Sirius' und Acris Programmgedichte

    • Sirius' und Acris Programmgedichte

      Willkommen in diesem Kombo-Thread. Es handelt sich um ein Projekt der beiden oben Genannten und es geht darum, dass möglichst bald aufeinander folgende Themen von beiden in schicke lyrische Gewänder gekleidet werden. Heuer soll's um die 7 Todsünden gehen und ich mache den Anfang:


      Die 7 Todsünden

      Ich sitze in der Staatskanzlei,
      ich wurd' gewählt und desterwegen
      Bringe ich den Spendern Segen,
      Die gespendet der Partei.
      Ach, Millionen sind geflossen,
      Und so sagt' ich unverdrossen:
      Mehrwertsteuer, die muss runter,
      Für Hoteliere und mitunter
      Für den dicken Mövenpicker!
      Doch wenn ich's dem Volk verklicker,
      Steht bevor der große Knall:
      Hochmut, der kommt vor dem Fall!

      Der Nachbar hat's, ich will es haben,
      Sei's das Auto, sei's die Frau,
      Intrigen spinn ich, frech und schlau:
      Ich werd mich an dem Seinen laben!
      Diese Welt ist so gemein!
      Ständig würgt sie einen rein,
      Mir, dem Guten, mir, dem Braven,
      Nie darf ich mit Schönen schlafen,
      Immer nur die zweite Klasse,
      Neid bedingt, dass ich ihn hasse.

      Letztlich könnt ich ihn zerfetzen,
      Diesen Lumpen, diesen Bösen,
      Schnappt mir weg die guten Mösen,
      Muss mich zu den Dicken setzen.
      Ich schnapp mir den Baseballschläger,
      Werd' zum frohen Schädeljäger,
      Haue fest und haue gut,
      Aus der Schläfe rinnet Blut!
      Schon immer ward er mir ein Dorn
      Im Auge: Süß ist er, der Zorn.

      Müd die Augen, dick der Bauch:
      Was soll der Stress und was die Sorgen?
      Was heute geht, das geht auch morgen,
      Übermorgen aber auch.
      Essen lasse ich mir bringen,
      Hör dem Nachbarn zu beim Singen,
      Uni habe ich geschmissen,
      Sitz daheim. Ist zwar beschissen,
      Wenn man nur im Bette liegt,
      Doch ich weiß: die Trägheit siegt.

      Der Börsengang ist mir Pläsier.
      Ich kauf, verkaufe, ja, ich zocke
      Frohlocke über jede Ocke,
      Der Bulle ist mein Lieblingstier.
      Verachten tu ich jeden Penner,
      Die FDP – ein Dauerbrenner!
      So hort ich den verdienten Zaster
      Auf der Bank, und sei's ein Laster,
      Ihn akribisch zu vermehren:
      Habgier ist's, was sie dich lehren.

      Zum Frühstück erstmal Sahnetorte,
      Zu Mittag die Familienpizza
      Nebst Rotwein aus dem schönen Nizza,
      Zu Abend Rumpsteak – ohne Worte.
      Meinen Magen gilt's zu pflegen
      Auch Döner hilft mir, ihn zu hegen.
      Seine Freude ist die meine,
      Ihr dienen Hühner, Rinder, Schweine
      Und ab und an ein guter Fisch:
      Völlerei samt vollem Tisch!

      Letztlich ist der Liebesakt
      Ein Freudenbringer sondergleichen:
      Fünfmal täglich wird nicht reichen,
      Zehnmal täglich, das ist Fakt!
      Ob im Bordell, im Kaffeehaus,
      Ich nehme selbst die graue Maus,
      Die unten im Parterre haust
      Und meine Körpersäfte schmaust.
      Was soll's: ich bin halt nymphoman:
      Durch Wollust hab ich Spaß daran!

      Nun ist's passiert, nun bin ich tot.
      Ich schiss auf jegliches Gebot
      Des großen Alten, welcher droben
      Weiß zu strafen und zu loben.
      Selbstverständlich muss ich runter
      In den tiefen Höllenschlund, der
      Mir den Arsch zum Kochen bringt,
      Wo Heino stündlich Lieder singt
      Und mir der Teufel prophezeit:
      „Das kommt von zu viel Dreistigkeit!“

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    • Und er reichet nach!
      Wie bei Acri etwas länger, und stellenweise ein wenig fies, wie es sich für das Thema gehört. Formalfailer, der ich bin, ist's nicht so sehr von der Metrik geknechtet, sondern eher so hing'schissn, ein bisschen freier und ungestümer.
      Würde rezitiert oder als Lied vermutlich besser klingen. Was soll's! Ich wünsch' auch bei dieser Version einen vergnüglichen Lesespaß. xD


      Die sieben Schlüssel

      Sieben der Schlüssel sei’n dir gegeben,
      Um von dir den Schleier des Träumens zu heben.
      Um alles zu sehen, das Schweigen, die Not,
      Die Sünden der Menschen; das Leid und den Tod.

      Los! Öffne sie, die erste Tür,
      Wohin sie führt? Ich zeig’ es dir.
      Wir wohnen einem Festschmaus bei,
      Was auf den Tisch kommt? Einerlei!
      Schafe, Ziegen, sture Kühe,
      Der Schlachter hatte alle Mühe,
      Wir lassen’s mit ’nem Bierchen sacken
      Oh, dieser Geist, so leicht zu packen!
      Gar ähnlich in des Volkes Menge
      Entbrennt fürwahr stets ein Gedränge,
      Wenn’s heißt: „Ich kriege, ganz normal:
      Zwölf Cheeseburger, Getränk nach Wahl!“
      Zu fettig, zu viel, ein Einheitsbrei,
      Ohne Wert und Moral, das ist Völlerei!

      Die zweite Tür, ich sag’s dir gleich,
      Ist alles, nur nicht engelsgleich.
      Häuser seh’ ich, bis hinein in die Wolken,
      Dort wird auch der Letzte, der schafft, noch gemolken!
      Eingepfercht wie in das kleinste Gatter,
      Vernehm’ ich’s zu deutlich, das Tastengeratter.
      Das ist der Rhythmus, wo ein Jedermann mitmuss:
      Das schuftende Schlachtvieh des Kapitalismus!
      Und schau’ ich hinunter, auf die nasskalte Straße,
      Geschieht dort dasselbe im kleineren Maße.
      Es klaut dort ein jeder, wo er kann oder muss,
      Macht sich eine Freude und and’ren Verdruss:
      „Nepper und Schlepper, Betrüger sind wir!
      Seht unser Metier, man nennt es die Gier!

      Tür Nummer Drei, so weit sind wir schon,
      Spürst du ihn auch schon, den blanken Hohn?
      Einer, der sitzt dort, dem alles gehört,
      Den, weil er nichts braucht, auch gar nichts mehr stört
      Und direkt daneben, man sieht es ihm an,
      Sitzt, fluchend und schimpfend, ein ärmerer Mann,
      Der hat nichts bekommen, vom Kuchen kein Stück,
      Blieb arbeits- und mutlos im Gestern zurück.
      Schaut rüber zum reichen Kerl, grämt sich, und denkt:
      „Bekäm’ ich, so wie er, doch nur alles geschenkt!
      Dann säß’ ich nicht hier, dann ging’ es mir gut,
      Dann wär’ in mir nicht diese flammende Wut!“
      Es gipfelt gelenkte Unmenschlichkeit,
      In Missgunst und Hass, das ist er, der Neid!

      Galant! Du hast die vierte Tür
      Aufgestoßen und hierfür
      Gibt’s ein Schläfchen! Gemütlich, fein
      Könnt’ denn die Welt noch besser sein?
      Pizza wird, rund um die Uhr,
      Geliefert, da braucht’s ’nen Anruf nur!
      Online bestell’n hat mächtig Stil,
      Wer sich bewegt, macht schon zu viel.
      Und Hör’n und Denken vergeht mir eh,
      Seh’ ich wen joggen um den See—
      Der quält sich ab, der haut echt rein,
      Ich will nur noch zuhause sein
      Genieß’ dort lässig meine Freizeit
      Ich hab’ gehört, das nennt man Trägheit...

      Hinter Tür Fünf, du merkst es schnell,
      Ist’s alles andere, nur nicht hell!
      Gedimmtes Licht, ein dunkler Rotton,
      Was hierin lauert, wird dir gut tun.
      Erklimme den Berg, schwimm’ Bahnen im See,
      Natur kann so schön sein, alaaf und juchee!
      Pflücke die Erdbeer’n vom reifsten der Bäume,
      Und iss’ sie genüsslich, im schönsten der Räume.
      Der Tag bricht an! Doch kein Problem,
      Weil auch woanders Bäume steh’n,
      Mit hübschen Früchten, weich, elastisch,
      Willig, jung, wie phallustastisch!
      Klopf, klopf! Was kommt zur Tür herein?
      Das kann doch nur die Wollust sein!

      Der sechsten Tür Schlüssel, er passt nicht hinei’
      Was soll’s, halb so schlimm! Schlag sie einfach entzwei!
      Es lieget dahinter, was man nicht wagt zu fragen,
      Eine ganz simple Antwort auf all deine Fragen.
      Ob Messer, ob Waffe, ob Faust im Gesicht,
      Hauptsache ist, die Schweine wehren sich nicht!
      Sei ganz konsequent, mach nie damit Schluss
      Für dich selbst einzutreten, und auf and’re per Fuß.
      „Blinde Wut“, heißt’s gemeinhin, sei gar nicht gesund,
      Ich sage dir, scheiß drauf, es gibt keinen Grund,
      Genieße den lustigen, blutigen Reigen,
      Und niemals vergessen, die Fäuste zu zeigen!
      Schau bloß nicht zurück, schau immer nach vorn,
      Mit dem Knüppel zur Hand, und ergib’ dich dem Zorn!

      Wir schreiten nun zur letzten Tür,
      Doch vorher, sag, wie geht es dir?
      Sag mir, was denkst du, fühlst du dich gut,
      Wenn du siehst, was passiert, was jeder hier tut?
      Und dann ganz leise horchst in dich hinein:
      „Also, so geht’s ja nicht, das kann ja nicht sein!“
      Ich seh’ es dir an, du verschränkst nur die Arme:
      „Würden Sie sowas auch tun?“ – „Niemals, Gott erbarme!“
      Doch sehe ich ganz tief in dein Herz hinein,
      So weiß ich genau, auch du bist nicht rein!
      Weil auch du lügst und mehr willst, weil du frisst und du fickst,
      Und dabei wutentbrannt deine Dummheit nicht blickst
      Und bist du geschnitzt aus grunddeutschem Holz,
      So bist du es selbst, der grässliche Stolz!

      Sieben der Schlüssel hab’ ich dir gegeben.
      Siebem im Tode und sieben im Leben
      Deine Augen sah’n alles, und bevor ich verschwind’,
      Seh’ ich, dass du wegschaust; ein erblindetes Kind.

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    • Zweifels ohne ist Acris Gedicht formal passender und liest sich somit besser. Ich bin es auch von ihm ja nicht anders gewohnt, als dass die Gedichte amüsant, mit Anspielungen versehen und Scharfsinn gewürzt sind. Es ist immer wieder ein Freude, was vom ihm zu lesen - gut, dass das auch alle Nase lang vorkommt, so muss man nicht allzusehr schmachten.
      Acri? Schon mal mit dem Gedanken gespielt, dich beim Poetry Slam mit deines Gleichen zu messen?

      Überraschung! Si, deine einleitenden Worte sind trügerisch - ich hatte daraufhin mit einem Gedicht gerechnet, was ein wenig oberflächlicher ist und sich meist nicht einmal reimt.
      Ich wusste nicht, dass du so gut dichten kannst - das wird deiner Einleitung nicht gerecht: Eines von beidem solltest du wohl oder übel noch einmal umschreiben! Mir hat's sehr gefallen. Es liest sich auch gar nicht schwer.
      Inhaltlich finde ich es zudem sehr gelungen: Dieses mystische drum mit dem sieben Schlüsseln verleiht dem Ganzen einen interessanten Märchen-Charakter. Dem entgegen steht allerdings wohl, dass die Beispiele, mit denen du eine Todsünde nach der anderen beschreibst, so realitätsnah sind, dass es mich beinahe peinlich an mich selber erinnert, wenn ich es nicht nach Möglichkeit an mir abprallen zu lassen versuche - womit ich mich glorreich in deiner letzten Strophe Vers wiederfinde.

      Wie unangenehm...
    • Ich kann mich Torpedobear nur anschließen. Sowohl inhaltlich als auch formal ist Acros Interpretation der Sünden sehr gut gelungen - ich werde wohl nie ganz verstehen, wie man die Metrik so treffen kann und gleichzeitig in wenigen Worten den Nagel auf den Kopf trifft. Respekt! :3

      Allerdings finde ich die Idee mit der Mystik, was T. auch schon angesprochen hat, sehr passend. Es braucht ja nicht viel, um sündiges Verhalten in uns zu... ja... erschließen, sag ich mal. Und in Sis Hochmut/Stolz finde ich mich auch schnell wieder. Oha oô
      Mal ganz abgesehen von der Trägheit - komische Kombination, aber nachdem ich mich in der letzten Spielzeit intesiv mit dem Gefühl des Neids auseinandergesetzt habe, ist mir auch aufgegangen, wie sehr alle 7 ineinander übergehen können.
      Das fehlt bei euch vll ein wenig - mich würde interessieren, wie ihr das lösen würdet ;3

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    • Meine beiden Vorposter haben ja bereits vieles gesagt.
      Ich finde die Gedichte sehr gelungen, beide... Das Thema ist gut gewählt und auch mit ziemlich nachvollziehbaren Beispielen belegt.
      Es gab manchmal kleine metrische Ausrutscher, aber die sind verzeihbar.
      Habe beide Gedichte sehr genossen und das will was heißen. :)
    • Vielen Dank für's Feedback! :)

      Aufgrund der Tatsache, dass wir uns natürlich nicht mit EINER Co-op-Ferkelhurerei dieser Art zufriedengeben konnten, haben wir prompt mit Low Budget-Mitteln eine billige zweite nachproduziert.
      Auch Nummer Drei und Vier lassen sich nicht mehr lange auf sich warten-- will sagen, die Sache wächst sich aus zum hoffentlich langfristigen Serientäter, daher erfuhr der Threadtitel eine kleine Abänderung zugunsten der aktuellsten Umstände. xD

      Thema diesmal: memento mori vs. carpe diem.
      Ich eröffne mit letzterem. :o


      Carpendaylehem (Carpe diem heute)

      Grad noch träumend, großer Schrecken,
      Piept dort was, mich zu erwecken,
      Auf, auf! Husch! Der Wecker klingelt,
      Flink zur Arbeit fesch getingelt,
      Schniekefein den Chef gegrüßet,
      Morgenkaffee gut gesüßet,
      Tagespläne schnell gesichtet,
      Frühstücksbrötchen angerichtet,
      In die Mahlzeit reingebissen,
      Auf die Ruhezeit geschissen,
      Fertig! Auf geht’s, Arbeit wartet,
      Darauf, dass man mit ihr startet,
      Akten schieben, Ordner wuchten,
      Sieg Heil, Bürokratenschluchten,
      Schlecht bezahlt, die Plackereien,
      Sekretärin fleißig freien,
      Kopiererraum, wir zwei sind’s nur,
      Kontakte knüpfen!, sagt die Uhr,
      Zwölfe schon; die Mittagspause
      Ist ’ne Zehn-Minuten-Sause,
      Jetzt nur noch zwei Stunden schuften,
      Dann heißt’s endlich: Weg, verduften,
      Zweie läutet’s, Schicht im Schachte,
      Hobbies haben bis um Achte,
      Es gibt immer viel zu machen,
      Ein Tag und fünfhundert Sachen,
      Autofahren, dabei rauchen,
      Sowas kann ein jeder brauchen,
      Weiß, ich darf nicht schlecht aussehen,
      Sonst wird mir die Freud’ vergehen,
      Mein Weg endet dann sogleich
      Im Fitnessstudio „Körperreich“,
      Wo man sich bis zum Anschlag trimmt,
      Damit man bei den Frau’n gewinnt,
      Ich wuchte, ziehe, hanteliere,
      Autsch, was geht das an die Niere!
      Fitness fertig, five o’clocke,
      Wie geht’s Jörg, der alten Socke?
      Anruf, piep piep, nicht erreichbar,
      Und um ein paar Cent erleichter’
      Ich mich bei selbst dem Versuche,
      Mich nervt’s derart, dass ich fluche,
      Und siedend heiß fällt mir dann ein:
      Ich hab’ ein Dinner mit Frau Klein!
      Von der träum’ ich schon seit Tagen,
      Will ihr „Ach, ich lieb dich!“ sagen,
      Ich ras’ los, noch grad so pünktlich,
      Sie fährt auf mich ab, so dünkt mich!
      Es kommt, dass ich sie heim geleite,
      Luxusfood, jetzt bin ich pleite,
      Stört mich nicht, denn ihr geht’s spitze,
      Ich erzähl’ noch ein paar Witze,
      Küsschen, küsschen, tschüss, bis später,
      Liebe dröhnt mir durch den Äther,
      Darauf eine Zigarette,
      Wenn ich doch nur mehr Zeit hätte,
      Meine Pflichten, denk ich heiter,
      Das nennt man Karriereleiter,
      Wer ranhält sich bei Tag und Nacht,
      Aus dem wird dereinst was gemacht,
      Kein Müßiggang, kein Schmerz im Herze,
      Hab’ keine Zeit für solche Scherze,
      Fahr heim, nach Hause, leg mich hin,
      Genutzter Tag hat seinen Sinn.

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    • Nach dieser heiteren Hektik des fleißig gepflückten Tages muss natürlich auch ihr gähniger Gegenpol vertreten sein, beides von den Bar-Rockern bis zum Exzess zwar fabriziert, dennoch natürlich aktuell und spannend. Dem Carpe Diem folgt das Memento Mori nämlich auf dem Fuße.


      Memento Mori (immer)

      Heller Tag, du fliehst und weichst der neuen Nacht!
      Und mit dir fliehet alles Licht auf dieser Erde,
      Mit dir werden stiller Kummer und Beschwerde
      Itzund ausgetilgt, das Wunder ward vollbracht.

      Wenn kein Fisch im trüben Ozeane schwimmt,
      Wenn keines Lindenbaumes grüner Blätterreigen
      Blaue Meisen birgt in seinen dürren Zweigen,
      Bleibt uns nichts als Dunkelheit – doch stetig glimmt

      Ein Funke Hoffnung, ja, an derlei wird es denken,
      Das Menschenvolk, der bloße Schaum der Weltenwelle,
      Es windet sich im Staub und fleht, dass man erhelle

      Sein kärglich Dasein – aber niemand wird es lenken.
      Niemand wird dies bittre Leben mehr ertragen
      Itzund lachet man vor Glück, doch später wird man klagen.



      Denn nichts auf diesem bösen Sterne hat Bestand,
      So inniglich es auch geflochten möge sein.
      Und naht der Winter, dann erlischt der Sonne Schein,
      Im Dunkel ziehen Eis und Kälte übers Land.

      Man friert und hungert und entzündet viele Lampen
      Um in der kalten Jahreszeit etwas zu sehen.
      Vom hohen Norden her spürt man die Winde wehen,
      Die in die Seelen fahren. Man errichtet Rampen,

      Bastelt Waffen, baut Geschosse und Granaten,
      Sich zu morden, alles Leben zu vernichten.
      Letztlich wird der Sieger über Tote richten,

      Sich ihrer rühmen ob der vielen Heldentaten.
      Asche rieselt auf die Häupter dieser Toren
      Die itzund sie befleckt und schwarz färbt wie die Mohren.



      Dunkle Nacht, du fliehst und weichst dem neuen Tage!
      Der wieder Licht bringt, ja, doch sag, um welchen Preis?
      Denn Schleier schwinden, zeigen weder Schwarz noch Weiß,
      Noch irgend Zuversicht in Anbetracht der Lage.

      Braches Ödland ist das Fundament der Städte,
      Alles Leben weicht Beton- und Stahlkonstrukten.
      Die Nachtigallen, welche aus den Wipfeln guckten,
      Sah'n Maschinen mähen, fällen, kreischen um die Wette.

      Was ist dies Leben außer einem Trümmerfeld?
      Itzund mag man gern den Blick zurücke wenden
      Auf Vergangnes, welches bröselt in den Händen

      Des Chronos wie der Wüstensand der Dritten Welt.
      Ein Hallelujah wird man rufen neuen Zeiten,
      Doch alles kranket, sterbet, fliehet in die Weiten.

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    • Gefallen mir wieder beide, wobei deins diesmal etwas holpriger zu lesen is, Si, imo - aber ich ja eh nicht so der Metrik-Freak, daher ist mir das nicht so wichtig :3

      Ich finde es erstaunlich, dass nicht nur beim memento mori, sondern auch im carpe diem eine ziemliche Sinnlosigkeit offenbar wird. Die Vorstellung, dass man sich dermaßen in den Tag stürzt, wie von Si geschildert, finde ich gruselig, denn ein Übermaß halte ich für genauso krank wie ein zu wenig von allem. Ich zumindest hätte im Endeffekt für mich nichts von einem Tag, durch den ich nur haste und in dem ich keinen einzigen Moment richtig auskosten kann.

      Und was das "Trümmerfeld" Leben angeht - sobald man bei der Auffassung angekommen ist und darüber alles Schöne vergisst, stimmt es wirklich: Was bleibt einem dann noch?

      Naja, auf jeden Fall bin ich gespannt auf weitere lyrische Ergüsse eurerseits, sie lesen sich sehr gut (mit kleineren Ausrutschern ^^) und sind eine gelungene Momentaufnahme. :3

      "Heirs of Miraika"
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      "Dreaming of Dawn"
      Fantasy, Psychological, Depression
    • Und schon wieder gibt's was Neues, natürlich auch dieses mal etwas ganz Verschiedenes, man könnte auch sagen: vor Polarität nur so Strotzendes! Heueriges Thema ist ein leidiges, nämlich das, woran's uns allen ab und an hapert und was wir doch so sehr benötigen für das, was wir tun. Dieses Mal geht's um die Fantasie!
      Wir ham uns beide frische Gedanken gemacht, und da Si irgendetwas von "Hohn und Spott" faselte, kam ich zu dem Entschluss, die Idee etwas feierlicher umzusetzen, etwas hymnischer, und, ja, auch etwas pathetischer. Leset und frohlocket: die



      Ode an die Fantasie


      Fantasie, du große Liebe,
      Heimlichkeit des Genius,
      Nährst die Wurzeln, treibst die Triebe,
      Bist nur du der Hochgenuss.
      Fährst dem Dichter durch die Glieder,
      Wenn er dich, die Eine, spürt,
      Deine Chöre singen Lieder,
      Wenn er seine Feder führt.

      Altbekannt aus Heldensagen,
      Flamme, sie, die ewig brennt,
      Auf Apollos Sonnenwagen
      Jagt sie durch das Firmament.
      Wenn wir frohe Texte schreiben,
      Ist sie die Begleiterin,
      Wenn wir Spaß und Unfug treiben,
      Lächelt sie uns weiterhin

      Zu und neckt uns, nie zu enden,
      Fortzuführen unser Spiel
      Frei von Decken, frei von Wänden
      Hoch hinauf in großem Stil!
      Fantasie, du große Liebe,
      Heimlichkeit des Genius,
      Nährst die Wurzeln, treibst die Triebe,
      Aller Werke Uterus.


      Man darf gerne mitsingen, wenn einem die Melodie dazu einfällt. xD

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    • Tam-titam.
      Im Anschluss an das buchstäblich schillernde Loblied wenden wir uns den unverkennbaren zeitgenössischen Schattenseiten dieser Tugend zu.
      Es folgt daher ein lyrischer Rundtanz für literarische Ballungsgebiete der Jetztzeit.
      Schmaler wohnen mit Hohlbein, Heitz und ihren Kollegen.


      Entbinde mich des Denkens

      Wenn ich seh’, wie manche schreiben,
      Denk ich: „Mensch, dann lasst’s doch bleiben!“
      Trolle hamse, Orks und Elfen,
      Denen ist nicht mehr zu helfen,
      Magier, Zwerge und auch Ritter,
      Rumms! Ein Plakativgewitter!,
      „Ich kann schreiben, lasst mich ran,
      Ich mach’ euch die Hegemann!“

      Was sind das für traur’ge Leute,
      Lasen Tolkien und sind heute
      Groß gefeiert, Starautoren,
      „Ein Genie ist uns geboren!“
      Doch, ihr Teenies, gebt fein acht,
      Was man da mit euch so macht,
      Ist nicht rechtens, gar nicht fein,
      Dazu sag’ ich ganz klar Nein!

      Produziert in einer Nacht,
      Auf den Buchmarkt flink gebracht,
      Inspiriert nur durch die Not,
      Nullachtfünfzehn das Gebot.
      Bunt kopiert und collagiert,
      Stereotypisch hingeschmiert.
      Ich werd’ Weltstar, das ist kle,
      Oh Klischee, du tust mir weh!

      Fleißig kaufen all die Leser
      Diese Unterwegsverweser.
      Das ist Trend, das muss ich haben!
      Mich am x-ten Aufguss laben.
      Mancher wird dabei nicht bleiben,
      Fängt gar selber an zu schreiben;
      Drum denk’ ich mir dann und wann:
      Phantasai, du kotzt mir an!

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    • Ich wollte eigtl schon früher was dazu schreiben, bin aber bis jetzt nicht dazu gekommen, Carpe Diem/Memento Mori zu lesen. Was ich jetzt nachgeholt habe (natürlich inkl. der beiden neuen).

      Gefällt mir sehr gut, was ihr da geschrieben habt. Ich mag beide Schreibstile sehr gern, wobei ich zugeben muss, dass ich eigtl im großen und ganzen vom Aufbau her mehr auf dieses klassische "Formalgewichse", wie Acri es benutzt, stehe. Was nicht heißen soll, dass ich Sis Sachen schlechter finden würde. Sowas will ich damit ganz sicher nicht sagen. Denn seine Inhalte find ich ganz besonders klasse, haben mich n paar mal zum Schmunzeln gebracht und ich bin natürlich auch einer von denen, die sich am Ende seines "Die sieben Schlüssel" ziemlich ertappt gefühlt haben. Ganz, ganz groß fand ich, als oller Metalspacko, seine Anspielung auf Helloween. :D
      (Si locked up the seven seas, jawollja.)

      Die darauf folgenden beiden Gedichte fand ich auch wieder super, wobei sich Sis teilweise doch etwas holperig las. Im großen und ganzen mag ich aber, rein von der Thematik her, eigtl auch das Memento Mori lieber. Aber sowas ist ja geschmackssache.

      Bei den beiden neuesten dachte ich mir schon, dass es irgendwas in der Richtung sein wird. :D
      Acris fand ich supergeil. Aber ich bin ja auch n oller Pathosfetischist. *hust*
      Ich hab aber auch brav, in der Melodie der "Ode an die Freude", mitgesungen. :D
      Bei den vorigen konnte ich im großen und ganzen keinen Favoriten ausmachen, aber diesmal mochte ich Sis doch n bisschen lieber. Es ist sooo wahr und ich wurde auch nicht enttäuscht, als ich hoffte, die Hegemann erwähnt zu finden. :D
      "Disease, disease, disease my firend,
      for this whole world's in devil's hand..." *mitsing*

      Jedenfalls, wie gesagt. Gefällt mir alles sehr gut, ich freu mich auf mehr. :)
      Don't smell the flowers
      They're an evil drug to make you lose your mind

      __________________

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      Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von Headshrinker ()

    • Ouha!
      Ich bin ja so ein alter Humor-Junkie. Heute muss ich wohl Si in den Arsch kriechen. Ok, es ist eigentlich keine Komödie, eigentlich ist es (bedauerlicher Weise) nicht mal fantastisch, sondern eine Grafik großer Flächen der literarischen Welt (omg roflmao lol - "Der, dessen Preis nicht angenommen werden darf" würde mich wohl dafür umbringen, in diesem Zusammenhang den Begriff "literarisch" überhaupt nur benutzt zu haben).
      Ehrlich gesagt hätten mir etwas weiter auseinandergezogene Reime bei so einem langen Gedicht besser gefallen, damit man etwas mehr Fluss hat und nicht stüfchenweise von oben nach unten tapst, aber formkorrekt isses diesmal doch auf jeden Fall und inhaltlich - ach, was soll ich sagen: Ich les es mir einfach noch einmal durch - das ist das schöne im Gegensatz zu Eis: das kann man nur einmal essen. ;)


      Acro, das ist total schön geschrieben, das hat wirklich was hymnisches. Ich bin bereits mit der Melodie beschäftigt - diese Hymne an die Fantasie hat es verdient, ihrer musikalischen Raffination in entrückung der all meiner akkustischen Sinne entgegenzustreben. (Weiß der Geier, was der Autor uns damit sagen wollte, aber es muss wichtig sein - unterstreicht es!)
      Übelst Old School. Das rockt ein wenig, die Sprache klingt wirklich interessant entrückend, das lässt mich immer ein wenig aufmerken und mein solche Ausdrucksweise gar nicht mehr gewohntes Hirn treibt schon Pusteln.
      Ein literarisch gesockeltes Neuro-Abendteuer! Danke dafür 8)
    • Imho steht's bisher 2:1 für Acri, einfach weil es Metrik durchaus begründet gibt. Es flutscht einfach alles besser. Auch hab ich das Gefühl, dass seine Reime nicht so krass an den Haaren herbeigezogen sind. Sorry Si. xD
      Allerdings muss ich sagen, dass mir Carpendaylehem extrem gut gefallen hat. Beim Lesen bin ich nicht gestolpert, es war schnell und hektisch, wie eben auch das darin Beschriebene, das hat mir sehr gut gefallen und war besser als Acris sehr pathosschweres Memento Mori. Aber im Großen und Ganzen finde ich halt, Si, dass deine Gedicht wahrscheinlich vorgetragen besser wären, zum Lesen taugen sie wenig.

      Das Phantasie-Thema war mir bisher das liebste, und da gewinnt Acri auch nur, weil ich die Idee, die Ode an die Freude einfach neu zu dichten, so genial finde, obwohl ich mich textlich bei Sis Gedicht natürlich genauso anschließen würde. Könnte quasi von mir sein, wenn man bedenkt, dass meine Gedichte gräuslich sind. xD

      Im Großen und ganzen aber eine sehr tolle Idee, an der ihr hoffentlich noch ein Weilchen festhaltet -- dem Niveau der KW tut's jedenfalls gut.
      Næhmachinery
      Premonitions in the rising wind; tonight the stars will fall.
      The world in a cyclone, pouring out.
      No escape, but hey, who cares? Just go with the flow.
    • Ist mir durchaus bewusst, ich habe nur diese Form der Bewertung gewählt, um meine Meinung zur ganzen Sache abzugeben. ^^
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