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„Das ist keine Erzählung / Das ist nur ein Protokoll / Doch wir können davon lernen / Wie wir leben wollen“
Tocotronic - Wie wir leben wollen
„Das ist keine Erzählung / Das ist nur ein Protokoll / Doch wir können davon lernen / Wie wir leben wollen“
Eine der meistdiskutierten Bands des Landes hat ein neues Album veröffentlicht: Tocotronic spalten die Gemüter seit ihrer Gründung, ihnen haften seit jeher Vokabeln wie „verkopft“ und „Diskursrock“ an. Igitt! Wie miefig das schon klingt. Und wenn dazu dann noch ein Musikjournalist den kruden Vergleich anstellt, es handele sich bei ihnen ja praktisch um die deutschen Sonic Youth, dann ist die aufgedrückte Imagesoße perfekt. Doch glücklicherweise sind Tocotronic eine sehr höfliche Band, mehr als ich es jemals sein könnte, und kümmern sich daher nicht weiter um solche Belange. Zum 20-jährigen Jubiläum servieren sie den neugierigen Hörern nun ein so in sich gekehrtes Album mit dermaßen viel Pop-Appeal (zumindest in der ersten Hälfte), dass man sich schon erstmal fragt, ob den Herren endlich die Ideen ausgegangen sind. Ich behaupte hiermit: Nein. Zum Glück nicht.
Nach drei Platten, die in einer räumlich offenen Live-Situation aufgenommen wurden, hat sich die Band anstelle einiger Schritte nach vorn oder hinten lieber zu einem gekonnten Sidestep entschlossen. Im jungen Berliner Studio Candy Bomber haben Tocotronic sich mit uralten Aufnahmeequipment (1958!) verschanzt und Inspiration einerseits in dicken fachliterarischen Schwarten zur Geschichte der Rockmusik gesucht, andererseits aber auch alte Beatles- und Beach Boys-Platten als Referenz hergenommen. Nicht, dass sie das mit dem altbewährten Tonmeister Moses Schneider an ihrer Seite irgendwie nötig hätten, aber es ist doch schön zu sehen, dass man sich nicht mit dem Vorhandenen zufrieden gibt. Das vorliegende „Wir wir leben wollen“ (oder: Wir wir Leben wollen) ist aus gutem Grund zweigeteilt, denn in der ersten Hälfte dominieren zum Teil überraschend gefällige Melodien und sparsame (nicht: einfallslose) Arrangements. Die Vorab-Single „Auf dem Pfad der Dämmerung“ schneidet mit Hit-Potential bereits viele Elemente an, die in späteren Songs noch ausgebaut werden, der irritierend unterwürfige Country-Schunkler „Chloroform“ lässt den Toco-Kenner zwangsläufig schmunzeln und „Vulgäre Verse“ portraitiert das (vermeintliche?) Elend der alternden Diva nicht nur textlich, sondern auch musikalisch superb. Songs ohne viel Gedöns drumrum, die bisweilen mit ihrer verstaubt-filigranen Art, während man schon vier Minuten Schrammelei und Feedback-Überdosis befürchtet, ganz unerwartet an Tempo und Witz aufnehmen.
Das überlange „Ich warte auf dich auf dem Grund des Swimmingpools“ beendet den ersten Teil kontrapunktisch – wir drehen die CD jetzt also um – und der Sound öffnet sich ein wenig, driftet einen kleinen Tick vom Direkten ins Sphärische. Das sympathisch klopfende Mono-Schlagzeug ist nach wie vor ständiger Begleiter und spätestens wenn beispielsweise „Die Verbesserung der Erde“ damit beginnt, das Dirk ein „Steh auf…“ intoniert und man in einem Moment unfreiwiliger Komik direkt ein „…wenn du Schalker bist!“ hinterher schiebt, platzt der Knoten und man ist der Platte wieder ein Stück näher gekommen. Das sind so diese Momente. Überhaupt hat Hälfte Zwei eine Menge zu bieten: „Eine Theorie“ und das harsche „Höllenfahrt am Nachmittag“ mischen ganz oben in der Tracklist mit. Der buchstäblich schräg klingende Epilog „Unter dem Sand“, bei dem sich Instrumentierung und Gesang leiernd aneinander reiben (kurze Erinnerungen an die späten Einstürzenden Neubauten werden wach), ist ein vortrefflicher Abschluss der ganzen Angelegenheit und schlägt gleichzeitig eine Brücke zum Opener „Im Keller“. Jetzt sind wir kalt.
Es schieben sich hier und da unüberhörbare Einflüsse aus den Psychedelic- und Postpunk-Lagern in den wabernden Analogsound („Warm und grau“, „Neue Zonen“), doch mit ein oder zwei kurzen Ausnahmen müssen Freunde ausladender Breitwandhymnen, wie sie auf dem opulenten Vorgänger „Schall und Wahn“ noch die Regel waren (man denke nur an dessen Opener „Eure Liebe tötet mich“), auf solcherlei verzichten. Verzicht heißt es auch, sich mit dieser CD näher zu beschäftigen. Das ist allerdings kein Qualitätsurteil, denn obwohl der Tocotronic-Sound hier nach langer Zeit wieder einmal auf eine sehr einfache und verständliche Formel heruntergebrochen wird, ist es gerade diese Einfachheit, an der sich so mancher die Zähne ausbeißen dürfte. Das Orchester ist fast vollends abbestellt werden, es wird nur noch mit den Kollegen Dub und Reverb gearbeitet, und das bisweilen sehr (für machen: zu) intensiv. Jedweder klangliche Makel ist volle Absicht und so besteht jederzeit die Gefahr, den schmalen Grat der coolen Idee des auf alt Getrimmten herunter in die Retro-Dornenbüsche zu fallen, doch diesen Fehltritt leisten sie sich (für meine Begriffe) nicht.
Es ist ein freundliches Verlorensein, ein Dahinschweben im Sonstwo. Die über weite Strecken recht shredderige (ist this even a word) Gitarrenarbeit dürfte so manchen Alt-Fan versöhnen können. Mit dem Unterschied, dass dazu überwiegend nicht mehr geschrien, sondern gezärtelt wird. Wie viel Ironie diesem Gestus nun innewohnt, das sei der eigenen Interpretation überlassen. Überhaupt textet sich Dirk von Lowtzow noch immer um Kopf und Kragen und es stellt sich unweigerlich der Verdacht ein, dass er sich in die lyrischen Fettnäpfchen, die er in manchen Songs peinlich genau umschifft, im nächsten Track mit Genuss hineinwirft und darin einen Schnee- bzw. Matschengel macht. Manche Textstellen wirken bemüht und hölzern, andere sind von leidenschaftlicher Perfektion. Ich würde lügen, täte ich behaupten, dass ich Tocotronic aufgrund des Sounds für mich entdeckt habe. Und diesmal ist der Deutungsspielraum ein weiteres Feld als die Rapspreise. Man erahnt den roten Faden, er ist da irgendwo zuhause, aber persönlich kennengelernt hat ihn noch keiner. Zäune ich das Pferd dahingehend also von hinten auf, so kann ich eventuell zum ersten Mal ansatzweise jene Leute verstehen, für die seinerzeit das (für meine Begriffe nach wie vor grausige) Weisse Album eine Art lyrische Offenbarung darstellte. Diesen schäbigen Vergleich muss sich Wie wir leben wollen allerdings nicht gefallen lassen, denn es hat weitaus mehr zu bieten als sein nach wie vor frenetisch bejubelter Vetter.
Es bleibt abzuwarten, ob die verwaschene Brummeligkeit in Kombination mit überschnappender Theatralik (sowohl musikalisch als auch lyrisch), die nichts beansprucht, sondern lediglich gut gemeinte Angebote macht, sich auf lange Sicht bewährt. Nachdem jedoch bei mir die letzten drei Alben nach anfänglichen Startschwierigkeiten auf heavy rotation liefen, habe ich diesbezüglich auch beim neuen Werk nur vergleichsweise geringe Bedenken.
Fazit: Eine CD wie drei oder vier Tage altes Brot: Trocken. Doch zum Glück waren die Gastgeber mit dem Tomate-Basilikum-Aufstrich sehr großzügig, deswegen fällt das kaum ins Gewicht. Warmer raunender Sound, über weite Strecken. Texte zwischen skurril und absonderlich präzise. Ein feines Präsent zum Bandjubiläum. Und selbst wenn Tocotronic in den Augen der kritischen Öffentlichkeit irgendwann mal Rost ansetzen und schimmeln sollten: Wenn sie so weiter machen wie bisher, werden sie für mich auf ewig nach Erdbeer riechen.
Nach drei Platten, die in einer räumlich offenen Live-Situation aufgenommen wurden, hat sich die Band anstelle einiger Schritte nach vorn oder hinten lieber zu einem gekonnten Sidestep entschlossen. Im jungen Berliner Studio Candy Bomber haben Tocotronic sich mit uralten Aufnahmeequipment (1958!) verschanzt und Inspiration einerseits in dicken fachliterarischen Schwarten zur Geschichte der Rockmusik gesucht, andererseits aber auch alte Beatles- und Beach Boys-Platten als Referenz hergenommen. Nicht, dass sie das mit dem altbewährten Tonmeister Moses Schneider an ihrer Seite irgendwie nötig hätten, aber es ist doch schön zu sehen, dass man sich nicht mit dem Vorhandenen zufrieden gibt. Das vorliegende „Wir wir leben wollen“ (oder: Wir wir Leben wollen) ist aus gutem Grund zweigeteilt, denn in der ersten Hälfte dominieren zum Teil überraschend gefällige Melodien und sparsame (nicht: einfallslose) Arrangements. Die Vorab-Single „Auf dem Pfad der Dämmerung“ schneidet mit Hit-Potential bereits viele Elemente an, die in späteren Songs noch ausgebaut werden, der irritierend unterwürfige Country-Schunkler „Chloroform“ lässt den Toco-Kenner zwangsläufig schmunzeln und „Vulgäre Verse“ portraitiert das (vermeintliche?) Elend der alternden Diva nicht nur textlich, sondern auch musikalisch superb. Songs ohne viel Gedöns drumrum, die bisweilen mit ihrer verstaubt-filigranen Art, während man schon vier Minuten Schrammelei und Feedback-Überdosis befürchtet, ganz unerwartet an Tempo und Witz aufnehmen.
Das überlange „Ich warte auf dich auf dem Grund des Swimmingpools“ beendet den ersten Teil kontrapunktisch – wir drehen die CD jetzt also um – und der Sound öffnet sich ein wenig, driftet einen kleinen Tick vom Direkten ins Sphärische. Das sympathisch klopfende Mono-Schlagzeug ist nach wie vor ständiger Begleiter und spätestens wenn beispielsweise „Die Verbesserung der Erde“ damit beginnt, das Dirk ein „Steh auf…“ intoniert und man in einem Moment unfreiwiliger Komik direkt ein „…wenn du Schalker bist!“ hinterher schiebt, platzt der Knoten und man ist der Platte wieder ein Stück näher gekommen. Das sind so diese Momente. Überhaupt hat Hälfte Zwei eine Menge zu bieten: „Eine Theorie“ und das harsche „Höllenfahrt am Nachmittag“ mischen ganz oben in der Tracklist mit. Der buchstäblich schräg klingende Epilog „Unter dem Sand“, bei dem sich Instrumentierung und Gesang leiernd aneinander reiben (kurze Erinnerungen an die späten Einstürzenden Neubauten werden wach), ist ein vortrefflicher Abschluss der ganzen Angelegenheit und schlägt gleichzeitig eine Brücke zum Opener „Im Keller“. Jetzt sind wir kalt.
Es schieben sich hier und da unüberhörbare Einflüsse aus den Psychedelic- und Postpunk-Lagern in den wabernden Analogsound („Warm und grau“, „Neue Zonen“), doch mit ein oder zwei kurzen Ausnahmen müssen Freunde ausladender Breitwandhymnen, wie sie auf dem opulenten Vorgänger „Schall und Wahn“ noch die Regel waren (man denke nur an dessen Opener „Eure Liebe tötet mich“), auf solcherlei verzichten. Verzicht heißt es auch, sich mit dieser CD näher zu beschäftigen. Das ist allerdings kein Qualitätsurteil, denn obwohl der Tocotronic-Sound hier nach langer Zeit wieder einmal auf eine sehr einfache und verständliche Formel heruntergebrochen wird, ist es gerade diese Einfachheit, an der sich so mancher die Zähne ausbeißen dürfte. Das Orchester ist fast vollends abbestellt werden, es wird nur noch mit den Kollegen Dub und Reverb gearbeitet, und das bisweilen sehr (für machen: zu) intensiv. Jedweder klangliche Makel ist volle Absicht und so besteht jederzeit die Gefahr, den schmalen Grat der coolen Idee des auf alt Getrimmten herunter in die Retro-Dornenbüsche zu fallen, doch diesen Fehltritt leisten sie sich (für meine Begriffe) nicht.
Es ist ein freundliches Verlorensein, ein Dahinschweben im Sonstwo. Die über weite Strecken recht shredderige (ist this even a word) Gitarrenarbeit dürfte so manchen Alt-Fan versöhnen können. Mit dem Unterschied, dass dazu überwiegend nicht mehr geschrien, sondern gezärtelt wird. Wie viel Ironie diesem Gestus nun innewohnt, das sei der eigenen Interpretation überlassen. Überhaupt textet sich Dirk von Lowtzow noch immer um Kopf und Kragen und es stellt sich unweigerlich der Verdacht ein, dass er sich in die lyrischen Fettnäpfchen, die er in manchen Songs peinlich genau umschifft, im nächsten Track mit Genuss hineinwirft und darin einen Schnee- bzw. Matschengel macht. Manche Textstellen wirken bemüht und hölzern, andere sind von leidenschaftlicher Perfektion. Ich würde lügen, täte ich behaupten, dass ich Tocotronic aufgrund des Sounds für mich entdeckt habe. Und diesmal ist der Deutungsspielraum ein weiteres Feld als die Rapspreise. Man erahnt den roten Faden, er ist da irgendwo zuhause, aber persönlich kennengelernt hat ihn noch keiner. Zäune ich das Pferd dahingehend also von hinten auf, so kann ich eventuell zum ersten Mal ansatzweise jene Leute verstehen, für die seinerzeit das (für meine Begriffe nach wie vor grausige) Weisse Album eine Art lyrische Offenbarung darstellte. Diesen schäbigen Vergleich muss sich Wie wir leben wollen allerdings nicht gefallen lassen, denn es hat weitaus mehr zu bieten als sein nach wie vor frenetisch bejubelter Vetter.
Es bleibt abzuwarten, ob die verwaschene Brummeligkeit in Kombination mit überschnappender Theatralik (sowohl musikalisch als auch lyrisch), die nichts beansprucht, sondern lediglich gut gemeinte Angebote macht, sich auf lange Sicht bewährt. Nachdem jedoch bei mir die letzten drei Alben nach anfänglichen Startschwierigkeiten auf heavy rotation liefen, habe ich diesbezüglich auch beim neuen Werk nur vergleichsweise geringe Bedenken.
Fazit: Eine CD wie drei oder vier Tage altes Brot: Trocken. Doch zum Glück waren die Gastgeber mit dem Tomate-Basilikum-Aufstrich sehr großzügig, deswegen fällt das kaum ins Gewicht. Warmer raunender Sound, über weite Strecken. Texte zwischen skurril und absonderlich präzise. Ein feines Präsent zum Bandjubiläum. Und selbst wenn Tocotronic in den Augen der kritischen Öffentlichkeit irgendwann mal Rost ansetzen und schimmeln sollten: Wenn sie so weiter machen wie bisher, werden sie für mich auf ewig nach Erdbeer riechen.