Judicium

    • Warnung an den Forenkonsumenten! Weder die vorliegende Geschichte noch die gleich folgende Warnung sind ernst gemeint! Wer es ernst nimmt, der ist selbst schuld!

      Warnung an den Forenkonsumenten! Die vorliegende Kurzgeschichte enthält größere Menge von potentiellen Allergenstoffen wie Zynismus, zersetzendem Sarkasmus, Verbitterung und Lebensverachtung. Wer mit so etwas nicht umgehen kann, den bitte ich hiermit höflichst, entweder die Geschichte nicht zu lesen oder mir zumindest nicht vorzuwerfen, das sei alles so zynisch und das sei Scheiße. (Und es hat seinen Grund, dass ich das hier dazuschreibe...)
      Allen anderen wünsche ich viel Spaß beim Sich-den-Tag-Versauen.

      Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass ich die Sichtweise des Menschlings in meiner Kurzgeschichte nicht teilen; auch, wenn ich gerne würde, habe ich eine zu realistische Weltsicht für einen solchen Optimismus gewinnen müssen.





















      Judicium
      Ein intergalaktisches Trauerspiel in einem Akt



      „Millionen Menschen leben einfach vor sich hin… und sie haben keine Ahnung.“
      Smith, The Matrix





      Mitwirkende:

      Anmerkung zu den Mitwirkenden: Bei den meisten erscheinenden Wesen ist eine Geschlechtszuteilung, wie Menschlinge sie gewohnt sind, nicht möglich. Dennoch habe ich versucht, die Mitwirkenden in Geschlechter einzuteilen, um den Leser nicht zu überfordern. Falls sich einer der Mitwirkenden hierdurch gestört oder gar beleidigt fühlt, bitte ich dies zu entschuldigen und mir eine Nachricht zukommen zu lassen, ich werde dies dann sofortig abändern.


      Err’Htaka. Oberster Richter. Hoch gewachsen, bläulich durchschimmernde Haut, ein langer, faltiger Rüssel hängt ihm bis zum Kinn. Kleine, knopfartige Augen und Ohren, keine Körperbehaarung bis auf Myriaden winziger Haare, die er statt Beinen besitzt und mit denen er an jeder Oberfläche haften kann. Lange, schlaksige Arme mit jeweils drei Fingern, die in einem runden Saugnapf enden. Kommt vom Planeten Thyrrrrtkttrrrh. Jung und unerfahren, ein neutraler Ermittler und Schlichter.


      Geschworene:

      Zrr#kll-tbb. Statt dem „#“ bitte ein Geräusch aussprechen, das etwa zwischen Glucksen, Röcheln und einem kaputten Ionenantrieb liegt. Ein kleines Wesen, das wie ein verkümmertes Kraken-Plüschtier aussieht, einen tiefrosa Farbton und rundherum acht stummelige Tentakel sowie ein riesiges Auge in der Mitte besitzt. Kommt aus der Sumpfregion des Planeten Krrrzbblbbbtbb. Neugierig und unbedarft. Lebt nach dem Motto „Leben und leben lassen“.

      Erateyklasey. Etwa 20 Zentimeter groß, variiert ständig. Ein geometrisches Wesen, das aus zwei obsidianfarbenen Punkten besteht, um die herum ständig neue zweidimensionale Figuren entstehen und wieder verschwinden, dessen Form und Farbe seine Art der Kommunikation darstellt. Die Obsidianpunkte sind nur von Zeit zu Zeit sichtbar, da Erateyklasey meist ein unübersichtliches Gewimmel aus 20-30 geometrischen Figuren bildet. Stammt vom Planeten Syyyyythkryshey. Ist sehr kritisch, misstrauisch und glaubt nicht alles, was er sieht.

      Ck-sss. Eine unförmige, etwa 60 Zentimeter hohe Wolke aus diversen Elementen, die sich der geneigte Leser selbst aussuchen darf. Stammt vom Gasplaneten Zzzsss. Sagt selten etwas, aber wenn, dann ist es meist scharfsinnig und wohlüberlegt.

      D2FDeltaern-32omega. Ähnelt einer robotischen Spinne. Sein Körper besteht aus einer silbernen Scheibe, von der auf jeder Seite acht dünne Beinchen mit je zwei Gelenken auf den Boden reichen, dahinter hängen zwei schwarze, dünne Schläuche herab. Die silbrige Körperscheibe ist mit Dioden, Sensoren und anderen Schalteinrichtungen voll gestopft. Er stammt von der Maschinenwelt. Er wirkt als kühler Analytiker, berechnender Techniker und nicht zuletzt als Übersetzer.

      Derdereya. Eine etwa 20 Zentimeter hohe Metallplatte in Form einer auf dem Kopf stehenden Träne, in die rudimentär das Gesicht einer weiblichen Person eingehauen ist, als Augen dienen geschliffene Rubine, als Mund ein rautenförmiges Metallnetz, das als Lautsprecher dient. Im Inneren verbergen sich wohl entweder Organe oder Schaltkreise, aber es gilt als unhöflich, nach so etwas zu fragen. Sie ist Abgesandte der Elementaristengilde. Sie versucht, vernünftig und ruhig zu erscheinen und versucht sich manchmal – mit fragwürdigem Erfolg – als Advocatus Diabolus. Oft wirkt sie dadurch eher, als wüsste sie nicht wirklich, worauf sie hinaus will. Oder als würde sie nur Streit suchen.


      Mitglieder des Beteiligten Auditoriums:

      Chchillkrrcha. Das „ch“ weich aussprechen, wie in „Kirche“. Ein obskures Wesen, das nur aus einem aufrecht schwebenden Metallrohr von etwa 40 Zentimeter Länge und 5 Zentimeter Durchmesser zu bestehen scheint. Das obere Ende ist geschlossen, aus dem unteren sprühen Flammen, als schwebe er durch Rückstoß aufrecht. Stammt vom Volk der Chhhheilllkrachll vom gleichnamigen Planeten; bitte auch hier das „ch“ weich aussprechen. Er ist ein sehr schüchterner, zurückhaltender Charakter, der lange denkt, bevor er redet, sehr bedächtig. Manchmal unentschlossen.

      El’oin-getarr-eoia-dr’eeeiona-aggar-errieona-aaeiaoia. Der Einfachheit halber El’oin zu nennen. Ein drolliges Wesen, das nur aus einer Dimension besteht und daher einem fast endlosen Faden gleicht, der sich auf einer Ebene ausstreckt. Egal, aus welchem Winkel man auf El’oin blickt, man sieht immer direkt auf diese Ebene herab; eine subdimensionale Spielerei, auf die er besonders stolz ist. Er stammt von der Monodimensionalen Föderation und drückt sich ungewollt sehr verklausuliert und kompliziert aus, sodass er manchmal kaum bis gar nicht verstanden wird. Er ist ein Beobachter, der kaum eigene Ideen einbringt, aber die Ideen der anderen zu logischen Schlüssen weiterführt.

      Der Blob. Ein kleiner Schleimhaufen aus den Laboren Merragons. Er liegt in einem Glaskasten und besteht aus Billarden einzelner Zellen, die alle eine andere Meinung haben. Um sich äußern zu können, analysiert ein Messgerät die einzelnen Tendenzen der Zellen, um eine Gesamttendenz statistisch zu errechnen und als Äußerung auszugeben. Leider reicht dies lediglich für instinktiv gesteuerte Grundäußerungen wie „Hunger“, „Überleben“ oder „Weg!“ Nimmt im Stück lediglich eine Nebenrolle ein.

      Tesla. Ein elektromagnetischer Organismus, der zum Überleben eine stetige starke Stromquelle braucht und sich daher stetig um eine Teslaspule aufhält, die drolligerweise auf dem Planeten, um den es in diesem Stück gehen soll, unter demselben Namen existiert. Eine weitere Verirrung aus Raum und Zeit. Sie stammt von den Tesloiden Metamorphoten. Tesla ist nur sichtbar als Entladungsfrequenz um ihre etwa 60 Zentimeter große Spule, wenn sie spricht, werden diese Entladungen stärker. Sie ist ein eigentlich vierdimensionales Wesen und hat lange versucht, den fraglichen Planeten zu retten, ist aber inzwischen desillusioniert und glaubt, dass alle Mühe an den Menschlingen umsonst ist, da diese so oder so nicht in der Lage seien, zu lernen. Sie ist die Hauptanklägerin im Prozess gegen die Menschlinge.

      Kriegerstern. Dieser Name ist nur ein unzureichender Spitzname, da sein Name ausgesprochen einem schmerzhaften, lauten und hohen Sirren entspricht, für unsere Lippen nicht auszusprechen und für unsere Ohren kaum zu ertragen. Zur Imitation empfiehlt sich das Kreischen einer Gabel auf einem Teller, etwa 20 Sekunden lang, sehr laut und um zwei Oktaven nach oben transponiert. Er stammt von den Kriegersternen und bietet einen durchaus erquicklichen Anblick: ein etwa 15 Zentimeter großer, in allen Farben schillernder Ball, von dem in alle Richtungen etwa 30 Zentimeter lange, ebenfalls regenbogenartig schillernde drei- oder vierkantige Spitzen abspreizen. Er kommuniziert, indem er diese Stacheln aneinander reibt und so Schall erzeugt. Kriegerstern versucht, den fraglichen Planeten der Vernichtung anheim fallen zu lassen, da die Kriegersterne diesen Auftrag ausführen würden. Zerstörung ist sein Labsal.

      Gloin und Gloirn. Gelten als ein Mitwirkender, da sie zusammen sprechen, dazu immer in der ersten Person Singular, da ihre Nervensysteme verschaltet sind. Angehörige der Globolidenkultur auf Globolid Drei. Zwei kleine, etwa 5 Zentimeter durchmessende Schleimpfützen, die blau schillernde Blasen ausstoßen können, mit denen sie kommunizieren können. Gelten für die Zwecke dieses Stücks als weiblich. Sehr schwatzhaft und vorlaut, nicht wirklich interessiert am Ausgang der Verhandlung und ständig abschweifend.

      Rrung-a’e-sadtred. Aufgrund seiner schieren Größe nicht persönlich, sondern nur über eine Funk-Holo-Verbindung anwesend. Stammt vom Meeresplaneten Grang. Sein Körper, dessen genaue Maße nicht klar werden, besteht aus einem Körper in der Mitte, von dem drei lange, krakenartige Tentakel absprießen. In der Mitte des Körpers sitzt ein großes, schwarzes Auge, von dem aus er Lichtstrahlen in allen Farben absenden kann, womit er auch kommuniziert. Er ist sehr ruhig und bedächtig und versucht, die Krise möglichst friedlich beizulegen, ist allerdings auch von der Geschichte der Menschlinge entsetzt. Sanftmütig, den anderen Wesen verbunden.

      XB-kihsigy’h. Wie der Blob aus den Laboren Merragons stammend. Ein Kasten, etwa 30 mal 30 mal 25 Zentimeter messend, auf der oberen Seite offen, in seinem Inneren sind zahllose Dioden angebracht, zwischen denen ohne erkennbares System Blitze hin- und herzucken. Arbeitet im Prinzip als Zufallsgenerator und ist daher nicht in der Lage, sich zu äußern, ist allerdings als Lebensform anerkannt, womöglich aber auch das nur zufällig. Sein Name ist eine zufällige Aneinanderreihung von Buchstaben, genau wie alles, was er sagt.

      Ein Menschling. Namenlos bleibend; das Aussehen eines Menschlings sollte jedem Leser hinreichend bekannt sein. Männlich. Nicht unbedingt repräsentativ für seine Rasse; verbittert, zynisch, melancholisch, phlegmatisch, wird oft als desinteressiert missverstanden. Rettet unfreiwillig die Welt. Leicht angetrunken. Größtenteils dunkel gekleidet. Sammelt Kerzen.

      Erzähler. Namenlos bleibend, Beobachterrolle.







      Der oberste Richter atmete tief ein und öffnete die nun gelblich leuchtenden Augen, das Zeichen seiner neu errungenen Richterwürde. Er wusste, worum es ging, und das machte ihn nervös. Der gesamte Gerichtsraum zitterte förmlich vor Spannung, während die Arrh’harckar langsam, aber stetig um den infrage stehenden Planeten kreiste. Nervös sah sich der oberste Richter, Err’Htaka, um, das konnte ich genau sehen. Seine blassblaue, transparente Haut nahm einen leichten Grünstich an und die drei klumpigen, runden Finger der rechten Hand trommelten ungeduldig auf sein Pult, während die Billiarden winzigen Härchen, in die sein Unterleib überging, nervös über den Boden wischten.
      Ich sah mich desinteressiert um. Im Mittelpunkt des in schlichtem Silber gehaltenen, kreisförmigen Raum saßen die Geschworenen um einen sechseckigen Tisch herum, während zwei unregelmäßige, fünfeckige Tische den rautenartigen Richtertisch an einer Seite des Raums flankierten. Dort saß das Beteiligte Auditorium. Zwischen dem Richterpult und dem Tisch der Geschworenen stand ein weiteres, würfelförmiges Podest. Von dort aus würde später einer der Angeklagten sprechen.
      Die meisten der Anwesenden kannte ich nicht, und ich wusste auch nicht, wer von all diesen seltsamen Wesen zum angeklagten Planeten gehörte. Mein Blick schweifte über die anderen Teilnehmer des Beteiligten Auditoriums, des Betaudi, wie ich es ganz gerne nannte, und über das Angeklagtenpult über die verspiegelten Wände der anderen Seite. Dahinter, wie ich wusste, saß das Unbeteiligte Auditorium, Interessierte, die der Verhandlung beiwohnen würden, ohne aber Sprachrecht zu besitzen. Wir würden von ihnen nichts zu sehen und zu hören bekommen. Und dahinter waren die drei Ausgänge. Der Architekt der Arrh’harckar hatte dadurch in einer Art subtilem Geniestreich gleichzeitig – zusammen mit den fünfeckigen Betaudi–Tischen, dem Richter-, dem Angeklagtenpult und dem Geschworenentisch – das Gesicht der pagenalischen Gottheit Arrh’harckar, der Gottheit der Gerechtigkeit, nachgestellt. Daher hatte das Raumschiff auch seinen Namen, aber wem erzähl ich das denn.
      Ein leises Tuscheln in allen möglichen Sprachen erfüllte den Raum, die wenigsten davon für mich verständlich. Eine Art Roboter auf dem Geschworenenpult drehte unaufhörlich Myriaden von kleinen Antennen, Empfangsgeräten und Schallkanonen im Raum umher, während er versuchte, auf seinen acht staksigen Beinchen das Gleichgewicht zu halten. Er sah ein wenig aus wie ein Prr’elang. Ein paar Sitze neben mir gluckste leise ein bläulich schimmernder Schleimklecks einem zweiten etwas zu, worauf dieser anfing, sehr schnell hin- und her zu vibrieren.

      Plötzlich ertönte ein leises, aber unangenehm hohes Surren, das in Sekundenschnelle den gesamten Raum zum Verstummen brachte. Ich wandte mich Err’Htaka zu. Er hatte die Augen wieder geschlossen, die Arme ausgebreitet. Die unzähligen Härchen, mit denen er den Boden berührte, waren in eine unerkennbare Bewegung involviert, die anscheinend diesen hohen Klang hervorrief. Definitiv effektiver als eine bloße Klingel.
      Err’Htaka räusperte sich kurz und erhob die Stimme. „Yeeyrjth raaakhae aingggarr’rahha’ggghaarra…“ Er stutzte kurz und sah zu dem Roboter hinüber, der den ganzen Raum mit seinen Antennen anvisiert zu haben schien und gab ihm einen kurzen Befehl, worauf auf der Oberseite des Roboters nacheinander mehrere grüne Lämpchen anfingen zu leuchten. „Arryyyjjghthh Addddrkkrhahyya gaayyrrthaaasetzungsroboter endlich zum Laufen… Ah, ich sehe, die Übersetzungsroutinen greifen endlich. Das ist, nun, erfreulich.“
      Ein erleichtertes Lächeln überzog Err’Htakas schmale Lippen, die unter seinem großen, faltigen Rüssel kaum zu erkennen waren. „Sehr geehrte galaktische Entitäten. Wir sind heute hier, weil es einen Fall zu besprechen und zu lösen gibt, der unser aller Miteinander und Untereinander bedroht. Ich bin mir sicher, sie alle haben die Unterlagen, die ich ihnen habe zukommen lassen, gewissenhaft studiert“ – nun, ich hatte es nicht – „dennoch werde ich die Anklage ein weiteres Mal verlesen, die die gesamte Bevölkerung des Planeten betrifft, den wir alle gut erkennen können.“ Hinter ihm fuhr mit einem leisen Geräusch, das wie „Skiff“ klang, die Verkleidung der Außenhaut zur Seite und gab durch eine große Demantiumtitanit-Scheibe den Blick auf den Planeten frei. Viel blau, ne Menge grün, ein wenig gelb und rot und hellblau. Eigentlich ganz nett.
      Err’Htaka ließ uns den Anblick gönnerhaft ein paar Sekunden genießen und fuhr dann fort. „Vorher will ich allerdings die Anwesenden kurz vorstellen, denn immerhin kommt es darauf an, einen Konsens zu finden. Ich erinnere daran, ein Urteil kann und wird erst vollstreckt werden, wenn ich sowie alle Geschworenen sowie der Großteil des Beteiligten Auditoriums einer Meinung sind. Übersetzung und Protokoll wird vom Geschworenen der Maschinenwelt übernommen.“
      Abermals räusperte sich Err’Htaka. Hatte sich wohl unterkühlt. Andererseits klang die Sprache seines Heimatplaneten sowieso wie eine Halskrankheit.

      „Meine Person, Richterperson und unabhängiger Schlichter, besteht aus Err’Htaka Thkrrr Krrrtheyyrrh, Abgesandter des Planeten Thyrrrrtkttrrrh.“ Er verbeugte sich kurz und seine blassblaue Glashaut flackerte abermals kurz grün auf. Er war eindeutig verlegen. Wie süß.
      „Die Geschworenenbank wird gestellt aus…“ Dramatische Pause. Jetzt mach es nicht so spannend. „Erstens: Zrr#kll-tbb, Abgesandter des Planeten Krrrzbblbbbtbb.“ (Hierbei muss gesagt werden, dass er statt dem „#“ ein Geräusch machte, das wie etwas zwischen Glucksen, Röcheln und einem kaputten Ionenantrieb klang. Ich weiß nicht, wie ich das ausschreiben soll, ich hatte schon genug Probleme mit dem Planeten. Himmel, sind denn Vokale total aus der Mode gekommen?) Bei der Vorstellung zeigte er auf ein kleines, vielleicht zwei Kriis große Wesen, das nur aus einem schleimigen Körper mit einigen Stummeltentakeln und einem riesigen Auge zu bestehen schien. Dieses gluckste vergnügt und murmelte etwas wie „angenehm“ oder so etwas.
      „Zweitens: Erateyklasey, Abgesandter des Planeten Syyyyythkryshey.“ Er deutete auf ein seltsames Gewusel aus allerlei geometrischen Figuren, die gleichzeitig zwei-, drei- und vierdimensional unterwegs zu sein schienen und sich ständig verschoben, während sie im Inneren des Gebildes immer wieder kurz zwei kleine, obsidianschwarze Punkte enthüllten. „Bringen wir es hinter uns“, sagte es. Das heißt, eigentlich übersetzte der Roboter die Formwandlungen der Entität in unsere Sprache und beschoss mich mit einer Schallkanone damit. Aber da in diesem Gerichtssaal sowieso nur vier oder fünf Wesen Schallwellen zur Kommunikation benutzten, machte man sich über so etwas am Besten gar nicht erst Gedanken. Erateyklasey fuhr ein kleines, wütendes rotes Dreieck aus und gab das Wort zurück an Err’Htaka.
      „Drittens: Ck-sss, Abgesandter des Wolkenplaneten Zzzsss.“ Er deutete auf eine unklare Nebelwolke, die über dem dritten Geschworenenstuhl schwebte. „Ich bin mir sicher, wir werden eine Einigung finden“, summte Ck-sss mit wohl tönender Stimme. Und nein, ich weiß nicht, wie die Wolke das dem Roboter mitteilen konnte. Ich sagte ja, am Besten gar nicht darüber nachdenken.
      „Viertens: D2FDeltaern-32Omega, Abgesandter der Maschinenwelt.“ Eine kleine Diode leuchtete auf dem Rücken des Roboters auf und machte damit auch den stumpfsinnigsten Anwesenden klar, wer gemeint war. Spontan reagiert der Roboter. „Definition positiv. Erwartung einer allgemein akzeptablen Lösung bei 82%, Tendenz steigend.“
      „Fünftens: Derdereya, Abgesandte der Elementaristengilde.“ – „Ich bin sehr erfreut.“ Diese Stimme kam ganz offensichtlich von einer Metallplatte, die auf ein Gestell geschraubt war, um sie am Umfallen zu hindern. Die Metallplatte zeigte anscheinend das grobschlächtige Gesicht einer Frau, das im krassen Gegensatz zur feinen, fast gläsernen Stimme stand, zwei Edelsteine dienten als Augen, ein rautenförmiges Drahtgitter als Mund. Lautsprecher? Keine Ahnung.

      Wieder einmal räusperte sich Err’Htaka. „Die zehn Teilnehmer des Betroffenen Auditoriums bestehen aus diversen Wesen aus Welten der galaktischen Föderation. Dieses sind, von links nach rechts von den Zuschauern aus gesehen, Chchillkrrcha, Abgesandter der Chhhheilllkrachll.“ Ein Wesen, das nur aus einem schwebenden Metallrohr zu bestehen schien, aus dessen unterem Ende Flammen stoben, verneigte sich kurz, was bei einem Metallrohr natürlich etwas seltsam aussah, und sprach kurz mit metallischer Stimme. „Ich fühle mich geehrt, hier sein zu dürfen.“
      „El’oin-getarr-eoia-dr’eeeiona-aggar-errieona-aaeiaoia vom Volk der Monodimensionalen Föderation. Ehm…. Ist es ihnen Recht, wenn wir sie zur Vereinfachung El’oin nennen?“ Er wandte sich an das zweite Wesen von links, das nur aus einem endlos langen, verwickelten, schwebenden Faden bestand, der in einer Ebene lag, egal, wie man auf das Wesen blickte. Seltsam. „Das ist mir durchaus in einem, wenn auch nicht angenehmen Zustand befindlichen, doch der Notwendigkeit bewussten, Zustand gelegen, da mir durchaus zur Bewusstsein gelangten Gesamtsituation gereicht, dass mein Name einen der Allgemeinheit durchaus ungewohnt auszusprechenden Zustand haben könnte oder auch nicht.“ Die Stimme war rauchig und irgendwie schleppend, und ich war froh, nicht über die Kommunikationsweise des Fadenwurms nachdenken zu müssen.
      „Weiterhin bestehend aus ‚Dem Blob’, einem Zellkonglomerat aus den metaphysischen Laboren Merragons. Zur Erläuterung an die Anwesenden: Diese Lebensform hat streng genommen das monozelluläre Stadium noch nicht verlassen. Daher ist sie an eine elektromagnetische Ableseeinheit angeschlossen, die in der Lage ist, die hauptsächlich vorherrschende Tendenz innerhalb der Zellkultur abzulesen und als Meinung auszugeben.“
      Er deutete auf einen Glaskasten, in dem eine kleine, schleimige Masse lag. An den Glaskasten war ein kleines Messgerät angeschlossen. Aus der Box tönte kurz das Wort „Hunger.“ Na toll.
      „Tesla, Abgesandte der Tesloiden Metamorphoten und Hauptanklägerin. Sie wird später eine Historie der Anklage verlesen.“ Er nickte einer Metallspule zu, in und um die herum immer wieder kleine elektrische Entladungen zuckten. Anscheinend bestand diese Lebensform aus einem magnetischen Feld. „Richtig.“ Anhand der Entladungen, die beim Klang der sanften Stimme zusätzlich über die Spule huschten, konnte man diese Vermutung belegen.
      „Nächstes Mitglied ist… ehm… wie spricht man das aus?“ Verwirrung spiegelte sich auf Err’Htakas Gesicht. Plötzlich ertönte ein lautes, schmerzhaftes Sirren durch den Raum, das offensichtlich vom nächsten Betaudi kam. Ich hielt mir die schmerzenden Ohren zu, bis das Sirren aufhörte. „…vom Volk der Kriegersterne!“, schnarrte eine unangenehm hohe Stimme, die von einem kleinen, in allen Farben schillernden Gebilde kam, das einem Stern ähnelte, aber lange, spitze Stacheln in alle Richtungen ausgebildet hatte. „Und ich hoffe, dass diese Verhandlung mit etwas Arbeit für uns endet!“ Err’Htaka hielt sich ebenfalls mit schmerzverzerrtem Gesicht seine Ohren. Thyrrrrtkttrrrher waren etwas empfindlich gegenüber hohen Tönen. Er räusperte sich wieder einmal und rang sich ein süßliches Lächeln ab. „Das wird sich zeigen, Abgesandter der Kriegersterne. Ich wäre froh, sie so bezeichnen zu können, um die akustische Gesundheit unserer Teilnehmer sichern zu können.“ – „Das wäre durchaus ein nicht allzu unbegrüßenswerter Zustand, den man erreichen wollen könnte“, schaltete sich El’oin, der Fadenwurm dazwischen. Mit einem leisen Brummeln sank der Fiepsestern etwas tiefer.
      Err’Htaka seufzte leise. „Weiterhin Gloin und Gloirn, Abgesandte der Globolidenkultur.“ Die beiden Schleimkleckse, die mir vorhin schon aufgefallen waren, hüpften aufgeregt auf und ab, wobei sie ein paar schillernde Blasen ausstießen. „Es ist mir eine Ehre, hier sein zu dürfen, um diese Rüpel in ihre Schranken zu weisen! Dieser Planet ist einfach nur eine Schande, es hätte längst etwas dagegen getan werden müssen, aber…“ Sofort schaltete sich die Übersetzungsroutine ein, anscheinend kommunizierten sie über Blasen. Und zwar sehr ausführlich. „…aber wie meine Schwester Glirn schon immer sagte, geh gestern zur metagalaktischen Föderation und vielleicht kriegst du übermorgen das, was du gar nicht wolltest, aber ich sag immer, Glirn, du siehst das zu schwarz, aber…“

      „Weiterhin…“, unterbrach Err’Htaka die Schleime mit erhobener Stimme und einem schneidenden Unterton, der die beiden Kleckse sofort zusammensinken ließ, „ein Abgesandter der zu verurteilenden Rasse.“ Ein leises Raunen ging durch den Raum, als sich alle Köpfe oder zumindest das jeweilige Äquivalent dessen auf das Wesen richteten, das drei Sitze rechts von mir saß. Es sah wirklich komisch aus, etwas kleiner als Err’Htaka und etwas stämmiger, was zugegebenermaßen bei dem schlaksigen Richter nicht allzu schwer war. Seine Haut war irgendwie seltsam farblos, zwei stechende Augen musterten ruhig, aber interessiert alle Anwesenden und er machte keine Anstalten, irgendetwas zu sagen. Wie Err’Htaka hatte er Haarauswüchse, dafür am anderen Ende des Körpers und wie es schien, unbeweglich. Der größte Teil des Körpers war allerdings in dunkle Stoffe gehüllt. Ich war zugegebenermaßen ein wenig überrascht, wie ruhig dieser Menschling dort saß. Wusste er vielleicht nicht, was seinem Planeten drohte? Oder verstand er es nicht?
      Nach einer kleinen Pause kam von Err’Htaka das obligatorische Räuspern, bevor er fortfuhr mit „Rrung-a’e-sadtred, der leider aufgrund seiner schieren Größe nicht persönlich anwesend sein kann.“ Zwei Sitze neben mir lag tatsächlich nur ein Holoprojektor, der ein wenig idyllisches Bild projizierte. Man sah ein weites, stürmisches Meer unter einem düsteren Himmel, in dem ein Wesen schwamm, dessen Größe nur schwer einzuordnen war, da jeder Bezugspunkt fehlte. Drei Tentakeln ragten aus einem kreisförmigen, kleinen Körper mit einem großen, schwarzen Auge in der Mitte. Plötzlich strahlten aus dem Auge mehrfarbige Lichtstrahlen und der Übersetzer sprang an. „In meinen Gedanken bin ich bei euch, meine Freunde. Wir werden dies zu einem für alle zufrieden stellenden Ende bringen.“

      „Dann, ein Mitglied namens… eh… XB-kihsigy’h. Ist das richtig?“ Der seltsame Kasten neben mir, in dem alle möglichen Drähte verliefen, fiepte kurz und sagte dann mit deutlich vernehmbarer Stimme „û-p’ÔJyS“. Eine peinliche Stille herrschte kurz im Raum, bis Err’Htaka leise „Bitte?“ nachfragte. „-vElujC! Áìbiü’Uä üPtE-Öi ia.“, sagte der Kasten etwas nachdrücklicher.
      Err’Htaka warf einen Hilfe suchenden Blick in die Runde und beschloss dann, das als Zustimmung gelten zu lassen. „XB-kihsigy’h ist ein neuartiger Organismus, ebenfalls aus Merragons Laboren, beruhend komplett auf Zufallslogarithmen. Vielleicht ist das der Grund, warum der Übersetzer nicht greift…“ – „Sie meinen, er setzt diese Wörter aus Zufallsbuchstaben zusammen?“ Die leicht globberige Stimme von Zrr#kll-tbb unterbrach ihn aufgeregt. „Positiv“, warf der Roboter Delta ein. „Die Gesamtverteilung der Vokal-, Konsonanten- und Betonungslaute entspricht mit einer 96%igen Wahrscheinlichkeit einer normal bedingten Absolutverteilung.“
      Schüchtern schaltete sich das Röhrenwesen Chchillkrrcha ein. „Das bedeutet also… er hat unserer Diskussion nichts wirklich Weiterführendes beizutragen, oder?“ – „Das könnte man durchaus als richtig beurteilten Zustand akzeptieren“, warf die schleppende Stimme El’oins ein. „Aber wie uns allen bestimmt als momentan bewusst gelernten Zustand geläufig ist, werden die hier in diesem Raum als anwesend definiert werden könnenden Entitäten durch einen als zufällig gelten lassen könnenden Prozess ausgewählt, sodass aus allen denkbaren und potentiell als existent geltenden und bekannten Wesensrassen eine als gleichermaßen vorhandene Chance gegeben sein könnte, eventuell oder auch nicht, hier in diesem Raum zu erscheinen.“
      Peinliche Pause.
      „Das bedeutet also, ein Zufallsprinzip wählt aus allen Rassen des Universums die Juroren aus.“ Die sanfte Stimme Rrung-a’e-sadtreds ertönte, während er einen Strahl bunter Farben abschoss, der natürlich durch das Hologramm nicht annähernd so eindrucksvoll wirkte, wie es in Wirklichkeit gewesen wäre. „Aber ich denke, darüber kann man hinwegsehen, denn soweit ich das sehe, sind noch andere Anwesende nicht unbedingt zur Meinungsfindung geeignet, nicht wahr, Blob?“
      Die Aufmerksamkeit konzentrierte sich kurz auf den Zellhaufen, der leicht globberte und dann deutlich vernehmbar abermals das Wort „Hunger“ äußerte. Sofort schalteten sich die beiden Globoliden ein. „Also, ich möchte ja nicht mit diesem Vieh verwechselt werden, obwohl wir alle eine eher gelatinartige Struktur teilen, aber nichtsdestotrotz bin ich doch überzeugt, diesem Blob an intellektueller Struktur weithin überlegen zu sein, vielleicht nicht von der Kultur her, wenn ich da an meinen Vetter denke, der hat auch immer nur Essen im Kopf, aber dann…“

      Der Redeschwall wurde unterbrochen von einem hellen Sirren, nicht so fies wie der Name des Kriegersterns, aber doch die Aufmerksamkeit auf sich ziehend, das Sirren, dass Err’Htaka schon anfangs zur Sammlung der Konzentration gebraucht hatte. Sichtlich genervt hob er die Arme. „Bitte, geehrte Entitäten, lassen sie uns doch zum eigentlichen Grund unseres Hier seins schreiten. Lassen sie bitte Vernunft walten.“ Er machte eine kurze dramatische Pause und fuhr dann fort. „Die Verhandlung wird nach einem folgenden Prinzip ablaufen. Ich werde die Anklage verlesen und Hauptklägerin Tesla wird die Historie des Verbrechens ausbreiten. Wenn alle Fakten vorhanden sind, müssen ich sowie die Geschworenen sowie der Großteil aller Juroren des Beteiligten Auditoriums zu einer einhelligen Meinung gelangen. Der Vertreter der angeklagten Rasse“, er nickte dem Menschling zu, „hat jederzeit die Möglichkeit, eine Erklärung abzugeben, die allerdings von allen redeberechtigten Anwesenden kommentiert werden darf. Das… ist eigentlich alles. Gibt es Fragen?“
      „Ja.“ Die sanfte Stimme Ck-sss, des Wolkenwesens, schaltete sich erstmals ein. „Wir haben offensichtlich zwei Mitglieder unter uns, die zu keiner klaren Äußerung bezüglich des Falls in der Lage sind. Wie werden sie in der Meinungsfindung des Auditoriums behandelt?“
      „Sie werden ignoriert!“ Mit einem unangenehmen Surren schnappte der Kriegerstern dazwischen. „Paragraf dreiundzwanzig. Das heißt, wir brauchen eine sechs zu zwei Mehrheit, um die Vernichtung des Planeten zu beschließen. Da dieser Verbrecher dort“, sein Körper ruckte zum immer noch still vor sich hin starrenden Menschling herüber, „natürlich gegen die Vernichtung seines Planeten stimmen wird, dürfte nur einer von uns so dumm sein, dagegen zu stimmen. Also bringen wir es hinter uns.“ – „Aber, aber, Kriegerstern, du tust so, als wäre das schon beschlossene Sache…“ Derdereya, die Dame in der Metallplatte, hatte ganz deutlich Spott in der Stimme liegen. „Warte einfach ab. Die Zukunft bringt mehr, als du erfassen kannst.“ – „FöörQxqWüWb!“ Die Stimme des Zufallsgenerators klang deutlich erbost, machte aber nach wie vor keinen Sinn.
      Ein leises, polterndes Lachen Rrung-a’e-sadtreds unterbrach die Zankhähne. „Nur die Ruhe… lasst Err’Htaka doch erst einmal anfangen.“ Dieser lächelte dem Wasserbewohner dankbar zu. „Hab Dank, Rrung-a’e-sadtred. Aber vorher: gibt es weitere Fragen?“ Er ließ ein paar Sekunden verstreichen, dann nickte er. „Gut.“ Dass in der ganzen Aufregung völlig vergessen wurde, den zehnten Juroren, mich, vorzustellen, war mir nicht ganz unrecht.

      Mit einer leichten, aus dem Handgelenk kommenden Bewegung aktivierte Err’Htaka einen Monitor, der die Sicht auf den Planeten teilweise überdeckte und sofort… ein Bild des Planeten zeigte. Na toll. Das war sinnvoll.
      „Die Anklage betrifft die gesamte Rasse der Menschlinge, Habitat dritter Planet im Sternensystem Xeeo-24422-Kryint. Die Anklage beläuft sich auf Bedrohung der intergalaktischen Gemeinschaft im Sinne von Frieden und Koexistenz. Diese Bedrohung kommt zustande durch einen erhöhten Ausstoß an metallischem Müll in andere Gebiete der Galaxis sowie aus einer grundsätzlich übermäßig kriegerischen Grundhaltung und einer strengen Ablehnung allen Unbekannten gegenüber. Unbelehrbarkeit und die grenzenlose Ausbeutung aller Ressourcen im Umfeld gepaart mit dem Drang, sich immer weiter auszubreiten sowie die mögliche Technik, in den Weltraum vorzudringen, begründen die Gefahr für die intergalaktische Gemeinschaft. Sogar die metagalaktische Föderation ist durch einen exorbitant hohen Ausstoß an negativen Emotionen wie Hass, Neid, Missgunst, aber vor allem Arroganz, Selbstherrlichkeit und Egoismus und einer grenzenlosen Dumpfheit und Abgestumpftheit bedroht. Der Ausstoß dieser negativen Energien hat inzwischen ein Maß erreicht, der die Errichtung eines Schutzwalls in der fünften Dimension nötig gemacht hat und sogar diesen bereits anfängt zu zerfressen. Die metaemotionale Gesellschaft für astrale Transressourcen hat bekannt gegeben, dass sie nicht in der Lage sind, einen zweiten, stärkeren Wall zu errichten.
      Verteidigend muss gesagt werden, dass es bereits ansatzweise Versuche einzelner Menschlinge oder kleiner Gruppierungen gibt, diese Entwicklung aufzuhalten, auch wenn diese meist aus undurchsichtigen, eigenen Interessen angetrieben werden oder sich innerhalb kürzester Zeit wieder auflösen. Ich gebe das Wort hiermit an die Hauptanklägerin, Tesla aus dem Volk der Tesloiden Metamorphoten. Gibt es Anmerkungen?“

      Eine drückende Stimmung hing in der Luft des Gerichtsraums. Mit einer solchen Anklage hatte niemand gerechnet, offensichtlich nicht einmal der Kriegerstern. Die Chancen für den Planeten schienen grandios gesunken zu sein, zumal das Plädoyer der Klägerin ja noch ausstand. Erateyklasey, das geometrische Klappkonstrukt, fand als erstes seine Stimme wieder. Oder… das Entsprechende. „Das ist eine… unglaubliche… das ist… Err’Htaka, seid ihr sicher, dass die Schilderung dieser Zustände eine neutrale Schilderung ist? Es klingt für mich wie ein Plädoyer der Klägerin!“ Tesla, deren Spule gerade von Err’Htaka nach vorne zum Rednerpult getragen wurde, schnaubte leise. „Dann warte einmal die Verlesung der Anklage ab.“ – „Positiv.“, meldete sich Delta zu Wort. „Zustandsbeschreibung zu 98,5% korrekt, Restungenauigkeit bedingt durch Rundungsfehler der Übersetzungsroutinen und Unzulänglichkeit der Sprache organischer Wesen.“
      Eine noch drückendere Stimmung senkte sich über den Gerichtssaal nieder. Nach einer Weile, in der niemand wagte, etwas zu sagen (wenn man von einem leise gemurmelten „eqsF í –ÌûßÀfvì“ seitens XB-kihsigy’hs absieht) erhob Tesla das Wort. Jetzt erschien auf dem Bildschirm ein behaartes Wesen, das entfernt dem Menschling ähnelte. Tatsächlich, ihn hatte ich in der ganzen Zeit völlig vergessen. Aber immer noch blickte er aus seinen stechenden Augen umher, einen Juroren nach dem anderen fixierend. Er hatte als Einziger noch kein einziges Wort gesagt. Aber… irgendwie sahen seine Augen anders aus als vorher. Trauriger. Vielleicht verstand er ja doch, was gesagt wurde.

      „Die menschliche Rasse entstand, anders, als ihre so genannten Gelehrten es verkünden, bereits vor mehreren hunderttausend Jahren.“ Teslas ruhige, angenehme Stimme riss mich aus meinen Gedanken und ich wandte mich dem Bildschirm zu, auf dem das behaare Wesen durch eine Savannenlandschaft tollte. „Durch Vorgänge, die hier nicht weiter wichtig sind, war die metagalaktische Föderation gezwungen, die Entwicklung der menschlichen Rasse zurückzudrehen, sodass vor einigen zehntausend Jahren die Entwicklung von vorne begann. Wir hatten damals die Hoffnung, dass sich im zweiten Anlauf diese Rasse besser entwickeln würde, allerdings war dies eine herbe Enttäuschung. Von früher Entwicklung an war die Natur der Menschlinge auf Krieg ausgelegt, ja, fast die gesamte Technologie der Menschlinge beruht auf Kriegsprodukten, sei es die Metallverarbeitung oder das moderne Kommunikationssystem, das sie drolligerweise ‚Internet’ nennen.“ Zwei oder drei Anwesende lachten leise, aber mir und dem Rest der Anwesenden entging der Witz offensichtlich.
      Der Bildschirm schaltete jetzt um und zeigte eine primitive Stadt der Vorzeit. Tesla fuhr fort. „Ich möchte mich nicht weiter damit aufhalten, die unzähligen Kriege der Menschlinge zu beleuchten, die im Lauf der Jahrtausende ihre Kultur immer wieder erschütterten, so man denn für sie das Wort Kultur gebrauchen möchte. Prinzipiell war es immer dasselbe: Unfähig, ein harmonisches Gleichgewicht mit ihrer Umgebung zu entwickeln und immer nach mehr Besitz und Einfluss strebend, brachen sie stets einen Krieg nach dem anderen vom Zaun, ging es nun um Beute, Landbesitz oder Machtdemonstrationen. Da wir wussten, wo dieser Zustand über kurz oder lang hinführen würde, entsandten wir Gesandte aus unserem Volk auf diesen Planeten, um den Menschlingen ein paar neue Gedanken einzugeben.“
      Erateyklasey räusperte sich kurz und schob eine blassblaue Raute nach vorne, während mehrere grünrot gestreifte Vielecke im Inneren verschwanden. „Wie sahen diese Gesandtenmissionen aus?“ – „Das würde mich… auch sehr interessieren“, stimmte Chchillkrrcha, das Metallröhrenwesen, zu.

      Tesla seufzte und gab ein knackendes Geräusch von sich. Der Bildschirm schaltete um und zeigte offensichtlich von Aufklärungstransportern stammende Bilder aus dem Leben verschiedener Menschlinge.
      „Sie nahmen Besitz von den Körpern diverser frisch erzeugter Menschlinge und lebten ihr Leben als, wenn man so will, religiöse Führer. Es gab viele Versuche, und sie alle scheiterten an der Engstirnigkeit der Menschlingen.“ Verbitterung sprach aus ihrer Stimme.
      „Wie ist das gemeint? Engstirnigkeit?“ Zrr#kll-tbb gluckerte neugierig vor sich hin.
      Tesla zögerte kurz und fuhr dann leise fort. „Trallong. Von seinem Wesir umgebracht und im Schatten der menschlichen Geschichte versunken. Gilgamesch. Durch die Zeit als kriegerischer Held verklärt, der im Endeffekt Brutalität als erfolgreichen Konfliktlöser empfiehlt. Iesus. Von der Priesterklasse verfolgt und zu Tode gefoltert, seine Botschaft falsch niedergeschrieben und später von den Herrschenden verfälscht und zensiert, um ihren Zielen zu dienen. Mohammed. Größtenteils völlig fehl interpretiert, diente als Rechtfertigung unzähliger Grausamkeiten, Unterdrückungen und Kriege. Morgana. Von Priestern umgebracht, als böse Zauberin verklärt und verdammt.“ Der Bildschirm zeigte abwechselnd Bilder von gefolterten Menschlingen, einen langhaarigen Menschling, den man an ein Kreuz geschlagen hatte und Kriege der Menschlinge gegeneinander. „Ironischerweise wurden dabei meist die verfälschten Niederschriften der Botschaften unserer Gesandten verwendet, um die niederen Menschlinge von einem Krieg in den nächsten zu treiben. Neben Gier und Neid wurde jetzt auch noch Intoleranz zu einem Kriegsgrund, als es Menschlinge nicht mehr ertragen konnte, dass andere Menschlinge einer anderen Niederschrift ihren Glauben schenkten als sie selbst.“

      Nun, ich gebe zu, das hat selbst mich ein wenig überrascht. Bei den wenigen Wesen mit Gesichtern konnte ich sogar grenzenlose Verblüffung darin lesen, Erateyklasey rotierte nervös-ungläubig mit ein paar blauen Kreisscheiben, nur der Menschling starrte immer noch düster-melancholisch auf den Bildschirm. Seltsames Volk. Wirklich seltsam.

      „Tesla, ich habe eine Frage.“ Derdereyas leise Stimme durchbrach die betroffene Stille. „Wenn die Gesandten anscheinend… alle irgendwie getötet wurden… was passierte mit ihnen?“
      Tesla seufzte abermals. „Die meisten konnten natürlich dem Planeten als Seelenform entfliehen, einige kehrten zurück, um es noch einmal zu versuchen. Aber einige wurden auch vernichtet, wie zum Beispiel vor knapp dreitausend Jahren.“ Man hörte plötzlich, dass das Reden ihr zunehmend schwer fiel, und hätte sie einen Körper, hätte sie wohl schwer geschluckt.
      „Vor etwa dreitausend Jahren, die Menschen waren wieder gerade einmal in einen der Religionskriege verwickelt… Einer der Gesandten konnte seinem menschlichen Körper nicht entfliehen, da sich die Tesloiden zu diesem Zeitpunkt im unfreiwilligen Konflikt mit… einer anderen Rasse befanden und diese Rasse es für ihre Zwecke dienlich befand, unsere Botschafter auf anderen Planeten festzuhalten.“ Teslas Stimme hatte einen unverkennbar scharfen Ton angenommen. Plötzlich leuchtete der Kriegerstern in allen Farben auf und rotierte um die eigene Achse. „Tesla, ihr wisst genau, dass die Kriegersterne damals nur ihre Befehle von Stellum Interdictum befolgten! Ein Soldat muss tun, was ein Soldat tun muss, und unser Geschäft ist nun einmal die gezielte Zerstörung. Ganz anders als diese Massaker-Haltung dieser verachtenswürdigen Menschlinge! Warum kürzen wir das nicht ab und geben einfach den Auftrag an die Kriegersterne, den Planeten aus dem Weg zu räumen? Dann wäre alles fertig und wir könnten nach Hause.“ – „Genau“, schalteten sich die beiden Globoliden Gloin und Gloirn wieder ein. „Zu Hause ist bestimmt schon Essen fertig und außerdem hat in wenigen Tagen meine Cousine Geburtstag und dieser Planet scheint wirklich abscheulich zu sein und ich bin der Meinung, dass man so eine Bedrohung der Galaxie nicht einfach dulden kann, außerdem ist ja sowieso die Entscheidung schon fast gefallen und…“

      „Ich war noch nicht fertig!“ Teslas scharfe Stimme unterbrach die Globoliden und auch der Kriegerstern sank eingeschüchtert etwas nach unten. Eine unangenehme Stille senkte sich über den Raum. (Die wievielte eigentlich? Ich habe bei drei aufgehört zu zählen.) Err’Htaka räusperte sich leise. „Bitte fahr fort, Tesla.“ Rrung-a’e-sadtred stimmte ihm mit einem tiefen Brummen zu. „Ich möchte auch wissen, was geschehen ist.“
      Tesla schien tief durchzuatmen und fuhr fort. „Wie gesagt wurde Tshule, der jeweilige Abgesandte, auf dem Planeten festgehalten. Er schaffte es zum Glück, sich in eine Notspule zu retten, um sein magnetisches Feld aufrecht zu erhalten. Durch Dummheit und Überheblichkeit berührte allerdings einer der Menschlinge diese Spule und…“ Ihre Stimme versagte.
      Err’Htaka führte den Satz zu Ende. „Und die Energie Tshules fuhr in den Menschen hinein und wurde dadurch ausgelöscht.“ Tesla seufzte leise. „Ja. Tshule… stand mir sehr nahe.“ Err’Htaka räusperte sich abermals. „Ich glaube, die Menschen haben die Erinnerung daran bewahrt. Sie nennen die Spule die ‚Bundeslade’.“ – „Ja.“ Teslas Stimme zischte vor Wut, das war hörbar. „Und sie sagen, der Tod des Menschen wäre eine Strafe Gottes, ihm nahe sein zu wollen! Dadurch wurde ein Argument gegründet, mit dem noch Jahrtausende später religiöse Führer ihre Untertanen unterjochten.“
      Mit leiser Stimme mischte sich Zrr#kll-tbb wieder ein. „Tesla, was ist danach geschehen? Nach all diesen Fehlschlägen, was ist weiter geschehen?“ Tesla knackte wieder leise und das Bild auf dem Monitor wandelte sich wieder; Bilder von Menschlingen mit großen, roten Kreuzen auf der Brust, die andere Menschlinge abschlachteten, erschienen. „Nach unzähligen Versuchen, die Menschlinge zu bekehren, gaben wir schließlich auf. Nach Morganas Tod wurden unsere Gesandten offiziell von dem Planeten abgezogen, nur wenige Gesandte wollten freiwillig bleiben, aber inzwischen sind es nur noch zwei oder drei, die immer und immer wieder Menschlingleben nach Menschlingleben durchleben und immer wieder vergeblich versuchen, dieser Rasse etwas beizubringen. Dh’Aley’llarma beispielsweise.“

      Tesla hatte sich inzwischen deutlich gefangen und sprach wieder mit kräftiger Stimme weiter. „Die Menschlinge lernten nie etwas dazu. Jedes Mal, wenn sie sich beinahe selbst ausgerottet hatten, fingen sie wieder an, alles so aufzubauen, wie es vorher gewesen war. Leider ist in den letzten zweihundert Jahren ein überdurchschnittlich hoher Technologiezuwachs zu beobachten, der sich in zwei für uns kritischen Zweigen niederschlägt. Zum einen ist dies die Weltraumtechnik, die an sich ja kein Verbrechen darstellt. Auch die gelegentlich von den Menschlingen stammenden Metallklumpen, die auf bewohnte Planeten stürzen, können durch Unwissenheit entschuldigt werden, zumal bisher kein größerer Schaden entstand.“
      Rrung-a’e-sadtred brummte, es klang fast amüsiert. „In der Tat. Ich wurde gerade vor ein paar Kteeli von einer Gerätschaft der Menschlinge getroffen. Nicht, dass es mir etwas ausgemacht hätte.“ Er lachte und gab ein eigenartiges, glucksendes Geräusch von sich. „Natürlich nicht!“ Gloin und Gloirn glühten tiefblau auf. „Bei einer dermaßigen Größe ist das ja auch kein Wunder. Aber sollen wir warten, bis ein von kleineren Wesen bewohntes Gebiet getroffen wird? Ein Volk wie wir könnte durch einen solchen Einschlag vollkommen ausgelöscht werden!“
      Zustimmendes Gemurmel wurde laut und selbst XB-kihsigy’h ließ sich zu einem enthusiastischen „ä-jtwSKQk!“ hinreißen.
      Mit etwas lauterer Stimme fuhr Tesla in ihren Erklärungen fort. „Viel gravierender wiegt allerdings die Tatsache, dass der wissenschaftliche Fortschritt der Menschheit nicht nur die Weltraumtechnik, sondern in ganz besonderem Maße auch die Waffentechnik erfasst hat. Innerhalb der letzten zweihundert Jahre ist in der menschlichen Waffenentwicklung mehr Fortschritt zu erkennen gewesen als in den zwanzigtausend Jahren davor.“
      Auf Deltas Körper leuchtete eine kleine, blaue Lampe auf. „Eine genaue Steigerung von 1852,3% Entwicklungspotential auf der intergalaktischen Technologieskala, um genau zu sein. Dieses allerdings kombiniert mit einer exponentiell wachsenden Hortung der neuartigen Waffensysteme und der damit unkontrolliert wachsenden Gesamtmenge von Vernichtungskapazität.“ Delta spuckte einen kleinen Zettel aus und die blaue Diode über dem Auswurfschacht erlosch wieder.
      „Bereits jetzt bunkern die Menschlinge genug Vernichtungspotential auf ihrem Planeten, um diesen mehr als zweitausend Mal komplett zu vernichten.“

      El’oin gab ein verstehendes Keuchen von sich. „Das bedeutet also, dass der Zustand, in dem dieser sich im Kern unserer Betrachtung befindliche Planet aufhält, einer nicht als akzeptabel zu bezeichnenden Zustandsbezeichnung entspricht, insofern, dass die soeben Teil der Gesamtbetrachtung gewesene Tatsache der im Begriff des raschen Fortschreitens seienden Weltraumtechnologie in Analogie zu der ebenfalls in einem im Begriff des nur noch als in einem besorgniserregenden Zustand seienden zu bezeichnenden Fortschreitung der Entwicklung der Technologie, die sich auf Waffen zu spezialisieren geneigt hat, zusammen einen Gesamtzustand eventuell heraufbeschwören könnte, der nur noch als katastrophal bezeichnet werden könnte!“
      Der Kriegerstern gab ein schnarrendes Geräusch von sich, das irgendwie höhnisch klang. „Ich glaube, was unser verschlungener Freund uns hier sagen will, ist, dass die Weltraumtechnologie zusammen mit der Waffentechnologie ein sehr beunruhigendes Gespann ergibt. Sobald diese Menschlinge also ein bestimmtes Maß der Weltraumfahrt erreicht haben, werden sie anfangen, ihre Kriege auf andere Planeten und in andere Sternensysteme zu tragen.“
      „Was gerade dir bestimmt nicht unbedingt ungelegen käme.“ Erateyklasey schnaubte kurz und funkelte den Kriegerstern mit einigen dunkelblauen, spitzwinkligen Dreiecken an.

      Err’Htaka hob beruhigend die Hände und räusperte sich. Natürlich. „Liebe Juroren und Geschworene, beruhigen sie sich doch bitte… El’oin hat vollkommen Recht, ein dermaßen bedrohliches Zusammenspiel ist absolut inakzeptabel für den intergalaktischen Frieden.“
      Tesla stimmte dem zu. „Zu der Technologie kommt leider noch die absolute Unbelehrbarkeit der menschlichen Rasse sowie die angeborene Aggressivität und Unersättlichkeit ihres Seins. Hundert, vielleicht zweihundert Jahre gebe ich dieser Rasse noch, dann werden sie Krieg und Verderben in die Galaxie tragen und damit sind sie ein untragbares Risiko in unserer Mitte.
      Daher lautet mein Antrag als Klägerin gegen die Menschheit: Ich fordere die Zerstörung jeglichen Lebens auf dem fraglichen Planeten, weiterhin die Auslöschung jeglicher so genannten kulturellen Errungenschaften, die dadurch nicht betroffen werden, wie Satelliten, Raumstationen und weitere. Der Planet soll als kahle Wüste zurückgelassen werden und als Mahnmal für nachfolgende aufsteigende Kulturschaffende.“ – „Zugestimmt!“ Kaum hatte Tesla geendet, schnappte der Kriegerstern auch schon seine Zustimmung in den Raum. Auch Chchillkrrcha seufzte tief. „Ich glaube, bei der erdrückenden Beweislage schließe ich mich diesem Plädoyer an. Ich bin nicht gerne für die Auslöschung eines ganzen Planeten zuständig, aber die Gefahr für uns alle ist einfach viel zu groß. Ich möchte aber, wenn das in Ordnung ist… gerne beantragen, dass es wenigstens schnell geht.“
      Ein paar Sekunden lag drückende Stille über dem Raum, dann erhob Erateyklasey das Wort. „Stimmen die genannten Daten denn überhaupt? Delta, wie lange wäre das Universum noch sicher?“
      Sofort fing der Roboter an, zu rattern, ein paar Dioden leuchteten auf und schließlich verkündete er das Ergebnis mit teilnahmsloser Stimme. „Positiv. Bei fortschreitender Entwicklung der Waffentechnologie, Bevölkerungsdichte und weiterer Probleme und der genauen Analyse der menschlichen Psychologie werden die Menschlinge die Galaxis zu einer Wahrscheinlichkeit von 99,75% innerhalb der nächsten 150 bis 170 Jahre in einen Krieg verwickeln, der die Ausdehnungsstufe Gamma auf der metagalaktischen Konflikttabelle erhalten würde.“

      Die Anwesenden schnappten nach Luft und selbst mir war nicht ganz wohl zumute. Etwas kritisch linste ich zu dem Menschling hinüber, der immer noch einfach nur da saß, nichts sagte und nur… beobachtete… Himmel, was hatten wir da für ein Monster an Bord geholt? Vielleicht hatte er etwas in der Hinterhand und wartete nur darauf, uns alle zu vernichten? Vielleicht sollte ich dann ja auch…
      „Ergo Zustimmung des Antrags erteilt.“ Deltas robotische Stimme riss mich aus meinen Gedanken. „Ich schließe mich ebenfalls an.“ Derdereya hätte wohl düster genickt, wenn sie das gekonnt hätte.
      Err’Htaka seufzte tief. „Es fällt mir nicht leicht, das hier… so… zu entscheiden, aber die Eigenschaften der Unbelehrbarkeit, Arroganz, Kriegslust und Unbarmherzigkeit scheinen wirklich ein überwältigendes Beweismaterial zu ergeben. Deshalb… schließe ich mich ebenfalls dem Vorschlag an.“
      XB-kihsigy’h warf plötzlich die Lautfolge „eoü’f- p ÔâÓ’X!“ in den Raum, was den Kriegerstern zu einem hämischen Kichern veranlasste. „Darf ich das als Zustimmung sehen?“
      „Nein, das denke ich nicht.“ Teslas eisige Stimme ließ ihn verwirrt herumfahren. „Wenn der Vorschlag angenommen wird, wonach es sehr aussieht, dann mit rechtmäßigen Mitteln. Und XB-kihsigy’h hat keine Möglichkeit, sich klar zu äußern. Die Entscheidung muss von den anderen Mitgliedern des Gerichts gefällt werden.“
      „Ich würde den Vorschlag ebenfalls als akzeptable Alternative zu einem als ultimativ zu bezeichnenden Krieg bezeichnen.“ El’oin wirbelte nervös herum, als ihn der Kriegerstern anfunkelte. „Das heißt ja?“ – „Meine Antwort als positive Resonanz zu bezeichnen, wäre eine angebrachte, adäquate Interpretation.“ – „Also ja. Globoliden, was ist mit euch?“ Die Stimme des Kriegersterns klang düster durch den Raum, und die beiden Schleimpfützen wabbelten unruhig herum. „Ich denke, es ist in Ordnung, wenn wir zustimmen, immerhin geht es ja hier um den Erhalt der ganzen Galaxie und…“ - „Noch jemand?“
      Rüde unterbrach der Kriegerstern den erneut losbrechenden Redeschwall der Globoliden und funkelte erregt mit den Spitzen.

      „Ich habe eine Frage.“ Leise drang Rrung-a’e-sadtreds Stimme durch den Raum. Err’Htaka nickte ihm zu. „Nur zu.“ Der Wasserbewohner zögerte lange, bevor er sprach. „Ich weiß, dass die Beweislast absolut erdrückend ist, aber… gibt es wirklich keine Möglichkeit, die Menschlinge zurück auf den Pfad der Tugend zu führen… so kitschig das klingen mag?“
      Tesla schnaubte nur. „Was denn noch? Wir haben ihnen Götter gesandt, Götzen, Warnungen, Versprechungen, Gurus und Heilsbotschaften. Sie haben sie alle verbrannt und ihr Andenken pervertiert. Jeder Versuch, etwas zu verbessern, hat nur noch mehr Leid und Katastrophen heraufbeschworen. Die Menschlinge sind einfach als unbelehrbar einzustufen. Daher sind alle weiteren Bekehrungsversuche von vornherein zum Scheitern verurteilt. Und ein Zurückstufen der menschlichen Technologie würde das Problem nur auf spätere Generationen verschieben. Wir müssen das hier ein für alle Mal lösen.“
      Zrr#kll-tbb schaltete sich gluckernd ein. „So ungern ich es zugebe, unter diesen Umständen… ich glaube… nun… ich glaube, ich stimme… ungern, aber ich stimme ebenfalls zu.“ Seufzend wedelte auch Rrung-a’e-sadtred mit einem seiner Tentakel. „Ebenfalls ungern, aber… ich stimme zu. Ja… ja, doch, ich stimme zu.“
      Triumphierend drehte sich der Kriegerstern um die eigene Achse. „Das macht dann… sechs Juroren, den Richter sowie vier der fünf Geschworenen. Damit fehlt nur noch ein Geschworener zum Urteil. Wie sieht es also mit dem letzten Zauderer aus?“ Seine Stimme troff vor Herausforderung und Hohn.
      Alle Blicke richteten sich auf Ck-sss, das Wolkenwesen. Er hatte, wenn man den Menschling auslässt, bisher am wenigsten gesagt.

      Ck-sss seufzte schwer. „Ich gebe zu, dass die Beweislast gegenüber den Menschlingen absolut erdrückend ist. Und ich bin äußerst ungern in der Situation, dass von mir der Ausgang der Entscheidung abhängt, aber… Ich entscheide mich noch nicht. Welches momentan die offensichtlich richtige Wahl ist, scheint so klar, dass ich daran zweifle, ob sie wirklich richtig ist.“ – „Natürlich ist sie richtig, das ist doch klar! Sieh dir doch einfach…“
      Mit einem plötzlichen Aufblähen seines Körpers schnitt Ck-sss dem Kriegerstern das Wort ab. „Bevor ich mich entscheide, möchte ich, dass der Menschling unter uns zu Wort kommt. Er hat das Recht auf ein Verteidigungsplädoyer und wenn wir entscheiden, ohne ihn angehört zu haben, dann tun wir den Menschlingen Unrecht.“
      Zustimmendes Gemurmel war die Antwort auf diesen Vorschlag. Und plötzlich fand sich der stille Menschling im Zentrum der Aufmerksamkeit wieder. Er hob nervös eine Augenbraue und versuchte sich an so etwas wie einem Lächeln. Dann nickte er, erhob sich und trat an das Rednerpult zwischen Err’Htaka und den Geschworenen. Unsicher blickte er sich um.
      Dann begann er zu sprechen und im Saal wurde es still.


      „Ich stehe hier vor euch als ein Abkömmling einer Rasse, die ihr bereits so gut wie zum Tode verurteilt habt, und… das ist ein seltsames Gefühl. Ich verstehe nicht, warum ausgerechnet ich ausgewählt wurde und warum ausgerechnet heute Abend. Ich war ganz normal auf dem Weg nach Hause, als ich aufgegriffen wurde. Ich denke auch nicht, dass ich… die menschliche Rasse gut repräsentieren kann. Ich denke nicht, dass ich sie gut vertreten werde oder im Sinne irgendjemanden da unten handeln werde, aber… das ist nicht das, worüber ich hier reden soll.

      Vermutlich sollte ich jetzt anfangen, die Menschheit zu verteidigen, mit… flammenden Worten und Pathos und all dem drum rum, aber dazu fehlt mir der Glaube in die Menschheit. Ich könnte euch erzählen von Greenpeace und Brot für die Welt und den ganzen Organisationen, die durchaus aus Überzeugung viel Gutes tun, aber ich weiß genauso gut wie ihr, dass sie doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind und dass sie bisher doch keinen einzigen Krieg verhindern konnten. Und auch den galaktischen Krieg, den ihr befürchtet, werden wenige Menschen verursachen, die noch mehr Macht wollen und viele, die dazu schweigen und die Augen verschließen.
      Ich könnte auch versuchen, die Menschheit zu verteidigen, indem ich auf ihren Status eingehe, dass wir Menschen nicht begreifen, was wir tun, dass wir schwach sind, instinktgeleitet und kurzsichtig. Das stimmt alles, aber es ist unwürdig, sich mit so etwas verteidigen zu müssen.

      Ich lebe gerade einmal zwanzig Jahre unter den anderen Menschen und was ich bisher über sie gelernt habe, ist… dass…
      Man kann mit einigen wenigen Exemplaren durchaus eine Weile auskommen und ihre Gesellschaft kann ohne weiteres auch sehr angenehm sein. Aber als Masse, als Lebensform und in ihrer Gesamtheit ist die Menschheit nicht viel besser, als Tesla es vorhin… dargestellt hat.
      Der Mensch an sich ist geleitet von seinen Trieben, unfähig, sie abzustreifen und alles, was ihn antreibt, ist, diese zu befriedigen. Hat er dies getan, weitet er seine Triebe aus und vernichtet alles, was ihm im Weg steht, um diese wiederum zu stillen. Diejenigen, die dies nicht tun, gehen unter. Die meisten Menschen geben sich mit ihrem Platz zufrieden, den sie einnehmen, tun das, was sie gesagt bekommen und glauben das, was sie glauben wollen. Sie sehen nur, was in ihr Weltbild passt und haben absolut keine Skrupel, andere für ihre Zwecke einzuspannen. Wenn man das Gesamtbild der Menschheit in seiner Geschichte und Universalität betrachtet, kann man wirklich sagen, dass… ich mich schäme, dieser Rasse anzugehören. Deshalb… werde ich nicht um eine weitere Chance oder um Gnade betteln, weil die Menschheit, wie von Tesla richtig erkannt, diese nicht zu würdigen wüsste. Nicht einmal, wenn die Menschen wüssten, was sich hier oben abspielt, würden sie ihr Verhalten ändern. Nicht einmal, wenn sie nur ein paar Jahre Gnadenfrist bekommen.
      Und dennoch… stimme ich dem Vorschlag Teslas nicht zu.“

      Der Menschling atmete tief durch. Ich konnte sehen, dass es ihm schwer fiel, hier zu sprechen, aber seine Worte waren wirklich nicht das, was ich erwartet habe.
      „Ich plädiere für eine Strafe, die weit schlimmer ist, als die Vernichtung durch die Kriegersterne. Ich plädiere auf Freispruch.“

      Eineinhalb Sekunden herrschte totale Ruhe im Gerichtssaal, dann fingen alle an, durcheinander zu reden, vor allem der Kriegerstern, der versuchte, den Menschling als geisteskrank niederzubrüllen. Aber im Großen und Ganzen herrschte Verwirrung bei allen Anwesenden, XB-kihsigy’h und den Blob einmal ausgenommen. Aber der Menschling drehte sich einfach nur zu der Leinwand und blickte auf den Planeten, der dahinter sichtbar lag. Beiläufig hob er eine Hand und ich weiß nicht warum, plötzlich war es wieder still. Und er sprach weiter.

      „Ich weiß, dass das im ersten Moment seltsam klingen mag. Aber der Freispruch ist das Schlimmste, was der Menschheit passieren könnte, glauben sie mir.“
      Erateyklaseys kritische Stimme durchschnitt die darauf folgende Stille. „Menschling, dir ist klar, dass das einer Erläuterung bedarf.“
      Der Menschling nickte. „Sehen sie auf die Erde. Meinen Planeten. Die Menschheit hat Jahrhunderte schon damit zugebracht, ihn zu Grunde zu richten. Jeder Warnung, jeder Katastrophe zum Trotz. Die Unbelehrbaren.“ Ein wehmütiges Lächeln umspielte seine Lippen. „Es mag sein, dass in hundertfünfzig Jahren ein galaktischer Krieg ausbrechen könnte. Dennoch gilt zu bedenken, dass die Menschen diesen mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit gar nicht anzetteln können. Menschen sind starrköpfig, wie vorhin bereits gesagt. Die Menschheit hat sich darauf festgelegt, dass Überlichtgeschwindigkeit unmöglich ist und ist nicht in der Lage, mehr als drei Dimensionen zu erkunden. Bisher ist es nicht einmal möglich, unseren Nachbarplaneten zu betreten und in jedem Buch über Sterne steht, wie lange man bei Lichtgeschwindigkeit bis zu dem oder dem Stern brauchen würde. Die Menschheit hat weite interstellare Reisen, von wenigen Träumern abgesehen, längst aufgegeben, und ich bezweifle, dass sich dies in einhundert oder zweihundert Jahren ändert.
      Aber die Menschheit wird niemals so lange überleben. Sehen sie sich die Beschaffenheit des Planeten an.“ Er seufzte tief.
      „Die natürlichen Rohstoffe, auf denen unser Wirtschafts- und Energiesystem basiert, reichen vielleicht noch 20 Jahre, vielleicht 30, die optimistischsten Prognosen sagen 70 Jahre. Bereits vorher wird es Knappheiten geben. Die Menschheit wird andere Probleme haben als die Weltraumfahrt, wenn erst einmal ihr Benzin zur Neige geht. Ihre Kohle. Vielleicht sogar ihr Sauerstoff.
      Sehen sie sich die Katastrophenbilanz der letzten Jahre an. Das Klima spielt verrückt. Gigantische Stürme verwüsten die Kontinente, Springfluten, Erdbeben… Es ist, als würde sich unser Planet gegen seine Ausbeutung wehren. Durch die weitere Erderwärmung wird innerhalb der nächsten hundert Jahre ein großer Teil der besiedelten Fläche verloren gehen und damit auch ein großer Teil der agrartechnisch genutzten Fläche, sprich, der Nahrungserzeugung. Die Menschen werden fliehen. Das bedeutet mehr Menschen auf weniger Platz mit weniger Energie und weniger Nahrung.

      Sie wissen alle, was das bedeutet. Krieg.“ Wehmütig betrachtete der Menschling den scheinbar regungslos vor sich hin schwebenden Planeten durch die Scheibe. Es war totenstill im Raum. „Sie müssen die Menschheit nicht vernichten. Das tut sie bereits selbst. Jeden weiteren Tag ein weiteres Stück. Aber die Menschheit ist zäh. Bisher hat sie alles Mögliche überstanden, Katastrophen, Seuchen, Kriege… natürlich ohne daraus zu lernen. Ein Angriff auf die Menschheit würde nur einen Gegenangriff provozieren. Ein intergalaktischer Krieg würde näher rücken als jemals zuvor, weil die Waffenarsenale der Menschheit innerhalb kürzester Zeit auf Orbitalwaffen umgerüstet würden. Und selbst bei der unaufhaltsamen Niederlage würde irgendwer vielleicht überleben. Und es würde alles von vorne beginnen.
      Deswegen plädiere ich auf Freispruch. Ich plädiere darauf, dass die metagalaktische Gemeinschaft die Erde beobachtet und zusieht, wie innerhalb der nächsten Dekaden all das sowieso geschieht, was hier geplant worden ist. Sie müssen einfach nur warten und… zusehen. Wenn sich die Menschheit dann selbst zugrunde gerichtet hat, müssen nur noch die Kriegersterne die Überreste unserer Kultur beiseite schaffen und sie haben eine Menge Energie und Arbeit gespart.“ Er wandte sich um und seine Augen funkelten vor Bitterkeit. „Wozu einen Planeten mühsam entvölkern, wenn eine gesamte Rasse seit Jahrhunderten schon darauf hin arbeitet?“
      Schweigend ging der Menschling zurück zu seinem Platz und setzte sich wieder. „Zusehen und abwarten. Und kümmern sie sich… um unsere Seelen. Das… ist dann alles.“ Der Menschling schluckte schwer und schloss die Augen.

      Für ein paar Sekunden war wiederum nur das leise, schwere Atmen des Menschlings zu hören. Dann erhob Err’Htaka leise die Stimme. „Hat jemand… irgendetwas dazu zu sagen?“
      D2FDeltaern-32omega piepste leise. „Berechnungen sind positiv. Mit gegebenen Faktoren hat die Rasse Menschling objektive Lebenserwartung von weitaus weniger als 150 Jahren, mit sinkender Wahrscheinlichkeit der extrasolaren Kriegsführung. Mit diesen neuen Daten sinkt die absolute Wahrscheinlichkeit für einen galaktischen Krieg durch die Menschheit auf unter 0,01%.“
      Err’Htaka räusperte sich leise. Wieder einmal. „Hat… dann… irgendjemand… Einwände? Gegen den Vorschlag… des Menschlings?“
      Der Kriegerstern brummte leise. „Da ja anscheinend für die Kriegersterne genug Arbeit übrig bleibt… schließe ich mich dem Vorschlag an.“ Ein zustimmendes Raunen ging durch den Raum. „Der Vorschlag klingt durchaus vernünftig. Und wir können eine Menge Ressourcen dadurch sparen.“ Tesla klang zufrieden. „Es sieht so aus, als wären doch nicht alle Menschen so beschränkt, wie wir annahmen.“ – „Oh, doch…“ Der Menschling lachte bitter. „Doch, das sind wir. Glauben sie mir.“ - „wlBä.“, meinte XB-kihsigy’h leise.

      Err’Htaka zuckte die Schultern. „Wenn niemand sonst einen Einwand hat… dann erkläre ich hiermit die Versammlung für geschlossen.“ Er wartete kurz, aber niemand rührte sich. „Hiermit verurteile ich die Menschheit zur Vernichtung aus eigener Hand. Der Menschling der Versammlung wird zurückgebracht, sein Gedächtnis so gut wie möglich gelöscht und ein Beobachtungsposten eingerichtet, der den Fortschritt der Vernichtung observieren soll.“ Ein letztes Mal räusperte er sich. „Im Namen der metagalaktischen Föderation erkläre ich das Urteil für gültig und die Versammlung für geschlossen.“

      Die Teilnehmer des Gerichts verließen den Raum, bis auf den Menschling. Als ich zurückblickte, saß er immer noch da und betrachtete wehmütig den Planeten. Ein komisches Volk, ich glaube nicht, dass ich sie jemals verstehen werde.
      Ich ging erst einmal etwas essen.



      Unten auf der Erde schaltete ein Menschling gelangweilt den Fernseher aus. Nichts Neues. Stattdessen schaltete er die Stereoanlage auf volle Leistung, nahm sich noch ein Bier und zündete sich eine Kippe an. Aah, das waren doch die Dinge, die das Leben erst lebenswert machten.