Neoexpressive Lyrik

    • Neoexpressive Lyrik

      Hallo allerseits,
      ich hab mich mal wieder entschlossen, hier 2 kleine Gedichte zu praesentieren, die unterschiedlicher kaum sein könnten - formal jedenfalls. Da ich im Allgemeinen ja ein passionierter Metriker und Reimer bin, dachte ich mir, ich probier's - nach Benn-Lektüre - auch mal anders. Expressionistisch ist das andere Gedicht allerdings auch. Istn Sonett geworden, also ne herrliche Formalwichserei. Bisschen Feedback waere nett, ist ja nicht viel zu lesen. Viel Spass damit!

      Saumagen & Rippchen

      Als einer im Wüstensand
      hinter einer Düne lag, da
      wurde ihm ganz mulmig.
      In ihm schrie es: Absalom! Absalom!
      Und neben ihm: Runter mit der Birne!

      Nun: er nahm die Birne runter, nur
      dem Schreier hatte es das Maul zerissen.
      Moral: Fresse halten, Muselmann erschießen!

      Im Lazarett.
      Na, was liegt denn da? Da
      aufm Bett? Einer ohne Bein, auf
      Weißes trieft Rotes, ins Rote
      fließt Gelbes, ins Gelbe
      plumpsen braune Bröckchen.
      Hätte man ihm doch nur den Arsch abgeschossen!

      Und hier? Einer mit nem Loch
      im Bauch: da
      kannste Mittagessen gucken, hmm, was gab's denn?
      Saumagen und Rippchen. Was anderes
      frisst der seit Tagen nicht. Mit seinem MG
      hat er's ihnen aber vorher ordentlich besorgt!

      Wieder draußen.
      Einer kommt an, klatscht in die Hände.
      Gut gemacht, Jungs. Heute haben wir
      wieder 20 Meter gutgemacht!

      _________________________________________________________


      So, hier nun versprochene Formalwichserei. Soll expressionistisch sein, deshalb die Sonettform. Auch Themen/Stilmittel versuchte ich zu adaptieren und umzusetzen. Und ja, es ist ein extremer Stilbruch, ersterem Gedicht gegenüber, vor allem, wie gesagt, stilistisch. Aber Varietäten in der Lyrik halte ich gar nicht mal für schlecht, daher will ich mein Produktions - und hiermit auch euer Rezeptionsspektrum bei diesen Gedichten - ein wenig breiter fächern. Würd mich (dennoch?) über Statements freuen, wie das Gedicht (und das andere natürlich auch) auf euch wirkt! :)


      Kranich

      Im Moor steht meine Stele, kreischt, und Nacht
      Taucht diesen toten Ibis in ein schwarzes Kleid.
      Ein Glockenklang von fern – verhallt – und er fliegt weit
      Hinaus – zu sehen, wer sich aufgemacht.

      Ein Wurm steht schon beim Grottenolm bereit,
      Der hier, am Stock gelehnt, vorm Turme wacht.
      Sie schauen weg: der Vogel. Einer lacht
      Verhalten: augenblicklich Sicherheit.

      Insekten mästen schwarze Himmel, Licht
      Zerreißt die Wolken, Neumond bricht
      Hervor – und sieht: der Vogel fliegt...

      Zum Mädchen, das, ganz bleich, im Wasser liegt.
      Schon nimmt der Olm den Strick und raunt dem Wurm:
      „Sie hing, sagt man, am elfenbeinern Turm...“
      _______________________________________________________

      Vielen Dank für euer Interesse!

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    • Ich hab dir ja schon geschrieben, dass mans dem ersten anmerkt, dass du wohl n bisschen Benn (bzw Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke) gelesen hast. :D

      Jedenfalls. Ich muss zugeben, das zweite gefiel mir besser. (Ich find das Reimschema auch total schön, btw)
      Wobei ich leider zugeben muss, dass ichs inhaltlich doch ein klein wenig verwirrend finde. Muss ich mir wohl noch 1-2 mal zu Gemüte führen.
      Don't smell the flowers
      They're an evil drug to make you lose your mind

      __________________

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    • Das erste Gedicht gefällt mir gut, ich mag überhaupt kriegskritische Literatur, sei es Borchert oder aktuelleres Zeug. Sehr anschaulich finde ich die Zeilen mit den Farbübergängen, die du beschreibst, ich konnte mir sehr plastisch vorstellen, worum es geht, ohne dass du dabei in möglicherweise Anstoß erregende Beschreibungen abdriften musstest. Mit den ersten beiden Absätzen hatte ich ein paar Verständnisprobleme ("Absolm"? Nie gehört :/), aber danach gefiel es mir wirklich gut.

      Das zweite Gedicht ist ziemlich... anstrengend. Es beinhaltet recht viele Partizipien, die die Sätze unterbrechen und auf die man sich konzentrieren muss, um den Zusammenhang nicht zu verlieren. Wirklich verstanden habe ich es bei den ersten paar Mal Lesen wie Headshrinker auch nicht. Warum es gerade "Kranich" betitelt ist, ist mir aufgrund des Endes völlig unbegreiflich. Tut mir leid ._.
    • @KT: Absalom ist wohl eine Anspielung auf die gleichnamige biblische Figur. Absalom war der Sohn König Davids und starb im Krieg. Er blieb mit den Haaren am Baum hängen und wurde getötet. In dem Kontext jedoch bleibt es mir auch ein wenig unbegreiflich.

      @ Gedichte: Meine Vorredner haben eigentlich schon alles gesagt. Das erste gefällt mir besser, als das 2. Aber ich bin auch kein Fan von Expressionismus und abstrakter Literatur in der vieles offen bleibt.
      Die Gedichte sind also bestimmt gut, gehen aber leider total an meiner Art Literatur vorbei, was nicht ihre sondern meine Schuld ist. :)
    • Hallo allerseits und danke für die freundlichen Kritiken. Zu den Gedichten kann ich sagen, dass alles, was geschrieben wird, im Grunde blosse Übung ist. Klar, das zweite reimt sich wundervoll, ist herrlich polysemisch. "Herrlich", haha. Naja, hab mir jedenfalls was bei gedacht. Der Kranich erklaert sich recht einfach, schliesslich geht's anfangs um nen Ibis, der im Moor rumsteht. Ein kranichartiger Vogel. Und Ibis im Text, da das der aegyptische Totenvogel ist, der wundervoll in dies dunkelromantische Ambiente passt.
      Der Sinn des Gedichtes erschliesst sich mir (erst) teilweise, ich denke, es geht drum, schön expressionistisch sein zu wollen, dabei düster anzumuten. Der Inhalt ist recht easy: der Totenvogel fliegt zum toten Maedchen, das gefunden wurde. Der Olm und der Wurm sind beides degenerierte Tiere, letzterer ist noch etwas degenerierter. Sie wachen vorm Turm, wie man spaeter erfaehrt, vorm Elfenbeinturm. Der Elfenbeinturm ist ne alte Metapher für introvertierte, schwermütige und allzeit grübelnde Weise, also Philosophen etc. Er steht ausserdem für Realitaetsentfremdung.
      Daran "hing" das Maedchen, das Verb ist doppeldeutig zu verstehen: einerseits emotional an etwas haengen - also Verliebtheit in den eigenen Intellekt, andererseits schlichtweg dran baumeln und krepieren.
      Mit viel Getöse (ach so wundervoll kreative, angestaubte expressionistische Bilder) fliegt der Totenvogel hin und krallt sich die Scheiternde, Wurm und Olm stehn staunend dabei und "raunen" drüber. Intention des Autors: bild dir nichts auf dich ein, du krepierst an deiner Dummheit, die du zur Weisheit stilisieren willst.

      Das erste Gedicht ist so einfach zu interpretieren wie Bert Brecht: es schwingt den moralischen Stinkefinger, und das nicht zu knapp. Anti-Krieg-Literatur ist natürlich herrlich massenkompatibel. Als Bush noch an der Macht war, musstest du den nur kurz erwaehnen, schon hatteste die Sympathien auf deiner Seite. Aehnlich hier: der Autor gibt sich als Nutte, weil er schreibt, was man lesen will. Dreckig, derb, realistisch, wie's halt aussieht da unten. Der Absalom ist ein Hilfeschrei, er ist einerseits ausm AT, wie Camir richtig sagte, demzufolge jüdisch - was da unten nicht gemocht wird - und andererseits natürlich auch ne herrliche Anti-Metapher. Alles in allem also: gut rezensiert, danke dafür. Und, ganz ehrlich, ihr habt recht, so dolle isses nicht, aber so dolle ist der Expressionismus grösstenteils ja auch nicht. Wie gesagt, was anderes mal, Stilübungen, wollts halt mal gemacht haben.

      Nun zu was völlig anderem: mehr oder weniger auch ne Stilübung, aber eine, die mir richtig Spass machte. Der Titel sollt die Persiflage enttarnen, denk ich, istn Generationenmix. Spassgedicht total, für mich jedenfalls.

      Erl0rking

      Wer cruist hier so spät durch Nacht und Wind?
      Es is krasser Homie mit Alde und Kind.
      Der Kind hat so Tute von Plastik in Arm,
      Er hält viele Beute von Opfer dort warm.

      Doch halt – was is das - Kind hat Panik im Xicht:
      „Siehst, Vater, dort drüben die Glatzen du nicht?
      Die Nazis, die bashen dein Alde und dir,
      Im Ernst, Digger, lass uns ma abhaun von hier!“

      Der Vater bleibt aber voll chillig, sagt : „Boah,
      Du Opfersohn, kriegste die Flatter davor?
      Dein Mudder hat Glatze, jetz piss dich net ein,
      Guckstu: das is nur der Fußballverein!“

      hahaha

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