Hiho!
Ich habe mich entschlossen diesen Thread umzufunktionieren, für eine Kurzgeschichtensammlung meinerseits. Weiß zwar nicht wie viele noch kommen, aber es sind auf jeden Fall jetzt schon mal zwei. Ich freue mich weiterhin über Kritik und Vorschläge
-----
Ich weiß nicht, ob ich dies wirklich veröffentlichen soll. Dies ist meine erste Kurzgeschichte und bisher hab ich auch nicht wirklich etwas andres auf Papier gebracht(sieht man mal von einer Harry Potter Fanfiction ab, die ich mal vor etlichen Jahren mit einer Freundin zusammengeschrieben habe), weil mir immer die Ideen fehlen.Aber eine Geschichte übers Zug fahren, hatte ich schon etwas länger im Kopf.
EDIT: Erste (Rechtschreib-)korrekturen habe ich vorgenommen, es sind aber bestimmt noch einige Fehler drin...
EDIT2: weitere Fehlerkorrekturen vorgenommen.
WARTEN
Jeden Tag die gleichen Gesichter. Tag ein, Tag aus. Morgens eine Stunde, abends eine Stunde. Fünf Tage die Woche. Ich steige ein, ich steige aus. Warten. Warten auf den nächsten Zug, der nicht kommt. Und kein Ende in Sicht.
Jeden Tag um die gleiche Zeit, steige ich in den gleichen Zug. Es ist drei nach acht als eine Durchsage erfolgt: „Meine Damen und Herren bitte beachten Sie: Die S2 nach Dietzenbach hat voraussichtlich ... 5 Minuten Verspätung. Wir bitten um Verständnis.“ Ich seufze. Verständnis habe ich schon lange keines mehr. Eine weitere unbestimmte Zeit des Wartens verbleibe ich regungslos am Bahnsteig. Gefühlte 15 Minuten später trifft mein Zug endlich ein. Es ist ein älteres Modell, an dem man an den Türen noch ziehen muss, damit sie aufgehen. Doch ich mag dieses Modell lieber, als die neuen Züge, die voller Elektronik sind, in dem der Zugführer nicht mehr ankündigen muss, welche Station man gerade anfährt, sondern eine hohe, unterkühlte Frauenstimme aus dem Off dies verkündet – Nein, ich mag es, wenn eine tiefe Männerstimme „zurückbleiben“ in sein Mikrofon nuschelt und man sich noch vorstellen kann, wer gerade die Lok in ihren Schienen hält.
Ein anderer Vorteil des „3nach8-Zuges“ (wie ich ihn nenne) ist, dass er nicht so überfüllt ist wie der „18nach8-Zug“, noch, dass die Passagiere so hochmütig sind wie im „10nach8-Regio“, in dem die Menschen anscheinend ihre Sitzplätze alle reserviert haben und man sich ja nicht neben sie setzten darf, oh nein, da hat ja schon ihre Tasche Platz genommen! Und wenn man freundlich fragt, ob der Platz neben ihnen noch frei ist, stellen sie sich schlafend.
Ich warte bis der Zug still steht. Wie immer habe ich mich ganz vorne am Bahnsteig postiert, denn im 1. Abteil sitzen meistens weniger Mitreisende, als in den Hinteren. Ich ziehe an der Tür und suche nach einem freien Sitzplatz, möglichst in Fahrtrichtung. Ich sehe mich um und entdecke meine Lieblingsmitreisende, die glatt als „10nach8-Regio“-Passagier durchgehen könnte. Sie sitzt natürlich ganz vorne und ist in ihre Lektüre vertieft, in die sie ihre lange Nase hineinsteckt.
Ihre schwarze Laptoptasche samt Laptop, die schwarze Handtasche und ihr dazu passender Mantel, liegen alle schön drapiert auf dem verblichenen Stoffbezug ihres Sitzes neben ihr, dessen Anmutung eindeutig signalisiert: „RESERVIERT“.
Mehrere dazugestiegene Fahrgäste vor mir sehen den vermeintlich freien Platz, steuern hoffnungsvoll auf ihn zu, um doch im letzten Moment von ihm abzudriften, da die Ausstrahlung dieses nicht ausgeschilderten reservierten Platzes zu mächtig scheint und trollen sich davon.
Ich lächele verschmitzt und ziehe meine ungefähr allmonatliche Show durch, trete näher und sage: „Entschuldigung?“. Sie blickt von ihrem Buch auf und sieht mich an, als hätte sie noch nie ein anderes menschliches Wesen vor ihr stehen gesehen, nein, als gäbe es überhaupt niemanden auf dieser Welt außer ihr selbst. Ich halte ihrem zunehmend mörderisch werdenden Blick stand und erwidere ihn herausfordernd. Sie blinzelt und resignierend wendet sie ihren Blick von mir ab, greift nach der Laptoptasche, legt sie auf ihren Schoss, stellt darauf die Handtasche ab und krönt dies alles noch mit ihrem Mantel und fährt mit ihrer Lektüre fort als wäre nichts gewesen. Ich weiß jedoch, wie sehr sie das ärgert, spüre die Eiseskälte die von ihr ausgeht, als ich dann schlussendlich, nicht ohne Genugtuung, neben ihr Platz nehme.
Der Zug ist mittlerweile in Bewegung und ich schaue auf die vorüberfließende Landschaft. Mir würde es durchaus Spaß machen die Felder, Städte und Wiesen zu betrachten, wenn ich sie nicht jeden Tag sähe. Es gibt kaum noch Neues zu entdecken und ich kann schon jeden Baum, jedes Haus vorhersagen. Der einzige Spannungsmoment der mir noch bleibt, liegt eine Haltestelle entfernt. Dort wurde eine Lärmschutzmauer gebaut, die eine Baustelle verdeckt. Der Zug hält an und ich erblicke bunte, kunstvolle Graffitis die, während dieser kurzen Zeit seit dem die Mauer steht, dort gesprüht wurden. Doch heute habe ich kein Glück, da sich wohl keiner über Nacht herangeschlichen hat, um eine Botschaft, die vermeintlich nur auf mich zu warten scheint, an der tristen Mauer zu hinterlassen. Enttäuscht wende ich meinen Blick ab und sehe zu meiner Überraschung „Karl-Heinz“ und „Marie“ am Gang stehen, die allem Anschein nach gerade hinzugestiegen sind. Die Namen sind freilich erfunden, aber wie ich finde passend. Weil mir nicht viel anderes übrig bleibt, als während meiner Zugfahrt aus dem Fenster zu schauen oder Musik zu hören, denke ich mir gerne Geschichten zu meinen Stammmitreisenden aus. Ich überlege, wo sie wohl jeden morgen hinfahren, welchem Beruf sie nachgehen und ob sie möglicherweise glücklich sind oder nicht. Bei Marie und Karl-Heinz mache ich dies besonders gerne. Karl-Heinz ist etwa Mitte fünfzig, wohlgenährt, trägt immer den gleichen Trenchcoat, egal ob Sommer oder Winter, zieht es lieber vor zu stehen und wirkt auf mich durchaus liebenswürdig. Außerdem hat er die Gewohnheit, die Tür an jeder Station aufzuziehen, herauszuschauen und etwas frische Luft hinein zu lassen, wenn er alleine Bahn fährt. Marie ist ungefähr im gleichen Alter wie Karl-Heinz, sieht jedoch jünger, sehr gepflegt und durchtrainiert aus und achtet darauf, dass ihre Schuhe stets zu ihrer Handtasche passen. Wenn die beiden sich über alles Mögliche unterhalten, sehe ich die Augen von Karl-Heinz aufleuchten und die Freude darüber, dass er mit Marie sich austauschen kann. So unterschiedlich die beiden auch sind, ich habe das Gefühl, dass der jeweils andere der Richtige für ihn wäre, sie es jedoch auf von Grund Umständen, über die ich nichts genaueres weiß, nicht zusammen finden. Sei es Karl-Heinz‘ Schüchternheit oder dass Marie einen goldenen Ring an ihrem Finger trägt. In meiner Fantasie sind die beiden das tragische Liebespaar im Spätsommer ihrer Jahre, jedoch schon zu festgefahren in ihren eigenen Lebensplänen, um den Sprung in eine gemeinsame Zukunft zu wagen. Ach, wahrscheinlich bilde ich mir alles nur ein und die beiden sind einfach nur Kollegen, die sich gut verstehen, mehr nicht. Ich werde es wohl nie erfahren.
Meine Gedanken schweifen ab und ich überlege, ob es nur mir so geht oder ob sich wohl die anderen Bahnfahrer, die ich öfter sehe, auch solche Gedanken machen über nichts und wieder nichts, ob sich sie sich wohl auch an mich erinnern und sich vorstellen, was ich so treibe, wohin meine Reise geht oder ob sie einfach nur ins Leere starren ohne irgendeinen Gedanken. Aber auch über dies nachzudenken führt mich nicht weiter.
Gegenüber von mir sitzt ein ewig Zeitungslesender, den ich für sein Durchhaltevermögen, eine Zeitung auf so engem Raum zu lesen, bewundere. Nicht, dass ich ihn um die Lektüre der Frankfurter Rundschau beneiden würde, (Zeitunglesen an sich ist mir ein Graus, da dieses Format so unglaublich unpraktisch ist), nein, schon allein die Tatsache, dass er in einem fahrenden Zug lesen kann, ist mir verwehrt. Allein aus dem Grund bricht der Neid abermals aus mir hervor. Denn die kläglichen Versuche meinerseits in einem fahrenden Zug zu lesen, sind von vornherein zum Scheitern verurteilt, da mir davon stets schwindelig und übel wird. Könnte ich doch bloß lesen! Die Zeit würde so schnell verfliegen, dass ich sie vergessen, ja gar nicht mehr wahrnehmen würde. Die einzelnen Stationen und Ansagen würden in einem einzigen Rausch an mir vorbeiziehen, ohne sie auch nur wahrzunehmen.
Aber die Zeit zieht sich dahin und kann nicht glauben immer noch vier Stationen vor mir zu haben. Es kommt mir wie eine halbe Ewigkeit vor, die ich mit sinnlosen Warten vergeuden muss mit der schrecklichen Gewissheit, dass sich nichts daran ändern wird.
„Nächster Halt: Ostendstraße. Ausstieg in Fahrtrichtung links“, vernehme ich gedämpft. Ich seufze, erhebe mich und blicke noch einmal auf meine Sitznachbarin, die mich nach wie vor bewusst und trotzig ignoriert. Ich tue ihr es gleich und postiere mich an einer Tür. Die Bahn hält und ich steige aus.
Von hier aus ist nicht mehr weit bis zu meiner Arbeitsstelle, so dass ich mir überlege, ob ich laufe oder in die Straßenbahn steige. Ich entscheide mich für ersteres und lasse mir dabei ein wenig Zeit.
Im Gebäude angekommen begrüße ich meine Kollegen. Jeden Tag die gleichen Gesichter. Tag ein, Tag aus. Fünf Tage die Woche. 8 Stunden am Tag. Ich gehe zur Arbeit, ich gehe nach Hause. Und kein Ende in Sicht.
Feierabend. Den Arbeitstag habe ich einigermaßen hinter mich gebracht. Und wieder beginnt das gleiche Spiel, nur umkehrt, von vorne. Warten. Einsteigen. Umsteigen. Aus dem Fenster starren. Merkwürdige Leute beobachten. Aussteigen. Zuhause ankommen, und langsam herunterkommen. Vor dem Fernseher sitzen und davor einschlafen. Die Gewissheit haben, dass morgen ein neuer, aber doch gleiche Tag ist...
Am nächsten Morgen warte ich wie eh und je auf meinen Zug.
Es erfolgt eine Durchsage: „Meine Damen und Herren bitte beachten Sie: Die S2 nach Dietzenbach hat voraussichtlich... 5 Minuten Verspätung. Wir bitten ...“ „ ... Wir bitten um Ihr Verständnis ... Pah welches Verständnis, um Entschuldigung sollten sie uns bitten!“, murmelte es links neben mir. Diese Worte voller Wahrheit lassen mich aufmerksam aufsehen. Er fängt meinen Blick auf und ich lächele. Gemeinsam steigen wir ein paar Minuten später in den Zug.
Am nächsten Tag habe ich ihn wiedergesehen.
Ich habe mich entschlossen diesen Thread umzufunktionieren, für eine Kurzgeschichtensammlung meinerseits. Weiß zwar nicht wie viele noch kommen, aber es sind auf jeden Fall jetzt schon mal zwei. Ich freue mich weiterhin über Kritik und Vorschläge
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Ich weiß nicht, ob ich dies wirklich veröffentlichen soll. Dies ist meine erste Kurzgeschichte und bisher hab ich auch nicht wirklich etwas andres auf Papier gebracht(sieht man mal von einer Harry Potter Fanfiction ab, die ich mal vor etlichen Jahren mit einer Freundin zusammengeschrieben habe), weil mir immer die Ideen fehlen.Aber eine Geschichte übers Zug fahren, hatte ich schon etwas länger im Kopf.
EDIT: Erste (Rechtschreib-)korrekturen habe ich vorgenommen, es sind aber bestimmt noch einige Fehler drin...
EDIT2: weitere Fehlerkorrekturen vorgenommen.
WARTEN
Jeden Tag die gleichen Gesichter. Tag ein, Tag aus. Morgens eine Stunde, abends eine Stunde. Fünf Tage die Woche. Ich steige ein, ich steige aus. Warten. Warten auf den nächsten Zug, der nicht kommt. Und kein Ende in Sicht.
Jeden Tag um die gleiche Zeit, steige ich in den gleichen Zug. Es ist drei nach acht als eine Durchsage erfolgt: „Meine Damen und Herren bitte beachten Sie: Die S2 nach Dietzenbach hat voraussichtlich ... 5 Minuten Verspätung. Wir bitten um Verständnis.“ Ich seufze. Verständnis habe ich schon lange keines mehr. Eine weitere unbestimmte Zeit des Wartens verbleibe ich regungslos am Bahnsteig. Gefühlte 15 Minuten später trifft mein Zug endlich ein. Es ist ein älteres Modell, an dem man an den Türen noch ziehen muss, damit sie aufgehen. Doch ich mag dieses Modell lieber, als die neuen Züge, die voller Elektronik sind, in dem der Zugführer nicht mehr ankündigen muss, welche Station man gerade anfährt, sondern eine hohe, unterkühlte Frauenstimme aus dem Off dies verkündet – Nein, ich mag es, wenn eine tiefe Männerstimme „zurückbleiben“ in sein Mikrofon nuschelt und man sich noch vorstellen kann, wer gerade die Lok in ihren Schienen hält.
Ein anderer Vorteil des „3nach8-Zuges“ (wie ich ihn nenne) ist, dass er nicht so überfüllt ist wie der „18nach8-Zug“, noch, dass die Passagiere so hochmütig sind wie im „10nach8-Regio“, in dem die Menschen anscheinend ihre Sitzplätze alle reserviert haben und man sich ja nicht neben sie setzten darf, oh nein, da hat ja schon ihre Tasche Platz genommen! Und wenn man freundlich fragt, ob der Platz neben ihnen noch frei ist, stellen sie sich schlafend.
Ich warte bis der Zug still steht. Wie immer habe ich mich ganz vorne am Bahnsteig postiert, denn im 1. Abteil sitzen meistens weniger Mitreisende, als in den Hinteren. Ich ziehe an der Tür und suche nach einem freien Sitzplatz, möglichst in Fahrtrichtung. Ich sehe mich um und entdecke meine Lieblingsmitreisende, die glatt als „10nach8-Regio“-Passagier durchgehen könnte. Sie sitzt natürlich ganz vorne und ist in ihre Lektüre vertieft, in die sie ihre lange Nase hineinsteckt.
Ihre schwarze Laptoptasche samt Laptop, die schwarze Handtasche und ihr dazu passender Mantel, liegen alle schön drapiert auf dem verblichenen Stoffbezug ihres Sitzes neben ihr, dessen Anmutung eindeutig signalisiert: „RESERVIERT“.
Mehrere dazugestiegene Fahrgäste vor mir sehen den vermeintlich freien Platz, steuern hoffnungsvoll auf ihn zu, um doch im letzten Moment von ihm abzudriften, da die Ausstrahlung dieses nicht ausgeschilderten reservierten Platzes zu mächtig scheint und trollen sich davon.
Ich lächele verschmitzt und ziehe meine ungefähr allmonatliche Show durch, trete näher und sage: „Entschuldigung?“. Sie blickt von ihrem Buch auf und sieht mich an, als hätte sie noch nie ein anderes menschliches Wesen vor ihr stehen gesehen, nein, als gäbe es überhaupt niemanden auf dieser Welt außer ihr selbst. Ich halte ihrem zunehmend mörderisch werdenden Blick stand und erwidere ihn herausfordernd. Sie blinzelt und resignierend wendet sie ihren Blick von mir ab, greift nach der Laptoptasche, legt sie auf ihren Schoss, stellt darauf die Handtasche ab und krönt dies alles noch mit ihrem Mantel und fährt mit ihrer Lektüre fort als wäre nichts gewesen. Ich weiß jedoch, wie sehr sie das ärgert, spüre die Eiseskälte die von ihr ausgeht, als ich dann schlussendlich, nicht ohne Genugtuung, neben ihr Platz nehme.
Der Zug ist mittlerweile in Bewegung und ich schaue auf die vorüberfließende Landschaft. Mir würde es durchaus Spaß machen die Felder, Städte und Wiesen zu betrachten, wenn ich sie nicht jeden Tag sähe. Es gibt kaum noch Neues zu entdecken und ich kann schon jeden Baum, jedes Haus vorhersagen. Der einzige Spannungsmoment der mir noch bleibt, liegt eine Haltestelle entfernt. Dort wurde eine Lärmschutzmauer gebaut, die eine Baustelle verdeckt. Der Zug hält an und ich erblicke bunte, kunstvolle Graffitis die, während dieser kurzen Zeit seit dem die Mauer steht, dort gesprüht wurden. Doch heute habe ich kein Glück, da sich wohl keiner über Nacht herangeschlichen hat, um eine Botschaft, die vermeintlich nur auf mich zu warten scheint, an der tristen Mauer zu hinterlassen. Enttäuscht wende ich meinen Blick ab und sehe zu meiner Überraschung „Karl-Heinz“ und „Marie“ am Gang stehen, die allem Anschein nach gerade hinzugestiegen sind. Die Namen sind freilich erfunden, aber wie ich finde passend. Weil mir nicht viel anderes übrig bleibt, als während meiner Zugfahrt aus dem Fenster zu schauen oder Musik zu hören, denke ich mir gerne Geschichten zu meinen Stammmitreisenden aus. Ich überlege, wo sie wohl jeden morgen hinfahren, welchem Beruf sie nachgehen und ob sie möglicherweise glücklich sind oder nicht. Bei Marie und Karl-Heinz mache ich dies besonders gerne. Karl-Heinz ist etwa Mitte fünfzig, wohlgenährt, trägt immer den gleichen Trenchcoat, egal ob Sommer oder Winter, zieht es lieber vor zu stehen und wirkt auf mich durchaus liebenswürdig. Außerdem hat er die Gewohnheit, die Tür an jeder Station aufzuziehen, herauszuschauen und etwas frische Luft hinein zu lassen, wenn er alleine Bahn fährt. Marie ist ungefähr im gleichen Alter wie Karl-Heinz, sieht jedoch jünger, sehr gepflegt und durchtrainiert aus und achtet darauf, dass ihre Schuhe stets zu ihrer Handtasche passen. Wenn die beiden sich über alles Mögliche unterhalten, sehe ich die Augen von Karl-Heinz aufleuchten und die Freude darüber, dass er mit Marie sich austauschen kann. So unterschiedlich die beiden auch sind, ich habe das Gefühl, dass der jeweils andere der Richtige für ihn wäre, sie es jedoch auf von Grund Umständen, über die ich nichts genaueres weiß, nicht zusammen finden. Sei es Karl-Heinz‘ Schüchternheit oder dass Marie einen goldenen Ring an ihrem Finger trägt. In meiner Fantasie sind die beiden das tragische Liebespaar im Spätsommer ihrer Jahre, jedoch schon zu festgefahren in ihren eigenen Lebensplänen, um den Sprung in eine gemeinsame Zukunft zu wagen. Ach, wahrscheinlich bilde ich mir alles nur ein und die beiden sind einfach nur Kollegen, die sich gut verstehen, mehr nicht. Ich werde es wohl nie erfahren.
Meine Gedanken schweifen ab und ich überlege, ob es nur mir so geht oder ob sich wohl die anderen Bahnfahrer, die ich öfter sehe, auch solche Gedanken machen über nichts und wieder nichts, ob sich sie sich wohl auch an mich erinnern und sich vorstellen, was ich so treibe, wohin meine Reise geht oder ob sie einfach nur ins Leere starren ohne irgendeinen Gedanken. Aber auch über dies nachzudenken führt mich nicht weiter.
Gegenüber von mir sitzt ein ewig Zeitungslesender, den ich für sein Durchhaltevermögen, eine Zeitung auf so engem Raum zu lesen, bewundere. Nicht, dass ich ihn um die Lektüre der Frankfurter Rundschau beneiden würde, (Zeitunglesen an sich ist mir ein Graus, da dieses Format so unglaublich unpraktisch ist), nein, schon allein die Tatsache, dass er in einem fahrenden Zug lesen kann, ist mir verwehrt. Allein aus dem Grund bricht der Neid abermals aus mir hervor. Denn die kläglichen Versuche meinerseits in einem fahrenden Zug zu lesen, sind von vornherein zum Scheitern verurteilt, da mir davon stets schwindelig und übel wird. Könnte ich doch bloß lesen! Die Zeit würde so schnell verfliegen, dass ich sie vergessen, ja gar nicht mehr wahrnehmen würde. Die einzelnen Stationen und Ansagen würden in einem einzigen Rausch an mir vorbeiziehen, ohne sie auch nur wahrzunehmen.
Aber die Zeit zieht sich dahin und kann nicht glauben immer noch vier Stationen vor mir zu haben. Es kommt mir wie eine halbe Ewigkeit vor, die ich mit sinnlosen Warten vergeuden muss mit der schrecklichen Gewissheit, dass sich nichts daran ändern wird.
„Nächster Halt: Ostendstraße. Ausstieg in Fahrtrichtung links“, vernehme ich gedämpft. Ich seufze, erhebe mich und blicke noch einmal auf meine Sitznachbarin, die mich nach wie vor bewusst und trotzig ignoriert. Ich tue ihr es gleich und postiere mich an einer Tür. Die Bahn hält und ich steige aus.
Von hier aus ist nicht mehr weit bis zu meiner Arbeitsstelle, so dass ich mir überlege, ob ich laufe oder in die Straßenbahn steige. Ich entscheide mich für ersteres und lasse mir dabei ein wenig Zeit.
Im Gebäude angekommen begrüße ich meine Kollegen. Jeden Tag die gleichen Gesichter. Tag ein, Tag aus. Fünf Tage die Woche. 8 Stunden am Tag. Ich gehe zur Arbeit, ich gehe nach Hause. Und kein Ende in Sicht.
Feierabend. Den Arbeitstag habe ich einigermaßen hinter mich gebracht. Und wieder beginnt das gleiche Spiel, nur umkehrt, von vorne. Warten. Einsteigen. Umsteigen. Aus dem Fenster starren. Merkwürdige Leute beobachten. Aussteigen. Zuhause ankommen, und langsam herunterkommen. Vor dem Fernseher sitzen und davor einschlafen. Die Gewissheit haben, dass morgen ein neuer, aber doch gleiche Tag ist...
Am nächsten Morgen warte ich wie eh und je auf meinen Zug.
Es erfolgt eine Durchsage: „Meine Damen und Herren bitte beachten Sie: Die S2 nach Dietzenbach hat voraussichtlich... 5 Minuten Verspätung. Wir bitten ...“ „ ... Wir bitten um Ihr Verständnis ... Pah welches Verständnis, um Entschuldigung sollten sie uns bitten!“, murmelte es links neben mir. Diese Worte voller Wahrheit lassen mich aufmerksam aufsehen. Er fängt meinen Blick auf und ich lächele. Gemeinsam steigen wir ein paar Minuten später in den Zug.
Am nächsten Tag habe ich ihn wiedergesehen.
Ich grüße alle Zeldafreaks vom Board!
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