Kurzgeschichte: Das Läuten der Glocken

    • Kurzgeschichte: Das Läuten der Glocken

      Eine kurze Geschichte die ich für Deutsch verfasst habt. Fünf Charaktäre waren vorgegeben mit dreien sollte ich eine Geschichte erzählen...
      ...hm, scheint eh keine zu lesen...aber hier mal eine leicht verbesserte Version, wenn es um Ausdrücke geht (meinen Freund sei Dank)...Uly sei dank sind nun auch Zeitfehler korrigiert....fehlen nur noch ein paar inhaltliche Sachen, fals ich diese noch verändere...so die vorerst endgültige Version, bis ich die Lust, Zeit und Kraft dazu hab andere Schwächen auszugleichen:

      Das Läuten der Glocken

      Das Glockenläuten hallte durch sein Schlafzimmer. Es weckte ihn. “Schon wieder eine Hochzeit.” Schwerfällig, nur langsam bildeten die Fragmente in seinem Kopf sinnige Gedanken. “Wieso muss das auch immer sonntags sein.” Er verzog, angewidert von der Störung seines gewohnten Schlafrhythmuses, das Gesicht. “Affiges Gehabe”. Dann streckte er den Arm aus und bemerkte es: Sie fehlte. Er hatte doch gespürt, dass etwas nicht stimmte. Doch schnell wurde ihm klar: Die Glocken waren schuld. “Sich wieder Hochzeitsgäste ansehen. Reis werfen”, grummelte er und drehte sich auf die Seite, versuchte, den Klang der Glocken dabei zu ignorieren.
      “Wieso willst du mich nicht heiraten?”, hatte sie ihn vor nicht allzu langer Zeit gefragt. Er konnte nicht mehr schlafen, bekam den penetranten, aufweckenden Ton der Glocken nicht mehr aus seinem Kopf. Seine Ohren klingelten und er konnte nicht ganz sicher sagen, wieso er sich gerade an dieses Gespräch erinnerte. Ihr Gesicht in diesem Moment war ihm klar vor Augen, fast so, als hätte er sie gerade erst mit diesen von Schmerz und Verzweiflung, aber auch von Trauer zerfressenen Blick gesehen; als wäre sie vor nicht mal einer Minute aus dem Raum spaziert, mit dieser verräterischen kleinen, schwarzen Wolke über ihrem Kopf, die einem nichts ahnenden Passanten, der an ihr vorbeiging, ins Gesicht schrie: Sie ist unglücklich! Er beschloss sich anzuziehen und nach ihr zu suchen. Er wollte sich dafür entschuldigen, dass er der Grund dafür war, dass sie einmal so ausgesehen hatte. Nachdem sie schon fort war und die Glocken unaufhörlich weiterlärmten, war es ihm ohnehin unmöglich geworden, sich auf das zu konzentrieren, auf das er sich gewöhnlich konzentrierte und den Aktivitäten nachzugehen, welche für den sonntäglichen Morgen im Normalfall eingeplant waren. Er griff hastig aber bestimmt in den Kleiderschrank und vergaß so nebenbei einfach einmal, sich zu duschen oder seine Zähne zu putzen. Heute war einer dieser Tage, an denen seine üblichen Verhaltensregeln nicht zählten, wieso dann also andere? Im Sonntagshemd und einer seiner guten, gebügelten, gestreiften Hosen schlüpfte er in die schön geputzten Sonntagsschuhe, die er das letzte Mal vor sieben Tagen in der Hand gehabt hatte, als er diese von dem Schmutz des Sonnenuntergangsspazierganges befreit hatte, welcher sich jeden Sonntag an den Sohlen ansammelte. Heute aber nicht.
      Leise verließ er die Wohnung, peinlich darauf bedacht seine Eltern nicht zu wecken, welche ein Stockwerk tiefer wohnten. “Die hören doch immer alles. Taten sie schon immer”, dachte er sich, als er durch das Treppenhaus schlich. Er wollte nicht, dass sie bemerkten, dass er sich davon so sehr aus der Ruhe bringen ließ, dass die Frau, mit der er schon so lange, mehrere Jahre, das Bett teilte, einmal morgens nicht da war und keinen Zettel hinterlassen hatte. Normalerweise hinterließ sie immer einen Zettel. Der hatte gefehlt. Das hatte ihn gestört. “Das war’s!”, sagte er etwas zu laut und ärgerte sich im selben Moment. Der Ärger war jedoch wenige Sekunden nachdem er aus der Haustür war verschwunden und wurde ersetzt von einer Frage, die er sich nie getraut hatte so ganz zu beantworten. “Wieso will ich sie nicht heiraten?” Die Worte hingen in der Luft, schwer schwebten sie über ihm, welche Konsequenz würde die Antwort haben, welche sie fordern. Er fürchtete sich ein wenig davor, doch für Furcht war nun kein Platz, zu groß das schlechte Gewissen, für den Zustand indem er sie einst versetzt hatte. Hatte er sich dafür eigentlich je entschuldigt?
      Johannes Bauer, was in dieser Gegend doch ein recht seltsamer Name war, stand schon immer in einem gewissen Konflikt mit sich und der Wahl seines Wohnortes, da das Dorf, welches er Heimat nennt, für ihn, der in die große weite Welt ging, um als Steuerberater zu enden, immer etwas klein erschien. Aber er hatte sich engagiert, indem er mit der Frau zusammenlebte, die er liebte. Zumindest glaubte er sie zu lieben, doch konnte man das so genau sagen? Ein weiteres Problem mit seinem gewählten Platz zum Leben, waren die verschiedenen Ansichten. Wurden ihm zwar im Laufe seiner Erziehung die Grundwerte einer konservativen, protestantischen Gesellschaft gelehrt, so brachte er sich weitestgehend selbst bei, eben jene zu hinterfragen, um dann für sich zu entscheiden, was von dem Gelernten wirklich gut für ihn war. Besonders radikal ging er dabei eigentlich nicht vor, da er etwa so gut wie alles, was ihm an moralischem Rückgrat nahe gebracht wurde, er auch annahm. Nur mit der Ehe, mit dem Gedanken an die Ehe, hatte er so seine Probleme. War es für ihn kein unmöglicher Gedanke sein ganzes Leben mit nur einer Person zu verbringen, so brachte es ihn zum Schwitzen, sich tatsächlich in diesem Maße, via Ehegelübde, an eine einzige Person für immer zu binden. Scheidung war ein böses Wort, vor allem in diesem Dorf (ganz egal wie die protestantische Kirche dazu stand. Manchmal wirkten sie wie fundamentale Katholiken, etwas was Johannes schon immer verwirrt hatte). Natürlich stellte die Heirat auch einen Liebesbeweis dar und Johannes war sich sicher etwas Tiefergehendes für seine Freundin zu empfinden, sie auf seine Art zu lieben. Doch reichte das, war das wirklich genug, um sie zu heiraten? Wenn er zu sich selbst ehrlich war, verstand Johannes die Ehe nicht völlig. Ihm war nicht ganz klar, worauf sie denn nun basiert. Doch sicher nicht nur auf Liebe. Oder?

      Es war die Kirche, wo er sie vermutete, fand hier doch die Hochzeit statt, welche dieses fürchterliche Gebimmel zu verantworten hatte. Doch dort war sie nicht. Dort war niemand. Johannes hatte zwar in Gedanken versunken, einen längeren Weg genommen, als nötig, doch es überraschte ihn, dass er scheinbar so lange gebraucht hatte, dass die ganzen Festivitäten schon vorbei waren. Er betrachtete die schweren Kirchentüren und überlegte, wann er das letzte Mal in der Kirche gewesen war. In letzter Zeit nicht so häufig, wie ihm seine Mutter einmal vorgeworfen hatte. Oder war es doch erst gestern gewesen, dass sie sich deswegen gestritten hatten. Er war so schlecht darin Zeiten einzuschätzen. Es fiel ihm einfach unheimlich schwer, dass korrekt zu machen.
      Ohne seine Intention genau erfassen zu können betrat er dann die geheiligten Hallen und atmete tief ein. Es war ein alter Geruch. Ein schöner Geruch. Johannes konnte eben doch positives an diesem Ort finden, wenn es auch nicht die Glocken waren. Plötzlich hörte er aber noch etwas neben den Glocken. Es war ein Geräusch, das in ihm eine Erinnerung weckte, die er nicht zuordnen konnte. Es war das Weinen einer Frau. Er fand Theresa, die Pfarrerstochter, über die man beim Kaffeekränzchen seiner Mutter nicht unbedingt immer Gutes hörte, in der vordersten Reihe zusammengekauert. Sie schluchzte herzzerreißend und konnte einfach nicht aufhören. “Ist die Hochzeit schon vorbei?”, fragte Johannes und das Mädchen zuckte zusammen, sah ihn verschreckt an, hatte einen sehr verwirrten Ausdruck auf dem Gesicht und brach in nur noch größere Tränenschwälle aus. Johannes war überfordert und wusste nicht wie er sie beruhigen sollte. Er fing an leise und sanft auf sie einzureden, dass sie nicht weinen bräuchte und alles in Ordnung sei, doch die Tränen versiegten nicht. Johannes wusste nicht, wie man mit Kindern umgehen sollte. Das war nie sein Gebiet gewesen. Und eigentlich war sie auch schon sechzehn und gar kein Kind mehr. Er wollte mir ihr, wie mit einer erwachsenen sprechen. “Was ist denn los?”, fragte er sie irgendwann nach kurzer Zeit, leicht genervt und nicht gewillt, noch mehr Zeit mit ihr zu verschwenden. Doch es schien zu wirken, der subtil aggressive Unterton brachte sie dazu, endlich mit ihrem Problem herauszurücken: “Ich bin schwanger.” Stille. Erst nach einer kurzen Schrecksekunde fand Johannes seine Stimme wieder: “Oh”, brachte er aus seinem Mund heraus, nicht dazu in der Lage die Tragweite dieser Information völlig zu erfassen, überfordert mit diesem Wissen. Man konnte es ihm ansehen, sodass es Theresa nur erneut zum Heulen brachte.
      Es dauerte noch ein bisschen, bis Theresa endlich dazu in der Lage war die Tränen zu unterdrücken und sich normal zu unterhalten. Es war befreiend für sie, sich in diesem Moment einer bis dahin nicht gekannten Belastung, jemandem anvertrauen zu können, der älter war. Und reifer. Und kein regelmäßiger Kirchengänger. Sie konnte nicht wirklich sagen, wieso sie alles berichtete, nur, dass es nötig war, es in diesem Moment zu tun. So erzählte sie, ohne die Identität des Vaters zu enthüllen, dass er aus dem Dorf stamme und noch nichts davon wisse. Dass sie schwanger war, wusste sie, da sie eine Freundin, die in der Stadt wohnte, gebeten hatte für sie einen Test zu kaufen, den sie sich erst heute getraut hatte zu machen und der, wie man sich denken kann, positiv ausgefallen war. Sie hatte keine Ahnung, was sie denn nun tun solle. Sie war verzweifelt und am Ende, dass konnte Johannes sehen und sie tat ihm leid. Er wollte ihr helfen, nur wie? “Wie konnte das nur passieren? Wie konnte ich nur so dumm sein? Das ist meine Strafe”, jammerte sie. Und das machte ihn stutzig. “Strafe? Für was?”, fragte er interessiert. “Dafür, dass ich vor der Ehe Sex hatte. Das ist gegen Gottes Gesetz.” Es fiel ihm schwer die Kinnlade oben zu behalten. Er hatte schon ganz vergessen, was die Kirche zu solchen Fragen sagte. Er hatte irgendwie kurzzeitig ausgeblendet, dass dort die Pfarrerstochter saß, über die man doch so viel Schlimmes hört, dass sie sich mit bösen Jungs herumtrieb und gegen die Regeln ihres Vaters handelte. Aber ihr Vater war der Pfarrer und es war schwer sich völlig von ihm zu lösen, ganz gleich was für Geschichten man beim lokalen Tratsch hörte, letztendlich war sie nur ein junges Mädchen. Vielleicht würde sie einmal ein freierer Mensch sein, losgelöst von den Doktrinen die einem der strenge Glaube und die Familie eintrichtern. Johannes hatte erkannt, dass sie zwar in der Pubertät war und versuchte rebellisch zu sein, jedoch von ihrem Kopf her noch gar nicht dazu in der Lage war, tatsächlich rebellisch zu handeln. Er hatte eine schlimme Befürchtung. “Ich muss die eine sehr persönliche Frage stellen: War es einvernehmlich?” Sie schaute ihn mit großen Augen an. “Ja, das war es. Aber wie konnte ich nur. Anders würde er es ja vielleicht verstehen, aber so? Vater wird mich hassen.“ Erneut rannen Tränen ihr Gesicht hinab. Vielleicht war sie ja doch einmal dazu in der Lage zu rebellieren, was er ihr nicht zugetraut hatte, aber jetzt ganz sicher nicht mehr. Sie musste die Konsequenz erleben, was sie stärker an die vorgefassten Regeln band, als es ihr Vater jemals vermochte zu tun. Ihm war klar, dass allein der Gedanke an eine Abtreibung unmöglich war. Er versuchte es trotzdem: “Was willst du nun tun?” Sie ahnte noch nicht, worauf er hinauswollte. Fühlte sich etwas verhöhnt, diese Frage schien so unglaublich sinnlos. Was sollte sie schon tun? Es erzürnte sie ein wenig. “Ich weiß es nicht!”, schrie sie und weinte erneut. “Vater wird mich umbringen.” Johannes glaubte einen Blick zu sehen, der fürchterlich wahr. Ein Blick, der aussagte, dass sie das ernst meinte. Es war keine Redewendung, um fürchterliche Wut zu beschreiben, sie glaubte tatsächlich, was die da sagte. Er konnte nicht mehr darum herum reden, er musste die Karten auf den Tisch legen, offenbaren, was er meinte:“Hast du überlegt, es wegmachen zu lassen?” Stille. Er glaubte das Ticken einer Uhr zu hören. “Es ermorden?” Sie sah ihn entgeistert an, so als hätte er etwas Schlimmes getan, etwas Unverzeihliches. Ihr Vater hatte beste Arbeit mit ihr geleistet, da gab es keine Zweifel.
      Danach dauerte das Gespräch nicht mehr lange. Sie nahm ihm das Versprechen ab, dass er es niemandem erzählen würde und er versprach es ihr. Dann gingen sie getrennte Wege und er hatte die Hoffnung, dass seine Freundin, Theresa hatte sie kurzzeitig aus seinen Gedanken vertrieben, mit der er schon seit Jahren in wilder Ehe lebte, mittlerweile wieder zu Hause war und schon sein Lieblingsessen vorbereitete, so wie sie es jeden dritten Sonntag machte, an dem seine Eltern bei Freunden aßen und die Beiden für sich waren. Wilde Ehe, ein merkwürdiger Begriff. Verpönt in seiner Umgebung und ihm war klar, dass seine Eltern sich deswegen schämten und das Dorf sich das Maul zerriss, er bei vielen in Verruf geraten war durch den Umzug mit ihr zusammen in das Dorf und ohne Ringe an den Fingern. Aber wenigstens hatte er jetzt den Ansatz einer Antwort auf die Frage, wieso er nicht heiratete. Nicht in der Kirche. Weil er nicht glaubte, er das Leben eines Ungläubigen führte. Eine kirchliche Heirat kam also gar nicht in Frage. Freudig betrat er sein Domizil, damit er ihr das sagen konnte. Doch sie war nicht zu Hause. Kein Essen war vorbereitet. Er war verwirrt und besorgt. Sie fehlte. Er verspürte eine Leere. Etwas was er auch schon am Morgen empfand, ganz leicht. Es war etwas in diesem Raum. Und etwas in seinem Inneren. Doch nicht nur das, dieses unangenehme, zwickende Gefühl machte ihm Probleme. Sein Magen knurrte. Er hatte Hunger, war doch aufgrund der überstürzten Suche das Frühstück ausgefallen. Und sie war doch sicher irgendwie essen gegangen, wenn es schon hier kein Essen gab. Bestimmt wollte sie ihm eine Notiz hinterlassen, wo alles genau draufstand, wo sie sich treffen sollen und was sie bis dahin zu tun hat. Und dann hat sie diese durch ein Versehen mitgenommen. So etwas ist ihm doch auch schon passiert. Er beschloss deswegen ebenfalls essen zugehen. Es gab nicht viele Möglichkeiten in dem Dorf, aber eine war ganz besonders charmant. So zumindest dachte er. Dort musste sie einfach sein.

      Gill war ein junges Ding mit den zwei Begabungen unheimlich gut Fisch zubereiten zu können und die höflichste Bedienung zu sein, die ihm je untergekommen war. Er hatte nicht sehr viel mit ihr zu tun, sie kannte allerdings seinen Namen, so wie er den ihren kannte. Weshalb sie ihm jedoch im Gedächtnis blieb, war ihr Aussehen, das ihn sehr anzog. Er war immer ganz besonders charmant zu ihr, wenn sie mit Bedienen an der Reihe war, was auch seiner Freundin auffiel, die einmal fürchterlich eifersüchtig deswegen war.
      Als er jetzt daran dachte bekam er ein schlechtes Gewissen. War es derselbe Abend gewesen, an dem sie diese Frage gestellt hatte, als sie sich auch wegen ihrer Eifersucht stritten. Wie lange war das eigentlich her? Er konnte es nicht sagen. Genauso wenig wie er sich beantworten konnte, weshalb Gill allein im Restaurant am Tresen saß und in ihrem Essen stocherte. Sie schien doch tatsächlich ganz allein im Restaurant zu sein. “Wie haben geschlossen”, sagte sie, ohne aufzuschauen. “Oh tut mir leid”, murmelte Johannes, der völlig die Zeit vergessen hatte. Natürlich gibt es auch im Restaurant Mittagspause. “Ach Sie sind’s, setzen Sie sich doch”, sagte sie und deutete auf den Platz neben sich. Sie lächelte ihn an und er konnte nicht anders als, trotz seines eher negativen Gefühlszustandes und des bitteren Nachgeschmacks des Gespräches mit Theresa, ebenfalls zu lächeln. “Ich möchte Ihnen keine Umstände machen”, murmelte er, doch sie winkte nur mit der Hand, um anzudeuten, dass es kein Problem sei. “Ach was, das ist kein Problem. Ich esse nicht gerne allein und mache Ihnen schnell einen Teller mit Meeresfrüchten fertig. Er geht aufs Haus.” Johannes musste sich eingestehen, dass er Hunger hatte. Er hatte ja nicht gefrühstückt. Dankbar nahm er ihr Angebot an. Als sie so gemeinsam da saßen und aßen platzte sie plötzlich mit dem wahren Grund heraus, weshalb sie so freundlich war: “Wissen Sie, ich brauche einen Rat. Aber von einer Person die mich nicht kennt und die mich nicht verurteilt.” “Ich urteile nie”, erwiderte er und wunderte sich, worauf sie eigentlich hinauswollte. “Ich bin schwanger!”, sagte sie mit ruhigen Ton und dem vollen Bewusstsein welche Bandbreite diese Worte hatten. “Nicht schon wieder”, dachte er sich und sagte: “Herzlichen Glückwunsch”, doch im selben Moment erkannte er, dass auch sie nicht zu hundert Prozent glücklich war mit diesem Umstand, wenn es für sie auch nicht so desaströs war, wie für Theresa. “Wo liegt denn das Problem?”, fragte er und biss sich sogleich danach auf die Zunge, für den unsensiblen Ton. Sie seufzte. “Ich weiß nicht. Es ist komisch. Ich bin irgendwie, unzufrieden? Das trifft es nicht. Es geht um meinen Mann.” Immer die Männer. “Geht es ihm nicht gut?” “Doch natürlich. Aber er ist einfach nicht der perfekte Mann. Ich habe einfach viel zu früh geheiratet, aber ich liebe ihn. Und kann es denn ein Fehler sein aus purer Liebe zu heiraten? Ich verstehe einfach nicht, wieso ich das bereue, diesen Schritt. Das tue ich schon länger, wissen Sie.” Er war verwirrt und nicht so ganz dazu in der Lage zu erfassen, worum es denn nun eigentlich ging, was ihr Problem war. Aber es kam ihm irgendwie vertraut vor.
      “Ich habe mir auch nicht vorgestellt so zu enden, in einem Fischrestaurant, gleich nach der Schule heiraten, den ganzen Tag schuften und einen Mann lieben, der so unperfekt ist. Manchmal weiß ich nicht, wieso ich ihn eigentlich liebe. Aber dann hat er wieder so wunderbare Momente und dann schlafen wir miteinander. Es ist wunderschön, fast so als würden wir die Liebe selbst kreieren dabei. Mich wundert es überhaupt, dass ich schwanger geworden bin, so selten wie wir es noch tun. Fast so, als würde er woanders Dampf ablassen, doch das würde er nie tun, ich spüre ja wie er mich manchmal noch liebt. Und ich kann doch nicht einfach aufgeben. Nicht nur, dass das Dorf mich wahrscheinlich lynchen würde. Ich habe doch geschworen in guten und in schlechten Tagen für ihn da zu sein, geschworen ihn zu lieben. Ich kann das nicht einfach so abstellen. So habe ich mir das ganz sicher nicht vorgestellt. Ich wollte in die große Welt und Künstlerin werden oder so was.” Der Wortschwall schien kein Ende zu nehmen und er drohte schon abzudriften, da es sich ihm nicht erschloss, ob er nur dazu da war zuzuhören, oder ob sie sich wirklich Rat von ihm erhoffte. Spontan fiel ihm nämlich keiner ein. Allerdings sah er in ihr die junge Frau, welche Theresa einmal sein können würde, sofern sie dazu in der Lage war, denselben Prozess zu durchlaufen, den auch Gill durchgemacht hatte. Das Erwachsenwerden. Dann brachte sie ihn aus dem Konzept: “Wie haben Sie sich denn ihre Zukunft vorgestellt? So, wie Ihr Leben derzeit ist?” “Das weiß ich nicht.” Doch es war nur die halbe Wahrheit, denn es erschloss sich ihm. So hatte auch er sich sein Leben nicht vorgestellt. Ganz sicher nicht. Er hatte das Dorf verlassen, diese Gesellschaft, um etwas Neues anzufangen. Sein Beruf brachte ihm viel Geld, aber hatte er schon immer Steuerberater sein wollen? Wollte er so leben, dass ihn die simpelsten Änderungen an festen Abläufen aus dem Konzept brachten, ihn verstörten, nervös machten. Wollte er in dieser unendlichen, schrecklichen Routine leben? Plötzlich begriff er, was ihn heute Morgen und vielleicht auch schon die Tage davor wirklich gestört hatten: Er war mit dem Verlauf seines Lebens unzufrieden. Nur wann hatte das angefangen? Und ihm wurde noch etwas klar, etwas was viel trauriger war, als nur die Realisation einer suboptimalen Lebenssituation. Es war die Antwort auf die Frage, die ihn schon den ganzen Tag über quälte. Er wollte, nein, konnte seine Freundin nicht heiraten, da er sie nicht in dem Maße, in der Form liebte, die für die Ehe nötig war. Es war nicht diese scheinbar unendlich große Liebe für einen Menschen, die Gill empfand. Das war es vielleicht einmal gewesen, aber damals waren sie nicht reif für die Ehe gewesen. Heute hatte er sich an sie gewöhnt, dass war es, was sie beide aneinander hielt. Routine. Auch das konnte Liebe sein. Aber keine Grundlage für Heirat. Jetzt wusste er einen Ratschlag: “Gill, Ihre Liebe in allen Ehren, aber Sie müssen eines begreifen. Liebe ist keine Einbahnstraße und mit Sicherheit nicht die pure Basis für eine erfolgreiche Ehe. Manchmal reicht es nicht, nur zu lieben. Und was ihre Träume und Wünsche angeht. Für solche ist es nie zu spät, man kann immer noch kämpfen.” Ja, es war nie zu spät. Sie schaute ihn eindringlich an.
      Danach ging das Gespräch nicht mehr lange weiter. Sie hatten beide fertig gegessen und Gill musste alles wegräumen, bevor andere Gäste kamen. Er wollte seine Freundin suchen, er war ihr eine Antwort schuldig. Sie bedankte sich noch bei ihm und meinte, dass sie eventuell eine Lösung gefunden hat. Es freute ihn.

      Draußen vor dem Lokal ließ er seine Beziehung Revue passieren und dachte darüber nach, wie sie sein Leben verändert hatte. War sie vielleicht der Grund für diese schwierige Situation, in der er sich befand? Fest stand nur, dass sich etwas ändern mussten, nur war ihm noch nicht so klar was. Er hatte eine Ahnung, wo eigentlich der Fehler lag, nur wie sollte man dagegen vorgehen? Seine Gedanken schweiften bald ab. Er kannte keine Lösung. Er fing an, sich verschiedene Leben vorzustellen, wie es wohl wäre, wenn er der Mann von Gill sei. Wenn er es wäre, den sie so aufrichtig lieben würde. Würde er sie besser behandeln? Würde er es zulassen, dass sie sich bei fast fremden Männern ausheult und nicht mit einem spricht und einen mit den Problemen konfrontiert? Er würde sie gut behandeln, diese wunderschöne, junge Frau. Er wäre nicht nur im Restaurant charmant. Danach schweiften seine Gedanken zu Theresa. Was wenn er der Vater wäre? Würde er sich überhaupt auf eine Affäre mit einer minderjährigen Pfarrerstochter einlassen. Nur wenn er sehr verzweifelt wäre. Aber er würde ihr helfen. Ganz sicher. Das wollte er tun. Ganz egal, ob er sie geschwängert hatte oder nicht, für eine Millisekunde war er sich da nicht ganz sicher, er würde ihr helfen. Vielleicht würde das ja sein Leben ändern? Eine selbstlose Tat, das gerettete Leben einer Minderjährigen. Sein Weg führte ihn zum Bankautomaten. Er musste auch gar nicht lange nach Theresa suchen, denn sie stand vor seinem Haus. Die Augen waren rot unterlaufen, sie hatte wieder viel geweint. Doch es war noch etwas mit ihren Augen. Nur mit dem rechten. Es sah aus wie ein Schminkfehler, bis ihm klar wurde, dass es blau war. Jemand hatte sie geschlagen. Nur wer?
      “Er will nichts davon wissen, sagte er. Seine Alte bekommt selber ein Kind und damit hat er schon genug Probleme, meinte er. Und als ich ihm sagte, dass ich es meinem Vater erzähle, hat er mich geschlagen. Wie soll ich das nur erklären.” Die Tränen wollten einfach nicht aufhören und das war ihm sehr unangenehm. Er drückte ihr das Geld in die Hand. “Wofür ist das?” “Damit du dich um das Kind kümmern kannst.” Er spürte, dass sie protestieren wollte, da sie verstand, auf was er erneut anspielte, und hielt sich zurück: “Hör mir zu, es ist wichtig, dass Du eines begreifst. Dein Glaube soll Dir eine Richtlinie für das Leben bieten und kein Gesetz. Ganz egal, was Dein Vater sagt, es ist Dein Leben, was Du lebst und Du musst lernen zu selektieren, welche Informationen richtig und falsch, bzw. gut und schlecht für dich sind. Du kannst nicht einfach so alles fressen, was man Dir vor die Füße wirft. Du musst hinterfragen. Es ist vielleicht schwer, das als Tochter des Pfarrers zu tun, aber es ist dennoch nötig. Nimm das Geld und tu damit, was Du für richtig hältst, aber stelle sicher, dass es für Dich und Dein Leben die beste Entscheidung ist. Bitte.” Es war nicht ganz korrekt von ihm so zu handeln, wie er handelte, so harsch auf sie einzureden und sie zu manipulieren, aber Johannes war der festen Überzeugung, dass das schlechte Gewissen einer Abtreibung noch immer besser war, als sich diesem Dorfpfarrer zu stellen. Ohne ein Wort zu sagen ging sie weg und er fragte sich, ob er das richtige getan hatte. Auf jeden Fall war sein Leben kein Stück besser geworden.

      Es war mittlerweile schon Abend und die Suche nach seiner Freundin hatte noch immer keinen Erfolg gehabt. Langsam machte er sich ziemlich Sorgen um sie, als er plötzlich den Pfarrer sah. Neben ihm Theresa und einen Haufen anderer Leute. Darunter auch Gill, die verletzt schien und ihr Mann, der auf ihn zustürmte und ihn ins Gesicht schlug, noch bevor Johannes etwas tun konnte. “Was soll das?”, schrie Johannes, auf dem Boden liegend, als der Pfarrer auf ihn zukam. “Das sollte ich Sie eigentlich fragen.” Johannes dämmerte ein fürchterlicher Gedanke. “Wieso haben Sie meine Tochter vergewaltigt?” Die Stimme des Pfarrers war eiskalt. “Bitte was? Ich habe nichts getan. Theresa sag die Wahrheit!”, schrie Johannes und wurde von Gills Mann getreten. “Erst das, dann meiner Frau raten mich zu verlassen und danach auch noch Lügen. Schmor doch in der Hölle.” Auf ihn wurde weiter eingeschlagen und Johannes begriff, wer der Vater von Theresas Kind war. Doch er begriff noch etwas anderes, etwas auf sich Bezogenes, denn obwohl die Angst in ihm da war an diesem Abend zu sterben, verspürte er den absoluten Unwillen sich zu wehren. Besser tot als…als was eigentlich? Gab es eigentlich etwas in seinem Leben, für das es sich wirklich lohnte weiterzuleben? Zu kämpfen? Dafür einzustehen? Er lebte ein langweiliges Leben, gefangen in einer Routine von Belanglosigkeit, in einem Ort dessen Einstellung er als erdrückend und widerlich empfand. Er blickte auf die Leute die um ihn herumstanden und es überraschte ihn, wie viel Abscheu er empfand für all diese Kleingeister, für diesen Mob an Engstirnigkeit. Vielleicht hätte er seine Freundin einmal geheiratet, aber ganz sicher nicht hier im Dorf. Er war tatsächlich irgendwie dazu bereit zu sterben, einfach aufzuhören zu existieren, dem ganzen ein Ende zu setzen. Aber dann sah er etwas. Er sah das verheulte, von Schrecken verzerrte Gesicht von Theresa und das verletzte, nachdenkliche Gesicht von Gill. Zwei die waren wie er. Gefangen zwischen der Dorfgrenze, eingekerkert in falsche Vorstellungen, erdrückt von zu kleinen Horizonten, doch nicht völlig ohne Hoffnung. Zwei die noch befreit werden konnte. Gill musste nur von ihrem Mann abgekappt werden und wäre frei zu gehen. Die richtige Einstellung hatte sie schon. Und Theresa? Es würde hart für sie werden, eventuell traumatisch, doch wenn man sie gewaltsam von ihrem Vater löste, könnte sie mit ihrem früheren, rebellischen Ich glücklich werden. Es war nie zu spät, um zu kämpfen.
      Johannes erhob sich, nachdem die Welle von Schlägen kurz stoppte. Er keuchte und blutete. Er war verletzt, doch das war jetzt egal. Er zeigte auf den Mann von Gill. “Sie schulden mir Geld?” “Was tue ich?”, er schrie verwirrt, wusste nicht was er tun, wie er reagieren sollte. “Das Geld für die Abtreibung von ihrem Kind. Ich gab es doch Theresa.” Er sah sie an, nun hing alles von ihr ab. Alle schauten sie an. Ihr Vater ganz besonders, mit seinem stechenden Blick. Es war ihre Chance, ihre Entscheidung. Vielleicht war es das allererste Mal, dass sie ihr Leben tatsächlich in die eigene Hand nahm. Und es war nicht das letzte Mal. “Er hat recht!”, sagte sie mit zitternder Stimme und zeigte dabei auf Johannes. Und dann fing sie an alles zu erzählen, wie sie Sex mit Gills Mann hatte, wie sie erfahren hatte, dass sie schwanger war, dass sie sich Johannes anvertraute, wie Gills Mann davon erfuhr, sie schlug und mitbekam, dass er ihr das Geld gab und wie er sie dann erpresst hatte, alles Johannes in die Schuhe zu schieben. Johannes war der Gute (zumindest für sie), Gills Mann der Böse. Nun richtete sich die Wut der Menge auf Gills Mann, während Theresa wohl gerade das Bedürfnis hatte zu versinken. Ihr Vater war nicht mehr dazu in der Lage sie anzusehen. Die Öffentlichkeit würde sie nicht mehr ansehen können. Sie war aus diesen Klauen befreit und eventuell dazu in der Lage ein normales Leben zu führen. Johannes hoffte, dass sie Verwandte außerhalb des Dorfes hatte. Liberale Verwandte. Dann sah er Gill an und er sah, dass sie bereit war loszulassen. Sie hatte erkannt, dass er recht damit hatte, dass Liebe nicht alle Probleme löste, ganz egal, wie sehr man darauf hoffte. Auch sie würde ihre Zukunft selbst bestimmen und sicher noch ein gutes Leben haben. Und er selbst? Auch für ihn waren nun die Brücken abgebrochen. Er hatte sich dazu bekannt Abtreibung zu unterstützen, auch ihn würde die Öffentlichkeit nicht mehr ansehen können. Das mit der wilden Ehe war schon schlimm genug, wobei wenigstens kein Kind daraus entstanden war, aber nun war es eindeutig zu viel des Guten. Wahrscheinlich waren seine Eltern gerade dabei seine Sachen zu verbrennen und das Haus zu desinfizieren. Für Johannes gab es nichts mehr, was ihn hielt. Fast.

      Seine Freundin stand an einer Straßenecke. Er ging zu ihr und sie seufzte, war verwirrt, verstand nicht ganz, was gerade passiert war. “Hallo”, sagte er. “Hallo”, sagte sie. “Ich habe Dich gesucht.” “Wieso?” Wieso sollte er sie nicht suchen, wenn sie nicht da war? “Du warst heute Morgen nicht da?” Sie musste Lächeln. Aber es war ein trauriges Lächeln. Verzerrt. Hatte nichts von einem wahren Lächeln von Freude. “Johannes, ich bin doch gestern ausgezogen. Hast du das vergessen?”, sie schien ihn nicht ernst zu nehmen. “Was?”, er war verwirrt. Sehr verwirrt. “Wir haben die Beziehung beendet. Also ich. Nachdem Du mir meine Frage nicht beantworten konntest. Dann bin ich gegangen. Und ich werde das Dorf bald verlassen. Ich kann hier nicht leben. Du warst der einzige Grund, weshalb ich hier war.” Nun musste er lächeln. Aber mehr mit Freude. Ein ironisches Lächeln. Er war nur wegen ihr im Dorf. Aber er musste auch über sich lächeln. Die Lächerlichkeit dieser Situation. Er erinnerte sich wieder an alles. Den ganzen Abend gestern. Die Frage: Wieso willst Du mich nicht heiraten? Seine Unfähigkeit zu antworten. Alles war wieder da. Wie sehr war er nur in diese Routine hineingeraten, diesen strengen Ablauf von denselben Trivialitäten, diesen absoluten identischen Scheiß, dass er es einfach verdrängt hatte, dass sie gegangen war. Dass er sich Ausreden für ihr Nichtdasein einfallen gelassen hatte. Wie tief war er eigentlich in all dem versunken. Er musste weg. Aber immerhin war nun alles geklärt.
      Er hatte nicht bemerkt, dass sie während seines Gedankenganges gegangen war und er hatte nicht bemerkt, dass es angefangen hatte zu regnen. Dicke Tropfen platschen auf den Boden und er war froh. Es war Zeit sich all den Morast abzuwaschen, in dem êr vor vielen Jahren angefangen hatte festzustecken. Er wollte neu anfangen. Er schlurfte zum Busbahnhof und stieg in den nächsten Bus in die Stadt. Er hatte ziemlich gut gespart, es würde ihm leicht fallen, etwas Neues aufzubauen. Vielleicht würde er auch heiraten, dann würden ihm seine Eltern eventuell vergeben können. Falls er das brauchte. Er war froh nicht allein in dem Bus zu sitzen, dass etwas Bekanntes ihn noch ein kurzes Stück begleitete. Er lehnte sich zurück. Er war guter Hoffnung. Und vor allem, und das war das Beste am gesamten Tag, hörte er endlich, endlich nicht mehr die Glocken. Das Läuten der Glocken war verstummt.
      "There are no happy endings, because nothing ends."


      Quote: 'Schmendrick' gesprochen von 'Alan Arkin', aus dem Film 'The last Unicorn', von Peter S. Beagle

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