzig kam er sich vor. Was war nur aus ihm geworden? Hatte die Fette am Ende doch recht? Er dachte nach…

      „Ich habe meine Entscheidung getroffen. Du hast recht, ich verschwende mein Potenzial an mein Ego.“ Er schüttelte beinahe fassungslos den Kopf. „Deswegen habe ich mich entschieden… Ich will, dass du fette Planschkuh heute Nacht mein Sexsklave wirst und dann elendig verreckst!“
      Eine dürre, verweste Hand schoss aus dem Wasser und zog ihn in die endlosen Tiefen des Schrattenfluhs.

      ……………………..

      Wie steht es mit dieser Geschichte? Konnten sie Fakt von Fiktion unterscheiden?
      Ist dem Mann in der Geschichte sein Übermut über den Kopf gewachsen? Oder ist er ihm nur zu Kopf gestiegen und das Alles war nur ein Produkt seiner Fantasie? Wie lässt sich dann erklären, dass die Leiche des Moderators nie gefunden wurde, obwohl tagelang nach ihm gesucht wurde?
      Ist hier eine übernatürliche Macht am Werk?... Oder wollte sich der Autor dieser Geschichte lediglich einen Spaß mit ihnen erlauben?
      Ihr Jonathan Flakes
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      Dieser Beitrag wurde bereits 5 mal editiert, zuletzt von CAMIR ()

    • Bereth


      Puls

      Der Ablauf im Krankenhaus war grundsätzlich immer derselbe, von der Notaufnahme bis zur Geriatrie: Menschen wurden eingeliefert, behandelt, sie verschwanden wieder – unabhängig davon, ob sie entlassen wurden oder an einem Herzinfarkt starben, sie hinterließen die Betten leer.

      Heute, heute gab es hier keine leeren Betten. Dafür zu wenige.

      Schreie, Weinen auf den Gängen, der Schweiß roch nach Angst und Verzweiflung. Dazwischen: Flüstern, ein Wispern nur unter den Krankenschwestern und Pflegern. „Ein Blutbad... So sinnlos...“

      Claire stand abseits inmitten der Angehörigen. Eltern, von denen viele bis vor wenigen Stunden nicht einmal gewusst hatten, wie ihr eigenes Kind tickte, für die Diskussionen über Homosexualität stets nur reine Theorie gewesen waren – bis heute.

      Heute war all das plötzlich Realität geworden. Und die Realität hielt keine Regenbogen bereit.

      Sie hätte nie geglaubt, dass es noch so hart sein könnte, die 70er Jahre lagen lange zurück, sie hatten das Schlimmste hinter sich gebracht, der Hass war doch kaum mehr spürbar gewesen – doch vielleicht hatte das auch nur für Weiße innerhalb der Community gegolten. Oder für Kinder wie sie, die das Glück hatten, ihrer Familie egal genug zu sein, dass sie nicht herausgeworfen wurden nach ihrem Coming-Out. Doch dass Menschen derart viel Energie aufwandten, um Leute wie sie zu verletzen, zu töten. Leute wie Janice...

      Ihr Blick fiel durch die Scheibe ins nächste Zimmer, blieb dort hängen, wo das Blut Janice' Gesicht unkenntlich machte —

      Zu Gast, nein, die Hauptdarstellerin in der neuesten Sendung im Trash-TV. „Heute schon krepiert?“, ruft der Moderator unter tosendem Applaus aller Angehörigen und Patienten vom Kameraraum aus in die Lautsprecheranlage. Die Lichter auf den Gängen flackern, jedes Gesicht ein monströses Grinsen, beim siebten Flackern bleibt das Licht für drei Sekunden aus, Claire starrt ins Dunkle und weiß, sie ist vom Trash-TV ins Horrorgenre gestolpert – es blitzt wieder auf, mitten im Gang steht Frank Sinatra, der alte, mit weißem Haar und faltigem Grinsen. Claire schießt das Blut in die Wangen, The Voice höchstpersönlich! Um ihn her haben sich die Familien und Freunde und alle Opfer, denen nur das Gesicht weggeschossen wurde, versammelt, und tanzen einen Jive, während Sinatra eine moderne Version seines Klassikers singt: „New York, New Yoooork!“, schallt es über die Köpfe hinweg, die nun alle eine Maske aus Scary Movie tragen, während Franky Boys Gesichtshaut abblättert...

      Grelle Pfeiftöne kamen aus dem Raum vor ihr.

      Die Schwestern und Ärzte sprangen an Janice' Seite. Einer pumpte ihr ein Mittel in die Ader, dessen Name Claire noch nie gehört hatte. Kein Blut verunstaltete mehr Janice' schönes braunes Gesicht, doch das reine Leben, sonst so pulsierend, strahlte sie nicht mehr aus, stattdessen lag eine Blässe auf ihren Zügen, die Claire erzittern ließ. Sie wollte zurücktreten, als eine Ärztin rief: „Kein Sinus!“, stolperte nur, den Blick auf die Anzeige neben Janice' Bett geheftet. Aus vielen Tönen wurde ein langgezogener. Keine Herzfrequenz.

      Herzfrequenz, Frequenz, Hertz – heh. Janice schraubt mal wieder an einem ihrer Geräte herum und macht Claire mit dem monotonen Pfeifen von knapp 15.000 Hz wahnsinnig, sollte sie an ihrem Uniprojekt nicht lieber arbeiten, statt blöd an der Frequenz herumzuspielen, nur um sie zu ärgern? Und überhaupt, wie kann man freiwillig Physik studieren? Einen dummen Witz darüber, dass das doch wohl eher was für Kerle wäre, spart Claire sich aber, immerhin hat Janice erst ein gesundes Selbstbewusstsein als Frau aufgebaut mithilfe der Hormontherapie – und, gut, mit etwas, na ja viel Liebe von ihrer Seite aus.

      Sie liegen nebeneinander auf dem Rasen, Hand in Hand. Claires Blick fliegt zu Janice' Armen, es ist noch nicht lange her, dass die letzten Wunden verheilt sind. Die Narben sind noch gut zu erkennen, ein Schrei nach Aufmerksamkeit, den Claire Gott sei Dank gehört hat. Keiner sollte so weit getrieben werden, mit dem Ritzen anzufangen. Claire rollt sich zu Janice hinüber, um sie einen Moment einfach anschmachten zu können, und küsst ihren Unterarm, sie ist genau da, wo sie hingehört. Sie ist genau da —

      Nach der Attacke hatte sie noch versucht, Erste Hilfe zu leisten, nun machte das monotone Pfeifen ihr deutlich, wie machtlos Claire war, die mittlerweile zur Eissäule erstarrt war. Keine Verrücktheiten konnten sie mehr ablenken; wenn sie sich nun Sinatra neben sich vorstellte, summte er nur ein sonores „I did it my way“ links von ihr, während sich rechts eine saubere und in Feierklamotte geworfene Janice zu ihr gesellte. Claire machte große Augen bei dieser Geisterscheinung, riss sich so aber endlich los vom Anblick der Ärzte und Maschinen. Das Pfeifen verschwand, der Geruch von Schweiß und Furcht in der Luft verpuffte mit ihrem ersten Atemzug, den sie mit Janice' Duft in der Nase tat, das Krankenhaus um sie her verblasste. Sie griff nach Janice' Hand.

      „Haben wir's geschafft?“, fragte Claire und Janice nickte nur. Sie hatten es geschafft.

      Kein Pfeifen mehr. Keine Angst. Ruhe.
    • CAMIR

      Erna von CAMIR



      „Erna!!“
      Odins erboster Ruf war durch ganz Walhalla zu hören. Seine Stimme war so laut, dass die Drachen an den steinernen Wänden wackelten und einer von ihnen sogar krachend zu Boden fiel. Odins getreues Ross Sleipnir, das außerhalb in den Ställen stand und genüsslich Hafer kaute, drehte sich einmal kurz gelangweilt um und fraß dann weiter. Er war derlei gewöhnt. Auch Erna war derlei gewöhnt. Sie war gerade mit ihren anderen Walkürenfreundinnen zusammengesessen und hatte sich über die neusten Entwicklungen ausgetauscht, als der gellende Schrei ertönte. Die Walküren hatten sich sofort angesehen und dann Erna angestarrt, die augenblicklich errötete.
      Erneut ertönte Odins Kriegsschrei: „ERNAAAA!“
      „Lauf!“ sagte Brynhildr mit ihrer tiefen Stimme, nahm betont langsam einen Zug aus ihrer Teetasse und rückte ihren Helm zurecht. Erna war sich sicher, eine Spur von Spott im Tonfall ihrer Kollegin vernommen zu haben. Die anderen Walküren kicherten.
      Erna seufzte und stand auf. Sie hatte es nicht besonders eilig, Odin zu begegnen, da sie ahnte, worauf das Ganze hinauslaufen würde – es wäre nicht das erste Mal. Während Walküren wie Brynhildr regelrechte Amazonen waren, wie man sie sich aus den Opern von Richard Wagner kannte, war Erna zierlich. Waren die anderen fulminant, war sie anmutig und hatten die anderen einen großen Busen so waren ihre Brüste eher klein zu nennen – kurz: sie war einfach keine richtige Walküre. Daran änderte auch das Tragen eines Speeres nichts mehr, den sie aus Dekorationsgründen mit sich herumschleppte. Dass er ein wenig beschädigt war und nur noch von einem porösen Seil zusammengehalten wurde, trug nicht dazu bei, ihre Erscheinung imposanter zu machen.
      Im Gehen sah sie sich noch einmal in der Runde um, aber die anderen schienen sie augenblicklich vergessen zu haben und hatten sich längst anderen Themen zugewandt.
      Lustlos ging sie die Stufen zu Odins Halle hinauf und grüßte abwesend die Krieger, die ihr entgegenkamen mit einem knappen Nicken. Vor den großen schweren Toren der Halle schloss sie einmal kurz die Augen, atmete tief durch und ging dann hinein.
      Odin saß auf seinem Thron und schien in irgendein Schriftstück vertieft zu sein, von dem er nicht einmal hochblickte, als sie sich näherte. Entweder er hatte sie nicht bemerkt, oder er wollte damit ein Zeichen setzen. Sie ließ den Speer absichtlich laut über den Boden klappern und räusperte sich kurz, als sie vor ihm stand. Dennoch ließ er sich viel Zeit, bis er zu ihr aufblickte und betont überfreundlich anfing zu reden:
      „Meine liebe Erna, du weißt bestimmt, warum ich dich hergerufen habe, oder?“
      Sie nahm ihren Helm ab und strich sich durch ihre kurzen, schwarzen Haare – die anderen Walküren hatten natürlich blonde Zöpfe.
      Sie zuckte die Achseln und erwiderte kleinlaut: „Um ehrlich zu sein, nein.“
      Es stimmte auch: sie ahnte, dass sie wieder irgendetwas falsch gemacht haben musste, aber sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, was es dieses Mal war.
      Ohne ein weiteres Wort zu sagen hielt Odin ihr das Schriftstück unter die Nase. Erna kniff die Augen zusammen um die germanischen Runen zu entziffern. Sie war ein wenig kurzsichtig, weigerte sich aber standhaft, eine Brille zu tragen, um nicht noch mehr aufzufallen. Es dauerte eine Weile, bis sie begriffen hatte. Es handelte sich um den Quartalsbericht. Feinsäuberlich war hier notiert, wie viele Krieger jede Walküre Walhalla zugeführt hatte für die Zeit wenn die Ragnarök über die Welt hereinbrachen und der letzte Kampf zwischen Gut und Böse ausgefochten wurde. Ernas Zahlen befanden sich im einstelligen Bereich.
      Sie wollte ansetzen, etwas zu ihrer Verteidigung zu sagen, aber Odins polternde Stimme kam ihr zuvor:
      „Ich habe schon so lange Geduld mit dir gehabt und es dir einfach machen wollen, indem ich dir Skandinavien und Island zugeteilt habe – unsere ursprünglichen Kerngebiete des guten germanischen Glaubens, aber selbst hier versagst du! Schau nur genau hin!“
      Er hielt ihr das Schriftstück schon nicht mehr unter die Nase, sondern schleuderte es ihr ins Gesicht.
      „Was soll ich denn tun?“ wandte sie schließlich verschüchtert ein, nachdem Odin seine Tirade beendet hatte. „In Skandinavien werden Kämpfe heutzutage lieber mit Yu-Gi-Oh- oder Pokémonkarten ausgetragen und niemand kommt mehr zu Schaden. Die Länder sind inzwischen einfach zu friedlich. Das ist doch nicht meine Schuld!“
      Odin schlug mit der Faust auf die Lehne brüllte: „Selbst Sigrdrífa, die für Russland zuständig ist, erzielt bessere Ergebnisse. Wenn jemand in der hintersten Walachei bei einem Pumaangriff stirbt, ist sie in der Lage, diese Person für unsere Zwecke zu rekrutieren. Und das,...“ Seine Stimme wurde noch lauter. „...obwohl man in Russland noch eher christlich ist und auf den Himmel spekuliert und der Puma aus einem Zoo entkam!“ Der letzte Punkt war besonders wichtig und erschwerte die Arbeit der Walküren auf der ganzen Welt: es kamen nur diejenigen als Krieger für Walhalla in Frage, die im ehrenhaftem Kampf fielen. So machten selbst Walküren, die den schlimmsten Kriegsgebieten der Welt zugeteilt waren wo der Payload von Hubschraubern statt Lebensmitteln Bomben enthielt, es vor Sturmgewehren und anderen Projektilwaffen nur so wimmelte und viele Menschen im Kampf ihr Leben ließen, nur vergleichsweise geringe Ausbeute. Die heutige Kriegsführung war einfach nicht mehr ehrenhaft und Zivilisten waren in Walhalla nicht zugelassen. Doch auch unter diesen erschwerten Bedingungen war Ernas Leistung unterirdisch, man konnte es nicht anders sagen.
      Sie kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum und blickte zu Boden.
      „Wenn deine Leistungen sich nicht signifikant verändern, bin ich gezwungen, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen und du weißt, was das bedeutet.“
      Erna nickte stumm. Entweder sie würde mit einem Schlafdorn in Tiefschlaf versetzt, bis jemand käme, sie zu befreien und zu heiraten oder Odin würde ihr ihre Walkürenkräfte entziehen, sodass sie als Mensch weiterleben müsste. Beides keine besonders angenehmen Aussichten.
      „Ich werde mein Bestes tun,“ murmelte sie kleinlaut.
      „Das hat in der Vergangenheit nicht genügt, meine Liebe. Dies ist deine letzte Chance.“
      „Ich verstehe.“
      Damit war die Audienz beendet.
      Niedergeschlagen schlurfte Erna zu ihrer Kammer. Dort wollte sie das Orakel befragen, wie es mit ihr weitergehen sollte, denn sie sah nicht, was sie an ihrer Situation ändern sollte, um Odins Zorn zu entgehen. Als sie an ihre Tür kam, sah sie, dass ihre Walkürenkolleginnen bereits aktiv gewesen waren. Ein riesiges Poster mit der Aufschrift „Wonder Woman“ und einer kruden Zeichnung von Erna war angebracht worden um sie noch weiter zu demütigen. Niedergeschlagen ließ sie sich auf ihr Bett sinken und ging ihre Optionen durch. Niemand hier schien sie wirklich zu mögen und sie fiel allen nur zur Last. Auf einmal schien die Aussicht, ein Mensch zu werden garnicht mehr so unattraktiv. Vielleicht würde sie dort endlich die Kontakte finden, die ihr hier verwehrt geblieben waren?
      Nachdem sie sich eine Weile gefangen hatte, ging sie an ihre Kiste um die Runensteinchen herauszuholen und das Orakel zu werfen.
      „Sag mir, was soll ich tun?“ flüsterte sie und warf die Steinchen in die Luft.
      Sie fielen mit einem klackernden Geräusch zu Boden und blieben liegen. Als Erna sie anblickte, wusste sie, was zu tun war.
    • Heyday


      Was sich gegen Mitternacht zutrug
      Nach einer wahren Geschichte

      Meine Güte!
      Nachdem ich letzte Nacht anscheinend falsch geschlafen habe, plagte ich mich schon den ganzen Tag mit Schulterschmerzen herum. Deshalb entschloss ich mich, diesen Samstag nicht zusammen mit einen Mitbewohnern zu verbringen, sondern schon früh ins Bett zu gehen. Halb zwölf war definitiv eine gute Zeit! Nachdem ich endlich eine geeignete Schlafposition gefunden hatte, nutze ich diese für ein bisschen autogenes Training.
      Als ich grade von "ich bin ganz ruhig" zu "ich bin ganz schwer" gewechselt hatte und mein Körper sich bereits wie schwerstes Gestein anfühlte, fiel mir ein leichtes kribbeln auf den linken Zehen auf. Ich dachte mir nichts dabei. Hielt es für phantomjucken oder eine Fliege, die sich auf meinem Fuß niedergelassen hatte. Ich bewegte die Zehen kurz und das Kribbeln verschwand. Ich dachte mir noch "toll, jetzt kann ich nochmal bei den Füßen anfangen" und war auch gleich wieder bei "mein linker Fuß ist ganz schwer". Doch da spürte ich das Kribbeln wieder!


      Diesmal zog sich das Kribbeln aber von meinem Knöchel den Oberschenkel hoch bis zu meinem Hüftgold. Die Alarmglocken läuteten. Innerhalb von Sekunden saß ich senkrecht im Bett, die Bettdecke zur Seite geworfen und die Hand zur Gefahrenstelle greifend.


      Ein gigantischer, länglicher schwarzer Käfer krabbelte blitzschnell in wilden Bewegungen, scheinbar ziellos über mein beiges Betttuch. Er sah dabei aus, als würde er Eislaufen. Noch bevor ich die Gelegenheit hatte ein Taschentuch zu ergreifen, um den Käfer an der Flucht zu hindern, war er zum Bettende gekrabbelt und unter meinem Bett verschwunden.


      Nach dem ersten Schock stellte ich mein Nachtlicht an. Ich entsann mich dem Geräusch eines fallenden Körpers auf meine Heizung, welches ich einige Zeit zuvor gehört hatte, dessen Ursprung ich aber seinerzeit weder herausfinden noch zuordnen konnte. Es musste der Käfer gewesen sein.


      Meiner pessimistischen Natur entsprechend, rechnete ich natürlich mit dem Schlimmsten!
      Eine Kakerlake! Das musste es gewesen sein! Das Smartphone war sogleich zur Stelle und lieferte mir die notwendigen Informationen. Ich musste schnell handeln um der möglichen Vermehrung des Ungetüms entgegen zu kommen. Eine erste Analyse von Bildern verschiedener Schaben-Arten brachte mich auf die orientalische Schabe. Laut Profil sollte sie nicht springen können, was sich mit meiner Beobachtung der Flucht des Übeltäters deckte.


      Aber was tun?
      Mit einer Schabe unterm Bett konnte ich unmöglich einen weiteren Schlaf-Versuch wagen. Zunächst inspizierte ich mein Bett genau. Unter Kissen und Decke war nichts zu finden. Die Elektrik des großen Zimmerlichts sollte meiner Suche zur Gute kommen. Ich schaute in sämtliche Ritzen in der Nähe meines Bettes, hob die Matratze, rüttelte an Textilien im ganzen Zimmer und schaute hinter Möbelstücke. Aber es war vergeblich...


      Mir blieb also nichts Anderes über, als mich gegen meinen Feind zu bewaffnen und zu warten, bis er erneut erschien. Ich verließ nun mein Zimmer und betrat das Wohnzimmer, wo unsere Zwischenmieterin in der Gesellschaft von Freunden und Familie eine Runde Pokémon Monopoly spielte. Ich hatte mich bewusst dem abendlichen Spiel entzogen, da Monopoly mit ihr stets ein wahres Ellenbogenwettstreitfotzen war. Sie selbst machte ein Praktikum bei einer großen Fluggesellschaft und hatte an diesem Wochenende Besuch von ihrer Schwester, deren Freund und einem befreundeten Pärchen. Ihre Schwester arbeitete als Ordinationskraft in einer Praxis für Schönheitschirurgie. Ihr Freund war Handwerker im Sanitärbereich. Die Freunde waren beides Studenten, stellten sich aber für mich als eher langweilige Erscheinungen heraus. Hilflos lehnte ich mich an die Couch und berichtete kurz die Tatsachen. Nach einer kurzen Schweigesekunde rappelte ich mich auf. Die Gesellschaft machte keine Anstalten mir in meiner verzweifelten Lage zu helfen. Ich musste mich dem Unbekannten wohl selbst stellen… "Ich hol' mir jetzt ein Glas. Mehr kann ich nicht machen."


      Gesagt, getan. Nach kurzer Zeit hatte ich das größte Glas herbeigeschafft und mir ein Blatt Papier zur Verstärkung mitgenommen. Ich betrat mein Zimmer erneut, schloss die Türe und setzte mich in die Mitte meines Bettes. Dies sollte mein Observatorium sein, von dem aus ich jegliche Aktivität in meinem Zimmer beobachten würde. Wenn es sein musste auch die ganze Nacht lang! Nach kurzer Zeit wurde ich von einem seltsamen Brummen überrascht. Fern oben an der Decke meiner Altbauwände, fast wie vor einem Sternenhimmel, sah ich einen schwarzen Käfer fliegen. War das der Übeltäter? Hatte ich mich getäuscht? Egal mit wem ich es hier zu tun hatte, ich musste ihn einfangen.


      Zunächst hatte ich wenig Zuversicht. Trotz meiner hochgewachsenen Statur war ich nicht in der Lage das Geschöpf zu erreichen. Es setzte sich an die Decke. Während ich versuchte, meinen Blick nicht zu lange von meinem Ziel abzuwenden, versuchte ich ein geeignetes Objekt zu finden, mit dem ich den Käfer dazu animieren konnte, sich erneut zu bewegen und hoffentlich gen Boden zu fliegen. Kein Besenstiel, kein langes Objekt konnte ich in meinem Zimmer finden. Da wurde ich auf meine Cyberschrott-Kiste aufmerksam. Wieso nicht ein Kabel verwenden? Wie ein Seil konnte ich es in die Höhe schnellen lassen und damit das Ungetüm aufscheuchen. Ich schnappte mir ein Kabel und führte meinen Plan aus. Er funktionierte! Es flog wild umher, kam nun aber langsam gen Boden. Mit einem Schwenk meines Glases versuchte ich es einzufangen, aber es misslang mir. Dann setze sich der Käfer auf mein Kissen. In Windeseile hatte ich mein Glas über ihn gestülpt und nach kurzem hantieren auf der unebenen Fläche auch endlich das Papier untergeschoben.


      Der Käfer war gefangen! Triumphierend verließ ich mein Zimmer abermals, um den Menschen im Wohnzimmer meinen Erfolg zu zeigen. Wie ein Kristall glänzte das Glas im Licht der Wohnzimmerlampe. Im Inneren verbarg es einen kleinen schwarzen Punkt. Der Käfer war etwa fünf Zentimeter lang, also rund die Hälfte von dem, was ich anfänglich geschätzt hatte. Vorne hatte er zwei kleine Scheren, die sich wie Sicheln auf einem erntebereiten Feld bewegten. Ich entschloss mich, den Käfer am entferntesten Ort ins Exil zu schicken. Ich verließ die Wohnung, und entleerte das Glas am offenen Hausflur-Fenster.


      Nach der Aufregung war es mir unmöglich sofort wieder Ruhe zu finden, weshalb ich mich dieser Aufzeichnung meines Abenteuers widmete. In meinen Erinnerungen sehe ich noch lebhaft, wenn auch ein wenig verwackelt, wie das gigantische Insekt über mein Bett krabbelte. Ich frage mich, ob ich wirklich das Richtige gefangen habe. Den Umständen her, würde es Sinn machen. Auch das krabbeln auf meinem Bein hätte nicht von den einem größeren Insekt herrühren können.


      Monopoly wurde soeben beendet. Meine Schulter strahlt wieder unerträgliche Schmerzen aus. Ich hoffe inständig, dass heute Nacht nicht doch noch einmal ein Käfer in meinem Bett erscheint...
    • kuronan

      "Aufstehen!", hallte es durch die Wohnung, Florian war aufgedreht und möchte dieses Gefühl mit seinen zwei Mitbewohnern, Karl und Simon teilen. Keine Antwort, doch er ist überzeugt, dass sie bereits aufwachten, "Heute ist unser Turniermatch und wir haben noch viel zu tun! Also angetreten, sonst schütt ich Abwasser in euer Bett!", rief er weiter. Karl trat sogar an, "Das warst du?! Ich dachte ich hätte ein Bettnässerproblem, Mistkerl!", beschwerte er sich. Simon erklärte von seinem Bett aus, "Ne, das war ich, aber Florian merkt sich halt gute Tricks!". "Gute Tricks nennst du das?", ergriff Karl wieder das Wort, "Weißt du wie peinlich es war als meine Ma meine Wäsche durchging und fragte was das für ein nasser, stinkender Fleck in meinen Bettsachen ist?!". Florian ging
      dazwischen, "Wir haben keine Zeit uns zu fetzen, wir müssen los! Karl, zieh dir was anständiges an, wir müssen Lawliet und Chrissie abholen, und Simon, wenn du deinen Hintern nicht in Bewegung setzt, hau ich dir so eine runter, du singst den ganzen Tag Sankt Martin, so viele Sterne wirst du sehen!". Karl ging wieder in sein Zimmer, sich anziehen, Simon hingegen war genervt, "Was machst du überhaupt einen auf Narrenkönig, ist doch nur ein Spiel.", merkte er an. Florian in seiner arroganten Zuversicht antwortete, "Eben, ich bin der König, also steh auf, Sklave, du gehst heute mit dem Hund, während wir den Rest von uns sammeln. Oder lass sie in dein Bett kacken, deine Entscheidung.".
      "Wir können los, ich muss aber vorher noch tanken.", sagte Karl während er rausging und Florian folgte ihm natürlich,
      "Gerade heute musst du tanken, du bist so ein Lappen!".
      Karl unbeeindruckt antwortete, "Sagte die Nullpe, die keinen Führerschein hat und sich deshalb von mir rumfahren lassen muss. Heute zahlst du für das tanken.",
      "Jaja, fahr einfach", antwortete Florian kleinlaut.
      Angekommen bei Lawliet und Chrissie klingeln sie, kurz später ging auch schon die Tür auf,
      "Hiho!... Was machst du denn für ein Gesicht? Ich dachte dass du dich an Turniertagen immer
      freust.", es war Chrissie und sie war bester Laune,
      Florian wollte es ihr zu gerne erklären, "Diese Assialkitankstellenbratze hat Wucherpreise für den Sprit verlangt, das ist einfach nur krank!".
      Karl übersetzte, "Er war zu blöd um exakt 15 € zu tanken und hat wegen den einen Cent, den er drüber war, mit dem Kassierer gefeilscht und verloren.".
      Chrissie fing an zu lachen, "Du bist so ein Lappen, immer das neueste Skinpack kaufen aber dann wegen eines Cents feilschen.",
      ihre Laune wurde sichtlich besser.
      "Ist Lawliet auch bereit?", fragte Florian.
      Chrissie antwortete, "Der alte Miesepeter hat doch schon seit Monaten keine Lust mehr auf das Spiel. Er muss ja nicht dabei sein, ich logge mich für ihn ein und dann regeln wir es 5 gegen 6, was soll's.".
      Florians Laune wurde nicht besser, "Ich toleriere AFK-Farmer nicht, hol euer Seil, wir zwingen ihn!".
      Chrissie blickte verwirrt, "Was für ein Seil?".
      Florian erklärte, "Ihr habt doch 100 prozentig ein Seil, denkst du, ich kenn mich mit Beziehungen nicht aus?".
      Karl meldete sich zu Wort, "Nun diese Frage hat sich scheinbar erübrigt. Ich füll eine Flasche mit ein wenig Benzin, das wird ihn schon überzeugen.".
      Florians Laune hob sich, "Gut ich suche einen Lappen!" und ging in die Wohnung.
      Chrissie eilte zu Lawliet und bettelte ihn an schnell doch mitzukommen, bei ihr wird er immer schwach, der einzige Grund wieso er überhaupt noch in der Truppe ist.
      "Also gut, dann komme ich eben mit...", verkündete Lawliet und ging raus, an der Türschwelle angekommen, stürmen Karl und Florian von zwei Richtungen auf ihn zu, einer mit einer Glasflasche die nach Benzin stank und der andere mit dem Wischlappen aus Lawliets eigenem Badezimmer,
      "Bitte sagt mir, dass ihr dachtet, dass ich durstig bin und ihr einfach viel zu blöd seid um einen anderen Cocktail zu mischen als den Molotov.", sagte er ruhig.
      Florian wollte anfangen zu reden "Also-",
      Lawliet unterbrach ihn, "Halt die verdammte Schnauze und gib mir meinen Wischlappen du Hackfresse!", er riss den Lappen aus Florians Händen und lag ihn neben die Schlüsselschale,
      "Gehen wir, bevor ich dich boxe.".
      Nachdem die Computer im Kofferraum sicher verstaut wurden, fuhren Florian, Karl, Chrissie und Lawliet zurück zu Florians WG und fingen an die mitgebrachten PCs aufzubauen, alles lief soweit nach Plan, dennoch wurde Florian unruhig,
      "Wo bleibt Daniel? Langsam dürfte er doch hier sein.".
      Simon antwortete auf Florians Selbstgespräch, als wäre die Frage an ihn gerichtet, "Vielleicht gab es bei der Arbeit einen Notfall und er muss Überstunden machen.".
      Die ganze Truppe hat ihn emotionslos angesehen, Florian brach kurz darauf aber schon die sprachlose Stimmung,
      "Als Hochhausfensterputzer...".
      In dem Moment klingelte es, Karl machte die Tür auf, vor ihm stand Daniel, in einem Schottenrock.
      "Verdammte Hipster...", entfuhr es ihm. Florian kam auch zur Tür,
      "Wie zum Hanswurst siehst du denn aus?".
      "Ich habe eine Wette verloren, okay? Kann ich jetzt rein?", erklärte Daniel und fragte im selben Atemzug um das Thema zu beenden.
      "Muss der so leuchtend kupferrot und flanellfarben sein?", fragte Chrissie und Lawliet mischte sich auch schon ein,
      "Was denn für eine Wette?".
      Florian packte sich den Computer, den Daniel mitbrachte und ging ins Wohnzimmer um es auch aufzubauen, Daniel konnte widerwillig in Ruhe erklären,
      "So ein Typ hat mich zum Kampf rausgefordert, kannte aber praktisch keines der Spiele, die ich vorgeschlagen habe, also habe ich verloren.".
      "Hä? So ein Lappen von der Randschicht wollte dir ans Leder?", fragte Florian verwundert nach.
      "Nein, unser Chef bekam einen Kilt geschenkt, und den hat er an uns weitergeschenkt, also haben wir darüber gespielt, wer ihn für eine Woche tragen muss.", erklärte Daniel.
      Simon kam vom Klo und sieht Daniel nun im Kilt, er fängt direkt an zu lachen und kann keine Worte fassen,
      "Du trägst einen Kilt du Lappen!".
      "Nur weil ich verloren habe.", wiederholte Daniel leicht genervt von Simons Reaktion.
      Simon ernüchterte langsam wieder,
      "Wie bitte? Unser unantastbarer Dodger wurde besiegt? Ich dachte du weichst noch jeder Kugel aus, hast du nicht geübt?".
      "Wir haben das nicht mit unserem Spiel geklärt gehabt.", erklärte sich Daniel weiter.
      "Was habt ihr denn dann gespielt?", fragte Lawliet recht neugierig.
      Daniel fällt es schwer das zu sagen, kriegte es aber dann doch irgendwie raus,
      "Stein, Schere, Papier...", nun fing Lawliet an in sich reinzukichern, Karl meldet sich zu Wort,
      "Wieso lässt du dich auf eine so riskante Wette ein?".
      Daniel rechtfertigte sich, "50 %, dass ich gewinne, ich finde die Chancen standen sehr gut.".
      "Beim Stein, Schere, Papier sind die Chancen zu gewinnen, wenn überhaupt, 33 %.", widersprach Simon.
      "Nein, entweder ich gewinne, oder eben nicht, also 50 zu 50", erklärte Daniel seine Logik hinter seiner Entscheidung.
      Florian war nun fertig mit dem Aufbauen der PCs im Wohnzimmer und verkündete das auch,
      "Alles klar, die Computer sind fertig und wir haben sogar noch genug Zeit für ein Übungsmatch um warm zu werden!", alles läuft genau nach seinen Plan, und damit das weiterhin so bleibt,
      "Simon, wenn ich auch nur einen Molotov Cocktail in deiner Ausrüstung sehe, werfe ich einen echten in dein Zimmer, hast du mich verstanden?".
      Simon grinste ihn an, "Nur wegen heute habe ich aufgehört Getränke in Glasflaschen zu kaufen.".
      Lawliet legte seine Hand auf Simons Schulter,
      "Die wollten mir schon einen Molotov ins Haus werfen, glaub mir', eine Glasflasche ist nicht, was ihm dafür fehlt."
      Simons Grinsen schwand so schnell wie es auftauchte,
      "Ja, verstanden.", sagte er hörbar gelangweilt und rollte mit den Augen. "Dann jeder an seinen Posten, let's get this Lan-Party started!", gab Florian den Startschuss zum Beginn eines ernsten, aber doch lustigen Abends.
    • pondo

      Leichen im Keller
      »She's funny,
      she's shining,
      she's happy,
      I fuckin hate her to death.«
      Als ich sie streiten hörte, war mir klar, dass es ernst sein musste. Wir hatten Proben-Wochenende auf Schloss Turnau, einem Herrenhaus mit allerlei Vorzügen, im Keller befand sich sogar ein Schwimmbecken. Unser Darstellendes-Spiel-Kurs sollte an diesem Wochenende an unserm Stück intensiv arbeiten, aber danach sah es derzeit leider nicht aus. Mit Ida, Luise, Rafael und Inga war ich in einem der AG-Räume, eigentlich um eine Szene zu üben, doch stattdessen keiften sich Ida und Luise lieber fortwährend an. Selbst mitten in der Szene vergaßen sie ihre Rollen und warfen einander verächtliche Blicke zu. Es nervte. Ich schätzte Ida, sie schien keinen Wert auf überteuerten Krempel zu legen und zog keine Schleimspur hinter sich her wie Luise, wenn sie mit den Lehrern sprach. Im Gegenteil. Und nun ja, im Tittenvergleich gewann sie auch, sie hatte, so von außen betrachtet, die größeren und formschöneren Brüste, definitiv. Trotz allem war ihr beider Betragen pathetisch, und von Ida hätte ich nicht gedacht, dass sie sich auf ein solches Geplänkel einlässt. Falsch gedacht, Freunde. Ich bin ehrlich, ich war 18 Jahre alt und demgemäß ein pubertärer notgeiler Sack, neugierig, und an schlechten Tagen träumte ich sogar davon, mit Luise in die Kiste zu steigen, doch in diesem Moment war ich einfach abgeturnt.
      »Ist es nicht scheißegal, ob Luise ein Techtelmechtel mit Herrn Teitz hatte?«, fragte ich in die Runde, als beide Luft holten, und schaute Ida missmutig an. Ich merkte, ich war auf sie schlechter zu sprechen als auf Luise. Wohl weil ich sie lieber mochte.
      »Ist das dein Ernst, Igor? Dich stört nicht, dass diese«, Ida bedachte Luise mit einem abschätzigen Blick, »du-weißt-was-ich-sagen-will Herrn Teitz um den Finger wickelt, wahrscheinlich geradewegs um mit ihm für gute Abi-Noten rumzubumsen?«
      »Neidisch, Schätzchen?« Luise kam sich offenbar kokett vor.
      »Du hast ja keine Ahnung«, und mit diesen Worten ging Ida aus dem Raum. So sehr ich es normalerweise genoss, einen Blick auf ihren Hintern werfen zu können, noch genervter war ich davon, die Szene mit den Verbliebenen allein auf die Beine stellen zu müssen.
      »Okay«, sagte ich müde, »nochmal von vorn. Rafael, geh du mal darüber. Und wo ist das beschissene Seil jetzt hin?«
      Als wir fertig waren, schnappte ich mir ein paar der von mir mitgeschmuggelten Biere und pfiff aufs Abendessen. Ich war super-genervt, insbesondere mit Luise war es zum Kotzen gewesen. Sie schien meine Einmischung als eine Art Ergreifung und Unterstützung ihrer Position verstanden zu haben und war supersüß-freundlich zu mir gewesen, während es mir durchgehend so schien, als verhöhnte sie mich eigentlich hinter ihrer scheinheiligen Fassade. Im Grunde war mir das egal, von mir aus konnte sie im Arschwasser des gesamten Lehrkörpers fahren und mit guten Noten zugeschissen werden. Aber jetzt hatte ich keine Lust auf weiteres Geschwätz, also verzog ich mich mit vier, fünf Bieren zum Pool im Keller mit dem Ziel, ein wenig alleine sein zu können, ehe das übliche Gesaufe später losging. Als ich jedoch unten im Umkleideraum ankam – es gab nur einen –, stutzte ich. Eine tropfende Ida im Bademantel kam mir entgegen. Etwas verlegen bot ich ihr an, draußen zu warten, doch sie winkte nur ab, nahm sich eins der Biere und ging mit mir zusammen zurück zum Pool. Sie zog den Bademantel aus – und auf einmal stand sie nur im Bikini bekleidet vor mir.
      Wow.
      Mir wurde ganz warm. Als wir ins Wasser glitten, sah ich ihre trockene Unterwäsche auf einer nahestehenden Bank liegen. Ich hatte mir immer erträumt, einen ihrer BHs ausgezogen vor mir liegen zu sehen, und auch wenn ich mir das natürlich noch etwas anders vorgestellt hatte, brachte mich die ganze Situation in Wallung. Ich geb's zu, Ida ist schon damals in der Unterstufe eine meiner favorisierten Wichsvorlagen gewesen.
      »Kommst du jetzt, oder hältst du da ewig Maulaffen feil?«
      Ich grinste. »Nein, warte!« Wir öffneten die ersten Biere, stießen an und tranken. Ich fragte: »Was war das da vorhin mit Luise?«
      Ida ließ sich Zeit mit der Antwort. Zeit, in der ich sie musterte, ich konnte nicht anders. Ihr leicht orientalisches Aussehen, die kunstvolle Art, sich zu schminken, die Mode, die sie wählte, und ihr volles Dekolletée – was soll ich sagen. Es funktionierte. Ich war hingerissen.
      »Ach...«, sagte sie, »es ist... schwer, das begreiflich zu machen. Lass uns uns doch einfach darauf einigen, dass Luise eine blöde Schlampe ist.«
      »Immer.«
      Wir stießen abermals an und trieben ein wenig umher. Ich war nervös, einerseits wollte ich sie mit wildem Wagemut beeindrucken, andererseits wollte ich nicht zu aufdringlich sein.
      Plötzlich lachte sie.
      »Mann Igor, bist du noch nie mit einem Mädchen alleine schwimmen gewesen?« Sie kicherte.
      Ich fiel aus allen Wolken, eine schlagfertige Antwort wollte mir partout nicht einfallen.
      »Ich mag dich.« Sie lächelte mich an.
      Zwei Stunden später, mein Herz glühte immer noch, stahlen wir uns in die leere Küche und nahmen uns noch etwas von den Resten des Abendessens. Wir hatten nur über Belanglosigkeiten geredet, trotzdem war mein Karma-Level enorm in die Höhe geschossen, ich fühlte mich, als würde ich über den Boden schweben. Wir aßen, lachten, und anschließend suchten wir die anderen auf, die in einem der Achter-Zimmer schon beisammensaßen und Schnaps tranken. Als wir das stickige Zimmer betraten, schlug uns ein Cocktail der Verwesung von Deogeruch und Käsefüßen entgegen, ekelhaft. Offenbar hatte Ida das Gleiche gedacht, wir grinsten uns an.
      »Okay, Big Mama ist da. Ich spiel mit!« Mit diesen Worten stürzte sich Ida in die Schlacht des heutigen Abends.
      Nach ein paar Stunden artete es aus. Wir hatten Bier und Unmengen Tequila getrunken – ein Umstand, der auf Paul zurückzuführen war, da dieser noblerweise drei Flaschen fürs Wochenende eingepackt hatte. Rafael und Peter sangen Arm in Arm irgendwelche Hymnen, Anouk drehte die Musik lauter und tanzte und Inga begann, Textstellen der Proben zusammenhanglos, aber hingebungsvoll zu rezitieren. Wir alle konnten gar nicht mehr aufhören zu lachen. Da kam es, wie es kommen musste, und es packte uns und wir schnappten uns unsere Sachen, schlichen eher laut als leise in den Keller und sprangen ins Wasser. Ich bewunderte gerade Ingas Po, der bei ihrem Handstand aus dem Wasser ragte, als es plötzlich still wurde. Inga tauchte wieder auf und rieb sich irritiert die Augen.
      Herr Eberling und Herr Teitz standen in der Tür.
      Keine Ahnung, wie spät es war. Wir sahen uns alle etwas verdutzt an, dann lachten die zwei Lehrer, zogen ihre Hemden aus und kamen ins Wasser. Verlegenes Lachen ertönte. Ich runzelte die Stirn, doch alsbald war es wieder fast so unbeschwert wie zuvor. Ich mied es aber, in die Nähe der beiden zu geraten.
      Als ich mir ein neues Bier holen wollte, fiel mir auf, dass ich Ida aus den Augen verloren hatte. Nicht dass sie...? Suchend ging ich umher, bis ich Luise und Ida hinter einem niedrigen Vorhang in einer Duschkabine wieder streiten hörte. Ehe ich bei ihnen war, kam mir schon Luise mit erhobenem Haupt entgegen. Sie würdigte mich keines Blickes, stolzierte an mir vorbei und auf das Wasser zu. Augen hatte ich nur für Ida und ließ sie ziehen. Unterdessen zog sich Ida in den Umkleideraum zurück. Ich eilte hinterher. Auf dem Weg nach oben, immer noch komplett nass und leicht frierend, holte ich sie ein.
      »Ida! Was ist los?«
      »Igor...« Sie war vollkommen bleich. »... komm mit. Du musst dich abtrocknen.«
      Die Kälte war mir egal, doch sie zog mich kurzerhand mit sich in ihren Schlafraum. In dem leeren Achterzimmer gab sie mir ein Handtuch, zögerte kurz, lachte ein freudloses, nervöses Lachen, und als wir uns aufs Bett setzten, schenkte sie uns nochmal ein.
      »Ich bin in der Klemme. Ich versuch's kurz und schmerzlos, aber unterbrich mich nicht. Also...« Sie sah mir derart nachdrücklich in die Augen, dass ich Belzebub höchstselbst schon zu spüren schien, sollte ich das hier nicht ernst nehmen. »Ich hab versucht, nochmal mit Luise zu reden. Ich wollte sie warnen, aber ich war offenbar nicht diplomatisch genug.«
      Sie sah zu Boden.
      »Warnen wovor?«
      »Vor... Igor, schwör, dass du mit niemandem darüber redest, egal wie sehr du das vielleicht willst.«
      »Ja... okay, mach ich.«
      »Du weißt doch.. du weißt doch noch, dass wir in der Unterstufe gemeinsam Sport hatten?«
      Als ob ich das vergessen könnte. Ich sagte nichts.
      »Und du weißt doch, dass wir auch häufiger mal Vertretung von Herrn Teitz hatten?«
      Ein mulmiges Gefühl breitete sich in mir aus.
      »Das Schwein hat mich mal beim Diebstahl erwischt. Ich bin da nicht stolz drauf, ok? Aber mir ging's damals ziemlich scheiße, und einmal, als ihr nach dem Unterricht noch Fußball gespielt habt, na ja, da bin ich zu euch in die Umkleide, etwas verzweifelt, und hatte gerade von Fabi das Portemonnaie in der Hand, als er vor mir stand, ganz sonderbar dreinschauend. Er sagte, wir müssten das in seiner Kabine bereden, und da bin ich ihm gefolgt, und dann war ich drin. Er stand vor der Tür, hatte seinen Gürtel in der Hand und meinte, er würde es keinem sagen...«
      Ich sah ihre Augen in der Dunkelheit glänzen. Mir war übel. Sie weinte.
      »Und Luise, die blöde Kuh, will sich wirklich an ihn ranmachen! Ich hab ihr das erzählt, das heißt, im Ungefähren, und ihr gedroht, aus Schutz notfalls die Polizei zu rufen, aber sie hat das als Eifersucht abgetan, diese dumme Tröte. Hat davon gefaselt, dass ich sie doch nur sabotieren wolle. Tja. Was soll ich tun? Wir tun? Müssen wir was tun? Sollen wir etwas tun?«
      Mir schwirrte der Kopf. Natürlich!, wollte ich rufen, doch wenn das so einfach gewesen wäre, hätte Ida das bestimmt schon früher getan. Ekelerregendes, widerliches Schwein. »Der Typ darf nicht Lehrer sein!«, sagte ich, »der muss bestraft werden«, und schwieg eine Weile. »Hat er dich richtig, also...«, die Schamesröte stieg mir ins Gesicht, als ich realisierte, so sehr in Idas Privatsphäre einzudringen. Sie sah mich nur an.
      »Komm mit«, sagte ich, ohne dass ich wirklich wusste, was zu tun war.
      Wir liefen nach unten. Die anderen vergnügten sich noch immer im Wasser. Scheiße, wie kann man den einfach damit durchkommen lassen, fragte ich mich. Ich kam mit meiner Rolle nicht klar. Unten sahen wir, dass weder Luise noch Herr Teitz da waren. Wir eilten durchs Gebäude und suchten die Zimmer ab, nicht ganz im Klaren darüber, was wir zu finden erhofften. Mit flauem Gefühl standen wir schließlich vorm Zimmer von Herrn Teitz. Ich drückte die Klinke hinunter und stieß die Tür auf, und da sahen wir ihn, wie er dort stand und sich die Hose zuknöpfte. Im Hintergrund saß eine sehr stille Luise auf dem Bett, die ihre Hände unter ihrem Po gefaltet hatte und mit ihrem Oberkörper hin- und herwog. Sie schaute nicht auf. Ich sah zu Herrn Teitz. Er erwiderte den Blick und als er Ida hinter mir stehen sah, grinste er. Allerlei Brutalitäten schossen mir durch den Kopf, ich war aber zu konsterniert, um tatsächlich zu reagieren. Herr Teitz indes drehte sich zu Luise um, sagte: »Gut, dass wir das besprochen haben«, nickte uns zu und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Wir hörten ihn aus der Ferne pfeifen, irgendetwas von den Beatles.
      Da hob auch Luise langsam ihren Kopf.
      Fassungslos sahen wir drei uns an.
      Bis Idas Blick sich veränderte. Sie nahm etwas vom Tisch, drehte sich um und sprintete los, ihre Schritte hallten von den Flurwänden wider. Mein Herz pumpte, ich lief ihr hinterher, Luise blieb leise schluchzend zurück. Im Treppenhaus holte ich sie ein – zu spät. Herr Teitz war auf der Treppe zusammengebrochen, Ida hatte ihm sein eigenes Klappmesser zweimal in den Rücken gerammt. Jetzt saß sie neben ihm und zitterte. Ich drückte mein Handtuch auf seine Wunden, ließ es Ida festhalten und suchte ein Handy, um den Notruf zu wählen.
      Das war es mit dem Theaterstück. Wir fuhren am nächsten Morgen nach Hause, verkatert und benommen. Das Thema beherrschte unseren Jahrgang, bis wir uns trennten. Herr Teitz kam durch, man sagte, er habe Glück gehabt und wäre verblutet, hätte nicht jemand dessen Blutungen behelfsmäßig versorgt. Die ganze Scheiße hindurch blieb ich an Idas Seite. Sie sagte gegen Herrn Teitz aus, was blieb ihr auch übrig, doch diese Idiotin Luise schweigt bis heute darüber. Herr Teitz wurde wegen Nötigung verurteilt, schwerere Vorwürfe ließen sich nicht erhärten. Idas Fall fiel unters Jugendstrafrecht, sie hatte Glück damit. Und wie man sich erzählt, gibt Herr Teitz inzwischen wieder Unterricht als Nachhilfelehrer in einer anderen Stadt.
      Von Zeit zu Zeit statten wir meinem alten Herren einen Besuch ab. Wenn er dann der Stimmung wegen die Musik anschaltet und irgendwann Hey Jude aus den Boxen dringt, wir unsere Gläser schwenken und ich gegen das alte Gefühl ankämpfe, ihn treten zu wollen, ... frage ich mich bisweilen, ob ich richtig handelte, als ich einst im Treppenhaus dazugestoßen war.
    • TheMadZocker

      In einer von Krieg zerfallenen Welt galt nur eine einzige Regel: Das Überleben des Stärkeren. Über Jahrhunderte hinweg haben sich 4 große Rassen unermüdlich bekriegt. Eine starb komplett aus, so sagte man, und das Land wurde entzweit. Auf dem Südlichen Kontinent gab es jetzt nur noch 2 große Mächte. Zum einen waren es die kriegslustigen Gri, harpyienähnliche Wesen, die sich für lange Zeit als stärkste Rasse erfolgreich durchsetzen konnten. Zum anderen die Raktaria, ein Halbdrachen-Volk, welches den Schutz der Berge bevorzugte, bis die Wächter schließlich ausgestorben waren.
      Eine dieser Raktaria war die junge Prinzessin Flare, die auf dem „Drachenschlund“ lebte, der größte Berg im Osten und gleichzeitig auch das größte Reich der Halbdrachen. Da sie eine Prinzessin war, gehörten ihre Eltern entsprechend dem Königsgeschlecht an – Königin Inferna und König Shard. Shard war der 1. Sohn des ehemaligen Königs Gregor, während Inferna eine einfache Kriegerin war, die aus einer sehr angesehenen Familie stammte.

      Es fand wieder eine Kriegsratssitzung statt! Flare war sehr aufgeregt darüber, doch leider durfte sie noch nicht an diesen Treffen teilnehmen, da sie gerade einmal 11 Sommer alt war. Das machte ihr aber nichts aus, sie verstand sowieso kein Wort von dem, was dort gelabert wurde. Viel eher war sie an der großen Karte im Zentrum des Raumes interessiert, nein, viel eher an den kleinen Figürchen auf der Karte, die die Truppen darstellen sollten. Diese Karte zeigte den gesamten Südlichen Kontinent – also die gesamte Welt, die Flare noch erforschen wollte!
      Es gab einen geheimen Zugang zu diesem Raum, den nur Flare kannte. Es war eine alte verlassene Fluchthöhle, die zwar seit geraumer Zeit leer stand, aber nie versiegelt wurde. Anschließend hatte sie die Möglichkeit, sich hinter einigen Vorhängen zu verstecken. Die meiste Zeit langweilte sie sich, doch wurde es 1000 Mal aufregender, als ihre Mutter endlich zu Wort kam. In ihren Augen war Inferna die größte Kriegerin, die jemals gelebt hat. Wenn Flare also Glück hatte, erzählte ihre Mutter aus vergangenen Tagen, wo sie noch aktiv gegen die Gri gekämpft hat. Warum sie da von ihrer Vergangenheit erzählte? Hmm, das wusste Flare nicht, aber es hatte wohl seine Gründe. Wenn Flare einmal selbst Königin werden würde, müsste sie genauso stark werden, wie ihre Mutter! Von klein auf trainierte sie also stets ihre Fähigkeiten, auch außerhalb der Trainingsstunden.
      „Mama, wenn ich größer bin, muss ich alles wissen! Also zeig' mir jetzt den Klingensturm! Ääh, bitte...“ „Haha, du weißt, sie wird nicht aufhören, bis du es ihr gezeigt hast, Liebes.“
      Inferna musste zugeben, dass ihr Gemahl leider recht hatte. „Hehe, stimmt wohl.“ antwortete sie und schnappte sich daraufhin ihre beiden Infernal-Klingen. Mit großer Bewunderung beobachtete Flare ihre Mutter dabei, wie sie die Technik vollführte. Diese eleganten Bewegungen erstaunten Flare immer wieder aufs Neue. Wenn sie einmal groß und stark genug werden würde, war es ihr größter Wunsch, einen richtigen ausgewachsenen Drachen zu erlegen! Nur sehr wenige konnten es mit ihnen aufnehmen; Flare wollte selbst zur Legende werden, damit sie eine ebenso starke Anführerin werden konnte, wie ihre Mutter. „Jetzt du.“ sagte Inferna und reichte ihrer Tochter ihre Übungsklingen. Leider stürzte sie schon beim 2. Sprung und fiel auf ihren Hintern. „Hehe, musste jetztPopo-Lifting betreiben?“ fragte Inferna mit einem leichten Lächeln und half ihrer Tochter wieder auf die Beine, während diese sich ihren Hintern rieb. „Du wirst doch jetzt nicht aufgeben, oder?“ fragte ihr Vater, während er sich zu Flare hinunter beugte. „Natürlich nicht!“ erwiderte Flare selbstbewusst. „Ich muss stärker werden und die Gri töten, bevor sie uns töten! Richtig?“ „Ganz genau.“
      Shard strich ihr glücklich über den Kopf; sie würde einmal zu einer großartigen Herrscherin heranwachsen! Inferna hingegen war nicht sonderlich begeistert, was er ihr für Sachen erzählte, zog man ihr noch so zartes Alter in Betracht.

      Es war ein Sonderfall. Normalerweise würde die Administration das anders regeln, doch es war notwendig. Ein Angriffstrupp der Gri überfiel den Palmenwald nahe eines Stützpunkts, die dort kämpfenden Raktaria ersuchten nun Verstärkung. Königin Inferna war die Anführerin dieser Operation; eigentlich waren ihre Tage des Kämpfens vorbei, doch käme die Unterstützung vom Drachenschlund am schnellsten bei ihnen an, und Inferna wollte unbedingt ihren Kriegern helfen. Selbst der steinalte Hans Pfaall, der frühere Lehrer Flares, und zudem ein wahrer Naturenthusiast, war mit von der Partie.
      „Wetten, ich haue mehr Gri weg?“ „Ist doch Käse! Du hast keine Chance gegen mich!“
      Inferna ging gerade mit ihrer Gefährtin und Freundin Amber zu den Stallungen, da rannte Flare ihr hinterher. „Mama! Mamaa!“ rief sie ihr nach. Als sie sie endlich eingeholt hatte, musste sie erstmal nach Luft schnappen. „Mama, wann wirst du wieder zurück sein?“ „Ich weiß es nicht.“ antwortete ihre Mutter kalt, aber ehrlich. Auch wenn Flare kaum Ahnung vom Krieg hatte, hatte sie doch große Angst davor, ihre Mutter zu verlieren. „Komm bloß wieder nach Hause, ja? Versprich es!“
      Inferna beugte sich zu Flare runter, die gerade versuchte, ihre Tränen zu unterdrücken. Sie wollte ihr Mut machen, also nahm sie eine Art Talisman von ihrem Hals. „Hier. Das ist mein Versprechen.“ erklärte Inferna und streckte ihre Hand aus, Flare nahm den Talisman ungläubig in ihre kleinen Hände. „Was ist das?“ fragte Flare gespannt, „Ein Glücksbringer. Er ist aus Aquamarin-Stein hergestellt worden. Wenn ich wieder bei dir bin, gibst du ihn mir wieder zurück, dann habe ich mein Versprechen gehalten. Okay? Jetzt weine also nicht mehr, ja?“
      „Er ist wunderschön...“ kommentierte Flare. Sogar ein wenig Glitzer war auf dem blau glänzenden Stein verstreut. Doch dabei kam nur noch mehr Trauer in ihr auf, sodass sie dazu getrieben wurde, ihre Mutter fest in den Arm zu nehmen. „Ganz fest versprochen?“ „Ganz fest versprochen.“ sagte Inferna kurz und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
      Flare versuchte, neuen Mut zu fassen und wischte sich die Tränen vom Gesicht. „Mach sie fertig! Assassination Style, ja?“ sagte Flare mit ausgestreckter Brust und einem aufgezwungenen Lächeln. Inferna nickte. Doch ging dann, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Auch wenn Flare versuchte, ihren Mut aufrecht zu erhalten, konnte sie ihre Sorgenicht unterdrücken; ihr floss eine neue Träne übers Gesicht.
      „Reichst du mir bitte mal das Seil?“ „Ja, natürlich, Milady!“ waren die letzten Worte, die Flare vor ihrer Abreise vernahm.

      Mehrere Tage vergingen. Die Riesen-Leguane, die Reittiere der Raktaria, welche in Sachen Stärke Trabanten gleichkamen, waren noch immer nicht zurück, und somit auch nicht die Krieger und Kriegerinnen, die mit ihnen in die Schlacht zogen. Flare saß in ihrem Zimmer und hielt den Aquamarin-Anhänger fest in ihren Händen. Sie betete zusammen mit ihrem Vater täglich zum Schutzgott, auf dass ihre Mutter sicher wieder heimkehren möge. „Sie hat das Geheimnis zur Unsterblichkeit erlangt, sie hat das Geheimnis zur Unsterblichkeit erlangt!“ sagte sie immer wieder flüsternd zu sich selbst. Flare lebte nämlich in dem Glauben, dass pure Stärke der Schlüssel zur Unsterblichkeit sei – und ihre Mutter war die stärkste von allen!
      „Platz da! Platz! Wir müssen hier durch!“ schrie draußen plötzlich jemand rum. Was war da nur los? Als Flare aus ihrem Fenster schaute, konnte sie die Hauptstraße sehen. Und durch diese großen Mengen an Raktariern schritt eine Truppe an Soldaten mit einem Riesen-Leguan im Schlepptau. Flare lief runter und wollte mehr sehen. Unten angekommen zwang sie sich durch die große versammelte Menge und sah plötzlich, wie jemand in einem Holzkarren lag, welcher von diesem Leguan gezogen wurde. Sie brauchte auch nicht lange, um herauszufinden, wer da genau drin lag. Es war Königin Inferna, ihre Mutter! Flare brach sofort in Tränen aus. „Mamaaa!!“ rief Flare voller Verzweiflung und rannte zum Karren. „Da hast du nichts verloren, Kleines!“ mahnte sie ein Soldat, der nicht realisierte, dass gerade Prinzessin Flare vor ihr stand. „Lass mich durch, du Hornochse!“ schrie Flare und mogelte sich am Soldaten vorbei. Am Karren angekommen wollte der Soldat Flare wegzerren, doch Inferna hob leicht ihre Hand und befahl ihn somit weg.
      „Mama, was ist passiert!? Mama!“ „Liebes, ich... uff...“ „Mama!!“
      Inferna war zu schwach, um zu reden, und Flare realisierte dies. Ihr Fluss an Tränen nahm kein Ende, aus der Angst heraus, ihre Mutter verlieren zu können. Flare blieb stehen, und neben ihr wiederum eine andere Person. Es war Brandon, ein Krieger aus Infernas Einheit. „Diese dreckigen Gri haben ihr das angetan!“ erklärte er, „Ich sah, wie ihre Anführerin Königin Inferna niederrang. Ich konnte nichts tun... Es tut mir leid... Vergiss nur eines nicht, Kleines: Die Gri sind durch und durch böse, wahre Tyrannen! Zeige ihnen gegenüber niemals Gnade, sie würden es auch nicht tun!“

      Als Flare wieder zu ihrer halbwegs erholten Mutter ging, sah sie Verletzungen, die sie in ihren kühnsten Gedankenträumen nicht einmal hätte ausmalen können. „Mama!“ rief Flare erleichtert doch schockiert und nahm ihre Mutter in ihre Arme. „Ich bin so froh! Ich dachte, ich hätte dich verloren!“ sagte sie. Inferna allerdings war immer noch ziemlich schwach und fast überall verbunden. Sie drehte ihren Kopf zu Flare. „Mein Liebes, ich bin so froh, dich zu sehen.“ brachte sie lächelnd hervor.
      „Diese eldendigen Gri!“ fing Flare an, „Wie können sie dir nur sowas antun!? Manno! Diese... diese... Ich werde ihnen niemals verzeihen! Hört ihr mich!? Niemals werde ich das! Nie, nie, nie, nie, nie, nie, nie!!“ „Kleines...“
      Es schmerzte Flare, ihre Mutter so sehen zu müssen, dem Tod nahe. Ihre Tränen flossen in Strömen, stärker, je länger sie sich beschwerte. „Sie kennen keine Gnade! Ich mache sie alle fertig!“ „Schluss jetzt!“ sagte Inferna, so kräftig sie konnte. Flare war überrascht, was war denn los? „Aber... Die Gri... Sie haben dir das doch angetan? Gnadenlos!?“ „Das... ist eine Lüge!“
      Jetzt verstand Flare gar nichts mehr. „Aber... Man sagte mir, ihre Anführerin hätte dich niedergestreckt?“ fragte Flare verwundert, ihre Mutter antwortete: „Ja, aber das ist nur die halbe Wahrheit.“
      Inferna sammelte sich für einen kurzen Augenblick, bevor sie fortfuhr: „Ich war auf dem Schlachtfeld, ich kämpfte mit aller Kraft. Auf einmal stand ich ihrer Anführerin gegenüber, der Gemahlin des Stammesführers, eine wahrhaftig starke Kriegerin. Wir kämpften bis zum bitteren Ende, wir beide waren sehr schwer verletzt, doch leider behielt sie die Oberhand. Sie hatte alle Trümpfe in der Hand, konnte mir jederzeit den Gnadenstoß versetzen, doch sie zögerte. Und dann machte sie etwas, was mich sehr überraschte: Sie trug mich vom Schlachtfeld fort und versteckte mich hinter einem Busch! Ich konnte gar nicht glauben, was sie da tat. Sie sagte nur 'Rufe erst nach Hilfe, wenn du gesucht wirst'. Sie hat mich gerettet, Flare! Gerettet! Sie sind also alles andere als gnadenlos... Denn, hehe, die dunkle Seite des Mondes hat auch stets eine helle.“
      Flare konnte überhaupt nicht glauben, was ihre Mutter da gerade von sich gab. Gri, die Gnade kannten? Fast schon utopisch für Flares Vorstellungsvermögen. „Nicht alle Gri sind böse... Merk dir das, ja...?“ schob Inferna noch hinterher.
      Flare brauchte eine Weile, um das eben gesagte zu verarbeiten. Würden diese Worte nicht von ihrer Mutter stammen, hätte sie es niemals in ihrem Leben geglaubt.
      Doch dann fiel ihr etwas ein: „Ach ja! Hier, Mama!“
      Flare holte ihren Anhänger hervor und drückte es in Infernas Hand. „Wie versprochen!“ sagte Flare mit einem zwanghaften Lächeln und Trauer im Gesicht. Jedoch schüttelte Inferna bloß ihren Kopf. „Ich... konnte mein Versprechen nicht halten... Tut mir leid, Kleines...“ brachte sie mit letzter Kraft heraus, bevor sie ihre Augen schloss und lächelnd eine Träne des Glücks verlor. Sie wusste, ihr Vermächtnis wäre in guten Händen. Der Anhänger glitt aus Infernas Hand und landete auf dem Boden. Flare fühlte sich so allein; sie hatte niemanden mehr. Ihre Lippen fingen an zu beben, ihre Hände krallten sie an der Decke fest. Neben dem Bett kniend begrub sie ihr Gesicht in ihre Arme und weinte. „Mama...“ schluchzte sie leise. Minuten später legte sie sich neben ihrer Mutter ins Bett. Flare nahm sich ihren Arm, positionierte diesen an ihren Hals und verwendete ihn als eine Art Kopfkissen. „Weißt du noch, Mama? Wie früher, als ich noch bei dir im Bett geschlafen hab...“ sagte Flare. Sie schloss weinend ihre Augen, wissend, dass es niemals mehr so sein würde wie früher. „Hättest du doch den Glücksbringer bei dir gehabt... Hättest du doch...!“

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    • Viatori


      Bushaltestelle

      Erst war es ein Nachmittag, wie jeder andere auch, doch dann gab es einen grellen Blitz amH immel. Ein flammender Meteor stürzte zur Erde…
      Es tut mir leid! Wirklich, das meine ich ernst. Manchmal fällt es mir wirklich schwer hier, alleine an meiner Bushaltestelle, meine Gedanken zu sortieren.Aber so ist es eben, jeden Tag sitze ich hier alleine und mache allen möglichen Kram. Manchmal lese ich, schreibe selbst oder zeichne. Die letzten beiden klappen eher… bescheiden.
      Ich weiß wirklich nicht, was ich hier noch machen soll. Der Bus ist schon wieder eine Viertelstunde zu spät und das bedeutet meistens, dass dieses Schwein von Busfahrernazi mich hier sitzen lässt. Ein bisschen kann ich es ja schon verstehen,immerhin bin ich der Einzige, der hier einsteigt und man muss durch den ganzen Ort fahren. Der Weg führt über so viele kleine Gassen, durch die die alte Maschine nur schwer durchkommt und wenn erst ein Auto entgegenfährt! Dann wird es richtig spannend, weil man dann sogar gemütlich an dem Bus vorbeilaufen kann,um allen genervten Gesichtern mit einem breiten Grinsen zu winken. Nichts geht über Schadenfreude! Eigentlich könnte ich mich auch mal auf den Weg machen undnachschauen, ob es wieder soweit gekommen ist. Obwohl… Nein, meine Beine sind gerade eingeschlafen und ich würde sie nur ungerne für sowas wecken.
      Außerdem,wieso empfinde ich Empathie für diesen Kerl? Wegen dieser nervtötenden Trauergestalt verpasse ich am Ende noch das Mittagessen. Meine Schwester wirdmich umbringen. Moment, nein wird sie nicht. Sie ist ja ausgezogen und ich lebe etzt allein, mein Mittagessen wird schon auf mich warten und wenn nicht,sollte ich mir Sorgen machen.
      Den nennst du eine Trauergestalt?, die Stimme in meinen Kopf meldet sich wieder. Sieh dich mal an! Du bist hier ganz allein, jeden Nachmittag. Du könntest bei deiner Schulklasse warten, wie jeder normale Mensch auch. Doch das ist zu viel verlangt von diesem feinen Herrn. Wieso auch normal sein, wenn man sich selbst ausgrenzen kann, um dann voller Verlegenheit in einen überfüllten Bus einzusteigen und als einziger keinen Sitzplatz zu haben,weil man sich ja nicht traut zu fragen. Was soll das denn? Was willst du durchdeine Einsamkeit erreichen? Wartest du auf deinen persönlichen Godot oder darauf, dass Totoro dich auf eine Reise mitnimmt?
      Ruhe!Ich hasse es, wenn ich mich selbst nieder mache.
      Vielleicht solltest du dich einfach ändern, damit ich keinen Grund mehr habe dich niederzumachen?
      Und was dann? Würdest du mich in Ruhe lassen?
      Vielleicht, wer weiß das schon?
      Gewissensbisse sind immer am schönsten, wenn sie so richtig zwicken, hm?
      Ich bin nicht dein Gewissen, ich bin schlimmer.
      Was bist du? Die Stimme, die mich zum Umdenken über mich selbst bringen soll? Als nächstes erzählst du mir noch, ich soll immer brav auf meine Eltern hören, dann mach ich einen guten Abschluss, fange mein Studium an und heirate mit 25 eine schöne Frau, mit der ich zwei Kinder haben werde, um dann den Rest meines Lebens in einem Bürojob zu verbringen. Nicht mit mir! Ich will die Welt sehen,tausend Leute kennen lernen und irgendwo meinen Platz finden, wo ich direkt willkommen geheißen werde. Dort werde ich da-
      Sei still!
      Was ist los? Erträgst du mein Gerede etwa nicht?
      Nein, da komm tjemand und du führst Selbstgespräche.
      Ich verstumme sofort. Eine ältere Frau mit einem kleinen Hund läuft an mir vorbei und schaut mich schief an. Ich begrüße sie zwar freundlich, aber sie sieht mich nur mit großen Augen an, während ihr Hund neben der Haltestelle hockt und eine braune Brühe, die wohl eigentlich ein Batzen Hundekacke sein sollte, auf den Zigarettenstummeln verteilt. Wenn der Geruch nicht wäre, würde ich es sogar ganz schön finden diese Überbleibsel der letzen Ortsparty nicht mehr zu sehen.
      Die alte Dame mit ihrer Fußhupe, die sie vielleicht noch als Hund bezeichnen würde,verschwindet wieder. Auch wenn nun Ruhe herrscht, ein Gespräch mit mir selbst fange ich nicht nochmal an. Wieso mache ich das nur immer wieder? Ich sollte doch mit mir selbst zufrieden sein. Selbstkritik ist wichtig, das hat mir seinVater immer wieder eingeprügelt, aber ich übertreibe es sehr. Oder habe ich einfach nur eine heimliche Sehnsucht danach mich zu ändern und der Norm anzupassen? Ich frage mich, bin ich normal?
      Bist du normal?
      JA,VERDAMMT! Ich muss nichts in meinen Leben ändern und bin so mit mir zufrieden,wie ich bin! Ich werde NICHTS an mir ändern, damit das klar ist!
      Nur eine Sache…
      WAS?!
      Frau Alzheimer ist wieder da.
      Ich blicke langsam zur Seite. Da ist sie und sie kommt direkt auf mich zu. Bitte,ich möchte das nicht erklären müssen. Vielleicht kann ich noch schnell meine Tasche nehmen und gehen, bevor…
      Mist!Sie spricht mich an. Es ist alles okay, es ist alles okay. Sei höflich und sag ihr, dass du einfach nur gehen möchtest. Hoffentlich lässt sie mich in Ruhe.
      Nein,zu früh gefreut. Ich werde mit junger Mann angesprochen und gefragt, wo denn die Bahnhofstraße sei. Zum Glück ist es nur sowas!
      Da geht sie. Kommt sie zurück, gehe ich mit dem Küchenmesser auf sie los. Wir wissen beide, dass du verrückt genug bist, um das wirklich zu tun. Nein, nicht wirklich. Dazu fehlt mir immerhin das Küchenmesser und ich möchte sie nicht unbedingt zu mir nach Hause einladen. Vermutlich würde ich sie doch am Leben lassen, sie hatte wohl nur Redebedarf. Sie ist bei ihren Enkeln zu Besuch und wollte mit dem Hund, der sich währenddessen über seine eigene Scheiße und die Teenagerkotze vom letzten Samstag hermachte, kurz rausgehen und hat sie dabei verirrt. Verirrt. Verirrt in diesem kleinen Kaff, das gefühlt keine drei richtigen Straßen hat. Wer es glaubt, wird selig!
      Donner holt mich wieder aus meinen Gedanken und ich zucke, wie ein kleines Kind,zusammen. Ob es anfängt zu stürmen? Ich setze mich wohl lieber wieder, nach dieser kurzen Unterhaltung stand ich einfach nur rum und habe die Gegend angestarrt. Das könnte ich manchmal den ganzen Tag machen. Es kommt öfters vor, dass ich einfach in der Nacht aufwache, nicht mehr schlafen kann und dann einfach die Wand anstarre. Und Wieso? Weil niemand etwas von mir um diese Zeit erwartet, ich fühle einfach so frei und-
      Regen.Toll. Klasse. Das habe ich wirklich gebraucht! Schnell wieder auf meinen Platz.Jetzt beobachte ich einfach die Überdachung, wie jeder einzelner Tropfen über mir aufprallt und dann verläuft. Es erinnert mich wieder an meine Grundschulzeit, als wir einen Vertretungslehrer von einer anderen Schule hatten, der uns, zur Beruhigung, erzählte, dass Gott immer auf dem Klo war,wenn es regnet. Grundschülern sollte man sowas nicht erzählen. Nicht wegen Religion,sondern wegen unserer Fantasie. Ruckzuck hatten wir die verschiedensten Theorien und es war wirklich alles dabei!
      Pinkelt Gott im Sitzen oder Stehen?
      Ist Donner nur das Geräusch seiner Klospülung?
      Was passiert, wenn Gott Durchfall hat?
      -waren nur die Highlights und ehrlich gesagt hätte ich auf die letzte Frage immer noch gerne eine Antwort. Das ist der Kram, der mich nachts nicht schlafen!
      …ob die Pisse von oben göttlich ist oder nicht, lässt mich nicht schlafen… Soll ich dich einweisen, oder machst du das selbst?
      Ich vermisse diese Zeiten, als man mit Freunden alles hinterfragt hat und unbedingt eine Antwort wollte. Gab es keine, wurden wir eben kreativ. Wir haben über alles nachgedacht, Nachmittage damit verschwendet Lösungen zu Problemen zu suchen, denen wir heute nicht einmal ein Augenzwinkern widmen würden. Was ist nur daraus geworden? Irgendwann muss ich wieder mal in den Wald gehen und unseren alten Geheimtreff auskundschaften. Geheim wurde bei uns immer kleingeschrieben, im Prinzip wusste doch die halbe Ortschaft davon. Ach ja, die guten alten Zeiten…
      Dieses Geräusch in der Ferne, ist es das genervte Schnauben eines Busfahrers oder doch nur der Motor. Schwer zu sagen, denn beides hört sich fast gleich an und beides kommt gerade um die Ecke gefahren. ‘ne ordentliche Verspätung, aber trotzdem noch, für die sonstigen Verhältnisse, überraschend früh. Das war es dann wohl,hier muss ich den letzten Punkt setzen. Ich bin dazu geneigt den Bus einfach durchzuwinken, aber dann komme ich wohl heute gar nicht mehr nach Hause. Das Gesicht des Busfahrers hätte dann sicher einen Friedens-Nobelpreis verdient,weil sich sofort alle ergeben würden wenn sie es sehen, allerdings würde er mich dann wohl zu Tode starren. Wobei, das macht er jetzt schon, denn ich strecke meine Beine noch einmal ausgiebig und schlendere langsam zum Einstieg. Wartet auf mich, ich komm doch schon!
      Vergiss deine Tasche nicht, Idiot.
    • Wons



      Bitte, bitte
      Oder: Manchmal ist die Realität auch nur ein Albtraum

      Alles wiederholt sich, nichts kehrt uns wieder; das war eine der ersten Lektionen, die ich im Leben gelernt habe, im von den Erwachsenen so genannten "richtigen Leben", und seitdem zog sich diese Erkenntnis wie ein roter Faden durch dieses "richtige Leben". Es gibt keine Sicherheit im Leben und das, was sich einst nach Heimat anfühlte, vertraut und erstrebenswert, hüllt sich jetzt in an mir nagende, alles zerfressende Unklarheit.
      "Es geht ein Serienmörder um im Panoptikum", sagte man uns und seitdem ist nichts mehr, wie es war. Statt rosa Zuckerwatte und bunten Lampions sehe ich den ganzen Schmutz, der sich vermutlich schon seit Ewigkeiten hinter der schönen Fassade versteckt hat. Wo früher alles bunt war, ist jetzt nur noch Schwärze, elende Schwärze, die mich das graue Einerlei der Zwischenzeit fast vermissen lässt. So viele Jahre lang war ich nicht mehr hier und jetzt, da ich meinen Herzenswunsch erfüllt habe, endlich hierher zurückzukehren, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als von hier fort zu können. Natürlich geht das nicht. Wunsch ist Wunsch und nichts in der Welt kann einen solchen Wunsch rückgängig machen. Ich bin gefangen in diesem Gruselkabinett der Verdammnis wie ein Geist in der Wunderlampe, aber egal, wie viele Wünsche ich erfülle, wie sehr ich mich anstrenge, ich bin niemals gut genug und werde es nie sein; eine weitere Tatsache, die sich wie ein roter Faden durch mein Leben zieht.
      Seit ich heute Morgen die Nachricht erhalten habe, bin ich blind vor Angst. Er könnte hinter jeder Ecke lauern, hinter jeder der unzähligen Wachsfiguren, die bedrohliche Schatten an die Wände werfen, obwohl nirgends eine Lichtquelle vorhanden ist. Und ich verliere mich in Gedanken; frage mich, wovor ich eigentlich solche Angst habe. Ich bin sowieso gefangen hier, gefangen in mir selbst, und wenn der Kerl mich findet, könnte das mein einziger Weg hier raus sein, der einzige Ausgang aus dieser Hölle, die ich mir selbst geschaffen habe. Trotzdem... irgendetwas hält mich hier, ich will mir nur noch nicht ganz eingestehen, was es ist. Vermutlich eine Mischung aus vielem. Mein Kopf ist so voll, dass ich fast verrückt werde, doch all die durcheinander wirbelnden Emotionen werden beinahe verdrängt von einer einzigen: von der nicht enden wollenden Angst und der damit einhergehenden Leere, die sich in mein Herz gefressen hat und sich wie ein schwarzes Loch immer weiter ausdehnt, bis ich kaum noch Kraft zum Atmen habe. Selbst, wenn ich hier raus käme, was dann? Was bliebe mir dann noch? Nichts außer Erinnerungen, die mich nach und nach auffressen, weil ich weiß, dass es nie wieder so werden kann wie früher. Ich sinke neben der grünen Wachsfigur zu meiner Linken auf die Knie und schließe meine Finger so fest ich kann um den Dornenkronenseestern, den du mir hinterlassen hast, als wir uns das erste Mal sahen. Du hieltst mich für ein weiteres Spielzeug, ich dich für komplett durchgedreht und wir beide fanden den Seestern originell und witzig. Das war damals, als Liebe nichts weiter als ein Fremdwort für uns war und unser Nachschlagebedarf diesbezüglich nur darin bestand, zu sehen, wer von uns fester zuschlagen und wer mehr aushalten konnte. Den Dornenkronenseestern haben wir letztendlich nicht einmal ausprobiert, dafür hat die Zeit nicht mehr ausgereicht. Er liegt jetzt kalt und fern in meiner Hand wie die Erinnerung, die ich mit aller Macht festzuhalten versuche. Meine Finger krallen sich fester in die Stacheln und Blut tropft aus meiner Handfläche auf meine Beine, die im Dämmerlicht gespenstisch weiß aussehen. Die blauen Flecken sind fast verheilt, die Wunde im Herzen wird wohl etwas länger brauchen. Wie konnte ich auch annehmen, unersetzbar zu sein oder auch nur ansatzweise irgendetwas in der Art? Mir hätte klar sein müssen, dass es so ausgehen würde, aber ich habe es so lange verdrängt und die Stimmen in diesem Gruselkabinett haben es mir so lange ausgeredet, bis ich selbst an die Illusion von Zuckerwatte und Schokopopcorn geglaubt habe. Der Dornenkronenseestern fällt zu Boden und ich vergrabe das Gesicht in den Händen, um den Schmerz herauszuschreien, denn es tut einfach zu weh, wie sich das schwarze Loch in mir immer weiter ausbreitet. Heftiges Schluchzen bringt meinen Körper zum Beben, während ich meine Brille abnehme und putze, da ich vor lauter Tränenflecken kaum noch etwas sehen kann. Ich weiß nicht genau, wie lange ich dort sitze und versuche, die Leere zu ertragen, auch mein Zeitgefühl ist nur noch eine ferne Erinnerung. Aber irgendwann versiegt der Tränenfluss einfach und ich starre ins Nichts, ins dämmrige Nichts vor mir, hinter mir, überall um mich herum. Manchmal reicht vielleicht die stärkste und schönste Erinnerung nicht aus, das Dunkel zu erhellen. Meine Augen sind müde vom Weinen und mein Körper bewegt sich mechanisch wie ein Roboter, als ich aufstehe und langsam größer werdende Trägheitskreise auf dem Boden ziehe.
      Dann sehe ich sie; die Silhouette, die hier nicht hingehört. Sie wabert schemenhaft hinter der Wachsfigur mit der erhobenen Glaspfanne in der Hand umher und scheint die Form zu verändern, bevor ich sie richtig erfassen kann. Ist er das? War es das?
      Ein in königsblau gewandeter Harlekin mit blassen, grünblauen Augen tritt aus dem Dunkel hervor und mit einem Mal wird es so strahlend hell im Raum, dass ich die Augen zusammenkneifen muss, um nicht zu sehr geblendet zu werden. Die Tränen laufen, durch die Bewegung der Augen getrieben, mein Gesicht herunter, während ich die große Gestalt vor mir anstarre und immer nur zwischen diesen hypnotisierenden Augen und dem langen roten Seil in seiner Hand hin und her starren kann. Er scheint fast zu lächeln - oder ist das Einbildung?
      In diesem Moment wird alles um mich herum schwarz und als ich wieder etwas sehen kann, blicke ich in grünblaue Augen und das Wachsfigurenkabinett ist verschwunden. Die gespenstische Stille ist dem gleichmäßigen Rauschen der vorbeifahrenden Autos und dem fernen Wellenschlag des Flusses gewichen und der Raum wird erhellt vom warmen Licht einer Straßenlaterne, die sanft flackert, weil so viele Motten um sie herumwuseln. Ich spüre den vertrauten pochenden Schmerz am Hals und an den Ohren und als ich versuche, mich zu bewegen, stelle ich fest, dass meine Handgelenke mit roten Seilen an das Bett gefesselt sind. Ist es nicht merkwürdig, wie man sich manchmal nur gefesselt wirklich frei fühlen kann?
      Du schaust auf mich herab mit diesem Blick, den ich schon seit Monaten nicht mehr sehen durfte. Manchmal ist die Realität eben auch nur ein vier Monate währender Albtraum und wenn man aufwacht, stellt sich jede Furcht als unbegründet heraus. Auch für mich?
      "Nachschlagebedarf?", fragst du mit einem unverschämten Grinsen.
      "Definitiv."