Auszug aus einem progressiven Großstadtroman

    • Auszug aus einem progressiven Großstadtroman

      Ein klitzekleiner Teil aus meinem momentanen Projekt, das eigentlich streng geheim gehalten wird. Dennoch: diese Art des Erzählens, die Charaktere - ziemlich unorthodox. Ich bin gespannt, ob die Geschichte gefällt, ob sie bei der breiten Masse Anklang findet, denn diesbezüglich mache ich mir etwas Sorgen. Bitte kommentiert fleißig und nehmt, wenn ihr nichts damit anfangen könnt, kein Blatt vor den Mund. Wenn der Teil jedoch gefällt, kann ich unter Umständen auch Nachschub liefern.
      - Roland -

      Zeit: Früh morgens, halb neun. Ort: Frummelplatz, Straßenbahnhaltestelle der Linie 9, Bahn kommt um 8:37 Uhr. Eiskristalle verblitzen die Schienen, Reif frisst fauligbraune Ahornblätter auf. Fest gemauert in der Erden steht das H-Schild, ein Mülleimer hängt in nem halben Meter Höhe dran; der Leerer/die Leererin war noch nicht da, das Ding ist brechend voll. Kippeninfizierte Pflastersteine, rötlich; Glaskasten mit grünen Eisengittersitzgelegenheiten. Abgerissener Fahrplan - den kennt eh jeder auswendig, hier gibt's keine Touris!
      Ausländer raus! - Nazis raus! - ~~!!gHeTto Frumelviertel!!~~ - Wo bitte ist hier im FrumM(!)elviertel ein Ghetto? - Ich weiß, wo du wohnst, Janine M. -: Botschaften am Glaskasten. Warum hat jeder Depp immer und überall einen fetten Edding dabei? Schneesturmluft beschwört den Nebelgeist und nach 20 Metern hört die Welt auf.
      Ein paar Gestalten stehen herum, eine alte Buckelhexe mit dem "Ich hasse alle nach '45 Geborenen!"-Blick in der Faltenvisage klammert sich an ihren Omarollkoffer, nebendran der vollbärtige Georg ("Hasse ma' N'euroachzich für Spritgeld, hähä." - "Klar Schorsch, geht aufs Haus!"). Wie immer im Bundeswehrparker, deplatziert er seinen stibitzten Borsalino auf der Glatze und hält eine Stahlkette in der Eisflosse. Dran hängt Mr. T, der Schäferdackel. Mr. T ist die Lachnummer des Frummelviertels, eine Symbiose von Rauhaardackel und Schäferhund. ("Da hat der Eros wohl obsiegt!", sagte MK mal, als ich ihm die Story erzählte.) Die Konsequenz: Mr. T ist ein Schäferhundkorpus auf Dackelbeinen mit nem gehörigen Minderwertigkeitskomplex. Wenn gelacht wird, krabbelt er (Laufen kann man's beim besten Wille nicht nennen) sofort unter jedes wie auch immer geartete Straßenmobiliar, kneift den Schwanz zwischen den Beinchen ein und deutet Georg mit hundigem Flehen, den Rüpel einzuschüchtern ("Äääh, lass den'und in Frieden!").

      Die Hexe starrt zwei junge Ausländer an - wenn Blicke töten könnten, gäb's nen Genozid - leidend klimatisiert ob der jungen Kerls Desinteresse: Murat isst sein Frühstücksbrot, das er von seiner Mutter für auf den Weg mitbekommen hatte, Sergej blättert derweil im Playboy und raucht seine Zigarette zu Ende, die er dann auf den Boden wirft. Mit großen Augen hält er Murat eine Doppelseite unter die Nase, dieser spuckt ekstatisch Stullenfetzen drauf.
      "Ei ried die ahrdickels!", blökt Georg mit spitzbübischem Charme hinüber - Murat schluckt entgeistert unter, Sergej schlägt die Seite um und versteckt sich hinter der Zeitschrift. Die Hexe will weiter morden und murmelt Zaubersprüche (Milch, Eier, Butter, Maggi...), der Glaskasten ist eiswässrig beschlagen. Drin sitzt ein dürrer Kerl mit leninschem Spitzbart, fröstelt und vergräbt die Hände in den Taschen seines Gehrocks. Er beugt sich vor, beugt sich zurück, fokussiert kurz die Leute und dann wieder Nebel. 8:36 Uhr, gleich muss die Bahn doch kommen, denkt Roland und fasst in den Philosophenwuschel auf seinem Kopf. Kurz dran gezogen, Frisur hält, ein Döner liegt auf dem Boden. Roland kickt ihn weg, schaut auf, versinkt im Nebel und harrt seiner Gedanken.
      Ich träume Nebel, dann habe ich das Ende der Welt vor meinen Augen.
      Gelächter reißt ihn aus der Trance, Wimmern, Mr. T kollabiert. Murat hat ihn ein paar Schritte krebsen gesehen und prustet erneut Stullenpartikel aus Mund und Nase; er zupft Sergej am Ärmel, dieser lugt hinterm Playboy hervor, starrt Mr. T an und lacht sich zusammen mit Murat schlapp. "Äääh, lass den'und in Frieden!", droht die Faust Vendetta an, die Spötter verkrampfen. Nun rollt die Hexe herbei und will demonstrativ Mr. T streicheln. Visueller Angriffskrieg gegen Murat und Sergej, vereitelt durch Jauchzen und Johlen.
      Menschenmisanthropie. Roland schließt traurig die Ohren und schaut wieder in den Nebel, die Uhr schlägt mittlerweile 38. Untertassenaugen stieren grell durch die Sphären, rattern, kreischen, quietschen, ruckeln, schnaufen. Die Midgardschlange ist am Ziel und verschlingt Murat, Sergej, Roland, Georg, die Hexe und etwas widerwillig auch Mr. T und den Rollkoffer. Sie rauscht ins Schattenreich davon.

      Auf Stahlstrings durch die Schluchten der Stadt, ein göttliches Konzept: determinierte Raserei - fünf Minuten japst die Weltenuhr, dann hält die Bahn, würgt die einen heraus, frisst die nächsten auf. Die Schlange rast weiter, vorm Fenster ein Ding: Zukunft, für Millisekunden Gegenwart, dann schon Geschichte. Der Kosmos: vom Frummelplatz zum Dom zum Marktplatz zum Krankenhaus zur Universität zur Endstation und dann zurück. Ein Mensch steht da vorne neben dem Gulli und glotzt suchend umher, man sieht ihn nicht wieder. Der Kreis schließt sich, es gibt bald nicht mehr viel, was mich noch in diesem Chaos hält, denkt Roland im blauen Schalensitz, die Hexe gegenüber. Ich hasse alte Menschen, sie... Alte Menschen sind einfach... alt. An jedem rast die Bahn vorbei und nur wenn man sich davor wirft, hält sie ungeplant an - vielleicht die einzige Chance, sich zu emanzipieren, wer weiß.
      Ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat, geht nicht so schnell. Ein guter Mensch., sagt der Hauptmann im brillanten Woyzeck. Doch was machen die anderen? Sie lassen sich fressen von der eisernen Midgardschlange und vom Donnervogel und rasen über den Erdball - die Hexe verflucht Roland und inszeniert sich in der Straßenbahn als Grabinschrift, auf dass jeder sie entziffert. Panisch zittert der schwarze Gehrock in seiner Ecke, presst die Backe an die Doppelverglasung, friert, schaut nach draußen, da rast die Welt, wendet den Kopf, da plauschen Murat und Sergej, erbleicht und riecht den fauligen Atem der Hexe in seine Glieder kriechen.

      "Nächster Halt: Domplatz. Bitte rechts aussteigen.", verpflichtet das Band die Insassen; zunehmende Hektik im Abteil. Knochenkracksen, Herzschrittmacherpfeifen: Hexenhaltestelle, sie quietscht das Köfferchen hinaus und dem Gehrock fällt ein Stein vom Herzen - Murat lacht über Sergejs Sexismus, Roland grinst und schaut zwischen den Fenstervermächtnissen der Eiskristallnacht das schwarze Gotteshaus mit der Wasserspeierarmada an - sie besetzt schon seit Jahrhunderten die gotischen Himmelsstürmer, die mit Glockenkrach die Zeit bemessen. Die Tür jault, die Hexe pilgert gen Dom, eine weiße Frau steigt zu, die Tür schließt sich und die Bahn rast weiter. Noch eine Haltestelle, am Marktplatz muss ich aussteigen, überlegt Roland und räkelt sich wieder in den Sitz, Murat und Sergej richten derweil ihre Rucksäcke - die Schule beginnt später, der Deutsch-LK fällt aus.
      "Ey, es is' schon geil, dass der alte Sack (gemeint ist wohl der Lehrer) heut schon wieder blau macht." - "Jo, der Sittich vom Nachbarn hat wahrscheinlich Geburtstag, klar, dass der feine Herr dann verhindert ist. Der fehlt auch wegen jedem redundanten Scheiß, Alder."
      "Ebendrum, der will ja eh nix andres als Faust unterrichten, der Hurenspast. Unser Abi is' eher ne sekundäre Ambition, seine "Lebenszeit ist schließlich begrenzt". Der Typ hat echt die Ambivalenz adaptiert, ey.", kaspern die Jungs, schlendern durch den Gang und hängen sich an die grau gelackten Stangen. Sergej zückt prompt die nächste Kippe, Murat will auch eine.
      "Feuer an den Mann." - "Alder, doch nich' in der Straba, Sergej." - "Murat, mach keine Faxen, du Penner. Gib rüber das Teil." - "Deine Mutter macht Faxen.", Murat gibt das Feuerzeug rüber.
      Klick. Eine Flamme generiert sich aus Murats geballter Faust, Rolands Augen leuchten und absorbieren das Flackern. Ekstase, Gotteserfahrung, dann wieder Gedanken: 'Warum stehen alle auf, wenn noch drei Minuten zu fahren sind? Müsste mal Buch führen und die Statistik nem Soziologen vorlegen.', Roland schaut die weiße Frau an, die auf Sergejs freien Platz huscht und sinnlich schlenkernd ihre Tasche auf den von Murat verfrachtet. Lila Leder, nuttig fast, doch zu leger - um Klischees zu bedienen - aber schau: nymphisch wallen blonde Strähnen über Feenhaut zur Bluse hin, viel versprechen, neckisch grinsen wundersame, schwarze Augen. Eine Aura, die man kauen kann, findet Roland und schüchtert zu ihr hinüber.

      Dieser Beitrag wurde bereits 5 mal editiert, zuletzt von Acrobat reader ()

    • Nun, es mag an der fortgeschrittenen Stunde und meiner diesbezüglich recht beschränkten Aufnahmefähigkeit liegen — aber ich versteh's nicht :ugly: Und irgendwie, nimm's mir nicht übel, hab ich auch keine Lust dazu. Dein Wortschatz ist zwar beachtlich, stilistisch ist das Ganze teilweise sehr gelungen, andererseits habe ich als Leserin schlicht und ergreifend keine Ahnung, worauf du da eigentlich hinaus willst. Es liest sich wie entfesseltes, assoziatives Schreiben mit einem Hauch von Dadaismus. Trotzdem bleibt die drängende Frage: Was willst du mir vermitteln? Was ist deine Botschaft?

      Natürlich könnte man hier erwidern, als Leser müsse man sich selbst Gedanken zum Präsentierten machen, aber dafür wird man zu sehr im Regen stehen gelassen. Jeglicher Anhaltspunkt fehlt, das ist Chaos hoch 13 und kaum zu konsumieren. Um deine Frage also klar zu beantworten: Nein, es ist nicht massentauglich ;) Zu viele Nebensätze, zu viele Fremdwörter, zu viel Umgangssprache und zu viele Neologismen. Einfach zu viel, ein literarischer Overkill.

      Ich hab früher auch solche Texte fabriziert, nicht so extreme wie dieser hier, aber sehr ähnliche. Diese Art zu Schreiben ist sehr interessant und befreiend — für den Autoren. Für den Konsumenten aber ist's ne Qual. Zumindest sehe ich das so als eine Autorin, die sich selbst für Ergüsse dieser Art hasst. Ich bin wahrscheinlich persönlich zu sehr vorbelastet, also entschuldige bitte die recht harsche Kritik und warte lieber noch andere Meinungen ab ^^"

      Liebe Grüsse und einen schönen Abend noch,
      Lilachen

      EDIT: Ah, du hast's formatiert und erweitert. Tschuldige, aber bin zu müde, um weiterzulesen.

      Dieser Beitrag wurde bereits 4 mal editiert, zuletzt von Lilachen ()

    • Für Massen absolut untauglich. Der Schreibstil ist zu revolutionär - Massen lieben es gewohnt gemütlich.
      Leider liegt's an dem Geschmack der Masse, der über das Überleben und die Brötchen eines Autors entscheidet und nicht an der Qualität.

      Zu dem Text:
      Man wird komplett ins kalte Wasser geworfen, aber was man da mitkriegt, ist unglaublich.
      Komplett ungefiltert, riesiges Chaos, man kriegt Angst, viele Satzzeichen, haufenweise normalerweise unwichtige Angaben und nach fast jedem Satz fragt man sich: Sekunde, worum ging's denn eigentlich nochmal? Dieses ungewohnte Bild verschreckt fast jeden Leser.
      Bei all den erdrückenden Eindrücken, die dem Kopf in dieser Fassung völlig neu sind und für die man sich erst reinlesen muss, wird man quasi zu Beginn malträtiert.
      Richtig authentisch. Ja, ich muss nun sogar sagen: Du bist teilweise sogar zu sanft, was aber verständlich ist (man will ja nicht jeden killen xD).
      Es wird einem nicht klipp und klar gesagt, worum es geht, kein lieber Autor führt einen am Händchen in die Geschichte. Man sieht einfach urplötzlich ein Chaos aus ungefilterten Eindrücken, die ein normaler Mensch kaum nachvollziehen kann. Ein normaler Mensch.
      Aber vielleicht ist das gar nicht ein normaler Mensch, der damit dargestellt werden soll. Wer bekommt nur ein solch großes Chaos mit, aus dem sich jeder normale Mensch die Flucht wünschen würde?
      Direkt fiel mir ein: Ein Savant! Ein Autist! Der Blick eines Menschen, der ein Problem mit Filterung hat (falls es so wirken soll). Eine Chance ansatzweise zu verstehen, wie es ist, wenn man von der Umwelt und den Unmengen Eindrücken erdrückt wird.
      Gewöhnt man sich an den Stil, kommt man Schritt für Schritt mit der Umgebung klar, fängt aber trotzdem an, das Leid oder Glück eines solchen Menschens zu verstehen.
      Humorvoll wird das Ganze mit den Hexen und dem Lehrer in Szene gesetzt. Da musste ich lachen.
      Und trotz des anfänglichen Chaos erkennt man den roten Faden. Selbst ein wenig Ironie ist dabei, was die Eindrucksflut genüsslich rüberbringt und nicht völlig autistisch erstarren lässt.

      Ein gewisses literarisches Niveau wird dem Leser jedoch abverlangt. Woyzeck als Beispiel. Und definitiv wird verlangt, ein offeneres Bild für Eindrücke und ihr Verständnis zu besitzen. Das kann nicht jeder nachvollziehen, das muss dem Autor leider klar werden - so schmerzhaft es ist. Aber muss er denn für die Masse schreiben?

      Der Schreibstil erinnerte mich daran, dass es auch anders geht. Kennt wer Christa Wolfs Medea? Oder Ulysses von James Joyce? Hier: Ein sprudelnder Gedankenstrom ohne Punkt und Komma, um Gedanken zu symbolisieren.
      Damit der Text die Situation lebt.

      Weil's ein Auszug ist, ist es klar, dass man keine gesamte Botschaft damit erfassen kann. Die Frage ist nur: Muss man das? Oder geht es hier einfach nur um eine Botschaft, die man nicht dermaßen an der Hand geführt rausbekommt, die aber durch neue Gedankengänge klar auf der Hand liegt.

      Ich fühlte mich jedenfalls wie in einem Karussell aus Eindrücken und es war toll, literarisch dermaßen bewandert, einen Text zu lesen, der sich nicht auf dem alten Textstil stützt.

      Fazit: Acro, du bist eine ganz fürchterliche Mama, erzwingst mit Gewalt beim Leser neue Gedankenstrukturen, lässt ihn direkt ins kalte Wasser plumpsen und gibst nirgends die Hand, sodass die Hälfte der Leserschaft wohl vor der neuen Erfahrung flieht.
      Endlich mal etwas Anderes als der hundertfach kopierte Frühstücksroman zwischendurch. Du Satanist.







      Edit:
      Der kaum bemerkbare Roland wirkt für mich dabei ganz besonders interessant. Ist er derjenige, dessen innere Chaoswelt parallel zur 3.-Person-Ansicht dargestellt wird oder geht's noch tiefer? Der Exodus bei der Fahrt und das sofortige Auffangen von Eindrücken (Flamme) verweisen sehr darauf. Kommentier's mal. :)
      Wobei: Ein Autist und Interesse an einer Lady?
      Edit:
      Vielleicht ist der Autismus nur noch nicht dermaßen ausgeprägt. Wer weiß. Immerhin habe ich noch kein Klammern an einem Mitmenschen aus Angst vor Eindrücken erhascht (Extremfall). Dann wäre sogar der Ausgleich passend. Dann wär's gerade richtig - nicht zu sanfte und nicht zu extrem harte Eindruckswellen. Als Mensch noch zu meistern und daher noch etwas Menschlichkeit enthaltend.


      @Lilachen
      Ich denke, das Stilmittel des Chaos war bewusst gewählt. Etwas mehr Text zum Verständnis lohnt sich aber meist. Stimmt.

      Dieser Beitrag wurde bereits 7 mal editiert, zuletzt von Salev ()

    • Original von Salev
      @Lilachen
      Ich denke, das Stilmittel des Chaos war bewusst gewählt. Etwas mehr Text zum Verständnis lohnt sich aber meist. Stimmt.

      Ich verstehe schon, dass der Stil so gewollt ist. Und im Nachhinein fällt mir auf, dass ich vergessen habe zu betonen, dass der Text an sich schon das vermittelt, was der Autor wahrscheinlich bezwecken will. Umschreiben lässt sich ein solches Werk ohnehin nicht, ansonsten würde es seiner Originalität beraubt werden. Das ist aber gerade mein Problem damit: Es ist viel zu persönlich und spricht mögliche Leser zu wenig an. Es ist – ja, wirklich – zu originell. Die Geschichte deutet in alle nur erdenklichen Richtungen, will überall hin und bleibt deswegen auf der Stelle stehen. Den Figuren fehlt es an Leben, sie zeigen kein wirkliches Gefühl, man ist als Leser nicht dabei, sondern blickt nur auf alles hinunter, vollkommen teilnahmslos und desinteressiert. Ich für meinen Teil zumindest.

      Acrobat reader hat nach der Massentauglichkeit dieses Werkes gefragt, und ich glaube, es besitzt keine. So etwas will leider keiner lesen; stilistisch spektakulär, inhaltlich aber eher mau. Der gewöhnliche Leser würde nicht mal dazu kommen, sich mit dem Inhalt auseinanderzusetzen, einfach weil er zuvor wegpennen würde. Aber du hast natürlich Recht, Salev, dies alles liegt in der Natur der Sache, dieser Text ist nun mal so, und man kann ihn nur kritisieren, indem man die grundsätzliche Idee dahinter ankreidet.

      Tut mir leid, schon wieder so harsch zu klingen, aber ich hasse solche Texte einfach – aus teilweise objektiven, teilweise aber auch sehr subjektiven Gründen. Also nix für ungut.

      Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von Lilachen ()

    • Original von Lilachen
      Den Figuren fehlt es an Leben, sie zeigen kein wirkliches Gefühl, man ist als Leser nicht dabei, sondern blickt nur auf alles hinunter, vollkommen teilnahmslos und desinteressiert. Ich für meinen Teil zumindest.

      So etwas will leider keiner lesen; stilistisch spektakulär, inhaltlich aber eher mau. Der gewöhnliche Leser würde nicht mal dazu kommen, sich mit dem Inhalt auseinanderzusetzen, einfach weil er zuvor wegpennen würde.


      Hier muss ich mich mal einhaken, wollte das eigentlich von selbst laufen lassen. Aber hier unterstellst du mir Dinge, die so nicht stehen gelassen werden können. Der Text ist aus dem Kontext gerissen, die Personen werden meiner Ansicht nach realer dargestellt als in den meisten Büchern überhaupt. Sie leben und agieren, haben Charakter und Tiefe. Keiner ist ein Durchschnittstyp, jeder hat etwas Besonderes.
      Grade Roland im ersten Teil: über ihn wird unfassbar viel verraten, man hat Einblicke in seine Gedankengänge.
      Ich möchte nicht alles zusammentragen, aber wer aufmerksam liest, erfährt wirklich ne ganze Menge. Murat und Sergej sind real, Georg ist real, die Hexe ist real - nicht, dass ich Personen, die ich kenne eingebaut habe, aber diese Leute gibt es. Mir wurde oft bestätigt, dass man "ihnen glaubt".

      Inhaltlich mau? Es passiert ne Menge. Personen werden eingeführt, eine Haltestellenszene spielt sich ab. Das Verhältnis Alt-Jung wird thematisiert, die Eindrücke während der Straßenbahnfahrt sind detailliert geschildert. Zudem wird Larissa eingeführt, die auch eine tragende Rolle spielen würd.

      Und ja, dies ist keine Trivialliteratur. Das will ich auch nicht, es ist eher Hochliteratur - die Kriterien Polysemie, Literarizität und Fiktionalität sind ohne Frage gegeben.
      Das ist bei Fantasyliteratur und Krimis nicht der Fall. Charlotte Roches "Feuchtgebiete" ist ein hervorragender Roman, er weist auch genannte Kriterien auf. Sie werden allerdings kaum beachtet, die Gesellschaftskritik durch Unhygiene verschreckt mehr, als dass sie aufrüttelt.

      Ein guter Freund von mir und ein ziemlicher literarischer Pro und Kenner, kennt Markus Heitz, den Zwergen-Auto, persönlich. Er sagte mal zu ihm:
      "Wenn man sich nur mit Zwergen umgibt, ist es leicht, ein Riese zu sein."

      Ich hab mittlerweile auch den Eindruck, dass fast nur Leute mit IQ 125+ etwas hiermit anfangen können. Und grad das macht die Story auch gut. Arno Schmidt zum Beispiel ist wahrlich keine leichte Kost, aber meiner Einschätzung nach einer der besten, wenn nicht der beste, Autor des 20. Jahrhundert.

      Dieser Beitrag wurde bereits 4 mal editiert, zuletzt von Acrobat reader ()

    • Original von Acrobat reader
      Original von Phael
      Der Post klingt jetzt irgendwie doch sehr elitär. Oo


      Er stellt meine Motivation klar und führt andere Meinungen an. Außerdem korrigiert er Fehler.

      Kann schon sein, trotzdem ist es elitär, nur "Hochliteratur" für Leute mit einem IQ von über 125 schreiben zu wollen, oder nicht?
      (Ich hab den Text jetzt nicht gelesen, und hab's ehrlich gesagt auch nicht vor, darum auch keine Meinung dazu von mir.)


      Top 4™ Bruno
      Think original.

    • Original von Phael
      Kann schon sein, trotzdem ist es elitär, nur "Hochliteratur" für Leute mit einem IQ von über 125 schreiben zu wollen, oder nicht?
      (Ich hab den Text jetzt nicht gelesen, und hab's ehrlich gesagt auch nicht vor, darum auch keine Meinung dazu von mir.)


      Jap, dann wäre aber jede andere anspruchsvolle Kunstform auch elitär. Elitär stimmt auch, aber das Wort ist zu negativ behaftet. Ich verwende es selbst oft, um zu kritisieren, aber wertfrei betrachtet kann man es so sehen. Ohne den Text gelesen zu haben, kannst du dir natürlich kein Urteil bilden ;)

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Acrobat reader ()

    • Nun ja, Punkt für dich: Kann natürlich auch sein, dass ich einfach zu dumm dafür bin. Das meine ich nicht ironisch, es ist tatsächlich eine Möglichkeit. Ich finde den Zugang zum Text einfach nicht, für mich ist er ein Buch mit sieben Siegeln. Versteh mich nicht falsch, ich möchte mich nicht aus Angst vor eigenen Gedanken am Autoren festklammern, ich bin durchaus bereit dazu, einen Text für mich zu entdecken. Aber dieser hier macht es mir unmöglich. Und doch, das Publikum möchte an der Hand genommen werden, nicht an einer bestimmenden, aber an einer sanften, die einem die Dinge zeigt. Das geschieht hier leider nicht. Ich fühle mich allein gelassen, überschwemmt von all den Sätzen, aber nicht von ihnen berührt.

      Original von Acrobat reader
      Und ja, dies ist keine Trivialliteratur.

      Ich verlange keine Trivialliteratur, ich verlange nur ein wenig Rücksicht auf den Leser. Massentauglich heisst nicht, dass alles gleich klischeebeladen, vorhersehbar und/oder künstlerisch wertlos ist. Autoren wie Palahniuk, Horváth, Dürrenmatt und Brecht haben einen sehr eingänglichen, teilweise fast schon lächerlich simplen Stil. Aber sie sind dazu in der Lage, vieles mit wenigen Worten zu sagen. Dies hier sagt mir wenig — mit sehr vielen Worten.

      Sagen wir es so: Mein Anspruch an die Literatur ist ein anderer. Oder mein IQ zu gering ;)

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Lilachen ()

    • Original von Acrobat reader
      Original von Phael
      Kann schon sein, trotzdem ist es elitär, nur "Hochliteratur" für Leute mit einem IQ von über 125 schreiben zu wollen, oder nicht?
      (Ich hab den Text jetzt nicht gelesen, und hab's ehrlich gesagt auch nicht vor, darum auch keine Meinung dazu von mir.)


      Jap, dann wäre aber jede andere anspruchsvolle Kunstform auch elitär. Elitär stimmt auch, aber das Wort ist zu negativ behaftet. Ich verwende es selbst oft, um zu kritisieren, aber wertfrei betrachtet kann man es so sehen. Ohne den Text gelesen zu haben, kannst du dir natürlich kein Urteil bilden ;)

      Ich will mir kein Urteil über deinen Text, sondern über deine Ansichten bilden. Und das Wort ist negativ, es ist negativ gemeint, und wenn du es selber in diesem Sinne verwendest, wäre das ein wunderschönes Beispiel von widerlicher Doppelmoral.

      Was ist denn überhaupt anspruchsvoll? Wenn du jetzt für dich behauptest, anspruchsvolle Kunst zu machen, dies aber allen sog. "Trivialautoren" absprichst, ist das äußerst elitär, und zwar nicht im positiven Sinne (falls es so einen geben sollte), sondern im ablehnenswerten, negativen Sinn.
      Elitarismus stellt Personen über andere, ist also im Grunde das Gleiche wie Sexismus, Rassismus oder Nationalismus, nur auf einen gesellschaftlichen Aspekt bezogen. Mit deiner elitären Art stellst du dich auf eine Stufe mit Wirtschaftsbossen, Pseudo-Adeligen und dem Rest der angeblichen "High Society". Während die es aufgrund finanzieller Aspekte oder ihrer Abstammung machen, machst du es aufgrund von künstlerischen oder intellektueller Ansichten. Es bleibt aber in allen Fällen gleich verachtenswert. Ihr alle haltet euch für besser als der "Pöbel".

      Ich kann nicht sehen, was daran erstrebenswert sein soll. Oo


      Top 4™ Bruno
      Think original.

      Dieser Beitrag wurde bereits 3 mal editiert, zuletzt von Phael ()

    • @ Phael: Ich bin mit dir im Einverständnis, auch wenn ich es nicht ganz so aggressiv formulieren würde :D In gewisser Weise bin ich ein heimlicher Fan der Trivialliteratur. Meiner Auffassung nach ist Kunst für zweierlei Dinge da: Um uns zu erhöhen UND um uns zu unterhalten. Zweiteres meistert die Trivialliteratur vorzüglich. Übrigens hat starr elitäres Denken die Kunst selten reichhaltiger gemacht. Sie ist schliesslich für den Menschen da, für alle Menschen.
    • Phael, schreib mir bitte PNs, aber lass diese Hetze aus meinem Thread raus. Es geht um den Text, nicht um irgendwelche Moraldebatten. Es gibt zuviel vom eintönigen Kram, die Läden sind voll davon. Aber dadurch stagniert die Entwicklung der Literatur als Form künstlerischen Ausdrucks. Es muss Leute geben, die neue Wege gehen.

      @Lilachen:
      Original von Lilachen
      Meiner Auffassung nach ist Kunst für zweierlei Dinge da: Um uns zu erhöhen UND um uns zu unterhalten.


      Das hast du von Horaz, oder? ;)

      Du hast recht. Der Leser muss mehr geführt werden, das stimmt. Ich weiß, ich bin in einer dummen Lage, wenn ich das jetzt sage, aber das hier sind 2 Seiten von 25 - das heißt, vieles bleibt fragwürdig, was ansonsten klar wäre. Wie Salev gecheckt hat: Roland hat ne Neigung zum Autismus. Er nimmt die Wirklichkeit anders wahr als der "normale Mensch".
      Und nein, ich denke absolut nicht, dass du zu dumm für den Text bist. Ich halte dich eher für überbemittelt. Deswegen sehe ich ein, dass ich einen Fehler bei der Textauswahl gemacht: ich wollte eine der Stellen wählen, die am krassesten sind. Damit hab ich übertrieben, sagte Salev ja auch. Im Gesamtkontext wird zärtlicher mit dem Leser umgegangen, versprochen.

      Mein Schluss aus der Sache: ich werde mich mäßigen. Aber nur etwas. ;)

      Dieser Beitrag wurde bereits 3 mal editiert, zuletzt von Acrobat reader ()

    • Alter, gib's auf.

      Original von Phael
      Ihr alle haltet euch für besser als der "Pöbel".


      Wenn der Pöbel so argumentiert und rumblökt wie du, ist es nicht schwer, etwas besseres zu sein.

      Edit: okay, hastn Punkt dahin gemacht. Ist auch wirklich besser so. Aber mein Thread ist im Arsch. Danke dafür.

      Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von Acrobat reader ()

    • Original von Acrobat reader
      Das hast du von Horaz, oder? ;)

      Nö, zur Hälfte aus dem Film Amadeus gemopst. Von wegen Göttern, die so erhaben sind, dass sie Marmor scheissen :D

      Ich halte es noch immer für möglich, dass ich entweder nicht die nötige Intelligenz, oder aber nicht die nötige Geduld für den Text aufgebracht habe. Andererseits muss ich sagen: Ich hätte es getan, hätte er mich gepackt, angesprochen; etwas für mich Wichtiges zu sagen gehabt. Um mir dein Werk gefallen zu machen, müsstest du es komplett umschreiben und das hätte es nicht verdient. Wie bereits mehrmals gesagt: Ich habe ein grundsätzliches Problem mit Texten dieser Art, zugegeben sind einige Gründe dafür kongruent mit denen Phaels. Lese ich solche Werke, fühle ich mich nicht nur überfordert, sondern auch bevormundet, so, als hätte der Autor nur geschrieben, um mir selbst meine Mittelmässigkeit vor Augen zu führen, nicht aber, um mir etwas mitzuteilen. Keine Angst, ich unterstelle dir diese Denkweise nicht, aber sie schimmert – ungewollt oder nicht – einfach durch. Und das kann ich nicht ab.

      Wenn die Frage erlaubt ist: Wofür genau schreibst du das? Allein für dich, für eine Internetveröffentlichung wie die hier, oder mit dem Plan, es verlegen zu lassen?

      Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von Lilachen ()

    • Weiß Gott, der Text soll niemanden brüskieren oder angreifen! Einen Text aus dieser Motivation heraus zu schreiben, ist unter meinem Niveau. Es bringt nichts. Man degradiert sich dadurch selbst. Wenn der Eindruck beim Leser entsteht, kann ich nichts dafür. Dieser Gedanke kommt von selbst.

      Es soll verlegt werden. Einen Verlag hab ich an der Hand, einen Undergrounder, aber ich werde es erstmal bei größeren versuchen. Danke für die Mühe, die du dir gegeben hast! :)

      Dieser Beitrag wurde bereits 3 mal editiert, zuletzt von Acrobat reader ()

    • Original von Acrobat reader
      Wenn der Eindruck beim Leser entsteht, kann ich nichts dafür. Dieser Gedanke kommt von selbst.

      Ja, ich weiss. Es ist nur das, was mir beim Lesen durch den Kopf ging. Böse gemeint hab ich das natürlich nicht! Das ist mehr (um nicht zu sagen: nur) meine Schuld und mein Problem. Nichts zu Danken übrigens, mir hat es auch sehr geholfen, meine Gedanken diesbezüglich in Worte zu fassen. Ich wünsche dir trotz meiner pessimistischen Prognose alles Gute und viel Erfolg mit deinem Projekt! :)

      Dieser Beitrag wurde bereits 3 mal editiert, zuletzt von Lilachen ()

    • Ich hab's dir schon im ICQ gesagt.
      Ich find's super. Ernsthaft, super Stil, weckt absolute mein Interesse.
      Deine bildliche Sprache, zwei unerwartete Wendungen - ein einziges Wort schmeißt zwei komplette Absätze über den Haufen! - und der Wiedererkennungswert sind gigantisch.

      Poste unbedingt mehr. Habe daran großes Interesse, weil mich die Rolle der Charaktere interessiert und einfach weil ich noch mehr von diesem Stil haben will - wie ein Lied, von dem man will, dass er nie aufhört. Einfach nur gut.

      [SIZE=7]Und das hier schreib ich nicht (nur) um dann mit nem IQ von 125 dazustehen. xD[/SIZE]
      Top 4™ Agathe
      Oder: Who the fuck is Team Rocket?
    • Wuhuhu. Bestätigung. Eine Wende im Thread. Okay, weiter geht's. Jetzt wird's einfach und witzig (find ich mal).


      "Nächster Halt: Marktplatz. Bitte rechts aussteigen.", mault das Band. Schon steht Roland auf, frisst sie noch ein wenig. "Larissa",murmelt sie, ein "Ja." erbricht er fast, schlendert trunken durch den Gang, fällt in die Halteschlingen und tölpelt dort drei Minuten lang den Exodus herbei. Georg und Mr. T stehen schon länger vor der Tür.
      Etappenweise keucht die Midgardschlange, ignoriert aber den Verlust Georgs, des Schäferdackels, der Jungen und des Gehrocks. Die Bahn rast geduldig. Denn sie werden wiederkommen - der abgerissene Fahrplan weiß, wieso.

      Georg und Mr. T rollen sich ins Getümmel. Murat und Sergej hasten derweil über die Schienen, um die Ecke, an der Hulk-Hogan-Hauptschule vorbei - was sollen Primaner anderes tun als schnellstmöglich die Mittelstufe hinter sich lassen? Mittlerweile ist 8:52 Uhr durch, die dritte Stunde beginnt um 9:40 Uhr.
      "Lass das Rennen, Murat, ey, was willste so früh in Mathe. Rumgammeln un' dir von den Ischen nen Gummiohr labern lassen? Mach ma' low, Alder." - "Sergej, du hast das Rennen angefangen!" - "Deine Mutter hat das Rennen angefangen." - "Jo, vor dei'm Vadder, Alder."
      Die Jungs bleiben stehen, zünden sich eine Zigarette an und versinken im Nebel. Eine halbe Minute Schweigen, dann grübelt Sergej: "Boah, man sieht keine 20 Meter weit. Wirst voll nihilistisch." Murat schenkt ihm ein stummes Nicken, ihm geht's da sehr ähnlich.
      "À propos: hab neulich 'Nacht und Nebel' gesehn." - "Und? Gut?" - "Krasser Scheiß, muss ich dir unbedingt mal ausleihen." - "Bring morgen mit."
      Am Wiesengrundstück geht's vorbei wie jeden Morgen, heute rasten sie hier. Dort wohnt ein Alter in einem kleinen Haus mitten in der Stadt, man kennt seinen Namen nicht. Er gärtnert, er ist wohl der einzige in der Stadt, der solches tut, Apfelbäume, Zwetschgen, kahles Gras in Grönland, immerhin ist's deutlich unter Null Grad Celsius. Einzig die Vögel hüpfen herum und suchen Körner statt Meisenknödeln, die hängen an den Zweigen und baumeln ein wenig - die Blaumeise schaukelt täglich dreieinhalb Stunden.
      "Schau dir die Vögel an. Der Meisenknödel da. Sieht aus wie'n überdimensionaler Hasenschiss."
      Sergej schaut rüber, die Blaumeise schaut zurück. "Ich hab'n Plan. Komm mit."
      Sie klettern über den schmiedeeisernen Zaun und achten sorgsam auf ihre Genitalien - alle Vögel fliegen weg. Meisen fliegen besonders schön. Sie lassen sich fallen, flattern, steigern sich wieder, fallen, flattern, steigern sich wieder und landen punktgenau. Kein Mensch brächte das zustande.
      Die Jungs lassen Stöckchen unter ihren Gamaschen knacksen und rascheln im Laub, Sergej streckt sich, pflückt einen speckigen Meisenknödel vom Apfelbaum und hält ihn Murat unter die Nase.
      "Was soll ich damit?" - "Alder, wir legen die Teile dem Hoffmann ins Fach. Wenn der Wichser schon blau macht, soller auch was von haben." - "Du bist so'n Freak, Sergej. Aber schweinegeil."

      Die Vögel auf den Zwetschgenbäumen ringsum grienen und pfeifen erbost: Sabotiert den Mundraub! Grausiges Gepieps durch die Nebeläste, Putschversuch der unterjochten Rasse, vögelnde Endzeitstimmung, der Alte versagt unwissentlich. Plündern und Brandschatz, Kippenrauch verschleiert die Schande, lässt alle Vögel husten.
      "Bah, fettige Drecksteile." Ab in die Taschen damit, zuvor mit Plastikhüllen für die Englischklausur isoliert. Vogelaugen funkeln durch den Nebel, man sieht sie nicht und kein Knödel kann die Kleinen mehr ernähren. Bis der Alte das merkt, sind sicher alle tot.
      Gewissenlos drollen sich Murat und Sergej aus dem Garten, sogar die Blätter und Stöckchen wollen nichts mehr von ihnen wissen. Nur der Zaun rächt sich ("Aua, mein Sack!").

      Der Garten ist nun menschenleer, die Vögel planlos, die Blätter schnurren mit dem Wind. Stöckchen liegen singulär herum, geraubte Meisenknödel. Wenn der Alte das merkt, kauft er bestimmt neue. Mittlerweile ist's 9:31 Uhr, aber noch gute 5 Minuten bis zur Schule, Murat geht nun schneller. "Alder, mach ma' low. Was rennste schon wieder?", interveniert Sergej. "Wir kommen schon früh genug zum Ginges. Die Vektoren sind eh Kinderkacke, wir sind GK, Alder, Grundkurs." - "Sergej, du bist schon krass. Wenn du schon wieder zu spät kommst, kannste so viele 11en schreiben wiede willst, der Ginges drückt dich auf 09. Ich kenn den Typ." - "Deine Mutter kennt den Typ." - "Deine Mutter drückt dich auf 09." - "Du bist so'n Depp, ey. Wo is' da bitte das tertium comparationis?" - "Was?!" - "Das gemeinsame Dritte." - "Aso. Keine Ahnung." - "Warum sagste's dann?" - "Reflex, Alder."
      Die beiden huschen an dreizehn Hexen vorbei zur Schule und kommen pünktlich. Keine Zeit für Ischengelaber, die Meisenknödel fetten ab 10:30 Uhr (Große Pause) das Fach voll.

      Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von Acrobat reader ()