Narus Geschichtensammlung

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    • Narus Geschichtensammlung

      Ja... der Titel sagt eigentlich alles ^^
      Wer den Wichtelthread verfolgt hat, wird die in diesem Post vorgestellte Geschichte wahrscheinlich schon kennen, für alle anderen kommt hier:



      Vanillewein und Glühkipferl


      Vanillekipferl, Stollen, Lebkuchen, Glühwein – die Weihnachtsluft duftet so unglaublich gut. Als ich noch ein kleiner Stöpsel war, brannte sich dieser Geruch in mein Gedächtnis und ist seitdem fest mit der Advents- und Weihnachtszeit verbunden.
      Mama backte extra für Weihnachten frische Vanillekipferl, Omas und Opas brachten Stollen und Lebkuchen mit und Papa setzte Glühwein auf, den die Erwachsenen – und später auch meine Geschwister und ich – tranken.

      Doch dieses Jahr ist alles etwas anders. Ich fahre nicht heim zur Familie, verbringe mein erstes Weihnachten ohne sie. Warum? Ich bin eingeschneit. Niemand kommt raus und ebenso kommt auch niemand rein. Das heißt, ich sitze hier fest und kann meiner Familie in dieser Zeit nur über Telefon und Internet nahe sein. Ich bin niemand, der leicht Heimweh bekommt – bin ich doch das Jahr über während meines Studiums kaum zu Hause – dennoch fühle ich mich leicht unwohl bei dem Gedanken Weihnachten nicht im Kreis meiner Verwandten zu verbringen.
      Und wären da nicht meine Mitbewohner und besten Freunde Simon und Jana, die mit mir eingeschneit sind, ja, müsste ich Weihnachten ganz allein verbringen, ginge es mir sicherlich absolut schlecht.

      Ich lernte die beiden im Kindergarten kennen und schon in unserer Jugend haben wir beschlossen mal eine WG zu gründen, sobald wir studieren oder eine Ausbildung machen würden. Nun mit Mitte 20 und im Studium und teils schon im Job sind wir in unserer erträumten WG angekommen – Jana, Simon und Noahs Chaos-WG. Und in genau dieser sitzen wir nun fest.

      Wir haben uns bereits mehrfach für Getränke und Essen durch die Schneemassen begeben, damit wir über die Feiertage nicht verhungern oder verdursten, doch eines dabei immer wieder festgestellt: mit Skis wären wir schneller und einfacher unterwegs. Kein Wunder, wenn der Schnee fast kniehoch gefallen ist.
      Heute an Heiligabend können wir zum Glück in der Wohnung bleiben, denn heute an Heiligabend hätte ich keinen Elan mich rauszuwagen. Ich schlurfe schon den ganzen Vormittag durch die Zimmer und lasse meine Laune, die zwischen aufgebracht und betrübt schwankt, an meinen Freunden aus. Simon und Jana wäre jedoch nicht meine Freunde, würden sie sich von meinen Stimmungsschwankungen irritieren lassen. Nein, sie wissen, wie wichtig mir das Weihnachtsfest mit der Familie ist, lassen meine Launen über sich ergehen und versuchen mich aufzumuntern.

      Sie lassen den ganzen Tag Weihnachtsmusik laufen, sie haben mich durch den Schnee auf den Weihnachtsmarkt geschleift. Wir haben sogar einen kleinen Gummibaum aufgetrieben und geschmückt.
      All das nur, um mir die Situation angenehmer zu gestalten. Ich bin Ihnen wirklich dankbar dafür, denn die letzten Tage hat diese Ablenkungstaktik wunderbar funktioniert.

      Heute allerdings vermochte mich bisher nichts von der Tatsache ablenken, dass ich meine Familie nicht sehen würde. Die Weihnachtsmusik geht mir auf den Geist, den eigentlich schön geschmückten Gummibaum würde ich am liebsten hochkant aus der Wohnung schmeißen, ebenso all die Deko.

      Simon und Jana sitzen im Wohnzimmer auf der Couch, um zu verhindern, dass ich meine Gedanken in die Tat umsetze. Jana scheint zwar mit ihrem 3DS beschäftigt zu sein und Simon liest eines seiner vielen Bücher, doch ich weiß ganz genau, dass beide mich aus dem Augenwinkel beobachten. Mit einem entnervten Stöhnen lasse ich mich zwischen die beiden auf die Couch sinken.

      „Keine Sorge, ich werde dem Baum schon nichts antun.“, nuschele ich in meinen nicht vorhandenen Bart. „Ihr müsst ihn nicht bewachen.“

      Simon schaut von seinem Buch auf und grinst mich schief an. „Reine Vorsichtsmaßnahme. Wir könnten es nicht verantworten, falls ihm etwas zustoßen sollte. Wenn alles vorbei ist, wirst du nicht weiter überwacht.“ Er spricht vom Baum als sei er ein wichtiger Zeuge in seinem Krimi, den er liest. Das lässt mich doch leicht schmunzeln. Es muss für die beiden nicht leicht sein, mich in dieser Laune um sich zu haben. Aber anmerken lassen sie sich nichts.

      Ich seufze abermals, lege meinen Kopf auf die Sofalehne und schließe die Augen. Was ich dadurch nicht sehe ist, dass Jana und Simon sich angrinsen und nicken, ohne Worte miteinander kommunizieren.

      Jana erhebt sich neben mir. Ich blinzle sie aus einem Auge an.
      „Ich geh mal in die Küche, hab Hunger.“, meint sie. Ich nicke so gut es geht, schließe wieder die Augen und lasse erneut ein Seufzen erklingen.

      Simon neben mir schnaubt leise. Auch ihn schiele ich aus einem Auge kurz an, doch er hat seinen Kopf in seinem Buch vergraben. Muss wohl gerade darin etwas passiert sein, das ihn schnauben ließ.

      Bis auf die noch immer leise dudelnde Weihnachtsmusik kehrt Stille ein. Für Weihnachten eigentlich passend, doch es ist keine besinnliche Stille. Diese Stille ist unangenehm. Simon allerdings ist so sehr in sein Buch vertieft, dass er dies nicht mal zu bemerken scheint. Ich muss mich dieser Stille also allein stellen.

      In Gedanken versuche ich die Texte der Weihnachtslieder mitzusingen, was mich jedoch nur wieder daran erinnert, dass ich nicht bei meiner Familie bin. Vielleicht – wenn ich einfach nur nichts denke – nein, das funktioniert ebenfalls nicht. Verdammt, irgendwie muss ich mich doch ablenken können. Es muss irgendetwas geben, dass mich genug in den Bann zieht, um mir diese Tage leichter zu machen. Ich kann hier nicht die nächsten 3 Tage miesepetrig rumlaufen und meinen Freunden auf die Nerven gehen. Denk, Noah, denk! Streng dein Hirn an! Irgendwas-


      Ein energisches Schütteln an meiner Schulter reißt mich aus meinen Gedanken. Ich blinzle, meine Augen müssen sich erst wieder an die Helligkeit im Raum gewöhnen.
      „Was ist los?“ frage ich genervter klingend als ich es eigentlich bin.
      „Ich versuche seit mindestens einer Minute dich wachzukriegen. Du musst ja ganz schön tief geschlafen haben.“ Simon hört sich etwas besorgt an.
      „Geschlafen? Ich hab doch nur für ein paar Minuten die Augen zugemacht und nachgedacht.“, erwidere ich verwirrt.

      „Du hast eine knappe Stunde gepennt, Noah, nicht mal eben die Augen zugemacht.“ Simon lacht laut los. Meine Augen wandern zur Uhr an der Wand. Tatsächlich ist etwas mehr als eine Stunde vergangen. Ich strecke mich, um die Müdigkeit abzuschütteln und atme tief dur- was zum…? Ein allzu vertrauter Geruch steigt mir in die Nase. Sind das…
      „Vanillekipferl? Warum riecht es nach Vanillekipferln?“

      Simon grinst mich abermals schief an und streckt mir seine Hand entgegen. Ich ergreife sie, er zieht mich vom Sofa hoch und schleift mich dann hinter sich her in Richtung Küche.
      „TADA!!“ Simon löst sich von mir, tänzelt an Jana vorbei, die gerade ein Blech Vanillekipferl in den Ofen schiebt. Dabei schnappt er sich ein Kipferl von einem anderen Blech und schiebt es sich genüsslich in den Mund.

      „Mh, die Vanillekipferl deiner Mutter sind echt die Besten!“ schmatzt er übertrieben laut.
      „Hey, du hast langsam genug, meinst du nicht?“ Jana schaut Simon tadelnd an. „Du hast schon den rohen Teig ständig genascht. Das erste fertige Kipferl sollte Noah probieren!“
      Simon schaut beschämt drein, sieht dann entschuldigend zu mir. Ich allerdings stehe nur wie angewurzelt in der Küchentür und schaue wahrscheinlich wie ein Auto. Jana schaut mich nun auch an.

      „Ich glaub, wir haben ihn kaputt gemacht.“ Beide kommen in meine Richtung, packen meine Hände und ziehen mich in die Küche und stellen mich vorm Herd ab.
      „Hier!“ Jana drückt mir ein handgeschriebenes Rezept in die Hand. „ Du bist für den Glühwein verantwortlich. Halt dich einfach genau an die Vorgaben und nicht probieren, okay?“

      Ich kann nicht mehr als sprachlos nicken, als ich mich daran mache den Glühwein aufzusetzen. Während ich die verschiedenen Alkoholika und Gewürze in einen Topf gebe und langsam zum Kochen bringe, bereiten Simon und Jana am Küchentisch das Abendessen vor.

      Frischer Kartoffelsalat, dazu kommen dann noch leckere Bratwürstchen vom hiesigen Metzger. Wir hatten uns auf etwas Einfaches, Leichtes geeinigt, da wir einstimmig beschlossen, dass Gans zu aufwändig für uns werden würde. Noch heute Vormittag hatte ich mich absolut nicht auf dieses Weihnachtessen gefreut, hätte alles für das Gänseessen zu Haus gegeben, doch mittlerweile… scheine ich mich damit abgefunden zu haben?

      Ich werde kurz vom Herd verscheucht, als Simon auf Janas Geheiß das zweite Blech Vanillekipferl aus dem Ofen holt. Natürlich unter strenger Beobachtung, sodass er nicht noch ein Kipferl klauen kann. Ich setze mich derweil am Küchentisch nieder und lasse die Situation auf mich wirken.

      Die frischen Plätzchen, der Glühwein – ich atme tief ein. Es riecht fast wie daheim, wenn sich all die guten Gerüche der Weihnachtszeit vermischen und das ganze Haus erfüllen. Dieser Gedanke zaubert mir zum ersten Mal an diesem Tag ein Lächeln aufs Gesicht, das nicht sofort wieder verschwindet.

      „Noah, wir sind fertig. Kümmer dich wieder um den Glühwein, bitte!“ Jana steht ebenfalls mit einem Lächeln auf den Lippen vor mir. Ich nicke sanft, erhebe mich und gehe wieder an den Herd zurück auf dem bereits schon die Pfanne für die Bratwürstchen steht. Meine Augen schweifen kurz zur Uhr: Es ist mittlerweile früher Abend. War nicht eben noch Mittag? Wo ist die Zeit nur hin?

      Bevor ich mich versehe, steht Simon am Herd und brät die Würstchen, während Jana und ich den Tisch decken. Als ich den Kühlschrank öffne, schlägt mir der unverwechselbare Geruch des Peterschen Kartoffelsalats entgegen. Nichts gegen das Kartoffelsalatrezept Simons oder meiner Mutter, doch das von Janas Mutter ist einfach zu gut.

      Ein paar Minuten später sitzen wir gemeinsam am Esstisch und genießen unser Weihnachtsessen. Vergessen sind aufgebrachte und betrübte Gefühle, ich habe meine Familie zwar im Hinterkopf, rufe mir ab, was sie zur Zeit wohl machen, doch es nagt nicht mehr an mir, dass ich nicht bei ihnen sein kann. Wir essen, reden über Gott und die Welt, lachen über Vergangenes. Die Ablenkung wirkt wieder, doch ist sie nun keine Ablenkung mehr: Ich habe wirklich Spaß.

      Nach dem Essen waschen wir gemeinsam ab und begeben uns dann ins Wohnzimmer vor den Fernseher. Wir haben ein paar weihnachtliche Filme in unseren Sammlungen gefunden, die wir uns ansehen wollen. Bevor wir den ersten Film starten, grinsen mich Jana und Simon jedoch geheimnisvoll an, halten mir ein Vanillekipferl und eine Tasse mit dem Glühwein hin.

      „Probier!“ sagen sie fast im Einklang.

      Ich schaue heute wohl zum zweiten Mal wie ein Auto, denn beide verdrehen die Augen und halten Kipferl und Tasse noch näher.

      „Nun los!“ Simon drängelt. Immer unter Strom. Wie er so lang ruhig sitzen und ein Buch lesen kann, ist mir bis heute ein Rätsel.

      Ich greife nach beidem und gehe dem Wunsch meiner Freunde nach. Ich beiße zuerst ein Stück des Vanillekipferls ab. Dieser Geschmack ist so bekannt, das sind nicht einfach nur Vanillekipferl. Hat Simon nicht vorhin gesagt- Das heißt…? Ich schwenke den Glühwein, nehme das Aroma wahr, versuche mich daran zu erinnern, was genau ich alles zusammengemischt habe. Ich nippe etwas um mir die Zunge nicht zu verbrennen – ja, definitiv. Ich nehme die zweite Hälfte des Vanillekipferls in den Mund, dazu diesmal einen Schluck Glühwein und lasse mich von diesem besonderen Geschmack überwältigen, den ich immer zur Weihnachtszeit erlebe, seit ich das erste Mal den Glühwein meines Vaters trinken durfte. Aber wie-?

      „Vanillekipferl nach dem Rezept deiner Mutter…“, beginnt Simon.

      „Und Glühwein nach dem Rezept deines Vaters.“, endet Jana. „Wir wussten, wie schwer es dir fällt nicht bei deiner Familie zu sein, daher dachten wir, bringen deine Familie so gut es geht zu dir.“

      „Und was wäre passender als dir den Geschmack zu bringen, auf den du dich am meisten freust und schon Monate vorher schwärmst? Also haben wir uns die Rezepte von den beiden geben lassen und ohne dein Wissen die Einkäufe dafür erledigt.“

      Simon und Jana lächeln mich zufrieden an.

      „Danke. Ehrlich, ihr seid die besten besten Freunde, die ich mir wünschen kann.“ Ich stelle meine Tasse ab und ziehe beide in eine Umarmung. „Frohe Weihnachten!“

      „Frohe Weihnachten, Noah!“

      Wir kuscheln uns nun endgültig zusammen aufs Sofa und lassen den Heiligen Abend ruhig ausklingen. Vergessen sind die Gedanken an meine Familie und was sie gerade machen mögen. Denn ich bin hier mit meinen besten Freunden, meiner zweiten Familie. Und mit Vanillewein und Glühkipferln!
    • Ein zweiter One-Shot ist gestern entstanden. Bedingungen für die Geschichte waren:
      • es soll eine fröhliche Geschichte sein
      • das Wort "Kaktusfeige" muss vorkommen
      • es muss (mindestens) ein China-Klischee vorkommen


      Hier ist:



      Schokoladenchili, Kaktusfeigen und andere Klischees


      Simon dreht und wendet die gelbliche Frucht in seinen Händen und betrachtet sie gründlich von allen Seiten. Dann rümpft er pikiert die Nase.
      „Was ist das noch mal, Noah?“ fragt er.
      „Kaktusfeige.“, beantworte ich ihm zum wiederholten Mal seine Frage.
      „Und du bist echt sicher, dass man das essen kann?“

      Ich verdrehe die Augen, muss aber trotzdem lächeln. Typisch Simon. Er war schon immer sehr pingelig, was Essen anging. Was er kannte, aß er ohne zu meckern, doch ihm Neues oder nichts (seiner Meinung nach) Alltägliches vorzusetzen und schmackhaft zu machen, war schwierig – sehr schwierig – auch wenn er es im Nachhinein meist liebte.

      „Ja, ich bin ganz sicher! Sie wird dir bestimmt schmecken.“, erwidere ich. Ich stehe am Herd und bereite das heutige Abendessen vor. Jana, Simon und ich waren vor kurzem zusammengezogen, wie wir es uns vor Jahren vorgenommen hatten, und nun mussten wir uns regelmäßig mit Simons Essgewohnheiten plagen.

      Jana und ich kochen gerne und experimentieren mindestens genauso gern mit neuen Zutaten. Ginge es nach Simon, äßen wir jeden Tag Pommes mit Bratwurst, Pizza oder irgendein anderes Gericht, das er von seiner Mutter kannte. Nein, natürlich hatte ich nichts gegen diese Gerichte, aber auf Dauer würden sie uns doch zum Hals raushängen.

      Simon gibt ein verächtliches Schnauben von sich. Ich kann mir schon vorstellen, wie sich die Situation nachher entwickeln wird: er wird sich mit aller Macht weigern die Feigen auch nur zu probieren, ich werde ihn festhalten und Jana wird versuchen ihm einen Löffel der Frucht zuzuführen. Danach wird er nicht nur eine, sondern wahrscheinlich mehrere der Früchte verputzen, weil sie ihm so gut schmecken.

      „Und die kommen aus China?“ brummelt er auf einmal hinter mir. Manchmal frage ich mich, ob er mir überhaupt zuhört, wenn ich ihm was erzähle. Und warum muss eigentlich alles was mit China zu tun haben, nur weil ich Sinologie studiere?

      „Nein, das hab ich dir aber auch schon gesagt: man glaubt, dass die Kaktusfeige aus Mexiko kommt. Sicher ist man sich allerdings nicht.“, erläutere ich, während ich eine Dose Tomaten öffne und zu den bereits im Topf vorhandenen Zutaten gebe.
      „Und da es heute Chili gibt, dachte ich, es sei ein passender Nachtisch, um die Schärfe etwas auszugleichen.“ Als Antwort bekomme ich nur ein Grummeln. Er ist nicht überzeugt, was habe ich auch anderes erwartet?

      Ich decke den Topf ab, da nun alles etwas einkochen muss, und setze mich zu Simon an den Küchentisch. Die Kaktusfeigen liegen vor ihm und er beäugt sie noch immer misstrauisch. Daneben liegt die Schokolade, die ich später zum Chili hinzugeben werde. Ich muss leicht lachen, woraufhin Simon seinen Blick von den Feigen abwendet und stattdessen mich mustert.
      „Warum lachst du?“

      „Ich habe nur gerade daran gedacht, als du zum ersten Mal mein Chili gegessen hast und mir anschließend nicht glauben wolltest, dass Schokolade dran war. Und als ich es das nächste Mal gemacht habe, warst du dabei und hast du mich ganz entsetzt angeguckt, als ich sie tatsächlich dabei gemacht habe. Du wolltest partout nicht probieren, obwohl es dir beim ersten Mal so gut geschmeckt hatte.“

      Simon zieht eine Schnute, während ich erzähle.
      „Wer kann denn ahnen, dass das wirklich zusammenpasst und schmeckt?“ versucht er sich zu verteidigen.

      „Du! Du hattest es ja schon mal gegessen.“
      Ich muss wieder lachen, doch seine Schnute verschwindet nicht.

      „Ich dachte ja, du hättest mich verarscht! Dann hast du aber auf einmal die Schokolade rein geschmissen und scheinbar absichtlich einen ganzen Topf Essen versaut! Dabei hatte ich mich schon so darauf gefreut.“

      „Hättest du mal sofort probiert und dich nicht wieder so angestellt, hättest du gemerkt, dass es wie beim ersten Mal schmeckt.“
      „Außerdem hätte es Jana und mir eine Menge Arbeit erspart.“, füge ich in Gedanken hinzu.
      Daraufhin lehnt sich Simon in seinem Stuhl zurück und verschränkt beleidigt die Arme vor der Brust.

      „Jetzt weiß ich es ja...“, erwidert er nach einiger Zeit des Schweigens kleinlaut.

      „Ich mache dir ja auch keine Vorwürfe.“, versuche ich ihn aufzumuntern. „Und wenn du der Kaktusfeige nur eine Chance gibst, wirst du sie bestimmt lieben.“

      Mehr als ein Grummeln bekomme ich nicht als Antwort, also begebe ich mich an den Herd und kümmere mich wieder um das Chili und lasse das Thema fürs Erste ruhen.



      Jana kommt etwa eine Stunde später und genau richtig zum Essen heim. Wie ich sie gebeten hatte, hat sie frisches Baguette vom Bäcker in der Nähe ihres Ausbildungsbetriebs mitgebracht, das wir zum Chili genießen werden. Simon hatte sich zwischenzeitlich in sein Zimmer verzogen und wahrscheinlich weitergeschmollt, doch als er die Haustür hörte, kam auch er wieder in die Küche. Enttäuscht seufzend lässt er sich erneut am Küchentisch nieder.

      „Auch nichts Essbares zum Nachtisch. Hättest du nicht ein paar Glückskekse oder so mitbringen können? Die schmecken wenigstens und wir hätten damit sogar was, das zu Noahs Studium passt.“

      Jana schaut verwirrt von Simon zu mir.
      „Was ist denn mit dem los?“ will sie wissen.

      Ich erkläre ihr also die Situation, woraufhin auch sie nicht anders kann als – wie ich schon vor ihr – die Augen zu verdrehen.
      „Glückskekse kriegt man hier zwar beim Chinesen“, korrigiere ich Simon anschließend, „in China selbst gibt es sie aber nicht. Sind nur hier und in den USA besonders beliebt.“, worauf ich jedoch nur ein genervtes „Hrmpf.“ von ihm ernte.

      „Simon, mittlerweile solltest du wissen, dass wir dir nichts zu essen geben, das nicht schmeckt.“, versucht Jana nun ihr Glück ihn zu überzeugen, doch auch sie wird geflissentlich ignoriert.

      Ich lasse unterdessen ein letztes Mal das Chili leicht aufkochen, fülle jedem eine Schale ein und geselle mich dann zu den beiden an den Tisch. Trotz seiner eben noch miesen Laune haut Simon ordentlich rein, höchstwahrscheinlich um den „Verlust“ seines Nachtisches auszugleichen.

      Während des Essens tauschen wir uns über unseren Tag aus und Simon kehrt zu seinem üblichen quirligen Selbst zurück. Er erzählt ausschweifend von seinen Professoren und Kommilitonen, was er alles gelernt hat und noch mehr. Vergessen ist das Drama um den Nachtisch – als hätte es gar nicht stattgefunden. Als Jana und ich uns allerdings nach dem Abräumen wieder hinsetzen und unsere Kaktusfrüchte aufschneiden...

      „Haben wir nicht irgendwas anderes im Haus? Ich will keine Kakteen essen.“

      Jana und ich rollen simultan mit den Augen und versuchen seine Nörgelei zu ignorieren. Jana erzählt mir von dem Buch, das sie momentan liest, doch es ist schwer sich auf sie zu konzentrieren.

      „Leute, hätten wir nicht zumindest ein paar Bananen oder so kaufen können? Oder Weintrauben? Ich hätte jetzt wirklich gern Weintrauben. Oder eine leckere Ananas.“ Er seufzt freudig, stellt sich wahrscheinlich vor, wie er erwähnte Früchte isst.
      „Ich würde jetzt sogar eine Salatgurke essen, obwohl die nach nichts schmecken. Kiwis! Warum hast du keine Kiwis gekauft, Noah? Die sind auch exotisch, aber schmecken wenigstens gut. Oder Mangos! Ja, eine Mango wäre jetzt auch was Feines.“

      Es fällt mir schwerer und schwerer Jana zuzuhören, weil Simon mit seinem Nörgeln einfach nicht aufhört. Und auch Jana selbst hat Schwierigkeiten gegen ihn anzukommen.

      „Orangen, Tomaten, Kirschen, Erdbeeren, Äpfel, Birnen, Blaubeeren, Brombeeren, Himbeeren, Johannisbeeren, so viele leckere Sachen und was kaufst du? Kakteen. Ich verstehe nicht, wie ihr das Zeug essen könnt. Das muss doch total-“

      Er liegt mit dem Kopf auf seinen auf dem Tisch verschränkten Armen und zählt auf, was ihm in den Sinn kommt. Doch an diesem Punkt haben wir ihn bereits ignoriert und uns vorbereitet. Jana hat eine weitere Kaktusfrucht aufgeschnitten, mit einen Löffel etwas aus der Frucht geschabt und ist bereit Simon diesen im richtigen Moment zu verabreichen.

      Dieser Moment ist schnell gekommen. Blitzschnell und gekonnt schiebt Jana Simon den Löffel in den Mund als er sich nach weitem Öffnen gerade wieder schließt, gibt Simon so gar keine andere Möglichkeit als das Fruchtfleisch zu schmecken. Und – wie ich bereits vorhergesehen hatte – leuchten seine Augen plötzlich auf und er grabbelt nach der Frucht in Janas Hand.

      „Wow, das ist ja lecker. Warum habt ihr das nicht gleich gesagt?“

      Ich lache laut los und Jana überlässt der grabbelnden Hand die Frucht. Ja, das ist unser Simon. Von fünf Früchten hat er schlussendlich 3 gegessen, obwohl er sie nicht mal probieren wollte.
    • Hey, deine Geschichte ließt sich echt super!
      Mir gefällt, dass es so schön alltäglich ist und man kann es sich super vorstellen.
      Ein bisschen mehr Gefühle des Hauptcharakteres würde ich noch mit einbringen um der ganzen Sache etwas mehr Tiefe zu geben...

      Woher kommen denn eigentlich die sogenannten Bedingungen?
      Hast du die selber ausgewählt?

      LG Aussie :)
    • Danke, freut mich, dass es dir gefällt, Aussie. Werd mir deine Kritik auf alle Fälle zu Herzen nehmen ^^

      Im Nachhinein merk ich auch, dass das ganze etwas mehr Tiefe verdient gehabt hätte, aber na ja... die Bedingung war halt auch es bis heute fertig zu bekommen, da war ich einfach zu voreilig ;)

      Die Bedingungen sind aus einem Skypechat mit vielen Leuten aus dem ZFB. Es ging darum Wons ein wenig aufzumuntern, daher hat sie sich die Bedingungen ausgedacht.

      Nach der gleichen Art ist btw auch eine dritte Geschichte schon in Arbeit. Diesmal mit 5 Wörtern, die untergebracht werden müssen.
    • (Echt, war es Bedingung, sie so schnell fertig zu kriegen? Das kam aber dann von shad, nicht von mir^^' )

      Ja, ich hab gar nicht mitbekommen, dass du deine Geschichtlein endlich mal ins ZFB bringen willst, ich las nur irgendwas von wegen Animexx, aber hier sind sie definitiv besser aufgehoben.

      Ich finde übrigens gar nicht, dass der Protagonist jetzt noch ultraviel Tiefe braucht. Er ist eben ein dezenter Charakter und so kann man sich eventuell auch besser mit ihm identifizieren. (Auch wenn Simon eh der Beste ist.)
      Ansonsten weiß ich auch gar nicht, was ich noch schreiben soll; dass ich sie unendlich süß finde, weißt du ja schon. Bedingungen auch souverän eingebracht, ich liebe einfach die Glückskekse.^^

      Ansonsten: Noah und Simon sind "abgehakt", jetzt bin ich wirklich gespannt, was Jana noch so erlebt.
    • Ja, dass es so schnell fertig sein sollte, kam von shad. Deswegen hat Mad sich ja gestern Abend dann auch noch abgequält das Ganze fertig zu bekommen.

      Dass ich die Geschichten nun auch hier hochlade, war auch eher ein "spur of the moment". Auf Animexx habe ich vorgestern aber schon Vanillewein und Glühkipferl hochgeladen.

      Was Noah (Protagonist) angeht: er soll ja eigentlich schon eine gewisse Tiefe haben. Ich schreibe immerhin von drei Freunden und nicht von zweien. Aber ja... in meine Protagonisten fließt eh immer zu viel von mir ein, daher merk ich meist nicht, dass sowas mehr beschrieben werden könnte.

      ^///^ freut mich immmer noch, dass du sie magst. Ich werde versuchen Janas (erste) Geschichte auch liebenswürdig zu machen. Knapp 200 Wörter hab ich schon :ugly:
    • Ich wollte damit jetzt auch wirklich nicht sagen, er hätte keine Tiefe. Vielleicht liegt das einfach daran, dass wir oft miteinander schreiben und ich daher wohl merke, dass Noah von dir inspiriert ist, wer weiß? Mich stört es jedenfalls nicht, dass er so "wenig beschrieben wird", wenn man's so nennen will, das wollte ich damit nur sagen.^^'
    • Es geht weiter~

      Vorgabe war, diesmal die folgenden Wörter einzubauen:
      • Protuberanzen
      • Morgenrot
      • Schneckenhaus
      • Pfeffer
      • Kapelle

      Viel Spaß mit:



      Lagerfeuerprotuberanz


      „HATSCHI!!“ Ich muss mehrfach laut niesen.
      „Pass doch auf, wo du mit dem Ding hinzielst, Simon!“ fahre ich meinen besten Freund an. Doch alles was ich ernte, ist Gelächter. Sowohl von ihm als auch von meiner besten Freundin, Jana. Als er sich wieder einkriegt, schaut Simon mich aus Hundeaugen an.

      „Tut mir leid, Noah. Ich werde beim nächsten Mal vorsichtiger mit dem Pfeffer sein.“

      „Es ist ja nichts passiert, aber manchmal solltest du wirklich besser aufpassen, was du-“ Ich fange erneut an zu niesen. Diesmal steigen mir Tränen in die Augen und ich sehe verschwommen, wie Simon versucht, nicht wieder loszulachen. Dass Simon mich nun absichtlich zum Niesen bringt, findet auch Jana nicht mehr witzig und wirft vorwurfsvolle Blicke in Simons Richtung.

      Ich krame derweil in meiner Hosentasche nach Taschentüchern und schnaube kräftig in eines hinein, um den Pfeffer gänzlich aus meiner Nase zu bekommen. Simon hat eingesehen, dass er zu weit gegangen ist und entschuldigt sich aufrichtig bei mir.

      „Schon okay. Ich weiß ja, dass du es nicht böse gemeint hast.“, lächle ich ihm zu.

      Ich schmeiße das benutzte Taschentuch in die Flammen vor mir und schaue fasziniert dabei zu, wie es im Lagerfeuer verbrennt.
      Bis auf den Lachanfall ist es ungewöhnlich ruhig zwischen uns, während Simon in einem Topf über dem Feuer einen leckeren Eintopf zusammenrührt. Zumindest Simon ist sonst aufgedrehter, auch beim Kochen. Muss an der Atmosphäre auf dem Zeltplatz liegen. Das Knistern des Feuers, der Mond und die Sterne über uns, die frische Luft – so etwas hat man nicht oft, kein Wunder also, dass man es genießen will. Ich lehne mich auf meinem Stuhl zurück und beobachte die Sterne.

      Es ist bereits Anfang September – ungewöhnlich zu dieser Zeit noch Zelten zu gehen – doch, da für dieses Wochenende gutes und vor allem warmes Wetter angekündigt wurde, haben wir uns entschlossen, die vielleicht letzte Möglichkeit für dieses Jahr wahrzunehmen. Und obwohl es tagsüber schön warm war, ist es mittlerweile doch ganz schön abgekühlt, sodass es mich leicht fröstelt. Das Feuer hilft mich warm zu halten, doch bald sollte ich mir eine lange Hose und einen Pulli überziehen, wenn ich mich nicht erkälten möchte. Simon ist ebenfalls noch in kurzen Sachen unterwegs, doch Jana neben mir ist uns bereits einen Schritt voraus, wie ich feststelle, als ihr Arm sich plötzlich nach oben reckt und auf die Sterne zeigt.

      „Da ist der große Bär. Ein Teil ist der große Wagen, wenn wir die hintere Achse fünfmal verlängern,“ sie misst die Entfernung mit den Fingern ab, „kommen wir zum Polarstern, der Teil des kleinen Wagens beziehungsweise kleinen Bärs ist. Siehst du die Formation über dem kleinen Wagen, die sich bis nach unten zwischen kleinem und großem Wagen streckt? Das ist der Drache. Und wenn wir noch weiter schauen, sehen wir-“

      Jana ist in ihrem Element, Astronomie ist ihr Ding. Wäre sie nicht eine totale Niete in Mathe und Physik, hätte sie wohl versucht ein Studium in diese Richtung zu verfolgen, doch so bleibt es ein heißgeliebtes Hobby. Wenn es neue Entdeckungen gibt, ist Jana sofort zur Stelle, um darüber zu berichten. Als sich vor ein paar Jahren die totale Sonnenfinsternis ereignete, war sie total hin und weg, doch am Ende nur enttäuscht, da sie aufgrund einer dicken Wolkendecke die Finsternis nicht wirklich mitverfolgen konnte.

      Ich lausche ihren Erzählungen über den Sternenhimmel. Ich finde es wirklich interessant darüber zu hören, doch würde ich es selbst machen, käme ich wohl nicht über großen und kleinen Wagen hinaus.

      „SCHEISSE!!“ brüllt Simon plötzlich und wir schrecken auf.

      Der Topfinhalt scheint zu heiß geworden zu sein und kocht über, schwappt ins Feuer und lässt dies dadurch ausbrechen. Ohne allzu viel nachzudenken springe ich auf, ziehe die Schutzhandschuhe über und hebe den Topf vom Feuer. Jana hat sich ebenfalls erhoben und sich zu Simon begeben.

      „Alles okay?“ fragt sie ihn. „Hast du dich verbrannt?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, inspiziert sie sowohl Arme und Beine als auch Simons Gesicht auf Verletzungen.

      „Nein, alles gut, Jana. Vielleicht sind ein paar Härchen versengt, aber es war zum Großteil nur Schock.“, erwidert Simon und untersucht ebenfalls seine Gliedmaßen. Er zeigt Jana eine nicht zu verachtende kahle Stelle am rechten Unterarm.
      „Siehst du? Alles halb so schlimm.“ Er zeigt Jana die Stelle, damit sie sich nicht weiter sorgt, doch es hat den gegenteiligen Effekt.

      „Halb so schlimm? Das hätte schlimmer ausgehen können.“

      „Ist es aber nicht. Alles gut, Jana. Komm runter.“ Simon redet beschwichtigend auf Jana ein und langsam beruhigt sie sich wieder.

      Ich habe währenddessen den Topf etwas entfernt vom Feuer auf dem Boden abgestellt und ein wenig abkühlen lassen, bevor ich ihn wieder vorsichtig über das Feuer hänge. Auf Janas Geheiß, bleibt Simon dem Topf fürs Erste fern und ich bin ab jetzt für das Essen zuständig.
      Als sie beruhigt ist, dass Simon nichts fehlt, führt sie ihn zum Stuhl, auf dem ich bis vor wenigen Minuten noch gesessen habe, und lässt sich dann neben ihm nieder. Nicht jedoch, ohne weiter aufzuzählen, was alles hätte passieren können.

      Ja, Jana ist immer besorgt um uns. Es mag vielleicht wie ein Klischee anmuten, dass gerade das Mädchen in unserer Dreiergruppe sich wie die Mama benimmt und alle umsorgt, aber so ist es nun mal. Als wir noch Kinder waren, fiel Simon mal von einem Trettrecker in ein Kiesbett, in das ich ihn reinfuhr, und schürfte sich fürchterlich Beine, Arme und auch das Gesicht auf. Als Jana davon erfuhr, hörten wir noch Monate später von ihr, wie dumm wir doch gewesen wären. Ja, wir beide, nicht nur ich, der den Trecker fuhr, sondern auch Simon, der vorne auf dem Trecker saß ohne Möglichkeit sich festzuhalten. Ehrlich gesagt, hören wir heute noch davon, wenn sie enttäuscht von oder sauer auf uns ist.

      „Protuberanzen?“ ist das Erste, das ich wieder von der Unterhaltung zwischen Simon und Jana mitbekomme. Protuberanzen? Klingt wie eine Krankheit.

      „Das sind doch diese Ausbrüche, die man auf der Sonne beobachten kann oder nicht?“

      Oh- Wie sind die beiden auf dieses Thema gekommen?

      „Ja schon, aber...“ Jana scheint nicht zu verstehen, worauf Simon hinaus will.

      „Die Flammen sind hochgeschossen, genau wie bei den Ausbrüchen! Das musst du doch gesehen haben.“ Simon nickt, als könne dies sein Argument verstärken und Jana überzeugen.

      Sie sind also gar nicht vom Thema abgekommen. Simon hat nur einen eigenwilligen Vergleich zwischen den hochlodernden Flammen und der Sonne gezogen.
      Jana schüttelt ungläubig den Kopf.

      „Wenn du meinst.“, erwidert sie mit einem Seufzen.

      Mir ist klar, dass sie darauf nicht geachtet hat. Sie war vollständig auf Simons hoffentliche Unversehrtheit fixiert. Und Simon – Simon benimmt sich als sei nichts passiert. Genau wie bei eben erwähntem Trettreckerunfall: Während ich mir die Augen ausheulte und danach den Trecker am liebsten nie wieder hätte ansehen wollen, saß Simon, nachdem seine Wunden versorgt waren, unmittelbar wieder auf und raste mit Höchstgeschwindigkeit herum.

      Ich nehme den Topf vom Feuer, da der Eintopf mittlerweile fertig ist.
      „Bedient euch schon mal, ich ziehe mir nur eben was über.“, wende ich mich an die zwei, krieche dann ins Zelt und krame die langen Sachen aus meinem Rucksack.
      Einen Moment später geselle ich mich mit einem Teller zu den beiden, die bereits kräftig am Pusten sind, um den Eintopf auf essbare Temperatur zu kühlen.

      Wir essen in Ruhe, wechseln währenddessen kaum ein Wort miteinander. Anschließend waschen wir gemeinsam ab und sammeln uns danach wieder ums Lagerfeuer. Jana hat ihr Teleskop aus dem Auto geholt und baut es abseits des Feuers auf. Ich habe im gleichen Zug meine Gitarre geholt und zupfe zusammenhanglos die Saiten, bis mir ein geeignetes Lied einfällt.

      „Setzt euch ans Lagerfeuer,
      singt das Lagerfeuerlied,
      das L-A-G-E-R-F-E-U-E-R-L-I-E-D Lied.
      Und das Lied geht noch viel schneller,
      denn erst dann wird es zum Hit,
      darum singt es doch ganz einfach mit.“

      Simon guckt mich bei den ersten Akkorden verwirrt an, doch als ich anfange zu singen, macht sich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht breit. Bei Jana sehe ich ebenfalls aus der Entfernung ein Lächeln, auch wenn sie versucht es mit einem verzweifelten Kopfschütteln zu verbergen.

      „Bam, bam, bam“, stimmt Simon in der tiefsten ihm möglichen Tonlage mit ein.

      „L-A-G-E-R-F-E-U-E-R-L-I-E-D; L-A-G-E-R-F-E-U-E-R-L-I-E-D;
      Und das Lied geht noch viel schneller,
      denn erst dann wird es zum Hit,
      darum singt es doch ganz einfach mit.
      L-A-G-E-R-F-E-U-E-R-L-I-E-D; L-A-G-E-E-F-U-E-R-R-“

      Wir singen schneller und schneller, doch irgendwann verhaspeln wir uns vollkommen und brechen in schallendes Gelächter aus.
      Nachdem wir uns wieder eingekriegt haben, kramt Simon seinen eingerollten Schlafsack aus dem Zelt und kauert sich mit ihm auf dem Rücken auf der Erde zusammen.

      „Na, wer bin ich?“ fragt er und muss ein Lachen unterdrücken.

      Jana, die ihr Teleskop fertig aufgebaut hat und wieder zurück zum Feuer gekommen ist, verdreht die Augen (ich kann mir gut vorstellen, was in ihrem Kopf vorgehen muss) und ich zucke unwissend mit den Schultern.

      „Miau!“ gibt Simon von sich und als ich realisiere, wen er darstellen will, breche ich abermals in Gelächter aus.

      „Bei Fuß, Gary!“ Jana steht mit todernster Miene neben einem der Stühle und deutet auf dessen Sitzfläche.

      „Miau?“ „Gary“ hört selbstverständlich absichtlich nicht. Schließlich ist er eine Hauskat- Hausschnecke und kein Wurm.

      „Bei Fuß!!“ Ein erneuter Befehl mit barscherem Unterton, der mein zu einem Kichern verkümmertes Lachen vollständig verstummen lässt, woraufhin „Gary“ gefügig auf den Stuhl krabbelt und sich dort zusammenrollt.

      Ich verfolge die Szene, die sich vor mir abspielt, etwas unsicher. Doch als Jana Simon lobt, ihm durch die Haare wuschelt und dabei schließlich die ernste Miene nicht aufrechterhalten kann, lache ich abermals. Und auch Simons und Janas Lachen lässt sich lange auf sich warten.
      Nachdem wir uns ausgelacht haben, fange ich wieder an zu spielen und erfülle ein paar von Simons und Janas Liedwünschen.
      Ganz klischeehaft rösten wir später Marshmallows und erzählen dabei Geschichten.

      „Und noch heute hört man in der Nacht die schmerzverzerrten Schreie des Mädchens in den Fluren hallen.“, endet Jana ihre Gruselgeschichte.

      Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken, ob nun von der kühler werdenden Luft oder der Geschichte, daher ziehe ich die Kapuze meines Pullis enger um meinen Hals. Simon ist in sein „Schneckenhaus“ gekrochen und lugt nur noch vorsichtig über der Kopföffnung hervor. Mit Gruselgeschichten kann man ihn jagen und damit ist er das komplette Gegenteil von Jana. Für sie gilt: je gruseliger, desto besser. Als wir noch jung waren, hat Janas älteste Schwester mit ihr und Simon Friedhof der Kuscheltiere geschaut, seitdem ist Jana gegen Horror abgehärtet wie keine Zweite und Simon... nun ja. Meine Wenigkeit war zu dieser Zeit bei Oma und Opa zu Besuch, daher kam ich – „leider“ laut Jana und „zum Glück“ laut Simon – nicht in den Genuss dieses Films.

      Ich reiche Simon einen heißen Marshmallow und das erste Mal in 10 Minuten kommt er aus seinem Haus und isst vergnügt schmatzend die süße Leckerei. Der zweite in meiner anderen Hand ist für mich und ich tue es Simon gleich. Auch Jana lässt sich die Zuckermasse schmecken - zu Simons großer Freude, da sie so keine Gruselgeschichten mehr erzählt.
      Unerwartet springt sie kurz darauf auf und fragt mit vollem Mund:
      „Wuiwui Wua i e?“

      Ein kurzer Blick auf meine Armbanduhr verrät mir die Zeit, die ich Jana sogleich mitteile. Freudig läuft sie zum Teleskop und winkt uns nach einigem Suchen zu sich herüber. Damit Simon auch ordentlich laufen kann, öffne ich ihm die Unterseite des Schlafsacks, sodass die Füße herausgucken.
      Am Teleskop lasse ich Simon den Vortritt. Das Teleskop ist fast waagerecht ausgerichtet, was erwartet sie, das wir sehen können? Simon tritt zurück und auch ich werfe einen Blick durch das Rohr. Ein kleines Pünktchen, aber relativ hell. Ich blicke Jana fragend an?

      „Ja, ich weiß, es sieht nach nichts aus, aber Jungs: DAS...“, sie fügt eine dramatische Pause ein, „ist Venus.“

      Ich werfe noch mal einen Blick in das Teleskop und neben mir drängelt Simon, um dasselbe zu tun.

      „Das ist Venus?“ frage ich ungläubig. „Die ist so... klein.“ Jana gibt mir einen leichten Klaps aufgrund meiner Aussage.

      „Natürlich ist sie klein. Sie ist zwar der uns nächste Planet, aber auch mehrere Zehnmillionen Kilometer von uns entfernt.“, empört sie sich lauter als nötig.

      Ich hebe abwehrend die Arme.
      „Ich habe nichts gesagt.“

      Mir läuft erneut ein kalter Schauer über den Rücken, diesmal eindeutig von den Temperaturen. Es hat sich doch weiter als erwartet abgekühlt und das ist besonders spürbar, wenn man länger der Wärme des Lagerfeuers ausgesetzt war und diese plötzlich nicht mehr um sich hat. Ich schlinge also die Arme um mich und begebe mich zurück ans Feuer. Ich seufze wohlig als mich die Wärme abermals umfängt.
      „Schon besser.“

      Simon und Jana bleiben zurück und sehen sich weiter die Sterne an. Ab und zu höre ich von Simon ein freudiges „Oh!“ oder „Ah!“, wenn Jana ihm erklärt, was er gerade sieht, und ich muss unweigerlich lächeln.
      Ich greife unterdessen noch einmal nach meiner Gitarre und fange an zu spielen. Einen enormen Vorteil hat dieser Zeltausflug: zu dieser Jahreszeit ist kaum noch jemand außer uns auf dem Platz, sodass wir, obwohl es bereits weit nach Mitternacht ist, kaum Rücksicht auf andere Zelter nehmen müssen.

      Irgendwann wird es dann auch den beiden zu kalt so fern des Feuers und sie gesellen sich wieder zu mir. Simon legt jedoch noch einige Scheite Holz nach, bevor er sich wieder auf seinem Stuhl zusammenrollt. Wir singen ein paar Lieder zusammen, doch allmählich macht sich die Müdigkeit zwischen uns breit. Jana ist die Erste, die dem Drang zu gähnen nicht widerstehen kann und wie auf Befehl schließen wir mit Gähnen unsererseits an.

      Der Mond steht bereits tief am Himmel, es wird bestimmt bald wieder hell. Ein Blick auf die Uhr bestätigt meinen Verdacht. Das Gähnen wird stetiger und ich kann nur für mich sprechen, doch auf einmal werden meine Lider unglaublich schwer, ich kann die Augen kaum noch offen halten.

      „Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich bin hundemüde.“, merke ich an und ernte zustimmendes Nicken.

      „Ja, wir sollten schlafen gehen.“, stimmt Jana zu und erhebt sich als Erste und verschwindet einen Moment später im Zelt.
      Auch ich stehe langsam auf und recke mich etwas. Simon macht jedoch keine Anstalten aufzustehen.

      „Simon, willst du noch nicht schlafen?“ Ich stupse ihn vorsichtig an. Keine Reaktion. Ich schüttele leicht an seiner Schulter und nun reagiert er.

      „Mh? Was ist?“ Oh je, er klingt verschlafen, war scheinbar schon auf dem Stuhl eingenickt.

      „Wir wollen schlafen gehen, für dich wird es scheinbar auch Zeit.“, sage ich mit einem leisen Kichern.

      Simon brummelt ein „Mhja...“ und steht schlaftrunken auf. Er taumelt etwas, daher eile ich an seine Seite und verhindere, dass er umfällt.

      „Ich muss mal.“, meint er plötzlich und pellt sich umständlich aus seinem Schlafsack. „Gehst du mit mir?“

      Ich bin im ersten Moment etwas perplex, doch ich kann ihn gerade noch festhalten, bevor er Richtung Toilettenhaus losstolpert.
      „Wir bleiben hier, wir müssen eh irgendwie das Feuer ausmachen, bevor wir schlafen gehen.“ Ich hoffe, er versteht, was ich- ja, er packt sich aus. Er weiß also, worauf ich hinaus will. Keine fünf Sekunden später höre ich den Strahl aufs Holz treffen und ein leises Zischen vom erlöschenden Feuer. Ich tue es ihm daher gleich und erleichtere mich ebenfalls.

      „Kommt ihr auch bal- NOAH! SIMON!“

      Was in einem müden Ton startet, wird in Sekundenbruchteilen zu aufgebrachter Ungläubigkeit. Jana steckt ihren Kopf aus dem Zelt, weil wir nicht nachkamen, doch den Anblick, den sie bekommt, hätte sie sich wahrscheinlich lieber nicht angetan. Da stehen wir zwei Jungs, nicht unbedingt vom Zelt abgewandt und entleeren unsere Blasen auf das Feuer. Simon lässt sich von der Situation nicht stören und pinkelt einfach weiter, doch ich versuche zumindest ein wenig mich zu bedecken.

      „K-Kommt einfach nach, wenn ihr fertig seid, okay?“ stammelt Jana peinlich berührt und zieht den Kopf wieder ein.

      Als wir fertig sind, packe ich Simon wieder in seinen Schlafsack und helfe ihm ins Zelt. Ich werfe etwas Erde auf das noch nicht komplett erloschene Feuer, sodass es sich nicht von selbst wieder entzünden kann. Ich strecke mich ein letztes Mal, bevor ich mich ebenfalls ins Zelt begebe. Am Horizont bildet sich bereits langsam das erste Morgenrot, die Sonne wird also sehr bald aufgehen.

      Ich versuche nicht auf Simon zu fallen als ich ins Zelt krabbele und Jana grinst mich aufgrund meiner Verrenkungen etwas dümmlich an.

      „Hat er schon geschlafen?“ fragt sie mit einem Nicken in Simons Richtung. Ich antworte mit einem simplen „Ja“.

      „Hab ich mir schon fast gedacht.“ Der amüsierte Unterton ist nicht zu überhören.

      Unser Gesprächsthema wendet sich plötzlich im Schlaf, hebt den Arm Richtung Zeltdecke und murmelt ohne die Augen zu öffnen: „Die Decke der Kapelle muss neu bemalt werden. Du bist dafür zuständig.“
      Sein Arm fällt wieder herab und man hört nur noch Simons leises Atmen.
      Ich muss mir ein Lachen verkneifen, Jana scheint es ähnlich zu gehen, zumindest hat sie eine Hand über den Mund gelegt.

      „Gute Nacht, Jana!“ Ich kann ein leises Lachen nicht zurückhalten. Simon ist wahrlich eine Marke für sich.

      „Gute Nacht, Noah!“
    • (P.S: Ich hoffe, dass sich niemand der Beteiligten in irgendwen anders verliebt, das würde nur wieder alles zerstören!)


      Toll, danke, Aussie. Jetzt lass ich meine otp-Vorschläge wohl doch besser sein...

      Die Geschichte ist Fanservice vom Feinsten; das Lagerfeuerliedlied, Gary und noch ein paar weitere Anspielungen. :3 Auch wenn ich mich mit der Pinkelaktion irgendwie nicht anfreunden kann, das will mir nicht so wirklich zu Noah passen.^^'
      Sie ist wie immer angenehm geschrieben. Aber irgendwie hätte ich mehr Jana erwartet; sie bleibt irgendwie immer noch im Hintergrund, obwohl es um sie geht. Simon rückt sich einfach zu sehr in den Vordergrund (wobei ich das jetzt nicht schlecht finde). :'3
    • Dass sich irgendwer verliebt, ist eigentlich nicht geplant, Aussie xD Aber wer weiß :o
      Und wenn ich weiter mit Challenges versorgt werde, sollten noch ein paar Teile kommen ;)

      Ja... als es einmal im Kopf war, ging Spongebob nicht mehr raus, also musste ich es reinbringen xD
      Die Pinkelaktion... mh... ach doch, das passt schon zu Noah ;D

      Und... wer hat gesagt, dass das die Jana-Episode war? :'D ich hab gesagt, ich würd versuchen, was zu ihr zu machen, aber mh ja... gesagt, dass es das nun ist, hab ich nach Fertigstellung nicht explizit *rausred*

      Ja, Simon ist halt die attention whore... (I wub him so much <3)
    • Es geht endlich weiter (nach fast 4 Monaten)... (und nach fast 5 Monaten stell ich es hier ein...)

      In dieser Geschichte sollte folgendes vorkommen:
      Plüschtier Floink
      Eine Lorenfahrt
      Es soll in einem Freizeitpark spielen
      ein Charakter (egal, wie kurz er auftaucht), der nur in Rätseln labert!

      Es soll ein SnK Easteregg vorkommen
      (ein schimmernder Ritter auf weißem) Walross
      Zusatz: Eisbombe



      Lorenfahrende Walrosse im Rätselpark


      Wir bewegten uns beständig höher und mit jedem Meter, nein, sogar jedem Zentimeter, den wir uns von festem Boden entfernen, wurde ich unruhiger. Mein Magen hatte sich schon in meine Hose verabschiedet, bevor diese Höllenfahrt losgegangen war. Ich hatte das Gefühl jeden Moment kotzen zu müssen. Meine besten Freunde, die mich in ihre Mitte genommen hatten, legten ihre Hände zur Beruhigung auf meine Knie und ich klammerte meinen Glücksbringer, ein kleines Floink-Plüschtier, an meine Brust; ohne Erfolg. Aber was wollte man von einer Person mit Höhenangst anderes erwarten? Dass ich mich überhaupt zu dieser Lorenachterbahnfahrt hatte überreden lassen, grenzte schon an ein Wunder.

      „Noah, reg dich nicht auf! Wir sind bei dir.“
      „Es ist gar nicht schlimm. Du willst gleich bestimmt noch eine Runde fahren.“

      Die aufmunternden Worte Simons und Janas registrierte ich zwar, aber Glauben schenken konnte ich ihnen keinen. Meine Gedanken kreisten lediglich um die bevorstehende steile Abfahrt, die nach diesem Anstieg, der bereits gefühlte Stunden dauerte, auf uns wartete. Schließlich waren wir auf dem höchsten Punkt angekommen, konnten meterweit in die Tiefe schauen...


      So gefühlt ewig die Steigfahrt gedauert hatte, so schnell war der Rest vorbei gewesen und in meinem Hirn nur noch ein Wirbel aus Angst, Schreien und sogar ein paar Tränen. Ich war froh wieder festen Boden unter meinen Füßen zu spüren und nochmals würde ich mich nicht überreden lassen, in so ein Höllending einzusteigen. Das Problem der Übelkeit, das sich während der Fahrt nur immer weiter verstärkt hatte, war dadurch jedoch nicht gelöst.

      Ich stürmte also los ohne auf Simon und Jana zu achten; auf der Suche nach dem nächstbesten Ort (vorzugsweise eine Toilette), um mich zu übergeben. Zum Glück musste ich nicht lange suchen. Ich stürmte in das kleine Häuschen, die Tür knallte durch meine Hektik laut gegen die Wand hinter ihr – es hätte mich nicht verwundert, wenn die Fliesen gesprungen waren – vorbei an einem Vater mit seinem verängstigt schauendem Sohn in die nächste Kabine. Dort angekommen hatte ich gerade noch genug Zeit den Deckel hochzuklappen, bevor ich mich heftig in die Kloschüssel übergab.

      Mein Würgen hallte durch das kleine Häuschen, jeder Anwesende würde sofort wissen, was geschah. Ja, ich befürchtete sogar, dass Vorbeigehende hören konnten, was hier vor sich ging. Doch groß darum Gedanken machen konnte ich mir nicht. Ich konnte meinen Mageninhalt beim besten Willen nicht bei mir behalten, egal was andere denken mochten.
      Hatte ich mich vorher schon schlecht gefühlt, ging es mir jetzt eindeutig schlimmer. Der bittere Geschmack von Übelkeit in meinem Mund verstärkte das Gefühl noch.

      Als ich ein paar Minuten später aus der Kabine kam und zum Waschbecken wankte, erwartete Simon mich bereits reumütig. Sein Gesichtsausdruck sagte mehr als tausend Worte. Er sprach, während ich mir den Mund mit Wasser ausspülte und einige Schluck zur Beruhigung trank.

      „Es tut uns so Leid. Wir hätten dich nicht auf die Achterbahn zwingen dürfen. Du hast ja gesagt, dass du das nicht verträgst, aber wir dachten, du hättest einfach nur Schiss. Es kommt nicht wieder vor, ehrlich.“

      Ich lächelte ihn schwach an. Nachdem ich meine Hände abgetrocknet hatte und wieder halbwegs so aussah als wäre ich nicht gerade von einem LKW überfahren worden, verließen wir gemeinsam das Häuschen.
      Und wurden von einer ungeduldigen, mit dem Fuß auf dem Boden tappenden Jana erwartet.

      „Ich dachte, ihr kommt gar nicht mehr raus.“ Sie verstummte sofort, merkte trotz jegliches Versuches mir nichts anmerken zu lassen, was passiert war. Und ich durfte mir Simons Entschuldigung in ähnlicher Form von Jana anhören, winkte jedoch ab, weil es mir ja schon besser ging.

      Wir beschlossen etwas essen zu gehen; zum Einen, um meinen Magen wieder etwas zu füllen, zum Anderen, da wir alle seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatten und es mittlerweile nach Mittag war.

      Die Auswahl war groß und daher, um jedem die Möglichkeit zu geben das zu essen, wonach ihm oder ihr war, holten wir jeder etwas und trafen uns an einem neutralen Platz.
      Neidisch linste ich auf Janas Döner und auch Simons von Fett triefende Pommes hätte ich gern gegessen, doch beides wollte ich meinem Magen nicht zutrauen und hatte mich deswegen auf einen kleinen Salat beschränkt.
      Natürlich bemerkten es beide und entschuldigten sich erneut, doch mit einem „Schon okay, wir können es eh nicht mehr ändern.“ war die Sache für mich gegessen.

      ~~~~~~

      Nach dem Mittagessen machten wir uns wieder auf den Park zu erkunden. Karussells en masse wurden von uns unsicher gemacht, das Riesenrad mied ich jedoch und auch Simon und Jana hatten ihre Lektion gelernt und zwangen mich nicht mit ihnen in die Gondel.

      „HEY!! Schaut mal, ich bin ein Ritter.“ Simon hatte sich auf ein Kinderkarussell mit verschiedenen Tieren gesetzt, rief uns zu und lachte dabei. „Ich komme, um euch zu retten, Milady, Milord. Euer schimmernder Ritter auf weißem Walross!“ Er versuchte eine Verbeugung im Sitzen, fiel dabei fast vom Karussell, was ihn jedoch nicht vom Gackern aufgrund seines eigenen Humors abhielt. Wir stimmten in sein Lachen ein und warteten darauf, dass unser edler Beschützer wieder bei uns war.

      „Ritter Simon!“ Wir standen thronend vor ihm, als er vor uns auf die Knie fiel.
      „Ihr habt uns bereits viele Jahre treu gedient.“ Ich versuchte meinen seriösen Gesichtsausdruck zu wahren, doch es fiel mir schwer. Jana neben mir gelang dies eindeutig besser. Sie hatte die Nase in die Luft gereckt, ihr Ausdruck sagte, dass sie sich in ihrer Rolle als Königin erhaben und im Status über dem Ritter fühlte.
      „Wir haben daher beschlossen Euch zu belohnen. Wir werden Euch in den Adelsrang eines Grafen erheben und einen Teil im Westen unseres Reiches überlassen.“ Meine ausladende Geste ging in Richtung des Toilettenhäuschens.

      Simons Augen leuchteten auf. Die Begeisterung für die Ehrung seiner Rolle klar ersichtlich. Er kniete noch immer vor uns, den Kopf hatte er jetzt gesenkt.

      „Vielen Dank, Euer Majestät! Es ist mir eine Ehre Euch zu dienen. Dies werde ich auch weiterhin tun, darauf kann Euer Majestät sich verlassen, wie auf die Tatsache, dass die Sonne jeden Tag aufgeht.“ Simon trug immer dicker auf und es fiel mir extrem schwer nicht in schallendes Gelächter auszubrechen.

      „Wir vertrauen darauf, dass Ihr uns nicht im Stich lassen werdet, Graf.“ Jana sprach das erste Mal. Ihr Ton war streng – ja, fast herablassend – als sie den Titel nannte fast schon spöttisch. Ich linste aus dem Augenwinkel zu ihr, selbst ihr Blick spiegelte ihren Ton wieder während sie Simon von oben herab anschaute. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken.

      Auch Simon entging dies selbstverständlich nicht; er schaute Jana perplex an und brachte kein Wort mehr heraus. Diese Seite hatten wir beide an ihr nur selten gesehen. Sie konnte verdammt gut schauspielern. Sie wirkte zwar in der Theater AG der Schule mit, bekam auch meist die wichtigen Parts, doch in so einer Rolle hatten wir sie nur ein- oder zweimal gesehen. Ihre Seriosität überraschte daher auch uns.

      Jana wartete noch immer auf eine Antwort, während wir sie weiterhin nur verdattert anstarrten. Sie fiel kein bisschen aus ihrer Rolle. Erst als sich eine kleine Gruppe aufgrund unseres Spiels um uns gesammelt hatte und ein Mitarbeiter des Parks in Kostüm um uns herumsprang und die Gruppe weiter unterhielt, nachdem wir wie eingefroren stehen geblieben waren, merkten wir, was um uns herum passierte.

      „Der Fluss der Zeit sehr myst’riös,
      was er bloß getan mit diesen Seel’n?
      Gefror’n in Zeit und Raum,
      für immer hier gebannt,
      Erlösung naht durch meinem Reim!“

      Wie auf Kommando schauten wir uns um, als wir wieder in die Realität zurückkamen. Und ebenso wie auf Kommando begann die Menschentraube um uns zu klatschen, der Rätseltyp verbeugte sich mehrfach, und keine Minute später waren wir wieder allein – jedoch nicht weniger verwirrt.

      ~~~~~

      Der Tag ging schneller vorbei als uns lieb war und demnächst würde der Park seine Pforten schließen. Wir saßen gemeinsam auf einer Bank, die letzten Sonnenstrahlen fielen auf uns herab und die frische Brise der langsam einsetzenden Nacht umwehte unsere Silhouetten. Bald würden meine Eltern uns abholen und damit dem Ausflug ein endgültiges Ende bereiten. Der Begeisterung unserer Erzählungen nach konnte man erkennen wie viel Spaß wir am heutigen Tag gehabt hatten, doch dies hielt nicht lange vor.

      Nachdem wir den Tag Revue passiert hatten lassen, setzte eine betrübte Stille zwischen uns ein. Ich nutzte diese, um mir die letzten Löffel meines Stücks Eisbombe, die wir uns gegönnt hatten, zu essen. Für einen kurzen Augenblick vergaß ich durch den wunderbaren Geschmack der süßen Speise, dass der Ausflug zu Ende war, doch so wie sich das Dessert in meinem Mund in Nichts auflöste und in meinen Magen weiterwanderte, kehrte die Realität zurück.

      Ein kurzer Blick zu meinen besten Freunden verriet mir, dass sie mit einer ähnlichen Erkenntnis zu kämpfen hatten. Widerwillig stand ich auf und ging ein paar Schritte zum nächsten Mülleimer, um Plastikschälchen und –löffel zu entsorgen. Keine halbe Minute später war ich wieder an der Bank, auf der Jana und Simon sich keinen Millimeter bewegt hatten.

      Simon war der Clown in unserer Dreiergruppe, er sollte uns aufmuntern, dachte ich bei mir, doch heute schien eben jener Simon am traurigsten zu sein. So traurig, dass er nicht mal seine Eisbombe aufgegessen hatte.

      Meine Augen wanderten zu meinem Floink, das ich zwischen uns abgestellt hatte. Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf – einen Versuch wäre es wert. Entschlossen griff ich nach dem orange-braun-farbigen Plüschtier und presste es vor meine Brust, in Jana und Simons Richtung schauend.

      „Floink! Floi, Flo-Floink!“, sprach ich in meiner bestmöglichen Imitation des Pokémons. Sofort spürte ich zwei verdutzte Augenpaare auf mir.
      „Flo-Floi! Floink Floink“ gab ich jedoch unbeirrt weiter von mir. Janas rechte Augenbraue zog sich fragend in die Höhe und auf Simons Gesicht konnte ich die ersten Anzeichen eines Lächelns erkennen. Ich wendete mich dem Plüschtier zu.

      „Was sagst du, Floink? Wir sollen nicht traurig sein, dass der Tag vorbei ist? Wir hatten so viel Spaß und sollten das nicht durch Traurigkeit überschatten lassen?“, antwortete ich mir selbst mit meiner eigentlichen Stimme in typischer Pokémon-Manier.

      „Floink, Floi, Floink!“
      „Du hast Recht. Wir hatten Spaß und auch wenn wir nach Hause müssen, können wir immer wieder hierher kommen.“
      „Floink!“
      „Okay, nicht immer, es kostet ja Geld, aber irgendwann kommen wir wieder her und werden genauso viel Spaß haben, wie heute. Nein, wir werden noch mehr Spaß haben als heute!“

      Ich war während meiner Unterhaltung mit ihm so auf das Plüschtier fixiert, dass ich nicht merkte, wie Jana und Simon aufstanden und auf mich zukamen. Erst als beide mich in eine Umarmung zogen und ich mich automatisch in dieser verlor, realisierte ich, dass mein Versuch sie aufzumuntern tatsächlich funktioniert hatte.

      Ich freute mich schon jetzt auf unseren nächsten Ausflug.