Heißes Eis

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

    • Mal wieder eine Story von mir.
      Na ja...eine eher impulsiv enstandene Idee ist diese Geschichte, die sich aus der Idee, mal keine FF zu machen, herauskristallisierte. Eigene Erfahrungen und meine Liebe zu Sommerstories formten das Grundkonzept. Zu meiner Überraschung wurde daraus eine Art klamauke Lovestory, eine Mischung aus American Pie und 10 Dinge, die ich an dir hasse, wenn man so will. Aber bevor ich zu víel schreibe, lest einfach selbst. Viel Spaß.

      Katastrophitel 1

      Uptown-Boy

      In all seiner gottverdammten Aufdringlichkeit holte mich mein uralter, leider aber noch immer funktioneller Radiowecker, natürlich unter Beihilfe von Billy Joels dereinst extrem erfolgreichem Gedudel, aus dem Reich der süßen Träume.
      Gerade eben war ich noch in einer surrealen aber coolen (im wahrsten Sinne des Wortes) Eisdiele gesessen und hatte mir das heißeste Mädchen der Welt aufgerissen, jetzt hatte mich dieser mein mechanischer Erzfeind der Morgenstunden zurück in den realeren, weniger coolen (mag dran liegen, dass es Ende Juli war) Alltag. Ich hatte doch gewusst, dass etwas faul gewesen war, als aus dem süßen Lippen des Mädels nicht ihre liebliche Stimme, sondern ein Männerchor gekommen war. Gut, dass ich aufgewacht war, bevor ich den träumerischen Verstand verloren hätte. Das war ein traumatischer Traum, den ich hoffentlich in den nächsten fünf Minuten vergessen würde.
      Aber jetzt durfte ich nicht weiter über diesen wirklich heißen Traumfeger und ihre etwas fragliche Singstimme nachdenken. Ich richtete mich auf und brachte Mr. Schlafstörer erst einmal zum Schweigen. Durch das Fenster neben meinem Bett drang alles an Licht, was die Sonne um 5:55 Uhr zu bieten hatte, in mein kleines, gemütliches und mit der Ordnung des Chaos versehenes Zimmer.
      Es war eindeutig der 27. Juli, Dienstag in der letzten Schulwoche. Allein diese Tatsache gab mir die Ausdauer und die Kraft, das wie frisch verliebte Pärchen, namentlich mein Unterkörper und meine Bettdecke, zu trennen. Unter Ansammeln all meiner inneren Reserven gelang es mir dann tatsächlich auch noch, mich trotz aller Schlaftrunkenheit und Ohrwurmqual (wisst ihr, wie verdammt eingängig und zugleich einschläfernd dieser Oldie ist?!) aus dem Reich der weichen Matratzen und Kissen zu erheben.
      Jetzt stand ich da, in meinem bananengelben Schlafanzug, packte mir eine Boxershort aus dem Schrank, und wusste, dass mir jetzt der für mich in dieser Lage schier unendliche Todesmarsch durch das Höllentor über den Korridor von Draculas Schloss in die Kammer des Schreckens bevorstand. Im Klartext musste ich durch meine Zimmertür in den Gang des ersten Stocks unseres Hauses und von dort aus ins Bad. Aber meiner Meinung nach beschrieb die metaphorische Variante meine eigenen verdrehten Gedanken besser.

      Mit der Eleganz einer Götterspeise auf Zahnstocherbeinen watschelte ich also durch die Tür und betrat das Nadelöhr des Familienverkehrs: Der Gang, in dem das einzige Bad für vier Kinder (von Kindern konnte zwar keine Rede sein, aber egal) zu finden war. Ich hatte mich schon Anfang des Jahres dazu entschlossen, immer eine Viertelstunde früher aufzustehen als meine zwei Zwillingsschwestern und mein Zwillingsbruder (ja, in der Tat waren wir ein Doppelpack von Zwillingen), um zu verhindern, dass ich in den trojanischen Belagerungskrieg um das Vorrecht zum Frischmachen geriet.
      Und tatsächlich: Auch heute war es noch totenstill im ersten Stock des architektonischen Meisterwerk, in dem wir Lehrmanns lebten. Eigentlich wirklich ein Haus, in dem ich mich wohlfühlte, was aber daran liegen könnte, dass meine Mama und ich einen sehr ähnlichen Geschmack hatten, was Inneneinrichtung betrifft: Viel Holz, viele Pflanzen, ein ganzer Patzen Deko, der je nach Saison variierte, und moderne Möbel. So sah es so ziemlich in jedem Raum des Hauses aus, der nicht meine Geschwister bei Nacht beherbergte. Die hatten eher denselben Sinn für "Schlimmer wohnen" wie der hyperaktive Kreischaffe, der mein Vater war.
      Nach gefühlten drei Stunden war ich dann im Bad angekommen und als erstes stand an, dass ich mich im Spiegel betrachtete. Also warf ich meine mitgebrachte rosa Unterhose zu Boden und betrachtete meine heutige morgendliche Erscheinung. Bei diesem Anblick weckte mich und meine kilometerlangen Augenringe die pure Gewalt von Schockierung aus der Müdigkeit. Meine kurzen braunen Haare formten einen Urwald, in dem man Guerilla-Kriege führen konnte, mein Gesicht hatte die Optik einer Essiggurke, die vor 30 Jahren am Verfallsdatum 'vorbeigegurkt' war, und mein Dreitagebart erinnerte an einen unregelmäßigen Kaktus. Dazu kam dann noch die Tatsache, dass der ekelhafte Geschmack in meinem Mund eindeutig ankündigte, dass wenn ich jetzt jemanden anhauchen würde, der Betroffene fast schon einem Angriff biologischer Waffen ausgesetzt sein und ins Koma fallen würde. Zusammenfassend sah ich aus wie ein Tingeltangel-Bob, Godzilla und Chuck Norris gleichzeitig. Ergo: Ich musste jetzt alle Möglichkeiten meines Vitaltempels dazu ausnutzen, diese Mängel zu beseitigen.
      Zunächst musste ich diesen ekelhaften Geschmack nach verfaultem Fleisch aus meinem Mund kriegen. Da konnte mir nur eines helfen: Die geschmacksintensivste Zahnpasta der Welt, Hardcore-Pfefferminz aus der Tube mit "Frischegarantie" von Hersteller Schmollgate. Ich hatte die wohl wenig sinnvolle, gar ungesunde Angewohnheit, abends das Säubern der Reißer zu schwänzen und dafür am darauffolgenden Morgen einen 5-Minuten-Marathon an Bürsterei hinzulegen. Und genau das tat ich nun.
      Als dies nach einigen Problemen geschafft war und ich beim Hauchen meines Atems feststellte, dass ich jetzt als Mundspray auf biologischer Basis durchgehen konnte, stand dem zweiten Punkt auf der täglichen Hygiene-Tour an: Duschen im kühlen Wasser, um den Körper zu wecken und später den Mädchen in der Klasse mit meinem Wohlgeruch imponieren zu können. Nichts geht über extrem maskuline und aufdringliche Duschgels und krankhaft starkes Antischuppenshampoo!

      Letzten Endes hatte ich meine Säuberreise durch das mythische Land der Spiegel, Duschköpfe, Rasierer, Kämme und Föne beendet, und so kam ich mit meiner fast schon angewachsenen rosa Boxershort aus dem Bad herausgeschritten. Dank diesem Ritual war es mir auch heute gelungen, sämtliche Müdigkeit hinter mir zu lassen und mich erst einmal auf das Frühstück zu freuen, bevor es in die Schule ging. Nicht, dass man in der letzten Woche vor den Ferien noch großartig Unterricht machen würde...
      Auf dem Rückweg in mein Zimmer begegnete mir , nachdem ich fast über den vollen Wäschekorb neben der Badtür gefallen wäre, mein Zwillingsbruder Flea, dessen blondgefärbten Haare mich doch ziemlich an einen Atompilz erinnerten. Und sein Gang gab mir das Gefühl, dass er vier Festbiermaß intus hatte. Die Müdigkeit stand ihm geradezu in Großbuchstaben auf der Stirn. Diese Vorstellung war bei diesem Tattoo-Fetischisten gar nicht soo abwegig.
      Er sah mir ziemlich ähnlich, auch wenn wir, im Gegensatz zu unseren Schwestern Hanna und Sarah, keine eineiigen Zwillinge waren. Der einzige markante Unterschied zwischen uns beiden waren die Augen und die Haarfarbe. Er war eigentlich schwarzhaarig, ich braunhaarig. Er hatte grüne Augen, ich hatte blaue. Und natürlich den diversen Tätowierungen. Ach ja...er zupfte sich die Augenbrauen, ich nicht. Meine kleine Cousine Astrid hatte uns schon oft gesagt, dass wir wie die Biber-Brüder aussehen. Ich musste das wirklich einmal überprüfen. Ich war eher Vertreter der Meinung, dass er Papas Erbe und ich das von Mama angetreten hatte, was die Unterschiede zwischen uns betraf.
      "Morgen, Alter...", meinte er, ungefähr dreimal so müde und unenthusiastisch, wie ich vor 20 Minuten noch gewesen war, als wir Import-Export-mäßig aneinander vorbeigingen.
      "Guten Morgen...", warf ich zurück, und so ziemlich zeitgleich schlug er die Tür des Hygienetempels und ich die meines Zimmers zu.

      Jetzt kam die härteste Etappe des Morgens: Ich musste mich für ein Outfit entscheiden. Möglichst geil, aber natürlich nicht zu geil. Ich wollte ja nicht aussehen wie ein Poser oder Styler, so was konnte ich gar nicht ab. Mein Schrank bot mir dafür einige Möglichkeiten, fast schon wieder zu viel. Aber dann kam ich doch zu folgendem Endergebnis im heutigen Klamotten-Cup: Das geniale graublaue T-Shirt mit schwarzer Marken-Aufschrift und die uralte Vintage-Bermuda, die klassische und allgemeingültige Kombination. Da konnte ich herzlich wenig falsch machen damit. Das nächste Opfer des Wochentagsmorgen-Anschlags war meine Umhängetasche, die sich von mir mit Schulbüchern und Schlampermäppchen vollstopfen lassen durfte und sich dann um meine Schulter gehangen wiederfand. Jetzt war ich bereit, die 4 im Ferien-Countdown in Angriff zu nehmen. Zumindest war ich mir in meinem Hunger sicher, dass ich bereit für Frühstück war. Also nahm ich die Wanderung durch den Gang im ersten Stock zur Treppe in Angriff, bei der ich Zeuge wurde, wie Flea gegen die Badezimmertür hämmerte und der Verzweiflung nahe schien (der erwähnte Krieg vor dem Toren Trojas also), um diese Stufen anschließend auch zu überwinden. Ich war also im Erdgeschoss, der Domäne von Adrian und Annelise, also meiner Eltern.
      Und als ich den Familiensammelsaal, auch genannt Wohnzimmer, betrat, hörte ich vom Esszimmer mit der Einbauküche auch schon meinen lautstarken Erzeuger herumbrüllen. Er erzählte meiner Mutter mit schätzungsweise 107 Dezibel von der Unfähigkeit der Stadträte. Wenn man diesem Mann ein Megaphon geben würde, wäre die gesamte Stadt eine Atosekunde später taub. Aber zumindest hatte ich mich als Kind nie in Beerhoch (ein Kaff im Südosten Bayerns) verlaufen, wenn ich bei einem Freund zu Besuch war...die Stimme meines Vaters hatte 10 Hektar Hörweite und diese hatte mich immer zurück in den eigenen Sandkasten geführt.

      Und da saß er auch am Tisch und strich sich ein Frischkäse-Brot, das seinen Dreitage-Bart, der dem, den ich vor 10 Minuten noch im Gesicht hatte, nicht unähnlich war, einige Momente später einen tollen weißen Anstrich verpassen würde. Ansonsten erkannte man eher, dass er Fleas Vater war. Grüne Augen, harte Gesichtszüge und eine kurze Haarpracht in Tiefschwarz.
      "Morgen.", sagte ich nicht gerade von Enthusiasmus geprägt, und unterbrach seine Hetzrede gegen die Stadtverwaltung, als ich ihm gegenüber am Altar der Esskultur Platz nahm.
      "Guten morgen, Schatz!", erwiderte meine Mutter, während sie in der Küche Spiegeleier für meine Feinschmecker-Schwestern vorbereitete. Sie hatte braune schulterlange Haare und blaue Augen, zudem war sie laut Aussagen meiner Freunde verdammt attraktiv für ihre 46 Jahre. Ich konnte nur bestätigen, dass sie jünger aussah, als sie war, nicht den Teil mit dem 'attraktiv'. Wo kämen wir denn da hin? Na ja, gehen wir gleich gar nicht auf dieses Thema ein.
      Der Silberrücken (Okay, Schimpansenkönig trifft's eher) des Hauses, der mich ansah, als hätte ich ein Kapitalverbrechen in seinem Dschungelkönigreich begangen, ließ mir auch so etwas ähnliches wie einen Morgengruß zukommen: "Wie wünscht du deinen Eltern eigentlich einen Guten Morgen, junger Mann?!" Er strebte wohl an, dass sein Gesichtsausdruck streng und einschüchternd wirken sollte, doch diese Grimasse konnte ich nicht Ernst nehmen. Nicht zuletzt, als er sich über das eben vollendete Brötchen auf dem Teller immer näher zu mir her beugte (Beugen im Sinne von halb um den Tisch wickeln), in der Hoffnung, mich mit seinen Augen durchbohren zu können. "Früher wurden Kinder geköpft, wenn sie so mit ihren Eltern umgesprungen sind!"
      Ich versuchte ihn zu ignorieren und mir ein Sandwich zu belegen. Als aber seine Stirn gefährlich nahe an meine Tischseite wanderte und er mit dem Kopf nickte, als wäre er ein Velociraptor aus Jurassic Park, musste ich Gegenmaßnahmen ergreifen. Ich stemmte Also in gewohnter Manier (dieses Verhalten war bei diesem Vatermodell, das meine Mama sehr billig erstanden haben musste, recht häufig) gegen seine Stirn und drückte ihn gewaltsam zurück auf seine vier Buchstaben. Zumindest versuchte ich dies. "Kannst du bitte aus meiner Tischhälfte verschwinden, alter Mann?!", erkundigte ich mich, minimal gereizt.
      "Du beachtest mich gar nicht, mein Junge! Ich werde so lange nicht aus dem Luftraum über deinem Teller verschwinden, bis du mir zuhörst!", meinte er, seine Velociraptor-Mine in die eines Tyrannosaurus verwandeln. Eines lächerlichen Tyrannosaurus, wohl gemerkt.
      "Da kannst du lange warten! Außerdem möcht ich nicht wissen, wie du mit Opa geredet hast, als du so alt warst wie ich!"
      "Ich, mein Sohn, habe mit 17 Jahren noch ganz genau gewusst, was sich gehört!"
      Meine Mutter, die mit der Pfanne fertiger Spiegeleier an den Tisch kam, musste bei dieser Aussage kichern.
      "Glaub ihm kein Wort, Raimund!", riet sie mir, die Speise meiner Schwestern abstellend und neben ihrem Mann Platz nehmend. "Als ich deinen Vater vor 26 Jahren kennengelernt habe, war's nicht anders als bei euch zwei!"
      Diese Tatsache bescherte mir das Glück, dass die Aufmerksamkeit des T-Rex-Gesichts von seinem Sohn auf seine Gattin umschwenkte. Ich hatte meine Ruhe, während mein Vater schockiert nachhackte, wie ihm seine geliebte Frau so in den Rücken fallen konnte.

      Endlich, ohne weitere Störfaktoren , konnte ich den finalen Punkt, der mich vor dem Aufbrechen aus dem Hause Lehrmann trennte, in Angriff nehmen: Ein saftiges Sandwich.
      Während ich also gerade ein Kunstwerk aus Schinken, Käse und Gurkenscheibe mit einem zweiten Stück Brot krönen wollte und meine Eltern über längst vergangene Zeiten diskutierten, erschien der gute Flea ebenfalls am hölzernen Rechteck der Sättigung. Er sah nicht mehr ganz so fertig aus wie zuvor, aber an seinem Blick haftete immer noch die Tatsache, dass er gestern wieder bis Zwei Uhr Morgens am PC rumgesessen hatte. Zudem hatte seine Gangart sich nur minimal verbessert. Von der Götterspeise auf Stelzen zum Gummibärchen-Lkw im Berufsverkehr.
      "Morgen Dad, Mom...", stammelte er mit herzlich wenig Begeisterung, um anschließend neben mir Platz zu nehmen.
      Dies aktivierte tief in den Abgründen des Körpers unseres leibeigenen Affenvaters natürlich eine meiner Mutter gestoppte Zeitbombe: Der Alte setzte wieder den Velociraptorenblick auf. Ich wusste noch bevor er den von Bartstumpen umgebenen Mund aufmachte, dass mich jetzt die eigentlich eher aus dem Fernsehen als 20:15 und 23:45 Uhr-Tour bekannte Leier erwartete: Unnötige Wiederholung. Und dieses Lehrmann-Spektakel hatte ich heute schon einmal zu oft erlebt. Also ging ich gedanklich nicht weiter darauf ein, wie sich jetzt die anderen zwei Männer des Hauses ihr Duell lieferten. Ich nahm lieber einen satten Bissen von dem geradezu nach meinem Magen schreienden Prachtexemplar auf meinem Teller.

      Dieses herzhafte Gourmet-Set von einem Frühstück erinnerte mich wieder an das Mädchen in meinem Traum. Die traumhafte Art, wie sie das geträumte Eis gegessen hatte, hatte sie mindestens so appetitlich und einladend gemacht...auf eine andere Weise. Mit Reinbeißen ohne Abbeißen, versteht sich. Jedenfalls musste ich mir da die Frage stellen, warum ich mich so genau an diese Traumdame erinnern konnte. Allgemein lag es in meiner Natur, Träume sofort wieder zu vergessen, wenn ich das Bad betrat. Heute war es seltsamerweise anders. Ihre schwarzen, schulterlangen Haare, das entzückende (dieses Wort zu verwenden ist peinlich, aber ich hab als Kind einfach zu viel Wickie geguckt...) Gesicht und die anderen Extras, die ein Mädchen-Menü richtig schmackhaft machen, hatte ich noch genau im Kopf. Diese Ausgeburt meines in der Nacht arbeitenden Gehirns, dass Werbung für das schönere Geschlecht laufen könnte, hatte sich offenbar in meinem Gedächtnis halten können. Und dieser Umstand stimmte mich doch sehr glücklich. Endlich wieder eine Märchengestalt, in die ich mich hineinsteigern konnte, wenn Mathelehrer beschließen, in der letzten Schulwoche groß Unterricht zu machen. Ich träumte vor mich hin, während ich das Sandwich Happen für Happen in meinen Magen beförderte.

      Jedoch fiel mir beim Thema "Frauen und ihre Betrachtung" gerade wieder etwas ein: Sepp, Amelie und ich wollten am vorletzten Schultag, also in zwei Tagen, in die Disco. Und wir hatten noch keine Fahrgelegenheit, um wieder von dort weg zu kommen. Ich musste diese geradezu perfekte Situation ausnutzen, um meine Mutter zu fragen, ob sie das in ihrer Gnade übernehmen würde. Immerhin war der Rest des Tisches mit Streiten beschäftigt, und solange meine Schwestern nicht nach unten zum Frühstücken kommen würden, war einer ungestörten Konversation nichts im Weg. Ich schluckte den letzten Happen Traum-Erinnerungswich, wie ich diese Art Sandwich getauft hatte, um ohne Drumherum-Gerede zur Pointe zu kommen.
      "Hey, sag Mal, Mama...kannst du Amelie, Alex, Sepp und mich am Donnerstag abholen?", fragte ich, an dem Velociraptor, der in den Kampf mit Flea verwickelt war, vorbeii. "Josefs Papa fährt uns hin, kann aber später nicht, Amelies Mama kann auch nicht."
      Sie verzog das Gesicht, sichtlich unbegeistert. Das war kein wirklich gutes Zeichen. "Frag doch deine Schwestern. Die sind Donnerstags bestimmt auch in der Disco. Mit denen könnt ihr mitfahren. Es wäre doch Blödsinn, wenn ich um Mitternacht mit dem Auto von Papa zur Disco kurve, wenn die zwei schon mit meinem Auto ebenfalls dort sind."
      "Mit denen sollen wir mitfahren?" Die Logik meiner Mutter in allen Ehren, ich wollte diesen Donnerstag Abend lebend nach Hause kommen. Meine Schwestern wären die allerletzte Option gewesen. Mit ihnen in einem Auto zu sitzen, das von einer von diesen Formel 26-Fahrerinen (das ist noch ein Kompliment) gelenkt wurde klang nach Ärger, Frust und Geschrei.
      "Morgen!", hörte ich hinter mir. Eine mir sehr bekannte Mädchenstimme. Dicht gefolgt von einer weiteren, die sich so sehr von der vorherigen unterschied wie eine Album-Aufnahme einer Band und deren Playback-Konzert. "Morgen!"
      Meine Schwestern waren angekommen. Und wenn ich mir den Blick meiner Mama richtig interpretieren konnte, blieb mir nichts anderes übrig, als die zwei jetzt, sobald sie am Tisch Platz nehmen würden. Und schon passierte es: Die zwei identischen 19-jährigen Grinsebacken, die man am besten mit "perfekte Verschmelzung der Gene von ihren beiden Elternteilen" beschreiben konnte, setzen sich ans Ende des Tisches bzw. neben meinen und ihren mittlerweile von Flea ruhig gestellten, essenden Jurassid Dad. Nur ihre Frisur ließ zu, dass ich unter Hanna mit den Locken und Sarah mit dem Glätteisen eine Art Identifikation durchführen konnte. Natürlich beide dünn und gut gebaut, so wie wir alle, offenbar.
      Flea und ich waren gleichsam wenig geregt von ihrer Ankunft, unser Papa drehte erwartungsgemäß halb durch beim Anblick seiner geliebten Töchter. An sich nichts ungewöhnliches. Noch war ich unbeschwert. Doch der Blick, den meine Mutter aufsetzte, als sie ihre Töchter begrüßte, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.
      "Sagt Mal, ihr zwei...könntet ihr Raimund, Josef und Amelie nach der Disco am Donnerstag mitnehmen?" Ich hatte es befürchtet.
      "Klar doch!", meinte Hanna. "Ich bin mit dem fahren dran, kann die drei ruhig mitnehmen."
      "Genau, geht klar, Raimund! Wir wollen ja auch schon um 12 wieder heim, das ist absolut kein Problem!", sagte Sarah, tatsächlich in der Erwartung, dass ich mich freuen würde.

      Wie sehnte ich mich jetzt nach dem Eis-Essendem Traummädchen...ohne die Stimme von Billy Joel, versteht sich.