Meine Weihnachtsgeschichte

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    • Meine Weihnachtsgeschichte

      Eines Vorweg: Am 25. oder 26. schreibe ich noch ein erklärendes Kapitel. Die Tage entsprechen dem Beginn der Weihnachtsferien im Bayernland. Nun aber viel Spaß mit:



      Thomas das Sternenkind

      19.12.


      Es war einmal ein kleines Sternenkind namens Thomas Geri, das glücklich und zufrieden im Sternental lebte. In der größten Siedlung im nördlichen Gebirge der Sternenwelt lebten die unterschiedlichsten Völker und Stämme in Harmonie. Wie jeden Morgen verließ Thomas auch an diesem schicksalhaften Freitag, dem 19. Dezember, das Haus, um zur Anpassungsanstalt zu gehen. Obwohl der Junge kein Freund der aufgezwungenen Bildung war, freute er sich an diesem Tag auf die Schule, weil nur zwei Stunden Mathematik abzusitzen waren und es sich überdies auch noch um den letzten Schultag vor den Weihnachtsferien handelte. Schon am Nachmittag würde er mit seinen Freunden Sylvia, einem Menschenmädchen, und Fridolin, einem Frostfrosch, ein Puzzle zusammenbauen. Und bereits am Dienstag würde er schwebend gen Süden in den Nachtwald wandern, um die Feiertage bei seiner Herzensdame zu verbringen. Er würde wahrlich in herrlichen Zeiten leben. Und dazu brauchte er nicht einmal Sonne, wie der Kerl, von dem Wachtmeister Sabac el Cher immer sprach. Dieser verhaftete gerade, als Thomas die Schule betreten wollte, einen rotgekleideten, zipfelmützentragenden, bärtigen Lümmel, welcher in letzter Zeit über Kamine in Kinderzimmer einstieg und dort dubiose Geschenke hinterließ.

      Im sonst eher schrecklich langweiligen Unterricht erlebte Thomas eine Überraschung dergestalt, dass sich auf dem Platz von Fridolin kein Fridolin befand. Nach den entsetzlichen Stunden begab er sich mit Sylvia von der Anpassungsanstalt zu Fridolins Haus. Die gute Sylvia witzelte dabei noch über seine Abwesenheit: „Du weißt doch wie sehr er den Matheunterricht hasst, und den alten Karotti noch dazu.“ — „Das mag sein, aber ich verstehe nicht, warum er uns nichts gesagt hat“, meinte Thomas. Sie waren mittlerweile bei seinem Haus angelangt, dessen Tür aufgrund der anatomischen Beschaffenheit des Bewohners nicht abgeschlossen war. Die beiden riefen nach ihm und stellten, als der teure Puzzlekamerad nicht erschien, buchstäblich sein ganzes Refugium auf den Kopf, doch Fridolin blieb unauffindbar. Schließlich beschlossen sie, neben dem ungeöffneten Puzzle auf ihn zu warten, bis Sylvia nach einer Stunde die Initiative ergriff: „Ich weiß ja nicht, was du vorhast, aber ich gehe jetzt zu Gustav, denn das ganze kommt mir verdächtig vor.“ Thomas pflichtete ihr schließlich bei: „Du hast ja eigentlich recht, aber ich wollte irgendwie nicht wahrhaben, dass ihm etwas passiert ist.“ Obgleich der Ton zwischen den zwei vor ein paar Minuten ziemlich unfreundlich wurde, bewegten sich beide nun zielstrebig auf das Haus des Polizeibeamten zu.

      Als sie im mittäglichen Sonnenschein über die verschneiten Straßen hasteten, fiel ihnen schon von weitem die während des Flatterns eingefrorene schwarz-weiß-rote Flagge auf, die Sabac el Cher an einem Fahnenmast in seinem Garten gehisst hatte. Beide klopften an der Tür und traten ein. Drinnen war es wohlig warm, weil Gustav in seinem Wohnzimmer stand und Holzscheit um Holzscheit in das Feuer warf und in selbigem herumstocherte. „Na, wer verdirbt mir denn da meine Mittagspause?“, begrüßte er die beiden gut gelaunt. Thomas und Sylvia schilderten ihre Situation, und bald darauf befanden sich die drei Besorgten auf dem Weg zum Polizeipräsidium. Dort residierte das andere Mitglied der Polizei, Polizeipräsident Wuff, der zuerst die Ermittlungen genehmigen musste. Im Büro des Polizeipräsidenten, das sich im ersten Stock des grauen Zylinders befand, saß der wohl mächtigste Cocker Spaniel des gesamten Tals auf einem Drehsessel und begrüßte die Gruppe mit einem hechelnden Gebell. „Herr Präsident, ein Junge ist verschwunden, und ich brauche Ihre Genehmigung, um mit Ermittlungen zu beginnen.“ — „*Wuff**Bell*“ — „Sehr wohl, hier ist einer seiner roten Turnschuhe. Die Kinder haben erzählt, sie hätten ein Paar zu Hause bei ihm gefunden. Jedoch war sein anderes Paar verschwunden, was darauf schließen lässt, dass er sich irgendwo draußen aufhält.“ Wuff schnüffelte am Schuhwerk und stieß daraufhin ein lautes Geheul aus und wandte seinen Blick zu einem der Fenster, von welchem man die westlichen Berge sehen konnte. „Heißt das, er ist in den Bergen?“, fragte Sylvia vorsichtig. Doch Gustav starrte versunken in Gedanken aus dem Fenster und murmelte: „Es braust ein Ruf wie Donnerhall, zum Westgebirg, zum Westgebirg … Oh, natürlich sehen wir dort nach. Kommt schon!“

      Thomas und Sylvia schauten einander an. Sicher, Gustav fiel schon dadurch auf, dass er einer der zwei schwarzen Menschen war, die im Sternental lebten. Seine seltsamen Anwandlungen, dass er aus einem Land kam, das angeblich in einer anderen Dimension lag und von einem Kerl namens Wilhelm regiert wurde, der trotz der herrlichen Zeiten nicht genug Sonne bekam bestärkten diese Annahmen nur.

      Nichtsdestotrotz machte er seine Arbeit gut, wie die Ermittlungen zeigten. Jeder Spur ging er nach und erforschte akribisch jedes potentielle Beweismittel. Das Dreigespann stromerte mittlerweile schon drei Stunden in den Bergen herum, als sie plötzlich von einer Stelle Rauch aufsteigen sahen. Gustav befahl den beiden Jugendlichen, auf ihn zu warten. Als er mit einem schockierten Gesichtsausdruck zurückkehrte, bereiteten sich Thomas und Sylvia auf das schlimmste vor. Der Wachtmeister atmete tief durch und offenbarte ihnen die schreckliche Wahrheit: „Fridolin ist tot, die Beine ausgerissen. Sagt jetzt besser nichts mehr, wir gehen zurück, die Sonne geht schon unter.“ Schweigend traten sie den Rückweg an, doch hinter Gustavs Stirn rumorte es. Ihm gingen zwei Stücke die er neben dem Feuer und der Leiche gefunden hatte, nicht aus dem Kopf. Ein weißes Banner mit der schwarzen Aufschrift „Vive la France“ und eine blau-weiß-rote Fahne. Sechs Stunden später bemerkte Bürgermeister Fricklebee, dass sich jemand in seinem Büro befand, der dort nicht sein sollte.

      20.12.


      Thomas erwachte schon um fünf Uhr morgens, nachdem er in der Nacht wenig geschlafen hatte. Der Verlust des Freundes lastete schwer auf seinem Herzen, und vielleicht beschloss er auch gerade deshalb, Fridolins Haus noch einen letzten Besuch abzustatten, bevor sich Gustav und Wuff dort herumtreiben würden. Der Frostfrosch-Waise hatte seit über fünf Jahren alleine gewohnt, und Thomas und Sylvia kamen dem, was man normalerweise als Familie bezeichnet, am nächsten. Thomas schwebte hoch über den Dächern der Ortschaft zum Haus, dessen Vordertür, wie er erfreut feststellte, immer noch nicht abgeschlossen war. Im Wohnzimmer beschloss er, das Puzzle, welches er am Vortag kaum beachtet hatte, genauer in Augenschein zu nehmen. Auf dem Deckel war die grauenhafte Szenerie abgebildet, in der eine rote Gestalt in einer Menschenmenge Schrecken verbreitete. Das Sternenkind schaute gedankenverloren umher, und sein Blick fiel auf den Terminkalender. Er öffnete ihn und sah, abgesehen von den Puzzlenachmittagen, keine Einträge. Bis auf eine Ausnahme. Für den Morgen des 19.12. war in kurzen telegrammähnlichen Sätzen ein Termin eingetragen: „Treffen mit 2 Verrückten. Westg. 12.00. Wg. Blutroter Sandmann.“ Das Sternenkind wusste nicht, was diese Worte bedeuteten, und beschloss daher, Sylvia zu fragen, ob sie denn Genaueres darüber wüsste. Aber zuerst einmal würde er ordentlich Schlaf nachholen und flog daher wieder nach Hause.

      Seine Mutter weckte ihn um neun Uhr mit der Nachricht, dass Sylvia angerufen hätte und ihn bei ihr zu Hause erwarten würde. Seine Eltern hatten ihn mit der Trauer über den Verlust von Fridolin allein gelassen, weil sie einen Mordsspaß dabei hatten, andere leiden zu sehen. Sie hatten ihm ebenfalls verboten, seine Freundin in Nachtwald zu besuchen. Nachdem Thomas ein Ei und ein Schinken-Marmelade-Brot verspeist hatte, machte er sich auf den Weg. Seltsam war, dass, je näher er Sylvias Haus kam, er immer mehr Vertretern der Sternental-Armee begegnete. Bei Sylvia angekommen, wurde er von dieser mit einem Redeschwall begrüßt. „Weiß du eigentlich, dass letzte Nacht fast alle Frostfroschfamilien verschwanden? Und Fricklebee soll tot sein, genauso wie der Graf…“ Bevor Thomas etwas entgegnen oder Sylvia den Satz vollenden konnte, wurden die beiden unterbrochen. Plötzlich tönte von draußen ein unglaublicher Lärm in das Wohnzimmer. Als sie aus dem Fenster blickten, sahen sie Helena vom Sternental, umringt von zahlreichen Einwohnern, die von ihr offensichtlich Antworten bezüglich der verschwundenen Familien verlangten.

      Als Thomas und Sylvia nach draußen rannten, versuchte sie, die Menge zu beschwichtigen. „Es besteht kein Grund, in Panik zu geraten. Das Heer wurde lediglich als Schutzmaßnahme bestellt. Wenn Sie Genaueres über die Ermittlungen erfahren wollen, fragen sie die Polizei!“ Helena wurde vor 16 Jahren von den Eltern des Grafen adoptiert, um dessen Leibwächterin zu werden. Mittlerweile war sie Vizegräfin, Oberbefehlshaberin des Heers, das aus fünfzig Menschen bestand, und dank Gustav nicht mehr die einzige Schwarze im Dorf. Ungeachtet ihrer bisweilen rauen Art, war sie im ganzen Tal beliebt (Thomas’ Eltern ausgenommen, die alle Personen hassten). Als sich die Menge langsam auflöste, versuchten Thomas und Sylvia, das Wort an sie zu richten. Bevor sie dazu kamen, hallten die Geräusche eines haarigen, roten Busches von der anderen Straßenseite zu ihnen. Er schrie: „Genc von dan, turkewîp!“ Helena seufzte, ging hinüber zu ihrem Pferd und holte aus der Satteltasche eine Gartenschere. Dann schnitt sie grob einige Haarbüschel vom Busch, unter dem ein altes Gesicht zum Vorschein kam. „Besser?“, fragte sie. Über das Gesicht kullerten Tränen. „Ich wil wider in mînen berc.“ — „Wird schon wieder“, sagte Helena und kniff dem Alten in die Wange, was diesen aufheiterte.

      Just in diesem Moment erschien Gustav und holte Helena zu einer geheimen Unterredung ins Polizeipräsidium. Wieder einmal standen die beiden Jugendlichen ohne Antworten da, doch Sylvia hatte bereits einen Plan. Zehn Minuten später stand sie an der Außenseite des Polizeipräsidiums auf dem Busch, der als Friedrich bekannt war, und hielt Thomas vor ein Fenster im ersten Stock. Bei ihrem gestrigen Ausflug hatte sie das Fenster gesehen, das sich nur kippen und nicht schließen ließ und über das sich Gustav bei öffentlichen Anlässen schon seit über einem Jahr beschwerte. So konnte Thomas nicht nur sehen, sondern auch hören, was sich zwischen den drei wichtigen Persönlichkeiten abspielte, die an einem mit zwei Kaffeetassen, einem Napf und etwas Gebäck gedeckten Tisch saßen. Helena nahm einen tiefen Schluck und wandte sich an Wuff und Gustav: „Erzählt das bloß keinem! Das Volk darf auf keinen Fall erfahren, dass Fricklebee vielleicht tot ist, sonst –“ Der Rest des Satzes ging in einem Würgen unter, und Thomas stieß draußen einen Schrei aus, als die Vizegräfin von ihrem Stuhl auf den Boden fiel.

      Fricklebee erwachte. Bevor er die Augen aufschlug, durchtrennte er mit den Krallen seine Fesseln. Als er dann schließlich die Augen öffnete, sah er, dass er sich in einer Höhle befand. Ein paar Meter von ihm entfernt knisterte ein kleines Feuer, und der Boden war übersäht mit Frostfroschleichen. Andere hätte das vielleicht schockiert, doch Fricklebee war der härteste Kerl im ganzen Sternental, und dem 1,80 Meter großen Kater mit dem roten Fell und dem blauen Anzug, entfuhr nicht einmal ein Laut der Überraschung. Da erblickte er zwei Männer, die in einer Nische standen, Blut auf die Erde tröpfelten und eine seltsame Beschwörung murmelten. Der Kater ärgerte sich, weil er einen von ihnen als den Mann erkannte, der ihn von vorne niedergeschlagen hatte. Der andere musste ihn dann wohl hinter den Ohren gekrault haben, was seine einzige Schwachstelle darstellte. Beide Unholde erschraken jedoch, als aus dem Boden vor ihnen eine grellrote Gestalt emporwuchs. Das Wesen sah eigentlich aus wie ein Mensch, zumindest, wenn man diesen auf Arme, Beine, Rumpf und Kopf reduzierte. Als die Kreatur vollständig zu sein schien, zuckte sie einmal mit dem gesichtslosen Kopf und packte dann einen der Männer, was den anderen dazu veranlasste, mit einem lauten „Mon dieu!“ aus der Höhle zu hasten.

      Die rote Gestalt betrachtete den Mann einige Augenblicke lang mit den nicht vorhandenen Augen und schien dann durch Mund und Nase regelrecht in ihr Opfer einzutauchen. Das Wesen ließ sich dabei Zeit, und Fricklebee nutzte diese, um seine Krallen am kalten Stein der Höhlenwand zu schärfen. Als der rote Dämon sein Werk vollendet hatte, dreht der Mann sich um und stürmte mit dem Wahnsinn im Blick und gefletschten Zähnen auf den Bürgermeister zu. Dieser holte seinerseits zum Schlag aus und hieb dem Angreifer mit einem gezielten Schwinger seiner Pfote den Kopf von den Schultern. Zufrieden und den zweigeteilten Körper des Feindes vor sich liegend, beschloss Fricklebee, durch die Nacht in seine Gemeinde zurückzuhoppeln.

      21.12.


      „Da nimmt man nicht dieses Wasserstoffoxid-Ding her, um nicht an unzähligen Krankheiten draufzugehen, dafür bringt einen dieses Haarfärbezeug in Kombination mit einer harmlosen Substanz um.“ Es war kurz nach Mittag, und Helena vom Sternental saß aufrecht in ihrem Bett und hielt einen Bericht in ihren Händen. Sie trug ein hellblaues Nachthemd, während Graf Magnus Siegfried wie immer schwarze Sachen anhatte und auf der Bettkante saß. „Du weißt schon, dass eigentlich nur zwei Personen fähig waren, den Kaffee zu vergiften, und dass die Auswahl des Giftes darauf schließen lässt, dass man nur dich umbringen wollte“, wandte er sich an seine Schwester. „Und nach Fricklebees Bericht waren die beiden Kerle, die den Dämon heraufbeschwört haben, ziemlich übergeschnappt, genauso wie Gustav, wenn er seine Anwandlungen hat“, fuhr er fort. „Meinst du, er ist derjenige, der uns an die Nyva verkaufen will? Dass er die ganzen Unfertigen einfallen ließ, nur um sich mit seinem Kontaktmann zu treffen? Und ausgerechnet er, wo er doch erst seit 10 Jahren hier ist und noch nie einen Vampir gesehen hat?“, erkundigte sich Helena. Ihr Bruder war mittlerweile aufgestanden und schaute aus dem Fenster. Schließlich wandte er sich wieder an Helena: „Ich weiß es nicht. Aber wenn man Wuff verdächtigt, hört es sich genauso dämlich an. Und wenn es beide gemeinsam gewesen wären, hätten sie nicht die ganze Ablenkung gebraucht. Wir wissen nur, dass die Vampirmafia einen Stützpunkt braucht, um von Norden aus im Nachtwald einfallen zu können, und dass sich seit drei Monaten irgendjemand aus dem Dorf mit einem ihrer Anführer trifft.“ Helena legte den Bericht auf ihr Nachtkästchen und versuchte, den verzweifelten Grafen zu trösten: „Heute bleibe ich noch im Bett, und morgen werde ich diesen garstigen Lümmel schon finden. Wenn du willst, kannst du mir heute helfen, indem du heute Nacht mal im Dorf nachsiehst. Was ist denn da eigentlich so interessant?“ — „Die alten Geris haben mit einem Müllgreifer einen Hasen gepackt, ihn vor einen Fuchsbau gelegt, dort den Fuchs, nachdem er den Hasen gerissen hatte, erschossen und danach Rattengift über beiden Kadavern ausgestreut, um etwaige Aasfresser zu töten. Ach, und ich schau mal nach, was ich herausfinden kann.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Magnus und ging, nachdem er Helena die blonden Haare verwuschelt hatte, aus dem Zimmer.

      Thomas befand sich gerade auf dem Nachhauseweg von der Bürgerversammlung, die Fricklebee einberufen hatte. Als er zum Wald hinüberblickte, bot sich ihm ein seltsamer Anblick. Fünfzehn Frostfrosche standen stocksteif mit blutroten Augen am Waldrand und schauten ihn an. Aber wenn das stimmte, was Fricklebee sagte, durften doch nur noch vier Frostfrösche im ganzen Sternental am Leben sein. Das Sternenkind beschloss, schnell weiterzuschweben und diesen seltsamen Zustand sofort zu melden. Genau in diesem Moment sprangen alle Frostfrösche wie auf ein Kommando in die Luft und versuchten, sich auf Thomas zu stürzen. Dieser sah mit Entsetzen, dass der normalerweise zahnlose Kiefer der Reptilien zwei lange Reißzähne enthielt, die in einem bedrohlichen Tempo immer besser sichtbar wurden. Thomas duckte sich vor Angst, im nächsten Moment zerfleischt zu werden, als plötzlich etwas über seinen Kopf hinwegfegte. Als er aufblickte, sah er Fricklebee, und der ganze Boden war in einem Halbkreis um ihn und den Bürgermeister voll von Blut und Frostfroschkörperteilen. „Wo sind nur Wuff und Gustav, wenn solche Gefahr in Verzug ist?“

      Thomas war noch immer zu schockiert, um etwas zu erwidern, als er eine Bewegung in seinem Augenwinkel wahrnahm. Die einzelnen Organe krochen förmlich über den Boden und setzten sich wieder zu vollständigen Frostfröschen zusammen. Fricklebee erschrak natürlich nicht, sondern war nur leicht irritiert, dennoch wusste er im Augenblick nicht, was zu tun war. Also beschloss er, Thomas zu packen und ihn zuerst einmal hinter dem nächstgelegenen Haus in Sicherheit zu bringen. Dort hörte er einen ohrenbetäubenden Lärm, wie er ihn normalerweise nur von Explosionen kannte, und wusste, als er dort, wo vorher die Frostfrösche regenerierten, einen rauchenden Krater sah, dass er wieder einmal die richtige Entscheidung getroffen hatte. „Der blutrote Sandmann lässt sich nur mit Magie besiegen, lieber Bürgermeister, und dasselbe gilt für seine Untergebenen. Allerdings bezweifle ich, dass ich den Chef genauso leicht erledigen könnte. Was ist, Kater, hast du gedacht, ein Hieb von dir würde den blutroten Sandmann das fürchten lehren.“

      Tylsandi, einer der wenigen Elben im Dorf, sprang vom Dach des Hauses. Zwar war er schon über 800 Jahre alt, aber weil sich bei Elben das Alter selten vor dem 1000. Geburtstag zeigt, hatte er ein jugendliches Äußeres. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch einmal von so einem Biest bedroht werden würde“, fuhr er fort, „aber es bleibt mir wohl nicht erspart. Also hör zu, Bürgermeister, denn das Leben vieler hängt davon ab. Je mehr Blut dieser Dämon bekommt, desto stärker wird er. Wahrscheinlich hat er den Geist seines Wirtes noch nicht vollständig gebrochen und wird deshalb diese Nacht vielleicht noch der Müdigkeit anheimfallen. Spätestens morgen wird er aber Hunger haben, und er riecht das Blut auf hohe Entfernungen, besonders von denen, die er schon einmal näher kennengelernt hat.“ Unter normalen Umständen hätte Fricklebee über diesen geschmacklosen Witz gelacht, aber zum ersten Mal in seinem Leben hatte der möglicherweise härteste Kater der Welt Angst.

      22.12.


      Der blutrote Sandmann bewegte sich zielstrebig auf seine Beute zu. Anscheinend war dieses Grüppchen besonders erpicht darauf zu sterben, weil sie sich im Gegensatz zu den anderen nicht in jenem großen Schloss auf dem Hügel verschanzten. Ein weiterer versteckte sich anscheinend in diesem seltsamen, zylinderförmigen Gebäude. Als er näher kam, meinte er, eine gemurmelte Beschwörung zu vernehmen, ähnlich der, die ihn aus den Tiefen der Erde gelockt und ihm diesen Körper verschafft hatte. Die Elben ihrerseits spürten, dass die Beschwörung Wirkung zeigte. Über ihren Köpfen manifestierte sich eine braune Fellkugel, der dann ein Kopf, Gliedmaßen und drei Schwänze wuchsen. Auf den Befehl Tylsandis wichen die versammelten Elben zurück, um nicht von der Wucht des Wesens zerdrückt zu werden. Als es sich erhob, starrten Helena und Fricklebee, die ohnehin schon skeptisch abseits der Elben standen, das Wesen beinahe entsetzt an, denn es dürfte eigentlich nur in Kindermärchen oder Mythen existieren. Die Elben reagierten kaum auf die Erscheinung, welche bis auf den kahlen Rattenkopf und den drei Rattenschwänzen einem aufgerichteten Braunbären glich. Das Wesen öffnete den Mund und sprach andächtig: „Seid gegrüßigt, ihr die ihr mich gerufen habiget. Ich seiige der mächtige Wuschelbär. Drei Wünsche solligen euer sein.“ — „Weil die Zwillinge Sylwana und Legolas heute Geburtstag haben, sollen die ersten beiden Wünsche ihnen gehören“, meinte Tylsandi. Die Elfen erklärten sich damit einverstanden. Legolas war als erster an der Reihe: „Ich möchte eine Kuh in meinem Baumhaus!“ Danach äußerte Sylwana ihren Wunsch: „Ich hätte gerne Abitur!“ — „Die Wünsche seiigen erfüllt. Wähliget nun euren dritten!“ Der blutrote Sandmann war mittlerweile nur noch dreißig Meter von der Gruppe entfernt. „Töte ihn!“, befahl Tylsandi und deutete auf die diabolische Kreatur. Sofort drehte sich der Wuschelbär um und sprang mit übernatürlicher Geschwindigkeit auf den Vampirgeist zu. Er holte aus und schlug den blutroten Sandmann nieder. Irritiert darüber, dass die Wunden nicht heilten, stand dieser nicht auf, was den Wuschelbär dazu veranlasste, seinen finalen Angriff auszuführen. Sein ganzes Fell glühte hellblau, bevor er sich über den blutroten Sandmann stellte und einen Strahl seines nuklearen Atems auf ihn abfeuerte.

      Beide Kreaturen verschwanden in einer gigantischen Explosion. Die Sternentaler wähnten sich bereits als Sieger, als plötzlich ein Windstoß den Rauch fortwehte und eine blutrote Gestalt zum Vorschein kam. Auf der Körperoberfläche befanden sich noch zahlreiche Hautstücke des ehemaligen Wirts, einschließlich einer gut erhaltenen Gesichtshälfte. Fricklebee fuhr bereits seine Krallen aus, doch Helena hielt ihn zurück: „Lass das, du kannst gegen ihn nichts ausrichten, aber“ – sie hielt einen schwarzen Griff vor seine Augen – „der Kristall hier drin ist magisch.“ Sie aktivierte das vierstrahlige Lichtschwert mit einem Knopfdruck und stürmte auf den Sandmann zu. Dieser wehrte die Schläge mit bloßen Fäusten ab und verpasste der immer noch vom Anschlag erschöpften Helena einen wuchtigen Schlag, der sie drei Meter nach hinten fliegen ließ, wo sie besinnungslos liegen blieb. Der machtlose Fricklebee und die von der Beschwörung ausgelaugten Elben fanden sich bereits mit ihrem Los ab, als ein Sirren die Luft erfüllte. Sämtliche Sternenkinder unter der Führung von Thomas Geri schwirrten heran und blieben zwischen dem blutroten Sandmann und Helena stehen. Als der blutrote Sandmann auf Helena zusprang, glänzten auf Thomas’ Kommando alle Sternenkinder zur gleichen Zeit. Das verbliebene Auge nahm den Sternenglanz war, und der rote Dämon krümmte sich auf dem Boden. Im selben Moment erwachte Helena und sah den sich auf dem Boden windenden Gegner. Sie erhob sich und torkelte mit schwerfälligen Schritten auf die Kreatur zu. Gerade im Moment, als sie ihr Augenlicht wiedererlangte und zu Helena aufblickte, rammte diese dem Wesen ihr Lichtschwert in die Stelle, an der sich bei normalen Menschen das Herz befindet. Der blutrote Sandmann bewegte sich nicht mehr und verfärbte sich braun. Die Körperteile wurden Teil der Erde, und der Dämon zerbröckelte. Helena sank erschöpft auf die Erde, und Fricklebee beeilte sich, sie zum Schloss zu tragen.

      Tylsandi wandte sich an die Sternenkinder: „Ohne dich, oh Thomas Geri, und deine tapferen Freunden wäre jetzt niemand von uns hier. Jeder im Sternental mag sich vor eurer und Helenas Tat verneigen.“ Mit diesen Worten senkte er das Haupt, und die anderen Elben taten es ihm gleich. Mehr als fünf Minuten vergingen, in denen Thomas herumstammelte um die peinliche Stille zu überbrücken, als Sylvia heranhastete und ihm eine traurige Nachricht überbrachte: „Thomas, deine Eltern wurden von einer Kuh erschlagen, die aus einem Baumhaus gefallen ist.“ — „Ojemine.“ Aber in Gedanken traf er bereits Reisevorbereitungen. Herrliche Zeiten in der Tat.

      23.12.

      21.10 Uhr, Nachtwald


      Das Haus kam langsam in Sichtweite. Thomas freute sich, wie schon seit langem nicht mehr. Endlich würde er seine Freundin wieder sehen. Der blaue Orden glänzte an seinem linken Strahl.

      23.40 Uhr,

      Außerhalb des Sternental-Dorfes


      Friedrich öffnete die Tür seiner kleinen Hütte. Drinnen sah er im Schein des Feuers einen garstigen Lümmel, der frech sein Essen vertilgte. Er kramte in seinen unzähligen Haarbüscheln nach seinem mächtigen Kriegshammer und ließ ihn auf den Eindringling niedersausen, der sich mit einem gequiekten „Mon dieu“ vergeblich duckte. Als es merklich kälter wurde, erkannte Friedrich, dass er nicht nur den seltsamen Kerl sondern auch seine eigene Behausung vernichtet hatte. Er fluchte kurz: „Schîze“. Schließlich kuschelte er sich in seine Mähne ein, um vor dem Schneesturm geschützt zu sein. In diesem Moment sprang jedoch Gustav heran, der gestern aus der Zelle in die er sich tags zuvor eingeschlossen hatte wieder befreit wurde. "Majestät, die Franzosen sind besiegt!", sagte der schwarze Polizist voll Freude dem alten Friedrich. "Waz wiltu, môr, daz ich dir tuo?" - "Genau Majestät, wir haben gesiegt. Wie damals! Hurrah!"




      Und in seinem Büro fragte sich Fricklebee, was die ganzen Geschehnisse eigentlich mit Weihnachten zu tun hatten.
    • Wohl die abgespaceteste - verzeih den Anglizismus - Weihnachtsgeschichte, die ich je gelesen habe. Und witzig obendrein; die geäußerten Wünsche ließen mich schmunzeln, die Kuh, die aus dem Baumhaus fiel, ist spitze! Leider denke ich, dass ich kaum positive Kritik, will sagen: Verbesserungsvorschläge, üben bzw äußern kann. Von dieser Art Literatur habe ich schlichtweg keine Ahnung. Zudem ist deine Story abgeschlossen, du hast einen einheitlichen, sogar recht gut zu lesenden Schreibstil, ein paar Formulierungen wirklich gut gewählt. Aus diesem Grund, klar, eine solche Geschichte ist ständig in Arbeit, muss korrigiert und korrigiert werden, ausgefeilt bis zum Letzten, aber aus diesem erwähnten Grund würde ich sie im Großen und Ganzen in der Form lassen.
      Was jedoch recht zuträglich wäre, wäre ein wenig mehr Detailreichtum - nun nicht in der Form ellenlanger Charakterbeschreibungen, meine Idee zielt eher auf die Umgebung und den Schauplatz der Handlung. Manchmal kommt man nicht ganz mit und braucht die Hilfe des Autors; gerade bei den vielfältigen und abstrusen Charakteren fragt man sich doch, wie genau sie leben und wie die Gegend aussieht. Durch solche Beschreibungen lässt sich direktemang auf das Wesen deiner Figuren schließen und ist ein Mittel, das hier im Board so verbreitete, unsäglich primitive "XY sieht so und so aus, mag das und das, trägt die und die Kleider, sein Blick wandert gen Süden etc etc" zu vermeiden.
      Beim Gegenstand bleiben! Der Leser freut sich drüber, denn er findet sich besser zurecht. Deine Charaktere, um auch auf sie zu sprechen zu kommen, mag ich persönlich übrigens sehr gerne; ein paar weniger täten der Story aber eventuell nicht schlecht. Überleg mal, wer überflüssig sein könnte und wen man vielleicht weglassen könnte. Ich will dir da nicht reinreden, ist ja schließlich deine Story. :)

      Letztlich möchte ich noch ein großes Lob für deinen Wagemut aussprechen, eine so große Geschichte am Stück hier zu veröffentlichen; ich machte die Erfahrung, dass es doch sehr abschreckt. Wer jedoch fleißig genug ist, sich drauf einzulassen, verschwendet durchaus nicht seine Zeit.

      Achja: Weihnachtsgeschichten MÜSSEN genau SO aussehen!
    • Ich möchte den guten palma auch mal loben. Man muss wissen, dass wir beide in der Adventszeit des Jahres 2007, als wir gerade im Bus auf dem Weg zur Schule waren, eine Idee zu einer Weihnachtsgeschichte hatten, die wir beide entwickelten.
      Wir nahmen uns fest vor, sie fertigzustellen. Aber es ist nie geschehen. ;)

      Im Advent 2008 schließlich sprach ich palma, wieder einmal im Bus auf dem Weg zur Schule, darauf an und sagte ihm, es wäre großartig, wenn er die Geschichte denn in diesem Jahr schreiben könnte. Und, wie wir sehen, jetzt hat's geklappt. :D

      Das Einzige, was ich an der Geschichte stark kritisieren muss, ist, dass er sie auf einmal ins Forum gestellt hat, was mit Sicherheit sehr viele Mitglieder davon abgehalten hat, sie zu lesen, denn Texte dieser Länge sind für die meisten eher abschreckend, wie Acrobat reader ja schon angemerkt hat. Es wäre wohl besser gewesen, jeden Tag ein Stückchen hinzuzufügen.

      Aber was soll's.
    • Muss nun auch mal meinen Senf dazugeben: Als Fan von Monty Python bin ich von deiner Geschichte wirklich angetan, erinnert mich sehr an diverse Werke der Briten....
      Anfangs war ich noch ein wenig verwirrt, was genau das alles eigentlich darstellen sollte, aber spätestens ab dem zweiten Tag habe ich dann richtig Gefallen daran gefunden.
      Ich persönlich muss sagen, das die Anzahl der Charaktere in der Anzahl nicht zu hoch ist, solche... naja, ich nenne sie mal Schwachsinnsgeschichten, weil man ja nun mal wirklich aufgrund der doch sehr stark vorhandenen Schwachsinnigkeit lacht (und das musste ich wirklich sehr oft), leben ja von vielen abstrakten, wirren, unklaren Charakteren, die sich erst im Kopf des Lesers/Zuschauers entfalten. Insofern würde ich auch keine weiteren Beschreibungen mehr miteinbinden.
      Also: klasse Geschichte.

      Mich würde nur mal interessieren, ob man das ganz alleine fertig bringt, so etwas zu schreiben.
    • Muss nun auch mal meinen Senf dazugeben: Als Fan von Monty Python bin ich von deiner Geschichte wirklich angetan, erinnert mich sehr an diverse Werke der Briten....
      Anfangs war ich noch ein wenig verwirrt, was genau das alles eigentlich darstellen sollte, aber spätestens ab dem zweiten Tag habe ich dann richtig Gefallen daran gefunden.
      Ich persönlich muss sagen, das die Anzahl der Charaktere in der Anzahl nicht zu hoch ist, solche... naja, ich nenne sie mal Schwachsinnsgeschichten, weil man ja nun mal wirklich aufgrund der doch sehr stark vorhandenen Schwachsinnigkeit lacht (und das musste ich wirklich sehr oft), leben ja von vielen abstrakten, wirren, unklaren Charakteren, die sich erst im Kopf des Lesers/Zuschauers entfalten. Insofern würde ich auch keine weiteren Beschreibungen mehr miteinbinden.
      Also: klasse Geschichte.
      Achso, der letzte Satz hat natürlich auch auf mich zugetroffen, ich find das ganz großartig, wie du dem Leser damit gleich die Möglichkeit, diese Frage zu stellen, abnimmst und sie somit quasi beantwortest.

      Mich würde nur mal interessieren, ob man das ganz alleine fertig bringt, so etwas zu schreiben.