Len Rorikssohn [Hylianer]
Hylianische Steppe; Haus Jufton
Später Nachmittag
Gedankenverloren wiegte Len den Kopf. Ja, Eltern hatte er, nur würde er sie selbst für den Rest seines Lebens wohl immer als Fremde betrachten... Zu groß waren die Unterschiede.
"Das ist eine etwas längere Geschichte...", begann er zu sprechen. "Aber ich erzähle sie dir wenn du möchtest. Ich werde versuchen mich ein wenig kurz zu fassen, aber zunächst muss ich etwas ausholen... Ich muss gewissermaßen von ganz vorne beginnen."
Beim Versuch sich in eine bequemere Position zu bringen, setzte er sich halb gegen die Wand gelehnt auf dem Bett auf. Es war verrückt nach all der Zeit mal jemandem von seiner eigenen Vergangenheit zu erzählen - irgendwie hatte er immer instinktiv angenommen, die Details mit sich ins Grab zu nehmen. Aber es machte ihm nichts aus - schließlich war es Mio die ihm zuhörte.
"Geboren wurde ich als das letzte von vier Kindern auf einem einfachen und etwas heruntergekommenen Hof in der Nähe des Kakariko-Tals. Ich war der erste Sohn meines Vaters, was gelinde gesagt erhebliche Erwartungen in mich weckte. Meine älteste Schwester ist heute bereits verheiratet und wohnte ab meinem neunten Lebensjahr bei ihrem Gatten, einem weiteren Kleinbauern aus der Umgebung. Bis dahin lebten wir allerdings alle auf dem Grund und Boden, der sich bereits seit mehreren Generationen in der Hand der Familie befindet, ich mit meinen Eltern, meinen beiden vor mir geborenen Geschwistern und mit meiner Zwillingsschwester - Lynja, obwohl ich sie immer Lyn nannte. In gewisser Weise ist sie einer der Faktoren, die die Ereignisse in diese Richtung getrieben haben...
Aber von Anfang an. Du musst dazu wissen, dass ich als Kind eine äußerst schwache Konstitution hatte - ich war oft krank und eigentlich war ich in unserer Familie derjenige, dem die Feldarbeit immer am schwersten fiel und davon gab es, wie du dir vorstellen kannst, reichlich. Dies bewog meinen, sagen wir mal "traditionell" denkenden Vater sehr schnell mich als faul und nutzlos abzustempeln, was ihm von da an eine willkommene Gelegenheit war mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit als eine Enttäuschung zu bezeichnen. Du musst dir vorstellen, der Mann stellt in den meisten auf dem Land lebenden Familien das uneingeschränkte Oberhaupt dar - und entsprechende Erwartungen werden mit dem Erben verknüpft. Meine Mutter war was das anging leider kaum besser, da sie ebenso wie er in diesem klassischen System festgeschriebener Rollen aufging. Sie betrachtete es quasi als ihre Pflicht ihm in diesem Punkt zuzustimmen.
Das ist der Punkt an dem Lynja ihre besondere Rolle einnimmt. Denn während mich meine älteren Schwestern eher wenig beachtet haben war sie mir - in Ermangelung eines besseren Wortes - mehr eine Mutterfigur als meine eigene Erzeugerin. Das klingt bizarr, wenn man unser identisches Alter bedenkt, ergibt aber Sinn, wenn man berücksichtigt, dass sie sich, obwohl sie meine schwache Physis teilte, immer als meine Aufpasserin und Beschützerin aufspielte. Du kannst dir... die Dankbarkeit nicht vorstellen, die ich ihr dafür Zeit meines Lebens entgegenbrachte."
Mit traurigem Blick streichelte Len seine Halskette.
"Nun, jedenfalls kam irgendwann der Tag - ich muss so etwa acht Jahre alt gewesen sein - an dem ich auf unserem Dachboden durch Zufall über ein verstaubtes Buch stolperte. Da meine ganze Familie weder lesen noch schreiben konnte, wusste ich nicht so recht, um was es sich dabei handelte. Als ich meinen Vater fragte, erklärte er mir zwar, was ein Buch ist, aber er bläute mir im gleichen Atemzug ein, dass so etwas nur Zeitverschwendung ist und ich mich lieber anständiger Arbeit widmen soll. Tja - das hätte er glaube ich besser nicht getan, denn meine Abneigung ihm gegenüber war zu diesem Zeitpunkt bereits so groß, dass dies mein Interesse erst recht weckte. Natürlich hatte ich keine Möglichkeit, mir den Inhalt allein zu erschließen, weshalb ich zunächst machtlos war. Bis es ein halbes Jahr später zu einer weiteren schicksalhaften Begengnung kam. Bei der Vermählung meiner ältesten Schwester kam es durch Zufall dazu, dass ich das Haus des Dorfältesten des nächstgelegenen Ortes betrat, in dem die Zeremonie stattfand.
Er sammelte Bücher, Mio. Ich habe keine Ahnung wie und woher er all diese Schriftstücke hatte - er wich meinen Fragen dazu stehts aus - aber er war der erste, der sich entschloss mein Interesse zu fördern. Die kommenden Jahre war ich bei ihm ein häufiger Gast. Die Situation mit meiner Familie verschlechterte sich zusehends aufgrund meiner ständigen Abwesenheit, aber ich habe meinem Vater nie verraten, dass ich heimlich erst das Lesen und später Dinge wie Mathematik und Sprachen lernte.
Die einzige Person, der ich von meinen meist nächtlichen Unternehmungen erzählte war Lynja, denn sie besaß mein uneingeschränktes Vertrauen. Und sie ermutigte mich in dem was ich tat - eine weitere Tat, die ich ihr nie werde vergelten können. Einiges von dem was ich beim Ältesten lernte, brachte ich auch ihr bei - und sie erwies sich als ähnlich wissbegierig wie ich. Dennoch entschloss sie sich nie, mich zu begleiten - das sei meine Aufgabe sagte sie. Es war eine merkwürdige aber glückliche Zeit. Tagsüber plagte ich mich mehr schlecht als recht durch die Feldarbeit und abends lief ich müde aber voller Vorfreude zum Ältesten. Oft genug lieh er mir einige Bücher aus, damit ich zuhause weiterlesen konnte und meistens las ich Lynja daraus vor, wenn ich zurückkam. Viel Schlaf fand ich nie, aber das machte mir nichts. Ich glaube... Ich glaube es war sogar der Älteste, der mir zum ersten mal von der geheimen Bibliothek der Meerzora erzählte. Er schien viel darüber zu wissen, aber.... das spielt wohl nun auch keine Rolle mehr..."
Für einen Moment hielt Len inne.
Es war als würde er die ganze Geschichte noch einmal im Geiste durchleben.
"Das Verhängnis begann einige Jahre später. Bis dahin hatte ich mich weitgehend mit meiner Situation abgefunden, ja sogar eine kleine Nische der Glücklichkeit gefunden. Ich war so naiv, dass ich dachte es könnte ewig so weitergehen. Eines Tages wurde der Älteste - der seinem Titel mehr als gerecht wurde - sehr krank. Er konnte mich auf keinen Fall weiter unterrichten und ich konnte nur hilflos mitansehen, wie er dahinsiechte. In seiner Krankheit murmelte er viele eigenartige Dinge, wenn ich ihn besuchte... er sprach im Delirium von einer Pforte, die er entdeckt haben wollte, von irgendeiner Macht, die er nun nicht bewachen konnte. Es hat kaum einen Sinn ergeben. Manchmal schien er auch mit irgendeiner imaginären dritten Person zu streiten. Mein Name fiel auch ein paar Mal - ich habe mir da nie einen Reim drauf machen können. Und dann, an meinem sechzehnten Geburtstag... verriet er mich. Ich weiß nicht wie und warum, aber er hat einen Weg gefunden, meinem Vater von meinen nächtlichen Aktionen und meinen Wünschen zu studieren und mich weiterzubilden erzählt. Du kannst dir die Reaktion darauf kaum vorstellen - mein Vater fasste dies als persönlichen Verrat auf, ich glaube es hätte nicht viel gefehlt und er hätte mich umgebracht. Ich weiß bis heute nicht, wieso der einzige echte Freund in meinem Leben mir so etwas antat - es war als wollte er, dass ich mich von meiner Familie löse. Ich konnte ihn nie fragen... denn der Älteste starb kurz darauf."
Ein Schaudern ergriff Lens Körper. Dieser eine Abend hatte sein Leben so sehr verändert...
"Doch das war nicht das schlimmste Ereignis an jenem Abend. Direkt danach eröffnete mir mein Vater, dass ich mich schon einmal von Lynja verabschieden sollte - denn er beabsichtigte sie mit dem Sohn und Erben eines Großbauern aus der Umgebung zu verloben, der wohl schon länger ein Auge auf sie geworfen hatte. Kurz gesagt: Dieser Sohn war ein Schwein. Er unterdrückte die Schwächeren - zum Beispiel mich - trank viel und bildete sich furchtbar viel auf sich ein. Lynjas Entsetzen war ihr deutlich anzusehen - doch als sie protestierte schlug unser Vater ihr lediglich brual ins Gesicht anstatt sich zu einer Antwort herabzulassen. Und dann beging ich einen Fehler. Ich stürzte mich blind vor Wut auf diesen Mann, den ich bereits so abgrundtief hasste, um Lynja zu helfen... Seine Reaktion brachte mir... diese Schönheit ein."
Wie beiläufig zupfte er seinen Ärmel nach oben, was eine hässliche Messernarbe an der Schulter offenbarte.
"Das nächste Jahr war die Hölle. Ich fühlte mich von der Welt und ihren Bewohnern verraten und verlassen. Lynja war zwar noch da, aber sie war kaum noch die alte. Der Abend hatte sie in sich gekehrter werden lassen, es schien als hätte sie einfach beschlossen sich in ihr Schicksal zu fügen. Und nach allem was sie für mich getan hatte, brach es mir das Herz ihr nicht helfen zu können. Ein Jahr lang staute sich in mir die immer stärker werdende Gewissheit auf, dass dieser Ort nicht mein Platz war. Ein Jahr später war mein Entschluss gefallen - ich wollte diesem Leben den Rücken kehren und vor allem wollte ich Lynja einen Ausweg bieten, auch als Revanche für all die Jahre in denen sie mir zur Seite stand. Ich war es ihr einfach schuldig und mich hielt ohnehin nichts mehr zu Hause. An unserem siebzehnten Geburtstag, einer kalten, nebeligen Herbstnacht gedachte ich meinen Plan in die Tat umzusetzen. Aber Lynja, sie... weigerte sich. Ich hatte Vorräte beiseitegeschafft, etwas Geld angesammelt oder gestohlen und war fest entschlossen zu gehen und mein Glück anderswo zu suchen. Meine Schwester hat mich frühzeitig durchschaut und meine Absichten vorhergesehen. An jenem Abend wartete sie auf mich... um mir zu sagen, dass sie in jedem Fall bleiben würde, egal wie unglücklich sie letzten Endes hier werde würde. Sie glaubte wirklich, es unserer verkommenen Familie von Hinterwäldlern schuldig zu sein, dass sie blieb und diesen Dreckskerl heiratete. Ich habe sie angefleht sich das nicht anzutun, aber sie hat mich nur angelächelt und... gesagt... ich sollte an ihrer Stelle gehen, denn auf mich wartete dort draußen noch all das Wissen der Welt, das ich gerade erst begonnen hatte zu erfassen..."
Lens Stimme brach ein wenig.
"Und das tat ich dann auch. Ich habe mich umgedreht und bin in die Dunkelheit gerannt. Wie ein Feigling. Danach...habe ich keinen der Menschen mit denen ich aufgewachsen bin wiedergesehen. Stattdessen bin ich ziellos durch das Land vagabundiert und habe mich hauptsächlich mit fragwürdigen Aktionen - Wetten, Kartenspiele, vereinzelte Zechprellerei - über Wasser gehalten, während ich versuchte, meinen Wissensschatz zu erweitern."
Mit etwas feuchten Augen blickte er Mio an. Eine erbärmliche Geschichte des Scheiterns war es, die er da zum Besten gab. Und noch viel bedeutender war, dass seine Vergangenheit ein Spaziergang im Vergleich zu ihrer gewesen war. Was dachte er sich nur...?
"Tja, nun weißt du auf jeden Fall, wie aus mir ein notorisch misstrauischer Einzelgänger wurde", sagte er mit bitterer Stimme. "Und du weißt, wieso ich so verzweifelt nach der Mugen no Toshokan und nach Wissen und Erkenntnis im Allgemeinen strebe. Damit hat all dies begonnen und es ist mein einzig wahrer verbliebener Lebenssinn. Ansonsten... wäre meine Schwester für nichts zurückgeblieben."
Hylianische Steppe; Haus Jufton
Später Nachmittag
Gedankenverloren wiegte Len den Kopf. Ja, Eltern hatte er, nur würde er sie selbst für den Rest seines Lebens wohl immer als Fremde betrachten... Zu groß waren die Unterschiede.
"Das ist eine etwas längere Geschichte...", begann er zu sprechen. "Aber ich erzähle sie dir wenn du möchtest. Ich werde versuchen mich ein wenig kurz zu fassen, aber zunächst muss ich etwas ausholen... Ich muss gewissermaßen von ganz vorne beginnen."
Beim Versuch sich in eine bequemere Position zu bringen, setzte er sich halb gegen die Wand gelehnt auf dem Bett auf. Es war verrückt nach all der Zeit mal jemandem von seiner eigenen Vergangenheit zu erzählen - irgendwie hatte er immer instinktiv angenommen, die Details mit sich ins Grab zu nehmen. Aber es machte ihm nichts aus - schließlich war es Mio die ihm zuhörte.
"Geboren wurde ich als das letzte von vier Kindern auf einem einfachen und etwas heruntergekommenen Hof in der Nähe des Kakariko-Tals. Ich war der erste Sohn meines Vaters, was gelinde gesagt erhebliche Erwartungen in mich weckte. Meine älteste Schwester ist heute bereits verheiratet und wohnte ab meinem neunten Lebensjahr bei ihrem Gatten, einem weiteren Kleinbauern aus der Umgebung. Bis dahin lebten wir allerdings alle auf dem Grund und Boden, der sich bereits seit mehreren Generationen in der Hand der Familie befindet, ich mit meinen Eltern, meinen beiden vor mir geborenen Geschwistern und mit meiner Zwillingsschwester - Lynja, obwohl ich sie immer Lyn nannte. In gewisser Weise ist sie einer der Faktoren, die die Ereignisse in diese Richtung getrieben haben...
Aber von Anfang an. Du musst dazu wissen, dass ich als Kind eine äußerst schwache Konstitution hatte - ich war oft krank und eigentlich war ich in unserer Familie derjenige, dem die Feldarbeit immer am schwersten fiel und davon gab es, wie du dir vorstellen kannst, reichlich. Dies bewog meinen, sagen wir mal "traditionell" denkenden Vater sehr schnell mich als faul und nutzlos abzustempeln, was ihm von da an eine willkommene Gelegenheit war mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit als eine Enttäuschung zu bezeichnen. Du musst dir vorstellen, der Mann stellt in den meisten auf dem Land lebenden Familien das uneingeschränkte Oberhaupt dar - und entsprechende Erwartungen werden mit dem Erben verknüpft. Meine Mutter war was das anging leider kaum besser, da sie ebenso wie er in diesem klassischen System festgeschriebener Rollen aufging. Sie betrachtete es quasi als ihre Pflicht ihm in diesem Punkt zuzustimmen.
Das ist der Punkt an dem Lynja ihre besondere Rolle einnimmt. Denn während mich meine älteren Schwestern eher wenig beachtet haben war sie mir - in Ermangelung eines besseren Wortes - mehr eine Mutterfigur als meine eigene Erzeugerin. Das klingt bizarr, wenn man unser identisches Alter bedenkt, ergibt aber Sinn, wenn man berücksichtigt, dass sie sich, obwohl sie meine schwache Physis teilte, immer als meine Aufpasserin und Beschützerin aufspielte. Du kannst dir... die Dankbarkeit nicht vorstellen, die ich ihr dafür Zeit meines Lebens entgegenbrachte."
Mit traurigem Blick streichelte Len seine Halskette.
"Nun, jedenfalls kam irgendwann der Tag - ich muss so etwa acht Jahre alt gewesen sein - an dem ich auf unserem Dachboden durch Zufall über ein verstaubtes Buch stolperte. Da meine ganze Familie weder lesen noch schreiben konnte, wusste ich nicht so recht, um was es sich dabei handelte. Als ich meinen Vater fragte, erklärte er mir zwar, was ein Buch ist, aber er bläute mir im gleichen Atemzug ein, dass so etwas nur Zeitverschwendung ist und ich mich lieber anständiger Arbeit widmen soll. Tja - das hätte er glaube ich besser nicht getan, denn meine Abneigung ihm gegenüber war zu diesem Zeitpunkt bereits so groß, dass dies mein Interesse erst recht weckte. Natürlich hatte ich keine Möglichkeit, mir den Inhalt allein zu erschließen, weshalb ich zunächst machtlos war. Bis es ein halbes Jahr später zu einer weiteren schicksalhaften Begengnung kam. Bei der Vermählung meiner ältesten Schwester kam es durch Zufall dazu, dass ich das Haus des Dorfältesten des nächstgelegenen Ortes betrat, in dem die Zeremonie stattfand.
Er sammelte Bücher, Mio. Ich habe keine Ahnung wie und woher er all diese Schriftstücke hatte - er wich meinen Fragen dazu stehts aus - aber er war der erste, der sich entschloss mein Interesse zu fördern. Die kommenden Jahre war ich bei ihm ein häufiger Gast. Die Situation mit meiner Familie verschlechterte sich zusehends aufgrund meiner ständigen Abwesenheit, aber ich habe meinem Vater nie verraten, dass ich heimlich erst das Lesen und später Dinge wie Mathematik und Sprachen lernte.
Die einzige Person, der ich von meinen meist nächtlichen Unternehmungen erzählte war Lynja, denn sie besaß mein uneingeschränktes Vertrauen. Und sie ermutigte mich in dem was ich tat - eine weitere Tat, die ich ihr nie werde vergelten können. Einiges von dem was ich beim Ältesten lernte, brachte ich auch ihr bei - und sie erwies sich als ähnlich wissbegierig wie ich. Dennoch entschloss sie sich nie, mich zu begleiten - das sei meine Aufgabe sagte sie. Es war eine merkwürdige aber glückliche Zeit. Tagsüber plagte ich mich mehr schlecht als recht durch die Feldarbeit und abends lief ich müde aber voller Vorfreude zum Ältesten. Oft genug lieh er mir einige Bücher aus, damit ich zuhause weiterlesen konnte und meistens las ich Lynja daraus vor, wenn ich zurückkam. Viel Schlaf fand ich nie, aber das machte mir nichts. Ich glaube... Ich glaube es war sogar der Älteste, der mir zum ersten mal von der geheimen Bibliothek der Meerzora erzählte. Er schien viel darüber zu wissen, aber.... das spielt wohl nun auch keine Rolle mehr..."
Für einen Moment hielt Len inne.
Es war als würde er die ganze Geschichte noch einmal im Geiste durchleben.
"Das Verhängnis begann einige Jahre später. Bis dahin hatte ich mich weitgehend mit meiner Situation abgefunden, ja sogar eine kleine Nische der Glücklichkeit gefunden. Ich war so naiv, dass ich dachte es könnte ewig so weitergehen. Eines Tages wurde der Älteste - der seinem Titel mehr als gerecht wurde - sehr krank. Er konnte mich auf keinen Fall weiter unterrichten und ich konnte nur hilflos mitansehen, wie er dahinsiechte. In seiner Krankheit murmelte er viele eigenartige Dinge, wenn ich ihn besuchte... er sprach im Delirium von einer Pforte, die er entdeckt haben wollte, von irgendeiner Macht, die er nun nicht bewachen konnte. Es hat kaum einen Sinn ergeben. Manchmal schien er auch mit irgendeiner imaginären dritten Person zu streiten. Mein Name fiel auch ein paar Mal - ich habe mir da nie einen Reim drauf machen können. Und dann, an meinem sechzehnten Geburtstag... verriet er mich. Ich weiß nicht wie und warum, aber er hat einen Weg gefunden, meinem Vater von meinen nächtlichen Aktionen und meinen Wünschen zu studieren und mich weiterzubilden erzählt. Du kannst dir die Reaktion darauf kaum vorstellen - mein Vater fasste dies als persönlichen Verrat auf, ich glaube es hätte nicht viel gefehlt und er hätte mich umgebracht. Ich weiß bis heute nicht, wieso der einzige echte Freund in meinem Leben mir so etwas antat - es war als wollte er, dass ich mich von meiner Familie löse. Ich konnte ihn nie fragen... denn der Älteste starb kurz darauf."
Ein Schaudern ergriff Lens Körper. Dieser eine Abend hatte sein Leben so sehr verändert...
"Doch das war nicht das schlimmste Ereignis an jenem Abend. Direkt danach eröffnete mir mein Vater, dass ich mich schon einmal von Lynja verabschieden sollte - denn er beabsichtigte sie mit dem Sohn und Erben eines Großbauern aus der Umgebung zu verloben, der wohl schon länger ein Auge auf sie geworfen hatte. Kurz gesagt: Dieser Sohn war ein Schwein. Er unterdrückte die Schwächeren - zum Beispiel mich - trank viel und bildete sich furchtbar viel auf sich ein. Lynjas Entsetzen war ihr deutlich anzusehen - doch als sie protestierte schlug unser Vater ihr lediglich brual ins Gesicht anstatt sich zu einer Antwort herabzulassen. Und dann beging ich einen Fehler. Ich stürzte mich blind vor Wut auf diesen Mann, den ich bereits so abgrundtief hasste, um Lynja zu helfen... Seine Reaktion brachte mir... diese Schönheit ein."
Wie beiläufig zupfte er seinen Ärmel nach oben, was eine hässliche Messernarbe an der Schulter offenbarte.
"Das nächste Jahr war die Hölle. Ich fühlte mich von der Welt und ihren Bewohnern verraten und verlassen. Lynja war zwar noch da, aber sie war kaum noch die alte. Der Abend hatte sie in sich gekehrter werden lassen, es schien als hätte sie einfach beschlossen sich in ihr Schicksal zu fügen. Und nach allem was sie für mich getan hatte, brach es mir das Herz ihr nicht helfen zu können. Ein Jahr lang staute sich in mir die immer stärker werdende Gewissheit auf, dass dieser Ort nicht mein Platz war. Ein Jahr später war mein Entschluss gefallen - ich wollte diesem Leben den Rücken kehren und vor allem wollte ich Lynja einen Ausweg bieten, auch als Revanche für all die Jahre in denen sie mir zur Seite stand. Ich war es ihr einfach schuldig und mich hielt ohnehin nichts mehr zu Hause. An unserem siebzehnten Geburtstag, einer kalten, nebeligen Herbstnacht gedachte ich meinen Plan in die Tat umzusetzen. Aber Lynja, sie... weigerte sich. Ich hatte Vorräte beiseitegeschafft, etwas Geld angesammelt oder gestohlen und war fest entschlossen zu gehen und mein Glück anderswo zu suchen. Meine Schwester hat mich frühzeitig durchschaut und meine Absichten vorhergesehen. An jenem Abend wartete sie auf mich... um mir zu sagen, dass sie in jedem Fall bleiben würde, egal wie unglücklich sie letzten Endes hier werde würde. Sie glaubte wirklich, es unserer verkommenen Familie von Hinterwäldlern schuldig zu sein, dass sie blieb und diesen Dreckskerl heiratete. Ich habe sie angefleht sich das nicht anzutun, aber sie hat mich nur angelächelt und... gesagt... ich sollte an ihrer Stelle gehen, denn auf mich wartete dort draußen noch all das Wissen der Welt, das ich gerade erst begonnen hatte zu erfassen..."
Lens Stimme brach ein wenig.
"Und das tat ich dann auch. Ich habe mich umgedreht und bin in die Dunkelheit gerannt. Wie ein Feigling. Danach...habe ich keinen der Menschen mit denen ich aufgewachsen bin wiedergesehen. Stattdessen bin ich ziellos durch das Land vagabundiert und habe mich hauptsächlich mit fragwürdigen Aktionen - Wetten, Kartenspiele, vereinzelte Zechprellerei - über Wasser gehalten, während ich versuchte, meinen Wissensschatz zu erweitern."
Mit etwas feuchten Augen blickte er Mio an. Eine erbärmliche Geschichte des Scheiterns war es, die er da zum Besten gab. Und noch viel bedeutender war, dass seine Vergangenheit ein Spaziergang im Vergleich zu ihrer gewesen war. Was dachte er sich nur...?
"Tja, nun weißt du auf jeden Fall, wie aus mir ein notorisch misstrauischer Einzelgänger wurde", sagte er mit bitterer Stimme. "Und du weißt, wieso ich so verzweifelt nach der Mugen no Toshokan und nach Wissen und Erkenntnis im Allgemeinen strebe. Damit hat all dies begonnen und es ist mein einzig wahrer verbliebener Lebenssinn. Ansonsten... wäre meine Schwester für nichts zurückgeblieben."